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Unter den Tagebuchaufzeichnungen von Friedrich Hebbel findet sich aus dem Juli 1843, also wenige Jahre nach dem Erscheinen des »Münchhausen« und kurz nach Immermanns Tod die folgende: »Immermann hat in seinen beiden Romanen alle Bewegungen und Richtungen der Zeit abgespiegelt, und zwar in den Epigonen die ernsthaften und wichtigen, soweit sie sich fratzenhaft darstellten, im »Münchhausen« aber die fratzenhaften und nichtigen, die sich ernsthaft gebärdeten.«
Dieses Urteil hat trotz seiner scharfen Antithese etwas ungemein Einleuchtendes, aber es ist vielleicht mehr treffend als wahr und verführt mehr, als daß es führt. Wie jedes Epigramm schließt es Welt und Gestalt aus und spießt sozusagen ein geistiges Ergebnis auf die Spitze einer Nadel.
Es ist etwas sehr Eigentümliches um die deutsche Romanform in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts. Zwei epochale Erscheinungen, Goethes »Wilhelm Meister« am Anfang (die »Wahlverwandtschaften« als geschlosseneres episches Gebilde, sphärischer und umrißhafter, weisen einen andern Weg) und Gottfried Kellers »Grüner Heinrich« am Ende stecken ein Feld ab, das ein wundersam wucherndes Wildwachstum zeigt und das Heterogene, Humorige, Pittoreske, Verschlungene, provinziell Abgekehrte, Einfallshafte, lyrisch Unbegrenzte, ja sogar Gespenstische ohne Ordnung und Übergang nebeneinander aufstellt und durcheinander wirken läßt. Da sind Jean Pauls zauberische Phantasien neben jener unerträglichen Weitschweifigkeit und Willkür, durch die er Goethe so verhaßt wurde; Brentanos volkshafte und naiv-tiefsinnige Erzählungen, Achim von Arnims so seltsam umrißlose, hautlose Schöpfungen, unter denen freilich eine Novelle wie »Isabella von Ägypten« gleich einer Blume und die »Kronenwächter« wie ein kostbares Juwel stehen; da sind, mit ihrer Mischung von erstaunlich wirklichkeitsmäßigen und geisterhaften Elementen, E. T. A. Hoffmanns barockgeniale Gebilde, von denen Verbindungsfäden hinüberreichen zu Dickens, zu Poe, zu Barbey d'Aurevilly; da ist Eichendorffs süße Melodie, gleichsam die Reinheit und Ruhe des späteren, einem weit höheren Kreis zugehörigen Stifter ankündigend. Reizvolles Wirrsal dies alles; eines fast ohne Bezug aufs andere; jedes für sich selbst bestehend und durch sich selbst wirkend; eigensinnig ungebunden, in manchem Betracht verhängnisvoll original und daher ohne rechte Folge und keine dauernde Tradition gründend; sehr deutsch mit einem Wort. Damals hatte der Begriff deutsch, wenigstens in der Kunst, keine trotzig und abgrenzend nationale Bedeutung, sondern eine poetisch-romantische. Erst die sogenannte jungdeutsche Bewegung, etwa ein Jahrzehnt nach Goethes Tod beginnend und kurz nach Immermanns Tod schon entfaltet, bereitete der Freiheit des schönen Träumens ein Ende und verbog gewalttätig jede Dichterabsicht ins Politische und Tendenziöse.
