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Zwei Briefe an den Herausgeber der »Literarischen Welt«

1. Über »Publikumserfolg«

Lieber Willy Haas, es gibt bei der heutigen Frage- und Umfragewut einige wenige Leute, die so interessant und beunruhigend zu fragen wissen, daß es unmöglich ist, ihnen nicht zu antworten; zu denen gehören Sie. Ich soll Ihnen erklären, wie es kommt, daß ich einen breiten Leserkreis und hohe Auflagen habe, ohne daß ich, wie Sie selbst hinzufügen, dem Publikum irgendwelche Konzessionen mache. Ihre Ansicht, als sei eine solche populäre Wirkung »im allgemeinen« das Kennzeichen des bloßen Unterhaltungsschriftstellers, kann ich jedoch nicht teilen. Gerade im allgemeinen ist es nicht der Fall. Vielleicht in Deutschland, das mag sein; die Gleichgültigkeit der Nation gegen die höhere epische Romanform zu brechen, ist erst in den letzten fünfundzwanzig Jahren gelungen, und ich brauche Ihnen nicht die drei, vier Namen zu nennen, denen dies zu danken ist und die sich eine Leserschaft geradezu erzogen haben; bis dahin hatte der Professoren- und Philologengeist sein Veto eingelegt gegen die patinalose Aktualität einer Gattung, die aus klassischen Epochen her noch verdächtig war. (Ich bilde mir natürlich nicht ein, daß dieser Geist aufgehört habe, sich zu wehren und da und dort in der Provinz seine Diktate aufzustellen.) In England, Rußland, Frankreich und Skandinavien haben die großen Romanschöpfer stets das Ohr ihrer Welt, ihrer Gesellschaft, ihrer Zeit gehabt, und höhere Auflagen als etwa Dickens, Thackeray, Tolstoi, Scott, Anatole France, Maupassant usw. usw. hatten auch die minores gentes nicht aufzuweisen. Freilich ist es in diesen Ländern nicht ein Zeichen literarischer Bedenklichkeit, gelesen zu werden, Gegenstand der Diskussion zu sein, die Öffentlichkeit zu beschäftigen, sondern es ist im Gegenteil eine legitime Wirkung. Aber um zum Kern Ihrer Frage überzugehen, vergessen Sie doch nicht, daß hinter der seit einigen Jahren bemerkbaren Publikumsgeltung meiner Bücher eine fünfunddreißigjährige Bemühung liegt, ich möchte sagen, und Sie werden mich nicht mißverstehen, eine systematische Bemühung, eine unablässige Disziplinierung jedenfalls, denn ich war von Anfang an der Meinung, daß der Romanschriftsteller eine sinnlose Existenz und das Verfassen von Romanen eine sterile Tätigkeit ist, wenn dahinter nicht die Nation oder wenigstens ein Teil der Nation steht, lebendiges Echo, Gefolgschaft, Glaubende, Angerührte, Schaufähige, Fühlfähige, Verwandlungsbereite, Erkenntnisbereite. Und worin besteht nun jene »Bemühung«? Im Suchen und in der Ausgestaltung der Form, im Bauen des Stils, in der Prägung der persönlichen Melodie, die man vorzutragen hat, in der allmählichen Komposition der gesetzhaften Zeittypen, denen Individuelles untergelegt werden muß und die sich dann auf diesem Fundament wieder zu höher geartetem Individuellen hinaufzubilden haben, in der Ausmerzung des Unwesentlichen, in der Vereinfachung der Handlungslinien, im richtigen Einsatz und der kunstvollen Verteilung der Spannungselemente, in der Kontrastierung der Charaktere, in der Belichtung oder Beschattung der Episoden und in zahllosen andern Erwägungen. Es ist ein schwieriges und aufreibendes Metier, denn ich rede dabei gar noch nicht vom Selbstverständlichen, vom Einfall, von der Vision, von allem, was Gnade ist, aber daß es nebenbei noch ein Handwerk ist, eines, das unter Umständen erfordert, daß man ein und dieselbe Seite, ein und dasselbe Kapitel zehn-, fünfzehn-, zwanzigmal macht, das weiß man bei uns zu wenig, die Qualitäten und Kategorien werden nicht genug unterschieden, und da an den wirklichen Kunstwerken natürlich die »Begnadung« am augenscheinlichsten ist, wie es auch sein soll, lassen sie das ungeheure Maß von Arbeit nicht ahnen, das sie gekostet haben und gekostet haben müssen, sonst sind sie eben keine Kunstwerke. Den Seinen gibts der Herr nie im Schlaf, glauben Sie mir. Aber darüber ließen sich Bände schreiben, was ich nicht vorhabe.

