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Unter den Ländern, welche sich dem Vortritt Italiens in betreff des Violinspiels und der Violinkomposition anschlossen, nahm Deutschland die erste Stelle ein, obwohl die gesamten Zustände des Reichs derartigen Bestrebungen nichts weniger als günstig waren. Als die neue Kunst im Mutterlande ihre ersten Lebenszeichen von sich gab, als sie dann, aus unscheinbaren Anfängen sich herausarbeitend, eine fachgemäße Förderung fand, duldete das deutsche Volk unter den unheilvollen Schrecknissen des dreißigjährigen Krieges, jenes blutigen Dramas, welches die reiche Kulturblüte des Reformationszeitalters erbarmungslos vernichtete. Aber der deutsche Geist war nur betäubt, nicht getötet. Erhielten sich doch auch trotz des Niederganges der Verhältnisse an manchen Orten sogenannte musikalische Sozietäten und Collegia musica, und kaum hatten die furchtbaren Stürme des Religionskrieges ihre Ende erreicht, so keimte trotz der tiefen Wunden, an denen Deutschlands Völker darniederlagen, neues Leben aus den Trümmern des Zerstörungskampfes hervor. Wohl war dies Leben zunächst nicht das volle, nationale, sondern ein vielfach erborgtes, mit fremden Elementen durchsetztes. Aber konnte es nach der greuelvollen Katastrophe anders sein? Mußte nicht das tief erschöpfte, an seinem Lebensnerv getroffene Deutschland, um sich emporraffen zu können, zu fremder Hilfe seine Zuflucht nehmen, gleichwie ein durch schwere Krankheit Entkräfteter unwillkürlich zum stützenden Stabe greift, um sich aufzurichten und wieder gehen zu lernen? Mag man diese traurige Notwendigkeit beklagen, aber auch nicht verkennen, daß dem deutschen Volke ein ergiebiger Bildungsstoff von außen her zugeführt wurde, den es nicht blindlings und gedankenlos in sich aufnahm, sondern vermöge seines universell gearteten Sinnes dem nationalen Wesen in glücklichster Weise assimilierte, ohne dabei an seiner geistigen Eigentümlichkeit einzubüßen. Nirgend bewahrheitete sich dies zunächst so glänzend wie im Bereiche der schaffenden Tonkunst. Wenige Dezennien schon nach dem mörderischen, Gut und Blut aufzehrenden Kriege, während dessen Meister Heinrich Schütz das Panier der heimischen Tonkunst aufrecht erhalten hatte, erstand der deutschen Nation, prophetisch das musikalische Wort Gottes verkündend, Joh. Seb. Bach. Und wenn man diesen, vom italienischen Tonleben nur mittelbar berührten Meister hier nicht gelten lassen will, so nennen wir seinen großen Zeitgenossen Händel, der trotz nachhaltiger Beeinflussung Italiens den musikalischen Genius Deutschlands verherrlichte, und dem sich bald darauf in gleichartiger Weise Gluck und Mozart als ebenbürtige Repräsentanten echt deutscher Kunst anreihten.
Dieselbe Erscheinung ist in betreff des Violinspiels wahrzunehmen. Die Herrschaft der Italiener war nicht nur eine natürliche und notwendige Folge ihrer unbestrittenen Überlegenheit in diesem Kunstgebiete, gleichwie im Gesange, sondern auch des bedeutenden Vorsprunges, den sie, völlig unbehelligt durch die langwierigen Kriegsnöte Deutschlands, inzwischen hatten gewinnen können. Schon zu Ende des 17. Jahrhunderts konnten sie in Corelli der musikalischen Welt einen mustergültigen Meister als Vorbild hinstellen. Und selbst die in den Anfang desselben Jahrhunderts fallenden Bestrebungen des deutschen Violinspiels müssen zum Teil, wie sich weiterhin zeigen wird, als eine Folge italienischen Einflusses aufgefaßt werden, wenn auch nicht zu bezweifeln ist, daß es gleichzeitig begabte deutsche Geiger gab, die hiervon unberührt blieben und auf eigenen Füßen standen. Dies dürfen wir, auch ohne bestimmte Namen zum Beweise anführen zu können, mit Recht aus der selbständigen musikalischen Tätigkeit Deutschlands im 15. und 16. Jahrhundert folgern.
Die Anfänge deutschen Instrumentenspiels wurzeln, wie diejenigen aller abendländischen Völker, in dem fahrenden Musikantentum des Mittelalters, welches einen wesentlichen Bestandteil der sogenannten, aus Gauklern, Taschenspielern, Sängern, Possenreißern u. dergl. mehr bestehenden »Spielleute« Mittellat. joculatores, provenz. joglares, span. juglares, franz. ménétriers, engl. minstrels., (»varende Lüte«) bildete. Diese, wenigstens in Deutschland, mit dem Makel der Ehrlosigkeit behaftete Menschenrasse zog im Lande umher, für sich und die Ihrigen die notwendigen Subsistenzmittel suchend, indem sie auf mannigfaltigste Weise für Unterhaltung und Erheiterung der Stadt- und Dorfbewohner sorgte. Nicht immer und überall wohlgelitten, fanden die Fahrenden doch auch wieder Gönner und Beschützer. Unter diesen ist Kaiser Karl IV. zu nennen, der sie in seiner Umgebung litt, 1355 mit einem Wappen beschenkte und sogar eines ihrer Mitglieder, »Johannes der Fiedler« geheißen, zum » Rex omnium histrionum« ernannte.
Sei es nun, daß derartige, von hoher Stelle aus gewährte Vergünstigungen die vielfach mit gutem Grunde im Publikum gehegten verächtlichen Gesinnungen gegen die »Spielleute« milderten und eine allmähliche Annäherung derselben an das Bürgertum der Städte vermitteln halfen, oder daß manche derselben, des unsteten, vagabundierenden Lebens müde, eine ruhige bürgerliche Existenz zu gewinnen trachteten, – tatsächlich machten sich vom 13. Jahrhundert ab musikkundige Mitglieder derartiger umherstreifender Gesellschaften hier und dort seßhaft. Da nun auch, zumal in größeren Städten, das Bedürfnis nach ständigen, gewerbsmäßig musizierenden Leuten für öffentliche und private Anlässe aller Art immer fühlbarer wurde, so traten dieselben nach und nach unter Verleihung von Privilegien, die ihnen gewisse Rechte und Pflichten auferlegten, zu zunftartigen »Brüderschaften« zusammen Näheres über dieselben sowie über die fahrenden Leute findet sich in meiner »Geschichte der Instrumentalmusik im 16. Jahrh.« (Berlin bei Guttentag, 1878).. Eine solche Genossenschaft hatte sich in Wien schon 1288 unter dem Namen der »St. Nicolaibrüderschaft« konstituiert, welche den Anstoß zu weiteren gleichartigen Verbindungen gab. Aber auch für größere Länderdistrikte kamen bald ähnliche Einrichtungen zustande, nachdem man das fahrende Musikantentum gesetzlichen Bestimmungen unterworfen hatte, wie dies beispielsweise im Elsaß der Fall war. Dort besaßen die Herren von Rappoltzstein das Oberhoheitsrecht über die weiterhin gleichfalls zu einer »Brüderschaft« vereinigten Spielleute, an deren Spitze ein die herrschaftlichen Rechte wahrender und Ordnung haltender »Pfeiferkönig« stand.
Nicht ohne Interesse sind die Statuten dieser Brüderschaft, deren hauptsächliche Tendenz natürlich war, den Mitgliedern ein musikalisches Monopol im ganzen Elsaß zu sichern. Demzufolge drohte der erste Artikel jedem gewerbsmäßigen Musiker, der nicht beitrat, mit Einziehung seines Instrumentes und Geldstrafe. Die Aufnahmebedingungen (eheliche Geburt, Eid der Treue gegen den Pfeiferkönig, das Pfeifergericht und die Statuten, bestimmte Lehrzeit und Eintrittsgeld usw.) waren durch die Statuten ebenso streng geregelt wie die Rechte und Pflichten der Mitglieder, die Strafen gegen Vergehungen, das Verhalten beim Todesfall eines Mitgliedes usw.
Alljährlich fand in Rappoltsweiler der »Pfeifertag« statt, beginnend mit feierlichem Umzug, der König an der Spitze, Huldigung vor dem Schutzherren, einer solennen Messe, sowie einem Festessen, bei dem nach den Statuten der König und zwei von ihm einzuladende Gäste frei waren, die vier Meister nur die halbe Zeche zu entrichten hatten. Nach dem Mahle wurde Gericht gehalten, der Rest aber – drei Tage – war eitel Lust und Vergnügen.
Der deutsche Pfeiferkönig hatte einen verwandtschaftlichen Zug mit dem französischen » roi des ménétriers«, später » roi des violons« gemein. Doch aber ist die Geschichte beider, den nationalen Verhältnissen gemäß, eine verschiedenartige. Der Pfeiferkönig hatte darüber zu wachen, daß in dem ihm untergebenen Distrikt niemand irgendwie erwerbsmäßig musizieren durfte, wenn er nicht der Brüderschaft angehörte, während der roi des violons außerdem Machtbefugnisse erstrebte und zeitweilig auch ausübte, die weit über die Gerechtsame des ersteren hinausgingen, wie sich aus dem folgenden Abschnitt ergeben wird.
Für den Pfeiferkönig war ein solches Gebaren schon deshalb unmöglich, weil jede von ihm etwa beabsichtigte Erweiterung seiner Prärogative ein unübersteigliches Hindernis an den vielen kunstliebenden deutschen Höfen gefunden hätte. Diese ordneten ihre musikalischen Bedürfnisse durchaus unabhängig von den »Brüderschaften« sowohl, wie auch von den späteren für die Pflege des Instrumentenspieles hochwichtigen »Stadtpfeifereien«. Außer den in ihren Hofkapellen vereinigten besten einheimischen Kräften ließen sie nach Belieben und Bedürfnis auch fremde, namentlich aber italienische Musiker kommen, wodurch sie sich das Verdienst erwarben, der deutschen Tonkunst einen neuen, anregenden Bildungsstoff zuzuführen.
Unter den Höfen, welche in dieser Beziehung tonangebend vorangingen, stand in erster Reihe der kursächsische. Wir erinnern an den Mantuaner Violinisten Carlo Farina, durch dessen Berufung nach Dresden sogleich einer der ersten namhaften Vertreter des italienischen Violinspiels ins Herz der deutschen Lande verpflanzt wurde. Er wirkte am kurfürstlich sächsischen Hofe seit 1626. Um diesen Zeitpunkt verlautet noch nichts von einem bemerkenswerten deutschen Violinisten. Doch schon bald darauf machte ein solcher von sich reden. Es war der Geiger Johann Schop in Hamburg, dessen Blütezeit nach Gerbers Angabe in die Jahre 1640-1660 fällt. Mattheson bemerkt über ihn: »Man habe seines gleichen so leicht nicht in königlichen und fürstlichen Kapellen gefunden.« Außer einigen Vokalwerken veröffentlichte Schop, wie Gerber berichtet: »Paduanen, Gaillarden, Allemanden usw. 1640 in zwei Teilen. Hamburg Nach Fétis lautet der Titel des obigen Werkes: »Neue Paduanen, Gaillarden, Allemanden, Balletten, Couranten und Canzonen, mit 3, 4, 5 und 6 Stimmen etc. Hamburg 1633 und 1644; zweiter Teil 1635 und 1640..«
Demnächst ist ein Dresdner Geiger, Joh. Wilh. Furchheim, zu erwähnen. Derselbe war »Deutscher Konzertmeister« in der kurfürstlichen Kapelle Fürstenau: Geschichte der Musik und des Theaters am Dresdner Hofe (Dresden, N. Kuntze).. Seit 1676 standen die Kirchen- und Tafelmusiken unter seiner Leitung. Gerber führt den Titel folgender zwei Werke von ihm an: I. Auserlesenes Violinen-Exercitium, aus verschiedenen Sonaten, nebst ihren Arien, Balladen, Allemanden, Couranten, Sarabanden und Giguen von 5 Partien bestehend, Dresden 1687, und II. Musikalische Tafelbedienung von 5 Instrumenten, als 2 Violinen, 2 Violen, 1 Violon nebst dem Generalbaß, Dresden 1674.
Mehr als Furchheim und Schop wissen wir von dem Lübecker Violinisten Thomas Baltzar. Über denselben möge hier wörtlich Gerbers, aus Hawkins und Burneys Schriften entnommener Bericht folgen. »Baltzar, geb. zu Lübeck vor Mitte des 17. Jahrh., war der erste Virtuose auf der Violin, den man in England hörte. Er kam daselbst im Jahre 1658 (die richtige Jahreszahl ist 1656) an, und hielt sich 2 Jahre nach einander zu Oxford auf. Vor seiner Ankunft hatte Davis Mell, ein Uhrmacher, als der größte damalige Violinist in England, den Beyfall allein für sich. Und selbst nach Baltzar's Ankunft gestand man jenem noch mehr Feinheit und eine angenehmere Manier zu, als diesem. Allein Baltzar besaß viel mehr Fertigkeit und war seines Griffbrets ungleich mehr Herr; indem er sogar die Lagen veränderte, was vor ihm in England noch unerhört war. Doch reichte seine Kunst auch nicht weiter, als auf den Gebrauch der sogenannten ganzen Applikatur Bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts wurden die verschiedenen Lagen (Applikaturen) in ganze und halbe eingeteilt. Löhlein in seiner Violinschule (1774) erklärt sich darüber folgendermaßen! »Die halbe Applikatur heist es, wenn man den ersten Finger bey einer Note einsetzt, die zwischen den Linien steht; setzt man aber den ersten Finger bey einer Note ein, die auf der Linie steht, so Heist dieses die gantze Applikatur.« Adam Hiller in seiner »Anweisung zum Violinspielen« (1793) verwirft diese Art der Lagenbezeichnung als eine ungereimte und bezeichnet die verschiedenen Positionen der Reihe nach mit 1. 2. 3. 4. 5. usw., wie es jetzt allgemein üblich ist., um den Umfang des Instruments bis zum dreigestrichenen d zu erweitern R. Starke macht in einer dem damaligen deutschen Komponisten Tobias Zeutschner (derselbe lebte etwa von 1611 bis 1675, in welchem Jahre er als Organist bei St. Maria Magdalene in Breslau starb) gewidmeten Arbeit in den Monatsheften für Musikgesch. (1900) folgende Bemerkung, aus der man ebenfalls erkennt, wie wenig in Deutschland damals den Violinisten zugemutet werden konnte: »Die Violinen gebraucht er nur in drei Werken, auch dort gleichsam als schüchternen Versuch bis zum dreigestrichenen d, sonst ist [dreigestrichenen] c der höchste Ton.«. Demohngeachtet erregte dies sein Auf- und Niederfahren der Hand auf dem Griffbrete, bey seiner ersten Erscheinung, ein großes Erstaunen bey den Zuhörern. Dies ging so weit, daß D. Wilson, einer der größten Kenner zu Oxford, der ihn zum erstenmal ein Konzert hatte spielen hören, nachher gestand: er habe Baltzarn nach den Füßen gesehen, ob nicht etwa einer davon ein Pferdefuß sey? weil ihm dessen Kunst übermenschlich erschienen habe. Nachdem nun König Karl II. wieder auf den Thron gesetzt worden war, wurde Baltzar zum Haupte der königl. Kammerkapelle, oder als Konzertmeister angestellt Diese Angabe ist nach Nagel (Geschichte der Musik in England) irrig. Richtig ist daran lediglich, daß Baltzar am 30. Nov. 1661 als » one of our Musicians in Ordinary« in die Hofmusik Karls II. eintrat.. Allein die Begierde, mit der man ihn in alle Dilettantengesellschaften zog, wo öfters mehr Bachus als Apollo den Vorsitz hatte, gab Gelegenheit, daß er sich endlich selbst dem Trunke ergab, seine Gesundheit vernichtete, und sich so vor der Zeit, im Juli des Jahres 1663 ins Grab brachte. Der 27. Juli war sein Begräbnistag.« Seine Wirksamkeit hatte eine größere Beliebtheit der Violine in England zur Folge, welche bis dahin ziemlich mißachtet worden war. (Nagel, Gesch. d. Musik in England.) Vergl. hierüber weiteres in dem Abschnitt über die englische Tonkunst gegen Schluß des Buches.
Burney hielt die Violinkompositionen Baltzars in technischer Hinsicht für die schwierigsten jener Zeit. Dies ist bezüglich des doppelgriffigen und akkordischen Spieles richtig, nicht aber in betreff des Lagenspieles. Hierin war ihm der Italiener Uccellini, dessen 1649 erschienene Violinkompositionen Burney wohl nicht gekannt hat, entschieden überlegen. Uccellini führt, wie wir sahen, seine Figuration bis zur sechsten Position hinauf, während Baltzar die dritte Lage nicht übersteigt. Dagegen aber haben die Kompositionen des deutschen Künstlers, vom rein musikalischen Standpunkt aus betrachtet, wiederum eine anmutendere Beschaffenheit vor den Uccellinischen voraus. Sie enthalten im Hinblick auf den damaligen, noch so wenig entwickelten Standpunkt der deutschen Instrumentalkomposition schon mancherlei Beachtenswertes, was für eine ungewöhnliche Begabung hinsichtlich der Erfindung sowohl, wie auch des Gestaltungsvermögens spricht; um so begreiflicher ist das Aufsehen, welches sie in England erregten.
Baltzars Kompositionen bewegen sich innerhalb des Gebietes der Kammersonate nach dem ursprünglichen Modus: sie bestehen aus Präludien, variierten Tonsätzen und Tänzen, welche in » the Division Violin« zum Abdruck kamen. Das erste Heft dieses Werkes erschien in London 1688 unter dem Titel: » The Division Violin (the first part) containing a choice collection of Divisions for the treble violin to a Ground Bass all fairly engraven on copper plates, being a great benefit and delight to all practitioners on the Violin and on the first that were ever printed of this kind of musik.«
Ein zweites Heft von » the Division Violin« wurde 1693, gleichfalls in London, veröffentlicht. Aus ihm teilt Burney im 4. Bande seiner Musikgeschichte eine Allemande Baltzars mit. Eine andere Sammlung Baltzarscher Kompositionen unter dem Titel » Sonatas for a lyra (?) Violin, Viol da Gamba and Bass« soll sich im Besitze Brittons, jenes Londoner Kohlenhändlers befunden haben, der ein eifriger Musikliebhaber war und nähere Beziehungen zu Händel unterhielt. Etwas später als Baltzar trat
Johann Fischer auf. Geb. Mitte des 17. Jahrhunderts in Schwaben (es ist weder sein Geburtsort noch der Name seines Lehrers bekannt), galt er zu seiner Zeit als ein vorzüglicher Violinvirtuose. Er gehört zu den ersten namhaften Geigern Deutschlands, die auf besondere Wirkungen durch Umstimmung der Saiten, die sogenannte scordatura, bedacht waren. Schon in jungen Jahren kam Fischer nach Paris, wo er bei Lully als Notenschreiber Beschäftigung fand. Die dadurch gewonnene nähere Bekanntschaft mit Lullys Kompositionen war von wesentlichem Einfluß auf sein eigenes Schaffen. 1681 wirkte Fischer an der Barfüßerkirche zu Augsburg. Aber schon im folgenden Jahr begab er sich auf Reisen, die ihn durch Deutschland, wo wir ihn 1685 am Hofe zu Anspach finden, und nach den russischen Ostseeprovinzen führten. Dann trat er 1701 für einige Jahre als Kapellmeister in die Dienste des Schweriner Hofes, durchwanderte hierauf Dänemark und Schweden und kehrte schließlich nach Deutschland zurück, um in Schwedt als markgräflicher Kapellmeister zu fungieren. Dort starb er angeblich 1721 im Alter von 70 Jahren. Von seinen Kompositionen, bestehend in Solos für die Violine und Viola, Ouvertüren, Tänzen und dergl. mehr, scheint nur wenig auf unsere Zeit gekommen zu sein.
Nächst Fischer ist Johann Jacob Walther (Walter) zu nennen. Geboren 1650 (nach Gerber) in dem Dorfe Witterda bei Erfurt, soll er das Violinspiel von einem Polen, dessen Bedienter er angeblich war, gelernt haben. Walther trat weiterhin 1676 als Violinist in kursächsische Dienste, vertauschte aber später (1688) diese Stellung mit der eines italienischen Sekretärs am kurmainzischen Hofe. Aus der Zeit seines Dresdner Wirkens ist ein Werk für Violine von ihm vorhanden, welches folgenden Titel führt: » Scherzi da Violino solo, con il Basso Continuo per l'Organo ô Cimbalo, accompagnabile anche con una Viola ò Leuto, di Giovanni, Giacomo Valther, Primo Violinista di Camera di sua Altezza Elettorale di Sassonia MDCLXXVI.« Diese » Scherzi« bestehen aus 12 mit bezifferten Bässen versehenen Violinkompositionen, welche in bunter Mischung bald an die Suitenform ( Sonata da camera), bald an die Variationenform erinnern. Acht davon sind ausdrücklich vom Autor mit der Bezeichnung » Sonata« versehen, was hier einfach mit »Spielstück« zu übersetzen ist, da eine bestimmtere formelle Anordnung, wie bei den Italienern, sich nicht geltend macht. Die meisten derselben enthalten drei bis vier einzelne, großenteils in ein und derselben Tonart stehende Stücke von oft wechselndem Zeitmaß. Nicht selten ist es bei Walther eine Reihe einzelner, aphoristischer Tonsätzchen, die das Ganze ausmachen, ähnlich wie in dem » Capriccio stravagante« Farinas. Doch unterscheiden sich diese Arbeiten ganz wesentlich von den Erzeugnissen des eben genannten Italieners. Denn nicht nur, daß sie eine größere Mannigfaltigkeit an Spielarten in verschiedenen Figuren (der Umfang derselben ist bereits bis [dreigestrichenen] g hinaufgerückt), Doppelgriffen, Akkorden und Arpeggios zeigen, sie offenbaren auch bereits das Streben nach jener subjektiven, individuellen Art des Ausdrucks und der komplizierten Gestaltungsweise, die den deutschen Geist überhaupt charakterisiert. Hierin gründet sich indes das Hauptinteresse an den Waltherschen Musikstücken; denn in künstlerischer Hinsicht sind sie völlig unergiebig. Der Satz ist pedantisch steif, unbeholfen in rhythmischer, eckig in modulatorischer, schwerfällig und unfrei trocken in melodischer Hinsicht. Es fehlt mit einem Wort jener Formen- und Schönheitssinn, welcher sich, ganz der Eigenart der Italiener entsprechend, in deren gleichzeitigen Kompositionen nicht verkennen läßt.
Von den übrigen vier Stücken dieses Waltherschen Opus sei nur noch das eine erwähnt, welches die Überschrift » Imitatione del Cucu« trägt. Der Kuckucksruf ist in der ganzen, aus mehreren Abschnitten bestehenden Piece ab und zu eingeflochten. Doch würde man dies keineswegs überall merken, wenn nicht jedesmal das Wort » cucu« gewissenhaft hinzugefügt wäre, – ein Seitenstück zu jenen alten Gemälden, auf welchen den Figuren beschriebene Zettel aus dem Munde hängen, um Gedanken oder Empfindung derselben dem Beschauer klar zu machen.
Vielleicht war der Komponist selbst nicht von der Wirkung dieser realistischen Spielerei befriedigt; denn wir ersehen aus einem zweiten von ihm vorhandenen Werk, welches 18 Jahre nach den » Scherzi« während seines Mainzer Aufenthaltes gedruckt wurde, daß er erneuerte Anläufe zu einer Kuckucksmusik unter Mitwirkung anderer Vogelstimmen versuchte. Dieses Opus führt wörtlich folgenden Titel: » Hortulus Chelicus. Daß ist Wohl-gepflanzter Violinischer Lust-Garten Darin Allen Kunst-Begierigen Musicalischen Liebhabern der Weeg zur Vollkommenheit durch curiöse Stück und annehmliche Varietät / gebahnet / Auch durch Berührung zuweilen zwey / drey / vier Seithen / auff der Violin die lieblichiste Harmonie erwiesen wird. Durch Johann Jacob Walter / Churfürstl. Mayntzis. Italiänischen Secretario. Mayntz / In Verlegung Ludovici Bourgeat, Buchhändlern 1694.« Obwohl der Autor der » Scherzi« in diesem sogenannten »Lustgarten« überall erkennbar ist, so zeigt er sich, die musikalische Gestaltung anlangend, hier doch in einem etwas günstigeren Lichte. Die einzelnen Musikstücke gewinnen nicht allein ein bestimmteres Gepräge im Hinblick auf die Formgebung, sondern auch in betreff des Spezialausdrucks. Indes, der Komponist vermag keineswegs seine unbeholfene Satzweise in melodischer, harmonischer und rhythmischer Beziehung zu verleugnen, und so findet sich in diesem Sammelwerk, welches aus 28 zum Teil suitenartig angelegten Piecen besteht, ebensowenig ein Stück von leidlich befriedigender musikalischer Wirkung, wie in seiner früheren Arbeit.
Wie wenig Deutschland zu Ende des 17. Jahrhunderts in betreff der Violinkomposition mit Italien zu rivalisieren vermochte, wird sehr anschaulich, wenn man diesen » Hortulus« gegen die gleichzeitig geschaffenen Sonatenwerke Corellis hält. Hier offenbart sich durchgebildeter Sinn für plastische Formgebung, organisch entwickelte Modulation und normale, gesanglich wirkende Melodik, – dort, mit geringen Ausnahmen, willkürlich sprunghafte Tonverbindung der leitenden Stimme, ungelenkig steife Figuration, unsauberer harmonischer Satz und überdies oft jene aphoristisch musivische Gestaltungsweise, die den Verfasser der » Scherzi« charakterisiert. Dagegen ist der » Hortulus Chelicus« wiederum an mannigfaltigen Spielarten ungemein reich, welche bei einer Ausdehnung von drei Oktaven in der häufig vertretenen Variationenform entwickelt werden. Bemerkenswert ist in dieser Beziehung ein Capriccio, dessen kurzes Thema, begleitet von der als Basso ostinato gebrauchten c-dur-Skala, 49 mal variiert wird. Doch offenbart der Komponist nicht zugleich einen eigentlichen Kunstzweck. Man empfängt vielmehr durchaus den Eindruck, als ob es ihm lediglich darauf angekommen sei, möglichst viel verschiedenartige Bewegungen auszuführen. Eine so untergeordnete künstlerische Tätigkeit erinnert an die unwillkürliche körperliche Motion eines geistig noch nicht entwickelten Menschen, der seine Gliedmaßen nur um irgendwelcher physischen Lebensäußerungen willen auf mannigfaltige Weise gebraucht.
