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Wir sind der Kunst des Violinspiels von ihren unscheinbaren, bescheidenen Anfängen bis auf die Gegenwart herab gefolgt. Bei einem Rückblick auf die mannigfachen Stadien, welche sie in einem Zeitraume von drei Jahrhunderten durchlaufen hat, ist leicht erkennbar, daß ihr Entwicklungsleben sich zur Hauptsache nach und nach in Italien, Deutschland und Frankreich (mit Einschluß der Niederlande) vollzog. In dem Lande der Künste geboren und zunächst gepflegt, fand sie mit Beginn des 18. Jahrhunderts teils durch persönliche Überlieferung, teils durch die Bekanntschaft mit italienischen Violinkompositionen zuerst in Deutschland allgemeinere Verbreitung. Wohl waren hier bereits vorher vereinzelte bemerkenswerte Anläufe zu einer kunstgemäßen Handhabung der Geige genommen worden, doch erst zu dem bezeichneten Zeitpunkte gewann das deutsche Violinspiel bestimmte Haltpunkte für eine künstlerisch methodische Richtung.
In Frankreich kannte man zwar die Königin der Instrumente schon seit Mitte des 16. Jahrhunderts, entzog sich jedoch lange Zeit in starrer Abgeschlossenheit fremden Einwirkungen, in genügsam prätentiöser Weise auf dem untergeordneten Standpunkt der » Vingtquatre Violons de la Musique du Roy« beharrend. Dort kam es zu einer Befruchtung durch Italien nicht früher, als in den ersten Dezennien des 18. Jahrhunderts. Die durchgreifende Wirkung dieser Befruchtung erfolgte sogar erst tief in der zweiten Hälfte des nämlichen Jahrhunderts. Jede der drei genannten Nationen, denen ausschließlich die normgebende, kunstgemäße Ausgestaltung des Violinspiels zufiel, bildete dieses allmählich in einer ihrer spezifischen Eigentümlichkeit entsprechenden Weise durch; doch mit dem Unterschiede, daß Italien hierbei, weil tonangebend, völlig autonom verfuhr, während Deutschland und Frankreich bis zu Ende des 18. Jahrhunderts mehr oder minder in Abhängigkeit vom Mutterlande dieser Kunst blieben.
Als die klassische Epoche des Violinspiels vorüber war, als das letztere in Italien hinzuwelken begann, teilten sich Deutschland und Frankreich, zur vollen Selbständigkeit gelangend, in die bis dahin von den Meistern der apenninischen Halbinsel ausgeübte Herrschaft. Frankreich vertrat hierbei überwiegend das durch Locatelli vorbereitete und durch Lolli in der Mitte des 18. Jahrhunderts zuerst zur praktischen Geltung gebrachte virtuose, Deutschland dagegen vorzugsweise das gediegene tonkünstlerische Element. Die Violinkomposition gestaltete sich diesen Erscheinungen im allgemeinen entsprechend. Auch in ihr ging Italien gesetzgeberisch voran. Norm und Struktur des Sonatensatzes, dieses Prototyps der gesamten höheren Instrumentalmusik, empfingen Deutschland und Frankreich von dort her. Italien war durch eine glückliche Anlage und den rastlosen künstlerischen Gestaltungstrieb seiner Musikgeister bereits im gesicherten Besitze der wesentlichsten Bedingungen dieser musikalischen Grundform, als Deutschland sich eben in spekulativen, doch unergiebigen Experimenten für die Formgebung erging, Frankreich aber über die primitive Bildweise zwei- und dreiteiliger Tanzformen kaum schon hinausgekommen war. Beide Länder eigneten sich auch dieses Resultat des südlichen Kunstvermögens zu. Der eigentliche Entwicklungsprozeß der Violinkomposition vollzog sich indes im engeren Sinne des Worts der Hauptsache nach durch Italiens Musiker. Corelli, Torelli, Vivaldi, Tartini und Viotti waren und blieben bis zum Anfange des 19. Jahrhunderts die tonangebenden und epochemachenden Meister für die Violinsonate und das Violinkonzert. Die ersteren vier, mehr oder weniger innerhalb des kirchlichen Pathos sich bewegend, schufen sozusagen den klassischen Stil der Violinkomposition und damit auch des Violinspiels. Tartinis Schüler und Nachfolger vermittelten gewissermaßen den endlich konventionell erstarrten Kirchenton mit dem weltlichen Kammer- und Konzertstil, den Viotti im Violinsatz zuerst zu bestimmter Geltung brachte. Mit ihm gelangte das Pathos einer freien, lebensfrischen Empfindung zum unzweifelhaften Durchbruch. Die Franzosen betraten, gleichwie in anderen Künsten, mit mehr oder weniger Glück den Weg der Nachahmung. Leclair und Gaviniés stellten einzelne Violinsonaten hin, die ihren Vorbildern, ohne Ton und Farbe des französischen Geistes zu verleugnen, nahe kamen; Rode und Kreutzer schlossen sich im Bereich des Konzertes mit Erfolg dem Beispiel Viottis an, erwarben sich aber überdies ein nicht zu unterschätzendes Verdienst durch die Hervorbringung der stilisierten Violinetüde.
