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Neuntes Kapitel

Bis zum Tage lag das greisenhafte, grau verkommene Tier über dem schwellenden Körper des blühenden Madchens. Mit verkrümmter Pranke hinkte Nahar dann fort, ließ eine weithin sichtbare Fährte in den sumpfigen Wegen. Die schwarzen Streifen, in vielen Ringen gekettet um ihr schmales Haupt, waren durchsetzt von fahlem Gestrüpp, starrten im dornigen Kranz des mißfarbigen Alters.

Noch zitterte der tropische Hain, durch das Dunkel der weichgefiederten Farne brach Licht, des Mittags blendend hinabgegossene Sonne. Glimmernde Feuerflecken auf dem grell getigerten Fell, so ruhte einst Nahar auf dem Grabe der getöteten Tiere, ein Liebesweib auf blutigem Lager. Nun schlich sie ruhelos dahin, und die grauen Nebel der ewigen Güsse schmiegten sich als Mantel um ihr unzerstörbares Herz.

Es stürzten die Orkane des Sommers durch den triefenden Wald. Der Himmel, die schwarze niedrige Schale, war gepeitscht von Blitzen. Die schwer schwingende Welle von einst wogte um sie, die noch einmal aufsommerte als Weib. Aus der trockenen Niederung des Bauches stiegen ihr sechs feuchte schwellende Hügel, wärmten sie mild, als wären sie die schwellenden Schenkel des nackten Mädchens, das unter ihr verblutend starb.

Donner dröhnte, als wäre es das ungeheure Vatertier, das zur Nacht den Himmel in rauschendem Regen durchstreift. War es nicht der Vater, der unverloren lebende Geliebte, der aus grünblitzenden Augen sie anleuchtete, sie suchte und weckte mit zündendem Licht? Ihm entgegen sprang sie auf, sie jagte ihre müden Glieder ab in wildestem Hetzen, sie trabte leise am Saume des schwarztriefenden Waldes, die Zunge spann sie aus, über der noch Menschenblut, Menschenduft schwebte, sie sehnte sich, von Menschenseele umgeistert, nach seiner Liebkosung, nach der Berührung des großen Tieres, des Vaters, des unbesieglichen unermeßlichen Mannes.

Aber bloß kaltes Wasser rieselte ihr in den Mund aus gewitternder Nacht.

In das kühle, kahle Gebirge kletterte sie, mit Mühe schleppte sie ihrer Glieder krachenden Bau durch die Schluchten in die einsamen dürftigen Matten, sie verließ das Menschengelände, die gefahrlose Jagd, die Wollust des gemordeten Menschen, sein schlürfend genossenes Blut.

Unter den Steinen des Gebirges wachte sie, trank eisiges Wasser zum Durst, riß silberne Ölfrüchte zum Hunger, aber über die Felsen nahte kein Tiger, in die Tiefe wanderte sie zurück, weicher umstreichelt vom neuen Frühling, der in schweren duftenden Wogen aus rot blühenden Wiesen aufschwoll zur regungslosen, mittagflirrenden Blüte, strotzend von Säften, grünschwarz gegen den weiß blendenden, kochenden Himmel.

Bis zum Rande, bis hinauf zum schwankenden Himmel war der Urwald des blau blühenden Sommers gefüllt.

Brüllaffen, Orang-Utan, Elefant, Schildkröte, Wildbüffel, zahmweidende Rinder, die vierhörnige Antilope, der schwere Tapir, Wildkatzen und Moschustier, Hunde, Hyänen und Geier. Steppe, fern ein Dorf, fern der Berg im kahlen Gelände, Pfauen, Smaragdvögel und Tauben, grau und rosenrot. Fluß, Sumpf, Berg aus Kies und Geröll, Gebüsch und Wald, Vaterwald, Heimatwald, aber nirgends der Vater, der Bruder, der Sohn, nirgends ein Tier wie sie selbst.

Nahar, die kümmerliche Greisin, lag verkrümmt um sich selbst, umgeben vom einzig Vertrauten, gestreichelt von der eigenen Zunge, der einzig Liebkosenden, im Halbschlaf unter dem Gebüsch am heiser ziehenden Flusse. Da hörte sie dumpfgrollenden Laut, freudiges Schnauben, silbern klagenden Laut, selig erwachte Nahar, die Tiere ihrer Seele gerettet vor sich.

