Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

VI. Frankreich und die Niederlande.

1. Die Pariser Schule.

Im Gegensatz zu dem bekannten Theorem, daß das Gedeihen der Kunst von den Segnungen des Friedens abhängig sei, hatte sich das französische Violinspiel unter den unheilvollen Schrecknissen des Revolutionsdramas bis zur Vollblüte entwickelt. Die Leistungen der Pariser Instrumentalmusik waren dagegen nicht zurückgeblieben. Sie nahmen vielmehr bereits während der letzten Jahre der bourbonischen Herrschaft einen ungemein schnellen Aufschwung. Paris war inzwischen der Sammelplatz hervorragender künstlerischer Persönlichkeiten geworden, deren Wirken dem dortigen Musikleben zum wesentlichen Vorteil gereichte, und außerdem gewann man bald im Konservatorium ein Institut, welches für die Pflege der Kunst feste Stützpunkte bot. War auch das holde Spiel der Töne zeitweilig vor dem Terrorismus der beispiellosen Pöbelherrschaft verstummt, die einmal im Zuge begriffene Entwicklung der Pariser Musikzustände konnte dadurch nicht aufgehalten werden. Freilich sahen sich die Schützer, Beförderer und Pfleglinge der Kunst bei ihren Bestrebungen mehr denn je auf die eigene Kraft angewiesen. Die Regierung der Republik und des ersten Kaiserreichs, erschreckend groß im Dienste des Mars, kehrte dem Altar Apollos den Rücken zu. Buonaparte kannte, was er auch, ohne es zu wollen, für die Erweckung der Geister getan, keine andere Leidenschaft, als die Befriedigung seiner unersättlichen und zügellosen Herrschsucht. Was konnte auch die Tonkunst von einem Manne erwarten, der die jährliche Staatssubvention des Konservatoriums von 150 000 auf 50 000 Livres reduzierte Reichardts vertraute Briefe aus Paris, Bd. 2, S. 99 ff., und dessen Musikinteresse sich auf Siegesfanfaren beschränkte? Und doch kam das Pariser Musikleben unter seiner Militärdiktatur zur Geltung, Goethes Wort bekräftigend: »Die Kunst kann niemand fördern als der Meister. Gönner fördern den Künstler, das ist recht und gut; aber dadurch wird nicht immer die Kunst gefördert.«

Als Reichardt sich von 1802-1803 in Paris aufhielt, berichtete er in seinen vertr. Briefen (Bd. 1, 504): »Einen sehr großen Genuß hat mir am letzten Sonnabend das erste Concert de la rue Clery, durch die vollkommenste Ausübung zweier Haydnischer Symphonien gewährt. Ich konnte nur wiederholen, was ich vor 17 Jahren schon von dem damaligen vortrefflichen Concert d'amateurs sagte: Haydn muß durchaus nach Paris kommen, um die ganze Vortrefflichkeit seiner Symphonien kennen zu lernen. Nirgend kann er sie so gut zu hören bekommen.« Daß diese Kundgebung in jeder Beziehung übertrieben war, ergibt sich ganz unzweifelhaft aus einem andern Bericht Reichardts (Bd. 2, 31 ff.), in welchem er sein voriges, absolut lobendes Urteil bedeutend einschränkt, indem er sagt: »Das zweite Concert Clery hat sich wieder durch die vollkommenste Exekution zweier Haydnschen Symphonien ausgezeichnet. Bei einer hab ich indeß doch meinen Ärger gehabt. In dem engen Saal, der für das Orchester schon zu eng ist, um welches nach allen Seiten eine Menge Zuhörer dicht herum sitzen müssen, hatten sie zu einer Symphonie (es kann nur die sogenannte Militärsymphonie gewesen sein) unaussprechlich starke Janitscharenmusik mit mächtigen Becken und Triangeln und Pauken und Trompeten, und einer ungeheuren großen Trommel, die sie recht hoch frei aufgehängt hatten, damit sie so recht durch den Saal schallen sollte, und in die ein Kerl auch aus Leibeskräften hineinschlug. Und das gefiel allen ganz unaussprechlich; besonders den Damen, die jedesmal, wenn die Janitscharenmusik anhub, hoch in die Höhe fuhren und für Freude aufschrieen und sich die Hände wund klatschten ... Ich habe über die übrigens vortreffliche Exekution eine Bemerkung gemacht, die einen nationalen Charakterzug betrifft. Dieses Orchester, das aus den vorzüglichsten Tonkünstlern von Paris und einigen ganz ausgezeichneten Dilettanten besteht, hat das vollkommenste Fortissime und das eben so vollkommene Pianissimo in seiner Gewalt, aber die Mitteltinten fehlen. (Ein großer Mangel freilich!) Man hört lange, feurige und schwierige Tiraden mit Kraft und Keckheit ausführen, als sollte der ganze Saal auseinanderreißen; und dann wieder ganz angenehm schmeichelnde Sätze mit unübertreffbarer Zartheit und Feinheit, wie ein Hauch hinwehen. Aber man wird nichts mit der Ruhe und gehaltenen Fülle, aus der eine Art von stiller Größe hervorgeht, vortragen hören, wie man es wohl von unsern besten Orchestern zu hören bekommt, die ihrerseits aber auch wieder nie (?) bis zu jener Energie und alles hinreißenden Kraft gelangen. Auch das süße einschmeichelnde hab' ich nie von einem andern ganzen Orchester mit der Übereinstimmung und Zartheit hervorbringen hören, wie hier; aber dafür haben mir diese noch nichts mit den steigenden und fallenden Nüancen, mit den sprechenden, rührenden Akzenten vorgetragen, die durch ihre naive Wahrheit mich in Haydn'schen einfachen Andante-Sätzen und großen Adagio's schon oft bis zu Tränen gerührt haben. Die absichtlich zum Kontrast hingestellten starken Züge, die die meisten sentimentalen (?) Haydn'schen Sätze zu humoristischen machen (als ob der Humor nicht eine Hauptseite der Haydn'schen Instrumentalmusik wäre!?), wurde in solchen Stücken mit dem höchsten Nachdruck herausgehoben. Vor allen aber die frappanten einzelnen Noten, und die auch den Haydnschen Sätzen eingemischten barocken, oft komischen Züge werden höchst bedeutend und kräftig vorgetragen.«

Während der Pariser Orchesterspiel sich zu höherer künstlerischer Bedeutung erhoben hatte, blieb der Kunstgesang, wie ehedem, auf einem niedrigen Standpunkte. Auch hierüber macht Reichardt Bemerkungen. Er sagt in seinen vertrauten Briefen (Bd. 2, S. 221): »Nimmermehr sollte man es glauben, daß in einer Stadt, wie Paris, so wenig guter Gesang angetroffen werden sollte. Nicht einmal ein gutes Chor können sie zusammenbringen« ... und an einer andern Stelle: »Auffallend bleibt es allemal, daß ein solches Theater, wie die Pariser große Oper, das von jeher ganz unglaubliche Summen gekostet hat und noch kostet, seit zwanzig Jahren nur Eine wirklich schöne Stimme hatte; und dieser Eine Mann mit der schönen Stimme (es war der Tenorist Lays oder Lais) ist aus dem südlichsten Frankreich.« Diese Erscheinung bringt Reichardt, nachdem er dafür einige bekannte Gründe angegeben, mit »dem auffallenden Mangel der Franzosen an zartem Gehörsinn« in Verbindung. Er bemerkt hierüber: »Das widrigste Geräusch im gemeinen Leben, ja selbst im Schauspiele, das unsereinen zur Verzweiflung bringen könnte, bemerken sie kaum. In der Musik lieben sie vor allem das Geräuschvolle; der Komponist kann ihnen nicht Trompeten und Pauken genug anbringen; das forte kann ihnen nicht leicht fortissime genug seyn, und in jeder Art von Musik scheinen sie nur das äußerst Kontrastirende ganz zu sentiren. Ihre Instrumentalmusik kennt fast kein forte und piano, sondern nur das fortissime und pianissimo; sie beklatschten diese Kontraste, und vielleicht nur diese in den allerverschiedensten Musiken und Vortragsweisen. Jene können und müssen sich in der schlechtesten, wie in der besten Musik, im vollkommensten, wie im erbärmlichsten Vorträge finden; und so hört man sie auch wirklich die allerdisparatesten Sachen mit gleicher Wut beklatschen. Mode und Vorurtheil, die hier freilich mehr, als irgendwo in der Welt, herrschen, können dies nicht allein bewirken. Gar rechtliche (!), denkende und fühlende Menschen beklatschten die trockensten, sang- und klanglosen Sachen in manchem genielosen Machwerke alter und neuer Franzosen mit derselben Freude, mit der sie einen schönen italienischen Gesang in einer Oper von Cimarosa oder Paisiello beklatschen, sobald die Sänger nur wissen, schwarz auf weiß, stark und leise, klüglich neben einander zu stellen. Selbst ihr bester, ihr einziger Sänger hat, um sicher am Ende beklatscht zu werden, dieselbe kindische Schlußmanier aller angenommen, gegen das Ende fast unhörbar, wie eine Turteltaube, in sich hinein zu singen, um die letzten Schlußnoten mit voller Kraft der Stimme herauszuschreien.«

Die von Reichardt angeführten Tatsachen sind charakteristisch, doch können sie nicht durch den »Mangel des zarten Gehörsinnes« erklärt werden, der den Franzosen keineswegs schlechthin vorzuwerfen ist. Sie hören im Gegenteil vortrefflich, wenngleich auf andere Weise wie die Deutschen. Ihre Freude am Geräuschvollen ist vielmehr Temperamentssache. Der geistreiche Tocqueville S. Alexis de Tocquevilles Werk: L'ancien régime et la Révolution. Paris 1866. schildert seine Nation treffend, indem er von ihr sagt, sie sei » apte à tout, mais n'excellant que dans la guerre; adorateur du hasard, de la force, de l'éclat et du bruit, plus que de la vraie gloire«. In diesem Selbstbekenntnis ist der Schlüssel zu allen den Franzosen eigenen Vorzügen und Schwächen gegeben. Auch die eigentümliche Art ihrer Kunstübung läßt sich daraus zwanglos erklären. Als Verehrer des äußeren Erfolgs, des Glanzes und des Geräuschvollen, Lärmenden entscheiden sie sich mit Vorliebe für den Effekt à tout prix, ohne viel nach Kunstprinzipien zu fragen. Diese Neigung zu heftigen, unvermittelten Kontrasten und bestechenden Wirkungen wird durch ihr lebhaftes Temperament begünstigt. Hierin ist es auch offenbar begründet, warum Beethovens Instrumentalmusik vor allen andern deutschen Meistern bei ihnen, wenn auch erst spät und mit Hindernissen, zur besonderen Beliebtheit gelangte. Nicht die geistige Größe, nicht die Tiefe seines Empfindens, noch der kühne Flug seiner unbegrenzten Phantasie hat sie zunächst ergriffen, sondern ohne Frage das Frappante seiner schroffen Gegensätze, die unmittelbare Nebeneinanderstellung von Starkem, Gewaltigem und Zartem, Lieblichem. Der Franzose besitzt – die Ausnahmen zugegeben – keine wahrhaft innerliche Musikanlage Vgl. S. 331 ff.; er schafft und genießt mehr mit dem Kopfe als mit dem Herzen und ist daher einer tiefen, hingebenden Empfindung nicht leicht fähig. Dagegen hat er offenen Sinn für den musikalisch elementaren Wohlklang. Dazu kommt eine stark ausgeprägte Vorliebe für scharf zugespitzte Überraschungen, für Raffinements aller Art, für elegante, geschmeidige Glätte und in betreff des Ausdruckes ebensosehr für das süßlich parfümierte Sentiment, als für ein gewisses hohles, doch mit Bravour vorgebrachtes Pathos. Dies alles ist es denn auch, was das neuere französische Violinspiel insbesondere charakterisiert. Freilich zeichneten sich die Hauptträger der Pariser Schule, als welche wir früher R. Kreutzer, Baillot und Rode kennen gelernt haben, durch völlig andere Qualitäten, gehaltvolle Würde, schöne Einfachheit und Noblesse ihres Spieles aus. Aber dies war eine vorübergehende Erscheinung, die lediglich dem unwiderstehlichen Einflusse Viottis entsprang, der auf die drei genannten Künstler, obgleich nur Rode sein eigentlicher Schüler war, bestimmend wirkte, wie dies auf den ihnen gewidmeten Seiten dieses Buches näher gezeigt worden ist. Sobald die folgende Generation den Schauplatz der Tätigkeit betreten hatte, machten sich mehr und mehr die Eigentümlichkeiten des französischen Nationalgeistes geltend, und keineswegs zum Vorteil der Sache. Wir wollen nunmehr die von den ebengenannten drei Künstlern ausgehenden Linien einer ausführlicheren Betrachtung unterziehen.

Bereits Lafont, Kreutzers bester und berühmtester Schüler, der eine Zeitlang auch von Rode Unterricht erhielt, legt von dem Gesagten Zeugnis ab, wie mit Sicherheit aus einem Berichte Spohrs zu entnehmen ist. Der deutsche Meister sagt von dem Künstler: »Er vereinigt in seinem Spiel schönen Ton, höchste Reinheit, Kraft und Grazie, und würde ein ganz vollkommener Geiger sein, wenn er mit diesen vorzüglichen Eigenschaften auch noch ein tieferes Gefühl verbände, und sich das der französischen Schule eigene Herausheben der letzten Note einer Phrase nicht so sehr angewöhnt hätte. Gefühl aber, ohne welches man weder ein gutes Adagio erfinden, noch es gut vortragen kann, scheint ihm, wie fast allen Franzosen zu fehlen; denn obgleich er seine langsamen Sätze mit vielen eleganten und niedlichen Verzierungen auszustatten weiß, so bleibt und läßt er dabei doch ziemlich kalt. Das Adagio scheint überhaupt hier sowohl vom Künstler wie vom Publikum als der unwichtigste Satz eines Konzertes betrachtet zu werden und wird wohl nur beibehalten, weil es die beiden schnellen Sätze gut von einander scheidet, und deren Effekt erhöhet. Daß Lafonts Virtuosität sich immer nur auf einige Musikstücke auf einmal beschränkt, und er Jahre lang dasselbe Konzert übt, bevor er damit öffentlich auftritt, ist bekannt. Seitdem ich gehört habe, zu welcher vollkommenen Exekution er es dadurch bringt, will ich dieses Aufbieten aller seiner Kräfte für den einzigen Zweck zwar nicht tadeln; doch fühle ich mich außer Stande, es nachzuahmen und begreife nicht einmal, wie man es über sich gewinnen kann, dasselbe Musikstück täglich 4-6 Stunden zu üben, noch weniger, wie man es anzufangen habe, daß man durch solch mechanisches Treiben nicht endlich aller wahren Kunst gänzlich absterbe.«

Charles Philippe Lafont, geb. am 1. Dezember 1781 in Paris, nahm folgenden Bildungsgang. Anfangs war er der Schüler seiner Mutter, einer geborenen Berthaume, die selbst Violine spielte. Dann empfing er den Unterricht seines Onkels Berthaum S. denselben S. 362.. Diesen begleitete er 1792 auf dessen Reise in Deutschland. Er war damals bereits soweit vorgeschritten, daß er in Hamburg und Lübeck mit ungewöhnlichem Erfolg als Solospieler auftreten konnte. Nach Paris zurückgekehrt, wurde er für zwei Jahre Kreutzers Zögling. Gleichzeitig empfing er theoretische Unterweisung von Navoigille l'aîné und Berton. Eine Zeitlang genoß er auch Rodes Anleitung im Violinspiel. Daneben war er im Gesange wohlgeübt und trat sogar als Sänger während der Jahre 1805 und 1806 in den Konzerten der Oper und des Théâtre Olympique auf. 1806 begab er sich nach Petersburg, um dort an Rodes Platz zu treten. Seit 1815 bekleidete er die Stellung eines ersten Violinisten bei der Kammermusik Louis XVIII. Einen großen Teil seines Lebens brachte Lafont auf Kunstreisen zu. 1801 war er in Belgien, während der Jahre 1806 bis 1808 in Deutschland, den Niederlanden, Italien und England, 1812 abermals in Italien, 1831 wiederum in Deutschland (in Gemeinschaft mit Henry Herz), 1833 in Holland, im Sommer 1838 in Frankreich. Seine letzte Konzerttour, für die er sich von neuem mit dem ebengenannten Klavierspieler vereinigt hatte, brachte ihm den Tod. Er starb am 14. August 1839 zwischen Bagnères de Bigorre und Tarbes beim Umstürzen der Diligence, auf welcher er sich befand.

Die virtuose Richtung Lafonts ist aus seinen gedruckten Violinkompositionen ersichtlich; sie bestehen in sieben Konzerten und einer bedeutenden Anzahl von Fantasien und Airs variés, unter denen sich etwa 20 gemeinschaftlich von ihm mit Kalkbrenner, Herz u. a. Pianisten gesetzte Duos für Klavier und Violine befinden. Außerdem schrieb er an 200 Romanzen und 2 Opern.

Als Schüler Lafonts führen wir hier an: Schubert, Ghys und die Schwestern Milanollo.

