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Der Kriminalist Feuerbach

Als ich vor mehr als zwanzig Jahren an die Vorstudien zum Caspar-Hauser-Roman ging, stieß ich bald auf die Figur des Kriminalisten Feuerbach, und je mehr ich mich mit ihr beschäftigte, je mehr ich von dem Mann und seinem Leben erfuhr, je imposanter wurde mir seine Gestalt. Ich habe dort, in dem Buch, seine Züge wiederzugeben versucht und es unternommen, seine Erscheinung lebendig zu machen. Was mir danach zu tun übrigbleibt, kann nur darin bestehen, eine Art Kommentar zu liefern.

Das Wunderliche ist, daß ich in dem Bezug gar nichts zu revidieren habe oder meinem Gedächtnis durch Wiederholung einschlägiger Lektüre Nachhilfe leisten muß. Das Bild ist noch genau so frisch wie damals. Ich sehe einen vierschrötigen Körper, gedrungen und etwas plump, darauf einen mächtigen Schädel mit krausem Haar, einer Eisenstirn, durchdringend prüfenden Augen, denen keine Lüge standhält, und fest verschlossenen Lippen, die überzeugend, ja hinreißend zu reden und bedeutsam und ehrenhaft zu schweigen wissen. Der Mann trägt nicht bloß sein eigenes Schicksal auf den kräftigen Schultern, und das mit gebührendem Stolz und mit einigem Trotz; er hat sich auch das Geschick seines Landes und Volkes aufgeladen; er ist ein Kämpfer für das Recht, für das ursprüngliche Menschenrecht; er ist der Erneuerer abgelebter Ordnungen; der geborene Gesetzgeber, und damit nimmt er alles Ungemach, allen Zwiespalt, alle Gegnerschaften, alle Tragik auf sich, die den Reformator aus Leidenschaft und Menschenliebe nur immer treffen können. Ihn wanken zu sehen, hat keiner erlebt. Er ist unnachgiebig bis auf die Formel, bis auf den Punkt, er scheut nicht die Machenschaften des Klerus, den Haß einer faulen Gesellschaft, den Zorn seines Königs; er ist ohne Winkelzüge und kennt keine Eckengeherei; sein Geist ist darauf gestellt, das Recht zu suchen und aus dürren Hülsen mühselig und oft mit blutig geschlagener Hand die Idee der Gerechtigkeit herauszuschälen.

Es sei mir erlaubt, hier wiederzugeben, was er am Beginn des zweiten Teiles des Romans im Gespräch mit dem Lord Stanhope in schicksalsbedrängter Situation über sich selbst sagt; es ist bei aller Leidenschaftlichkeit der Führung ein ziemlich präziser Umriß seiner Persönlichkeit, und wenn der einmal für einen selber feststeht, warum soll man ihn dann zugunsten eines vielleicht schlechter nachgezeichneten unbenutzt lassen?