In diesem Bezirk der Literatur, durchaus aber vom Erlebnis der Zeit her, steht nun Immermann in seinem »Münchhausen« zunächst als Frondeur. Ich sage, zunächst, weil sich im Verlauf des Werkes Schwerpunkt und Richtung fast wider den Willen des Autors langsam verschieben. Die ersten zwei Teile des Romans beschäftigen sich in manchmal recht ermüdender Weise mit den Streitfragen, die bei seinem Entstehen aktuell waren und es heute natürlich nicht mehr sind. Was vor einem Jahrhundert als widersinnig, verderblich, aufreizend und lächerlich an den Pranger gestellt werden konnte, vermag uns heute, sofern es überhaupt ohne Kommentar und Fußnote zu verstehen ist, kaum über die Langeweile zu trösten, die seine gewissenhafte Aneinanderreihung verursacht, und der edle Zorn und überlegene Spott des Dichters versenden Pfeile, von denen wir sehr oft nicht mehr wissen, wen sie treffen sollen und ob sie getroffen haben. Das ist ja die Gefahr aller Satire: die Gebundenheit an den Tag; und es muß schon ein so erhabenes Gelächter sein wie das des Aristophanes oder eine so gewaltig hämmernde Faust wie die von Swift, damit wir über der Größe dessen, der geißelt, die Kleinheit und Vergänglichkeit derer vergessen, über denen die Geißel geschwungen wird. Auch gewichtigere Schädlinge als der athenische Sykophant verlieren nach zweitausend Jahren ihren Stachel; alles geringe Tun und Sagen wird zu Staub; aller Irrtum vermodert. Ich weiß nicht einmal, ob in dem Spott noch einiges Leben ist, mit welchem Immermann den anspruchsvollen Gallimathias der Hegelschen Philosophie und ihrer Mit- und Nachfahren übergießt, obschon Hegel gerade jetzt wieder begonnen hat, das deutsche Denken und die deutsche Staatsidee sehr zu beeinflussen. Seine Form jedenfalls und seine Akrobatenkunststücke der Logik sind uns fremd geworden, und nicht nur deshalb, weil Schopenhauers großartiger Ingrimm in ihrer Bekämpfung populär geworden ist. In einigen Fällen geschieht es auch, daß das mit recht groben Knütteln niedergeschlagene Opfer sich danach ruhig wieder erhebt und weiter durch die Zeiten wandelt, so daß wir heute von der Züchtigung gar nichts mehr wissen und Mensch und Werk in kaum verkümmerter Erscheinung noch bestehen, freilich durch das Urteil der Geschichte auf das annähernd richtige Maß zurückgeführt, wie es sich zum Beispiel bei dem wunderlichen und wundergläubigen Justinus Kerner und seiner »Seherin von Prevorst« gezeigt hat. Was den aufklärerischen Köpfen damals als törichte Phantasterei erschien, ist in unsern Tagen nicht nur nicht abgetan, nicht nur nicht zum belächelnswerten Wahn geworden, sondern ist ganz im Gegenteil in den Kreis der wissenschaftlichen Forschung getreten und hat, sich nach allen Seiten ausdehnend und alle Grenzen der Realität überschreitend, vielfach auch als Ersatz für schöpferische Tat und religiöse Hingabe Millionen von Seelen in ihren Bann gezogen. Freilich war Immermanns Geist zu gesund und sein Verhältnis zur Umwelt zu ehrlich, als daß er, was ihm als Verstiegenheit und modischer Überschwang begegnete, ruhig hätte hinnehmen können. Es steckte etwas von einem reisigen Rittersmann in ihm, und wo er hieb, da hieb er scharf. Daß wir von der Mehrzahl der Delinquenten, über die er, beamteter Richter auch dem Beruf nach, Gericht abhielt, keine Kenntnis mehr haben, liegt, wie gesagt, im Wesen der satirischen Gattung. Denn wer wollte sich heutzutage noch an der dandyhaften Geziertheit eines Pückler-Muskau stoßen? Wen verdrießen noch die Lust- und Trauerspiele des seligen Raupach? Wer weiß noch von dem gelehrten Wunderkind Karl Witte? Wen interessieren noch die Umtriebe des schwäbischen Morgenblatts und seines famosen Wolfgang Menzel? In welcher Bibliothek befinden sich noch die sämtlichen Werke in fünfzehn Bänden des Ludwig Timotheus Freiherrn von Spittler? Wer kennt noch Zschokkes einst so gepriesene »Stunden der Andacht«? Oder Beckers »Deutsche Sprachlehre«, die so viel Staub aufgewirbelt hat? Es könnten hier Namen und Dinge noch lange folgen; aber alles dies ist Schutt. Nun wäre ja freilich einzuwenden, daß der reisige Rittersmann ja eben darum auszieht, um allerlei lästiges und schädliches Getier zu vertilgen; seiner Zeit und Gegenwart erweist er auch ohne Zweifel eine Wohltat; damit er der Nachwelt etwas bedeute, braucht er als Haupt- und Kronzeugen die geschaffene Gestalt. Und diese Gestalt existiert; sie beherrscht in der Figur des Münchhausen vor allem die zeithaft-polemische erste Hälfte des Romans. Es ist sehr ergötzlich und vom Blickpunkt des kritischen Betrachters aus nicht wenig belehrend, wie gleichsam durch seine Leiblichkeit alle die geistigen, übergeistigen, konventikelhaften, ephemeren, bisweilen an Tee- und Literaturklatsch gemahnenden Elemente zusammengebunden und verlebendigt werden. Dies ist ohne Frage ein Geheimnis des Humors, der ja, wo er echt und ein Ausbruch der Natur ist, die Kraft hat, das Enge zu erweitern und das Triviale zu erhöhen.