Franz Schubert, geboren am 22. Juli 1808 zu Dresden, war Schüler Antonio Rollas und trat am 1. Mai 1823 in die Dresdner Hofkapelle. Von 1831-1833 lebte er in Paris, um unter Lafonts Leitung seine Studien zu vervollständigen. Nach Dresden zurückgekehrt, wo er fortan verblieb, war er zunächst als »Hofkonzertist« in der Kapelle tätig. 1837 wurde er zum Vizekonzertmeister ernannt. Seit 1847 bekleidete er die zweite, seit 1861 die erste Konzertmeisterstelle. Er hat mannigfache Violinkompositionen veröffentlicht. Am 12. April 1878 starb er, nachdem 1873 seine Pensionierung erfolgt war. Schuberts Spielweise gehörte bei kleinem Ton dem zierlich eleganten Salongenre an.

Joseph Ghys, geb. 1801 zu Gent, lebte nach beendetem Studium mehrere Jahre auf Reisen und nahm dann seinen Aufenthalt in Nantes. Von 1832 ab widmete er sich wieder der Tätigkeit eines wandernden Virtuosen. Sein Spiel war, wenn auch sauber, so doch von schwächlich kleinem Charakter. Er bereiste 1835 in Gemeinschaft mit Servais Belgien, besuchte wiederholt Paris, kam 1837 nach Deutschland und wandte sich 1844 nach Rußland. In Petersburg erkrankte er und starb dort am 22. August des Jahres 1848. Im Druck erschienen mehrere seiner Violinkompositionen.

Eine südländische Zelebrität der Neuzeit war das Milanollosche Geschwisterpaar, dessen jugendlich graziöse Erscheinung ehedem lebhaften Anteil hervorrief. Beide Schwestern wurden in dem piemontesischen Orte Savigliano, und zwar die ältere, Teresa, am 28. Aug. 1827, die jüngere, Maria, am 19. Juli 1832 geboren. Der Vater betrieb das Geschäft eines Seide-Spinnmaschinenfabrikanten. Teresa entfaltete ihr Talent, obwohl sie anfänglich bei einem Violinspieler ihres Geburtsortes, namens Ferrero, und dann in Turin bei Caldera und Giov. Morra studiert hatte, hauptsächlich unter dem Einfluß der französisch-belgischen Schule. In Begleitung ihres Vaters kam sie nämlich 1836 nach Paris. Hier wurde sie für einige Zeit Lafonts Schülerin. 1840 hatte sie dann noch vorübergehend Habeneck und ein Jahr später de Bériot in Brüssel zum Lehrer. Seit ihrem 9. Lebensjahre produzierte sie sich bereits vielfach als Konzertspielerin. Inzwischen hatte sich auch Maria Milanollo unter Anleitung ihrer Schwester so weit herausgebildet, daß sie vom Jahre 1840 ab mit ihr gemeinsam öffentlich auftreten konnte. Sie zogen gleich einem Doppelgestirn wiederholt durch Deutschland, Frankreich, England, Holland und Belgien, überall durch ihr anmutiges Talent Aufsehen erregend. Beide geboten über eine korrekt geschulte, virtuos gebildete Technik, die sie für die entsprechende Wiedergabe der modernen Violinliteratur vorzugsweise befähigte. Teresas Spiel zeichnete sich überdies durch einen sinnig ernsten Zug aus, während ihre Schwester ein munteres, lebensfrisches Temperament offenbarte. Gern enthielt man sich angesichts dieser jugendlich naiven Erscheinungen jener höheren künstlerischen Forderungen, welche man gereiften Männern gegenüber in geistiger Hinsicht geltend zu machen berechtigt ist.

Das Band, welches die Schwestern nicht nur leiblich, sondern auch künstlerisch umschlang, wurde plötzlich durch den Tod Marias zerrissen. Sie starb zu Paris an der Auszehrung am 21. Oktober 1848. Erst nach längerer Pause setzte Teresa ihre Kunstreisen allein bis Anfang 1857 fort. Dann verheiratete sie sich mit Théodore Parmentier, General und Mitglied des Komitees für Frankreichs militärische Befestigungen zu Paris, um für immer ins Privatleben zurückzutreten und, die schönere Aufgabe des Weibes erfüllend, an der Seite eines würdigen Gatten im häuslichen Kreise zu walten. In Paris starb die Künstlerin im Jahre 1904.

Als eine Reminiszenz der beiden Milanollos sind an dieser Stelle die Schwestern Ferni zu erwähnen, welche nicht nur durch ihr gefälliges, korrektes, doch keineswegs hervorragendes Violinspiel, sondern auch durch ihre Schönheit Anziehungskraft auf das Publikum übten, aber nicht lange der Öffentlichkeit angehörten.

Ein weiterer namhafter Schüler R. Kreutzers war Pietro Rovelli, der am 6. Februar 1793 in Bergamo geboren wurde. Er empfing den ersten Unterricht von seinem Großvater, welcher bei der Kirche St. Maria Maggiore in der genannten Stadt angestellt war, trat als 13jähriger Knabe bereits vor das Publikum und betrieb dann in Paris unter Kreutzer Leitung das Geigenstudium. Auf einer Kunstreise, welche er von dort aus durch Deutschland machte, und die ihn 1817 auch nach Wien führte, fand er in München so beifällige Aufnahme, daß er zum Hofkonzertmeister ernannt wurde. Im Jahre 1819 gab er indessen diese Stellung auf, kehrte nach der Vaterstadt zurück und trat in den ehedem von seinem Großvater bekleideten Wirkungskreis, dem er sich bis zu seinem am 8. September 1838 erfolgten Tode widmete. Spohr, der Rovelli Ende 1815 in München hörte, bemerkt über ihn, daß er mit den Vorzügen der Pariser Schule auch das verbunden habe, was den Eleven derselben gewöhnlich abgehe: Gefühl und eigenen Geschmack. In der Wiener Musikzeitung (Jahrg. 1817, S. 63) heißt es über ihn: »er ist ein höchst angenehmer Spieler und weiß durch seinen melodiösen, schmeichelnden Vortrag die Herzen seiner Zuhörer so treffend zu rühren, daß sie ihm den lautesten Beifall dafür zollen müssen; kurz, er ist ganz Sänger auf seinem Instrument, damit verbindet er eine seltene, überaus reine Intonation, einen schönen Bogenstrich, die größte Ruhe und Anspruchslosigkeit, die größte Bescheidenheit und Kaltblütigkeit – fast könnte man ihm mehr Feuer wünschen – und man kann von ihm sagen, daß er Rührung und Entzücken in seinen Zuhörern erweckt, ohne sie durch ein oft unzeitiges zuversichtliches Betragen dazu stimmen zu wollen.« – Unter Rovellis Kompositionen wird den 12 Violinkaprizen ein hoher musikalischer und geigerischer Wert nachgerühmt.

Ein Schüler Rovellis war der von uns bereits früher besprochene Täglichsbeck (S. 433). Ein weiterer Künstler, der hier am besten seine Stelle findet, obgleich er auch durch Spohr stark beeinflußt wurde, ist Molique.

Bernhard Molique, geboren zu Nürnberg am 7. Oktober 1802, war der Schüler seines Vaters, damaligen Stadtmusikus in Nürnberg, und später Rovellis Zögling. Auch Spohrs Anleitung genoß er, wie erwähnt, im Jahre 1815 vorübergehend. Spohr selbst berichtet darüber: »In Nürnberg stellte sich mir der etwa 14jährige Molique vor und bat mich, ihm während meines Aufenthaltes Unterricht zu geben, dem ich gern willfahrte, weil der Knabe schon damals Ausgezeichnetes für seine Jahre leistete. Da M. sich seit jener Zeit durch fleißiges Studium meiner Violinkompositionen immer mehr in meiner Spielweise ausbildete und sich daher Schüler Spohrs nannte, so habe ich dieses Umstandes nachträglich erwähnt.« 1817 wurde Molique der Münchener Hofkapelle einverleibt, zu deren Konzertmeister er avancierte, als sein Lehrer Rovelli 1820 für immer nach Italien zurückkehrte. Sechs Jahre später übernahm der Künstler dasselbe Amt bei der Stuttgarter Hofkapelle. In dieser Stellung blieb er 23 Jahre (bis 1849); dann nahm er seinen Wohnsitz in London, von wo er indessen 1866 wieder nach Deutschland zurückkehrte, um in Cannstatt bei Stuttgart seinen Lebensabend in Ruhe zu beschließen. Er starb dort am 10. Mai 1869. Molique scheint kein glückliches Temperament besessen zu haben. Robert Schumann wenigstens berichtete über ihn aus Moskau: »M. ist gestern wieder nach Deutschland zurück; die russische Reise hat ihm wohl kaum die Kosten gebracht; es geschieht ihm recht, der über Alles raisonnirt und dabei ein so trockener Gesell ist S. Schumanns Biographie vom Verf. d. Bl., Aufl. III, S. 197.

Moliques Violinkompositionen (Konzerte, Quartette, Phantasien, Rondos usw.) stehen bei vielen Fachmännern in großer Schätzung. Sie verdienen dieselbe, da sie abgesehen von ihrer Brauchbarkeit für das technische Studium eine tüchtige, solide Gestaltung zeigen. Wenn sie nicht allgemeinste Verbreitung gefunden haben, so liegt dies nicht allein an ihrer Schwierigkeit, die häufig von ganz eigentümlicher Art ist, sondern zugleich daran, daß es ihnen an origineller Kraft, Wärme der Empfindung und sinnlich schönem Reiz mangelt. Als Violinspieler zeichnete sich Molique durch eine ungemeine Beherrschung des Griffbrettes sowie des Bogens aus.

Als Schüler Moliques ist der Engländer John Tiplady Carrodus zu nennen, welcher am 20. Januar 1836 zu Braithwaite (in Yorkshire) geboren wurde. Nachdem er frühzeitig (1848-1853) Moliques Unterricht in Stuttgart und sodann in London genossen hatte, nahm er in letzterer Stadt seinen dauernden Wohnsitz. Er war Lehrer des Violinspiels an der National Training School for Music sowie Konzertmeister des Coventgardenorchesters. Auch kompositorisch hat er sich tätig erwiesen. Er starb am 13. Juli 1895 in London.

Weniger als Solist, denn als vortrefflicher Lehrer für sein Instrument tat sich ein weiterer hier mit seinen Schülern zu betrachtender Zögling R. Kreutzers hervor: Massart.

Lambert Joseph Massart empfing den ersten Violinunterricht in Lüttich, wo er am 19. Juli 1811 geboren wurde, von einem Kunstliebhaber namens Delaveu. Dieser Mann interessierte sich auch des weiteren für seinen Schützling dadurch, daß er ihm vom König der Niederlande, Wilhelm I., ein durch die Stadt Lüttich noch erhöhtes Stipendium erwirkte, welches seine weitere Ausbildung in Paris möglich machte. Er wurde dort Kreutzers Privatschüler, angeblich weil Cherubini die Aufnahme eines Ausländers ins Konservatorium nicht gestatten wollte. Massart bildete sich zu einem vorzüglichen Violinisten aus und ließ sich auch mit Erfolg als Solist hören. Allein eine gewisse Befangenheit, die er nicht zu überwinden vermochte, bewog ihn bald, von der Öffentlichkeit zurückzutreten und sich ganz dem Lehrberufe zu widmen, für welchen er ebensoviel Geschick als ausgezeichnete Begabung an den Tag legte. Anfangs 1843 wurde er als Lehrer des Violinspiels am Konservatorium angestellt. Dieses Amt verwaltete er bis 1890. Massart hat sich auch als Violinkomponist durch Veröffentlichung einiger Salonstücke bekannt gemacht. Er starb am 13. Februar 1892 in Paris.

Von seinen vielen Schülern seien hier erwähnt: Wieniawski, Lotto, Frieman, Marcello Rossi, Teresina Tua und Fritz Kreisler.

Henry Wieniawski, geb. am 10. Juli 1835 in Lublin, bildete sich von 1844 ab, nachdem er vorher schon den Unterricht Clavels genossen, unter Massarts Leitung in Paris für die exklusive Virtuosenrichtung, welche er mit außerordentlichem Erfolg kultivierte. Mit dem ersten Preis der Violinklasse des Pariser Konservatoriums im Jahre 1846 entlassen, wurde er 1860 zum kaiserl. russ. Kammervirtuosen ernannt. Im Jahre 1872 unternahm er eine Kunstreise nach Amerika, von welcher er 1874 zurückkehrte. 1875 trat er stellvertretend in die Funktion des zu jener Zeit erkrankten Vieuxtemps als Lehrer des Violinspiels beim Brüsseler Konservatorium ein. Nachdem der belgische Geigenmeister, wieder genesen, seine Tätigkeit 1877 in diesem Institut aufs neue übernommen hatte, begab sich Wieniawski abermals auf Kunstreisen. Doch schon wenige Jahre später, am 31. März 1880, machte ein Herzleiden seinem Leben in Moskau ein Ende. Wieniawski war ein brillanter, temperamentvoller Konzertspieler, der seine Triumphe in der Besiegung ausgesuchter technischer Schwierigkeiten feierte. Seine Kompositionen sind mit starker Berücksichtigung des virtuosen Effekts geschrieben.

Viel Verwandtschaft mit Wieniawskis Leistungen hat das Spiel Isidor Lottos, der, am 22. Dezember 1840 in Warschau geboren, gleichfalls ein Schüler Massarts ist, doch in technischer Beziehung seinen ebengenannten Landsmann nach gewissen Seiten vielleicht noch überragte. 1862 wurde er als Soloviolinist am Weimarer Hoforchester angestellt. Lange litt er an den Nachwirkungen eines typhösen Fiebers und war dadurch seinem Berufe als Konzertspieler entzogen. Nach erfolgter Wiederherstellung übernahm er 1872 das Lehramt für Violinspiel an der Straßburger Musikschule. Sodann bekleidete er die gleiche Stellung am Warschauer Konservatorium, verfiel jedoch weiterhin in eine geistige Erkrankung, die die Fortsetzung seiner Tätigkeit unmöglich machte.

Gustav v. Frieman (eigentlich Freemann) stammt väterlicherseits aus einer englischen und mütterlicherseits aus einer polnischen Familie ab. Er wurde 1844 zu Lublin geboren und erhielt den ersten Geigenunterricht von Stanislaus Serwaczyñski. 1862 begab Frieman sich nach Paris und vollendete dort in einem Zeitraum von vier Jahren seine Studien unter Massarts Leitung im Konservatorium. Als Zögling dieses Instituts wurde er durch Verleihung der silbernen und goldenen Medaille sowie schließlich durch den Ehrenpreis einer wertvollen Geige ausgezeichnet. Auf seinen Kunstreisen konzertierte Frieman mit ungewöhnlichem Erfolg, namentlich in Darmstadt, wo er zum großherzogl. Kammervirtuosen ernannt wurde, dann aber auch in Dresden, Berlin, Wien und Petersburg. Sein Spiel zeichnet sich allen Berichten zufolge durch edle, große Tongebung, glänzende Technik, saubere Intonation und wohldurchdachte Vortragsweise aus. Seit einer Anzahl von Jahren gab Frieman das Wanderleben auf, um sich vorzugsweise der pädagogischen Tätigkeit, zunächst am Wiener Konservatorium und hierauf an der kaiserl. Musikschule in Odessa zu widmen. An Violinkompositionen veröffentlichte er einen » Danse des montagnards«, eine »Berceuse«, eine »Polonaise« sowie mehrere Mazurkas und »Kujawjaks«.

Der Violinvirtuose Marcello Rossi, aus einer italienischen Familie stammend, wurde geboren zu Wien am 16. Oktober 1862. Er empfing seine erste künstlerische Ausbildung auf dem Leipziger Konservatorium und genoß hierauf noch den Unterricht Lauterbachs in Dresden und Massarts in Paris. Dann unternahm er von 1877 ab ausgedehntere Konzertreisen durch Deutschland, Osterreich, Rußland usw., auf denen ihm reichliche Anerkennung zuteil wurde. Seit 1891 mit dem Titel eines k. k. Österreichischen Kammervirtuosen bekleidet, nahm er seinen Wohnsitz in Wien, wo er auch als Lehrer tätig war. Am 30. Mai 1897 starb er zu Bellagio am Comersee. Rossis Technik wurde als eine glänzende, sein Vortrag als ein zarter und angenehmer gerühmt. Der Großherzog von Schwerin ernannte ihn zum Kammervirtuosen. Rossi hat verschiedene Violinkompositionen im Druck erscheinen lassen.

Eine bemerkenswerte Geigerin ist Teresina Tua (ihre eigentlichen Vornamen sind Maria Felicità), die als das Kind einer unbemittelten Musikerfamilie am 22. Mai 1867 in Turin geboren wurde. Den ersten Unterricht empfing sie von ihrem Vater. Im siebenjährigen Alter ließ sie sich öffentlich hören. Gelegentlich eines Auftretens in Nizza erregte sie die Teilnahme einer begüterten russischen Dame, welche ihr die Mittel gewährte, nach Paris zu gehen. Hier wurde ihr nicht allein die Protektion der Gattin des vormaligen Präsidenten Mac Mahon und der Exkönigin Isabella, sondern auch L. Massarts bewährter Unterricht zuteil. Gute Leitung und reger Fleiß förderten sie so schnell, daß man ihr bei den Prüfungen im Konservatorium den ersten Preis zuerkannte. Hierauf trat sie 1879 eine Kunstreise durch Frankreich, Spanien und Italien an. Im Jahre 1882 konzertierte sie in Wien, Berlin und anderen größeren deutschen Städten. Ihre Leistungen, vorteilhaft durch ein munteres, gefälliges Wesen unterstützt, fanden überall großen Beifall. Teresina Tua gehört, wie mehr oder weniger alle in der Pariser Schule gebildeten Geiger, jener virtuosen Richtung an, welche auf vorwiegend äußerliche Wirkungen berechnet ist. Mit Leichtigkeit überwindet sie technische Schwierigkeiten mannigfacher Art. Dazu kommen korrekte Intonation und wohlklingende, wenn auch nicht voluminöse Tongebung. Seit ihrer Verheiratung mit dem Musikschriftsteller Graf Franchi Verney della Valletta hat sich Teresina Tua ins Privatleben zurückgezogen. Sie lebt in Rom und tritt nur noch gelegentlich vor das Publikum.