Mit besonderer Vorliebe sucht Walther seinen »Violinischen Lustgarten«, wie schon bemerkt, durch Imitation verschiedener Vogelstimmen zu beleben. So läßt er den Hahn krähen, die Henne gackern und die Nachtigall schlagen Die in dem » Hortulus Chelicus« befindliche Sonate »Gallo e Gallina« (Hahn und Henne) ist von C. Medefind mit Klavierbegleitung bei Georg Näumann in Dresden herausgegeben worden. In demselben Verlage erschienen auch drei von Medefind mit Klavierbegleitung versehene Adagios von Veracini.. Den Kuckuck produziert er im Verein mit anderem ungenannten gefiederten Volk ( Scherzo d'Augelli con il Cucu). Auch gibt er in einer den Beschluß des Heftes bildenden Serenata ein Quodlibet von » Organo tremolante, Chitarrino, Piva, Trombe e Timpani, Lira tedesca und Harpa smorzata« – alles dies, wie ausdrücklich hinzugefügt wird, durch eine Solo-Violine dargestellt. Wir finden den Verfasser hier völlig, nur mit etwas mehr Gründlichkeit, auf dem naiven Standpunkt Farinas, welcher freilich ungefähr sieben Dezennien früher sein » Capriccio stravagante« erscheinen ließ. Offenbar war dieser Versuch, wenn auch nicht gerade Vorbild, so doch Antrieb für Walthers Unternehmen. Und wenn er auch in technischer Behandlung der Violine und bestimmterem Ausdruck seiner Absichten als Spätergeborener dem Italiener überlegen ist, so zeigt er doch dabei hinsichtlich des ideellen musikalischen Erfindens und Gestaltens kaum einen Fortschritt.
Läßt sich bei Walther einerseits in der » Serenata« der Einfluß Farinas wahrnehmen, so wird andererseits das Vorbild eines gleichzeitigen deutschen Komponisten namens Biber in dem » Hortulus Chelicus« erkennbar. Der letztere enthält ein auf einer Geige auszuführendes Violinduett ( Gara di due Violini in uno), ein Kunststück, mit welchem Biber in seinem sogleich zu betrachtenden Sonatenwerk bereits 1681, also 13 Jahre vor Walther, die musikalische Welt überraschte.
Walthers hervorragender Zeitgenosse Heinrich Ignaz Franz Biber (am 7. Juli 1690 in den erblichen rittermäßigen Adelstand erhoben und seitdem »Biber von Bibern« genannt) ist uns durch die Neuherausgabe »Denkmäler der Tonkunst in Österreich« V. Jahrgang, Wien 1898. Die ausgeführte Klavierbegleitung ist von J. Labor. seines bedeutendsten Werkes (8 Violinsonaten v. J. 1681) sowie durch eine sehr dankenswerte, vieles biographische Neue bringende Einleitung ebenda aus der Feder Guido Adlers wieder nahegerückt worden.
Aus diesem Grunde, sowie aus dem weiteren, daß Biber sowohl als ausübender Künstler, vor allem aber als Komponist für die Violine und in der Frühzeit des deutschen Geigenspieles die erste Stelle einnimmt, indem manche Sätze seiner Violinsonaten von dauerndem musikalischem Werte sind, dürfte eine etwas eingehendere Betrachtung seines Lebens und seines Werkes, soweit es für unser Interesse hier in Betracht kommt, am Platze erscheinen.
Biber wurde geboren am 12. August 1644 in Wartenberg an der böhmischen Grenze als Sohn eines Flurschützen. Von seiner Ausbildung wissen wir nichts. Aus den Titeln einiger seiner Kompositionen ist zu entnehmen, daß er um 1760 in Kremsier sich aufhielt, wahrscheinlich in erzbischöflichen Diensten. Die dortige Kapelle war damals unter dem Erzbischof Karl Graf v. Liechtenstein-Kastelkron (geb. 1624, Fürstbischof 1664-1695) wohlbesetzt und in gutem Zustande.
Von Kremsier siedelte Biber um das Jahr 1673, vielleicht erst 1676, nach Salzburg über, wo er bis zu seinem Tode, der am 3. Mai 1704 erfolgte, verblieb. Auf einem Sonatenwerk des Jahres 1676 nennt er sich »Musiker und Kammerdiener« des Erzbischofs Maximilian Gandolph Graf Khuenburg (Erzbischof von 1668-1687), dem diese Sonaten gewidmet sind. Auch sein Hauptwerk, die 8 Violinsonaten, deren Besprechung uns weiterhin beschäftigen wird, dedizierte er dem Grafen. Seit 1677 unterrichtete er die Domsängerknaben, 1684 ist er Präfekt des Singknabeninstitutes im Kapellhause. Sehr auffälligerweise hatte er keinen Unterricht auf der Violine zu erteilen. Schon im Jahre 1677 verlieh ihm Kaiser Leopold I. eine güldene Gnadenkette, Anfang 1679 wurde er Vizekapellmeister und begann berühmt zu werden. Im Mai 1681 kam er vergeblich um Erhebung in den Adelstand ein. Er wiederholte sein Anliegen neun Jahre später (1690) erfolgreich. In seinem Bittschreiben betonte er, daß er »bei vielen Höfen bekandt« sei. Wirklich hatte er nach Matthesons Angaben größere Kunstreisen unternommen, die ihn außer in Deutschland herum auch nach Italien und Frankreich geführt haben. In dem Adelsdiplom heißt es »insonderheit daß er durch seine Application in der Music zu höchster Perfection komen und durch seine verschiedentlich gethane Künstliche compositiones seinen Namen bey Vielen höchst bekannt gemacht«.
Am 6. März 1684 mit dem Kapellmeisterposten und dem Titel eines erzbischöflichen Truchseß betraut, beharrte er bis zu seinem, wie erwähnt, am 3. Mai 1704 erfolgten Tode in dieser Stellung. Ein Sohn (Karl Heinr. v. Bibern) wurde später Kapellmeister, ebenfalls in Salzburg.
Als Violinspieler stand Biber in hohem Ansehen. Gerber bemerkt über ihn, daß er »unter die größten Violinisten seiner Zeit« gehörte und meldet weiter, nachdem er der goldenen Kette und der Adelsverleihung von seiten Kaiser Leopolds gedacht, »auch stand er am bayerischen Hofe in hohen Gnaden, indem auch der dasige Kurfürst Ferdinand Maria sowohl, als dessen Nachfolger, ein jeder insbesondere, ihn mit einer goldenen Kette beschenkte, so daß er deren drei hatte«. Am besten belegen Bibers Violinsonaten seine für jene Zeit sehr hohe technische Ausbildung. Er sowohl als Walther konnten in dieser Beziehung sicherlich mit den gleichzeitigen italienischen Geigern rivalisieren, wenn sie denselben in gewissen technischen Fertigkeiten, z. B. im mehrstimmigen Spiel, nicht gar überlegen waren.
Über die Werke Bibers, die zum großen Teil nur handschriftlich (im St. Mauriz-Archiv zu Kremsier, sowie in Salzburg) erhalten sind, findet man ausführliche Angaben mit vielen interessanten Einzelheiten bei Adler. Sie bestehen teils aus Sonaten (Kirchen- und Kammersonaten, zwischen denen Biber noch nicht streng scheidet), teils aus Vokalkompositionen mit und ohne Orchester ( 2 Requiems, ein Stabat mater, eine Missa a 4 voci). Auch ein » Drama musicale« seiner Hand bewahrt das städtische Museum zu Salzburg. Es handelt von Armin und seinem Weibe Segesta und steht nicht auf der Höhe, die Biber sonst wohl erreichte Der Titel dieses Werkes ist: » Chi La Dura La Vince di Henrico Franc. di Bibern, Maestro di Capella della Altezza Giovanni Ernesto Arcivescovo Principe di Salisburgo.«.
Wir betrachten hier zunächst die mehrfach erwähnten acht Violinsonaten vom Jahre 1681, in denen Bibers künstlerische Bedeutung gipfelt, die insbesondere wohl das einzige seiner Werke sind, welches, wenngleich nicht in allen einzelnen Sätzen, auch heute noch für die praktische Musikpflege in Betracht kommt. Der Titel dieses Werkes lautet: Sonatae, Violino solo, Celsissimo, ac Revmo. S. R. I. Principi, ac Dnô Dnô Maximiliano Gandolpho, Ex. S. R. I. Comit. de Küenburg, Archiepiscopo Salisburgensi, S. Sedis Apostolicae Legato Nato, Germaniae Primati & Principi ac Domino suo Clementissimo, Dedicatae ab Henrico I. F. Biber, Altme. memtae. Celsitudinis Suae Capella Vice Magistro. Anno M. DC. LXXXI. Das dem Werke beigegebene Porträt des Komponisten trägt folgende Umschrift: » Henricus I. F. Biber, Celsmi. ac Reumi. Principis et Archiepi. Salisburg: Capellae Vice-Magister, aetat: suae XXXVI annorum.« Auch dieses Porträt ist, sowie obiger Originaltitel und ein Faksimile der ersten Seite in der erwähnten Neuausgabe der Sonaten reproduziert worden. Es zeigt Bibers wohlgestaltete, ernsthafte, einen Anflug von Humor aufweisende Züge.
Daß Biber auf dieses Werk selbst Gewicht legte, erhellt zur Genüge aus der Vorrede, in der er mitteilt, daß die hier abgedruckten Sonaten aus einer größeren Anzahl als die gelungensten von ihm ausgewählt worden seien. Sie stehen in a-dur, d-moll oder eigentlich dorischer Tonart, f-dur, d-dur, e-moll, c-moll, g-dur und a-dur. Die 5., 6. Und 7. sind die bedeutendsten. Unter ihnen befindet sich auch die einzige, die einem größeren Publikum bisher zugänglich war, die c-moll-Sonate, von Ferd. David dankenswerter Weise schon vor einer langen Reihe von Jahren in der »Hohen Schule des Violinspieles« herausgegeben. Da aber David, wie meist, sich auch hier keineswegs streng an das Original gehalten hat, so wird man sich von nun an lieber der neuen originalgetreuen Ausgabe bedienen. Hinsichtlich der Violinbehandlung stehen die Sonaten ungefähr auf einem Niveau mit Walthers Erzeugnissen, überragen dieselben aber ohne Frage an musikalischem Gehalt und künstlerischer Bedeutung. Selbst die Gestaltung ist, obwohl sie nicht selten gleichfalls ein formelles Suchen und Tasten erkennen läßt, hier und da doch schon prägnanter als bei seinem ebengenannten Zeitgenossen. Einzelne Stücke, wie z. B. die »Passacaglie« und »Gavotta« der sechsten Sonate, erweisen sich sogar als Tonsätze von sehr bestimmtem charakteristischem Gepräge und künstlerisch stimmungsvoller Wirkung. Dasselbe gilt von einer »Arie« mit vier Variationen aus der fünften, von einer reizenden Gigue aus derselben Sonate, von einem sehr schönen ausgeführten Rezitativsatz in Sonate sieben. Auch im übrigen finden sich noch interessante Einzelheiten genug, es genüge hier, auf den humoristischen Schluß der dritten Sonate zu verweisen.
Schon aus diesen Anführungen ersieht man die große Mannigfaltigkeit der Gestaltungsweise, die in den Sonaten zur Geltung kommt. Im allgemeinen ist darüber noch zu sagen, daß sie aus toccatenartigen Sätzen (die meist beginnen und schließen), variierten Arien und Tänzen und ziemlich frei gehaltenen polyphonen Sätzen bestehen. Ihren eigentlichen Kern bilden die Variationen, die keiner Sonate fehlen, was für den deutschen Geist – man denke an Beethoven – besonders charakteristisch zu sein scheint. Die Bässe werden dabei nicht variiert, einmal (in Sonate 1) kehrt derselbe Baß nicht weniger als 58mal wieder. Dagegen erscheint die Violinstimme in reicher Figuration, einzelne Variationen sind mehrstimmig, wohl auch fugiert. Im einzelnen herrscht, wie schon gesagt, große Freiheit und Mannigfaltigkeit. Tempoangaben finden sich selten, nur in ungewöhnlichen Einzelfällen (z. B. Presto für eine Arie) und da, wo durch raschen Tempowechsel ein besonderer Effekt erzielt werden soll. Ebenso sind Vortragszeichen sehr spärlich. Besondere Erwähnung verdient noch das Hereinspielen der Kirchentonarten, welches sich in den Vorzeichnungen ( d-moll und g-dur ohne Vorzeichen, g-moll mit einem ♭, d-dur mit einem ♯, usw.) zum Teil aber auch in der Musik selbst geltend macht. So steht die zweite Sonate zum Teil wirklich in dorischer Tonart, schlüpft aber gelegentlich in das moderne d-moll herüber, analoge Stellen finden sich in Sonate 5.
Eine glückliche Mischung von gravitätisch-pathetischer Würde, zurückhaltender Gefühlswärme, gelegentlichem Humor und virtuoser Spielfreude zeichnet das Werk in seiner Gesamtheit aus. Dieses alte Denkmal deutscher Violinkunst sollte stets von uns in Ehren gehalten, aber auch gespielt werden. Hoffentlich ist es nicht umsonst neu zugänglich gemacht worden. Technisch schwer sind die Sonaten nach modernen Begriffen nicht, wohl aber fordern sie liebevolles Eingehen in eine unserem Empfinden zunächst naturgemäß fremde Ausdrucksweise sowie Gewandtheit im Akkord- und mehrstimmigen Spiel. So macht Biber in der achten Sonate den Versuch, einen zweistimmigen, kontrapunktisch geführten, auf zwei Systemen verzeichneten Satz, gleichsam ein Duett für eine Violine, zu schreiben, durch welchen Walther offenbar zur Nachahmung angeregt wurde. Indes kann dieses für die damalige Zeit gewiß kühne Unternehmen nur als Kuriosum gelten.
Auf eine Besonderheit des Werkes ist noch hinzuweisen. Biber begnügt sich nicht mit der üblichen Geigenstimmung
sondern verändert dieselbe zweimal in und
Derartige Modifikationen der Geigenstimmung, welche, wie wir sahen, auch von Johann Fischer versucht wurden, lassen das Bestreben erkennen, eine von der gewohnten Wirkung abweichende Klangerzeugung zu gewinnen. Wie sicher sie auch erreicht wird, so ist doch dieses Verfahren schon allein im Hinblick auf Intonationsrücksichten, namentlich wenn eine Umstimmung mitten im Stücke erfolgen soll, sehr bedenklich, da die Saiten sich bei plötzlich veränderter Spannung vermöge ihrer Elastizität nur zu leicht sofort wieder verstimmen. Wirklich hat auch das Beispiel Fischers, Bibers und anderer nur in vereinzelten Fällen, die freilich bis in die Neuzeit reichen, Nachahmung gefunden.
Neuerdings ist ein weiteres Violinwerk Bibers in der gleichen Publikation wie das soeben besprochene erschienen Denkmäler der Tonkunst in Österreich. Jahrgang XII, 2. Teil. (Wien 1905.) – Die nach dem Baß ausgesetzte Begleitung der Son. 1-7 ist vom Hoforganisten Josef Labor, die der Son. 8-16 von Dr. Karl Navratil; die Vorrede von Dr. Erwin Luntz., das wenigstens aus historischen Rücksichten ebenfalls an dieser Stelle Erwähnung verdient. Es besteht aus 15 Sonaten mit Baß, denen eine sechzehnte für Violine allein angehängt ist. Diese letztere ist eine Passacaglia. Das kurze Motiv wird nicht weniger als 64mal, von wechselnden Figurationen umspielt, wiederholt. Ist die künstlerische Wirkung auch nicht befriedigend, so verdient doch das Werk als Studie Beachtung, speziell hinsichtlich der Geigenbehandlung, die gleich manchen andern Sätzen Bibers erhebliche Anforderungen an die Gewandtheit des Ausführenden im akkordischen und mehrstimmigen Spiel stellt.
In den übrigen 15 Sonaten wechseln freierfundene Sätze und Sätzchen mit Tanzformen, die meist auch variiert werden, so daß eine ähnliche bunte Mannigfaltigkeit entsteht wie in den 8 Sonaten vom Jahre 1681. Hierauf näher einzugehen ist nach dem über diese Gesagten um so weniger vonnöten, als die neu bekannt gewordenen Sonaten den erstbesprochenen nicht ebenbürtig sind.
Doch verdienen noch zwei Einzelheiten Beachtung. Erstlich ist von der Umstimmung der Geige, der sogenannten scordatura, in diesem Werke ein noch weit ausgiebigerer Gebrauch gemacht wie in jenem. Nur die erste Sonate schreibt die Normalstimmung vor, alle andern weisen Abweichungen auf, darunter so seltsame wie (in der 12.) oder gar (in der 8.).
Sodann ist jeder der Sonaten ein Kupferstich vorgesetzt, auf den der Inhalt derselben Bezug hat. Es handelt sich also in ihnen um eine Art von Programmusik und zwar eine prinzipiell einwandfreie, da die Wiedergabe eines umschriebenen Stimmungsgehaltes durchaus im Bereiche dessen liegt, was die Tonkunst ohne Gewaltsamkeit zu leisten vermag. Freilich muß gesagt werden, daß Biber die Aufgabe teils nur in sehr allgemeiner, teils auch in mehr äußerlicher Art und Weise gelöst hat und lösen konnte. Die Bilder stellen Szenen aus dem Leben Marias und Christus dar, sie beginnen mit der Verkündigung und enden mit der Krönung Mariä.
Um die Stellung, welche Biber mit seinen Violinkompositionen einnimmt, ganz würdigen zu können, muß man sich gegenwärtig halten, daß sein Hauptwerk dieser Art, eben die besprochenen acht Sonaten, vor Corettis gleichartigen Schöpfungen veröffentlicht wurde. Corellis erste Violinsonaten erschienen zwei Jahre später als die Bibers, nämlich 1683. So kamen von bedeutenderen italienischen Vorgängern nur die anderweit erwähnten Farina, Fontana, Legrenzi und Neri in Betracht, von Zeitgenossen Vitali, Torelli und Bassani, von Deutschen nur Walther. Ob übrigens Adlers Auffassung, Corelli sei im Vergleich mit Biber hinsichtlich der Violinbehandlung absichtlich reaktionär, ganz zutreffend ist, mag dahingestellt bleiben. S. 96 sahen wir, daß Corelli in den höheren Lagen wirklich nicht zu Hause war. In derartigem ist wohl kaum eine Absicht zu suchen. Corellis Hauptverdienst gegenüber Biber liegt, vom Inhaltlichen abgesehen, in der größeren formellen Durchbildung, die zudem noch einer außerordentlichen Weiterentwicklung fähig war.
Von unbedeutender Beschaffenheit und ungleich geringerem Interesse als Walthers und namentlich Bibers Erzeugnisse sind die noch vorhandenen Arbeiten eines vierten deutschen, im 17. Jahrhundert wirkenden Violinisten, namens Johann Paul von Westhoff, der 1656 zu Dresden als Sohn eines ehemaligen schwedischen Hauptmanns geboren, daselbst eine Zeitlang Kammermusikus war und 1705 zu Wittenberg als herzogl. Kammersekretär und Musikus starb. Westhoff führte nach den über ihn vorliegenden Notizen ein unstetes, buntbewegtes Leben. Sein Lehrer war sein Vater. Bald war er Sprachlehrer bei den sächsischen Prinzen, bald Kammermusikus. Dann diente er als »Fähndrich« in Ungarn gegen die Türken und war später auf Reisen in Italien, Frankreich, England und Holland. Hiernach übernahm er eine Professur der fremden Sprachen an der Hochschule zu Wittenberg, von wo er sich schließlich noch in weimarische Dienste begeben haben soll. Seine 1694 in Dresden gedruckten sechs Sonaten sind arm an Erfindung, etüdenhaft, monoton, und von dürftiger, ungeschickter Gestaltung, so daß sie im Grunde für den damaligen Stand der deutschen Violinmusik keine weitere Bedeutung haben.
Wenn wir die produktiven Leistungen Baltzars, Walthers und Bibers in ihrer Totalität betrachten, so gelangen wir zu dem Schluß, daß der von ihnen betretene Weg zu erfolgreichem künstlerischem Schaffen im Bereiche der Sonatenform nicht führen konnte. Trotz aller einzelnen glücklichen Griffe, namentlich bei Biber, lassen diese an sich so beachtenswerten Bestrebungen doch zu sehr die auf einheitlich geschlossene Struktur und plastische Formgebung bedachte Gestaltungsweise vermissen. Ein weiteres Vorgehen in solcher Richtung hätte offenbar weit eher Willkür und Zerfahrenheit erzeugen müssen, als eine nach bestimmten Gesetzen geordnete und organisch gegliederte Architektonik des Tonsatzes, deren gerade die Musik um so mehr bedarf, je immaterieller und inkonsistenter sie ist. Daher war es gut und kunsthistorisch notwendig, daß die Deutschen sich dem Einflusse der Italiener unterwarfen, welche bereits zu Ende des 17. Jahrhunderts Grundnormen für den Instrumentalsatz, insbesondere aber für die Sonatenform, gefunden und festgestellt hatten. Diese allen komplizierteren Gattungen der Instrumentalmusik zugrunde liegende Form ist es, welche der germanische Kunstgeist weiterhin als Mittel zu wunderwürdigem tondichterischem Schaffen verwertete: sie ist gleichsam das kostbare Gedankengefäß, in welches Deutschlands Musikheroen die idealen Gebilde ihrer unerschöpflich reichen und machtvollen Phantasie ergossen. Freilich kann dies keineswegs speziell von der deutschen Violinsonate gelten. Sie erhob sich, solange sie überhaupt kultiviert wurde, im allgemeinen niemals zu wahrhafter Selbständigkeit und Bedeutung, sondern verblieb vielmehr im Hinblick auf die italienische Violinsonate wesentlich im reproduktiven Stadium, während die Klaviersonate mit und ohne Begleitung nebst ihren Abarten in Deutschland zu höchster Blüte gelangte. Diese Tatsache ist für den deutschen Geist ebenso bezeichnend, wie der Umstand für die Italiener, in der Violinsonate epochemachend gewesen zu sein. Jede der beiden Nationen eignete sich mit Vorliebe als Organ für die schöpferische Tätigkeit dasjenige Instrument zu, welches zumeist der eigentümlichen Musikanlage entsprach. So griff der realistisch geartete, für das sinnlich schöne Tonelement empfänglichere Italiener zur Violine, während der Deutsche in seinem Idealbestreben sich vorzugsweise des Klaviers bemächtigte. Es wiederholt sich hier somit genau dasselbe Verhältnis, welches wir bereits in betreff des Violin- und Klavierbaues beobachteten.
Als in Deutschland allgemein die italienische Violinsonate adoptiert war, trat Tartini auf, dessen schöpferische Tätigkeit in diesem Kunstzweige unübertroffen, ja sogar unerreicht blieb. Sein Stil war der herrschende, solange noch die Spezialität der Violinsonate existierte. Konnten nun auch die Deutschen hierin ebensowenig wie die Franzosen eine durchaus selbständig hervorragende Bedeutung neben den Italienern erringen, so war doch mit Aufnahme und Nachbildung dieser Gattung nächst dem formellen Gewinn der unberechenbare Vorteil einer methodisch schönen Geigenbehandlung verbunden, die wohl aus den Kompositionen Corellis und seiner Nachfolger, keineswegs aber aus Walthers oder Bibers Arbeiten entnommen werden konnte.
Selbst der große Händel, welcher eine Reihe von noch vorhandenen Violinsonaten und Konzerten setzte, vermochte in diesem Genre, die allgemeinen künstlerischen Vorzüge seines Stils zugegeben, kaum noch etwas von wahrhaft eigentümlicher und bedeutender Geltung zu schaffen, und nur ein Riesengeist wie der Bachsche wußte sich unter den Deutschen noch mit seinen sechs Violinsonaten Die Bezeichnung »Violinsonaten« ist nicht unberechtigt. Bach hat zwar nur die Nummern 1, 3 und 5 des von Ferd. David bei Kistner in Leipzig neu herausgegebenen Werkes als »Sonaten«, die Nummern 2, 4 und 6 dagegen als »Partien« (Partiten) bezeichnet. Das Wort »Partie« (Partita) war aber gleichbedeutend mit der Bezeichnung »Suite«, für welche die Italiener zur Unterscheidung von der »Sonata da chiesa« den Namen »Sonata da Camera« hatten. Man kann daher die »Partien« in dem fraglichen Bachschen Geigenwerke ganz wohl als »Kammersonaten« bezeichnen. (ohne Baß) eine selbständige Position zu erobern. Indes unterscheiden sich diese Sonaten durchaus von den gleichartigen italienischen Erzeugnissen, zumal aber von denen Tartinis. Dieser gestaltet seine Gebilde mit eingehendster Berücksichtigung des Violincharakters, ja man darf sagen, seine Sonaten gingen aus dem Wesen der Violine hervor. Daher findet sich in seinen Kompositionen nichts, was einer echt violingemäßen Darstellung im Wege steht. Diese wird aber von Bach, indem er, die Grenzen des Möglichen berührend, wahrhafte Probleme der Violintechnik gibt, bisweilen in Frage gestellt. Seine Sonaten, die namentlich in den polyphon gehaltenen Sätzen den Sieg des Geistes über das beschränkte Material versinnlichen, sind keineswegs speziell für die violinspielerische Wirkung gedacht und geschaffen Bemerkenswert ist in dieser Hinsicht, daß mehrere Stücke aus den Violinsonaten sich unter den Klavier- und Orgelkompositionen des Meisters wiederfinden. So z. B. die Fuge aus der ersten, das wundervolle Einleitungsadagio der fünften. Die a-moll-Sonate existiert sogar ganz als Klaviersonate, nach d transponiert. Das Präludium der letzten ( e-dur) endlich ist, nach d-dur versetzt und für Orgel und Orchester eingerichtet, zu einer sehr wirkungsvollen Instrumentaleinleitung einer 1731 komponierten Ratswahlkantate geworden. Auch existiert diese ganze Sonate in einem Klavierarrangement., sondern verdanken vielmehr ihr Dasein jener spiritualistisch idealen Richtung, die auf unvergleichliche Weise sich mehr oder minder in den allermeisten seiner Werke manifestiert. Bachs Violinsonaten erweisen sich vorzugsweise als musikalische Charakterstücke, über deren hohen künstlerischen Wert freilich kein Zweifel bestehen kann.
Die vorhin erwähnte Einwirkung Italiens auf das musikalische Deutschland beruhte nicht allein in dem Studium der betreffenden, aus dem Süden eingeführten Kompositionen, sondern ebensosehr in wechselseitiger persönlicher Berührung. Schon Männer wie Farina, Corelli, Torelli und Vivaldi hielten sich zeitweilig in Deutschland auf, und sicher nicht ohne wesentliche, wenngleich jetzt nicht in jedem Falle mehr speziell nachweisbare Beeinflussung der Kunstkreise, in denen sie sich bewegten. Weiterhin sehen wir dann Tartini, Nardini und andere italienische Violinmeister wirksam in Deutschland.