Den deutschen Violinspielern des 18. Jahrhunderts gelang es nicht, im Fache der Violinsonate Erzeugnisse von bleibender Bedeutung hinzustellen, und die tonangebenden Meister der Komposition fühlten sich mit Ausnahme von Bach, Händel und Mozart durch die Geige, welche sich vorzugsweise für den monodischen, gesanglich figurativen Ausdruck eignet, im besonderen nicht angezogen. Sie bemächtigten sich vielmehr des vollgriffigen Klaviers, sowie der polyphonen Kammer- und Orchestermusik, um ihre Phantasiefülle im tief kombinatorischen Musikgestalten austönen zu lassen. Nur einem deutschen Geigenmeister, Ludwig Spohr, war es vorbehalten, in der Violinkomposition einen bedeutungsvollen Schritt vorwärts zu tun. Er führte das Violinkonzert in schärfster individueller Ausprägung bis zu künstlerisch vollendeter Durchbildung. Wenn die Violinkonzerte Beethovens, Mendelsohns und Brahms' in gewissem Betracht Spohrs gleichartige Tonschöpfungen noch überragen, so kann dies nur auf die musikalische Gesamtgestaltung, nicht aber auf die violinistische Behandlung bezogen werden, welche bei Spohr eben als unübertroffenes Muster eines spezifisch deutschen Geigenstiles dasteht.
Auf die Vergangenheit zurückblickend, darf man mit Überzeugung aussprechen, daß Violinspiel und Violinkomposition einen wichtigen und wohl den bedeutsamsten Hauptabschnitt ihrer gesamten Entwicklung zurückgelegt haben. Dies wird auch durch eine Umschau in der Gegenwart bestätigt. Italien, im 18. Jahrhundert so blühend und produktiv, hat seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts seine dominierende Stellung in dem von uns betrachteten Gebiete eingebüßt. Die Folgen des Druckes, welcher in politischer und intellektueller Beziehung die Geister dieses von der Natur in seltenem Maße gesegneten Landes ehedem darniederhielt, erzeugte endlich eine beklagenswerte, auf alle höheren Lebensinteressen sich erstreckende Schlaffheit und Apathie. Die erhebende nationale Wiedergeburt, welche die italienischen Volksstämme jüngst feierten, war als sprechender Beweis einer lebenskräftigen Reaktion aufs freudigste zu begrüßen. Sie gewährt die schöne Hoffnung, daß diese edle, so lange gefesselte Nation sich dereinst aufs neue zu hervorragender Bedeutung im Reiche der Künste erheben werde. Doch viel muß vorher noch geschehen. Nicht nur ist Italien gegenwärtig auf die emsigste Verfolgung materieller Interessen aller Art angewiesen, es hat auch während seiner langdauernden Untätigkeit in der schöngeistigen Sphäre Tradition und Verständnis für das reiche Kunstleben der Vergangenheit eingebüßt. Von allen Künsten darf dies behauptet werden, am meisten freilich von der Musik. So tief wie sie vermochten die bildenden Künste nicht zu sinken, einmal, weil sie mehr außerhalb des öffentlichen Lebens stehen, mithin nicht so direkt von den Geschmacksrichtungen des großen Publikums berührt werden konnten, dann aber, weil ihre Ausübung unausgesetzt durch das Beispiel fremder, in Italien schaffender Künstler beeinflußt wurde. In der Tonkunst fiel dieser Vorteil ganz fort, seitdem die musikalische Wechselwirkung zwischen Italien und Deutschland aufgehört hat, seitdem deutsche Musiker nicht mehr um ihres Berufes willen nach dem Süden ziehen.
