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Sechstes Kapitel

Ein kleiner Hund rannte Nahar vor die Füße.

Erschreckt, gebannt stand er still, Nahars unzerstörbar funkelnde Augen umzauberten ihn, er sprang mitten zwischen ihre grün wogenden Feuer. Weit geöffneten Maules, die lange, blasse Hundezunge aufgeringelt um die spitzen Zähne, so kniete er vor ihr. Er hob die Vorderpfoten auf zu dienendem Gebet.

Es war Nacht.

Der Mond stieg aus dichtem Gewölke nieder über die stummen Wälder. Im Rinnen des mondfunkelnden Windes standen die Bäume still in der zu Ende ruhenden Nacht. In der Ferne schwebten die Gesänge der Beter. In die Tiefe perlte die Litanei mit immer sanfteren Tönen.

Der Hund schimmerte hell in silbernem Glanze. Räudig zerfressen sein Fell. Auch er war wie in Knoten gebunden und von Narben verschnürt. Sein Bauch war beschmutzt und verdorrt, vertrocknet seine Brust, die er, der still Kniende ihr, der schwer gelagerten Tigerin entgegenhielt. Sein Herz zitterte in hohlem Pochen an die dürren Rippen. Sein Hundeblick starrte verloren.

Einst lag ihr zur Rechten, quadernhaft gegliedert, im himmlischen Mittag der gewaltige Mann. Die aufruhenden Pranken, zwei und zwei. Auf den hohen Kissen steinernen Fleisches der breite Brustkorb mit dem dröhnenden Herzen in friedlichem Schweben des Atems, als Gipfel sein Haupt, die silberne Wange, der Nebelhof um das große Antlitz, die rosigen Lider über den flach gewölbten Schalen der Augen schlugen mit dem ewigen Blick.

Der kleine Hund neben ihr schloß seine Augen vor Nahars furchtbarem Bild, er bebte wie ein Blatt unter ihrem Stöhnen.

Einst hatte Nahar zur herrlichsten Freude, im begnadeten Aufatmen, die Augen ihres herrlichen, goldflaumigen Kindes gesehen: geöffnet, glückselig belichtet. Zurückgezogen waren die dünnen blütenfarbenen Lider von seinem nächtlich glitzernden Augenrund. So sah sie zum erstenmal ihr Kind, so wurde sie gesehen.

Scheu und feig blinkte sie das Auge des Hundes an. Sie ließ ihn allein, sie tötete ihn nicht, war nicht mehr das Tier, das in Wollust zitterte, wenn die Kralle klirrend faßte. Sie wandte sich zurück: sie sah den Hund, wie er aufgerichtet, unbeweglich betete, sie erkannte sich wieder, die graue Greisin, die einsam schleichende Mutter ohne Kinder, die mutlos jagende Tigerin. Ungesättigt, dürstend, kotbeschmierten Felles, so duckte sie sich in einen Winkel, umgrünt vom Tropenwald, fern vom geliebten Heimatgelände, um sich an Schlaf zu sättigen.

Sie ruhte. Nicht wie ein Tiger, dem der bunte Tiertraum die Nacht durchfunkelt, nicht wie ein Tier, das nie im Schatten des schwarzen Todes gestillt wird, nie die schnellende Jagd vergißt.

Flach am Boden lagen riesige Bäume, mit schwerem Sandelholzduft getränkt, zu roten Sonnenflächen durchsägte Stämme. In den Zweigen war ein geborgenes Lagern.

Wie ein Mensch ließ Nahar sich fallen in die weiche Dunkelheit. Sie wandte sich ab von sich selbst, sie vergoß ihr Leid in die finstere Grube. Sie atmete süß die Vernichtung ein in die kraftlose Brust.

Schlaf ohne Traum.

Schweben zwischen den Heerscharen.

Aus der wandelnden Wiederkehr der Kreatur ein Schlüpfen in den dunklen, milden Winkel, eine Stunde da zu ruhen.

 


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