Aber auch deutsche Violinspieler begannen frühzeitig nach Italien zu ziehen. Einer der ersten war Nicolaus Adam Strungk, geb. im November 1640 in Braunschweig, welcher als Violinist in den Diensten des Kurfürsten Ernst August von Hannover stand.
Strungk war zunächst Klavierspieler. Schon in seinem zwölften Jahre bekleidete er den Organistenposten an der Martinskirche in Braunschweig. Später, nachdem er sich vorwiegend dem Studium der Violine unter Leitung eines gewissen Schnittelbach, den Gerber einen der »größten Violinisten des 17. Jahrhunderts« nennt, gewidmet hatte, trat er 1661 als erster Geiger in die Kapelle zu Celle (bis 1665). Dann war er in Hannover tätig, ging von hier als Musikdirektor an das Hamburger Theater, für welches er auch einige Opern setzte, und reiste weiterhin in Begleitung des Herzogs von Hannover einige Jahre lang in Italien. Bei seinem Aufenthalte in Rom besuchte er Corelli. Von diesem befragt, welches Instrument er spiele, antwortete Strungk: das Klavier und ein wenig Geige. Aber, fügte er hinzu, mein größter Wunsch ist, Euch zu hören. Corelli spielte, während Strungk ihm auf dem Klavier akkompagnierte.
Nun ergriff dieser die Violine, verstimmte sie gleichsam zum Spaß, und fing an, durch die chromatischen Töne hindurch mit solcher Richtigkeit zu präludieren, daß Corelli, ganz erstaunt, in gebrochenem Deutsch zu ihm sagte: Ich heiße Archangelo (Erzengel), aber man kann Euch wohl heißen Archidiavolo (Erzteufel) Allgem. mus. Ztg. vom Jahre 1811, Nr. 25..
– Mehrfach spielte er auch in Wien vor dem Kaiser.
Bei seiner Rückkehr nach Deutschland erhielt Strungk 1688 die Berufung als zweiter Kapellmeister in Dresden. 1693 rückte er hier in die erste Kapellmeisterstelle, welche er bis zum Jahre 1696 inne hatte. Dann zog er sich nach Leipzig zurück. Er starb in Dresden am 23. September 1700.
Von Strungks Violinkompositionen wird ein 1691 herausgegebenes, doch schwerlich noch existierendes Werk unter folgendem Titel genannt Bei Fétis.: Exercices pour le Violon ou la Basse de Viol consistant en Sonates, Chaconnes etc., avec accomp. de deux Violons et basse continue.
Wenn Strungk als fertiger Künstler das italienische Musikleben auf sich wirken ließ, so verdankte Daniel Theophil Treu (auch Fedele genannt), geb. 1695 in Stuttgart, Schüler von I. S. Kusser, demselben geradezu seine Ausbildung. Er wurde vom Herzog von Württemberg nach Venedig geschickt, um dort unter Vivaldis Leitung das Violinspiel zu studieren. Vom Jahre 1727 ab stand er dann in Prag den Orchestern mehrerer vornehmer Kunstmäcene vor, ging aber später (1740) in die Dienste des schlesischen Grafen Schaffgotsch nach Hirschberg.
Über die Lebensumstände Treus finden sich weitläufige, doch für das künstlerische Wirken dieses Mannes völlig unergiebige Mitteilungen in Gerbers altem Tonkünstlerlexikon. Hier sei nur noch erwähnt, daß er als Tonsetzer sich hauptsächlich der Bühne widmete.
Ein anderer gleichzeitiger deutscher Violinspieler von Bedeutung, dessen musikalische Richtung durch italienische Einflüsse bestimmt wurde, war Johann Adam Birckenstock, geb. 19. Februar 1687 zu Alsfeld im Darmstädtischen. Sein Vater erhielt 1700 einen Ruf als Architekt nach Kassel, wo Ruggiero Fedeli Hofkapellmeister war. Der regierende Landgraf, alsbald auf das Talent des jungen Birckenstock aufmerksam gemacht, ließ ihm die Vergünstigung eines fünfjährigen Musikunterrichtes unter Leitung des genannten italienischen Künstlers zuteil werden. Die Fürsorge des Landesherren für seinen Schützling ging aber noch weiter: er schickte ihn zu fortgesetzter Ausbildung im Violinspiel auf ein Jahr zu Volumier nach Berlin, hierauf für einen gleichen Zeitraum zu Fiorelli (nicht zu verwechseln mit dem späteren Geigenmeister Fiorillo) nach Bayreuth, und schließlich auch noch nach Paris, wo er bei einem Violinisten namens de Val ein und ein halbes Jahr studierte. Bei seiner 1709 erfolgten Rückkehr aus der französischen Hauptstadt wurde er sogleich in der Kasseler Kapelle angestellt, welcher er von 1721 ab als erster Violinist angehörte. Im folgenden Jahre begab er sich für einige Monate nach Amsterdam. Sein dortiger Aufenthalt, während dessen er 12 Violinsonaten mit Baß als Op. 1 erscheinen ließ, hätte ihn beinahe nach Lissabon geführt. Der König von Portugal suchte nämlich für seine Kapelle einen tüchtigen Konzertmeister, weshalb in Amsterdam ein Konkurrenzspiel veranstaltet wurde. Birckenstock beteiligte sich an demselben und errang den Preis vor allen andern Geigern. Doch konnte er sich nicht dazu entschließen, seinen hohen Gönner, dem er die künstlerische Ausbildung verdankte, zu verlassen. So kehrte er denn nach Kassel zurück, und als Anerkennung dafür erfolgte 1725 seine Beförderung zum Hofkonzertmeister. Doch blieb er nur fünf Jahre in dieser Stellung. Denn als der Landgraf 1730 starb, übernahm er die Leitung der Herzogl. Kapelle zu Eisenach. Hier wirkte er bis zu seinem Tode, welcher schon nach drei Jahren, am 26. Februar 1733 erfolgte.
Daß Birckenstock trotz seiner nahen Beziehung zu französischen Violinmeistern die durch Fedeli und Fiorelli empfangenen Eindrücke des italienischen Musikgeistes nicht abgestreift, sondern vielmehr seinem Wesen assimiliert hatte, beweisen unwiderleglich seine Violinsonaten, welche unverkennbar nach dem Vorbilde Corellis geschaffen sind. Ein besonderes Interesse gewähren sie dadurch, daß sie der formellen Anordnung nach zu den frühesten wirklichen Sonaten gehören, welche von Deutschland ausgingen. Ihr musikalischer Gehalt ist nicht bedeutsam und nur von mittlerer Güte. Birckenstock veröffentlichte noch ein zweites Sonatenwerk und außerdem 12 Konzerte.
Wie entschieden aber auch ohne persönliche Berührung das Beispiel Italiens seit dem Beginn des 18. Jahrhunderts auf Deutschland wirkte, zeigt der berühmte, am 14. März 1681 in Magdeburg geborene Hamburger Musikdirektor Georg Philipp Telemann, unter dessen zahlreichen Kompositionen sich »Corellische Nachahmungen mit zwei Violinen und Generalbaß« finden, obwohl gerade von ihm gemeldet wird, daß er sich nach dem französischen Stil gebildet habe, welcher im Gegensatz zu dem damals ernsteren, gediegeneren Wesen der italienischen Musik das rhythmisch belebte, elegante Genre repräsentierte. Für seine Violinsonaten und Konzerte war Telemann zur Hauptsache aber jedenfalls auf das Vorbild der gleichzeitigen italienischen Meister hingewiesen. Diese Kompositionen erwecken irgendeinen tieferen Anteil nicht. Ihr Hauptvorzug gründet sich auf die formelle Gewandtheit, welche Telemann wohl zumeist einer durch massenhafte Produktion erworbenen Routine verdankte. Um einen Vorwand zum musikalischen Schaffen mochte er nie verlegen gewesen sein. Hat der fleißige und um seine Zeit sicher auch sehr verdiente Mann unter anderem doch sogar »Melodische Frühstunden beym Pyrmonter Wasser«, und zwar in Rücksicht auf »drei Kur-Wochen«, sowie »Moralische Cantaten« und einen »Lustigen Mischmasch für Violine oder Flöte, nebst Generalbaß« komponieren müssen.
Telemanns Instrumentalmusik ist bei aller Respektabilität durchweg von einer seltenen Sterilität und Trockenheit. Man könnte ihren Autor vergleichsweise den deutschen Vivaldi nennen, obschon dieser in quantitativer Hinsicht des Produzierens weit hinter Telemann zurücksteht: er soll zuletzt selbst nicht mehr gewußt haben, wieviel und was er geschrieben. Freilich hat keine Note davon den Komponisten überlebt. Telemann bekleidete seit 1708 das Amt eines fürstl. Eisenachschen Konzertmeisters. Er widmete sich in dieser Stellung mit großem Eifer dem Violinspiel, wie man aus einer höchst originellen Mitteilung in Matthesons »Ehrenpforte« entnehmen kann, wo es S. 361 heißt: »Er (Telemann) sey, so oft er mit Hebenstreiten ein Doppelkonzert auf der Violine zu spielen gehabt habe, genöthigt gewesen: um ihm einigermaßen an Stärke gleich zu kommen, sich etliche Tage vorher, mit der Geige in der Hand, mit aufgestreiftem Hemde am linken Arm, und mit stärkenden Beschmierungen der Nerven, einzusperren und sich auf diese Art zu diesen Kämpfen vorzubereiten.«
Hebenstreit, der Erfinder eines hackebrettartigen Instruments, Pantaleon genannt, von dessen Komposition diese sogenannten »Doppelkonzerte« nach Gerbers Angabe waren, wirkte zu jener Zeit gleichfalls in Eisenach als Kapelldirektor und Hoftanzmeister, nachdem er schon zu Ende des 17. Jahrhunderts in Leipzig Tanzmeister gewesen. Infolge seiner Berufung nach Dresden als Kammermusikus (1708) trat Telemann in die von ihm bisher bekleidete Eisenacher Kapellmeisterstelle. 1712 wandte er sich nach Frankfurt a. M., wo er an zwei Kirchen Kapellmeister wurde, und ging 1721 als Musikdirektor nach Hamburg. Hier wirkte er bis zu seinem am 25. Juni 1767 erfolgten Tode.
Wir haben vorstehend das Material zusammengestellt, welches über die deutschen Violinisten von Mitte des 17. bis ins 18. Jahrhundert hinein vorhanden ist. Allenfalls wäre hier noch Georg Muffat (16..-1704) zu erwähnen, der zwar Organist war, aber in seinem » Suavioris harmoniae instrumentalis hyporchematicae florilegium« (1695 und 98, neu herausgegeben in den »Denkmälern der Tonkunst in Österreich« Bd. I und II) Orchestersuiten für Streichinstrumente und wertvolle Anweisung für das Spiel derselben und die Ausführungen der Verzierungen (in vier Sprachen) gibt. In dem 11. Jahrgang derselben Publikation sind ferner Concerti grossi von Georg Muffat neu herausgegeben worden, zu denen er gelegentlich eines Aufenthalts in Rom (1682) durch Corellis gleichartige Kompositionen angeregt wurde, wie wir bereits früher erwähnten.
Es sind noch einige Violinisten des Namens Muffat bekannt, von denen wir aber kaum mehr als die Namen wissen. Sie folgen hier. Friedrich, um 1723 Stabkammerdiener und Hofmusiker in Mannheim; Gottfried, Violinist an der Wiener Hofkapelle vom 1. Juli 1701-1709, da er starb; Johann, an der Wiener Domkapelle vor 1740; endlich Johann Ernst, unter Joseph II. an der Wiener Hofkapelle, entlassen, 1730 neu angestellt, am 25. Juni 1746 im Alter von 48 Jahren gestorben. (Eitner, Qu.-L.)
Weiterhin wird eine größere Verbreitung des kunstgemäßen Violinspiels auch in Deutschland bemerkbar, doch auf andere Weise, wie in Italien. Zunächst sorgte dafür, in freilich mehr handwerklichem Sinne, das »Stadtmusikantentum«, jene aus den zunftartigen musikalischen »Brüderschaften« Vgl. S. 218 f. hervorgegangene Institution, die dem modernen gewerbefreiheitlichen Prinzip zufolge in neuerer Zeit fast ganz verschwunden ist. Jede deutsche Stadt von einiger Bedeutung besaß eine sogenannte Kunstpfeiferei, deren Leiter, der Stadtmusikus, das Privilegium hatte, junge Leute auszubilden und mit ihnen in einem gewissen Distrikt nach Erfordernis und Belieben Musik zu machen. In seinem Bezirk war er befugt, den gewerbsmäßigen Musikbetrieb zu verbieten. Die Stadtpfeifereien standen in Deutschland, wie uns Joh. Adam Hiller in seinen »Lebensbeschreibungen berühmter Tonkünstler« sagt, zu Ende des 17. Jahrhunderts schon in voller Blüte. Manche Musiker, die später zu Bedeutung gelangten, machten in ihnen die erste Lehre durch. So auch z. B. der berühmte Flötist Quantz. »Er war in der Lehre beim Stadtmusikus Fleischhack zu Merseburg, der selbst als guter Geiger galt. Dort lernte er zuerst die Violine. Bald nachher ergriff er noch die Hoboe und Trompete, gab sich auch während seiner Lehrjahre, außer der Violine, am meisten mit diesen beiden Instrumenten ab. Da aber ein kunstgerechter Stadtpfeifergeselle in Deutschland auf allen Instrumenten mußte mitmachen können, so wurde er auch mit den andern, als Zinken, Posaune, Waldhorn, Flöte à bec, deutscher Baßgeige, Viola de Gambe, und der Himmel weiß mit wieviel mehreren, nicht verschont. Quantz hatte immer die Violine als sein Hauptinstrument am fleißigsten geübt. Die Solos von Biber, Walther, Albicastro Albicastro, eigentlich Weißenburg (Heinrich), ein Dilettant, vortrefflicher Violinist und Komponist für die Violine, geb. in der Schweiz, lebte zu Anfang des 18. Jahrhunderts und starb während des letzten spanischen Sukzessionskrieges als Rittmeister bei der alliierten Armee. Er ließ einige Werke, namentlich Violinsonaten, bei Roger in Amsterdam stechen, auf welchen, statt seines Namens, D. H. W. Cavaliere steht. (Gerbers neues Tonkünstlerlexikon.), hernach von Corelli und Telemann, waren seine Schule. Quantz war lange als Violinspieler tätig, namentlich als Gehilfe bei Stadtmusikern; das gedankenlose Tanzspielen war ihm aber beschwerlich.«
Im Gegensatze zu den Stadtpfeifereien fand das deutsche Violinspiel die höhere künstlerische Pflege vorzugsweise an den fürstlichen Höfen, deren Häupter durch ihre Vorliebe für theatralische und musikalische Genüsse hervorragenden Talenten des In- und Auslandes Gelegenheit zu angemessener und für die Entwicklung der Kunst einflußreicher Tätigkeit gaben. Nicht selten nahmen die regierenden Fürsten persönlich in der einen oder anderen Weise tätigen Anteil an der Kunstübung, und in diesen Fällen hatte das von ihnen ausgeübte Mäcenatentum seine besonders erfreuliche Seite. Aber auch selbst da, wo Prachtliebe, Verschwendung und Eitelkeit an die Stelle echten Kunstsinnes traten, konnte der Gewinn für die Sache nicht ausbleiben, und es ist unwiderleglich, daß die deutschen Höfe des 18. Jahrhunderts sich um die Kunst und deren Förderung ein unvergängliches Verdienst erwarben. Namentlich war dies auch in betreff des Violinspiels der Fall, da sie den Mangel förmlicher Schulen, wie solche in Italien durch epochemachende Meister gegründet wurden, geradezu ersetzen mußten. Daß bei der Wahl zwischen deutschen und italienischen Violinspielern oft zugunsten der letzteren entschieden wurde, findet meist seine Erklärung in der Überlegenheit derselben nach Zahl und Leistungsfähigkeit, womit keineswegs in Abrede gestellt werden soll, daß nicht mitunter lediglich ein hergebrachtes Vorurteil für das Fremdländische den Ausschlag gegeben habe.
Das deutsche Violinspiel stand während der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts mit vereinzelten Ausnahmen ganz entschieden unter Italiens Botmäßigkeit, und wenn auch weiterhin sich vielfach das Streben nach Befreiung von diesem Verhältnis erkennen läßt, so gelangte Deutschland im Hinblick auf den fraglichen Kunstzweig doch erst mit Beginn des 19. Jahrhunderts zu voller nationaler Selbständigkeit. Wie dies alles sich nach und nach gestaltete, zeigt ein Blick auf das Musikleben an den bedeutendsten deutschen Höfen.
Zunächst nimmt Dresden unsere Aufmerksamkeit in Anspruch. In keiner deutschen Stadt fand vielleicht die Tonkunst so frühzeitige und nachhaltige Pflege als eben hier. Der kursächsische Hof übte infolge seiner ungewöhnlichen künstlerischen Bedürfnisse zu allen Zeiten eine bedeutende Anziehungskraft auf einheimische und auswärtige Musiker. Mehr und andauernder als anderswo wurde bei Besetzung der Stellen auf italienische Künstler Rücksicht genommen. Schon in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts befanden sich unter den 12 Instrumentisten der Hofkapelle fünf Italiener. Seit Mitte des 17. Jahrhunderts beherrschten dieselben mehr oder minder das künstlerische Terrain Dresdens bis ins 19. Jahrhundert hinein, namentlich im Hinblick auf die Opernbühne Das Nähere hierüber s. in Fürstenaus Geschichte der Musik und des Theaters am Dresdner Hofe.. Es ist bekannt, daß eine selbständige deutsche Oper in Dresden erst mit der Berufung K. M. v. Webers (1817) ins Leben trat. Bis dahin führte sie neben der italienischen Oper in Wahrheit nur eine Scheinexistenz. Die Bühne wirkte auf das Orchester zurück. Bei Besetzung der Kapellmeister- und Konzertmeisterposten war vorzugsweise die Vorliebe für den italienischen Geschmack entscheidend, und selbst in betreff der für diese Ämter ausersehenen deutschen Künstler machte sich diese Tendenz zum großen Teil noch zu einer Zeit geltend, als das Italienertum in Deutschland bereits durch den Aufschwung der heimischen Kunst mehr und mehr aus seiner allmächtigen Stellung verdrängt wurde. Natürlich war der Konzertmeister als Hauptrepräsentant der Violine für dieses Instrument maßgebend. Im Zusammenhange hiermit steht es ohne Zweifel, daß Dresden nur so lange Bedeutung für die Entwicklung des deutschen Violinspiels hatte, als das letztere des engen Anschlusses an das italienische Vorbild bedurfte. Sobald dieser Standpunkt überwunden war, konnte Dresden in der fraglichen Beziehung mit andern deutschen Städten nicht mehr gleichen Schritt halten, so bedeutende Geiger die sächsische Residenz auch später noch besaß.
Der Dresdner Hof hatte es sich schon frühzeitig angelegen sein lassen, namhafte Vertreter des Violinspiels für seine Dienste zu gewinnen. Über Farina, Furchheim, Walther und Westhoff wurde bereits gesprochen. Wie Verdienstliches diese Männer auch geleistet haben mögen, so erlangte Dresden doch nicht vor der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts in diesem Fache seine maßgebende Stellung. Sie wurde durch den in der italienischen Schule erzogenen Konzertmeister Johann Georg Pisendel Vgl. S. 122-123. gewonnen. Zu Karlsburg in Franken am 26. Dezember 1687 geboren, erregte er bereits frühzeitig durch ungewöhnliche musikalische Anlagen die Aufmerksamkeit seiner Umgebung. Sein Vater, selbst Musiker, gab ihm den ersten Unterricht, wie es scheint im Gesange; denn es wird (bei Gerber) berichtet, daß der Knabe »schon in seinem neunten Jahre, als eben der Markgraf von Ansbach durch Karlsburg reiste, in der Kirche vor selbigem mit einer italienischen, für den Sopran gesetzten Motette sich konnte hören lassen«. Der Markgraf fand Vergnügen an seinem Gesange und nahm ihn sogleich als Sopranisten in seine Kapelle auf.
Die Ansbachische Kapelle zählte damals zu ihren Mitgliedern nicht nur deutsche, sondern auch italienische Künstler. Unter den letzteren stand neben dem berühmten Kapellmeister Pistocchi als Konzertmeister Torelli Vgl. S. 79-81.. Pisendel wurde sein Schüler auf der Violine, obwohl er sich nebenbei die Pflege der Singkunst angelegen sein ließ, ein Umstand, der sicher auf seine spätere künstlerische Wirksamkeit von wichtigstem Einfluß war. Nach Verlauf einiger Jahre verlor indes Pisendel die Stimme, und er gab sich nun nicht allein eifriger noch als bisher dem Studium der Violine hin, sondern war auch bis 1709 als Geiger im Orchester tätig. Trotz alledem hatte, wie Hiller in seinen »Lebensbeschreibungen usw.« mitteilt, »ihn sein Vater zum Studieren bestimmt, und dieser Absicht gemäß besuchte er das Ansbachische Gymnasium, wo er nicht fleißiger hätte sein können, wenn er auch gar keine Zeit auf die Musik verwendet hätte. Dies (so fügt der ehrwürdige Leipziger Kantor hinzu) sei jungen Tonkünstlern zur Lehre und Aufmunterung gesagt, wenn sie, wie es bei den meisten der Fall ist, Gelegenheit haben, sich mit beiden, den Schul- und musikalischen Wissenschaften, bekannt zu machen. Es ist einem Gelehrten keine Schande, Kenntnisse von der Musik zu haben; ebensowenig hat es je einem Tonkünstler geschadet, wenn er sich auch in andern Wissenschaften umgesehen hatte«.
Den Wünschen seines Vaters gemäß bezog Pisendel 1709 die Universität Leipzig. Aber das Geschick hatte ihn zum Künstler bestimmt, und so gewann die musikalische Tätigkeit schnell das Übergewicht. Sehr bald trat er mit einem Konzert seines Meisters Torelli in einer musikalischen Gesellschaft auf. Seine dürftige Figur und Kleidung mochte kein günstiges Vorurteil für ihn wecken; denn eines der gegenwärtigen Orchestermitglieder, der Violoncellist Götze, konnte sich – wie Gerber mitteilt – nicht der halb spöttischen Äußerung enthalten: »Was will doch das Pürschgen hier? der wird uns was Rechtes vorgeigen!« Kaum aber hatte Pisendel das erste Solo angefangen, als Götze sein Cello auf die Seite setzte und ihn mit Verwunderung ansah. Noch mehr wirkte das Adagio auf ihn, er riß während desselben die Perücke vom Kopf, warf sie auf die Erde und konnte kaum das Ende erwarten, um ihn mit Entzücken zu umarmen. Pisendels Stellung als Musiker war nun in Leipzig gemacht. Es wurde ihm weiterhin nicht nur die Musikdirektion in dieser Gesellschaft, » Collegio musico« genannt, sowie in der Neukirche, sondern auch in der Oper übertragen, und er verwaltete sein Amt »mit dem größten Ruhme«. Inzwischen hörte ihn der damalige Dresdner Konzertmeister Volumier spielen. Diesem gefiel er so sehr, daß seine Berufung in die kurfürstliche Kapelle mit der Auszeichnung erfolgte, seinen Platz neben dem Konzertmeister nehmen zu dürfen. In dieser Stellung verblieb Pisendel bis zum Tode Volumiers, da er dann 1728 erst provisorisch, im Jahre 1731 aber definitiv in dessen Amt eingesetzt wurde. Er hatte sich dazu um so fähiger gemacht, je rastloser er für seine weitere Ausbildung tätig gewesen war. Freilich wurde er dabei vom Glück begünstigt. Während der Jahre 1714-1716 fand er Gelegenheit, in Frankreich und Italien zu reisen und namentlich in letzterem Lande seine Ausbildung als Violinspieler noch zu fördern. In Venedig wurde er für einige Zeit Vivaldis, in Rom Montanaris Schüler.
Mit dem Antritt des Konzertmeisterdienstes begann Pisendels Bedeutung für das Violinspiel des nördlichen Deutschland. Zunächst wurde er von Wichtigkeit für das Ensemblespiel im Orchester, auf dessen Hebung er alle Sorgfalt verwendete. Sein in Paris gebildeter Vorgänger Volumier war dem französischen Geschmack ergeben und vertrat denselben auch während seines Dresdner Wirkens. Pisendel ließ es nicht dabei bewenden, sondern fügte die Resultate seiner künstlerischen, namentlich in Italien wesentlich bereicherten Bildung hinzu. Von dem Eifer, mit welchem er seinem Amte vorstand, findet sich bei Gerber folgende Mitteilung: »Nach jeder verfertigten Oper besprach sich Hasse mit dem Konzertmeister über die Bezeichnung der Bogenstriche und anderer zum guten Vortrag nötiger Nebendinge. Und so, wie die Stimmen aus der Hand des Kopisten kamen, erhielt sie Pisendel, der sie mit aller Aufmerksamkeit durchsah und jeden kleinen, die Ausführung betreffenden Umstand sorgfältig anzeigte. Daher entstand aber auch die mit Recht so vielfältig bewunderte Accuratesse des damaligen Dresdner Orchesters, und es schien, als wenn die Arme der Violinisten durch einen verborgenen Mechanismus alle zu einer gleichförmigen Bewegung gezwungen würden.«
Hiermit übereinstimmend berichtet Reichardt in seinen »Briefen eines aufmerksamen Reisenden« (S. 10 ff.), »daß Pisendel sich fast unglaubliche Mühe gab, zu jeder Oper, zu jedem Kirchenstücke, so unter ihm aufgeführt wurde, über alle Stimmen das Forte und Piano, seine verschiedenen Grade, und selbst jeden einzelnen Bogenstrich vorzuschreiben, so daß bey der sehr gut gewählten Kapelle, die zu der Zeit der Dresdner Hof hatte, nothwendig die allervollkommenste Ordnung und Genauigkeit herrschen mußte«.