2. Über die Situation der heutigen Jugend

Lieber Herr Haas, die Aufforderung, die Sie an mich richten, ich möge an die geistig produktive Jugend Deutschlands ermunternde Worte richten, hat mich tagelang beschäftigt und die widerstreitendsten Gedanken und Gefühle in mir erregt, um so mehr, als das Werk, an dem ich nun seit vielen Monaten arbeite Der Fall Maurizius. und zu dem frühere Bücher gleichsam nur Vorspiele waren, sich in Gestaltungen bewegt, deren brennender Kern eben dieses ewige Problem ist: Jugend. Die ewige, die heutige Frage aller Fragen. Es ist sonderbar, je älter ich werde, je mehr geht es mich an, und ich kann nicht entscheiden, ob es ein physiologischer, ein geistiger oder ein seelischer Prozeß ist. Jedenfalls ist es einer, der außerordentlich charakteristisch für die Epoche ist, und die Ursachen zu ergründen würde sehr weit führen, sehr weit und sehr tief. Ich habe beobachtet, daß sich in den meisten meiner älteren Zeitgenossen eine eigentümlich versteinerte Vorstellung von der gegenwärtigen Jugend gebildet hat, so als ob es nicht gut sei, mit ihr umzugehen, nicht förderlich, nicht dankbar, als stoße man dabei auf Schritt und Tritt auf Mißverständnis, Trotz, Haß und Kälte. Kein Wunder, die Fäden sind ja alle abgeschnitten, die ältere Generation hat sich keine sonderliche Mühe gegeben, sie wieder zu knüpfen, sie hatte zu viel zu tun, wir haben alle zu viel zu tun heute, sogar was wir als »Welt« aufbauen, als innere und innerste, stürzt uns zuletzt oft nur in einen gewissen Betrieb. Traurig zu sagen, aber man kann es nicht verhehlen. Dazu kommt, daß eine Zwischengeneration fehlt, eine durch den Krieg fast vollständig ausgerottete Verbindungsarmee, wenn ich mich so ausdrücken darf, die ausgleichschaffenden, dolmetschenden Gruppen, die in sonstigen Zeiten Beziehung herstellen zwischen den Zwanzig- bis Fünfundzwanzig- und den Fünfundvierzig- bis Sechzigjährigen. Da ist ein Abgrund, eine von Wildnis überwucherte Unwegsamkeit. Es kommt noch etwas hinzu. In den Jahren 1880 bis 1900 war es nichts Bemerkenswertes, jung zu sein. Man konnte nicht darauf pochen, daß man jung war, man durfte sich nicht einmal darauf berufen, und die Obsorge und Beachtung, die man deswegen genoß, ich kann da aus eigener schmerzlicher Erfahrung sprechen, war gleich Null. Ein unvollkommener Weltzustand, ein schädlicher in vielen Fällen und ein unwürdiger. Aber meinen Sie nicht auch, daß ein gewisses Ressentiment in manchen Fünfzig- und Sechzigjährigen dadurch erklärt wird, besonders, wenn Sie die Erinnerung an die kleinbürgerliche Anonymität, zu der sie ein ganzes System verurteilte, gegen eine Situation halten, in welcher Jugend geradezu Partei ist, Gegnerschaft, feindliches Heer? Ich verstehe es, aber ich weiß auch, was hinter dieser Parteistellung der jungen Leute an Krankheit, Verzweiflung und Leiden liegt, und daß man sich durch einzelne Schlachtrufer und Politikmacher nicht täuschen lassen darf, die ihren Vorteil aus einer Spannungskonstellation ziehen und ihr Geschäft damit betreiben. Geistig produktive Jugend, ja, die gibt es, Sie haben recht, in größerer Zahl heute, mit tieferer Wirkung als zu irgendeiner Zeit, wenn es auch nicht eben die sind, die an der Oberfläche schwimmen. Es sind noch nicht die rechten Repräsentanten dafür da, es sind, wie die Rahel einmal sagt, noch nicht die Anstalten dafür da. Die Anonymität, zu der die meisten verdammt sind, ist im Grunde eine viel grausamere und hoffnungslosere als vor dreißig Jahren, denn sie ist durch den ungeheuern Zusammenbruch des ganzen europäischen Idealismus verschuldet worden, und das bedeutet eine Not, gegen welche die der früheren Epoche ein Kinderspiel war. Wir damals ahnten und fürchteten nur, aber wir konnten uns noch auf Positives stützen, auf Leistungen, Erwartungen, sogar auf Träume. Mit den Träumen ist es für unsere Jugend vorbei, keinem romantischen Fahrwasser können sie etwas von ihrem Lebenstransport anvertrauen, die Spezialisierung der Geisteskomplexe zwingt oft geniale Naturen im wahrsten Sinn des Wortes klein beizugeben, und je bedeutender eine Veranlagung ist, je unbedingter, desto frostiger wird sie von einer Gesellschaft ignoriert, die mit ruhigem Zynismus das Gesetz der Nutznießung als einzig maßgebliches verkündet. Was bleibt ihnen da übrig als Kriegserklärung, Haß und Isolierung? Oh, ich kenne sie, diese scheuen Jünglinge und Mädchen, verloren in einer Welt, in der es keine Seelenfinder mehr gibt, keine Menschensucher, diese ertöteten Herzen, erschrocken Verstummten, leidenschaftlich Wartenden mit ihren glühenden Hirnen und verkrampften Seelen! Sie, an die ich denke, gehören keinen Genossenschaften, Bünden und Vereinigungen an, keinen politisierenden Gruppen und Ertüchtigungsmannschaften; es sind Einzelne, dreißigtausend, zwanzigtausend vielleicht, Vierzehnjährige, Sechzehnjährige, Neunzehnjährige, verstreut in allen Städten und Provinzen des Landes, Heimen und Schulen, Berufen und Ständen. Ihnen gilt meine Arbeit, für sie bin ich da, und wenn auch nur Einige unter ihnen wissen, daß ich mich ihnen still verdungen habe, und das Geringe akzeptieren, das ich geben kann, so ist es Lohn genug und mag als ein Zeichen für Größeres gelten, dem ich selbst nur diene. Eines freilich dürfen sie nicht vergessen: sie besitzen etwas ungeheuer Kostbares, wofür ihnen die Schätzung fehlt und für das sie manche Hölle in den Kauf nehmen können, nämlich Jugend. Ave juventus!


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