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Gründung des »Simplizissimus«

Bei der immer spürbarer werdenden Seelenlosigkeit und der Unverbundenheit von Person zu Person, die dem literarischen Leben in Deutschland eigen ist, war mir die Erinnerung an die Gründungszeit des »Simplizissimus« immer wie ein angenehmer Lichtpunkt. Ich kam im wahrsten Sinn aus der Tiefe des Lebens, als mich Albert Langen in seine magischen Kreise zog, und das ist hier kein leeres Schmuckwort, denn es war in der Tat etwas Behexendes an dem Mann; seine Flinkheit, die Überfülle seiner Ideen, seine Triebkraft, seine Unermüdlichkeit, die bis zur Besessenheit ging, die List und Kunst, die er anwandte, Menschen an sich zu ketten, um sie seinen Zwecken dienstbar zu machen, sein durch keine Skepsis und keine Erfahrung zu besiegender rheinländischer Enthusiasmus schließlich, alles das hatte etwas von einem unwiderstehlichen Wasserstrudel; man konnte ihm nicht entkommen. Er hatte zugleich die Eigenschaften einer schmeichlerischen schönen Frau und eines entschlossenen Dompteurs. Im übrigen liebte er die Literatur, mit ihr Geschäfte zu machen war nur ein Sport bei ihm, den er sich gelegentlich einmal in den Kopf setzte. Er liebte es, Anbeter und Jasager um sich zu haben, doch wie es oft bei tyrannischen Naturen geht, konnte er sich einer wahrhaften Autorität beinahe mit Lust unterwerfen. Die Mischung von gallischer Flüssigkeit und Heiterkeit und deutschem Eigensinn, das Vergnügen an Geist, Bewegung, Farbe, Spannung und rascher Wirkung, das er aus Paris mitbrachte, das trotzige Rebellentum, die Kombinationsgabe und der Blick für Menschen und ihre spezifischen Eignungen, die Bestandteile seines widerspruchsvollen Charakters waren, all dies im Verein befähigte ihn außerordentlich zu der Aufgabe, die er sich gestellt. Ich war an ihn empfohlen worden; ohne viel Umstände erklärte er sich bereit, einen Roman von mir zu drucken. Solche Entschlüsse hatten bei ihm nichts Feierliches und Großartiges, bei einem Gespräch nach Tisch wurde man einig, meist unter Stichelei und Scherz. Er war mit dem fertigen Plan zur Gründung des »Simplizissimus« bereits nach München gekommen, doch erst der Titel des Blattes, der, wenn ich mich recht erinnere, von Otto Erich Hartleben stammt, übte jene Bezauberung auf Langen, deren er stets bedurfte, um eine Sache mit innerlichem Anteil zu betreiben. Alsbald gewann der Plan seine Form, die Form Leben. Geld war da, wenn es ausging, wurde neues beschafft. Und hauptsächlich waren Männer da, Menschen, Persönlichkeiten von beträchtlichem Zuschnitt. Björnstjerne Björnson, in seinem Nebenamt Langenscher Schwiegervater, tauchte mit seiner genialen Rede- und Gegenwartsgewalt in diesem seltsamen Redaktionsbüro auf, Dagny, die Tochter, schön, spottsüchtig, von unbezähmbarer Lebhaftigkeit und den jüngeren Literaten sehr geheimnisvoll erscheinend; der düster verschlossene Knut Hamsun; zum Lektor, mir selbst übergeordnet, war Sven Lange bestellt, ein liebenswerter Mann, der mir viel Anerkennung und geistige Hilfe erwies, schwer durchschaubar in seiner Hülle von dänischer Ironie und scheu verbindlichem Nurnichtzunahe. Aber es ist fast trivial, noch mehr Namen zu nennen, die heute, nach dreißig Jahren, in aller Munde sind; ich will nur nicht vergessen, die erstaunliche Wirkung zu erwähnen, die das Erscheinen Wedekinds ausübte, Erscheinen und Erscheinung, beides war gleich merkwürdig. Langen hatte ihn aus Zürich gerufen. Zwischen ihm und Langen bestand eine Art von furioser Anziehung, von wildgewordener Freundschaft, von materieller Abhängigkeit auf der einen Seite, die sich in Beschimpfungen Luft machte, von Bewunderung und Wissen um die hohe Besonderheit auf der andern, die sich gern in Machtbeweisen und Dresseurspäßen verleugnete. Eines Tages stand er mitten im Zimmer, wie aus dem Boden gewachsen, ganz Zirkusdirektor, im grauen Zylinder und grauen Gehrock, mit vier Bärten im Gesicht und steinern unerbittlicher Miene. Ich trat ihm später recht nahe, lernte ihn fürchten und bewundern. Unsere Bekanntschaft begann damit, daß er mir durch eine ganz beiläufige Bemerkung eine unvergeßliche Lehre erteilte. Langen hatte ihm mein Buch gegeben, jenen erwähnten ersten Roman, den ich seitdem nicht wieder habe drucken lassen. Eines Tages tritt Wedekind auf mich zu und sagt ohne weitere Einleitung mit seiner ganzen Gravität: »Hören Sie, wenn ein junges Mädchen bei großer Kälte in einer Droschke fährt und friert, streckt sie die Beine nicht aus, sondern zieht sie ein.« Das war alles, was er mir zu sagen hatte; aber ich merkte es mir.

