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Zehntes Kapitel

Mit zartester Beugung zog die Mutter die Hinterpranken an sich, zwischen den Säulen errichtete sie ein warmes Gehäuse, sie baute eine deckende Höhle. Hier waren die Kinder geboren, hier waren die Kinder geborgen.

Zwischen den Achseln, ihren Mutteraugen so nahe, ragten die hohen, heißen Brüste, hier flossen die Quellen, hier waren die Kinder gesättigt: denn schon fühlte sie in unbeschreiblicher Seligkeit beide Euter kräftig umzingelt von den kleinen Mündern. Jetzt legte sich Nahars Kopf schwer, ein Siegel über die Schrift, ein Dach über das Haus, über die saugende Brust. An das weiche Fleisch unter dem Kinn hielt sie die kleinen Köpfe eingepreßt, an ihrer Kehle fühlte sie das glucksende Ziehen, das rollende Schluchzen. Im ersten Schlaf atmeten ihre Kinder völlig beruhigt.

Im weichen Wehen des Monsuns war der Regen verronnen, der Sonnenbrand in den Abend aufgelöst. Der Mond überbaute blau gläsern die feucht glitzernde Welt. Der ungeheure Kopf des Vaters brach silbern durchs schwarze Geäst, seine Wange schimmerte nah, ein zartgliedriges Rehkalb entglitt seinen aufgerissenen Kiefern. Noch blies das Reh Todeshauch aus der zerbissenen Kehle, es blickte in kindlicher Angst aus den sanften Augen, die von Dornen zerfetzt waren und niedertropften in qualligem Kristall. Die Mutter sah es an. Der Vater zerschmetterte es mit einem Schlag.

Beide tranken das gute Blut, sie schlürften sich den Saft heraus aus dem tieferen Geäder. Mit dem Kopfe allein nahm sie das Fleisch, das der Mann schon vom Knochen gelöst hatte, denn sie wollte die schützenden, schirmenden Pranken nicht rühren. Sie zermalmte die blutsüße Speise nur leise, denn sie wollte die Schlafenden nicht erschüttern, nicht wecken.

Aber die Kinder erwachten weinend in der kühleren Nachtluft, ringelten die dünnen Schwänze um sich, zitterten im Frost. Das Haupt der Mutter kehrte zurück, es senkte sich das Dach. Über das Tal ihres Leibes blieb Nahar gebeugt, sie hüllte sich in den eigenen Atem, ruhte aus auf dem eigenen Fleisch, sie schwamm auf dem See des eigenen Blutes.

Urwald, menschenleere Wildnis, quellender Regensommer ringsum.

Sie, die einst kinderlose, von nutzlosem Samen unfruchtbar Getränkte, war gerettet in das Paradies der seligen Mütter, noch war sie hinter den guten Mauern, in den letzten Tagen von hundert.

Steil aufgerichtet, ein goldschwarzer Wall vor dem dreifach verschlungenen Kreis, lagerte der Vater.

Er wachte. Die anderen schliefen.

 


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