Da die Figur des Münchhausen im Boden der Volkssage wurzelt, hatte Immermann nur nötig, die ihm angestammten Züge dichterisch zu befestigen und, soweit er als Charakter bei der Romanhandlung in Frage kam, ihm innerhalb einer bereits vorhandenen Form Leben zu verleihen. Das ist mit ungemein vielem Geist und Temperament, auch mit ursprünglichem Witz geschehen. Jedes deutsche Kind weiß vom Münchhausen als vom Inbegriff eines unverbesserlichen Lügners, Prahlers und Aufschneiders. Indem Immermann seinen Helden in annähernd reale, etwas gelockert vom eigentlichen Zusammenhang sogar profund reale (davon wird später zu reden sein) Verhältnisse stellt, verleiht er ihm eine überraschende Wahrheit der individuellen und dichterischen Existenz. Seine phantastischen Erfindungen und gewagten Tollkühnheiten können sich nicht selten mit der souveränen Laune messen, mit der ein Gargantua seine Umwelt traktiert. Das Allerabsurdeste findet Beziehung zueinander, und natürliche Beziehungen werden in die Absurdität getrieben. Chemie und Geographie, Medizin und Astronomie, die neuesten Entdeckungen und der älteste Aberglaube, Lakaiengeist an kleinen deutschen Höfen und die Verstiegenheit zeitgenössischer Literaten, aristokratischer Dünkel und bürgerliche Versumpfung, alles wird durcheinandergemengt, alles seiner Wichtigkeit entkleidet und gelegentlich so überspitzt, daß es sich wie die verwegene Kombination in einem Fiebertraum ausnimmt.
Unter dem Gebot eines bewundernswerten Instinktes, daß diese Mittelpunktsfigur durch die, wenn auch künstlerisch anziehende, so doch stofflich bedenkliche Überwucherung der willkürlichen und phantastischen Motive das Maß überschreitet, daß der Schnörkel die Linie unsichtbar machen könne, hat nun Immermann sehr weise und zum unendlichen Gewinn für sein Werk mit der Münchhausen-Handlung die Oberhof-Handlung verwoben und innerhalb dieser eine Gestalt geschaffen, die unsterblich sein wird, den Hofschulzen, Vor- und Urbild aller Bauernkönige und stolzen Repräsentanten bäurischer Sitte und bäurischen Adels, die seitdem in den Bereich der Literatur getreten sind.