Über die Art und Weise, wie Pisendel sein Orchester leitete, bemerkt Reichardt außerdem: »Um bey dem Anfange des Stücks den Übrigen die Bewegungen recht deutlich und vernehmlich zu machen, hatte Pisendel die Angewohnheit, bey den ersten Takten in währendem Spielen die Bewegung mit dem Halse und Kopfe der Violine anzugeben. Waren es 4 Viertel, die den Takt ausmachten, so bewegte er die Violine einmal unterwärts, dann hinauf, dann zur Seite, und wieder hinauf; waren es 3 Viertel, so bewegte er sie einmal hinunter, dann zur Seite, dann hinauf. Wollte er das Orchester mitten im Stücke anhalten, so strich er nur die ersten Noten jedes Taktes an, um diesen desto mehr Kraft und Nachdruck geben zu können, und darinnen hielte er zurück usw.«
Entfaltete Pisendel einerseits als Konzertmeister eine Tätigkeit, die in jener musikalisch lebhaft aufstrebenden Zeit nicht ohne bedeutende Rückwirkung auf das Treiben benachbarter Kunstkreise bleiben konnte, so wurde er andererseits speziell für das Violinspiel wichtig als Lehrmeister. Es wird ihm nachgerühmt, daß er stets in uneigennütziger Weise mit Rat und Tat junge Männer unterstützt habe. Unter diesen letzteren befand sich ein Talent von hervorragender Bedeutung: Johann Gottlieb Graun. Er war zwar nicht ausschließlich Schüler Pisendels, doch verdankte er ihm einen Teil seiner Leistungsfähigkeit als Violinspieler. Auch Männer wie Quantz und Karl Heinrich Graun hatten sich seines künstlerisch anregenden und fördernden Verkehrs zu erfreuen. Der erstere bekennt in seiner Autobiographie ausdrücklich, daß er nicht nur im Vortrag des Adagio, sondern auch, was die Ausführung der Musik überhaupt betrifft, das meiste von Pisendel profitiert habe, und fügt hinzu, daß dieser ein ebenso großer Violinist als würdiger Konzertmeister, und ebenso braver Tonkünstler als rechtschaffener Mann gewesen sei, eine Angabe, die an andern Orten ohne Vorbehalt wiederholt wird. Pisendel war auch als Komponist namentlich für sein Instrument tätig. In der königl. Privatmusiksammlung zu Dresden werden seine Arbeiten, darunter 8 Konzerte, 2 Sonaten und 2 Soli für Violine, aufbewahrt. Dieselben sind heute indes völlig bedeutungslos.
Mit dem am 25. November 1755 erfolgten Tode dieses Meisters ging Dresdens Bedeutung für das norddeutsche Violinspiel auf Berlin über, wohin Pisendels Einfluß durch Johann Gottlieb Graun getragen wurde.
Berlin gewann in musikalischer Beziehung erst Ansehen seit dem Regierungsantritt Friedrichs des Großen. Wenigstens fand die Musik vorher keine Beachtung seitens des Hofes, ein Umstand, welcher in jener Zeit für Pflege und Gedeihen der Kunst bedeutsam war. Friedrich Wilhelm I. war der letzteren abhold und widersetzte sich sogar mit der ihm eigenen Härte dem Musiktreiben seines Sohnes, der schon als Kronprinz einer lebhaften Neigung für dasselbe ergeben war. Burney berichtet hierüber: »Der König hatte dem Kronprinzen sehr ernsthaft verboten, so wenig Musik zu hören, als selbst sie zu lernen, und daher konnte dieser Prinz seine Neigung zu diesen, Vergnügen nur verstohlener Weise befriedigen. Herr Quantz hat mir nachher erzählt, daß es die königliche Frau Mutter gewesen, die dem Kronprinzen zu diesem Zeitvertreibe behilflich war und die Musiker für ihn annahm. Aber so sehr war bei dieser Sache das Geheimniß nöthig, daß die Söhne Apollos in großer Gefahr geschwebt hätten, wofern es dem Könige bekannt geworden wäre, daß man seine Befehle so überschritt. Der Prinz wendete oft die Jagd vor, wenn er Musik haben wollte, und hielt seine Concerte in einem Walde oder unterirdischen Gewölbe.«
Schon diese Mitteilung, sollte sie auch nicht durchaus wörtlich zu nehmen sein, zeigt deutlich, daß Friedrich der Große bereits als Jüngling leidenschaftlich der Musik ergeben war. In der Tat war sie für ihn nicht Gegenstand fürstlichen Luxus', sondern Bedürfnis seiner künstlerisch gestimmten Natur. Er trieb die Kunst, welche sogar während des siebenjährigen Krieges nicht von ihm vernachlässigt wurde, bis in sein hohes Lebensalter mit ebensoviel Geschick als warmer Hingebung Vgl. »Friedrich der Große als Musiker« von W. Kothe. Braunsberg 1869.. Selbst ein Meister auf der Flöte, namentlich im Vortrag des Adagio Allgem. mus. Ztg. vom Jahre 1819, Nr. 48., welches er sehr ausdrucksvoll zu behandeln verstand, ging er dem Musiktreiben seiner Residenz, ja man darf sagen des ganzen Landes, durch regelmäßige, in seinem Schlosse abgehaltene Musikaufführungen mit gutem Beispiel voran. Benda zählte im Jahre 1773, da ihn Burney in Potsdam sprach, an die 50 000 Konzerte, welche er dem König akkompagniert, wie Hiller berichtet, der die Bemerkung hinzufügt: »Schwerlich wird ein Flötenist von Profession deren so viele gespielt haben.«
Welch einen inneren Anteil Friedrich II. der Kunst schenkte, beweist unter anderem die Tatsache, daß er bei der ihm 1759 ins Winterquartier zu Leipzig gebrachten Nachricht von dem Tode seines Kapellmeisters Karl Graun unter Tränen in die Worte ausbrach: »Einen solchen Sänger werden wir nicht wieder hören.« – Daß Friedrich auch selbst, und nicht schlecht, komponiert hat, ist bekannt. Neuerdings erschien eine Auswahl seiner Werke (zumeist für Flöte) im Breitkopf-Härtelschen Verlag.
Dieser erleuchtete Monarch bildete recht eigentlich den Mittelpunkt des Berliner Musiklebens, nicht nur insofern er die Kunst selbst mit regstem Eifer trieb, sondern vornehmlich, weil sein Geschmack maßgebend war. Friedrich der Große huldigte im Hinblick auf die Bühne ausschließlich der italienischen Opera seria, und da er das im Jahre seiner Thronbesteigung erbaute Opernhaus häufig besuchte, in welchem er meist seinen Platz im Parterre unmittelbar hinter dem Kapellmeister nahm, um gleichzeitig die Partitur verfolgen zu können, so ist es um so begreiflicher, daß man die von ihm beliebte Richtung vorzugsweise berücksichtigte. Gegen die neuere italienische Opernschule verhielt er sich während seines ganzen Lebens ablehnend; neben einigen älteren italienischen Meistern hatten für ihn unter den Deutschen nur Hasse und Graun Bedeutung.
Für die Pflege der Instrumentalmusik war der König nicht minder tonangebend. In patriarchalischer Weise versammelte er einen Kreis vorzüglicher Künstler um sich, mit denen er fleißig musizierte. Die hervorragendsten darunter waren im Laufe der Zeit: sein Lehrer Quantz, die Gebrüder Graun, Franz Benda, Philipp Emanuel und Friedemann Bach, Fasch (Gründer der Berliner Singakademie), Agricola und Reichardt.
Durch Quantz und die beiden Graun insbesondere wurde der Einfluß Dresdens, durch Emanuel und Friedemann Bach, sowie durch Agricola, außer dem noch Kirnberger als Schüler Joh. Seb. Bachs zu erwähnen ist, dagegen derjenige Leipzigs vermittelt. Wenn der musikalische Ernst der sächsischen Kantorenstadt dem Berliner Tonleben neben der » opera seria« jenen scholastisch strengen und konservativen Charakter verlieh, dessen deutliche Spuren noch weit ins 19. Jahrhundert hinein erkennbar waren, so gab Dresden demselben einen mächtigen Impuls für die Ausbildung der Orchestertechnik und überdies für das Violinspiel. In letzterer Beziehung war für die preußische Hauptstadt Joh. Gottl. Graun und nächstdem Franz Benda von Wichtigkeit.
Johann Gottlieb Graun, Bruder des noch heute durch seinen »Tod Jesu« bekannten Berliner Kapellmeisters Karl Heinrich Graun, geboren um 1698 in Wahrenbrück bei Liebenwerda (Provinz Sachsen), empfing seine erste musikalische Bildung in Dresden, wohin ihn der Vater 1713 zum Besuch der Kreuzschule geschickt hatte. Pisendel wurde sein Lehrer auf der Violine. Bis 1726 war er in der Dresdner Kapelle tätig. Um sich in seiner Kunst noch vollkommener zu machen, begab er sich weiterhin nach Padua zu Tartini, und hier empfing er die höhere Bestätigung der durch Pisendel genossenen Lehre. Nach seiner Rückkehr ins Vaterland war er vorübergehend am Merseburger und dann am fürstl. Waldeckschen Hose tätig. Endlich fand er einen dauernden Wirkungskreis bei der Kammermusik Friedrichs des Großen, der damals noch als Kronprinz in Rheinsberg residierte. Er blieb gleich Quantz und Franz Benda in den Diensten des kunstliebenden Fürsten, der ihn nach seiner Thronbesteigung zum königl. Konzertmeister ernannte, bis zum Jahre 1771, in welchem er am 27. Oktober verschied. Als Komponist für sein Instrument blieb er, wie so viele andere Deutsche jener Zeit, auf die Nachbildung der italienischen Meisterwerke beschränkt. Er verfaßte Konzerte, Sonaten und Terzetten (für 2 Violinen und Baß), auch Symphonien in nicht geringer Anzahl, ohne doch damit mehr als eine nur quantitative Bereicherung der Violinliteratur gegeben zu haben. Sein Stil ist anständig, erhebt sich aber in keiner Hinsicht über das Maß des Gewöhnlichen. Das Hauptverdienst dieses Künstlers gründet sich auf seine praktische Tätigkeit als Violinist und Konzertmeister, vermöge deren er namentlich für die Hebung der Berliner Orchestermusik nach dem Muster der Dresdner Kapelle unermüdlich tätig war; denn die letztere behielt nach dem Zeugnis Reichardts (Briefe eines aufmerksamen Reisenden) bei den größten Kennern immer den Vorzug. Was Graun begonnen, setzte sein Amtsnachfolger Benda fort, der allen Nachrichten zufolge ohne Frage ein noch bedeutenderer Geiger gewesen sein muß.
Als einer der besten Schüler Grauns wird Iwan Böhm, geb. 1723 zu Moskau, bezeichnet. Dieser genoß anfänglich in seiner Vaterstadt den Violinunterricht des Italieners Piantanida und wurde dann zur Fortsetzung seiner Studien unter Anleitung Grauns nach Berlin geschickt. Nach Gerber starb er 1760. Von seiner Komposition existierten verschiedene Solos und Trios für Violine.
Ein zweiter Schüler Grauns war Jacob Lefevre, geboren um 1723 in Prenzlau in der Uckermark, gestorben um 1777 in Berlin. Er hatte in Berlin außer Graun noch Ph. Em. Bach zum Lehrer, fand um 1750 in der Kapelle des Prinzen Heinrich von Preußen Anstellung und wurde weiterhin Musikdirektor am französischen Theater in Berlin. Von seinen Kompositionen nennt Fétis Violinsolos, -duetten, -konzerte usw.
Franz Benda, der Sohn eines böhmischen Leinwebers, wurde am 25. November 1709 zu Altbenatky im Kreise Jungbunzlau geboren und starb als königl. Konzertmeister in Potsdam am 7. März 1786. Wenn wir ihn trotz seiner slavischen Abkunft den deutschen Geigern beigesellen, so geschieht es, weil er von früher Kindheit an hauptsächlich germanischen Bildungsstoff in sich aufnahm, des Umstandes nicht zu gedenken, daß er während des größten Teiles seines Lebens für die Hebung deutscher Kunst tätig war. Benda darf gewissermaßen als Autodidakt angesehen werden, da er nie regelmäßigen Unterricht genoß, sondern vielmehr im Verkehr mit ausgezeichneten Künstlern sich heranbildete. Von großer Wichtigkeit für die normale Entwicklung seiner musikalischen Anlage war ohne Frage auch bei ihm die frühzeitige Beschäftigung mit der Gesangskunst, in welcher ihn der Kantor Alexius in Neubenatky (Benatek) seit seinem siebenten Lebensjahre unterwies. Durch eine schöne Stimme unterstützt, gelang es ihm schon zwei Jahre später, als Sopranist beim Gesangschor der Nikolaikirche zu Prag einzutreten. Seine Fähigkeiten entwickelten sich so gut, daß er bald eine begehrte Persönlichkeit wurde. Durch Vermittlung eines Prager Studenten erhielt er das Anerbieten, in den Dresdner Kapell-Knabenchor einzutreten, dessen Leiter junge Gesangstalente zu schätzen wußten. Hierauf mochte sich aber die Geistlichkeit der Kirche, an welcher der Kunstjünger bisher tätig gewesen war, ebensogut verstehen; denn sie wollten ihn nicht von dannen lassen. So blieb ihm denn, da er der Lockung nicht zu widerstehen vermochte, Prag mit Dresden zu vertauschen, nichts anderes übrig, als sich ohne Vorwissen seiner Gebieter auf den Weg nach der sächsischen Residenz zu machen. Dies geschah, und Benda erlangte, was ihm verheißen worden war. Es ist sicher, daß er dem damaligen, reich entwickelten Musikleben Dresdens bedeutende Anregung zu verdanken hatte. Außer dem Gesange übte er eifrig das Instrumentenspiel, und Hiller berichtet, daß er es sich nicht allein bei Vivaldis Violinkonzerten sehr sauer werden ließ, sondern auch in den Musikaufführungen der Kapellknaben als Bratschist tätig war. Gewiß hätte ihn ein mehrjähriger Aufenthalt in Dresden schneller zum Ziele geführt, als sein weiteres wechselreiches Leben es vermochte; allein er hielt nicht stand, und schon nach 18 Monaten gelüstete es ihn, wieder das Weite zu suchen. Er wollte nach Prag zurück, konnte aber, da er sehr brauchbar war, nicht die gewünschte Entlassung erhalten, so daß er sich zu einer zweiten Flucht veranlaßt sah. In einem Elbkahn versteckt, entwich er heimlich, gelangte indes nur bis Pirna. Hier wurde der kleine Deserteur aufgefangen und ohne Gnade zurücktransportiert. Allein seines Bleibens sollte dennoch nicht länger in Dresden sein. Benda hatte plötzlich seine Stimme verloren, und nun wurde seiner Abreise kein Hindernis weiter entgegengesetzt. Wahrscheinlich stand sein Organ damals unter dem Einfluß der Mutation; denn kaum in Prag angekommen, fand sich die Stimme, aus einem Sopran in einen Kontraalt verwandelt wieder. Er fungierte während des Jahres 1723 als Sänger in einem Jesuitenseminar, beschäftigte sich daneben auch mit Kompositionsversuchen. Dieses Leben konnte Benda indes auf die Dauer nicht fortführen. Völlig mittellos, wie er war, mußte er darauf denken, sich irgend eine Existenz zu verschaffen. So trat er denn, an seine Dresdner Violinübungen wieder anknüpfend, in eine herumziehende Musikbande. Bei derselben war ein blinder Jude namens Löbel, welcher seine wilden Tanzstücke mit eigentümlichem Schwung spielte und sich dabei als tüchtiger, gewandter Violinist hervortat. Benda eiferte ihm nach und erweiterte dadurch seine Fertigkeit auf dem Instrumente, dessen Meister er später werden sollte. Doch bald schämte er sich des ergriffenen Gewerbes, welches ihn zur niedrigsten Handwerkerarbeit verurteilte, und schnell war er entschlossen, nach Prag zu gehen, in der Hoffnung, dort ein besseres Unterkommen zu finden. Das Glück begünstigte ihn. Er fand nicht allein einen Gönner, den Grafen von Kleinau, sondern auch, wenngleich nur für wenige Wochen, einen Lehrer in der Person des Violinisten Konyczek. Der genannte Graf wollte Benda in seine Dienste nehmen, zuvor ihn aber noch weiter musikalisch ausbilden lassen. Dieser Umstand hatte zur Folge, daß er einem gerade besuchsweise in Prag anwesenden Grafen Ostein aus Wien für einige Zeit übergeben wurde. So gelangte Benda nach der österreichischen Hauptstadt, in welcher er während eines zweijährigen Aufenthaltes erwünschte Gelegenheit fand, durch Hören guter Künstler sein Violinstudium auf eigene Hand zu fördern. Namentlich wurde ihm der Verkehr mit dem berühmten Violoncellisten Franciscello von Nutzen. Im Laufe der Zeit schloß Benda hier auch musikalische Freundschaftsbündnisse, die ihm die Möglichkeit gewährten, das Ensemblespiel zu üben. Seine vertrauten Genossen wurden insbesondere die Musiker Czarth, Höckh und Weidner, mit denen er schließlich eine Kunstreise nach Polen unternahm. In Warschau fanden sie Engagement bei dem Starost Suchaczewski, welcher Benda zu seinem Kapellmeister wählte. Obwohl der Dienst bei diesem Kunstfreunde nicht leicht war, da Benda – wie Gerber erzählt – an einem Nachmittage bei 18 Konzerte zu spielen hatte, so wurde er in Ermangelung eines besseren Unterkommens doch beibehalten, bis sich nach drittehalb Jahren für ihn ein Platz in der Warschauer Kapelle des Kurfürsten von Sachsen fand. Als aber August der Starke 1733 starb, verlor Benda seine Stelle. Um einen Ersatz dafür zu suchen, wandte er sich nach Dresden. Er machte hier Quantzens Bekanntschaft, und dieser gewann ihn sofort für die Privatmusik des Kronprinzen von Preußen. Da die Mitglieder dieser Hauskapelle bei der Thronbesteigung Friedrichs II. dem Berliner Opernorchester einverleibt wurden, so fand auch Benda in dem letzteren eine angemessene Stellung. 1771 wurde er königl. Konzertmeister.
Wenn es wirklich wahr wäre, daß der Künstler einer gesicherten Lage bedarf, um seinem Berufe mit Erfolg zu leben, so könnte Benda eine Bestätigung dafür bieten. Mancher andere würde freilich an seiner Stelle, nachdem er in den Hafen der Ruhe eingelaufen, ein bequemes Leben geführt haben. Benda aber blieb rastlos tätig und suchte sich fortwährend zu vervollkommnen. In Rheinsberg wurde Graun sein Vorbild. »Noch hatte er«, so berichtet Hiller, »keinen Violinisten gehört, der ihm, zumal im Adagio, so viel Genüge geleistet, wie dieser. Er bat ihn also, drei bis vier Soli hauptsächlich im Punkte des Adagios mit ihm durchzunehmen, und wurde seine Bitte gewährt. Benda betrachtete demnach Graun als seinen zweiten Lehrmeister auf der Violine.«
So übertrug denn Graun den Einfluß der Dresdner und Paduaner Schule auf Benda, und dieser vererbte ihn wiederum seinen zahlreichen Schülern.
Bendas Violinspiel wird von seinen Biographen aufs höchste gerühmt. Hiller sagt über ihn: »Sein Ton auf der Violine war einer der schönsten, vollsten, reinsten und angenehmsten. Er besaß alle erforderliche Stärke in der Geschwindigkeit, Höhe und allen nur möglichen Schwierigkeiten des Instruments und wußte zur rechten Zeit Gebrauch davon zu machen. Aber das edle Singbare war das, wozu ihn seine Neigung mit dem besten Erfolg zog.«
Schubart berichtet in seinem poetisierenden Ton folgendes über Benda: »In seinen besten Jahren spielte er die Violine als ein Zauberer. Er bildete sich, wie alle (?) großen Genies, selber. Der Ton, den er aus seiner Geige zog, war der Nachhall einer Silberglocke. Seine Harpeggi sind neu, stark, voll Kraft: die Applicaturen tief studiert, und sein Vortrag ganz der Natur der Geige angemessen. Er spielte zwar nicht so geflügelt, wie es jetzt unsere raschen Zeitgenossen verlangen; aber desto saftiger, tiefer, einschneidender. Im Adagio hat er beinahe das Maximum erreicht: er schöpfte aus dem Herzen, und man hat mehr als einmal Leute weinen sehen, wenn Benda ein Adagio spielte. Als Lolly in Berlin war, spielte Benda ein Adagio, obgleich seine Hände schon sehr steif waren, so unaussprechlich sangbar, daß Lolly mit Entzücken zerfloß und ausrief: O könnt' ich so ein Adagio spielen! aber ich muß zu viel Harlekin seyn, um meinen Zeitgenossen zu gefallen.«
Daß er ganz Außerordentliches im Adagiospiel leistete, geht auch aus folgender Äußerung des Violinspielers Salomon hervor Allgem. mus. Ztg. vom Jahre 1799, Nr. 37. Salomon wird hier irrtümlich als Schüler Bendas bezeichnet.: »Wenn Benda, so alt er ist, ein Adagio spielt, so glaubt man, die ewige Weisheit rede vom Himmel herab.«
Im höheren Alter wurde der Meister durch Gichtanfälle im Violinspiel sehr behindert. Als ihn Burney 1772 besuchte, hatte dieser Zustand bereits fünf Jahre gewährt; obwohl Benda nie mehr, selbst nicht mehr vor dem König, Solo spielte, ließ er sich doch bewegen, dem Fremden ausnahmsweise ein Adagio vorzutragen. Dieser urteilt also S. Ledeburs Berliner Tonkünstlerlexikon.: »Er zeigte noch vortreffliche Überbleibsel von einer mächtigen Hand, ob ich gleich geneigt bin zu glauben, daß er allemal mehr Empfindungen als Schwierigkeiten gespielt hat. Sein Spiel ist wahrhaft cantabile; in seinen Kompositionen trifft man selten eine Passage, die nicht auch gesungen werden könnte, und er ist ein so gefühlvoller Spieler, so mächtig rührend im Adagio, daß mich verschiedene große Musiker versichert haben, wie er ihnen durch sein Adagio oft Thränen entlockt habe.« Dies Urteil ergänzt der Berichterstatter folgendermaßen: »Seine Spielart war weder die des Tartini, Somis, Veracini, noch sonst eines bekannten Hauptes einer musikalischen Schule: es war seine eigene, die er nach dem Muster gebildet hatte, das ihm große Sänger gaben.« Letztere Behauptung ist nicht ganz wörtlich zu nehmen, da Benda, wie wir gesehen, sich nach Gelegenheit und Umständen große Instrumentalkünstler, wie Franciscello und Graun, zur Richtschnur nahm. Auch mag ihm Pisendel, mit dem er in befreundetem Verkehr stand, in mancher Beziehung förderlich gewesen sein. Daneben war der Kunstgesang ihm allerdings, wie jedem andern einsichtsvollen Musiker, ein wichtiges Bildungsmittel für den Vortrag. War er doch auf dasselbe schon seit seinen Jugendjahren hingewiesen. Und selbst während der ersten Zeit seiner Tätigkeit am Rheinsberger Hofe mußte er, wie Hiller erzählt, »fast täglich bei der Kammermusik ein paar Arien singen. Weil er aber meistentheils, wenn er gesungen hatte, Kopfschmerzen fühlte, so machte er sich vom öffentlichen Singen los«. Wie gut er sich indes auf diese Kunst verstand, geht daraus hervor, daß er seine beiden Töchter zu vortrefflichen Sängerinnen bildete. Nicht minder geben davon seine Violinkompositionen, deren Gesamtzahl Gerber auf etwa hundert schätzt, ganz unzweifelhaft Zeugnis Eine Sonate ( a-dur) in der von A. Moffat herausgegebenen »Meister-Schule der allen Zeit« (Berlin, Simrock).. Die langsamen, nicht ohne Empfindung und Anmut gestalteten Sätze in denselben sind vorwiegend von gesanglich melodiösem Fluß. Freilich hat diese Eigenschaft sie nicht vor dem Geschick der Vergessenheit bewahren können. Bendas Arbeiten sind hauptsächlich im Anschluß an Tartinis Stil entstanden, und wenn sie auch zum Teil einer bemerkenswerten Eigentümlichkeit nicht entbehren, so ist diese doch keineswegs bedeutend genug, um für den konventionellen Duktus zu entschädigen, der in ihnen vorherrscht. Die Allegrosätze bewegen sich in den zu jener Zeit üblichen Figuren und Formeln, die für uns, wenn ihnen nicht ein anteilerweckendes geistiges Triebwerk innewohnt, ungenießbar geworden sind. Bevorzugt werden bei Benda, wie überhaupt mehr oder minder bei allen Violinkomponisten des 18. Jahrhunderts, die Arpeggios, welche damals in wechselreicher Anwendung oft für eine geschmackvoll freie und mannigfaltige Figuration Ersatz bieten mußten. Hier zeigt es sich recht auffallend, wie sehr die Tonkunst in gewisser Beziehung der Mode unterworfen ist. Indessen würde sich manches von diesen Arpeggien mit Vorteil auch für die neueste Violinpädagogik verwerten lassen, da ihr Studium die Bogenführung, welche nie genug Berücksichtigung finden kann, wesentlich fördert.