Wie schlimm es dort seit lange mit der Tonkunst bestellt war, davon zeugt vor allem der traurige Zustand der Kirchenmusik, die wie eine Karikatur auf alles Schöne, Erhabene erscheint. Die einzige Ausnahme möchte hiervon der Sängerchor der sixtinischen Kapelle machen. Dieses Institut ist aber in konventioneller Erstarrung so völlig verzopft, daß es einer Regeneration dringend bedürftig wäre. Sonst ist es schwer zu sagen, ob die beim kirchlichen Kultus beliebte Musik oder die Ausführung derselben das größere Übel sei. Dazu sind die Leistungen der Organisten von unbeschreiblich dürftiger und geschmackloser Beschaffenheit. Dies alles mußte sich natürlich auf die weltliche Tonkunst übertragen, die man mehrenteils gesinnungslos und in einer nur den momentanen Forderungen entsprechenden empirischen Weise betrieb. In richtiger Erkenntnis hiervon macht man seit einiger Zeit rühmliche Anstrengungen, um bessere Zustände herbeizuführen. Die solideren Musiker der Hauptstädte des Landes waren und sind beflissen, durch Einführung deutscher gediegener Instrumentalmusik den Sinn für das Höhere, Edlere zu beleben. Manches Gute ist dadurch schon erreicht worden. Dagegen haben sich die auf Pius X. gesetzten Hoffnungen, der, wie es schien, der kirchlichen Tonkunst ein warmes Interesse entgegenbrachte, leider bisher nicht erfüllt. Jedenfalls darf man die Hoffnung nicht aufgeben, daß Italiens Söhne weiterhin noch einmal in dem Kunstgeiste ihrer glorreichen Vorfahren wirken werden.
Frankreich war in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts von dem hohen Standpunkte, den es noch zu Anfang desselben in betreff des Violinspiels und der Violinkomposition einnahm, allmählich bis zu bedenklicher Verflachung herabgesunken. Diese Erscheinung stand in dem Leben des modernen Franzosentums keineswegs vereinzelt da. In allen Kunstgebieten trat sie, immer mehr um sich greifend, deutlich zutage. Eine Bevölkerung wie die Pariser, – denn diese kommt hier bei ihrer herrschenden Stellung zum Lande zunächst in Frage – welche die raffinierte Genußsucht in materiellen und geistigen Dingen bevorzugt, an einer zweideutigen Verherrlichung der sogenannten Demi-monde in der literarischen und theatralischen Produktion sowie in der bildenden Kunst Vergnügen und Geschmack findet, und überall einem sinnlichen, prosaisch nüchternen Realismus mit einer Art resignierter Genugtuung huldigt, – eine solche Bevölkerung mußte notwendig die höheren Zielpunkte des Daseins, der Idealität und einer poetisch vertieften Richtung aus den Augen verlieren. Die Freude an dem virtuosen Effekt, an bestechlich pikantem, doch meist völlig inhaltlosem Ohrenkitzel und an lecker zubereiteten Salonklängen war es, welche die Musiker dieses Landes auf eine abschüssige Bahn führte. Hierüber konnten keineswegs die achtungswerten Bestrebungen einer kleinen Künstlerschar täuschen, welche durch Berücksichtigung der klassischen Musikliteratur den verdorbenen Geschmack heben und läutern wollte. Was in dieser Beziehung in Paris geschah, gehörte exklusiven, mit deutschen Elementen durchsetzten Kreisen an und ging keineswegs der Masse zugute. Doch läßt sich nicht verkennen, daß neuerdings das Musiktreiben auch in Frankreich wieder mehr Haltung gewonnen hat und zwar dadurch, daß man dort deutsche Kunstpflege mehr als ehedem zum Vorbild genommen. Paris ist freilich nicht mehr jener eine Zeitlang in Mode gewesene Vorort für die ausübende Tonkunst. Dafür aber hat dort ein besserer musikalischer Geist in weiteren Kreisen Platz gegriffen. Dem deutschen Oratorium sind in Paris die Wege geöffnet worden, deutsche Kammer- und Orchestermusik gediegener Richtung beherrscht gegenwärtig die dortigen Konzertprogramme, und auch die in der französischen Schule gebildeten Violinisten finden es unerläßlich, die Schätze der deutschen Geigenliteratur zu studieren und sich zu eigen zu machen, bevor sie ihre künstlerische Wanderschaft antreten. Und wenn sie bei der Wiedergabe derselben auch meistens nicht die Neigung zu virtuosenhafter Darstellungsweise verleugnen können, so muß aus der Beschäftigung mit derartigen Kunstwerken doch ein Gewinn für ihre geistige Richtung, sowie für die von ihnen musikalisch beeinflußten Kreise hervorgehen. So ist denn zu hoffen, daß die Pflege des französischen Violinspiels wieder mehr und mehr dem Geiste seiner Vergangenheit ebenbürtig werden wird.