Schon bei früherer Lektüre und jetzt stärker noch hatte ich den Eindruck, daß dem Verfasser während der Arbeit diese Gestalt über alle andern hinaus wuchs und daß sie nach und nach seine ganze Liebe und Sorgfalt an sich zog. Darauf läßt vor allem das etwas gar zu theatermaschinenhafte Verschwinden Münchhausens vom Schauplatz der Erzählung schließen. Ihn verschluckt tatsächlich die Erde, und zwar in einem Moment, wo Immermann wahrscheinlich seiner überdrüssig geworden war und ihn für den ferneren Verlauf nicht mehr recht verwenden konnte. Das stimmt freilich einigermaßen zu dem Stil, in dem er angelegt ist, bereitet aber dem Leser doch Verwunderung. Wenn es dem Dichter das einzige Mittel schien, um für den Oberhof, den Schulzen, den Diakon und die Figur der Lisbeth Platz und Freiheit zu gewinnen, so sei ihm dies verziehen; denn je inniger er sich in diese Welt und diese Menschen hineinlebt, je mehr weicht alles Bittere und Nörglerische von ihm, die Leidenschaft des Zuchtmeisters gleichsam und unzufriedenen Chronisten; je mehr verliert sich die Grimasse, die ja doch schließlich allem Spott- und Zensurwesen anhaftet, habe es auch die schneidendste Schärfe oder mitreißendste Komik; je reiner, wärmer, blühender entfaltet sich die schöne bestimmte Wirklichkeit: weil er sie kennt und weil er sie liebt. Wie unvergleichlich die Darstellung der Hochzeit, des ganzen Getriebes, des altväterisch-ehrwürdigen Prunkes; jeder Knecht hat sein besonderes Leben, jedes Zeremoniell seine charakteristische Farbe; dazu das dunkle und halb märchenhafte Motiv vom Schwert Karls des Großen und der westfälischen Feme, und vor allem der ganz außerordentliche Auftritt, wie der Hofschulze sich vor dem Gericht verteidigt. In allen diesen ländlich-idyllischen, erlebt-gefundenen Partien des Romans ist Immermann durchaus auf eigenem Boden und neuem Weg; da ist es ihm gelungen, sich von dem Epigonentum zu befreien, das er zeitlebens so schmerzlich als Druck und Kette empfand, wovon auch seine Dramen Zeugnis ablegen und unmittelbarer noch der Roman, der ja auch den Titel »Die Epigonen« trägt; da entzieht er sich dem ungeheuren Schatten Goethes; da formt er sich und wird selber Gestalt. So anziehend und rührend zum Beispiel die Figur der Lisbeth ist, so gesehen auch –: die Ottilie der »Wahlverwandtschaften« kann sie nicht ganz loswerden, wie auch der junge Graf und seine gräfliche Cousine noch unbefreit sind von Einflüssen aus der Sphäre des »Wilhelm Meister«. Es war eben für den Schaffenden jener Zeit das Problem der Probleme, Werk und Existenz des Riesen, der vor ihm scheinbar alles zu Tuende getan hatte, selbst in den hingegebensten Stunden zu vergessen. Darum oft, so sehe ich es an, das Krause, das Gewundene, der Anfang des Buches mit dem elften Kapitel etwa, das Übertriebene und allzu heftig Bewegte; es ist Abwehr; es ist fast Angst vor dem großen Schatten.
Wo Immermann sich in Ruhe, ich möchte beinahe sagen in Resignation findet und sammelt, da überrascht er stets durch seine Kraft und die Tiefe seiner Natur. Am schönsten tritt dies in seiner Prosa zutage. Sein Deutsch ist wie klarer alter Edelwein, bei dem Erd- und Sonnenhaltigkeit zur Blumenessenz geworden sind. Die Periode gut gewachsen, lang hingeworfen, wie es in jenen Zeiten Brauch und Anstand war; das Beiwort; immer schlagend und ausschließend; die Metapher stets kühn, ohne in die Willkür überzugreifen; im Dialogischen lebendig, überraschend realistisch oft und, was im Roman sehr wesentlich ist, von jener reifen Erfahrung erfüllt, Welt- und Menschenkenntnis, die das Vertrauen des Lesers gewinnt. Wort und Wortfügung sind nicht nur mustergültig, sondern er gräbt auch aus dem Sprachschatz der Vergangenheit Formen und Bindungen aus, die den Bestand der Sprache bereichert, sie vor der immer mehr überhandnehmenden modernen Verflachung und Verweichlichung geschützt haben. So gebraucht er zum Beispiel das Substantivum Vergang statt Vergehung und entledigt sich auch in einer ganzen Reihe von anderen Fällen der oft so mißlautenden Wortgebilde auf »ung«, »heit« und »keit«, die durch ihre Unzahl der Schrecken jedes zu rhythmisierter Prosa strebenden Schriftstellers sind. Dadurch erhält sein Stil etwas sehr Klingendes und Männliches, und inmitten der heutigen Verwaschenheit oder, auf der andern Seite, stubenhaften Eigenwilligkeit alles Schreibens und fast aller Prosa ist es ungemein wohltuend, ein Immermannsches Buch aufzuschlagen; es riecht angenehm darin, es ist ein schönes Wandern, wie in einer Landschaft ohne Fabrikschlote und ohne zergangene Wege und ohne Wirtshausgeschrei.