Der Name Benda findet, ganz abgesehen von dem Hauptrepräsentanten desselben, in dem Berliner Musikleben des 18. Jahrhunderts mehrfache Vertretung. Es waren nicht weniger als sechs Mitglieder dieser Familie in der dortigen königl. Kapelle tätig, nämlich: Georg Benda, hauptsächlich Komponist (doch war er eine Zeitlang Kammermusikus), Johann Benda (Kammermusikus) und Joseph Benda (von 1786-1797 Konzertmeister), – sämtlich Brüder Franz Bendas; sodann die beiden Söhne desselben, Friedrich Wilhelm Heinrich (Kammermusikus) und Carl Hermann Heinrich (seit 1802 Konzertmeister); endlich ist noch der Kammermusikus Ernst Friedrich Johann, ein Sohn Joseph Bendas, zu erwähnen. Mit Ausnahme Georgs und Ernsts waren sie sämtlich Schüler des alten Franz Benda. Am meisten von ihnen zeichnete sich wohl sein Sohn Carl aus, über den Reichardt (Briefe eines aufmerksamen Reisenden, Bd. I, S. 162 ff.) mit besonderer Rücksicht auf den Bendaschen Vortragestil überhaupt folgendes mitteilt: »Endlich habe ich das längstgewünschte Glück gehabt, den Herrn Konzertmeister Benda, den wir beyde so sehr verehren, persönlich kennen zu lernen. Die verwünschte Gicht, und noch andere üble Zufälle raubten mir aber das Glück, auch die Gewalt seines Bogens zu erfahren. Hierinn wurde er mir aber durch seinen jüngeren Sohn bekannt, der das wichtige Zeugnis seines Vaters, und die allgemeine Stimme aller anderen hat, daß er aufs rühmlichste in die Fußtapfen seines Vaters getreten: Welch ein Ruhm! – Er spielte mir verschiedene Sonaten, von der Composition des Herrn Concertmeisters, und auch von seinen eigenen angenehmen Arbeiten, vor; und erhielt im Adagio meine ganze Bewunderung. Es ist war, die ächte Bendaische Spielart hat ganz etwas eigenes. Ihr Hauptcharakter ist: Adel, Annehmlichkeit und äußerst rührend. Jenes eigene bestehet nun aber in der Führung des Bogens, welcher nicht nur recht lang und langsam auf und nieder gehet, wie es die mehrsten thun, die da glauben, im Bendaischen Geschmack ihr Adagio zu spielen. Der besondere Nachdruck, mit dem zuweilen eine Note herausgehoben wird; das stets vor Augen habende Verhältnis der Stärke und Schwäche nach der Höhe und Tiefe der Noten, in Vergleichung des Schattens und Lichts in der Mahlerey; die mäßigen und mit edler Wahl gewählten Verzierungen, die nie die Kehle des Sängers übersteigen; ich meyne, daß man in einem Adagio keine Verzierungen mehr, und auch keine andre anbringen darf, als es dem guten Sänger in der Arie erlaubt ist; und endlich einige äußerst bedeutende Nachlässigkeiten in dem Zeitmaße der Noten ( tempo rubato), die in dem Gesange das Gezwungene benehmen, und den Gedanken mehr dem Spieler eigen machen, daß es gleichsam scheint der eigene Ausdruck von der Empfindung des Solospielers selbst zu seyn; alles dieses bestimmt gewissermaßen den Charakter des Bendaischen Adagios. Wenn man nun da eins dagegen hört, wo in jedem Takt tausend Noten zu stehen kommen, wo kein Achtel Achtel bleibt, sondern so viel mal als möglich doppelt wird, wo also kein einziger edler Zug des Bogens gehört wird, und wo das Ohr des Zuhörers wohl hinlänglich ausgefüllt wird, das Herz aber völlig leer bleibt, dahingegen bei jenem der Zuhörer in die zärtlichste Empfindung versetzt, und oft zu Thränen gerührt wird – welch ein himmelweiter Unterschied! – Und wenn mich gleich jener in dem vorhergegangenen Allegro durch die größten Schwierigkeiten in Verwunderung gesetzt hat, und ich höre nun ein Adagio, und in diesem ganz und gar den wahren Endzweck verfehlen, muß ich da nicht jenem Meister, jenem Herzensbezwinger ganz allein meine Liebe schenken? Bey dem anderen bleibt es also bey der Bewunderung. Dieses gilt nun allgemein von allen den neumodischen Violinisten, die sich allein um Schwierigkeiten bemühen, und sich die Erregung der Bewunderung zum einzigen Endzweck ihrer Kunst machen. Die Herren bemerken nicht, daß sie sich selbst erniedrigen und verunedeln, indem sie sich bemühen, geschickte Seiltänzer zu werden, da sie Meister des edlen, erhabenen Tanzes werden können. Hat sich aber einmal ein Virtuose jenes Fach gewählt, so thut man ihm hernach unrecht (?), wenn man an ihm den Mangel eines guten Adagios tadelt: denn dieses ist jenem so entgegengesetzt, daß man die Unmöglichkeit von der Vereinigung beyder physikalisch aus dem Baue des Arms und der Hand beweisen könnte Reichardt ist uns diesen Beweis, der auch schwerlich geführt werden könnte, schuldig geblieben. Seine Voraussetzung beruht auf einem Trugschlusse. Geigern, die im Adagiospiel nichts leisten, fehlt der Sinn, die Anlage dafür. Hand und Arm sind es also nicht sowohl, die hier in Frage kommen, sondern vornehmlich die Gemütsbegabung und geistige Richtung. ... Wenn sie gleich nicht des seelenvollen Bogens eines Benda fähig sind, so sollten sie doch wenigstens nur nicht eine Menge solcher komischer Läufe drinnen machen, sondern den Gesang des Stückes nur simpel und deutlich vortragen. Aber ich verstehe die Herren; sie fürchten sich, ihre Blöße zu zeigen, und um die todten Töne, die einen jeden Zuhörer gähnen machen würden, um diese zu verbergen, verblenden sie den Unwissenden wenigstens mit einer Menge Noten, die dieser für schwer hält. Ich habe durch diese Vergleichung die starken Allegro-Spieler gar nicht zu verachten gesucht: denn ich müßte mich selbst dadurch verachten, indem ich mich seit einigen Jahren auch auf Schwierigkeiten geübt habe, ohne aber jemals den wahren Endzweck der Musik, ich meyne die Rührung, nur einen Augenblick aus den Augen zu lassen. Sobald ich von einem Bogenstriche, wenn er mir auch noch so sehr gefiele, einsehe, daß er mir den kräftigen Zug im Adagio verderben möchte, so ließ ich ihn nach. Hierzu gehöret nun besonders das Hüpfen des Bogens, wo ich auf einen Bogenstrich viele Noten kurz abstoße, und in welchem Herr la Motte ( Lamotte) bis zur äußersten Bewunderung Meister ist, womit er noch die Geschicklichkeit verbindet, Doppelgriffe, auf eben die Art gestoßen, sehr rein heraus zu bringen. Dieser Strich hingegen, so angenehm er auch dem Ohre klinget, verdirbt den Arm zum Adagio völlig, und ist dem nachdrucksvollen Bogen, der zum guten Adagio-Spieler erfordert wird, vollkommen entgegengesetzt Diese Behauptung ist durch die Praxis völlig widerlegt; denn es hat genug vorzügliche Geiger gegeben, die gleich bedeutend in der getragenen Kantilene wie im Staccatospiel waren. Wenn Lamotte im Adagiovortrag nichts leistete, so lag dies jedenfalls nicht am Staccato, sondern an seinem einseitigen Talent oder Studium. Reichardt offenbart auch sogleich bei dem, was er über Cramer bemerke, den Widerspruch seiner Worte.; daher man denn auch sehr was ungereimtes begehen würde, wenn man von Herrn la Motte ein rührendes Adagio forderte, und dabey doch immer das Ohr mit jenen hüpfenden Noten zu kitzeln wünschte. Indessen habe ich mich mitten in der Bewunderung, die ich diesem geschickten Manne schuldig war, nicht enthalten können, zu bedauern, daß das unveränderliche und erhabene Vergnügen, so ein Benda durch sein Adagio gewährt, diesem – kurzdauernden, witzigen Vergnügen aufgeopfert werden mußte. Ich bewundere auch mit Erstaunen die unbeschreibliche Geschwindigkeit und unfehlbare Sicherheit eines Lolly's, die Fertigkeit, Leichtigkeit, Reinigkeit und Annehmlichkeit eines Ditters, Pesch, Fränzel's u. a. m.; allein einen Cramer, der beydes so viel als möglich vereinigt, diesen bewundere ich nicht allein, sondern mein Herz fällt ihm auch bey, ich liebe ihn zugleich, indem ich ihn bewundere. Noch mehr aber zieht mich Benda zu sich hin, der gar nicht daran denkt, Bewunderung bei mir zu erregen, sondern blos nach meinem Herzen zielt, und dieses so vollkommen trifft, daß ich mit der Empfindung, die er erregen wollte, ganz angefüllt bin.«
»Herr Carl Benda verdient also außer dem Beyfall für seine große Geschicklichkeit noch unsern ganzen Dank, daß er uns sowohl in seinem Spielen als auch im Setzen die edle Manier seines verehrungswürdigen Vaters aufbehält. Es bleibt dabey nichts mehr zu wünschen übrig, als daß sich Herr Benda bemühe, in seinen Arbeiten sowohl, als auch in seiner Spielart, etwas eigenes hinein zu bringen; und dieses zwar nicht, um nicht bloß Nachahmer zu seyn – denn es ist Ehre genug, sich ein glücklicher Nachahmer eines so großen Meisters zu wissen – sondern vielmehr um den so sehr eingerissenen Geschmack der Neuzeit einigermaßen zu befriedigen. Er würde hierdurch das Vergnügen erhalten, die schöne Spielart seines großen Vaters wieder allgemeiner zu machen, die nun, zur Schande des deutschen Publikums, bey einer großen Anzahl durch Witzlinge verdrängt worden ist. Zu jenen Veränderungen aber wollen wir ihm nur allein die geschwinden Sätze hergeben, das Adagio muß unverändert bleiben, denn das ist tief in der Natur unserer Empfindungen und Leidenschaften gegründet, und so lange die unverändert bleiben muß das wahre Adagio, das uns rühren und in Bewegung setzen soll – das Bendaische sein.«
Außer den Mitgliedern seiner Familie hatte Benda an namhaften Künstlern, welche die Traditionen seiner Lehre auch über Berlin hinaus und bis ins 19. Jahrhundert hineintrugen, noch zu Zöglingen: Christian Heinrich Körbitz, Mitglied der Kapelle des Markgrafen in Bayreuth; Johann August Bodinus, erster Violinist in Schwarzburg-Rudolstädtischen Diensten; Ludwig Pitscher und Johann Wilhelm Mathees, Mitglieder der Kapelle des Prinzen Heinrich von Preußen; Adam Feichtner Über Feichtner (Veichtner) finden sich Nachrichten in Reichardts Autobiographie (Verl. Musik. Ztg. v. J. 1806, S. 313 ff.)., Konzertmeister des damals regierenden Herzogs von Kurland; Leop. Aug. Abel, geb. 1720 in Köthen, tätig in Braunschweig, Sondershausen, Schwedt und Schwerin, C. W. Ramnitz in Diensten des Prinzen Wilhelm von Braunschweig; L. F. Raab und dessen Sohn Ernst Heinrich; Carl Haak und Friedrich Wilhelm Rust.
Friedrich Wilhelm Rust war, wenigstens als Violinkomponist, der bedeutendste Sprößling dieser Schule. Geboren am 6. Juli 1739 in Wörlitz bei Dessau, gest. 28. März 1796 in Dessau, studierte er zunächst Jura in Leipzig, folgte aber bald seiner inneren Neigung zur Musik. Sein Fürst, Leopold III. von Anhalt-Dessau, ließ ihn zunächst bei einem Violinisten Höckh in Zerbst, sodann aber 1763 durch Benda ausbilden. Auch nahm er ihn in den Jahren 1765-66 nach Italien mit, wo Rust des öfteren Verwunderung durch sein treffliches Lautenspiel erregt haben soll. 1775 machte ihn Leopold zu seinem Musikdirektor. Die drei von ihm im Druck vorhandenen Violinsonaten zeichnen sich durch Gediegenheit, sowie ebenso tüchtigen als wirksamen Instrumentalsatz aus und gehören unstreitig zu dem Besten, was von deutschen Violinisten im Bereich der Violinsonate hervorgebracht worden ist.
Leopold Friedrich Raab, geb. 1721 zu Glogau, studierte einige Jahre hindurch im Breslauer Jesuitenkloster und wirkte zugleich dort als Kirchensänger. Nachdem er dann bei dem Geiger Rau die Anfangsgründe des Violinspiels gelernt hatte, begab er sich nach Berlin und vervollkommnete sich in dieser Kunst unter Bendas Leitung. Später wurde er Konzertmeister in der Kapelle des Prinzen Ferdinand. Er lebte in Berlin noch 1784. Weitere Nachrichten über ihn fehlen. Von seinen nach dem Muster der Bendaschen Kompositionen gefertigten Arbeiten wurde nichts gedruckt.
Sein Sohn, mit Vornamen Ernst Heinrich Otto, geb. 1750 zu Berlin, welcher gleichfalls aus der Bendaschen Schule hervorging, galt als ein Geiger von Verdienst, weil er es nach Gerbers Mitteilung verstand, die edle Bendasche Manier mit den Anforderungen des neueren Geschmackes »auf eine vernünftige Art« zu verbinden. Er war nach vollendetem Studium gleichfalls Mitglied der Kapelle des Prinzen Ferdinand in Berlin, begab sich aber 1784 auf Kunstreisen, welche damit endeten, daß er als Kammermusikus in die Dienste des Petersburger Hofes trat. Seine Violinkompositionen scheinen nicht veröffentlicht worden zu sein. Sein Todesjahr ist unbekannt.
Carl Haack erweist sich insofern von Wichtigkeit, als durch ihn und seine Zöglinge die Bendasche Schule für Berlin bis auf die Neuzeit vererbt wurde. In Potsdam am 18. Februar 1751 geboren, trat er, nachdem er unter Benda studiert, in die Privatkapelle des Prinzen von Preußen, nachmaligen Königs Friedrich Wilhelm II. 1782 ernannte ihn dieser zu seinem Konzertmeister. Nachdem der Prinz den Thron bestiegen hatte, wurde Haack in die königl. Kapelle als Kammermusikus eingereiht und 1796 zum Konzertmeister befördert. Mit Pension 1811 verabschiedet, starb er am 28. September 1819 zu Potsdam. Seine Schüler waren Möser, Seidler und Maurer, über die weiterhin zu berichten sein wird.
Endlich werden noch zwei bemerkenswerte Persönlichkeiten als zur Schule Bendas gehörig bezeichnet: Kiesewetter und Fodor.
Johann Friedrich Kiesewetter, geb. in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts zu Koburg, war Dilettant, wurde aber nichtsdestoweniger zu den besten Violinisten seiner Zeit gezählt. Seinen eigentlichen Wirkungskreis fand er gegen 1754 als Beamter bei der Finanzkammer in Ansbach, wo er 1780 starb. Sein Sohn und Schüler Christoph Gottfried, geb. zu Ansbach am 24. September 1777, widmete sich der Virtuosenlaufbahn. Schon in jungen Jahren unternahm er Kunstreisen, und führte infolgedessen ein unstetes, wechselreiches Leben. Längere Zeit hielt er sich in Amsterdam auf. Von 1805-1811 war er Konzertmeister am Oldenburger Hofe. 1815 ging er nach Hamburg. 1821 wandte er sich nach London, ohne jedoch vom Glück begünstigt zu werden. Er geriet dort allmählich in mißliche Umstände und starb, von materiellen Sorgen bedrängt, am 27. September 1827. Von seinen Violinkompositionen hat er nichts veröffentlicht. Spohr, der seine Bekanntschaft Ende 1815 machte, bemerkt über ihn: »In Hannover machten wir die interessante Bekanntschaft des Geigers und die höchst uninteressante des Menschen Kiesewetter. Als Geiger zeichnet er sich durch ein kräftiges, sehr reines und selbst gefühlvolles Spiel aus, ohne jedoch, wie es mir scheint, wahres Gefühl für die Schönheiten der Kunst zu besitzen, als Mensch ist er der aufgeblasenste Windbeutel, der mir bis jetzt vorgekommen ist.«
Joseph Fodor, geb. 1752 zu Venloo, war der älteste Sohn eines ungarischen Offiziers und empfing den ersten Violinunterricht von dem Organisten seines Geburtsortes. Als vierzehnjähriger Knabe wurde er Franz Bendas Schüler. 1780 und 81 war er in Paris; dort ließ er sich im Concert spirituel mit Auszeichnung hören. 1794 wandte er sich nach Rußland. In Petersburg starb er am 3. Oktober 1828. Er veröffentlichte eine größere Reihe von Kompositionen, meist für sein Instrument. Eitner (Qu.-L.) zählt u. a. auf: 13 Violinkonzerte, über 40 Streichquartette, Duetten, Sonaten usw. Die ehedem berühmte Sängerin Josephine Mainville-Fodor, geb. 1793 in Paris, ist seine Tochter. Seine Brüder waren Klavierspieler in Paris und Amsterdam.
Neben Graun und Benda tat sich in Berlin der Violinspieler Johann Peter Solomon durch den hingebenden Eifer hervor, mit welchem er sich angelegen sein ließ, die deutsche Kunst, insbesondere aber Haydns Instrumentalmusik zur Geltung zu bringen, ein Verdienst, welches um so höher zu veranschlagen ist, als er mit seiner Richtung sehr isoliert dastand Vgl. Rochlitz: Für Freunde der Tonkunst III, 187.. Auch wird ihm nachgerühmt, daß er einer der wenigen gewesen, die damals Bachs Violinsonaten öffentlich spielen konnten und mochten. Salomon war als Konzertmeister am Hofe des Prinzen Heinrich von Preußen angestellt. Als dieser seine Kapelle auflöste, ging Salomon 1781 über Paris nach London. Hier erfolgte sein erstes Auftreten als Violinspieler im Covent-Garden-Theater. Anfangs vermochte er nicht durchzudringen, ja er mußte sich dazu entschließen, als Bratschenspieler in den Konzerten mitzuwirken Pohls Haydn in London. Wien 1867.. Erst nach und nach gelang es ihm, sich zu einer angesehenen Stellung emporzuarbeiten. Nachdem er während der Jahre 1774-85 die Konzerte im Pantheon geleitet und 1786 mit gutem Erfolg eigene Musikaufführungen in Hanover square Rooms veranstaltet hatte, fand er 1789 bei der Academy of ancient Music Anstellung als Musikdirektor. Von 1791-95 stand er aber auf dem Höhepunkt seines Wirkens. Tatsächlich war er um diese Zeit eine der einflußreichsten Persönlichkeiten in dem musikalischen London. Dies verdankte er nächst seiner Tüchtigkeit und künstlerischen Intelligenz dem glücklichen Umstande, daß Haydn nicht allein 12 Symphonien – es sind die sogenannten Salomonischen – für seine Konzerte komponierte, sondern auch selbst in London erschien, um sie persönlich beim Publikum einzuführen. Beides war für Salomons Unternehmen von ungeheurem Erfolg. Später (1796) veranstaltete der Künstler wieder eigene Konzerte, und im Jahre 1813 machte er sich um das Londoner Musikleben noch insofern verdient, als er die Philharmonie Society mit begründete, jenes Konzertinstitut, in welchem unter andern Künstlern der Neuzeit auch Felix Mendelssohn-Bartholdy auftrat, und das heute noch besteht.
Salomon wurde im Januar 1745 zu Bonn geboren, und zwar in demselben Hause, in welchem Beethoven das Licht der Welt erblickte. Dieses Haus befindet sich in der Bonngasse (Nr. 20). In jenem Hause der Rheingasse (Nr. 7), welches früher als Geburtsstätte Beethovens galt, wohnten dessen Eltern erst, als er bereits einige Jahre alt war. Zum Lehrer hatte er seinen Vater, und schon als dreizehnjähriger Knabe war er so vorgeschritten, daß er in der Kapelle des Kurfürsten Clemens August angestellt werden konnte. Im Jahre 1765 verließ er indes seine Vaterstadt und begab sich auf eine Reise, die ihn nach Berlin und, wie bereits mitgeteilt wurde, an den Hof des Prinzen Heinrich führte. Er starb in London infolge eines Sturzes vom Pferde am 25. November 1815.
An Violinkompositionen übergab Salomon der Öffentlichkeit nur 6 Soli, die zu Paris gedruckt, jedoch im Strome der Zeit spurlos untergegangen sind. Das gesamte Streben dieses Künstlers erscheint mehr auf das allgemein Musikalische als auf die Spezialität des Violinspiels und der Violinkomposition gerichtet. Deshalb war er auch weniger Solo- als Quartettspieler. Wie Treffliches er aber in letzterer Beziehung geleistet haben muß, geht daraus hervor, daß Haydn eigens einen Zyklus von Quartetten für ihn komponierte.
Ein erwähnenswerter Schüler Solomons war Friedrich Müller, geb. zu Rheinsberg am 29. Dezember 1752. Bis zum Jahre 1778 gehörte er der Kapelle des kunstliebenden Prinzen Heinrich von Preußen an. Dann begab er sich in Gesellschaft der Mara auf eine Reise nach den skandinavischen Ländern, die ihn infolge eines Liebesverhältnisses zu seiner nochmaligen Frau, der Sängerin Carolina Friederike Walther, nach Stockholm führte. Die genannte Sängerin war nämlich mit dem Kopenhagener Konzertmeister Walther verheiratet, von dem sie sich Müllers wegen scheiden ließ. Als nun in Kopenhagen ihrer beabsichtigten zweiten Ehe Hindernisse in den Weg gelegt wurden, begab sie sich heimlich mit Müller nach Stockholm, wo die Trauung vollzogen und das Ehepaar zugleich vom Hofe engagiert wurde. 1782 ging Müller mit seiner Frau nach England, kehrte aber im nächsten Jahre schon nach Erringung großer Erfolge in die alte Stellung zurück, in der er auch, wie es scheint, bis zu seinem Ende verblieb. Müller soll sich sowohl im Adagio- wie im Allegrospiel ausgezeichnet haben, insbesondere aber auch der Bachschen Violinsonaten mächtig gewesen sein. Von seinen Kompositionen wurden sechs Violinsolos in Paris und nach diesen noch andere sechs 1785 in Berlin gedruckt.
Georg Frederic Pinto, geb. 25. September 1786 zu Lambeth in London, war ein weiterer Schüler Salomons. Er zeichnete sich durch große Fertigkeit und schönen Ton aus. Am 23. März 1806 starb er an den Folgen einer Erkältung, welche er sich bei seinem Auftreten in einem Birminghamer Konzert zugezogen hatte.
Der Violinist Theodor (oder Samuel Dietrich) Grosse wurde 1756 (oder 1757) in Berlin geboren. Er war nach Fétis ein Schüler Lollis, sein Spiel soll sich durch Tonschönheit und großen Stil ausgezeichnet haben. Schon 1779 in der Kapelle des Prinzen von Preußen, machte er 1780 (nach Brenet 1781) eine Kunstreise nach Paris, wo er sich im Concert spirituel mit Beifall hören ließ. Nach dem Regierungsantritt Friedrich Wilhelms II. kam er in die königl. Kapelle, starb aber bereits, 33 Jahre alt, im Jahre 1789. Eine Reihe Violinkompositionen seiner Hand zählt Fétis auf.
Von größerer Bedeutung als Dresden und Berlin war für die Entwicklung des deutschen Violinspiels Mannheim, da aus dem dortigen Musikleben nach und nach die eigentliche nationale Schule hervorging Neue Mitteilungen über die Mannheimer Schule und ihre hervorragendsten Vertreter aus der Feder Hugo Riemanns in »Denkmäler der Tonkunst in Bayern« III, 1. Hiernach wurde mehreres in diesem Abschnitte berichtigt.. Die Tonkunst hatte zu allen Zeiten am pfälzischen Hofe einen günstigen Boden gesunden, stand aber besonders seit dem Regierungsantritt Karl Theodors (1742) in Blüte. Schubart berichtet darüber folgendes: »Gleich bei Anfang dieses Jahrhunderts war allein zur Unterhaltung der fürstlichen Musik ein Vermächtnis von 80 000 Fl. jährlich gestiftet. Dies Vermächtnis ist so fest gegründet, daß es kein Kurfürst mehr umstoßen kann. Daher darf es niemand wundern, wenn die Musik in der Pfalz in kurzem zu einer so bewundernswerten Höhe aufstieg. Doch hat sie erst dem vorigen Kurfürsten den Glanz zu verdanken, der sogar den Neid des stolzen Auslandes erregt und seinen Hof zu einer Schule des wahrhaft guten Geschmacks in der Tonkunst gemacht hat. Dieser Kurfürst spielte die Flöte und war ein enthusiastischer Verehrer der Tonkunst. Er zog nicht nur die ersten Virtuosen der Welt an seinen Hof, errichtete musikalische Schulen, ließ Landeskinder von Genie reisen; sondern verschrieb auch noch mit vielen Kosten die trefflichsten Stücke aus ganz Europa und ließ sie durch seine Tonmeister aufführen ... Das Theater des Kurfürsten und sein Konzertsaal waren gleichsam ein Odeum, wo man die Meisterwerke aller Künstler charakterisierte. Die abwechselnde Laune des Fürsten trug sehr viel zu diesem Geschmacke bei. Jomelli, Hasse, Graun, Traetta, Georg Benda, Sales, Agricola, der Londoner Bach, Gluck, Schweizer wechselten da Jahr aus Jahr ein mit den Kompositionen seiner eigenen Meister ab, so daß es keinen Ort der Welt gab, wo man seinen musikalischen Geschmack in einer Schnelle so sicher bilden konnte, als Mannheim. Wenn der Kurfürst in Schwetzingen war und ihm sein vortreffliches Orchester dahin folgte, so glaubte man in eine Zauberinsel versetzt zu seyn, wo alles klang und sang. Aus dem Badehause seines Hesperiden-Gartens ertönte Abends die wollüstigste Musik; ja aus allen Winkeln und Hütten des kleinen Dorfes hörte man die magischen Töne seiner Virtuosen, die sich in allen Arten von Instrumenten übten.«
Die erste bedeutungsvolle Gestalt, welche uns aus dem Geigerchor dieses Orchesters entgegentritt, ist Johann Wenzl Anton Stamitz, geb. 19. Juni 1717 zu Deutschbrod in Böhmen, gest. 1761 in Mannheim. Er wird als Begründer der Mannheimer Violinschule betrachtet. Der Sohn eines Schullehrers und Stadtkantors, war er bereits in jungen Jahren mit Musik beschäftigt und sowohl im Violinspiel wie auch in der Komposition der Schüler seines Vaters. Über seine weitere Kunstbildung ist nichts bekannt. Wir wissen nur, daß er 1742 bei der Krönung Kaiser Karls VII. zu Frankfurt als Violinvirtuose Aufsehen erregte und von dem Kurprinzen Karl Theodor nach Mannheim gezogen wurde, wo er vom folgenden Jahre ab nachgewiesen ist. 1745 wurde er Konzertmeister und Direktor der Kabinettsmusik und bekleidete diese Stelle bis zu seinem 1757 oder 1758 erfolgten Tode. Sein Nachfolger wurde Christian Cannabich, von dem wir weiter unten Näheres hören werden. Auch über die Amtstätigkeit von Stamitz ist wenig Licht verbreitet. Selbst bei Schubart, der sonst ziemlich eingehend über die vorzüglichsten Mitglieder der Mannheimer Hofmusik urteilt, findet sich nur folgendes, sehr allgemein gehaltenes Raisonnement: »Stamiz der Vater, ein berühmter ungemein gründlicher Violinist. Seine Konzerte, Trios, Solis, sonderlich seine Symphonien sind noch immer in großem Ansehn, ob sie gleich eine alternde Miene haben. Den Mangel neumodischer Schnörkel ersetzt er durch andere solidere Vorzüge. Er hat die Natur der Geige tief studiert; daher scheinen einem die Sätze gleichsam in die Finger zu fallen. Seine Bässe sind so meisterhaft gesetzt, daß sie den heutigen seichten Komponisten zu einem beschämenden Muster dienen könnten.« Mit der letzteren Bemerkung wird man es nicht allzugenau nehmen dürfen. Als sie niedergeschrieben wurde, gab es schon andere Meister in Deutschland, von Italien nicht zu reden, deren Werke zum Studium nicht nur in betreff der Bässe, sondern auch sonsthin empfehlenswerter waren, als gerade die Erzeugnisse Stamitzens Fétis gibt ein vollständiges Verzeichnis seiner Kompositionen.. Die Gestaltung derselben hat allerdings etwas Normales, dabei sind sie aber zum großen Teil so altväterisch philisterhaft, trocken und eines ansprechenden Inhaltes bar, daß es nicht jedermanns Sache wäre, sie als Muster, wenn auch nur in betreff der Bässe, aufzustellen Zu den zwei von D. Alard in den » Maîtres classiques du Violon« neu abgedruckten Divertimenti Stamitzens ist neuerdings der zitierte Band der Denkmäler der Tonkunst in Bayern gekommen. Mit Beziehung auf diesen fällt H. Riemann ein wesentlich günstigeres Urteil über Stamitz als Komponisten, das aber doch wohl mehr auf seine musikhistorische als auf seine künstlerische Bedeutung geht. Allerdings finden sich in den dort mitgeteilten Kompositionen einzelne Sätze, auf die obiges Urteil, das ja auch nur im allgemeinen zu verstehen ist, nicht zutrifft. So das auch von Riemann besonders hervorgehobene Andante bei c-dur-Streichtrios oder das Menuett der d-dur-Symphonie (Op. 3, II). Aber im allgemeinen fühlt man sich auch bei der Durchsicht dieses Bandes auf seine rein künstlerische Bedeutung hin versucht, die obigen Beiwörter mit allem Respekt für den Altmeister zu wiederholen.. Offenbar nahm sich Stamitz als Tonsetzer die Werke italienischer Meister, insbesondere diejenigen Tartinis, zur Richtschnur. Ein echt deutscher Zug ist indessen seinen Arbeiten nicht abzusprechen, und dies möchte die bemerkenswerteste Seite daran sein, die auch jedenfalls Veranlassung gegeben hat, ihn als den »Stammvater des deutschen Violinspiels« zu bezeichnen. Allein man darf hierbei keineswegs an eine schon selbständig ausgebildete nationale Richtung denken, und muß sich vielmehr vergegenwärtigen, daß auch das Mannheimer Violinspiel zu jener Zeit noch ganz entschieden in dem Mutterboden der italienischen Kunst wurzelte. Und wenn auch die Mannheimer Schule für die Emanzipierung vom welschen Einfluß am geeignetsten sich erwies, weil in ihr hauptsächlich deutsche Geiger wirkten und gebildet wurden, so erfolgte eine völlige Befreiung von dem fremden Elemente doch erst mit Ende des 18. Jahrhunderts In Hillers »Wöchentlichen Nachrichten«, Jahrg. 2, S. 167, findet sich ein Mitgliederverzeichnis der pfälzischen Kapelle vom Jahre 1767, in welchem Chr. Cannabich und Jos. Toeschi als Konzertmeister, Ignaz Fränzl und Danner als erste, und Wilh. Cramer sowie Karl und Anton Stamitz als zweite Geiger aufgeführt sind..