Das deutsche Violinspiel konnte in seiner Allgemeinheit belangreichen Verirrungen bisher nicht anheimfallen, weil das von den gehaltvollen Schätzen der heimischen Tonmeister durchdrungene und gesättigte Musikleben der Nation alle schädlichen Auswüchse und krankhaften Wucherungen sehr bald wieder paralysierte. Von großer Wichtigkeit ist dabei freilich, daß dieses Musikleben durch die gesamte Schicht des gebildeten Volkstums gleichmäßig ausgebreitet war. Und hier zeigt sich, wie in vielen andern Beziehungen, das bedeutsame Resultat, welches die politisch vielgegliederte Gestaltung des Reiches für das geistige Leben der Deutschen ergab. Wie man auch über den ebenso oft angefochtenen als verteidigten Partikularismus denken mag, es ist unleugbar, daß er einen höchst wichtigen Faktor in der kulturhistorischen Entwicklung der Nation bildete. Nur durch die vielen Zentralpunkte war es möglich, jene durchgängig verallgemeinerte Bildung in Wissenschaft und Kunst zu erzielen, die dem germanischen Geiste eigen ist. Wenn wir uns heute des schönen Bewußtseins erfreuen können, daß die wichtigsten Schritte zu einer kräftigen Einigung und Zusammenfassung der deutschen Stämme geschehen sind, daß seit jenen großen Tagen Deutschland auch in politischer Beziehung die ihm gebührende achtunggebietende und maßgebende Stellung unter den europäischen Staaten einnimmt, so dürfen wir doch die Vorteile weder verkennen noch übersehen, welche aus den ehemaligen Zuständen hervorgingen.
Wurde das deutsche Violinspiel einerseits durch den mit verhältnismäßig geringen Ausnahmen gesunden Geist der öffentlichen Musikpflege vor jeder allgemeineren Entartung bewahrt, so bildeten andrerseits unsre Meister der Instrumentalmusik bis auf Schumann und Brahms herab ein festes Bollwerk gegen die Ausschreitungen, zu denen das welsche Beispiel teilweise und zeitweilig verführte. Sie stellten den Violinisten in den Fächern des Orchester-, Kammer- und Solostiles Welch ein lebhaftes Interesse die neueren und neuesten Tonsetzer der Geige gewidmet haben, beweisen die Violinkonzerte von Arensky, d'Ambrogio, Tor Aulin, Bärwald, Brahms, Bruch, Brüll, Dalcroze, Dietrich, Dworak, Gade, Gernsheim, Goldmark, Goetz, Hartmann, Hiller, Joachim, Juon, F. Kauffmann, Lalo, de Lange, Lassen, Litolff, Moor, Moszkowski, Raff, Reger, Reinecke, Rietz, Rubinstein, Saint-Saëns, M. Schillings, Sibelius, Chr. Sinding, Sitt, Stör, R. Strauß, Svendsen und Tschaikowski, anderer weniger bekannten Komponisten nicht zu gedenken. immer Aufgaben, die, geschmackbildend und gefühlsvertiefend, eine gehaltvoll edle Behandlung des Instrumentes aufrecht erhielten. Trotzdem aber, daß das deutsche Violinspiel durchschnittlich in ästhetischer Hinsicht nach wie vor noch immer befriedigend ist, droht von einer Seite her eine Gefahr, für welche die Vertreter desselben, unter ihnen aber insbesondere wieder die Lehrmeister, verantwortlich zu machen sind. Diese Gefahr liegt in dem Streben, für das Studium der Geige die Erzeugnisse aller Richtungen verwerten zu wollen. Ein solches Beginnen, obwohl scheinbar von praktischem Nutzen, muß notwendig auf Kosten der individuell charakteristischen Ausprägung im Stil zu einem nivellierenden Eklektizismus führen. An deutlichen Spuren davon hat es im Laufe der Zeit nicht gefehlt. Heterogene Richtungen werden nicht leicht ohne Nachteil miteinander vermischt: Salonturnüre und Glätte des Wesens vertragen sich schlecht