»Wir sind die Diener unserer Taten. Vor dem schlimmen Ende zittern, hieße jede Schlacht aufgeben, bevor sie geschlagen. Bedenken Sie, ich stehe hier auf einem verlorenen Posten des Landes. Mein Leben war für eine andere Bahn bestimmt, einst glaubte ich es wenigstens, als in der Verborgenheit einer Kreisstadt beschlossen zu werden. Ich habe meinem König Dienste geleistet, die gewürdigt worden sind und die vielleicht dazu beigetragen haben, seinem Namen das stolze Attribut des Gerechten zu verleihen. Noch größere wollte ich leisten, sein Volk erhöhen, die Krone zu einem Symbol der Menschlichkeit machen. Dies scheiterte. Ich ward zurückgestoßen. Freilich, man hat mich belohnt, aber nicht anders als wie Domestiken belohnt werden. Von früher Jugend an habe ich mich dem Gesetz geweiht. Ich habe den Buchstaben verachtet, um den Sinn zu veredeln. Der Mensch war mir wichtiger als der Paragraph. Mein Streben war darauf gerichtet, die Regel zu finden, die Trieb von Verantwortung scheidet. Ich habe das Laster studiert wie ein Botaniker die Pflanze. Der Verbrecher war mir ein Gegenstand der Obsorge; in seinem erkrankten Gemüt wog ich ab, was von seinen Sünden auf die Verirrungen des Staates und der Gesellschaft entfiel. Ich bin bei den Meistern des Rechts und bei den großen Aposteln der Humanität in die Lehre gegangen, ich wollte das Zeitalter der überlegten Barbarei entreißen und Pfade zur Zukunft bauen. Überflüssig zu beteuern. Meine Schriften, meine Bücher, meine Erlasse, meine ganze Vergangenheit, das heißt eine Kette ruheloser Tage und arbeitsvoller Nächte, sind Zeugen. Ich lebte nie für mich, ich lebte kaum für meine Familie; ich habe die Vergnügungen der Geselligkeit, der Freundschaft, der Liebe entbehrt; ich zog keinen Gewinn aus eroberter Gunst; kein Erfolg schenkte mir Rast oder nachweisbares Gut, ich war arm, ich blieb arm, geduldet von oben, begeifert von unten, mißbraucht von den Starken, überlistet von den Schwachen. Meine Gegner waren mächtiger, ihre Ansichten waren bequemer, ihre Mittel gewissenlos; sie waren viele, ich einer. Ich bin verfolgt worden wie ein räudiger Hund; Pasquillanten und Verleumder besudelten meine gute Sache mit Schmutz. Es war eine Zeit, da konnte ich nicht auf die Straßen der Residenz gehen, ohne die gröblichsten Insulten des Pöbels fürchten zu müssen. Als ich, durch widerwärtige Intrigen und Anfeindungen gezwungen, mein Professorenamt in Landshut aufgeben mußte, als man den studentischen Janhagel gegen mich in Raserei versetzt hatte und ich nach meiner Heimat floh, Weib und Kind im Stich lassend, da trachteten mir bezahlte Schergen nach dem Leben. Es war der große Krieg, alle Ordnung war zerrüttet; von der österreichischen Partei wurde ausgesprengt, daß ich mit der französischen Partei im Bündnis stehe, die dem Kaiser Napoleon zur Errichtung eines okzidentalischen Kaiserreichs den Weg bahnen und die souveränen Fürsten stürzen wolle, die Franzosen verdächtigten umgekehrt meine Beziehungen zu Österreich. Es gab einen Mann, einen Amts- und Berufsgenossen, einen Gelehrten, berühmt und angesehen – oh, ein feiger Poltron, die Zeit wird seinen Namen an einen der Schandpfähle des Jahrhunderts heften! – der sich nicht entblödete, mich öffentlich als Spion zu bezeichnen, und mein Protestantentum zum Vorwand nahm, den König gegen mich mißtrauisch zu machen. Ich erlag nicht. Die Widrigkeiten hatten ein Ende, mein Fürst nahm mich wieder in Gnaden auf, freilich nur in Gnaden. Ein neuer Herr bestieg den Thron, ich blieb in Gnaden. Heute bin ich ein alter Mann, sitze hier in der Stille, immer in Gnaden. Auch meine Feinde sind besänftigt oder sie stellen sich so, auch sie sind in Gnaden. Aber was es bedeutet, eine aufs Große und Allgemeine gerichtete Existenz vernichtet zu sehen, bevor noch die letzte Faser des Geistes, der sie trug und nährte, ihre Kraft verzehrt hat, das empfinden nicht jene, das weiß nur ich.«

Wenn er davon spricht, daß ihm der Verbrecher »Gegenstand der Obsorge« war, so ist das im wörtlichsten Sinne zu nehmen. Man weiß, daß durch seine Initiative die Folterstrafe in Bayern abgeschafft wurde, lang bevor er auf Grund des napoleonischen Code civil eine neue Legislatur schuf. Man weiß, daß ihm jeder Kriminalfall zum gewissenhaftesten Studium wurde und daß er nicht rastete und ruhte, ehe er nicht in das verworrene Gewebe eines Verbrechens Licht gebracht hatte. In diesem Betracht war seine Unerbittlichkeit und seine Tapferkeit so groß wie in der Forderung an die Justizpflege nach Humanität. Glücklicherweise sind davon auch die vollgültigen Zeugnisse auf die Nachwelt gekommen, mehr als Zeugnisse; die Sammlung seiner Kriminalrechtsfälle müssen unvergängliche Denkmale genannt werden, nicht bloß durch den Charakter des Mannes, der sich in ihnen kundgibt, seine Noblesse, seine edle Offenheit, nicht bloß durch die unvergleichliche Gabe der Seelenzergliederung, sondern auch durch ihre stilistische Perfektion. Es sind Musterstücke deutscher Prosa, von denen Exzerpte in allen Schulen gelesen werden müßten und die ihre Abkunft von der glänzendsten Epoche unserer Literatur nicht verleugnen.