Sind wir, wie erwähnt, über die amtliche Tätigkeit von Stamitz in Mannheim ziemlich wenig unterrichtet, so ist neuerdings durch Brenet ( Les concerts en France) ein interessantes Licht auf einen Pariser Aufenthalt des Künstlers gefallen. Am 8. September 1754 trat er als ausübender Künstler sowie als Komponist vor das Publikum des Concert spirituel, indem er ein Violinkonzert und eine Sonate für viola d'amore, beide seiner Komposition, ausführte und außerdem eine eigene Symphonie »mit Hörnern und Oboen« spielen ließ. Am 26. März 1755 gab es eine andere Symphonie von ihm »mit Klarinetten und Jagdhörnern« zu hören. Allerdings hatte Rameau bereits im Jahre 1751 Hörner und Klarinetten in einem Ballett verwendet, immerhin gebührt Stamitz das Verdienst, derart besetzte Symphonien, zu denen übrigens die nötigen neuen Bläser von einem reichen Mäcen, dem Generalpächter Le Riche de la Pouplinière, aus Deutschland verschrieben wurden, zuerst in Frankreich aufgeführt und dadurch, wie Brenet meint, bedeutend zur Entwicklung der Symphonie in Frankreich beigetragen zu haben. – In wie gutem Andenken Stamitz' Wirksamkeit in Paris geblieben sein mußte, erhellt daraus, daß sein gleich zu erwähnender Sohn Karl, etwa 20 Jahre später, auf seinen in Paris gestochenen Werken nicht versäumte, sich » fils du fameux Stamitz« zu nennen.
Unter Stamitzens zahlreichen Schülern sind zu nennen: seine beiden Söhne Karl und Anton, sowie Christian Cannabich.
Karl Stamitz, geb. 7. Mai 1746, gest. 1801, nimmt unser Interesse nicht weiter in Anspruch, da er, obwohl ursprünglich Violinist, seinen Ruf als Bratschist und Viola d'amour-Spieler begründete. Von seinem Bruder Anton, geb. 1753 in Mannheim, weiß man nur, daß er sich als Violinspieler und Komponist auszeichnete, mit Karl 1770 nach Paris ging und dort der Lehrer Rudolph Kreutzers wurde Anton und Karl Stamitz werden von Brenet unter den Solisten des Concert spirituel während der Jahre 1773-77 aufgezählt..
In betreff Christian Cannabichs gibt uns Schubart genauere Mitteilungen. Er sagt von ihm: »Sein Strich ist ganz original. Er hat eine ganz neue Bogenlenkung erfunden. Es fällt außerordentlich schwer, das originelle seiner Striche zu bestimmen: es ist bei weitem nicht Tartinische Steifigkeit (?), noch weniger das Laxe von Ferrari. So zwanglos, als sich nur denken läßt, führt er den Bogen, und bringt Tiefen und Höhen, Stärke und Schwäche, auch die feinsten Nebenschattirungen mit Vollgewalt heraus. Seine originelle Art, mit dem Bogen zu malen, hat eine neue Violinsekte hervorgebracht.«
Cannabich war indessen, soweit wir zu urteilen vermögen, nicht sowohl ein außerordentlicher Solospieler, als ein vorzüglicher Konzertmeister und Lehrer, eine Erscheinung, die überhaupt charakteristisch für deutsche Violinisten ist. Während die italienischen Geiger und, wie wir später sehen werden, auch die französischen mit unverkennbarer Vorliebe dem Solospiel ihre Kräfte widmeten, waren die deutschen, ohne das letztere gerade zu vernachlässigen, durch die gesamte Entwicklung der nationalen Musik und deren tiefen kombinatorischen Geist, namentlich seit Mitte des 18. Jahrhunderts, vorwiegend auf die Verfolgung allgemeinerer tonkünstlerischer Tendenzen hingewiesen. Es wurden ihnen von den schaffenden Tonmeistern Aufgaben gestellt, deren Bewältigung mehr voraussetzt, als die einseitige Tätigkeit des Solospielers, nämlich eine ernstere, von selbstischen Zwecken befreite Richtung, sowie eine gründliche und umfassende musikalische Durchbildung. Dieses Erfordernis setzte einerseits der Verbreitung des reinen Virtuosentums in Deutschland einen festen Damm entgegen, der nur in vereinzelten Fällen durchbrochen wurde, und erzeugte andererseits die allgemeinere Herausbildung eines gediegenen Musikertums, wie denn Deutschland tatsächlich vorzugsweise das Vaterland der guten Musiker ist. Notwendig mußten in dieser Beziehung die deutschen Konzertmeister, welche noch bis tief ins 19. Jahrhundert hinein die eigentlichen Lehrmeister im Orchester- und Ensemblespiel waren Heutzutage ist es üblich geworden, die Orchesterdirigenten vom Klavier herbeizuholen. Musiker aber, die ihr ganzes Leben nur an diesem Instrumente zugebracht haben, können unmöglich klare Vorstellungen vom Orchesterorganismus und dessen Handhabung besitzen. Oft haben diese Herren nicht einmal ausreichendes Gehör und Taktgefühl. Ausnahmen hiervon können eben nur die Regel bestätigen., mit gutem Beispiel vorangehen. Wir sahen schon, daß Pisendel, Graun und Benda neben ihrer Tätigkeit als Violinisten hauptsächlich für Ausbildung des Orchesterspiels wirkten. Auch von Cannabich wird dies besonders gerühmt. Schubart berichtet, daß er von der Natur selbst zum Konzertmeister gebildet sei, und daß in der Anführung eines Orchesters und in der Bildung von Künstlern sein vorzüglichstes Verdienst bestehe. Dann sagt er weiter von ihm: »Das mit Recht so hochberühmte pfälzische Orchester hat diesem Manne das Meiste von seiner Vollkommenheit zu danken. Nirgends wird Licht und Schatten besser markirt, die halben, mittel und ganzen Tinten fühlbarer ausgedrückt, der Töne Gang und Verhalt dem Hörer so einschneidend gemacht, und die Katarakte des Harmoniestromes in seiner höchsten Höhe anwirkender vorgetragen, als hier. Die meisten jungen Mitglieder dieses trefflichen Musikchors sind Cannabichs Zöglinge. Man kann die Pflicht des Ripienisten nicht vollkommener verstehen, als Cannabich. Er besitzt die Gabe, mit dem bloßen Nicken des Kopfes und Zucken des Ellenbogens das größte Orchester in Ordnung zu erhalten. Er ist eigentlich der Schöpfer des gleichen Vortrags, welcher im pfälzischen Orchester herrscht. Er hat alle jene Zaubereien erfunden, die jetzt Europa bewundert. Kein Orchester der Welt hat es je in der Ausführung dem Mannheimer zuvorgethan. Sein Forte ist ein Donner, sein Crescendo ein Katarakt, sein Diminuendo ein in die Ferne hinplätschernder Krystallfluß, sein Piano ein Frühlingshauch. Die blasenden Instrumente sind alle so angebracht, wie sie angebracht seyn sollen: sie heben und tragen, oder füllen und beseelen den Sturm der Geigen. Lord Fordice pflegte, als er Deutschland bereifte, zu sagen: Preußische Taktik und Mannheimer Musik setzen die Deutschen über alle Völker hinweg. Und als Klopstock das dasige Orchester hörte, rief der große, selten bewunderte Mann ekstatisch aus: ›Hier schwimmt man in den Wollüsten der Musik.‹«
Die Behauptung Schubarts, daß Cannabich der Erfinder aller jener von Europa bewunderten Zaubereien in betreff der Orchestertechnik fei, erscheint sehr zweifelhaft, wenn man andere in seinen Schriften befindliche Mitteilungen dagegen hält. So sagt er an einer andern Stelle: »Der große Jomelli war der Erste, der die musikalische Farbengebung bestimmte. Das Staccato der Bässe, wodurch sie fast den Nachdruck des Orgelpedals erhielten; die genauere Bestimmung des musikalischen Kolorits; und sonderlich das allwirkende Crescendo und Decrescendo sind sein! Als er diese Figur in einer Oper zu Neapel zum ersten Male anbrachte, richteten sich alle Menschen im Parterre und den Logen aus, und aua weiten Augen blickte das Erstaunen. Man fühlte die Zauberkraft diesen neuen Orpheus, und von der Zeit an hielt man ihn für den ersten Tonsetzer der Welt.«
Wenn man sich bei diesem Zitat erinnert, daß Cannabich sich auf Kosten des Kurfürsten von Mannheim von 1760-63 in Neapel aufhielt, um dort unter Jomellis Leitung Studien zu machen, so liegt die Annahme sehr nahe, daß er »jene Zaubereien« des Orchesterspiels zur Hauptsache dort kennen gelernt hatte, wodurch indes seine Bedeutung für die Ausbildung der deutschen Orchestermusik keineswegs geschmälert werden kann. Interessant und wichtig ist es immerhin, zu erkennen, daß auch in dieser Beziehung ein Anstoß von Italien ausging.
Cannabich war auch Komponist, und Schubart charakterisiert ihn in dieser Beziehung folgendermaßen: »Cannabich verbindet mit der schönsten Kunsteinsicht das beste deutsche Herz. Man muß ihn sprechen und seine Kompositionen selbst vortragen hören, um darüber richtig urtheilen zu können. Ein einziger falscher Strich, schiefe Bogenlenkung kann seinen Stükken, die ganz originell sind, einen falschen Karakter geben, und daher auch falsche Urtheile darüber veranlassen. Ich habe sie in der höchsten Vollkommenheit vortragen hören und mir schienen sie doch immer mehr Studium der Geige und der äußeren Verzierungen der Tonkunst, als tiefes Schöpfen aus dem kristallenen Meere der Harmonie selbst zu verrathen. Seine Symphonien vom ganzen pfälzischen Orchester vorgetragen, schienen mir damals das Non plus ultra der Symphonie zu sein. Es ist nicht bloß Stimmengetöß, wie der Pöbel im Aufruhr durcheinanderkreischt, es ist ein musikalisches Ganzes, dessen Theile wie Geisterausflüsse wieder ein Ganzes bilden. Der Hörer wird nicht bloß betäubt, sondern von niederstürzenden, bleibenden Wirkungen erschüttert und durchdrungen.«
Bei anderer Gelegenheit bemerkt Schubart dagegen: »Als Tonsetzer bedeutet er in meinen Augen nicht viel. In Bizarrerien des Strichs, im tiefen Studium des musikalischen Kolorits, in einigen lieblichen Modemaschen besteht der ganze Charakter seiner Kompositionen. Seine Ballete sind nicht übel; allein in 50 Jahren wird sie kein Mensch mehr lesen. Cannabich ist ein Denker, ein fleißiger, geschmackvoller Mann, aber kein Genie. Fleiß kompiliert, und seine Kompilationen zerstäuben; Genie erfindet – und seine Erfindungen wetteifern mit der Ewigkeit. Vielleicht mag auch dies das Feuer Cannabichs schwächen, daß er in seinem Leben keinen Wein trank.« Zur richtigen Würdigung der letzteren Bemerkung ist in Betracht zu ziehen, daß Schubart ein eifriger Diener des Bacchuskultus war. Indessen gesteht er trotzdem mit liebenswürdigem Gerechtigkeitssinn zu, daß Cannabich es in produktiver Hinsicht mit Wassertrinken dennoch weiter gebracht habe, als Toeschi, der zweite Konzertmeister im Mannheimer Orchester, mit Weintrinken. Übrigens geht aus den teilweise sich widersprechenden Bemerkungen Schubarts über Cannabich hervor, daß seine Urteile häufig mehr der augenblicklichen Stimmung als festen Kunstprinzipien entsprangen. Cannabichs Kompositionen machen uns heute den Eindruck sorgsam und studiengerecht ausgeführter, doch völlig trockener und gehaltloser Arbeiten.
Dieser Violinmeister wurde 1731 (nach anderen 1724) in Mannheim geboren und starb nach Lipowski S. dessen Tonkünstlerlexikon. 1798 in Frankfurt, nach Gerber 1797 in München. Er begab sich nach letzterer Stadt, wie Lipowski berichtet, mit dem Hofe im Jahre 1778, nachdem er 1765 zum Konzertmeister bei der italienischen Oper, 1775 aber zum Musikdirektor ernannt worden war Gerber gibt, jedenfalls irrtümlich, an, daß Cannabich 1765 an die italienische Oper »nach München« berufen worden sei.. Den ersten Unterricht erhielt er von seinem Vater, welcher ihn später der Lehre Stamitzens teilhaftig werden ließ. Sodann studierte er noch mehrere Jahre auf Kosten des Kurfürsten in Italien bei Jomelli.
Ein weiterer Zögling Stamitz', dann Basconis Über Basconi ist wenig bekannt. Nach Marpurg (Krit.-histor. Beitr.) stammte er aus Sizilien, diente 1745-1760 im Mannheimer Orchester und leitete 1763-1767 die Proben zu den Intermezzi. Auch komponiert hat er einiges (Eitner, Qu.-L.). und Cannabichs war Wilhelm Cramer, der als besondere Zierde der Mannheimer Schule gilt. Konnte er auch als Tonsetzer mit seinem Sohne nicht wetteifern, dessen klassische Pianoforteetüden heute noch Gegenstand ungeteilter Anerkennung sind, so war er doch sicher ein ebenso vorzüglicher ausübender Künstler als dieser aus der Clementischen Schule hervorgegangene Meister. Sein Violinspiel wird ebensosehr gerühmt, wie seine seltene Befähigung zum Konzertmeister. Geboren war Cramer 1743 oder 45 zu Mannheim. Schon im siebenten Jahre konnte er sich als Solospieler hören lassen. Einige Jahre später begab er sich auf eine Kunstreise nach Holland und trat dann in die Mannheimer Kapelle, der er bis 1773 angehörte. In diesem Jahre wurde er durch den Londoner Konzertunternehmer I. C. Bach veranlaßt, die Themsestadt zu besuchen. Brenet gibt an, daß Cramer 1769 in Paris im Concert spirituel aufgetreten sei, was sicher zuverlässig ist, fügt aber hinzu, daß er schon damals im Begriffe gewesen sei, nach England zu gehen. Jedenfalls fand in London sein Spiel so großen Beifall, daß er sich entschloß, ganz von Mannheim nach der Themsestadt überzusiedeln. Er wurde bald eine vielbegehrte Persönlichkeit und bekleidete zunächst das Dirigentenamt der Hofkonzerte in Buckinghamhouse und Windsor. Dann wurde er Vorspieler an der italienischen Oper und an den Konzerten für »alte Musik« sowie der Gesellschaft » Musical-Fund« (später Royal Society of Musicians). Eine Zeitlang stand er gleichfalls den Professional- und Pantheonskonzerten leitend vor. Die Direktion bei den letzteren mußte er an Solomon abtreten, wie er denn auch bei der italienischen Oper seine Stelle verlor, als Viotti, in London ein Asyl suchend, für dieselbe gewonnen wurde. Die letzten Lebensjahre des Künstlers gestalteten sich, gleichwie bei so vielen in der englischen Hauptstadt wirkenden Musikern, sehr trübselig. Freunde mußten sich seiner annehmen, um ihn vor äußerster materieller Not zu schützen. Unter so traurigen Umständen starb er am 5. Oktober 1799.
Über Cramers Spielweise bemerkt Schubart: »Wilhelm Cramer, ein Geiger voll Genie. Er bildete sich in der Mannheimer Schule, überflog aber seine Lehrmeister bald. Er hält sich jetzt in London auf, und die Engländer nennen ihn den ersten Violinisten der Welt. Wenn auch dies Urtheil übertrieben seyn möchte; so muß man doch gestehen, daß er es zu einer bewundernswerthen Vollkommenheit auf seinem Instrument gebracht hat. Sein Strich ist ganz original: er führt ihn nicht wie andre Geiger gerade herunter, sondern oben hinweg (?) und nimmt ihn kurz und äußerst fein. Niemand stakirt die Noten mit so ungemeiner Präzision wie Cramer. Er spielt sehr schnell, geflügelt, und dieß alles ohne Zwang; doch gelingt ihm das Adagio oder vielmehr das Zärtliche und Gefühlvolle am meisten. Es ist vielleicht nicht möglich, ein Rondo süßer und herzerfüllender vorzutragen, als Cramer es thut. In diesem Stücke läßt er selbst einen Lolly weit hinter sich. Cramer setzt seine Konzerte, Sonaten und Solos alle selbst, und zwar – gegen die Sitte der meisten heutigen Virtuosen gründlich, und mit trefflichem Geschmack.« Zur Ergänzung der letzteren Bemerkung berichtet Pohl Haydn und Mozart in London. Wien, Gerold 1867., daß J. C. Bach in London angeblich »die letzte Feile an Cramers Kompositionen angelegt habe«. Übrigens wird heute wenig darauf ankommen, inwieweit dies begründet ist oder nicht, da Cramers inhaltsleere, gänzlich veraltete Violinkompositionen, von denen Fétis ein spezielles Verzeichnis gibt, für die Nachwelt völlig bedeutungslos geworden sind. Dagegen zählt Cramer zu denjenigen deutschen Violinmeistern, die sich für Hebung des Londoner Musiklebens im vorigen Jahrhundert hochverdient gemacht haben.
Ein Schüler Cramers war der Bruder der ehedem berühmten Sängerin Billington, Carl Weichsel, geb. zu London 1764. Als neunjähriger Knabe trat er bereits in öffentlichen Konzerten auf, später war er im Orchester des königl. Theaters und der Konzerte zu Hanover Square sowie der Philharmonischen Sozietät angestellt. 1830 war er in London noch am Leben. Seitdem ist er spurlos verschollen. Ein Heft Violinsonaten erschien als Op. 1 von ihm im Jahre 1795.
Als ein Schüler Cannabichs ist hier noch dessen Sohn Karl, geb. 1769 in Mannheim, zu nennen. Später unterrichtete ihn Friedrich Eck. In der Theorie und Komposition waren Grätz und Peter Winter seine Lehrer. Nachdem er Hofmusikus in München gewesen und eine zweijährige Studienreise in Italien gemacht, wurde er 1796 Musikdirektor in Frankfurt. In gleicher Eigenschaft kehrte er 1800 nach München zurück. Er starb dort am 1. März 1805.
Neben Stamitz, dem Vater, machte sich unter den älteren Geigern des Mannheimer Orchesters in Ignaz Fränzl (auch Fränzel) eine zweite für das deutsche Violinspiel wichtige Persönlichkeit geltend. Man kennt weder Lehrer noch Bildungsgang dieses Künstlers. Da er jedoch in Mannheim geboren wurde – 3. Juni 1736 – so darf mit Grund angenommen werden, daß er sich unter den Einflüssen der von Stamitz ausgehenden Wirksamkeit entwickelte. Am 28. November 1750 trat Fränzl in die kurfürstliche Kapelle. Einige Jahre später wurde er Konzertmeister und endlich Hofmusikdirektor. Bei Gerber findet sich außerdem die Notiz, daß er 1790 als erster Direktor des Mannheimer Theaterorchesters fungierte. Daß er ein tüchtiger Violinist gewesen, dafür sprechen mehrfache in Deutschland, Frankreich Er trat im Jahre 1768 mit ausgezeichnetem Erfolge im Concert spirituel auf. und England mit Erfolg unternommene Kunstreisen. Lipowski bemerkt von ihm: »Er gehörte unter die ersten Violinspieler seiner Zeit, welche die Kraft des Bogens kannten, und seine Kenntnisse auf dem Griffbrette der Violine beweisen die künstlichen Passagen in den von ihm verfertigten Violinkonzerten, vorzüglich aber die Bildung seines Sohnes Ferdinand.« Weniger günstig lautet das Urteil im Berliner musik. Wochenblatte vom Jahre 1791 über ihn: »Sein Spiel ist zwar feurig und brillant, sein Strich fest und kräftig und sein Ton rein und voll, aber Alles mehr orchestermäßig als virtuos und ohne den zarten schmelzenden Gesang, wodurch die Violine so wunderbar wirkt.« Als Tonsetzer war Ignaz Fränzl namentlich in betreff der Violine tätig. Er starb 1803.
Größere Bedeutung hatte in ausübender und produktiver Hinsicht sein Sohn Ferdinand. Über diesen berichtet Schubart: »Frenzel ist ein Geiger der Liebe; man kann nichts süßeres, einschmeichelnderes hören, als seinen Vortrag und seine Erfindungen. Er ist einer der lieblichsten Violinisten unserer Zeit – gleich stark in der Begleitung, wie im herrschenden Vortrag. Sein Strich hat so viel Delikatesse und reizende Anmuth, daß ihn niemand ohne tiefe Rührung hören kann. Er ist kein Sklave von seiner eigenen Manier, sondern trägt auch fremde Arbeit mit Wärme vor. Die von ihm gesetzten Violinstücke gehören unter die besten dieser Art: sie sind zwar nicht brausend und feurig, aber desto tiefgefühlter, inniger und voll von neuen melodischen Gängen. Die Hollandais, Rondos und andere dergleichen süße Erfindungen der Musik gelingen ihm sonderlich bis zur magischen Täuschung. Sein Allegro rollt so leicht und zwanglos weg, daß er nichts zu thun scheint, wenn er alles thut. Vielleicht ist nur seine Bogenlenkung etwas zu verkünstelt und gezwungen; wenigstens ist sie nicht so frei, wie Lolly's seine.«
In der Allgem. musik. Ztg. vom Jahre 1803 (Nr. 18) heißt es in einem Bericht aus München: »Fränzl spielt mit Feuer und Ausdruck, sein Ton ist schmelzend und rührend, sein Vortrag zart und geschmackvoll. Sehr verschieden ist seine Manier von jener des Herrn Eck. Dieser geht mehr ins Große, sein Spiel ist für große Säle berechnet, er sucht durch kühne, aber mit Einsicht hingeworfene Massen über den Beifall des Zuhörers zu gebieten. Herrn Fränzel's Spiel ist ruhiger, stiller; durch schmeichelnde Verzierungen, sanfte Wendungen, sucht er mehr die Herzen zu gewinnen, als das Gemüth tief aufzuregen und zu erheben. Er geht seinen eignen Gang, und ist darin zu loben. Die hohen Töne der Violine des Herrn Fränzl scheinen uns etwas quiekend und schreiend. Die Mitteltöne aber sind unbeschreiblich süß und in die Seele dringend. Schwierigkeiten trägt er sehr artig und geschmackvoll vor. Doppelgriffe, die er sehr liebt, sind ihm ein Spiel, und immer rein. Das Adagio war fast im Geschmack und der Manier eines Nardini vorgetragen, und machte, da dies eben jetzt eine neue Sache ist, eine schöne Wirkung.«
Großes Interesse bietet folgende aus dem Jahre 1802 herrührende Kritik Spohrs über Fränzl, den er in Petersburg hörte: »Der vorzüglichste Geiger, der damals in Petersburg anwesend war, ist Fränzl. Er hält die Violine noch nach der alten Methode auf der rechten Seite des Saiten Halters und muß daher mit gebücktem Kopfe spielen. Dazu kommt, daß er den rechten Arm sehr hoch hebt und die üble Angewohnheit hat, bei ausdrucksvollen Stellen die Augenbrauen in die Höhe zu ziehen. Sein Spiel ist rein und sauber. Im Adagio macht er viele Läufer, Triller und andere Verzierungen mit einer seltenen Deutlichkeit und Delikatesse. Sobald er aber stark spielt, wird sein Ton rauh und unangenehm, weil er den Bogen zu langsam und zu dicht am Stege führt, und ihn zu sehr auf die Saite drückt. Die Passagen macht er deutlich und rein, aber immer in der Mitte des Bogens, folglich ohne Abwechselung von Stärke und Schwäche.«
Als Spohr Fränzl 1815 in München wiederum hörte, fand er Veranlassung, über ihn zu bemerken: »Herr M. D. Fränzel spielte sein altes Violinkonzert mit Janitscharenmusik. Die Komposition ist in dem süßlich faden Geschmack der Pleyl'schen Epoche und kann jetzt unmöglich noch gefallen. Eben so veraltet ist auch sein Spiel, von dessen früheren Vorzügen nur noch das Feuer übrig geblieben ist, das ihn aber jetzt oft zur Undeutlichkeit und unreinen Intonation fortreißt.«
Eine Vergleichung der vorstehenden Urteile ergibt, welch einen bedeutenden Umschwung das Violinspiel zu Anfang des vorigen Jahrhunderts erfahren hatte. Den höher gespannten Anforderungen vermochte ein in seinen jüngeren Jahren so beliebter Künstler wie Fränzl nicht mehr gerecht zu werden.