Unter den jüngeren deutschen Violinisten der Gegenwart nimmt Fritz Kreisler eine hervorragende Stellung ein.

Er wurde am 2. Februar 1873 in Wien geboren und genoß den nicht hoch genug zu veranschlagenden Vorteil, von frühster Kindheit an im Elternhause gute Musik zu hören. Der Vater, ein sehr musikbegabter Arzt, auf der Violine, der Bratsche und dem Violoncell heimisch, veranstaltete regelmäßige Kammermusikabende in seiner Häuslichkeit, bei denen zuhören zu dürfen das größte Glück des Kleinen war. Schon mit vier Jahren erhielt er halb spielend den ersten Unterricht von dem Konzertmeister des damaligen Ringtheaters Jacques Auber, so daß er früher Noten lesen und schreiben lernte als Buchstaben. Mit sieben Jahren trat er in die Ausbildungsklasse des Wiener Konservatoriums ein und wurde Schüler von Josef Hellmesberger. Er verließ dieses Institut als zehnjähriger Knabe mit dem ersten Preise und besuchte noch auf zwei Jahre das Pariser Konservatorium, wo er Massarts Anleitung genoß. Im Jahre 1887 verabschiedete sich der Zwölfjährige auch von Paris mit einem ersten Preise, den er unter 42 Mitbewerbern errungen hatte. Seither hat Kreisler keinen Lehrer mehr gehabt, aber dauernd große und tiefgehende Anregungen aus den Darbietungen hervorragender Geiger und anderer Künstler geschöpft.

Unmittelbar nach Verlassen des Konservatoriums machte Kreisler mit Moritz Rosenthal eine Tournée nach Amerika. Sodann kehrte er nach Wien zurück, um mehrere Jahre seiner humanistischen sowie seiner allgemeinen musikalischen Ausbildung zu widmen, während welcher Zeit die Geige in den Hintergrund trat. Es folgte das Militärjahr, an dessen Schluß das Offiziersexamen und die Beförderung zum Reserveoffizier.

Nachdem Kreisler, der damals zwischen der Laufbahn des Arztes, Offiziers und Künstlers eine Zeitlang schwankte, sich für die letztere entschieden, war er noch unsicher, ob er seine Kräfte dem Direktionsfach oder der Violine widmen sollte, bis die Liebe zu seinem Instrument den endgültigen Ausschlag gab. Seitdem ist der Künstler, der in Berlin lebt, fast ununterbrochen auf Konzertreisen tätig, die ihn und seinen rasch wachsenden Ruf durch Europa und Amerika führten (vgl. den Anhang!).

Die Geiger Matthäi und Bohrer, die Schüler von Kreutzer waren, sind bereits früher besprochen worden. Zum Schluß hätten wir als bemerkenswerte Schüler dieses Meisters anzuführen die Franzosen Vidal, Peyreville, Fontaine und die belgischen Violinisten Femy und Tolbecque.

Jean Joseph Vidal, geb. 1789 zu Sorèze, wurde 1805 Eleve des Konservatoriums. Seit 1810 glänzte er als Solist in Pariser Konzerten. Später war er beinahe 20 Jahre hindurch als zweiter Geiger bei Baillots Quartett beteiligt. Vorzugsweise fand er Schätzung als Lehrer seines Instrumentes.

François Fémy, ein Belgier, wurde am 4. Oktober 1790 in Gent geboren, wo sein Vater als Musiker lebte. Der junge Fémy besuchte vom Juli des Jahres 1803 ab das Pariser Konservatorium, war dort Schüler Kreutzers im Violinspiel und erhielt 1807 den ersten Preis bei der öffentlichen Prüfung. Mehrere Jahre hindurch war er dann im Orchester des Theaters » des varietes«, worauf er Frankreich und Deutschland als Konzertspieler bereiste. Später begab er sich nach Holland, und hier blieb er, hochgeschätzt als Violinspieler. Sein Todesjahr ist nicht bekannt. Fémy hat nicht nur verschiedene Violinkompositionen, unter welchen sich drei Konzerte befinden, veröffentlicht, sondern auch viele Duette und außerdem Quartette und Symphonien.

Ein Schüler von Femy ist John Ella, der am 19. Dezember 1802 in Thirsk (York) geboren wurde. 1822 wurde er bei dem Orchester von Kings Theatre, weiterhin bei den Concerts of ancient music und der Philharmonie society in London angestellt. Dorr begründete er im Jahre 1845 die der Kammermusikpflege gewidmete Musical union, die bis 1880 bestand. Im selben Jahre trat Ella in den Ruhestand. Ein zweites ähnliches Unternehmen hatte eine kürzere Dauer von nur neun Jahren (1850-59). 1855 wurde er Lektor der Musik an der London Institution. Ella starb am 2. Oktober 1888 in London.

Jean Baptiste Tolbecque, geb. zu Hanzinne in Belgien am 17. April 1797, wurde 1816 ins Pariser Konservatorium aufgenommen. Dort erhielt er den Violinunterricht von Kreutzer, während Reicha ferne theoretischen Studien leitete. 1820 trat er ins Orchester der italienischen Oper, dem er bis 1825 angehörte. Von da ab übernahm er die Leitung der Tanzmusikorchester im Tivoli und in anderen öffentlichen Pariser Lokalen. Außerdem war er in den Konzerten des Konservatoriums bei der Bratsche tätig. Er starb in Paris am 23. Oktober 1869. Als Komponist kultivierte er mit Erfolg die Tanzmusik, bis Musard ihn mit seinen Tänzen in Schatten stellte. Tolbecque hatte noch zwei Brüder, welche auch Kreutzers Schüler im Konservatorium waren. Der ältere derselben, mit den Vornamen August Joseph, geboren 28. Februar 1801 zu Hanzinne, gestorben am 27. Mai 1869, zeichnete sich als Solospieler aus und gehörte dem Orchester der großen Oper an. Der jüngere, Charles Joseph, geb. 27. Mai 1806 zu Paris, brachte es bis zum Orchesterchef am Théâtre des Variétés, starb aber bereits am 30. Mai 1833, wie seine Brüder in Paris. Beide wirkten gleichfalls ständig im Orchester der Konservatoire-Konzerte mit.

Jean Marie Becquié de Peyreville, geb. 1797 zu Toulouse, trat am 20. Oktober 1820 ins Pariser Konservatorium und war dort Rudolph Kreutzers, später August Kreutzers Schüler. Er gehörte nacheinander mehreren Pariser Opernorchestern an. Auch veröffentlichte er verschiedene Kompositionen für sein Instrument.

Antoine Nicolas Marie Fontaine, geb. 1785 in Paris, erhielt den ersten Unterricht von seinem Vater, einem Musiker bei der Oper. Dann übergab man ihn der Leitung Kreutzers, nachdem er durch dessen Schüler Lafont einen vorbereitenden Kursus empfangen hatte. Sein Eintritt ins Konservatorium erfolgte 1806. Im theoretischen Studium wurde er durch Catel, Daussoigne und Reicha unterwiesen. Nachdem er das Konservatorium verlassen hatte, war er etwa zehn Jahre lang auf Reisen in Frankreich, Belgien und den Rheinlanden. Seit 1825 lebte er unausgesetzt in Paris. Eine Stellung, die ihm als Soloviolinist bei der Privatkapelle Karls X. zuteil wurde, verlor er infolge der Julirevolution. Im Druck erschienen von ihm drei Konzerte, Airs variés, Rondos, Fantasien, Duos, Serenaden usw., – Kompositionen, die auf das Tagesbedürfnis und den Geschmack der Mode berechnet waren.

Fontaine nahm nicht nur die Lehre Kreutzers in sich auf, sondern wurde auch durch Baillot beeinflußt, bei dem er eine Zeitlang studierte. Damit kommen wir zu Baillots Schülern, von denen die beachtenswertesten sind: Guérin, Habeneck, Wanski, Mazas, Blondeau, Wéry und Dancla.

Guérin puîné, geb. zu Versailles 1779, trat 1796 ins Konservatorium, war an demselben nach seiner Ausbildung lange Zeit Hilfslehrer und dann auch wirklicher Professor des Violinspiels in der vorbereitenden Klasse. Überdies gehörte er der ersten Violine bei der großen Oper und den Konservatoirekonzerten an Ob die obigen Angaben sich wirklich auf Guérin puîne beziehen, muß dahingestellt bleiben. Bis zur dritten Auflage war hier von Guérin aîné die Rede, wobei ein Versehen von seiten des Autors vorlag, der nicht bemerkt hatte, daß Fétis in dem Artikel Guérin von beiden Brüdern in demselben Artikel redet. Aber auch hiervon abgesehen besteht Konfusion, die wahrscheinlich darauf zurückzuführen ist, daß zwei Geiger des Namens Guérin existierten, eventuell ist Guérin auch mit Guénin verwechselt worden. Eitner (Quellen-Lexikon) macht aus Fétis' Angabe, daß Guérin d. j. von 1824 an an der 1. Violine der opéra mitwirkte, er sei bis zu diesem Zeitpunkte als 1. Violinist usw. tätig gewesen. Die Angaben Brenets wiederum ( Les concerts en France etc.), daß Guérin im Jahre 1776 als erster Violinist und Solist im Concert spirituel aufgetreten sei, passen hierzu natürlich nicht, so daß man wohl tatsächlich an zwei verschiedene Geiger denken muß. Riemann (Mus.-Lex.) führt nur einen Guérin an, den Violoncellisten, der also Guérin aîné wäre. Er gibt ihm 1779 als Geburtsjahr, was nicht gerade falsch zu sein braucht. Jedenfalls würde nur eine spezielle Untersuchung, die doch kaum lohnen möchte, volle Klarheit in die Angelegenheit bringen..

Große Wichtigkeit für das Pariser Musikleben erlangte François Antoine Habeneck: er war die Seele der Konservatoirekonzerte zu Paris, deren Ruhm durch ihn begründet wurde. Den Ursprung derselben darf man auf die von den Zöglingen des Konservatoriums seit Anfang des 19. Jahrhunderts veranstalteten Orchesterproduktionen zurückführen, welche regelmäßig Sonntags Mittag von 1-4 Uhr stattfanden. Die Mitwirkenden bestanden nur aus Schülern der Anstalt, und die Direktion wechselte von Jahr zu Jahr unter denjenigen Eleven ab, welche bei dem Konkurse mit dem ersten Preise gekrönt worden waren. Habeneck, der diese Auszeichnung genossen hatte, übernahm 1806 die Leitung seiner Mitschüler in den Konzerten. Sein Direktionstalent machte sich aber sofort mit solcher Überlegenheit geltend, daß er ohne Unterbrechung bis 1815 an seinem Platze blieb. In diesem Jahre erfolgte beim Einmarsche der Alliierten in Paris die Sistierung des Konservatoriums und damit auch der fraglichen Konzerte. Während der langen Pause, welche demnächst für die letzteren eintrat, dirigierte Habeneck die Aufführungen im Concert spirituel, in denen er namentlich die Orchesterwerke Beethovens, dessen erste Symphonie von ihm schon im Konservatorium einstudiert worden war, beim Pariser Publikum einführte. Lange Zeit fanden mit Ausnahme Méhuls, der Beethovens Bedeutung sofort erkannte, weder die Musiker noch das Publikum Geschmack an diesen Tondichtungen. Die Sinfonia eroica erregte sogar, wie Schindler in seiner Beethovenbiographie berichtet, bei der ersten Probe (1815) das Gelächter der Mitwirkenden, die nur mit Mühe zu überreden waren, das Werk ganz durchzuspielen. »Somit«, bemerkt Schindler, »war der sämmtlichen Beethovenschen Musik in Paris der Stab gebrochen, und da ebenfalls Herr Habeneck den Mut verloren, selbst auch noch wenig Einsicht in die Sache gehabt zu haben schien, so mußten alle weiteren Versuche, zunächst nur in einer kleinen Schar von Künstlern Geschmack für diese Musik zu erwecken, aufgegeben und die Zeit der fortgeschrittenen Bildung abgewartet werden, wenn es wieder zu wagen sei, diese Versuche zu erneuern ... Jahre vergingen, daß der Name Beethoven auf keinem Programm in Paris zu finden war, und wenn es je geschah, daß man irgend einen Satz aus einer seiner Symphonien als Lückenbüßer genommen, so wurde aus Unverstand nur heilloser Frevel damit getrieben. Dies war die Zeit, wo Beethoven von Quadrillen und Tänzen hören mußte, die man aus seiner Musik dort machte.«

Endlich wagte man sich an die C-moll-Symphonie, und durch dieses Werk wurde allmählich ein Interesse für Beethovens Instrumentalmusik angebahnt. Nun wunderte man sich sehr, daß die drei ersten Symphonien des Meisters, auf die sich die Bekanntschaft mit Beethoven in Paris bisher beschränkt hatte, so gänzlich mißverstanden worden waren. Mehr und mehr machte man sich mit diesen Schätzen vertraut, und der Anteil der tonangebenden Musiker, unter denen sich auch Cherubini befand, wurde so mächtig daran, daß man beschloß, ein neues Konzertinstitut zu begründen, in dem neben anerkannten Meisterwerken der Instrumental- und Vokalmusik vorzugsweise Beethovens Orchesterkompositionen zur Darstellung gebracht werden sollten. So entstanden die berühmten Konservatoirekonzerte, welche im Januar 1828 ihren Anfang nahmen. Cherubini wurde Präsident des Unternehmens, Habeneck Vizepräsident und zugleich artistischer Direktor. Den Kern des Orchesters bildete eine Elite der Pariser Instrumentalisten, welcher sich sogenannte Aspiranten, meist Zöglinge des Konservatoriums anreihten. Das Streichquartett war bei der Eröffnung inklusive des Konzertmeisters Baillot im ganzen mit 30 Violinen, 10 Bratschen, 13 Violoncellen und 11 Kontrabässen besetzt. Schindler bezeichnet die Leistungen dieses Orchesters in Beethovens Symphonien als das Vollendetste, was er überhaupt jemals gehört, obwohl er es seiner stets streitlustigen Rechthaberei und eiteln Selbstüberschätzung gemäß an tadelnden Bemerkungen auch hier nicht fehlen läßt. Wie dem auch sei, man darf annehmen, daß die Konservatoirekonzerte unter Habenecks Leitung im gewissenhaften und sorgsam abgerundeten Zusammenspiel ganz Außerordentliches geleistet haben. Freilich wurde bei dem Studium der aufzuführenden Werke dieselbe Methode befolgt, welche das von Spohr geschilderte Verfahren der dortigen Solospieler charakterisiert. Zum Einüben der neunten Symphonie z. B. brauchte man, wie Schindler mitteilt, nicht weniger als zwei volle Jahre. Also auch hier die virtuose Richtung! Daß diese Konservatoirekonzerte sich übrigens nach Habenecks Tode nicht mehr auf ihrer Höhe zu erhalten vermochten, gesteht selbst Fétis zu, der in zarter Andeutung von ihnen bemerkt: »Heute ist dieses Orchester weniger jugendlich, aber es ist unvergleichlich durch Delikatesse und Vollendung«, – das letztere natürlich nach französischen Begriffen. Bestechlich ist es allerdings für die Mehrzahl selbst musikalisch gebildeter Hörer, von dem Mechanismus eines großen, vollzähligen Orchesters den Eindruck zu empfangen, als ob gleichsam nur einer spiele. Inwieweit aber eine solche Leistung dem Ideal des Darzustellenden gerecht wird, bleibt dabei immer noch eine offene Frage, die kaum zugunsten des französischen Orchesterspiels zu entscheiden sein dürfte.

Habeneck, von deutscher Abkunft, war der Sohn eines Mannheimer Musikers, der in der Kapelle eines französischen Regimentes diente, und wurde am 1. Juni – nach anderer Angabe 23. Januar – 1781 zu Mézières, einem Orte im Ardennen-Departement geboren. Den ersten Violinunterricht erhielt er von seinem Vater, dann übte er mehrere Jahre lang in Brest, wohin sein Vater gezogen war, das Instrument ohne irgendeine Beihilfe, und versuchte sich auch in der Komposition. Nach Ablauf des zwanzigsten Lebensjahres betrat Habeneck Paris, um die dortige Musikschule zu besuchen. Bald zeichnete er sich als Violinist so sehr vor seinen Mitschülern aus (1804 erhielt er den ersten Violinpreis), daß er zum Repetitor der Klasse seines Lehrmeisters Baillot gewählt wurde. Durch die Gunst der Kaiserin Josefine wurde ihm ein Jahrgeld von 1200 Franken zuteil; im übrigen gewann er seine Subsistenzmittel durch die Mitwirkung im Orchester der Opera comique. Diese Stellung vertauschte er aber bald mit einer andern an der großen Oper, bei der er an Kreutzers und Persuis' Stelle als erster Violinist wirkte. Von 1821 bis 1824 dirigierte er die große Oper. Hierauf wurde er Generalinspektor des Konservatoriums und Lehrer des Violinspiels an derselben Anstalt. Nachdem er bereits von 1806 ab bis 1815 im wesentlichen allein die Konzerte des Konservatoriums dirigiert hatte, übernahm er dieses Amt definitiv im Jahre 1828. Auch war er seit 1830 erster Violinist an der königl. Kapelle. Nach Kreutzers Pensionierung wurde er auch Kapellmeister der großen Oper (bis 1846). Habeneck starb in Paris am 8. Februar 1849. Spohr bemerkt über seine Leistungen: »Er ist ein brillanter Geiger, der viel Noten in großer Geschwindigkeit und mit vieler Leichtigkeit spielt. Sein Ton und sein Bogenstrich sind aber etwas rauh.« Die von ihm vorhandenen Kompositionen sind ohne Bedeutung.