Im fünften Kapitel des sechsten Buches vom »Münchhausen« findet sich die berühmte Stelle, wie der Dichter Karl Immermann selbst in die Handlung eintritt, eine merkwürdige Wendung, die wohl so ziemlich das Äußerste bietet, das Verwegenste, wozu die sogenannte romantische Ironie zu greifen sich entschließen durfte. Es ist nicht ohne Reiz, die dort gegebene Selbstschilderung des Dichters in Erinnerung zu bringen:
»Er lief mehr als er ging, was einen ziemlichen Kontrast zu seiner Figur abgab, die man schon zu den korpulenten zählen konnte. Es war ein breitschultriger, untersetzter Mann, dieser Fremde im braunen Oberrock, der seinen Wanderstock bei jedem Schritte mit Energie auf die Erde stieß. Er besaß eine große Nase, eine markierte Stirn, deren Protuberanzen jedoch mehr Charakter als Talent anzeigten, und einen feingespaltenen Mund, um den sich ironische Falten wie junge spielende Schlangen gelagert hatten, die jedoch nicht zu den giftigen gehörten. Seine Augen waren in den Reisepässen gewöhnlich als graue bezeichnet. Sie lagen auch wirklich wie hellgraue Perlhühner in ihren Höhlen unter Brauen eingewühlt, die trockenem, gelbbräunlichem Reisig glichen. Mehrere Damen seiner Bekanntschaft aber, die ihm wohlwollten, behaupteten, diese Augen hätten einen angenehmen blauen Ausdruck, und seit der Zeit glaubte er selbst an ihre Bläue. Nicht allein in dem Antlitze dieses Mannes, der nach seinem Habitus ein Vierziger zu sein schien, sondern überhaupt in seinem gesamten Wesen war eine eigene Mischung von Stärke, selbst Schroffheit mit Weichheit, die hin und wieder in das Weichliche überging, sichtbar.«
Dieses Selbstporträt ist sicherlich getreu. Etwas Unsägliches, das sich weder mitteilen noch definieren läßt, bezeugt es. Vielleicht ist es die Einfachheit und Bescheidenheit im Ton. Mich ergreift darin ein gewisser Verzicht, eine kaum hörbare Klage, gehüllt in das Kleid des Selbstspottes, und dieser Verzicht und diese Klage gehen durch das ganze spätere Werk Immermanns. Was mag die Ursache davon sein? Mangel an Anerkennung? Das fehlende Echo? Persönliches Schicksal? Gefühl einer Unzulänglichkeit? Überdruß und Menschenverachtung? Zweifel an seiner geschaffenen Welt, Zweifel auch an der wirklichen Welt, die um ihn war, der deutschen Welt mit ihrer hoffnungslosen Zerstücktheit und geistigen Vielspaltigkeit? Er kam während seines Lebens nie auf seinen Platz. Es war in seinem Fall so, wie es fast in jedem war und ist, seit Jahrhunderten: jeden Fußbreit Boden mußte er sich nicht nur einmal erobern, sondern wieder und immer wieder bis zur Erschöpfung und zur Verzweiflung. Als Motto könnte auch über seiner Existenz stehen, was Goethe einmal in seinen späten Jahren den tragischen Seufzer entpreßte: »Ein deutscher Schriftsteller, ein deutscher Märtyrer.«
Doch war er ein Meister. Ehren wir ihn!