Ferdinand Fränzl, geb. 24. Mai 1770 in Schwetzingen, trieb das Violinspiel, in welchem der Vater ihn unterwies, seit dem fünften Lebensjahre. Zwei Jahre später ließ er sich am Mannheimer Hofe bereits als Solospieler hören, und 1782 wurde er zum Kammermusikus ernannt. Bald begab er sich, zunächst (1785) in Gesellschaft seines Vaters, auf Kunstreisen. In Straßburg angelangt, benutzte er die Gelegenheit, bei Richter und Pleyel theoretischen Unterricht zu nehmen. Hierauf besuchte er Frankreichs Hauptstadt, in der er sich jedoch nicht Geltung verschaffen konnte, weil Paris damals eine nicht geringe Anzahl auserlesener Geiger besaß, an deren Spitze Viotti stand. Er wandte sich alsbald nach Italien, namentlich um unter Leitung des Pater Martini in Bologna Kompositionstudien zu machen, und besuchte dann die Städte Rom, Neapel und Palermo. 1791 kehrte er nach Frankfurt a. M. zurück, um an Karl Cannabichs Stelle zu treten. Mehrere Jahre lebte er hier ruhig, dann trieb es ihn wieder hinaus in die Ferne, und nachdem er sich längere Zeit in Offenbach aufgehalten hatte, begab er sich 1802 auf den Weg nach Petersburg und Moskau, Städte, die seit Ende des 18. Jahrhunderts neben Paris und London wegen ihrer pekuniären Ergiebigkeit immer häufiger von renommierten ausübenden Künstlern besucht wurden.
Zu Ende 1806 traf Fränzl wieder in Deutschland ein und übernahm die Dirigentenstelle am Hoftheater zu München. Diese war soeben erst durch den Tod des Sohnes Christian Cannabichs, Karl, in dessen Funktion Fränzl schon einmal getreten, erledigt worden.
Neben seiner amtlichen Tätigkeit führte Fränzl von hier ab nicht minder ein bewegtes Wanderleben als Violinspieler, welches ihn nach Paris, Amsterdam, Wien und Leipzig führte. Auch eine zweite italienische Reise unternahm er 1823. Im folgenden Jahre war er wieder in München. Trotz seines vorgerückten Alters fand er indessen immer noch keine Ruhe. Er wandte sich, 1827 pensioniert, nach Genf, dann wieder in seine Heimat und wählte endlich Mannheim zu seinem Aufenthaltsorte. Hier starb er am 19. November 1833.
Unter seinen zahlreichen Kompositionen gibt es einige Konzerte für die Violine, die sich im Hinblick auf gewandte formelle Gestaltung und fließenden Stil, sowie anmutige, gefällig ansprechende Erfindung vorteilhaft vor den meisten damaligen gleichartigen Produktionen auszeichnen. Unverkennbar in ihnen ist der Einfluß Viottis. Ihre Wirkung auf die weitere Öffentlichkeit wurde indes ebensosehr durch die Hauptvertreter der Pariser Schule wie durch Spohrs epochemachendes Auftreten verdunkelt und dermaßen in den Hintergrund des Musiklebens gedrängt, daß sie nicht jene Verbreitung fanden, die ihnen unter günstigeren Umständen wohl zuteil geworden wäre.
Aus der Lehre Ignaz Fränzls ging außer dessen Sohn noch der zu Anfang des vorigen Jahrhunderts vielgenannte Geiger Friedrich Wilhelm Pixis, geb. 1786 zu Mannheim, hervor. Er begann bereits als fünfjähriger Knabe seine Studien, zunächst unter Leitung eines gewissen Ritter, setzte sie dann bei dem Violinisten Luci oder Luigi in Offenbach fort und vollendete sie mit Hilfe Fränzls. In seinem neunten Jahre ließ er sich schon öffentlich hören, und alsbald begab er sich in Gesellschaft seines Vaters und Bruders, des berühmten Klavierspielers Johann Peter Pixis, auf eine längere Kunstreise, die über Karlsruhe, Stuttgart, Göttingen, Kassel, Braunschweig und Bremen nach Hamburg führte. Hier traf die Künstlerfamilie 1798 ein, und Fr. W. Pixis benutzte die sich darbietende Gelegenheit, bei Viotti, der damals gleichfalls in Hamburg war, noch eine Zeitlang zu studieren. Spohr, der ihn 1802 in Königsberg hörte, schrieb damals in sein Tagebuch über ihn folgende Zeilen nieder: »Sein Ton ist kraftlos und der Vortrag ohne Ausdruck. Dabei hat er eine schlechte Bogenführung. Er faßt den Bogen eine Handbreit vom Frosche (eine damals viel verbreitete Gewohnheit) und hebt den rechten Arm viel zu hoch. So fehlt ihm alle Kraft im Striche und die Nüancen von p und f fallen bei seinem Spiele ganz fort. Seine Passagen waren matt und ohne Ausdruck, ja er griff sogar sehr falsch und kratzte zuweilen, daß den Zuhörern die Ohren wehthaten.« Spohr fügte später vorstehenden Bemerkungen hinzu: »Auf diese sicher viel zu harten Urtheile wird mein Lehrer (Franz Eck) wohl eingewirkt haben, der ein sehr strenger Richter war. P. hatte sich, als ich ihn 10 Jahre später in Wien wieder sah, zu einem ausgezeichneten Violinisten herangebildet und bewährte sich auch als Professor am Konservatorium zu Prag als tüchtiger Lehrer.« Diese, eines Spohr durchaus würdige Berichtigung entspricht vollkommen dem allgemeinen Urteile über Pixis' Leistungsfähigkeit. Es bleibt noch zu bemerken, daß der Künstler, nachdem er 1804-1806 in dem Mannheimer Orchester tätig gewesen, über Wien 1810 nach Prag ging und hier, nachdem er zuerst als Dirigent am Theater gewirkt hatte, die Leitung des Violinunterrichts an der Musikschule übernahm, bei welcher er bis zu seinem Tode, den 20. Oktober 1842, rühmlich beschäftigt war.
Der letzte bedeutsame, noch direkt aus der Mannheimer Schule herstammende Violinist, welchen wir hier zu berücksichtigen haben, ist Johann Friedrich Eck, geboren 1766 zu Mannheim. Sein Vater stammte aus Böhmen und wurde wahrscheinlich durch Stamitz in die Mannheimer Kapelle gezogen, in welcher er als erster Hornist angestellt war. Seinen Sohn unterrichtete zuerst der kurpfälzische Kammermusikus Christian Danner, jener Künstler, der zu Ende des 18. Jahrhunderts in Karlsruhe als Konzertmeister am markgräflich badenschen Hofe wirkte. Dieser erwarb sich das Verdienst, aus seinem Schüler einen Meister zu machen, welcher zu den ausgezeichnetsten deutschen Violinisten des 18. Jahrhunderts zu zählen ist. 1778 stand Eck in der Münchener Kapelle, der er zehn Jahre lang angehörte; dann übernahm er die Direktion beim Nationaltheater. Nachdem er sich 1801 verheiratet und seine Stellung aufgegeben hatte, verließ er Deutschland für immer, um in Paris eine neue Heimat zu suchen. Seit jener Zeit verscholl er, wir wissen nur, daß er um 1810 in Bamberg starb. Seine Violinkompositionen stehen ziemlich auf einem Niveau mit denen Ferdinand Fränzls, doch sind sie trockener wie diese.
Über seine vorzügliche Leistungsfähigkeit als Violinist gibt Reichardt in seiner musikalischen Monatsschrift folgende Auskunft: »Er besitzt alles, was zu einem vollkommenen Virtuosen gehört, und was jetzt so wenige haben: großen und schönen Ton, vollkommen reine Intonation – was sehr, gar sehr viel heißt – Vortrag, Ausdruck, Geschmack, ganz außerordentliche Fertigkeit, Festigkeit und Sicherheit. Außer Salomon in London, wie ich ihn 1786 daselbst hörte, hat mir kein Violinist größeres Vergnügen gewährt.«
Eck wurde indes für das deutsche Violinspiel nicht sowohl durch seine eigenen Leistungen von Wichtigkeit, als vielmehr durch die Ausbildung seines jüngeren Bruders Franz, den wir als Lehrmeister Ludwig Spohrs besonders zu schätzen haben.
Franz Eck, 1774 in Mannheim geboren, trat nach absolvierter Lehrzeit in die Münchener Kapelle. Ein Liebesabenteuer zwang ihn aber, die bayerische Residenz 1801 für immer zu verlassen. Er begab sich auf Reisen, konzertierte während des Jahres 1802 in Deutschland, namentlich in Hamburg und Berlin, und ging dann in Begleitung Spohrs nach Petersburg. Hier fand er 1803 als Soloviolinist am kaiserl. Hofe eine Stellung. Doch schon ein Jahr später überfiel ihn eine Geisteskrankheit, infolge deren er nach Deutschland zurückgebracht wurde. Er starb 1804 im Irrenhause zu Straßburg.
Über sein Spiel bemerkt Spohr: »Die Abwechselung von Stärke und Schwäche in seinen Tönen, die Deutlichkeit in seinen Passagen, die geschmackvollen Verzierungen, womit er selbst die unbedeutendste Komposition zu heben weiß, verleihen seinem Spiel einen unwiderstehlichen Reiz. Sein Spiel war gesetzt, kraftvoll und doch immer wohlklingend.« Daß aber Eck trotz alledem kein besonderer Musiker war, ersehen wir aus einer andern Mitteilung seines Schülers, in der es heißt: »Beim Einüben dieser Duette mit Eck wurde es mir zuerst klar, daß mein Lehrer, wie so viele Geiger der französischen Schule, doch kein durchgebildeter Künstler war; denn so vollendet er auch seine Konzertsachen und einige andere, ihm von seinem Bruder eingeübte Kompositionen vortrug, so wenig verstand er es, in den Geist fremder Sachen einzudringen. Es hätte bei diesen Duetten füglich ein Rollentausch stattfinden und vom Schüler dem Lehrer angedeutet werden können, wie sie vorzutragen seien. Auch merkte ich bei einem Kompositionsversuch, den Eck machte, daß dieser unmöglich der Komponist der Violinkompositionen und Quartette sein könne, die er bisher für seine Kompositionen ausgegeben hatte. Später erschienen auch die Konzerte unter dem Namen des ältern Eck und die Quartette unter dem Danzi's in Stuttgart.«
Franz Eck scheint in der Tat wenig komponiert zu haben; wenigstens wurde von ihm nichts veröffentlicht, und Fétis spricht nur von einem Konzerte seiner Arbeit, dessen Manuskript er zufällig besaß. Daß er dennoch sich als Tonsetzer bei Spohr, und zwar mit fremden Kompositionen, in Respekt zu setzen versuchte, ist freilich ebenso abgeschmackt als lächerlich.
Durch Cannabich, den Vater und Sohn, Ferdinand Fränzl und Joh. Friedrich Eck wurde, wie aus den vorhergehenden Mitteilungen ersichtlich ist, die Mannheimer Violinschule infolge der 1777 vollzogenen Vereinigung Bayerns mit der Kurpfalz nach München verpflanzt, da der Hof die besten Kräfte mit sich nach der letzteren Stadt führte. Mannheims bisherige Bedeutung als Residenz und Mittelpunkt einer vorzüglichen Musikpflege erlosch hierdurch. Es blieb dort nur ein ansehnliches Musikchor zum Dienst des Mannheimer deutschen Theaters zurück. Wenn auch Münchens musikalische Bedeutung durch diese künstlerische Bereicherung wesentlich gehoben wurde, so befand sich die Tonkunst dort doch vorher schon in gutem Zustande. Bereits am Anfange des 18. Jahrhunderts (1704) kam dall' Abaco, von dem wir Näheres früher gehört haben Vgl. S. 184-185. an den Hof des damaligen Kurfürsten Maximilian II. Emanuel, und es ist zweifellos, daß die bis gegen Mitte des Jahrhunderts sich erstreckende Wirksamkeit des Künstlers dem Musiktreiben der bayerischen Hauptstadt bedeutsame Impulse gab, insbesondere, da der Nachfolger Maximilians II., Kurfürst Karl Albrecht, der spätere Kaiser Karl VII., wie Schubart berichtet, ebenfalls ein Kenner und Gönner der Tonkunst war. »Er spielte den Flügel und die Violine mit ziemlicher Fertigkeit und soll selbst einige Stücke in Musik gesetzt haben, die man natürlicherweise lobte, weil er Kaiser war. Er ließ (nach damaliger Sitte) viele fremde Sänger und Virtuosen aus Italien kommen. Aber die traurigen Schicksale, die er später erlitt, haben Leben und Weben der Musik in Baiern in ziemliche Stockung gebracht. Unter seinem Sohn Maximilian Joseph hob sich die Musik wieder. Dieser Kurfürst war selbst ein trefflicher Tonkünstler. Er spielte die Viol de Gamb als Meister, strich in seinen meisten Konzerten immer die Violine mit und setzte einige Kirchenstücke auf, die im besten Geschmack geschrieben sind. Er berief Tozzi als Kapellmeister.« So war denn, als die Mannheimer Künstler herbeizogen, in München ein wohlbestellter Boden für die musikalische Tätigkeit bereit.
Außer Abaco sind uns eine Anzahl von Violinisten, die schon in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts in München wirkten, wenigstens dem Namen nach bekannt geworden Vgl. Ad. Sandbergers Einleitung zum 1. Bande der »Denkmäler der Tonkunst in Bayern«.. Sie sind
Franz Simon Schuhbauer, Abacos Nachfolger (bis 1743); Pierre Rey, der einer Pariser Musikerfamilie angehörte; Claude Jacques Marselle (Kammerviolinist 1723); Thomas Cröner (oder Kröner), der Vater der weiter unten genannten drei Violinisten; sodann Franz Xaver Bluem, der im Jahre 1743 als Vizekapellmeister angeführt wird, und Loeillet.
Weiterhin zeichneten sich unter den Violinspielern der Münchner Hofmusik vor allen die Gebrüder Cröner (von Maximilian Joseph 1749 in den Adelstand erhoben) und Holzbogen aus. Der älteste Cröner, mit Vornamen Franz Ferdinand, wurde 1718 in Augsburg geboren. Sein Vater war fürstbischöflicher Hofmusikus. Im Augsburger Jesuitenkloster erzogen, pflegte er nebenbei unter väterlicher Anleitung das Studium mehrerer Instrumente, unter denen ihn besonders die Violine anzog. Kurfürst Karl Albrecht von Bayern schickte ihn, nachdem er ihn 1737 samt seinem Vater als Hof- und Kammermusikus in Dienst genommen, zur weiteren Ausbildung nach Italien. Er kehrte als trefflich geschulter Violinist von dort zurück und bereiste darauf mit seinen Brüdern einen großen Teil der europäischen Länder. Nach Kaiser Karls VII. Tode beförderte ihn Maximilian Joseph zu seinem Konzertmeister und Musikdirektor. Er starb in München am 12. Juni 1780.
Franz Karl Cröner, der zweite Bruder, geb. 1722 in Augsburg, war zuerst Kammerdiener beim Reichsprälaten Münchsroth, trat aber 1747 als Kammermusikus in die Kapelle Maximilians III. Er spielte vorzugsweise die Violine und Viola da Gamba, war auch Komponist und veröffentlichte 1760 sechs Violintrios in Amsterdam. An Manuskripten hinterließ er Konzerte, Symphonien, Quartette usw. Am 5. Dezember 1787 erfolgte sein Tod.
Der jüngste Cröner endlich, Johann Nepomuk, geb. 1735 in München, wurde durch seinen Bruder Franz Ferdinand gebildet und war besonders stark im Ton und delikaten Vortrag. Lipowsky berichtet, daß er am 24. Juni 1785 starb, während Gerber ihn noch 1786 als Vizekonzertmeister in der Münchener Kapelle wirken läßt. Schubart meldet uns von ihm, »daß er erster Konzertmeister des Kurfürsten und zugleich Lehrer des Prinzen in der Violine war. Der Kurfürst stand gewöhnlich neben ihm, wenn eine Symphonie gespielt wurde, und spielte mit ihm die Violine. Cröner war ein ungemein guter Ripienist, nur verstand er die Kunst nicht, ein Orchester mit Vortheil zu lenken; daher ging es hier oft sehr anarchisch zu. Der Kurfürst sah den Unfug wohl, aber steuerte demselben aus Güte des Herzens so wenig, als er dem politischen Unfug seiner Minister steuerte. Dieser Cröner zeichnete sich auch im Sologeigen besonders aus: er hatte einen ungemein insinuanten Strich, kurz, aber niedlich; nur fiel er dadurch zu sehr ins Gepützelte und nie gelang es ihm, das Mark aus der Geige zu holen. Das Tempo rubato wußte er meisterhaft anzubringen, nur ging er mit dieser Kostbarkeit zu verschwenderisch um, und brachte dadurch nicht selten den Begleiter aus der Fassung. Er liebte mehr den komischen, als den ernsthaften Vortrag.« An anderer Stelle bemerkt derselbe Berichterstatter: »Konzertmeister Cröner – nun tod! – war ein angenehmer Solospieler, nur zu tändlend; sein Bogen zog die Noten nicht mit der Wurzel heraus, sondern berührte blos ihre Spitzen. Das zu häufig angebrachte Tempo rubato machte seinen Vortrag muthwillig, und nicht schön. Als Konzertmeister übertraf ihn der selige Holzbogen weit.«
Wahrscheinlich mußte Cröner, nachdem die Mannheimer Künstler der Münchener Kapelle einverleibt worden, wegen seiner Unzulänglichkeit als Konzertmeister in eine sekundäre Stellung treten, und so könnte Gerber gleichfalls recht haben, ihn als Vizekonzertmeister zu bezeichnen.
Joseph Holzbogen empfing seine Ausbildung in Padua bei Tartini, zu dem er 1753 (nach Lipowsky 1759) auf Antrieb seines Fürsten, Herzog Clemens von Bayern, ging. Bei seiner Rückkehr in die Heimat wurde er 1762 zum Hofkonzertmeister in München ernannt. Burney, der ihn dort hörte, berichtet: »Holzbogen besitzt eine große Fertigkeit in der Hand, zieht einen schönen Ton aus seinem Instrument und hat mehr Feuer, als man bei jemand aus der Tartinischen Schule erwartet, welche sich mehr durch Delikatesse, Ausdruck und sehr seinen Vortrag, als durch Lebhaftigkeit und Abwechselung auszuzeichnen pflegt.« Lipowsky bemerkt dagegen über ihn, freilich nur vom Hörensagen, »daß er zwar Finger und Bogen in seiner Gewalt hatte, die Triller und Doppeltriller gleich gut machte, und die größten Schwierigkeiten mit Leichtigkeit rein ausführte, allein keinen rührenden Ausdruck hervorzubringen und keinen edlen Geschmack in sein Spiel zu bringen verstand«. Von seinen Kompositionen wurde nichts veröffentlicht. Er starb zu München 1779.
Die Bemühungen der Mannheimer Schule für die Entwicklung eines national deutschen Violinspiels fanden sehr bald eine entsprechende theoretische Ergänzung durch die verdienstlichen Bestrebungen Leopold Mozarts, dessen Name schon allein durch die musterhafte Kunstbildung seines Sohnes Wolfgang Amadeus verewigt ist. Leopold Mozart wurde am 14. November 1719 in Augsburg geboren und starb am 28. Mai 1787 in Salzburg. Nachdem er sich den juristischen Studien gewidmet, trat er in die Dienste des Erzbischofs von Salzburg und versah hier von 1762 bis zu seinem Tode die Funktionen des Konzert- und Vizekapellmeisters. Er war kein musikalisches Genie, aber, was auch unschätzbar ist, ein Mann von tüchtiger Bildung, hellem, scharfem Verstande, tiefer Einsicht in die Forderungen seines Berufs, gewissenhaftester Pflichttreue und von unbestechlichem künstlerischem Ernst. Diese Eigenschaften befähigten ihn in seltenem Maße zur musikalischen Pädagogik, und wie er sie geübt, beweist nächst der Jugendgeschichte seines Sohnes die von ihm vorhandene Violinschule Als wertvolle Ergänzung derselben ist Reichardts »Über die Pflichten des Ripien-Violinisten« (Berlin und Leipzig bei Decker, 1776) zu betrachten. (1756). Sie wird allen wesentlichen an ein derartiges Werk zu stellenden Forderungen gerecht und verbindet Bestimmtheit und Klarheit des Ausdrucks, folgerichtige methodische Führung des Lehrenden und Lernenden durch alle Teile der Violintechnik, soweit dieselbe damals entwickelt war, mit gediegenen, von echt musikalischem Geiste getragenen Maximen und Anschauungen und warmer, eindringlicher Hingebung an die Sache. Natürlich ist von dem Inhalt dieser Arbeit im Laufe der Dezennien manches veraltet, allein der Kern derselben bleibt unvergänglich; denn es sind die wahren Prinzipien der Kunst, die Mozart aufstellt. So ist denn unzweifelhaft, daß die Mozartsche Violinschule einen sehr wichtigen Faktor für die Entwicklung des deutschen Geigenspiels im 18. Jahrhundert bildete, um so mehr, als sie lange Zeit hindurch das einzige in Betracht kommende deutsche Lehrbuch dieser Art war, des Umstandes nicht zu gedenken, daß sie mehrmals, und zwar in den Jahren 1756, 1770 und 1787 wiederholt aufgelegt wurde. Außerdem erschienen in Wien 1791 und 1804 – in letzterem Jahre gleichfalls in Leipzig – neue Ausgaben davon, und daß das Werk auch im Auslande hohe Schätzung fand, beweisen die Übersetzungen desselben ins Französische und Holländische. Hatte Geminiani, dessen Violinschule Vgl. S. 100 ff. 16 Jahre vor der Mozartschen erschien, in diesem Fache den Ruhm der Priorität für sich, so gebührt seinem deutschen Nachfolger das unbestrittene Verdienst, gründlicher, ausführlicher, sowie logischer und namentlich glücklicher in der Wahl seiner Notenbeispiele gewesen zu sein. Er handelt in zwölf Hauptstücken Die obigen Angaben stützen sich auf die 3. Auflage von Mozarts Violinschule., denen eine für die Gegenwart völlig bedeutungslose Einleitung über die Violine sowie über den Ursprung der Musik vorausgeht, 1. von den Noten und Schlüsseln, Taktarten, Notenwerten und Pausen; 2. von der Haltung der Violine und des Bogens; 3. von den Forderungen, die der Schüler zu beobachten hat, bevor er zu spielen anfängt; 4. von der Ordnung des Herauf- und Herabstriches; 5. von der Handhabung des Bogens insbesondere; 6. von den Triolen; 7. von den verschiedenen Veränderungen des Bogenstrichs bei gleichen Noten und Figuren; 8. von den einfachen, zusammengesetzten und vermischten Applikaturen; 9. von den Vorschlägen usw.; 10. von dem Triller; 11. von dem Tremolo, Mordente und einigen andern willkürlichen Auszierungen und 12. von dem richtigen Notenlesen und guten Vortrage überhaupt.
Die aus vorstehenden Zitaten ersichtliche stoffliche Disposition und die Art der Detailbegründung des zu Lehrenden war im allgemeinen normgebend für alle Violinschulen bis in die Neuzeit. Mozart begnügt sich nicht damit, durch das Wort die Forderungen des kunstgemäßen Violinspiels festzustellen, er erläutert vielmehr alles, was er sagt, durch trefflich erfundene, obwohl immer nur kurze, einfache Notenbeispiele und zeigt hier nicht bloß die richtige, sondern häufig auch zugleich die falsche Spielart. Dabei weiß der Autor trotz einer gewissenhaften, überall ins einzelne gehenden Darstellung sich so gedrängt und knapp zu halten, daß er nie ermüdend oder verwirrend wird. Immer läßt er sich nur auf das Wesentliche ein und vermeidet sorgfältig, Dinge einzuflechten, welche nicht unbedingt zur Sache gehören. Daß er dies alles mit reiflicher Überlegung tat, darüber gibt er uns selbst in der Vorrede seines Buches Ausschluß, indem er sagt: »Es ist noch vieles abzuhandeln übrig. Dieß ist der Vorwurf, den man mir vielleicht machen wird. Doch was sind es für Sachen? Solche, die nur dazu gehören, der schlechten Beurtheilungskraft manches Concertisten ein Licht anzuzünden, und durch Regeln des guten Geschmackes einen vernünftigen Solospieler zu bilden. Den Grund zur guten Spielart überhaupt habe ich hier geleget; das wird mir niemand absprechen. Dieß allein war auch itzt meine Absicht. Hätte ich alles das übrige noch vortragen wollen, so würde das Buch noch einmal so groß angewachsen seyn: welches ich doch hauptsachlich zu vermeiden gedachte ... Ich hätte freylich die in diesem Buche vorkommenden Materien noch viel weitläufiger abhandeln, und nach dem Beispiele einiger Schriftsteller alles von anderen Wissenschaften da und dort einschlagendes einmischen, sonderbar aber bey den Intervallen ein weit mehreres sagen können. Doch, da es meistens Sachen sind, die theils zur Setzkunst gehören: theils oft mehr des Verfassers Gelehrsamkeit an den Tag zu legen, als dem Schüler zu nutzen dastehen: so habe ich alles weggelassen, was mir das Buch hätte vergrößern können. Und eben der beliebten Kürze halben ist es geschehen, daß die im 4. Hauptstücke mit zwoen Violinen angefangene Beyspiele nimmer so fortgesetzet, und überhaupts alle die übrigen Exempeln etwas kürzer sind angebracht worden.«
Mozart übergab seine Violinschule der Öffentlichkeit in der Überzeugung, daß sie ein Erstlingswerk ihrer Art sei Ohne Frage ist Otto Jahn dadurch irregeleitet worden. In seiner Mozartbiographie (Aufl. II, Bd. 1, S. 10) sagt er von der fraglichen Violinschule: »es war die erste, eine lange Reihe von Jahren die einzige ... Anweisung zum Violinspiel«, während Simpsons, Monteclairs und Geminianis Violinschulen (vgl. S. 100 f.) schon vorher erschienen waren. – Bei dieser Gelegenheit sei darauf hingewiesen, daß nach Ad. Sandberger (Denkmäler der Tonkunst in Bayern, 1. Jahrg.) die erste deutsche Violinschule von einem Augsburger Stadtmusiker, Daniel Merck, herrührt und bereits im Jahre 1695 herausgegeben wurde. Freilich handelte es sich dabei weniger um eine spezielle Violin- als vielmehr um eine allgemeine Geigenschule, wie aus dem Titel hervorgeht, der folgendermaßen lautet: » Compendium musicae Instrumentalis Chelicae. Das ist: Kurtzer Begriff, Welcher Gestalten die Instrumental-Music auf der Violin, Pratschen, Viola da Gamba, und Bass gründlich und leicht zu erlernen seye. Augsburg Druckts Johann Christoph Wagner.«. Offenbar waren ihm Chr. Simpsons, Monteclairs und Geminianis Arbeiten unbekannt geblieben. Dies ergibt sich übrigens auch bei einem Vergleich mit dem Werke des italienischen Meisters Über die Violinschulen Simpsons (1660) und Monteclairs (1720) vermag ich nicht zu urteilen, da sie mir unzugänglich geblieben sind. nach Anlage und Durchführung. Wenn Geminiani sich auf Verwertung der Prinzipien seines Meisters Corelli beschränkte, so schöpfte Mozart dagegen zunächst aus eigener Erfahrung und Beobachtung mit Berücksichtigung der gesamten, damals vorhandenen Violinliteratur, namentlich aber der Tartinischen Kompositionen. Er hatte, wie er selbst sagt, schon viele Jahre vor Veröffentlichung der Schule die in derselben enthaltenen Regeln für seine Zöglinge niedergeschrieben. Daher dies sorgsame Eingehen auf Einzelheiten, die selbständig entschiedene und scharf zugespitzte Formulierung der Gebote und Verbote, überhaupt der wohldurchdachte und klar bewußte Ton seiner Didaktik. In dieser Hinsicht zeichnen sich die Hauptstücke 4, 5, 6 und 7 vorzugsweise aus. Sie enthalten eine mit tiefer Einsicht abgefaßte Erörterung von Lehrgegenständen, die in Geminianis Violinschule kaum dem Namen nach berührt werden. Hier zeigt sich, wie weit der deutsche Meister dem italienischen an Lehrtalent und positiver Behandlung des Stoffes überlegen ist. Bei ihm ist jedes Wort, weil sachgemäß, treffend und fördernd für den Studierenden, während Geminiani sich teilweise doch nur in unfruchtbaren Spekulationen ergeht.