mit gemütvoller Wärme, schwunghaft energischer Erhebung und kraftvoller Mannhaftigkeit des Ausdrucks. Der deutsche Musiker soll vor allem ein würdiger Interpret seiner Tonmeister sein, und dazu kann er im eifrigen Streben nach äußeren Vorzügen nimmermehr gelangen. Auch bei Verfolgung rein technischer Zwecke ist dies zu beherzigen. Seit dem Anfang des 19. Jahrhunderts ist das Übungsmaterial bis zu einer solchen Höhe und Mannigfaltigkeit angewachsen, daß es geboten erscheint, mit reiflichster Bedachtsamkeit das Beste für den angestrebten Zweck auszuwählen Schätzbare Haltpunkte für die zum Geigenstudium auszuwählenden Werke bietet A. Tottmanns trefflicher »Führer durch den Violinunterricht«, Leipzig, Schuberth & Co., dritte vervollst. Aufl. 1902., um den Schüler nicht durch ein Übermaß des mechanischen Exerzitiums seelisch abzutöten.
Die Technik des Violinspiels beruht, abgesehen von der Tonbildung, im Grunde doch nur auf einem Finger- und Armgelenkturnen. So wichtig es nun ist, dieses Turnen mit größter Gewissenhaftigkeit zu betreiben, weil davon die Freiheit einer Kunstleistung abhängt, so darf man ihm doch niemals eine größere Bedeutung zuerkennen, als die des Mittels zu einem höheren Zweck. Leider aber gibt es noch immer Geiger, deren Kunstverstand und Gefühlsvermögen nicht in Kopf und Herz, sondern in den Finger- und Handgelenken liegt. Es hat etwas Menschenunwürdiges, begabte Naturen ihre Kräfte der mechanischen Dressur opfern zu sehen, anstatt ein geistig gehobenes und geadeltes Kunstschönes mit Verleugnung jedes egoistischen Gelüstes darzustellen.
Heute reicht es nicht mehr hin, den Tagesbedürfnissen gerecht zu werden; denn nicht nur die nächste, sondern auch eine fernere Vergangenheit macht ihre Ansprüche an die heutigen Repräsentanten der Kunst. Diese Erscheinung ist keine zufällige, sondern eine notwendige. Es hat eine tiefe Bedeutung, daß Deutschlands beste Musiker auf Bach, Händel und andere ältere Tonkünstler zurückgehen. Durch eine hingebende Beschäftigung mit denselben wird nicht nur das kunsthistorische Verständnis geweckt, welches noch immer ein großer Teil der Musikbeflissenen in empfindlichster Weise vermissen läßt, sondern auch eine ernste Sinnes- und Geschmacksreinigung hervorgebracht.
Ähnlich verhält es sich mit der Violinliteratur der älteren Meister. Die edle, stil- und gehaltvolle Bildweise derselben kann nur wohltätigen Einfluß auf die moderne, in manchen Beziehungen unerfreuliche Violinkomposition und nicht minder auf das Violinspiel ausüben. Die erneute Herausgabe einer nicht geringen Anzahl ihrer Schöpfungen bietet jedem die Möglichkeit eines eingehenden Studiums Wir erwähnen an dieser Stelle noch eine derartige Sammlung: »Meister-Schule der alten Zeit«, enthaltend 24 Violinsonaten des 17. und 18. Jahrhunderts (meist von italienischen und französischen Meistern, doch auch deutschen, z. B. Fr. Benda) nach den Originalausgaben, für Violine und Klavier bearbeitet von Alfred Moffat (Berlin bei Simrock)..
Die Epoche der Geigeroriginale ist vorüber. Sie konnten nur zum Vorschein kommen, solange Technik und Ausdrucksvermögen der Violine noch nicht zu voller Entwicklung gelangt waren. Jetzt liegt der Schwerpunkt der Kunst des Violinspiels darin, die Meisterwerke der Klassiker in ihren verschiedenen Gattungen zu vollendeter, musikalisch schöner und charaktervoller Darstellung zu bringen. Und wer dies vermag, dem fällt die Siegespalme zu.