Zwei jüngere Brüder Habenecks, Joseph, geb. 1. April 1785, und Corentin, geb. 1787 zu Quimper, zeichneten sich gleichfalls als Violinspieler aus. Beide besuchten das Pariser Konservatorium. Joseph trat 1808 ins Orchester der Opéra comique und war dessen Chef von 1819-1837. Corentin gehörte seit 1814 dem Orchester der großen Oper an, aus welchem er infolge eines Streites mit der Direktion 1837 entlassen wurde. Seine Mitgliedschaft in der k. Kapelle verlor er durch die Julirevolution.

Eine besondere Bedeutung beansprucht Habeneck (der ältere) noch dadurch, daß er eine Reihe trefflicher Violinisten heranbildete, von denen einzelne, wie D. Alard, Prume und besonders Léonard wiederum die Lehrer von zum Teil sehr hervorragenden Geigern der Gegenwart (Sarasate, Thomson, Marteau u. a. m.) geworden sind. Außer den Genannten sind als Schüler Habenecks zunächst hier zu erwähnen Cuvillon, Sainton, Deldevez und Maurin.

Jean Baptiste Philémon de Cuvillon, aus einem altadeligen Geschlecht abstammend, geb. in Dünkirchen am 13. Mai 1809, war aus der Pariser Musikschule, in welche er am 30. Januar 1824 aufgenommen wurde, der Zögling Habenecks und Reichas. Eine Zeitlang scheint er über die Wahl seines Lebensberufes unentschieden gewesen zu sein; denn er trieb auch das juristische Studium auf der Pariser Universität und brachte es bis zum Lizentiaten. Später ging er aber ganz zur Kunst über, war von 1843-1848 Hilfslehrer bei der Habeneckschen Klasse des Violinspiels und fand einen Wirkungskreis als erster Geiger in den Konservatoriumskonzerten sowie in der kaiserl. Kapelle. Er wird zu den Violinisten der jüngeren französischen Schule gerechnet. Es sind einige Violinkompositionen von ihm vorhanden. Sein Todesjahr ist unbekannt.

Prosper Philippe Cathérine Sainton, geb. in Toulouse am 5. Juni 1813, gestorben am 17. Oktober 1890 zu London, war seit dem 20. Dezember 1831 Habenecks Schüler auf dem Pariser Konservatorium. Nach Beendigung seiner Studien trat er für kurze Zeit ins Opernorchester, dann lebte er auf Kunstreisen, die ihn nach Oberitalien, Süddeutschland, Rußland und den skandinavischen Ländern führten. In die Heimat zurückgekehrt, wurde er 1840 zum Lehrer des Violinspiels an der Musikschule seiner Vaterstadt ernannt. 1844 begab er sich nach London. Er wirkte hier im Laufe der Zeit als Violinlehrer an der Royal Academy, als Soloviolinist im Orchester des Her Majesty-Theatre und (bis 1856) als Soloviolinist der Königin. Sein Spiel zeichnete sich bei nicht eben voluminösem Ton durch Sauberkeit, Geschmeidigkeit und eine gewisse Eleganz aus. Sainton veröffentlichte mehrere Violinkompositionen.

Edouard Marie Ernest Deldevez, geb. zu Paris am 31. Mai 1817, besuchte von 1825-1833 das dortige Konservatorium. Im Violinspiel unterrichtete ihn Habeneck; in der Komposition waren Halévy und Berton seine Lehrer. 1859 wurde Deldevez, der sich inzwischen zu einem angesehenen Künstler herangebildet hatte, Orchesterchef und zweiter Dirigent an der großen Oper. Zugleich versah er die Funktion des zweiten Dirigenten bei den Konservatoriumskonzerten, deren oberste Leitung ihm 1872 übertragen wurde. Im folgenden Jahre übernahm er auch das Amt des ersten Dirigenten der großen Oper. 1885 aus gesundheitlichen Rücksichten gezwungen, in den Ruhestand zu treten, lebte er noch 12 Jahre. Er starb am 6. November 1897 in Paris. Die erwähnten hervorragenden Stellungen verdankte Deldevez nicht allein seiner gediegenen musikalischen Durchbildung, sondern auch seinen in Frankreich geschätzten Leistungen als Tonsetzer. Schon 1840 gab er im Konservatorium ein Konzert, dessen Programm durchweg aus seinen eigenen, mit auszeichnendem Beifall aufgenommenen Kompositionen bestand. Weiterhin veröffentlichte er eine beträchtliche Reihe von Werken sowohl weltlicher als kirchlicher Art. Auch ein speziell der Violine gewidmetes Sammelwerk: » Oeuvres de compositions des violinistes célèbres, depuis Corelli jusqu'à Viotti, choisies et classées« gab er heraus.

Jean Pierre Maurin, geb. in Avignon am 14. Februar 1822, trat im Juni 1838 ins Pariser Konservatorium ein und wurde zunächst in der Vorbereitungsklasse Schüler Guérins. Hierauf übernahm Baillot seine weitere Leitung, die nach dem Tode dieses Meisters an Habeneck überging. Nachdem er für seine Leistungen wiederholt durch Preise ausgezeichnet worden, trat er in die öffentliche Wirksamkeit und gründete mit dem Violoncellisten Chevillard Kammermusikunterhaltungen, in welchen namentlich die letzten Streichquartette von Beethoven zur Aufführung gelangten. Auch als Solospieler ließ Maurin sich zum öfteren in Paris hören. Im Herbst 1875 wurde er zum Professor des Violinspieles beim Konservatorium an Stelle Alards ernannt. Am 16. März 1894 starb er in Paris. Maurin wurde als ein Geiger von gediegener musikalischer Richtung und bedeutendem technischen Können bezeichnet.

Als seinen besten Schüler nennt man Lucien Capet, einen vortrefflichen Geiger, der im Solo- wie Quartettspiel Hervorragendes leiste. Nähere Nachrichten über ihn fehlen zurzeit. Auch über den Nachfolger Maurins als Professor am Konservatorium, Henri Berthelier, der diesen Posten 1894 erhielt und zu jener Zeit Soloviolinist bei der großen Pariser Oper und den Konservatoriumskonzerten war, kann Näheres nicht mitgeteilt werden.

Nur bis zu einem gewissen Grade ist der berühmte Violinvirtuose Delphin Alard als Zögling Habenecks zu betrachten. Derselbe wurde am 8. März 1815 in Bayonne geboren und erregte bereits frühzeitig die Aufmerksamkeit der Kunstfreunde seiner Vaterstadt. Als zehnjähriger Knabe spielte er dort in öffentlicher Produktion ein Viottisches Konzert, und der damit verbundene Erfolg gab Veranlassung, den Knaben 1827 nach Paris zu schicken. Hier durfte er dem Unterrichte der Habeneckschen Klasse, doch nur als Zuhörer beiwohnen. Leichtes Auffassungsvermögen befähigte ihn, die Lehren, welche andern zuteil wurden, für sein eigenes Studium auszubeuten. So war er im Grunde nur mittelbar ein Zögling Habenecks.

Nach Verlauf von zwei Jahren fühlte er sich stark genug, um bei der alljährlich üblichen Konkurrenz in der Pariser Musikschule als Mitbewerber aufzutreten. Er gewann den zweiten und im folgenden Jahre den ersten der unter die Zöglinge des Instituts verteilten Preise. Seit 1831 machte sich Alard in Paris als Solospieler bekannt. Er fand den einstimmigen Beifall der Kenner und trat 1843 in Baillots Stelle bei dem Konservatorium, nachdem er bereits 1840 zum ersten Violinisten der königl. Kapelle ernannt worden war. 1858 wurde er erster Soloviolinist bei der kaiserl. Kapelle, deren Auflösung nach dem Sturze Napoleons erfolgte. 1875 zog sich Alard gänzlich ins Privatleben zurück und überließ seinen Platz am Konservatorium dem Geiger Maurin. Alard starb in Paris am 22. Februar 1888.

Außer einer Reihe von Violinkompositionen im modernen virtuosen Geschmacke gab der Künstler eine treffliche Violinschule heraus, die zunächst für den Lehrgang im Konservatorium berechnet war. Sie fand indes auch in anderen und auswärtigen Kreisen Eingang durch die Übersetzung ins Spanische, Italienische und Deutsche.

Erwähnenswert sind noch die zum Teil wertvollen Violinkompositionen des 18. Jahrhunderts, welche Alard unter dem Titel » Les maîtres classiques du violon« Mainz bei Schott. den Zeitgenossen in verdienstlicher Weise wieder zugänglich machte. Dieselben sind von ihm mit Bogenstrichen, Fingersätzen und Vortragszeichen, sowie mit einer Klavierbegleitung versehen worden. Die letztere entspricht jedoch in ihrer meist modernen und dabei musikalisch wenig eindringenden Fassung nicht sonderlich dem Stil der alten Meister. Dagegen hat diese Ausgabe den sehr wesentlichen Vorzug einer originalgetreuen Wiedergabe der Violinstimme.

Als Lehrer hat sich Alard für das französische Violinspiel bedeutende Verdienste erworben. Er bildete eine Reihe trefflicher Geiger, unter denen die Namen Garcin und Sarasate die bekanntesten sind.

Jules Auguste Garcin, mit seinem eigentlichen Namen Salomon, wurde am 11. Juli 1830 in Bourges geboren. Im 9. Lebensjahre kam er auf das Pariser Konservatorium, um zunächst sich in der Vorübungsklasse für den musikalischen Beruf vorzubereiten. 1843 wurde er Schüler Clavels im Violinspiel, und drei Jahre später übernahm seine Leitung Alard. Bazin und Adam waren seine Kompositionslehrer. Mehrfach mit Preisen gekrönt, verließ er das Konservatorium und trat 1856 ins Orchester der großen Oper. Seit 1871 bekleidete er an diesem Kunstinstitut das Amt eines Soloviolinisten und dritten Orchesterchefs. 1875 wurde er auch als Lehrer beim Konservatorium angestellt. 1881 wurde er zweiter und 1885 (bis 1892) als Nachfolger von Deldevez erster Dirigent der Konservatoriumskonzerte. Sein Tod erfolgte am 10. Oktober 1896 in Paris. Garcin hat verschiedene Kompositionen veröffentlicht, unter denen ein Violinkonzert besonders namhaft gemacht wird.

Bei weitem größere Berühmtheit als Garcein erlangte der Spanier Pablo Martin Meliton Sarasate y Ravascues, geb. am 10. März 1844 in Pampelona. Sarasate gehörte, wie fast alle in neuerer Zeit aus der französischen Schule hervorgegangenen Geiger, der virtuosen Richtung an. Denn obwohl er in sein Repertoire auch gediegene und sogar klassische Musikstücke aufgenommen hatte, die er mit musikalischem Verständnis und Geschmack darzustellen wußte, so lag nichtsdestoweniger doch der Schwerpunkt seiner Leistungsfähigkeit in dem brillanten Genre, wie denn auch sein Spiel mehr elegant als tief war.

Ein Hauptreiz der Leistungen Sarasates beruhte neben der technisch vollendeten Durchbildung des rechten Armes und der linken Hand in dem äußerst reinen, geklärten und einschmeichelnd süßen Ton, welcher ihm gleichmäßig bis in die höchsten Lagen des Griffbrettes zu Gebote stand. Als Gegensatz dazu hätte ab und zu eine etwas kräftigere, energischere Behandlung des Instrumentes wohlgetan. Sarasates Art die Geige zu behandeln hatte, ohne doch empfindsam zu werden, etwas weiblich Zartes und graziös Anschmiegendes. In dieser Richtung war sein Spiel aber ohne Frage als eine höchst vollendete Stufe der ausübenden Kunst zu bezeichnen.

Frühzeitig für seinen Beruf wohlvorbereitet, wurde ihm, nachdem er sich bereits im zehnjährigen Alter am Madrider Hofe hatte hören lassen und infolgedessen von der Königin Isabella mit einer prachtvollen Stradivarigeige beschenkt worden war, die Gelegenheit zuteil, auf dem Pariser Konservatorium Alards Schüler zu werden (1856-1859). 1857 erhielt er den ersten Preis und begab sich dann auf Kunstreisen, zunächst nach Spanien und weiterhin nach Amerika. Von dort zurückgekehrt, besuchte er nach und nach die europäischen Länder. Überall errang er glänzende Erfolge, insbesondere auch in Deutschland, wohin er zuerst im Jahre 1876 kam. Sarasate war Ehrenprofessor des Madrider Konservatoriums.

Der Künstler starb, weltberühmt und bis zuletzt mit Erfolgen überhäuft, in Biarritz am 21. September 1908, 64 Jahre alt.

Ein Landsmann Sarasates ist der im Laufe der letzten Jahre zu schneller Berühmtheit gelangte Joan Manén, der nach allen Berichten zu den hervorragendsten Virtuosen der Gegenwart zählt. Der noch jugendliche Künstler scheint auch in der Art seines künstlerischen Naturells Ähnlichkeit mit Sarasate zu besitzen, da er vielfach seitens der Kritik als sein geistiger Nachfolger bezeichnet worden ist. Schönheit und Süßigkeit des Tones, eminente technische Durchbildung, Eleganz und Anmut des Vortrages werden ihm nachgerühmt, mit besonderer Betonung des virtuosen Elements. Jedenfalls besitzt er die speziell südländischen oder romanischen Vorzüge in hohem Maße. Auch als Komponist war Manén bereits tätig, mehrere Werke für Violine und Orchester, sowie zwei Opern, »Jeanne de Naples« und »Acté« sind in die Öffentlichkeit gelangt, letztere Oper wurde in Dresden und Köln mit Erfolg aufgeführt.

Manén wurde am 14. März 1883 als Sohn eines Kaufmanns in Barcelona geboren. Schon mit dreieinhalb Jahren erhielt er von seinem musikalisch gebildeten Vater den ersten Unterricht im Violin- und auch Klavierspiel. Nachdem, bei schnellen Fortschritten auf beiden Instrumenten, die Entscheidung zugunsten der Geige gefallen war, studierte der Knabe kurze Zeit bei einem Schüler von Alard, Elemente Ibarguren, unternahm aber bald als Wunderkind ausgedehnte Reisen und bildete sich durch Selbststudium und die Berührung mit hervorragenden Geigern auf eigene Hand weiter. Auf seinen neuerlichen Konzertreisen durch Deutschland, Osterreich-Ungarn, Rußland usw. erzielte der Künstler außerordentliche Erfolge. Der König von Spanien verlieh ihm jüngst das Großkreuz Karl III. und die Academia de las bellas artes in Valencia den Titel Professor.

Wir kehren zu Habenecks Schülern zurück und nennen weiter François Hubert Prume, geb. am 3. Juni 1816 in dem belgischen Orte Stavelot bei Lüttich. Er zeigte frühzeitig Talent zur Violine und war Habenecks Schüler im Pariser Konservatorium. Einen Wirkungskreis fand er 1833 als Lehrer des Violinspiels an der Musikschule zu Lüttich. 1839 machte er eine Kunstreise durch Deutschland. Zehn Jahre später starb er am 14. Juli in seiner Vaterstadt. Von seinen Kompositionen, die ohne jeden Kunstwert sind, war die sogenannte » Melancolie«, ein süßlich fades Virtuosenstück, eine Zeitlang beliebt. Sein Spiel war glatt und elegant, doch weichlich sentimental.

Unter den von ihm gebildeten Talenten wären hervorzuheben Dupont und Dupuis.

Joseph Dupont wurde in Lüttich am 21. August 1821 geboren, empfing seine Ausbildung auf dem dortigen Konservatorium zunächst durch Wanson und dann durch Prume. Sein Talent entwickelte sich so rasch, daß er, kaum 17 Jahre alt, als Lehrer des Violinspiels bei der Anstalt verwendet werden konnte, in welcher er selbst seine Studien gemacht hatte. Es existieren auch einige Kompositionen von ihm. Er starb im kräftigsten Lebensalter am 13. Februar 1861 in seiner Vaterstadt.