Ich finde in den spärlichen Tagebuchnotizen, die ich aus jener Zeit noch habe, hauptsächlich die Bekundung eines wirklichen geistigen Lebens. Man hatte Interessen, man stand mit Enthusiasmus dafür ein, es war Kameradschaftlichkeit vorhanden, eine erquickende Solidarität, sogar das Publikum nahm Anteil an dem, was in dieser beweglichen Menschengruppe vor sich ging, Opposition war bei aller Leidenschaftlichkeit nie ohne Frohsinn, man hatte eine lachende Liebe zur Sache, alle Arbeit war in gewissem Sinn ein Spiel, alle Auseinandersetzung zielte auf das gemeinsame Werk. Kleine Momentbilder sind mir noch im Gedächtnis: der unergründlich-witzige Thomas Theodor Heine (dem wir jungen Leute damals viel verdankten an Einblick in das Wesen von Kontur und Figur) inmitten des Stabs der Redakteure und ihnen mit sardonischem Ernst Urteile und Meinungen entlockend, die er dann, ehe man sichs versah, durch eine kleine Wortumstellung etwa oder nur durch eine anders betonte Wiederholung, eine mit Fragezeichen versehene, ins Lächerliche zog; dann das von Langen für die beste Novelle veranstaltete Preisausschreiben, wie täglich ganze Wagenladungen mit Manuskripten eintrafen, der unglückliche Veranstalter seine noch unglücklicheren Lektoren händeringend in das Meer von Papier hetzte und schließlich, auf dem Gipfel der Verzweiflung, mich eines Tages in eine entlegene Kammer sperrte, mit dem zornigen Auftrag, ich möge versuchen, die Preisnovelle selber zu schreiben.

Manches von der Art klingt nach Frivolität und Spiel, war es wohl auch; durfte es auch sein, es handelte sich ja darum, die Geister in Schwung zu bringen, die Gemüter in Laune, die träge Dumpfheit eines satt- und selbstsicher gewordenen Deutschlands mit elektrischen Schlägen zu unterbrechen; Kampf gegen Polizei und Reaktion, gegen Prüderie und Servilismus, gegen Dünkel und Prahlerei war nicht bloß eine unverpflichtende Gebärde, man stand auch auf dem entscheidenden Punkt für die Folgen ein, wie sich ja erwiesen hat, und mehr noch, man spürte die künftige Gefahr und das drohende Verhängnis. Dadurch erhielt all das Zigeunertum, das Seifenblasenwesen, das Champagnerselige und auch das Glücks- und Abenteurerhafte, das drein verwebt war, die tiefere Bedeutung und den Untergrund von Ernst.


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