Untrennbar verknüpft ist für uns Heutige noch sein Name mit dem Leben und dem Schicksal des Findlings Caspar Hauser. Er hat sich für den rätselhaften Knaben mit der ganzen Macht seines Ansehens und seines Amtes eingesetzt, und die Schrift, die er darüber verfaßt hat, »Verbrechen am Seelenleben eines Menschen« (sie wird selbst in öffentlichen Bibliotheken noch selten aufzutreiben sein), gehört durch ihre profunde psychologische Analyse, verbunden mit der erstaunlichen Führung eines Indizienbeweises, nicht nur zu den Kuriositäten unserer Literatur, sondern sie ist auch ein menschliches Dokument von hohem Rang. In ihr paaren sich Scharfsinn und logische Unerbittlichkeit mit einer tiefen Kenntnis der Welt und einem Mut, lichtscheuen Zettelungen zu Leibe zu gehen, der zu jener Zeit nicht gefahrlos war (wie ja das Schicksal des Autors erwiesen hat) und es heutzutage ebensowenig wäre. Das kleine Werk hat nur seinesgleichen in Voltaires Enthüllung des Calasschen Justizmordes und in Zolas » J'accuse«. Es scheint aber gerade jetzt wieder, als ob, in diesem Falle, die tapfere Tat keine Frucht gezeitigt hätte. Gerade jetzt erheben sich wieder von allen Seiten Professoren, angebliche Kenner der Geheimarchive, um, unbelehrt durch die Überzeugung und das Martyrium eines großen Menschen, frisch und fromm zu verkündigen oder aufzuwärmen, was ein richtiger Schulmeisterwahn des Biedermeiertums war und was jener mit Liebes- und Lebensmühe als Gedankenschutt und Sünde seiner Zeit gegen Geist und Seele beiseite geräumt zu haben glaubte. Aber die Wahrheit ist auf dem Wege.

Daß Anselm Feuerbach seine Teilnahme am Caspar-Hauser-Schicksal mit dem Leben bezahlt hat, ist nur denen ein Geheimnis, die weder hören noch sehen noch wissen wollen und denen der deutsche Respekt vor Fürstenthronen so tief in den Knochen sitzt, daß sie ein heiliges Zittern überläuft, wenn einer es wagt, an das Idol, sei es auch ein gestürztes Idol, nur zu rühren. In der Feuerbachschen Familie war und ist die Vergiftung während einer Reise, die aufklärenden Zwecken in der Caspar-Hauser-Sache dienen sollte, Tradition. Ludwig Feuerbach, der Philosoph, stellt die Tatsache in dem Buch, das dem Leben und Wirken seines Vaters gilt, keineswegs in Abrede; er begnügt sich mit einer Fußnote, die nichts anderes ist, als wenn einer die Faust in der Tasche ballt. Andere, Zeitgenossen und Nachkommen, äußern sich unverhüllter.

Es muß eine beispiellose Vitalität in dieser Familie gewesen sein. Die Feuerbäche nannte man sie in meiner fränkischen Heimat. Der Vater ein Genius des Rechts; der eine Sohn ein Denker, der das neunzehnte Jahrhundert in nachhaltige Bewegung versetzte, der andere Archäolog und Schriftsteller von Rang, Vorläufer Rohdes und Nietzsches; der Enkel dann, wie die letzte, süßeste Reise des gewaltigen Baums, ein wundersamer Künstler, der tragisch-sinnvoll durch Selbstvernichtung endete.

Deutsche Schicksale. Deutsche Männer.


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