Jacques Dupuis, einer der besten Vertreter der belgischen Violinschule in neuerer Zeit, geb. in Lüttich am 21. Oktober 1830, trat mit neun Jahren in das dortige Musikinstitut und wurde, nachdem er wiederholt durch Verleihung von Preisen ausgezeichnet worden, 1850 gleichfalls zum Lehrer bei der Musikschule seiner Vaterstadt angestellt. Leider ereilte ihn der Tod schon im noch nicht vollendeten vierzigsten Lebensjahre am 20. Juni 1870, was um so mehr bedauert werden darf, als er durch seine gediegene Richtung bei längerem Wirken viel für die Verbreitung guter Musik in seinem Vaterlande hätte tun können. Von seinen Kompositionen, die als wertvoll bezeichnet werden, ist nur wenig gedruckt.

Der letzte der von Habenecks Zöglingen zu betrachtenden Meister endlich, Hubert Léonard, geb. 7. April 1819 zu Bellaire in Belgien, gest. am 6. Mai 1890 zu Paris, erlernte die Elemente des Violinspiels bei einem gewissen Rouma in Lüttich. 1836 ging er nach Paris, um in der dortigen Musikschule Habenecks Schüler zu werden. Sein Aufenthalt daselbst währte bis 1844, doch hatte er bereits 1839 das Konservatorium verlassen. Sodann begab er sich auf Kunstreisen, die seinen Namen vorteilhaft bekannt machten. 1848 übernahm er an Bériots Stelle den Violinunterricht am Konservatorium zu Brüssel. Gesundheitsrücksichten bestimmten ihn, diesen Wirkungskreis 1867 aufzugeben. Er lebte seitdem als Privatmann in Paris, wo er als Lehrer geschätzt war.

Léonard gehörte zu den besten Violinspielern der französisch -belgischen Schule. Zwar fällte der Verfasser, der ihn in den vierziger Jahren im Leipziger Gewandhaus hörte, das Urteil über ihn, daß seinen Leistungen bei vorzüglicher technischer Beherrschung und großer Sauberkeit der Intonation, sowie lebhaftem Temperament, Vertiefung und innere Wärme gefehlt habe. Doch hat Léonard in dieser Hinsicht später noch eine erhebliche Entwicklung durchgemacht, da Henri Marteau, der neun Jahre lang seinen Unterricht und musikalischen Umgang genoß, mitteilt, daß er während dieser Zeit immer wieder seine warmen und tiefen Interpretationen zu bewundern Gelegenheit hatte. Auch trat der Künstler mit Warme für neuere ernste Werke in Paris ein, beispielsweise für diejenigen von Brahms und César Frank. Ein weiteres Verdienst erwarb er sich durch die Herausgabe einer Reihe älterer Violinwerke im Originalsatz. Nebst einigen Etüdenwerken gab er auch eine Violinschule in Druck.

Von den zahlreichen Schülern Leonards führen wir an Taborowski, Besekirsky, Marsick, C. Thomson, Musin, P. Viardot, Nachéz, Marteau und Dangremont.

Stanislav Taborowski, geb. 1830 zu Krzemienica in der Provinz Wolhynien, verlebte seine Jugend in Odessa, wohin seine Eltern ihren Wohnsitz verlegt hatten. Neben dem Schulbesuch beschäftigte Taborowski sich seit frühen Jahren mit Musik. Doch scheint es, daß er sie nicht zum Lebensberuf zu machen beabsichtigte, da er die Petersburger Universität besuchte. Indessen dort entschied sich sein Geschick zugunsten der Kunst. 1853 trat er in der russischen Hauptstadt als Solospieler auf, und als dieses Debüt von Erfolg begleitet gewesen, unternahm er eine Kunstreise durch Polen und das südliche Rußland. Weiterhin studierte er noch drei Jahre hindurch auf dem Brüsseler Konservatorium unter Léonards Leitung. Von dort zurückgekehrt, war er zunächst in Petersburg und dann in Moskau tätig. Näheres über ihn ist nicht bekannt.

Wassili Wassiljewitsch Besekirsky, geb. 1835 zu Moskau, erhielt seine Ausbildung soweit bekannt daselbst. 1850 wurde er bei der ersten Geige ins Opernorchester seiner Vaterstadt eingereiht. Acht Jahre später genoß er noch zwei Jahre Leonards Unterweisung in Brüssel. 1860 trat er wiederum, nachdem seine Leistungen in Brüssel und Paris warme Anerkennung gefunden, als Konzertmeister in die Moskauer Opernkapelle. Seitdem ließ er sich vielfach öffentlich als Solospieler hören und unternahm auch Kunstreisen. Wiederholt trat er mit günstigem Erfolg im Leipziger Gewandhauskonzert auf.

Besekirsky verließ seine Stellung als Konzertmeister der Moskauer kaiserl. Oper im Jahre 1890. Weiterhin bekleidete er noch die Violinprofessur an der Philharmonischen Gesellschaft bis zum Jahre 1902. Im folgenden Jahre siedelte er nach St. Petersburg über, wo er in der Musikschule E. Rap-hoph als Leiter der Violin- und Kammermusikklasse sowie privater Lehrtätigkeit trotz seines Alters noch jetzt in großer Rüstigkeit wirkt. Am 14. März 1910 konnte der verdiente Künstler das seltene Jubiläum einer 60jährigen künstlerischen und pädagogischen Laufbahn begehen, das von zahlreichen ehrenden Kundgebungen begleitet war. Besekirsky veröffentlichte Kompositionen und Bearbeitungen für sein Instrument, von denen die des ersten Paganinischen Konzertes (bei Schott) in vielen Konservatorien eingeführt ist. Unter seinen Schülern nennen wir seinen Sohn, gleichfalls

Wassili Wassiljewitsch Besekirsky, der als begabter Virtuose bezeichnet wird. Er war im Hoforchester in Peterhof angestellt, lebt jedoch zurzeit in Odessa als Leiter der Violinklasse an der dortigen kaiserl. Musikschule. Nähere Nachrichten über ihn fehlen.

Ein weiterer Schüler von Besekirsky ist Grigorowitsch. Da dieser aber außer Besekirskys Unterricht noch den verschiedener Meister genoß, wird er an anderer Stelle besprochen werden.

Martin Pierre Joseph Marsick, geb. 9. März 1848 zu Jupille bei Lüttich, gab schon frühzeitig Beweise ungewöhnlicher Anlagen, wodurch sein Vater bestimmt wurde, mit ihm im Alter von sieben Jahren musikalische Übungen zu beginnen. Sein Talent entwickelte sich so schnell, daß man beschloß, ihn in der Musikschule seiner Vaterstadt zum Künstler ausbilden zu lassen. Zehn Jahre alt, wurde ihm der erste Preis der theoretischen Vorbildungsklasse dieser Anstalt zuerkannt. Im folgenden Jahr begann er das Violinspiel, und schon 1864 erkannte man ihm die große goldene Medaille zu. Neben dem Violinspiel zeichnete sich Marsick auch im Klavier- und Orgelspiel aus. Zum öfteren vertrat er den Organisten der Kathedrale in seinem Dienst. Weiterhin begab er sich nach Brüssel, um dort von 1865-1867 unter Léonards und Kufferaths Leitung seine Studien im Violinspiel und in der Komposition zu fördern. 1868 wandte er sich nach Paris. In das dortige Konservatorium aufgenommen, wurde er noch für ein Jahr Massarts Schüler. Nachdem er sich mit glänzendem Erfolg an dem Konkurrenzspiel seiner Klasse beteiligt hatte, kehrte er nach Brüssel zurück und erhielt von der belgischen Regierung ein Stipendium, welches er dazu benutzte, um unter Joachims Leitung seinem Spiel die letzte Vollendung zu geben (1870-1871).

Vom Jahr 1873 ab trat Marsick in die Reihe der ausgezeichneten Geiger unserer Gegenwart. Er führte sich zu jener Zeit mit Vieuxtemps' viertem Konzert in den Pariser populären Konzerten auf so vorteilhafte Weise ein, daß der anwesende Komponist dieses Musikstückes sich veranlaßt sah, ihn durch die ehrendste Anerkennung auszuzeichnen. Seitdem bereiste er mit Glück Frankreich, Belgien, Deutschland, England usw. und erwarb sich dadurch den Ruf eines der vorzüglichsten aus der belgisch-französischen Schule hervorgegangenen Violinvirtuosen. 1892 wurde er Violinprofessor am Pariser Konservatorium.

An Kompositionen gab Marsick drei Konzerte, mehrere Solostücke für Violine und Klavier sowie Lieder für eine Singstimme heraus.

Marsick gebietet über eine außerordentlich durchgebildete virtuose Technik. Sein Spiel ist energisch, temperamentvoll, spirituell und im Allegro von schwungvoll schlagfertiger Bravour.

Ein Schüler von ihm ist Robert Poselt, der 1873 zu Neu-Sandec bei Krakau geboren wurde und als tüchtiger Violinvirtuose genannt wird. Er war zuerst Schüler des Konservatoriums in Lemberg und Ondriczeks in Prag, sodann vollendete er seine Ausbildung unter Garcin und Marsick in Paris. Weitere Nachrichten über ihn fehlen.

Ein weiterer Schüler Marsicks ist

Carl Flesch, der unter den jüngeren Vertretern seines Instruments eine hervorragende Stellung einnimmt. Am 9. Oktober 1873 zu Moson in Ungarn geboren, begann er schon als sechsjähriges Kind Geige zu lernen. Im Jahre 1883 kam er nach Wien, um das Gymnasium zu besuchen, und wurde 1886 Schüler Grüns am Wiener Konservatorium, das er nach drei Jahren wieder verließ, um in Paris seine definitive künstlerische Ausbildung zu erhalten. Am dortigen Konservatorium war er von 1890 ab zunächst Schüler Sauzays, sodann Marsicks, der sein eigentlicher Meister wurde. 1894 errang er den ersten Preis und begann im folgenden Jahre die Konzertlaufbahn. Speziell lenkte er durch drei in Berlin 1896 gegebene sehr erfolgreiche Konzerte die Aufmerksamkeit auf sich.

Demnächst verbrachte der Künstler fünf Jahre in Bukarest als Violinlehrer am königl. rumänischen Konservatorium, wo er auch die Leitung des Streichquartettes der Königin übernahm. 1902 verließ er, zum Kammervirtuosen ernannt, diese Stellung und begab sich noch einem erfolgreichen Konzertwinter 1903 nach Amsterdam, um an Stelle von Bram Eldering als Lehrer seines Instruments am dortigen Konservatorium tätig zu sein. Doch entschloß er sich bei wachsendem Rufe, diese Stellung aufzugeben und siedelte im Jahre 1908 nach Berlin über, wo er jetzt lebt.

An dem Spiel des Künstlers wird sehr bedeutende, schlackenfreie Technik, Eleganz und geschmackvolle Auffassung im Sinne der Pariser Schule gerühmt. Ein originelles und dankenswertes Unternehmen Fleschs war die in Berlin vor einigen Jahren (1905) veranstaltete Serie von fünf Geigenabenden, in denen er eine Übersicht über die Entwicklung der Violinliteratur von Corelli und F. M. Veracini bis zu Schillings und Reger gab. – Diese verdienstliche Vorführung erregte allseitiges lebhaftes Interesse bei Fachleuten (darunter Joachim) und Publikum und hat viel dazu beigetragen, den Namen des Künstlers vorteilhaft bekannt zu machen Vgl. den Anhang!.

Auch der bedeutende Violinist Jacques Thibaud sei schließlich an dieser Stelle als Schüler Marsicks wenigstens genannt, da ausführlichere Nachrichten über ihn zurzeit fehlen.

César Thomson, geb. am 18. März 1857 zu Lüttich, erhielt die erste Anleitung im Violinspiel von seinem Vater, einem skandinavischen Musiker. Dann besuchte er das Konservatorium seiner Geburtsstadt und wurde in demselben zunächst Jacques Dupuis' Schüler. Nach dessen Tode übernahm Léonard seine weitere Leitung. Mit zwölf Jahren verließ er, durch Verleihung der goldenen Preismedaille ausgezeichnet, die Anstalt, der er seine Ausbildung zu verdanken hatte. In seinem 17. Jahre fand Thomson ein Engagement als Sologeiger und Konzertmeister der Privatkapelle des russischen Barons v. Dervies in Nizza. 1874 übernahm er das Konzertmeisteramt bei dem Bilseschen Orchester in Berlin, und 1883 wurde er durch königl. Dekret zum dritten Lehrer des Violinspiels am Lütticher Konservatorium ernannt, wo er, zuletzt in der Stellung des ersten Violinprofessors, bis 1897 tätig war. Im folgenden Jahre wurde er in gleicher Eigenschaft nach Brüssel berufen. Zahlreiche Konzertreisen durch ganz Europa und in Amerika haben seinen Ruf weit ausgebreitet. Auch gab er Violinkompositionen virtuosen Charakters, sowie Etüden, ferner Bearbeitungen alter italienischer Violinmusik und Arrangements für Violine heraus.

Thomson gehört zu den namhaftesten Geigenvirtuosen der Gegenwart. Als solcher erfreut er sich bedeutender Anerkennung. An seinem Spiel ist eine seltene Beherrschung des Griffbretts und Bogens sowie schöner Ton, künstlerischer Geschmack und edle Empfindung zu rühmen. Ganz besonders exzelliert er im Oktavenspiel.

Thomsons Nachfolger als erster Violinprofessor am Lütticher Konservatorium ist Ovide Musin, der als ausgezeichneter Violinist gerühmt wird. Auch über ihn kann hier nur mitgeteilt werden, daß er am 22. September 1854 in Nandrin bei Lüttich geboren wurde und Léonards Schüler war. Längere Zeit hielt er sich in Amerika auf, wo er eines bedeutenden Rufes genießt.

Paul Viardot, dessen Vater Schriftsteller und dessen Mutter die berühmte Sängerin Pauline Viardot-Garcia war, wurde am 20. Juli 1857 in Schloß Courtavenel bei Paris geboren. Nachdem er durch seinen Vetter Léonard eine treffliche violinistische Ausbildung erhalten hatte, trat er zum ersten Male 1875 im Konzert Pasdeloup mit vorzüglichem Erfolge auf. Er war weiterhin Konzertmeister verschiedener Orchester, so an der Pariser Oper, den Concerts populaires in Lille, den Concerts classiques in Marseille usw. Als Solist hat er ausgedehnte Konzertreisen in Europa, aber auch Amerika, Transvaal usw. unternommen, teils allein, teils in Gesellschaft mit Rubinstein, Saint-Saëns, Pugno und anderen Künstlern.

Viardot ist auch kompositorisch sowie schriftstellerisch tätig. Außer Violinmusik und Kammermusik hat er mehrere Suiten und symphonische Dichtungen für Orchester geschaffen, ferner eine Musikgeschichte Skandinaviens und andere Werke. Der Künstler ist Professor und Mitglied des Komitees für die Prüfungen und Wettbewerbe am Pariser Konservatorium.

Tivadar Nachéz, mit seinem eigentlichen Namen Theodor Naschitz, ist am 1. Mai 1859 in Pest geboren. Frühzeitig gab sich seine große Begabung für die Geige zu erkennen und zugleich das Verlangen, der Kunst angehören zu wollen. Lange zögerten indessen die Eltern mit ihrer Zustimmung, da häufige Kränklichkeit des Knaben die Besorgnis erregte, daß das Kunststudium ihn zu sehr angreifen würde. Einstweilen besuchte er also das Gymnasium seiner Vaterstadt und trieb nebenbei das Violinspiel unter Leitung des aus der Schule Mildners in Prag hervorgegangenen Konzertmeisters Sabatil in Pest. Seine Wünsche wurden jedoch dadurch nur dringlicher. Heimlich wußte er sich Atteste über seine Befähigung zum künstlerischen Beruf von Franz Liszt und Robert Volkmann zu verschaffen, auf Grund deren ihm ein Staatsstipendium zum Studium gewährt wurde. Nun bezog er im Einverständnis mit seinen Eltern die Berliner Hochschule und wurde dort Joachims Schüler. Die ausgesprochene Vorliebe für das virtuose Element veranlaßte ihn aber drei Jahre später, Berlin mit Paris zu vertauschen, wo er sich der Leitung Léonards anvertraute. Nach mehrjährigem Aufenthalt in der französischen Hauptstadt wählte Nachéz London zu seinem Wohnort, von dem aus er erfolgreiche Kunstreisen durch Deutschland, Holland, die Schweiz, Schweden, Rußland und Frankreich unternahm. Der exklusive virtuose Standpunkt, dem er sich ergeben, ist aus seinen von ihm veröffentlichten » Danses Tziganes« zu ersehen. Innerhalb der von ihm verfolgten Richtung wird aber Nachéz, dem eine hochentwickelte Technik eigen ist, als einer der renommiertesten Geigenvirtuosen unserer Gegenwart bezeichnet.

Henri Marteau, der gleichfalls ein Schüler Léonards ist, hat uns gemäß der Bedeutung, die er für das deutsche Violinspiel als Nachfolger Joachims auf dem Lehrstuhl für Violine an der Berliner Hochschule erlangt hat, bereits früher beschäftigt Siehe S. 531 ff..

Der Wunderknabe Maurice Dangremont endlich, welcher gegen Ende der sechziger Jahre in Rio de Janeiro geboren wurde, erhielt seine Ausbildung ebenfalls privatim von Léonard. Sein weiteres Schicksal war, gleich dem vieler Wunderkinder, ein trauriges, da angegeben wird, daß er, geistig und körperlich verkümmert, im September 1893 zu Buenos-Ayres gestorben ist.