Unter den schwarzen Stämmen kämpften Tiger, zwei gewaltige Männer strotzenden Geschlechts mit klirrenden Zähnen, fauchenden Nüstern, abseits, aber nahe, im Atemhauch ihrer Nähe, bestaubt von den Haaren der Männerfelle, duckte sich eine junge Tigerin, in glühender Ruhe, gleißend im Glanze des jungfräulichen Körpers. Ebenbild Nahars von einst.

Nahar umschlich die kämpfenden Männer, wütend fauchte sie lautlos die Tigerin an, aber in Angst hatte sie die verkrüppelte Pranke gehoben, schon riß die Feindin mit hinzischender Kralle eine lange Wunde ihr in die dünn vernarbte Haut. Aber noch hatte Nahar sich selbst, sie verbiß knirschend den Schmerz, der ihr Inneres mit Nägeln zermarterte, wuchtend mit dem ganzen Gewicht, ausgebreitet alle Pranken, warf sie sich unwiderstehlich in ihrer Wut über die Feindin, mit dem aufgebäumten Nacken lud sie die andere sich auf, trug sie zum Hohne ein Stück, schleuderte sie dann in hohem Schwunge nieder in das Dickicht, wo sie wie eine Schlange, niedrig am Boden, sich fortwand. Aber noch lebte sie, noch rann, heiser lockend, ihr Liebesruf, aus dem Dunkel.

Gewaltig hob sich der siegende Mann aus dem Kampf, in hohem Sprung setzte er über den ohnmächtig flach liegenden Körper des Besiegten. Dem Liebesruf der jungen Tigerin zu antworten, öffnete er den dunkel blutigen Rachen in Gebrüll, zwischen den Büschen verschwand er, während der Unterlegene, ermattet von Schlägen, schleppend mit gesenkten altersmüden Gliedern, sich aufrichtete vom Boden und geduckt in Demut zu Nahar heranschlich: Er beroch sie mit seinen schwarzen Nüstern, streichelte sie schüchtern mit den Zitterhaaren seines schütteren Bartes.

Süßes Summen entquoll Nahars Brust, aber der Tiger rieb nur seinen Kopf an ihrem Rücken, er sperrte gähnend seinen müden Rachen auf, aus dem die Zähne in vergilbten, schiefen Reihen starrten, zu ihren Füßen legte er sich nieder. Sie stieß ihn an, rief ihn, lockte ihn mit schmeichelnder Zunge, die sie einschmiegte in die Furchen seines Gesichts, die sie einbohrte in die kühle Höhle seines Mundes. Sie wurde nicht müde neben dem Müden, sie kroch unter ihn, obwohl aus ihrer zerfetzten Pranke, aus der armen Narbe neues Blut floß. Sie hob doch seine schwere Last, doppelt getürmt, auf sich. Das arme Glied, die fünfzackige Tatze drang tief ein in die ätzende Erde, bis an die Büschel am Knie stand Nahar im Sumpf, zur Hälfte war sie begraben, in der Stille atmeten beide. Schräg hing an ihrem edlen Halse sein müder Kopf herab, seine Pranken, die schweren Knochen in der schlotternden Hülle, schwarz und gelb getigert, waren so nahe ihrer pochenden Brust, seine Krallen rührten so mild an ihre noch einmal gesegneten quellenden Euter. Aber die aufgeblätterte Blume ihres Geschlechtes blieb leer, nur außen strich sein Körper kalt dahin. Schwer glitt der Regen zwischen ihn und sie. Nacht. Finsternis füllte die Schlucht. In gläsernen Säulen weißen Glanzes stieg der Mond über den hochstämmigen Urwald. Dämmer des Morgens. Nebel ballten sich über den Wassern, in weißen Streifen die Sonne vergitternd. Mittag blendete nieder, flimmernd kochende Luft, von Myriaden blauer Libellen durchschwirrt: Immer noch lagen die Tiere, ein ohnmächtiger Klumpen in vereister Umarmung übereinander. Stille. Bloß Rascheln seiner stachelbewehrten Zunge über ihre hängenden Augenlider. Ihre verwundete Pranke hielt sie ihm empor, ob er sie heile im lauen Kusse, ihre Narbe zeigte sie ihm, ob er sie ihr löse.

Dann wich sie aus dem unfruchtbaren Lager. Grau, mit spitzen Schultern hinkend ging sie den Waldpfad entlang, den alten gebahnten Weg, am Ufer des leise ziehenden Flusses, zurück in den alten Bereich.

 


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