 

Wir kehren nunmehr zu den Schülern Baillots zurück. Der dritte derselben ist

Johann Nepomuk Wanski, der Sohn des 1762 geborenen und zu Anfang des 19. Jahrhunderts in Posen verstorbenen polnischen Violinisten und Komponisten Wanski. Er bildete sich in Kalisch und Warschau im Violinspiel aus und vollendete seine Studien unter Baillot in Paris. Seine Leistungen verschafften ihm auf mannigfachen Reisen in Spanien, Frankreich und Italien mehr Anerkennung als materiellen Gewinn; denn als er in St. Gallen schwer erkrankte, mußte er die Unterstützung seines Landsmannes, des Grafen Sobanski, in Anspruch nehmen, welcher ihm Unterkunft in dem Krankenhause zu Winterthur verschaffte. Nachdem er dort einen Winter hindurch verpflegt worden war, rieten ihm die Ärzte, seinen Aufenthalt im südlichen Frankreich zu nehmen. Er wählte infolgedessen 1839 Aix in der Provence zu seinem Wohnort. Von da ab widmete sich Wanski ausschließlich dem Unterrichte und der Komposition. Sein Todesjahr ist unbekannt. Geboren wurde er um die Zeit des Ablebens seines Vaters.

Wanski hat eine Reihe von Violinwerken geschrieben, welche teils der Salonmusik angehören und teils für Unterrichtszwecke verfaßt wurden. Unter den letzteren befindet sich eine » Grande Méthode de Violon« und eine » Petite Méthode de Violon pour les Commençants«.

Des weiteren nimmt unser Interesse in Anspruch

Jacques Féréol Mazas, geb. am 23. September 1782 in Béziers. Er war seit 1802 Zögling des Konservatoriums und verließ dasselbe 1805 unter Zuerkennung des ersten Preises. Einen Wirkungskreis fand er zunächst im Orchester der italienischen Oper. 1811 gab er diese Stellung auf, um Kunstreisen zu machen, die ihn nach Spanien, England, Holland und Belgien führten. 1822 war er in Italien, sodann besuchte er Deutschland und Rußland. Bei seiner 1829 erfolgten Rückkehr nach Paris fand man, daß sein Leistungsvermögen als Konzertspieler sich vermindert hatte. 1831 übernahm er die Funktionen eines ersten Geigers am Theater des Palais Royal; hierauf war er als Musikdirektor in Orléans tätig. Schließlich trat er 1837 an die Spitze des Musikinstituts zu Cambrai. Doch auch diese Stellung gab er bereits 1841 wieder auf. Er starb 1849.

Mazas hat viel für die Violine und Bratsche komponiert, auch Schulen für beide Instrumente sowie treffliche Violinetüden geschrieben. Seine Violinduetten waren ehedem in dilettantischen Kreisen sehr beliebt.

Pierre Auguste Louis Blondeau, in Paris am 15. August 1784 geboren, wurde mit dem 16. Lebensjahre Schüler Baillots im Konservatorium und genoß zugleich den Kompositionsunterricht Gossecs und Méhuls. 1808 erhielt er das große Reisestipendium für Rom. Nach Paris zurückgekehrt, trat Blondeau als Bratschist in das Orchester der großen Oper. 1842 zog er sich von dieser Tätigkeit zurück, um sich der Komposition und Musikschriftstellerei zu widmen. Er veröffentlichte im Laufe der Zeit eine große Zahl verschiedenartiger Werke, darunter Opern und Kirchenmusiken. Im Jahre 1856 starb er.

Nicolas Lambert Wéry, geb. am 9. Mai 1789 in dem belgischen Orte Huy, begann das Violinspiel mit elf Jahren und ließ sich, nachdem er zu ansehnlicher Fertigkeit gelangt war, in Sedan nieder, von wo er alljährlich für einige Zeit nach Paris reiste, um Baillots Unterricht teilhaftig zu werden. 1822 nahm er seinen Aufenthalt in Frankreichs Hauptstadt, leitete die Liebhaberkonzerte in »Vauxhall«, wandte sich aber nach Verlauf eines Jahres nach Brüssel, wo er als erster Violinist des Königs der Niederlande Anstellung fand. Als die Trennung Belgiens von Holland infolge der politischen Ereignisse von 1830 vor sich ging, wurde Wéry zum Lehrer des Violinspiels an dem neugegründeten Brüsseler Konservatorium ernannt. Diese Stellung bekleidete er bis 1860. In diesem Jahre pensioniert, verstarb er in Baude (Luxemburg) am 6. Oktober 1867. In Paris und Brüssel veröffentlichte er mehrere Violinkompositionen, darunter drei Konzerte. Von seinen Schülern machten sich bekannt Singelée, Dubois und Collyns.

Jean Baptiste Singelée, geb. 25. September 1812 zu Brüssel, wurde 1828 in der königl. Musikakademie seiner Vaterstadt Wérys Schüler. Nachdem er seine Studien beendet hatte, war er zeitweise in Paris tätig und fand dann bei der ersten Geige im königl. Theater Anstellung. Im Herbst des Jahres 1839 wurde er Meerts Nachfolger als Soloviolinist bei dem Brüsseler Orchester. 1852 übernahm er das Amt des Orchesterchefs in Gent. Singelée veröffentlichte zwei Violinkonzerte und eine größere Anzahl von Salonkompositionen für die Violine. Er starb am 29. September 1875 in Ostende.

Amadée Dubois, geb. 17. Juli 1818 zu Tournay, besuchte von 1836-1838 das Brüsseler Konservatorium, in welchem er Wéry zum Lehrer hatte. Nachdem er sich weiterhin einige Zeit in Paris aufgehalten hatte, bereiste er konzertierend das nördliche Frankreich und Holland. Eine dauernde Stellung fand er als Direktor der städtischen Musikschule seiner Vaterstadt. In Paris ließ er einige seiner Violinkompositionen erscheinen.

Zu den mit Auszeichnung genannten belgischen Geigern der Gegenwart gehört Collyns.

Jean Baptiste Collyns, geb. 25. November 1834 zu Brüssel, empfing seine Ausbildung am dortigen Konservatorium, welchem er seit dem Juni 1863 als geschätzter Lehrer des Violinspiels angehört. Seine Studien machte er speziell unter Wérys Leitung. Collyns wird als vorzüglicher Violinist gerühmt, dem außerdem ein ungewöhnliches Lehrtalent eigen ist. Seit 1888 wirkt er auch am Konservatorium zu Antwerpen.

Jean Baptiste Charles Dancla, geb. zu Bagnères de Bigorre am 19. Dezember 1818, gehört zu den angesehensten französischen Violinisten in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts. Mit zehn Jahren spielte er das 7. Konzert von Rode in Gegenwart des genannten Violinmeisters, welcher von der Leistung des Knaben überrascht dessen sofortige Aufnahme ins Pariser Konservatorium veranlaßte. Hier wurde Dancla zunächst der Klasse Guérins zuerteilt, worauf nach einiger Zeit Baillot seine Leitung übernahm. Den theoretischen Unterricht erhielt er von Halévy und Berton. Dancla, der bereits 1837 als zweiter Soloviolinist ins Orchester der Opéra comique trat, zeichnete sich weiterhin als Geiger so vorteilhaft aus, daß ihm im Frühjahr 1857 das Lehramt am Pariser Konservatorium übertragen wurde. Im Laufe der Zeit veröffentlichte er eine beträchtliche Zahl von Violinkompositionen und Kammermusikwerken, sowie eine Violinschule. – Sein jüngster Bruder, mit Vornamen Leopold, geb. 1. Juli 1823 in Bagnères de Bigerre, gest. am 29. März 1895 in Paris als Professor am Konservatorium, bildete sich gleichfalls auf dem Pariser Konservatorium unter Baillots Leitung zu einem tüchtigen Violinisten aus. Auch gab er einige Violinkompositionen und außerdem drei Streichquartette heraus.

Ein Schüler Danclas und sein Nachfolger am Pariser Konservatorium ist Edouard Nadaud, der im Paris am 14. April 1862 geboren wurde. Den ersten Unterricht erteilte ihm sein Vater. Schon mit sechs Jahren trat der Kleine öffentlich auf, 1873 begann er das Pariser Konservatorium zu besuchen, welches er 1880 mit dem ersten Violinpreise verließ.

Nadaud wirkte weiterhin in Paris teils solistisch, so im Konzert Pasdeloup, Konzert Lamoureux und den Konservatoriumskonzerten, wo er auch die zweite Konzertmeisterstelle eine Zeitlang bekleidete, teils als geschätzter Kammermusikspieler im Verein mit einer Reihe bedeutender Pianisten, wie Rubinstein, Diémer, Pugno usw. Weiterhin widmete er sich hauptsächlich der pädagogischen Tätigkeit und hat auch verschiedenes hiermit im Zusammenhange Stehende veröffentlicht, so Locatellis im ersten Teile dieses Buches besprochene Capricci neu herausgegeben. Nadaud lebt in Paris, wo er Sekretär und Ehrenmitglied der Gesellschaft der Konservatoriumskonzerte und Inhaber mehrerer ähnlicher Ehrenämter ist. Außerdem bekleidet er, wie schon erwähnt wurde, eine Violinprofessur am Pariser Konservatorium.

 

Mit Dancla schließt sich die Reihe der Schüler von Kreutzer und Baillot. Der dritte Begründer der Pariser Schule, Rode, bildete nur wenige Künstler. Von ihnen hat der Lehrer Joachims, Böhm, bereits früher Erwähnung gefunden. Als ein weiterer Schüler Rodes und als eine sehr bedeutende und ungemein begabte Künstlernatur ist

Eduard Rietz, Bruder des ehemaligen verdienten Kapellmeisters Julius Rietz in Dresden, geboren am 17. Oktober 1802 in Berlin, zu bezeichnen. Der Vater, Johann Friedrich Rietz, war königl. Kammermusikus. Bei ihm erlernte er die Elemente des Violinspiels. Die höhere Ausbildung erhielt er durch Rode während dessen mehrjährigen Berliner Aufenthalts. Rietz war nicht nur ein Violinspieler von gediegenster Richtung, der in seinen Leistungen vollendete technische Beherrschung mit geistvoller, tiefempfundener Darstellung zu vereinigen wußte, sondern auch ein vortrefflicher Tenorsänger und als solcher Mitglied der Singakademie. Ein Nervenleiden verhinderte ihn in seinen späteren Lebensjahren, das Violinspiel regelmäßig fortzusetzen. Dies und das Bedürfnis nach unabhängigem künstlerischem Wirken gab Veranlassung zu seinem Ausscheiden aus dem königl. Kapellinstitut, welchem er bis 1824 angehörte. Einen neuen Wirkungskreis gründete er sich durch Stiftung einer der Pflege des Orchesterspiels gewidmeten »Philharmonischen Gesellschaft«, deren Dirigent er war. Die Leistungen derselben hob er bald so weit, daß sie zur Mitwirkung bei den Aufführungen der Singakademie herangezogen werden konnte. Doch blieb ihm die Freude, seine Schöpfung gedeihen zu sehen, nicht lange gewährt, da er schon am 23. Januar 1832 an der Auszehrung starb.

Eduard Rietz war innig mit Felix Mendelssohn befreundet, der ihm als Zeichen besonderer Zuneigung und Hochschätzung sein Oktett für Streichinstrumente widmete.

Begabte Schüler dieses Künstlers waren Johann Remmers und Karl Mathias Kudelski. Der erstere, geb. 12. Januar 1805 in Jever, war der Sohn des dortigen Stadtmusikus. Durch seinen Vater für den Künstlerberuf vorbereitet, begab er sich, nachdem ihn Rietz unterrichtet, noch nach Paris, um seine Studien zu vollenden. Er lebte als kaiserl. Kammermusikus lange in Petersburg, war aber in seinen letzten Lebensjahren meist auf Reisen. Am 28. Januar 1847 starb er im Haag.

Karl Mathias Kudelski, geboren am 17. November 1805 in Berlin, hatte nach Rietz noch Lafont in Paris zum Lehrer. In der Komposition unterrichtete ihn Urban. Nachdem er im Königstädter Theater längere Zeit mitgewirkt hatte, ging er 1830 nach Dorpat, um zunächst als Quartettspieler tätig zu sein, von 1839 ab aber als Dirigent der Kapelle eines russischen Fürsten vorzustehen. 1841 wurde er Konzertmeister am kaiserl. Theater in Petersburg, erwarb sich durch diese Thätigkeit eine Pension und lebte seit 1851 in Baden-Baden, wo er auch am 3. Oktober 1877 starb. Kudelski hat mannigfache Violinkompositionen veröffentlicht.

Als weitere bedeutende, der Pariser Schule angehörige Violinisten jüngeren Datums nennen wir an dieser Stelle noch Armingaud, Lalo, Lamoureux, Colonne, Rivarde, G. Rémy und Lefort.

Jules Armingaud, der am 3. Mai 1820 zu Bayonne geboren wurde und dort seine Ausbildung genoß, kam mit 19 Jahren als fertiger Künstler nach Paris, um noch das Konservatorium zu besuchen, auf dem er indes des angeführten ehrenden Umstandes willen keine Aufnahme finden konnte. Er machte sich sodann dort, abgesehen von seiner Mitwirkung im Orchester der großen Oper, hauptsächlich durch die Begründung eines Streichquartetts bekannt, dessen Führung er übernahm. Dasselbe entstand zu Anfang der fünfziger Jahre und genoß außerordentliche Anerkennung durch die Trefflichkeit des fein durchgebildeten Ensembles. Später wurde dieser Quartettverein durch Hinzuziehung von Blasinstrumenten zur » Societé classique« umgewandelt. Armingauds Spiel wird als tonschön, gediegen und graziös gerühmt. Weitere Nachrichten über ihn fehlen.

Edouard Lalo, ein Zögling des Konservatoriums zu Lille, wurde daselbst am 27. Januar 1823 geboren. Nach Absolvierung der Studien wählte er Paris zu seinem Aufenthaltsort und trat als Bratschist in das oben erwähnte, von Armingaud mit Léon Jacquard und Mas gemeinschaftlich unternommene Quartett. Seine Haupttätigkeit widmete er aber der Komposition. Unter seinen zahlreichen Orchester-, Kammermusik- und Gesangswerken, die sich in Frankreich bedeutender Anerkennung erfreuen, seien hier nur seine zwei Violinkonzerte genannt, von denen eines den Titel » Symphonie espagnole« führt. Lalo starb am 22. April 1892 in Paris.

Charles Lamoureux, geb. 28. September 1834 zu Bordeaux, empfing den ersten Violinunterricht von einem Musiker seiner Vaterstadt, namens Beaudoin, und besuchte hierauf von 1850-53 das Pariser Konservatorium. Eine Zeitlang war er dann erster Violinist im Orchester des Theaters »Gymnase« und in der Folge auch bei der großen Oper. Doch vertauschte er, nachdem er sich noch mit Colonne, Adam und Rignault zu beifällig aufgenommenen Kammermusiksoireen verbunden hatte, den Violinbogen mit dem Dirigentenstabe. Er erwarb sich das Verdienst für Paris, einen Verein » Harmonie sacrée« zu gründen (1873), von welchem unter seiner Leitung mehrfach große oratorische Werke deutscher Meister zur Aufführung gebracht wurden, ein Unternehmen, durch welches Lamoureux in anerkennenswerter Weise eine fühlbare Lücke des Musiklebens der französischen Hauptstadt ausfüllte. Von 1878 an war Lamoureux auch erster Dirigent der großen Oper. 1881 begründete er die nach ihm genannten und rühmlichst bekannten » Concerts Lamoureux«, die er selbst bis zum Jahre 1897 leitete. Sein Todesjahr ist unbekannt.

Der soeben genannte Colonne, mit Vornamen Edouard, bildete sich ursprünglich gleichfalls zum Geiger im Pariser Konservatorium aus, ging aber später, gleich seinem Kunstgenossen Lamoureux, zum Direktionsfach über und begründete 1874 das » Concert du Châtelet«, welches lange Jahre unter seiner artistischen Leitung stand. Er wurde am 23. Juli 1838 in Bordeaux geboren; das Datum seines Todes kann nicht mitgeteilt werden.

Über Achille Rivarde fehlen derzeit nähere Nachrichten, desgleichen über Rémy und Lefort.


Die überwiegend äußerliche, in der virtuosen Tendenz beruhende Richtung, welche das neuere französische Violinspiel im allgemeinen erkennen läßt, findet zum Teil, wie schon früher angedeutet wurde, ihre Erklärung in der übertriebenen Bevorzugung der Technik, in deren Bewältigung es die Violinisten der Pariser Schule, bei allerdings häufig energieloser Tongebung, bis zu einer spiegelartigen Politur brachten. Es ist natürlich, daß durch ein solches Verfahren kräftig gesunde Darstellung, künstlerischer Ernst und geistige Vertiefung nicht begünstigt werden konnten. Schon im Jahre 1821 fand Spohr vielfach Gelegenheit, hierüber bei seinem Pariser Aufenthalt ins klare zu kommen. Er berichtet: »Es ist auffallend, wie Alles hier, jung und alt, nur danach strebt, durch mechanische Fertigkeit zu glänzen, und Leute, in denen vielleicht der Keim zu etwas Besserem liegt, ganze Jahre mit Aufbieten aller ihrer Kräfte dazu verwenden, ein einziges Musikstück, was als solches oft nicht den mindesten Werth hat, einzuüben, um dann öffentlich damit auftreten zu können. Daß bei solchem Verfahren der Geist getödtet werden müsse, und aus solchen Leuten nicht viel Besseres werden könne, als musikalische Automaten, ist leicht begreiflich.«

Doch damals stand diese Erscheinung noch im Stadium der Entwickelung. Soeben erst war die kunsthistorisch denkwürdige Zeit der endlosen Airs variés, der buntscheckigen und faden Potpourris, sowie der phantasielosen Phantasien hereingebrochen. Diese Errungenschaften führten zu einer echt französischen Erfindung, von der leider auch Deutschland in den dreißiger Jahren fast epidemisch ergriffen wurde: es war die sogenannte Salonmusik, deren versuchenden Einfluß Robert Schumann im Verein gleichgesinnter Kunstgenossen mit Erfolg in seiner Musikzeitung S. Robert Schumanns Biographie vom Verf. dieser Blätter (vierte Auflage, S. 114 ff., Leipzig, Breitkopf & Härtel). bekämpfte. Wenn auch die Salonmusik manche geistreiche Leistung, vorzugsweise freilich im Bereiche der Pianoforteliteratur, hervorbrachte, so bezweckte man mit diesem Genre doch in der Hauptsache nur, dem seichten Geschmack und oberflächlichen Genuß der sogenannten feinen Gesellschaft zu frönen.

War diese Musik ein Symptom der Erschlaffung, welche den Paroxysmen des Revolutionsfiebers und dem Napoleonischen Kriegsgetöse folgte, oder offenbarte sich in ihr der angeborene Hang zu prickelndem, flüchtigem Sinnenreiz? Man darf beides annehmen. Das zwitterartige Wesen der Salonmusik mit seinen parasitischen Gebilden, welches in Paris trotz aller Bemühungen, sich die Klassiker der Tonkunst zugänglich zu machen, wohl kaum jemals ganz überwunden werden dürfte, korrespondierte aufs genaueste mit den Bestrebungen der bis zu den äußersten Grenzen des Virtuosentums ausschweifenden Spieler. Immer mehr streifte die Violine ihren idealen Charakter ab, und endlich war die Heldin des Gesanges in eine leichtfertige, buhlerisch herausfordernde Kokette verwandelt. Selbst Schindler, der enthusiastische Lobredner der Pariser Musik, fühlte sich im Hinblick auf das dortige Quartettspiel zu der Bemerkung gedrängt: »Nicht mehr ist es die imponirende Tonfülle, mit der Rode und R. Kreutzer, die Gründer der unübertrefflichen sogenannten französischen Schule mit Baillot im Bunde, ihre großartigen (!) Konzerte vortrugen, es ist das winzige Tönchen, oftmals dem Gezirpe der Grille gleich, in ungeheurer Anzahl aus dem Instrumente hervorquillend, mit einer Anzahl von Flageolett-Tönchen vermischt, was auch die Violinspieler, einer mehr als der andere, zum Besten geben.«

Doch die Franzosen verdankten diese Richtung ihres Violinspiels keineswegs nur sich selbst; sie erhielten vielmehr einen Teil der Anregungen dazu von außen her. Zunächst ist hier des Paganinischen Einflusses zu gedenken, dessen merkliche Folgen sich sehr bald nach seinem Erscheinen in Paris (1831) herausstellten. Paganini brachte die Neigungen für das Virtuosentum in lebhaftesten Fluß. Seine ungewohnten Wirkungen, seine eklatanten Erfolge waren verlockend genug, um gerade das französische Naturell zur Nachahmung und damit zur Spekulation und zum Raffinement des Effekts anzureizen. Da man aber nicht zugleich sein eigenstes Wesen reproduzieren konnte, vermöge dessen er den ihm ausschließlich eigentümlichen Spielapparat in geistig dämonischer Weise belebte, so erging man sich in einer äußerlichen Ausbeutung seiner Technik, die seelenlos gehandhabt notwendig zur Verflachung und Karikatur führen mußte. Es handelte sich nun nicht mehr darum, schön gestaltete, gehaltvolle Violinkompositionen zu schaffen, in denen der Charakter des Instrumentes sich rein und unverfälscht aussprechen konnte, sondern phrasenhaft leere, in halsbrechenden Schwierigkeiten aller Art sich überbietende Stücke für die virtuosisch blendende Wirkung zu schreiben.

 

2. Die Belgisch-Französische Schule.

Ging die Pariser Schule zu ihrem Nachteil einerseits auf Paganinis abnorme Violinbehandlung bereitwillig ein, so wurde sie andererseits durch die Erscheinung Charles de Bériots, des Hauptes der sogenannten belgischen Schule, nachhaltig beeinflußt. Dieser letzteren ist eine selbständige, epochemachende Bedeutung keineswegs zuzuerkennen; sie erscheint lediglich als eine Abzweigung der französischen Schule, von der sie auch vor Bériots Auftreten sehr wesentlich abhing. Die enge Beziehung zwischen beiden Schulen erzeugte eine unverkennbare, in Gesinnung, Methode und Manier übereinstimmende Familienähnlichkeit.

Das Violinspiel der Niederlande, welches im 18. Jahrhundert keine bedeutenden Resultate geliefert hatte, gelangte mit Bériot zu größerem Ansehen. Zugleich wurde die Herrschaft desselben durch ihn ausschließlich auf Brüssel übertragen. Seine Beeinflussung der Pariser Schule erklärt sich durch die Überlegenheit seiner Begabung über die neueren französischen Violinspieler. Zwar war ihm kein wahrhaft bedeutendes Talent im höheren Sinne eigen, was er aber in Spiel und Komposition gab, war, wenngleich ohne Tiefe und Ernst, in seiner Art ansprechend, graziös gefällig, salonartig elegant, ohne Überladung der Effektmittel und selbst nicht ohne Geschmack. Überdies zeichnen sich die Violinwerke des belgischen Geigenmeisters durch anspruchslose Natürlichkeit, leichten Fluß und pikante melodiöse Gestaltung vor den Erzeugnissen der Pariser Schule aus. Sie haben eine Spanne Zeit dem Publikum als angenehme Unterhaltungsmusik gedient, sind aber bereits, wenigstens in Deutschland, dem Geschick der Vergessenheit anheimgefallen. Doch haben sie unzweifelhafte Bedeutung als Übungsmaterial zur Erlangung gewisser eleganter Spielmanieren. Im ganzen wurden von Bériot veröffentlicht: 10 Violinkonzerte, 12 Airs variés, 6 Hefte Etüden, verschiedene Salonstücke, 4 Trios für Klavier, Violine und Violoncell, 49 Duos brillants für Klavier und Violine, von denen die größere Zahl mit den Pianisten Labarre, Osborne, H. Herz, Benedict, Thalberg und Wolff zusammen komponiert wurden, sowie eine Violinschule. Der erste Teil dieser letzteren enthält die Unterweisung in dem Lagenspiel, der zweite handelt von der Bogenführung in ihrer verschiedenen Anwendung, sowie vom Flageolettspiel, und der dritte vom Stil. Bériot fügte indes seiner Arbeit noch eine sogenannte » Ecole transcendante de Violon« hinzu, in welcher er 60 Etüden gibt. Die dreißig ersten derselben sind für das Studium der Richtigkeit ( justesse), des Takts, des Kolorits und der Grazie bestimmt, der Rest dagegen für die Aneignung von Charakteristik und Gefühl (!). Man vermag sich eines Lächelns nicht zu erwehren, wenn dem Schüler zugemutet wird, geistige Qualitäten aus Bériotschen Violinetüden zu erlernen, da ihm doch nur Übungsstücke für Kantilenenspiel, Flageolette, Arpeggios, Doppelgriffe, Triller usw., und dazu in der bekannten Manier des Komponisten, gegeben werden, an denen die Violinliteratur bereits reichlichsten Stoff besitzt. Der weitläufige Text der » Ecole transcendante« ergeht sich übrigens in einer schönrednerischen, doch völlig unergiebigen Phraseologie über ästhetische Fragen, deren Erörterung der Verfasser sich keineswegs gewachsen zeigt. –

Bériot entstammte einer alten, vornehmen belgischen Familie und wurde am 20. Februar 1802 zu Löwen geboren. Durch den frühzeitigen Tod beider Eltern war er schon seit seinen Knabenjahren auf die Teilnahme fremder Menschen angewiesen, die ihm auch im Hinblick auf seine ungewöhnliche musikalische Anlage gezollt wurde. In Löwen war es der Musiklehrer Tiby, der sich seiner wohlwollend annahm und sein Talent ausbilden half. Schon vor Ablauf des neunten Lebensjahres vermochte er sich mit einem Viottischen Konzerte hören zu lassen.

In seinem Vaterlande gilt Bériot für einen Zögling Jacotots, jenes französischen, zu Dijon am 4. März 1770 geborenen und am 30. Juli 1840 zu Paris gestorbenen Humanisten, der eine Reihe von Jahren hindurch Professor der französischen Sprache und Literatur in Löwen war und ein gewisses Aufsehen durch seinen Universalunterricht machte. Die Hauptmaximen seiner Methode waren: dem Schüler den Beistand des Lehrers entbehrlich zu machen, und den Geist durch beständige Anregung und durch Selbstüberwindung zur Herrschaft über alles, zur » Emancipation intellectuelle« zu erheben. Dieser Grundsatz, durch persönliche Berührung mit Jacotot auf Bériot übertragen, wurde ihm Richtschnur für seine Bestrebungen.

Mit gutem Erfolg schritt der junge Künstler im Selbststudium vorwärts. Hierüber kam sein 19. Lebensjahr heran. Jetzt zog es ihn hinaus in die Welt: er mochte das Bedürfnis fühlen, seine Leistungen einmal an fremdem Maß zu messen. Zunächst wandte er sich nach Paris. Dort angelangt, besuchte er Viotti. Dieser hörte ihn, und um seine Meinung befragt, äußerte er: »Sie haben einen schönen Stil, suchen Sie ihn zu vervollkommnen; hören Sie alle Männer von Talent, und ahmen Sie nichts nach.« Vielleicht mochte es in der Absicht Bériots gelegen haben, Viottis Unterweisung teilhaftig zu werden. Wenigstens wird dies einigermaßen dadurch wahrscheinlich gemacht, daß er alsbald dem Unterrichte Baillots im Konservatorium beiwohnte. Doch schon nach einigen Monaten sah er hiervon ab, da er glaubte, daß durch fremden Einfluß nur die Eigentümlichkeit seiner Manier beeinträchtigt werden könne. Nichtsdestoweniger war er demnächst noch für kurze Zeit der Schüler seines Landsmannes André Robberechts. Nachdem Beriot sich dann ganz auf sich selbst zurückgezogen hatte, betrat er die Öffentlichkeit. Von Paris aus besuchte er England und fand namentlich in London glänzende Aufnahme. Bedeutend vorgeschritten als Violinspieler, betrat er die Heimat wieder. Der Brüsseler Hof engagierte ihn als Solospieler, doch büßte er diese Stellung durch die Revolution von 1830 wieder ein.

Inzwischen trat Bériot in nähere Beziehungen zu Marie Malibran-Garcia, die 1835 seine Gattin wurde. Mit ihr begab er sich auf größere Kunstreisen, deren Hauptziel Italien war. Nach dem infolge eines Sturzes mit dem Pferde erfolgten Tode seiner Lebensgefährtin nahm er, in tiefe Schwermut versunken, Brüssel zum Aufenthaltsorte. Nur durch große Selbstbeherrschung gelang es ihm, die Apathie, in die er für längere Zeit verfallen, zu überwinden. 1840 unternahm er seine letzte Konzertreise. Sie führte ihn nach Deutschland und bis Wien. Seitdem lebte er hauptsächlich in der belgischen Hauptstadt und wirkte dort seit 1843 als erster Lehrer des Violinspiels an der Musikschule. Dieser Tätigkeit vermochte er sich indes nur bis 1852 zu widmen, da in demselben Jahre auftretende nervöse Leiden ihn veranlaßten, ins Privatleben zurückzutreten. Am 10. April 1870 starb er, seit 1858 völlig erblindet und lahm, in Brüssel.

Beriots vorzüglichster Schüler ist Henri Vieuxtemps, geb. 20. Februar 1820 in Verviers. Frühzeitig entwickelte sich sein Talent. Den ersten Unterricht empfing er von dem Violinspieler Lecloux, und im 7. Lebensjahre war er bereits imstande, eine kleine Kunstreise anzutreten. Bei dieser Gelegenheit kam er nach Brüssel. Sogleich nahm Bériot ihn als Schüler an. Nach einigen Studienjahren war er reif für die Virtuosenlaufbahn. Er eröffnete sie in Deutschland und erregte überall Aufsehen. 1833 in Wien angelangt, wurde er Simon Sechters Schüler für das Studium der Komposition. Hierauf war ihm im Violinspiel zeitweilig noch Bernhard Molique in Stuttgart förderlich.

Nachdem Vieuxtemps mehrere Jahre hindurch Deutschland, England und Frankreich mit ungewöhnlichem Erfolge bereist hatte, besuchte er Rußland. Von dort kehrte er in seine Heimat zurück, begab sich aber bald wieder auf eine Konzerttour, die ihn abermals nach Rußland führte. Diesmal wurde er zum kaiserl. russ. Kammervirtuosen ernannt. Der Künstler verweilte infolgedessen von 1846 bis 1852 am Petersburger Hofe. Seitdem führte er ein bewegtes Wanderleben. Außer den europäischen Ländern betrat er auch Amerika für längere Zeit. Der dortige Aufenthalt wirkte jedoch keineswegs günstig für seine Leistungen; denn Vieuxtemps verlor durch den in der neuen Welt üblichen, vielfach handwerksmäßigen Betrieb der Kunst einen Teil seiner besten Eigenschaften als Solospieler. Waren seine Leistungen vorher frisch und keck, zeichneten sie sich durch breite, energische Tonbehandlung aus, so ließen sie nach seiner Rückkehr aus Amerika ein mattes, abgeblaßtes Wesen erkennen, dessen deutliche Spuren weder durch die außerordentlich beherrschte Technik der linken Hand, noch durch die Gewandtheit und schlüpfrige Glätte der Bogenführung verdeckt werden konnten. Hiervon abgesehen, zählte Vieuxtemps bis zu seinen letzten Lebensjahren zu den namhaftesten Virtuosen der Neuzeit. Während seiner Wirksamkeit am Brüsseler Konservatorium als Nachfolger seines Lehrers de Bériot wurde er von einem Armleiden heimgesucht, welches ihn zur Ausübung seiner Kunst unfähig machte. Er suchte Heilung in dem warmen Klima Algiers, starb aber dort in Mustapha am 6. Juni 1881. 1898 wurde ihm in seiner Heimatstadt ein Standbild errichtet.

Vieuxtemps hat zahlreiche Violinkompositionen, darunter sieben Konzerte, veröffentlicht. Die beiden letzten derselben erschienen erst nach dem Tode des Künstlers. Wenn die Konzerte von Vieuxtemps auch für den virtuosen Effekt gedacht und geschrieben sind, so zeichnen sie sich doch vor der Mehrzahl der gleichartigen Produkte durch sorgfältigere und solidere Gestaltung aus. Namentlich war Vieuxtemps unverkennbar bemüht, die Orchesterbegleitung seiner Konzertstücke über die niedrige Stufe eines bloßen Accompagnements emporzuheben und ihnen eine musikalisch interessante, auf thematische Bearbeitung ausgehende Gestaltung zu geben. Doch erhalten seine Konzerte, und unter diesen besonders das vierte ( d-moll), nicht selten dadurch einen gespreizten Ausdruck, da der musikalische Gehalt seiner Erzeugnisse doch wiederum nicht bedeutend genug ist, um ein derartiges Verfahren zu begünstigen.

Als Schüler von Vieuxtemps werden genannt F. Coenen und Fürst Yussupow.

Franz Coenen, Soloviolinist des Königs von Holland sowie Lehrer an der Amsterdamer Musikschule für Geige und Komposition (bis 1895), wurde am 26. Dezember 1826 in Rotterdam geboren. Von seinem Vater, einem Organisten, empfing er den ersten Unterricht. Später wurde er der Schüler Moliques und Vieuxtemps'. Bevor Coenen in seine Amsterdamer Stellung trat, unternahm er in Gesellschaft von Henri Herz und, als das Verhältnis mit diesem sich gelöst hatte, mit dem Pianisten Ernst Lübeck erfolgreiche Kunstreisen durch Nord- und Südamerika, sowie nach Ostindien. Er galt als ein der gediegenen Richtung ergebener Künstler, der nicht nur im Solo-, sondern auch im Quartettspiel Ausgezeichnetes leistete. An Kompositionen erschienen von ihm einige Violinstücke, Quartette, eine Symphonie und mehrere der geistlichen Musik angehörende Werke. Coenen starb im Februar 1904 zu Leyden.

Nicolaus Yussupow, ein russischer Fürst, geb. 1827 zu Petersburg, gest. am 3. August 1891 in Baden-Baden, war angeblich Vieuxtemps' Schüler, betrieb aber das Violinspiel nur als Liebhaber. Er beschäftigte sich auch mit der Komposition und veröffentlichte zwei größere Instrumentalwerke, nämlich ein Violinkonzert und eine Symphonie mit obligater Violine » Gonzalva de Cordova«. Außerdem gab er 1862 eine » Histoire de la musique en Russie« und eine auf den Geigenbau bezügliche Schrift: » Luthomonographie historique et raisonnée« heraus (1856).

Nächst Vieuxtemps sind von Bériots Schülern romanischer Abstammung noch zu nennen Monasterio und Sauret.

Jesus Monasterio, geb. 21. März 1836 zu Potes in der Provinz Santander, ließ sich schon als zehnjähriger Knabe mit Erfolg im Madrider Theater del Principe hören. 1849 ging er nach Brüssel, um auf dem dortigen Konservatorium den Unterricht de Bériots zu genießen. Nach dreijährigem Studium erhielt er den Preis der Violinklasse. In die Heimat zurückgekehrt, wurde er von der Königin zum Lehrer am Madrider Konservatorium und dann auch zum ersten Soloviolinisten der königl. Kapelle und der königl. Kammermusik ernannt. Im Frühjahr 1894 wurde er Direktor des Konservatoriums in Madrid. Im Jahre 1903 verstarb er. Monasterio unternahm auch Kunstreisen in Frankreich, Belgien und Deutschland, widmete sich jedoch vorzugsweise dem heimischen Wirkungskreis, weshalb seine gerühmten Leistungen im Auslande nicht so bekannt geworden sind, wie sie es wohl verdienten. Der Künstler veröffentlichte vortreffliche Etüden für sein Instrument.

Emile Sauret, geb. am 22. Mai 1852 zu Dun-le-Roi im Departement Cher, war gleichfalls im Brüsseler Konservatorium Bériots Schüler, nachdem er vorher einen Kursus auf dem Pariser Konservatorium durchgemacht hatte. Es ist ihm trotz virtuoser Richtung ein ernsteres Streben eigen, welches sich auch in einer kräftigen, kühnen und temperamentvollen Darstellung der von ihm ausgeführten Musik kundgibt. Sein Bogenstrich ist ebenso geschmeidig als resolut, und die Technik der linken Hand von ungemeiner Gewandtheit. Seine Leistungen hinterlassen im ganzen einen vorzugsweise bravourmäßigen Eindruck. Bedeutende Erfolge hatte er auf seinen Reisen in England (seit 1866), Frankreich, Italien, Amerika (1870-1874) und Deutschland (1877). Eine Reihe von Jahren lebte er in Berlin, wo er zeitweilig Lehrer an der Kullakschen Musikschule war (1880-81). Im Frühjahr 1891 nahm er seinen Aufenthalt in London. Dort wirkte er als erster Lehrer des Violinspiels an der Royal Academy of Music. Im Herbst 1903 wurde W. Heß sein Nachfolger in dieser Stellung. Nach seinem Weggange von London war Sauret mehrere Jahre hindurch in Chicago tätig und sodann etwa zwei Jahre lang in Genf. Derzeit wirkt er wieder in London.

Saurets bedeutendster Schüler ist der schwedische Geiger Tor Aulin, der sich auch als Kapellmeister und Komponist einen Namen gemacht hat.

Tor Aulin wurde 1866 in Stockholm geboren. Seine Ausbildung erfuhr er zunächst am Konservatorium seiner Vaterstadt und vollendete sie in Berlin unter Leitung Saurets und Ph. Scharwenkas (Komposition). Von 1889-1902 war er als Konzertmeister an der Stockholmer königl. Oper tätig. Sodann war er Dirigent des Stockholmer Konzertvereins und weiterhin des Symphonieorchesters in Gothenburg.

Schon 1887 gründete der Künstler eine Quartettvereinigung, die in Schweden, Norwegen und Dänemark vielfach tätig und sehr geschätzt ist. Als Solist ist Aulin außer in den genannten Ländern auch in Finnland, Rußland und Deutschland erfolgreich aufgetreten. Von seinen Kompositionen, die auch Orchesterwerke und Lieder umfassen, werden an Violinwerken zwei Konzerte, zwei Suiten und verschiedene Hefte kleinerer Stücke namhaft gemacht (vgl. den Anhang!).

 

Außer Bériot und Vieuxtemps ist als ein älterer belgischer Violinspieler von Bedeutung zu berücksichtigen Charles van der Planken, geb. am 22. Oktober 1772 zu Brüssel. Er war ein Schüler Godecharles. 1797 wurde er erster Violinist beim Brüsseler Theater. Außerdem gehörte er der königl. Kapelle an. Besondere Schätzung erwarb er sich als Dirigent und Lehrer des Violinspiels. Er starb anfangs 1849. Unter seinen Schülern zeichneten sich Snel, Robberechts und Meerts vornehmlich aus.

Joseph François Snel, geb. 30. Juli 1793 in Brüssel, empfing, nachdem er bei Planken die erste Ausbildung erhalten hatte, von 1811-1813 in der Pariser Musikschule noch Baillots Lehre. Bei seiner Rückkehr in die Heimat trat er an Guesses Stelle als Soloviolinist des Brüsseler Theaters. 1830 wurde er Kapellmeister desselben. 1835 übernahm er das Kapellmeisteramt an der Kirche S. S. Michel et Gudule. Noch mehrere anderweite Ämter wurden ihm zuteil, so wurde er 1828 Direktor der Militärkapellmeisterschule, im folgenden Jahre Generalinspektor der Armeemusikschulen, 1831 Dirigent der Grande Harmonie, schließlich 1837 Chef der Musik der Bürgergarde, so daß seine Gesamttätigkeit einen seltenen Umfang aufweist. Von seinen zahlreichen Kompositionen hat ihn nichts überlebt. Er starb am 10. März 1861 in Koeckelberg. Als Zöglinge von ihm sind Haumann und Artôt zu nennen.

Theodore Haumann, geb. zu Gent am 3. Juli 1808, gest. am 21. August 1878 zu Brüssel, war von seinen Eltern zum Advokaten bestimmt und erhielt eine dementsprechende Bildung im Athenäum zu Brüssel, worauf er die Universität Löwen bezog. Seine Vorliebe für Musik ließ ihn indes nicht selten das erwählte Brotstudium vernachlässigen. Schon vor seinen Studentenjahren hatte er sich unter Snels Leitung in Brüssel mit Eifer dem Violinspiel hingegeben. Dasselbe beschäftigte ihn nicht minder in Löwen, und nach zwei Jahren beschloß er, sich gegen den Willen seiner Eltern ganz der Musik zu widmen. Seine Neigung zur Kunst war aber keine beständige. Wiederholt vertauschte er das musikalische Studium mit anderen Beschäftigungen, so daß er es niemals zu wahrhaft ausgezeichneten Leistungen brachte. Seine Technik auf der Violine war nicht unbedeutend, seine Vortragsweise aber maturiert und im Grunde wenig künstlerisch, weshalb er auch nicht zu allgemeiner Anerkennung gelangte. Im Druck erschienen von ihm einige Salonkompositionen.

Alexandre Joseph Montagney d'Artôt, geb. zu Brüssel am 25. Januar 1815, war der Sohn des ersten Hornisten bei der Brüsseler Oper, dessen Unterricht er zunächst genoß. Bald konnte er sich mit einem Viottischen Konzerte im Theater hören lassen. Nun wurde er Snels Schüler, der ihm nach einiger Zeit riet, seine höhere Ausbildung in Paris zu suchen. Er trat 1824 ins dortige Konservatorium und empfing die Lehre Rudolph Kreutzers. Zweimal wurde ihm der Preis beim Konkurs der Kunstanstalt zuerkannt, welcher er angehörte, und als zwölfjähriger Knabe hatte er seine Studien beendet. Nach einem vorübergehenden Aufenthalte in seiner Vaterstadt besuchte er London, hier wie dort durch seine frühreifen Leistungen Aufsehen erregend. Dann zog es ihn wieder nach Paris. Außer seiner Tätigkeit als Solospieler wirkte er daselbst in mehreren Orchestern mit. Weiterhin veranlaßte ihn der Wunsch, sich in der musikalischen Welt bekannt zu machen, zu einer Kunstreise, welche ihn durch das südliche Frankreich, Belgien, England, Holland, Deutschland, Italien und Rußland führte. 1843 besuchte er auch Amerika. Diese Reise bildete den Schluß seiner Laufbahn; denn nach Europa zurückgekehrt erlag er einem Brustleiden und starb bei Paris in Ville d'Avray am 20. Juli 1845. Sein Spiel war nach Fétis' Urteil klein, aber brillant und graziös. Die ausschließlich virtuose Richtung desselben läßt sich aus seinen im französischen Salongenre gehaltenen Kompositionen ersehen.

Van der Plankens zweitgenannter Zögling, André Robberechts, geb. am 16. Dezember 1797 in Brüssel, vollendete seine Studien an der Pariser Musikschule unter Baillots Leitung. Auch wurde er nach Fétis in London für mehrere Jahre der Lehre Viottis teilhaftig, so daß er auch als direkter Schüler dieses Meisters gelten könnte. 1820 erhielt er am belgischen Hofe Anstellung als Soloviolinist. Seit 1830 lebte er in Paris, wo er am 23. Mai 1860 starb. Seine ziemlich zahlreich veröffentlichten Violinkompositionen haben nie Eingang in weitere musikalische Kreise gefunden.

Lambert Joseph Meerts, ehedem als Lehrer des Violinspiels an der Brüsseler Musikschule neben Bériot sehr geschätzt, geb. am 6. Januar 1800 in Brüssel, war zuerst Schüler van der Plankens, dann aber nacheinander Lafonts, Habenecks und Baillots. 1832 erfolgte seine Berufung als Soloviolinist an das Brüsseler Stadtorchester, an dem er seit 1828 bereits tätig gewesen war, 1835 seine Ernennung zum Violinprofessor am Konservatorium daselbst. Am 12. Mai 1863 starb er in Brüssel. Meerts hat technisch nutzbare Etüden und überdies eine Violinschule herausgegeben.

Jean Becker, geb. am 11. Mai 1833 zu Mannheim, ist als ein ausgezeichneter Künstler der Neuzeit zu nennen. Die erste Anleitung im Violinspiel übernahm sein Vater; dann widmeten sich zwei Mitglieder des Mannheimer Orchesters, Hildebrand und Hartmann, seiner Ausbildung. Das Meiste und Wesentlichste seiner Herrschaft aus der Geige verdankte er aber dem aus der belgischen Schule hervorgegangenen Violinisten Kettenus, welcher Konzertmeister in Mannheim war; denn wenn Becker später auch noch in Paris einige Alardsche Salonkompositionen unter Anleitung ihres Autors studierte, so blieb doch fortdauernd und hauptsächlich die treffliche Lehre Kettenus', wie er selbst erklärte, in ihm tätig und wirksam. Deshalb erschien es angemessen, ihn bei der belgischen Schule einzureihen. Den theoretischen Unterricht empfing er von Vincenz Lachner.

Im Alter von 11 Jahren ließ sich Becker bereits in seiner Vaterstadt als Konzertspieler hören. Er erweckte schon damals durch seine Leistungen so großen Anteil, daß man ihn durch Verleihung einer Mozartmedaille auszeichnete. Nachdem er seinen Kursus bei Kettenus beendet, lebte er einige Zeit in Paris. Sein dortiger Aufenthalt wurde durch die Berufung als Amtsnachfolger seines Lehrers beim Mannheimer Orchester abgebrochen. Eine Anerkennung seines Talentes wurde ihm während seines Wirkens als Konzertmeister in seiner Vaterstadt durch die Großherzogin Stephanie von Baden zuteil, welche ihm den Titel eines Kammervirtuosen verlieh.

Im Jahre 1858 gab Becker seinen Mannheimer Wirkungskreis auf. Es verlangte ihn hinaus in die Weite. Er wandte sich zunächst wieder nach Paris, ließ sich dort mit bedeutendem Erfolg in drei eigenen Konzerten hören und besuchte dann infolge besonderer Einladung London, um in den » Monday popular concerts« aufzutreten. Anfangs 1860 erschien er von neuem in Paris. Von dort begab er sich nach Deutschland und ließ sich namentlich in Kassel, Leipzig und Dresden hören. Ein Engagement als Konzertmeister bei der alten Philharmonic Society rief ihn hierauf für eine Saison nach London. Seit dieser Zeit besuchte er fast alle europäischen Länder.

In jugendlichen Jahren vertrat Becker, wie es so häufig bei Solospielern der Fall ist, vorzugsweise die virtuose Richtung, in der er bei seiner natürlichen Anlage, technische Schwierigkeiten aller Art mit Leichtigkeit zu überwinden, auf ungewöhnliche Weise exzellierte. Doch mit Beginn des reiferen Alters erwachte in ihm mehr und mehr der Sinn für das Ernste und Gediegene. Aus Überzeugung und innerem Bedürfnis strebte er danach, ein Interpret der wahren, echten Kunst zu werden, und fortan wandte er seine Kräfte ausschließlich dem Schönen, Edlen zu. Um diese seine rühmlichen Gesinnungen nicht nur als Solist, sondern auch als guter Musiker zu betätigen, war er beflissen, ein Streichquartett zu gründen. Hierzu fand er Gelegenheit in Florenz. Er wählte dort im Jahre 1866 zu seinen Genossen zwei Italiener, Masi und Chiostri, für die zweite Violine und Bratsche, sowie den deutschen Violoncellisten Hilpert, einen Schüler Friedrich Grützmachers, des bekannten Cellovirtuosen. Diese jungen, strebsamen Männer wußte er in den anhaltendsten und eifrigsten gemeinsamen Studien so trefflich anzuleiten und für den angestrebten Zweck so zu begeistern, daß bald ein Ensemble hergestellt war, welches hohen Anforderungen an ein fein durchgebildetes Zusammenspiel entsprach. Nun verließen die Künstler Florenz, um sich auch auswärts Anerkennung und Ansehen zu erwerben. Überall, wo das in seiner Art vorzügliche »Florentiner Quartett« auftrat, namentlich aber in den Hauptstädten Deutschlands, erregte es großen Beifall. An die Stelle Hilperts trat 1875 der Cellist Spitzer Hegyesi. Doch löste sich das von Becker begründete Quartett nicht lange danach (1880) auf. An seine Stelle trat der Beckersche Familienverband, bestehend aus dem Vater, der Tochter Jeanne (Klavier) und den Söhnen Hans (Bratsche) und Hugo (Violoncell), welcher seit 1880 mit günstigem Erfolg auf Reisen konzertierte. Doch auch diese Unternehmung hat sich dauernd nicht erhalten. Becker starb am 10. Oktober 1884 zu Mannheim, nachdem er mehrere Jahre hindurch schon gekränkelt hatte.

Einen außerordentlich hervorragenden Violinmeister besitzt Belgien neuerdings in der Person von Eugène Ysaye. Dieser Künstler, einer der gefeiertsten und bedeutendsten Virtuosen der Gegenwart, wurde am 16. Juli 1858, nach anderer Angabe gegen Ende 1859 zu Lüttich geboren. Den ersten Unterricht erhielt er frühzeitig von seinem Vater, der selbst Violinspieler und Kapellmeister in Lüttich war. Nachdem er dann kurze Zeit das Konservatorium seiner Vaterstadt besucht, studierte er unter Vieuxtemps und Wieniawski ein Jahr lang in Brüssel und auf des ersteren Anregung noch weiterhin in Paris. Bis 1881 war er Konzertmeister im Bilseschen Orchester in Berlin, sodann begab er sich auf ausgedehnte Kunstreisen, die seinen Namen bald in ganz Europa bekannt und gefeiert machten. 1886 wurde er mit der ersten Violinprofessur am Brüsseler Konservatorium betraut, ohne deshalb seine Kunstreisen zu unterbrechen. Diese Stellung gab er im Jahre 1897 auf und behielt nur die Leitung der nach ihm benannten, eines sehr angesehenen Rufes genießenden Konzertgesellschaft bei. Auch hat Ysaye ein Streichquartett begründet, dessen Leistungen als ganz vorzüglich gerühmt werden.

Als Komponist ist der Künstler bisher nur mit wenigen kleineren Werken vor die Öffentlichkeit getreten, indem seine meisten Kompositionen – darunter sechs Violinkonzerte – nur als Manuskript existieren.

Die Technik Ysayes ist meisterhaft und schlechthin vollendet zu nennen. Neben einer absoluten Beherrschung des Griffbrettes verfügt er über eine äußerst freie und ergiebige Tonbildung bis in die höchsten Lagen hinein. Nicht minder bewundernswert ist die fast bis zum Raffinement gehende Durchbildung des rechten Armes in den subtilsten und feinst schattierten Nuancen aller Stricharten. Dazu kommt jene anmutige, selbstverständliche, scheinbar mühelose Bewältigung des denkbar Schwierigsten, die in dem Hörer das Gefühl, einer eminenten violinistischen Leistung, schon im rein technischen Sinne genommen, gegenüberzustehen, gar nicht auskommen läßt. Aber auch die geistige Ausfassung und Reproduktion ist bei Ysaye nicht minder bedeutend. Dafür spricht schon allein der Umstand, daß sein Vortrag Bachscher Violinwerke hoch gerühmt wird. Lebensvolle Sicherheit und Kraft des Ausdruckes sowie die musikalische Feinfühligkeit des Anfassens und Gestaltens eines Werkes im ganzen wie im einzelnen sind ihm in hohem Maße eigen. So vereinigt sich alles, um diesen Künstler zu einer der hervorragendsten violinistischen Erscheinungen der Gegenwart zu machen.

Als Schüler Ysayes wird der Belgier E. Delvenne genannt. Nähere Nachrichten über ihn fehlen indes (vgl. den Anhang!).


 << zurück weiter >>