Mozart war ein unbedingter Vertreter der gediegenen musikalischen Richtung, sowie eines gesunden, natürlichen Geschmackes, und wundern darf es daher nicht, wenn er mit aller Entschiedenheit gegen das Virtuosentum zu Felde zieht. Er betrachtete die Violine vor allem als Gesangsinstrument. Hiervon ausgehend nennt er das Cantabile »das schönste in der Musik«. »Manche meynen«, so fährt er fort, »was sie wunderschönes auf die Welt bringen, wenn sie in einem Adagio Cantabile die Noten rechtschaffen verkräuseln und aus einer Note ein paar Dutzend machen. Solche Notenwürger legen dadurch ihre schlechte Beurtheilungskraft zu Tage, und zittern, wenn sie eine lange Note aushalten oder nur ein paar Noten singbar abspielen sollten, ohne ihr angewöhntes ungereimtes und lächerliches Fickfack einzumischen.« Das Gesangliche war ihm also Hauptnorm für die Forderungen, welche er an ein gutes Violinspiel stellt. Als wichtigstes Element dafür erkennt er die Tonbildung, und so fordert er vor allem einen »rechtschaffenen und mannbaren Ton«. »Was kann wohl«, so fragt er, »abgeschmackteres seyn, als wenn man sich nicht getrauet die Geige recht anzugreifen; sondern mit dem Bogen die Seyten kaum berühret und eine so künstliche Hinaufwispelung bis an den Sattel (Steg) der Violine vornimmt, daß man nur da und dort eine Note zischen höret, folglich nicht weiß, was es sagen will; weil alles lediglich nur einem Traume gleichet. Solche Luftviolinisten sind so verwegen, daß sie die schwersten Stücke aus dem Stegreif weg zu spielen keinen Anstand nehmen. Denn ihre Wispeley, wenn sie gleich nichts treffen, höret man nicht: Dieß aber heißt bei ihnen angenehm spielen. Die größte Stille dünket sie sehr süße. Müssen sie laut und stark spielen; alsdann ist die ganze Kunst auf einmal weg.« Aber weit entfernt davon, die Mannigfaltigkeit des Ausdrucks beschränken zu wollen, bemerkt er vielmehr: »Der Bogenstrich soll bald eine ganz modeste, bald eine freche, bald eine ernsthafte, bald eine scherzhafte, jetzt eine schmeichelnde, jetzt eine gesetzte und erhabene, jetzt eine traurige, jetzt aber eine lustige Melodie hervorbringen.«
Wie Mozart über den künstlerischen Vortrag mit besonderer Rücksicht einerseits auf die streng musikalische und andererseits auf die virtuose Richtung dachte, geht aus folgendem hervor: »Der gute Vortrag einer Komposition nach dem heutigen Geschmacke ist nicht so leicht, als sichs manche einbilden, die sehr wohl zu thun glauben, wenn sie ein Stück nach ihrem Kopfe recht närrisch verzieren und verkräuseln; und die von demjenigen Affecte gar keine Empfindung haben, der in dem Stücke soll ausgedrücket werden. Und wer sind die Leute? Es sind meistens solche, die, da sie kaum im Takte ein wenig gut fortkommen, sich gleich an Concerte und Solo machen, um (nach ihrer dummen Meinung) sich nur fein bald in die Zahl der Virtuosen einzudrängen. Manche bringen es auch dahin, daß sie in etlichen Concerten oder Solo, die sie rechtschaffen geübet haben, die schwersten Passagen ungemein fertig wegspielen. Diese wissen sie nun auswendig. Sollen sie aber nur ein paar Menuete nach der Vorschrift des Komponisten singbar vortragen; so sind sie es nicht im Stande: ja man sieht es in ihren studirten Concerten schon. Denn so lang sie ein Allegro spielen, so gehet es noch gut: wenn es aber zum Adagio kömmt; da verrathen sie ihre Unwissenheit und ihre schlechte Beurtheilungskraft in allen Täcten des ganzen Stücks ... Die musikalischen Stücke von guten Meistern richtig nach der Vorschrift lesen, und nach dem im Stücke herrschenden Affecte abspielen ist weit künstlicher, als die schweresten Solo und Concerte studiren. Zu dem letzten braucht man eben nicht viel Vernunft. Und wenn man so viel Geschicklichkeit hat, die Applicaturen auszudenken: so kann man die schwersten Passagen von sich selbst lernen; wenn nur eine starke Übung dazu kömmt. Das erste hingegen ist nicht so leicht. Denn man muß nicht nur alles angemerkte und vorgeschriebene genau beobachten, und nicht anders, als wie es hingesetzet ist, abspielen: sondern man muß auch mit einer gewissen Empfindung spielen ... Man schließe nun selbst, ob nicht ein guter Orchestergeiger weit höher zu schätzen sey, als ein purer Solospieler? Dieser kann alles nach seiner Willkühr spielen, und den Vortrag nach seinem Sinne, ja nach seiner Hand einrichten: da der erste die Fertigkeit besitzen muß, den Geschmack verschiedener Komponisten, ihre Gedanken und Ausdrücke allsogleich einzusehen und richtig vorzutragen. Dieser darf sich nur zu Hause üben, um alles rein herauszubringen, und andere müssen sich nach ihm richten; jener aber muß alles vom Blatte weg, und zwar oft solche Passagen abspielen, die wider die natürliche Ordnung des Zeitmaases lauffen; und er muß sich meistens nach andern richten. Ein Solospieler kann ohne große Einsicht in die Musik überhaupts seine Concerte erträglich, ja auch mit Ruhme abspielen; wenn er nur einen reinen Vortrag hat: ein guter Orchestergeiger aber muß viele Einsicht in die ganze Musik, in die Setzkunst und in die Verschiedenheit des Charakters, ja er muß eine besondere lebhafte Geschicklichkeit haben, um seinem Amte mit Ehren vorzustehen; absonderlich, wenn er seiner Zeit den Anführer eines Orchesters abgeben will. Vielleicht sind aber einige, welche glauben, daß man mehr gute Orchestergeiger als Solospieler findet? Diese irren sich. Schlechte Accompagnisten giebt es freylich genug; gute hingegen sehr wenig: denn heut zu Tage will alles Solo spielen. Wie aber ein Orchester aussieht, welches aus lauter Solospielern besteht, das lasse ich jene Herren Componisten beantworten, die ihre Musiken dabey aufgeführet haben.«
Gewährt die vorstehende, auch heute noch beherzigenswerte Kundgebung schon an sich im allgemeinen lebhaftes Interesse durch die Geradheit und Offenheit, mit der Mozart in ungeschminkter Weise seinen Anschauungen und Wahrnehmungen Ausdruck verleiht, so wird sie insbesondere noch bedeutsam durch die scharfe Betonung des Gegensatzes zwischen dem guten Musikertum und der exklusiven virtuosen Richtung. Es ist ein höchst bemerkenswerter Umstand, daß schon damals, beim ersten Auftauchen des Virtuosentums sich so gewichtige Stimmen gegen dasselbe erhoben. Mit Recht dürfen wir darin ein sprechendes Symptom deutschen Geistes erblicken, welcher von jeher in allen Gebieten des Wissens und der Kunst gegen das Äußerliche, Oberflächliche ankämpfend mit Vorliebe dem Gediegenen, Tüchtigen gehuldigt hat.
Ähnlich wie in Berlin, wurde am Wiener Hofe die Tonkunst, doch in beschränkterer Weise geübt. Kaiser Karl VI. war selbst sehr musikalisch. Er verstand sich sogar darauf, bezifferte Bässe zu harmonisieren und akkompagnierte die bei ihm stattfindenden musikalischen Produktionen am Klavier. Seine Tochter Maria Theresia und deren Gemahl Franz I. waren gleichfalls der Musik nicht fremd. Regen Anteil nahm auch der Sohn dieses Kaiserpaares, Joseph II., an den Genüssen der Kunst. Er war, wie seine Mutter, im Gesange wohlgeübt, befleißigte sich daneben des Klavier-, Violoncell- und Violaspiels und musizierte nicht nur täglich während der Nachmittagsstunden, sondern veranstaltete auch in jeder Woche drei Musikaufführungen von größerem Umfange. Indes kam dies alles hauptsächlich der Vokalmusik zugute, da der Hof sich überwiegend für dramatische Musik, Joseph II. aber insbesondere für die italienische Oper interessierte. Es ist bekannt, daß dieser Fürst für die in seiner Umgebung sich vollziehende, kunsthistorisch so bedeutsame Entwicklung der Instrumentalmusik und deren Hauptträger weder Verständnis noch Sympathie besaß. Unter solchen Umständen war die Pflege dieses Kunstgebietes und der damit im Zusammenhange stehenden praktischen Kunstübung, namentlich aber des Violinspiels, auf andere Stützpunkte angewiesen. Sie fand dieselben vorzugsweise in den aristokratischen Kreisen Wiens, die gute Musiker brauchten und suchten. Um für diese Erscheinung, wenn auch nur annähernd, ein richtiges Verständnis zu gewinnen, hat man sich zu vergegenwärtigen, daß der österreichische Adel mit vielleicht beispielloser Freigebigkeit die Förderung der Instrumentalmusik durch Haltung von Privatkapellen begünstigte. Es war damals an der Tagesordnung, entweder ein vollzähliges Orchester oder doch wenigstens eine Art Kammermusik für den eigenen Bedarf an Hauskonzerten oder Tafel- und Abendmusiken zu besitzen, und das Beispiel Wiens wirkte hierin auch nach auswärts, insbesondere aber auf den böhmischen Adel zurück. Natürlich konnten sich nur sehr begüterte Mäcene den Luxus gestatten, ihr musikalisches Personal mit Männern von Fach zu besetzen. Wo dies der Fall war, versahen anerkannte Künstler das Kapellmeisteramt. So stand beispielsweise Haydn beim Fürst Esterhazy, Krommer beim Fürst Graselkowitz und Anton Wranitzky beim Fürst Lobkowitz in Diensten. Auch berühmte auswärtige Musiker suchte man zu gewinnen. Wir erinnern daran, daß Tartini drei Jahre lang beim böhmischen Grafen Kinsky engagiert war.
Reichten aber die pekuniären Mittel zu solchem Aufwande nicht aus, so half man sich dadurch, daß man für die zur Repräsentation erforderliche Dienerschaft vorzugsweise Individuen wählte, welche das eine oder andere Instrument spielten. Demzufolge war es denn nichts Ungewöhnliches, Kammerdiener, Hofmeister, Sekretäre, und was sonst noch zu einer herrschaftlichen Ökonomie gehört, zugleich als Mitglieder der Hausmusik tätig zu sehen. Wenn das auf solche Weise gesteigerte Bedürfnis nach brauchbaren Orchesterkräften schon an sich einen mächtigen Hebel für die Ausbildung des Instrumentenspiels abgab, so empfing dasselbe auch wichtige Impulse durch das unermüdliche Wirken und Schaffen der Wiener Komponisten. Eine Reihe namhafter, zum größten Teil freilich nur noch dem Namen nach gekannter Tonsetzer war tätig, um jene Ansprüche zu befriedigen, welche aus dem reich entwickelten Musikleben Wiens hervorgingen Über das reichhaltige Wiener Musikleben von der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts ab bis in die Neuzeit enthält E. Hanslicks »Geschichte des Konzertwesens in Wien« (1869) wertvolle Darstellungen.. Miteinander rivalisierend, wollte man bei seinen Musikaufführungen durch Abwechselung und Neuheit der Programme sich hervortun, und so entfalteten Männer wie Dittersdorf, Hoffmeister, Wanhall, Pleyel, Krommer, Wranitzky, Gyrowetz u. a. nach dem Vorbilde Haydns und Mozarts eine rührige Tätigkeit im Gebiete der sogenannten Kammermusik, zu der damals auch die Symphonie gerechnet wurde. Man kann die Werke dieses Genres, welche damals entstanden, ohne Übertreibung nach Hunderten zählen. Sie sind freilich längst im Strome der Zeit untergegangen, haben jedoch bei ihrem Erscheinen wesentlich mit zur Ausbildung des Instrumenten- und, was unser Interesse besonders in Anspruch nimmt, des Violinspiels beigetragen. Wie allgemein dieses letztere zu Wien im 18. Jahrhundert verbreitet war, beweist schon allein die Tatsache, daß die dortigen Instrumentalkomponisten der Mehrzahl nach die Geige mit Geschick zu handhaben wußten. Bemerkenswerte Beispiele bieten dafür Dittersdorf, Gyrowetz, Krommer und die Gebrüder Wranitzky Außerdem besaß Wien zu jener Zeit an mehr oder weniger geschickten Geigern noch: Starzer (geb. 17.., gest. 1793), Carl Ordonnez, von Geburt ein Spanier, Anton Hofmann (geb. 1723, gest. 1809), Pankraz Huber, sowie Karl und Thaddeus Halber. (»Geschichte des Konzertwesens in Wien« von E. Hanslick.) Genannt wird außerdem noch Ferdinand Grossauer (geb. etwa 1704, gest. 14. Sept. 1763), der nach Fux ein vortrefflicher Violinist war. Am 10. Mai 1732 wurde er an der Hofkapelle in Wien angestellt. (Köchel, d. Hofkapelle in Wien.). Von diesem Bruderpaare war es der jüngere, welcher besonders wichtig für das Wiener Violinspiel wurde, indem er nebst Dittersdorf gewissermaßen als Begründer der dortigen Geigenschule angesehen werden darf.
Karl Ditters v. Dittersdorf, geb. 2. November 1739 zu Wien, gest. am 31. Oktober 1799 auf dem Schlosse Rothlhotta in Böhmen, spricht in seiner Selbstbiographie von den Violinspielern König, Joseph Zügler und Trani, die sämtlich seine Lehrer waren und jedenfalls zu den besten damaligen Geigern des Ortes gehörten. Man hielt sich, wie überall, so auch in Wien vorzugsweise an die italienischen Muster. Dittersdorf erzählt uns: »Ich nahm die gestochene Sammlung der Locatelli'schen Sonaten, die ich von meinem neuen Lehrer (Trani) bekommen hatte. So altväterisch diese Sonaten zu jetziger Zeit klingen möchten, so will ich sie doch jedem angehenden Schüler auf der Violine nicht zum Produciren, sondern zum Exerciren, bestens empfohlen haben. Er wird bei Erlernung derselben große Progressen im Fingersatz, in verschiedenen Strichen, Arpeggio's, Doppelgriffen u. s. w. machen.« Weiter berichtet Dittersdorf, daß er Zuccharinische, Tartinische und Ferrarische Kompositionen studieren mußte. Aber nicht nur mittelbar, sondern auch unmittelbar durch persönliche Berührung wurde das italienische Violinspiel für Wien maßgebend. Dittersdorf berichtet, daß Trani bei Ferraris Anwesenheit in Wien dessen Busenfreund wurde, und bemerkt dazu: »Überall, wo Ferrari sich hören ließ, mußte er (Trani) accompagniren. Dies wirkte so auf ihn, daß er sich Ferrari's Methode, Fingersatz, Strich und Vortrag ganz zu eigen machte. Zur Dankbarkeit für das vielfältige Accompagniren erlaubte Ferrari ihm, seine schönsten Koncerte und Sonaten abschreiben zu dürfen. Ungeachtet Trani schon einige Jahre nicht mehr Solo spielte, hatte er doch die Gabe, seinen Schülern das beizubringen, was er selbst nicht mehr auszuüben vermochte. So kam es denn, daß ich die Ferrarischen Stücke ganz nach dem Geschmacke ihres Schöpfers spielen lernte, weshalb mich manche Wiener im Scherz Ferrari's kleinen Affen nannten.«
Dittersdorf war, wie noch erwähnt sei, schon mit dem zwölften Lebensjahre bei der Privatkapelle des k. k. Feldmarschalls Joseph von Hildburghausen als Violinist tätig. Er mußte sich »bereit halten, bei jeder Akademie, die der Prinz den ganzen Winter hindurch alle Freitage dem hohen Adel zu geben gewohnt war, mit einem Solo aufzuwarten«.
Weiterhin wurde Dittersdorf Kapellmeister des Bischofs von Großwardein, 1769 dasselbe bei dem Fürstbischof von Breslau, Graf Schaffgotsch. 1773 wurde er geadelt. Nach dem Tode des Fürstbischofs (1795) verlebte er seine letzten Lebensjahre auf dem Ignaz v. Stillfried gehörenden Schlosse Rothlhotta.
Gewiß war Dittersdorf ein für seine Zeit sehr tüchtiger Violinspieler. Auch in reiferen Jahren ließ er sich gelegentlich noch hören; so in Bologna. Er war dort in Gesellschaft Glucks und hörte in der Kirche St. Paolo von dem Geiger Spagnoletto zwischen den Psalmen der Vesper ein Tartinisches Konzert spielen. »Die ganze Kirche«, so berichtet er, »war voll von Kennern und Musikliebhabern, und man sah aus den Mienen aller Zuhörer, daß der Violinist allgemeinen Beyfall fand. Gluck sagte zu mir: Nun können Sie auf den Beyfall Ihrer Zuhörer morgen sichere Rechnung machen, da sowohl Ihre Compositionen als Ihr Vortrag viel moderner ist.« Gluck hatte wahr gesprochen; denn als Dittersdorf am nächsten Tage sich beim Hochamt hören ließ, fand er alle Anerkennung.
Obgleich Dittersdorfs kompositorische Tätigkeit hauptsächlich der komischen Oper, wie bekannt, gewidmet war, hat er auch eine Reihe Violinkompositionen hinterlassen (Konzerte, Divertimenti und sechs Quartette). Von den letzteren wird auch jetzt hin und wieder eins gespielt, sie verdienten durch ihre anmutig naive Erfindung und ihren harmlosen Humor, nie gänzlich vergessen zu werden.
War auch das Violinspiel, wie aus den vorstehenden Mitteilungen ersichtlich ist, in Wien um die Mitte des 18. Jahrhunderts sehr verbreitet, so zog doch hiervon, den Bedürfnissen gemäß, hauptsächlich die Kammermusik den Vorteil, während das eigentliche Solospiel dort im Vergleich zu andern deutschen Städten sich erst verhältnismäßig spät zu wirklicher Bedeutsamkeit und Geltung erhob. Der Schwerpunkt des Wiener Musiklebens lag eben infolge der von Joseph Haydn eingeschlagenen Richtung, die alle Herzen und Hände in Bewegung versetzte, zu entschieden in dem Bestreben nach gemeinsamer Kunstübung, um eine exklusive Pflege der Geige sogleich zu begünstigen. Deshalb tritt die letztere daselbst als Soloinstrument nicht viel vor dem Schlusse des 18. Jahrhunderts in das zeitgemäße Stadium der Spezialkunst.
Als eine der ersten bemerkenswerten Erscheinungen in dieser Beziehung ist, wie schon bemerkt wurde, Anton Wranitzky zu betrachten. Geboren 1761 im mährischen Marktflecken Neureisch, gest. 1819 in Wien, wurde er ursprünglich für das Studium der Rechte bestimmt, welches er zu Brünn betrieb. Doch war er seit seinem Kindesalter mit Musik beschäftigt, und namentlich widmete er sich eifrig dem Violinspiel Sein Lehrer war sein älterer Bruder Paul (geb. 30. Dez. 1766 in Neureisch, gest. 28. Sept. 1808 in Wien, Schüler von J. Kraus, Violinist der Esterhazyschen Kapelle unter Haydn, von 1785 an Hofopernkapellmeister in Wien, ein tüchtiger Violinist und fruchtbarer Komponist (Riemann, Musiklexikon).. Dieses vervollkommnete er, als er von Brünn nach Wien gegangen, bis zu ungewöhnlichem Grade, und bald sammelte sich um ihn eine Schar Lernbegieriger, denen er bei seinem Kapellmeisterdienst beim Fürsten Lobkowitz ein hochgeschätzter Mentor wurde. Seine Maximen hat er in einem kurzgefaßten »Violin-Fondament« von nicht mehr als 18 Seiten niedergelegt, welches sich als ein schwacher Nachhall der Mozartschen Schule erweist. Bemerkenswert ist darin der ausdrückliche Hinweis auf die Anlehnung an die Hauptmeister der italienischen Schule. Nachdem er die »Violinexempel von Fux« zur Übung empfohlen hat, sagt er: »Mitunter können auch andere Galanterie-Beispiele, um den Schüler bey dem Geschmack zu erhalten, angewendet werden. Da aber die gebundene Art die vorzüglichste ist, so sollen die Schüller dazu am meisten verhalten werden. Hierin wird ihnen der unsterbliche Corelli und Tartini den wesentlichsten Dienst einstweilen verschaffen.«
Wranitzky hat einiges für Violine komponiert, darunter die ehedem sehr beliebten Variationen über das Thema: »Ich bin liederlich« usw., die mit allerhand Virtuosenstückchen ausgeputzt sind.
Unter seinen zahlreichen Schülern gelangten zu größerer Geltung Türke und Schuppanzigh. Namentlich war es der zweitgenannte, schon aus Beethovens Leben bekannte Künstler, welcher sich bedeutendes Ansehen als Violinist in und außerhalb Wiens errang. Er tat sich indes vorzugsweise als Konzertmeister und Quartettspieler hervor. In letzterer Beziehung galten seine Leistungen lange als Muster für Auffassung und entsprechende Darstellung der betreffenden Kunstgattung. Schuppanzigh erwarb sich das Verdienst, die Quartettmusik durch regelmäßige Aufführungen zuerst in die Öffentlichkeit eingeführt zu haben, womit er in tonangebender Weise allen gleichartigen Unternehmungen anderer Städte voranging. Der Beginn dieser Quartettakademien fällt in das Winterhalbjahr 1804 –1805. Außer Schuppanzigh, als Führer derselben, waren dabei zunächst beteiligt: dessen Schüler Mayseder (Violine II), sodann Schreiber, fürstl. Lobkowitzscher Kammermusikus (Viola) und Anton Krafft (Violoncello). Dieser Verband löste sich auf, nachdem Schuppanzigh in die Dienste des Grafen und späteren Fürsten Rasumowsky getreten war E. Hanslick: Geschichte des Konzertwesens in Wien, S. 203.. Schindler berichtet darüber in seiner Beethoven-Biographie: »Das schon in jener Zeit ausgezeichnete Quartett: Schuppanzigh – I. Violin, Sina – II. Violin, Weiß – Bratsche, Kraft (Vater) abwechselnd mit Linke – Violoncello, – das späterhin unter dem allgemeinen Namen das Rasumowsky'sche Quartett Fürst Rasumowsky war zu jener Zeit k. russischer Gesandter am Wiener Hofe und ein großer Kunstfreund. Ihm widmete Beethoven die drei Streichquartette Op. 59. die ausgebreitetste und wohlverdiente Celebrität erlangte – dieses Quartett verherrlichte die musikalischen Zirkel des Fürsten Lichnowsky, und diesen vier echten Künstlerseelen hauchte Beethoven nach und nach seinen erhabenen Geist ein.« (l. c. Seite 39.)
»Dieser Quartettverein, für dessen musikalisch reine Sitten Beethoven nie aufhörte Sorgfalt zu tragen, galt mit Recht für die einzig wahre Schule, die Quartettmusik Beethovens, diese neue Welt voll erhabener Bilder und Offenbarungen, kennen zu lernen.«
Aber nicht nur die Beethovenschen Quartette reproduzierten diese Künstler im Geiste ihres Autors, sie hatten auch durch den persönlichen Verkehr mit Haydn für dessen Werke volles Verständnis gewonnen, und in betreff der Mozartschen Quartette waren ihnen Hofrat Mosel und Abbé Stadler als anerkannte Autoritäten fördernd zur Hand gewesen.
Ignaz Schuppanzigh war der Sohn eines Professors an der Realschule in Wien und bildete sich zunächst als Liebhaber im Violaspiel aus. Gegen 1796 ging er indessen zur Violine und zugleich ganz zur Musik über und brachte es bald soweit, daß er 1797 schon eigene Musikakademien im großen Saale des Wiener Augartens veranstalten konnte, die während der schönen Jahreszeit, morgens von 7-9 stattfanden und jahrelang zu den beliebtesten und gesuchtesten Kunstgenüssen der Kaiserstadt gehörten. Lange Zeit war er auch bei der Hausmusik des Fürsten Rasumowsky als Führer derselben tätig. 1824 erhielt er eine feste Anstellung in der kaiserl. Kapelle, und 1828 übernahm er das Dirigentenamt an der deutschen Oper zu Wien. Doch genoß er die Früchte desselben nicht lange; denn schon am 2. März 1830 starb er in Wien. Geboren wurde er dort 1776.
Reichardt sagt von ihm (Vertraute Briefe aus Wien, Bd. 1, S. 333), daß sein »ausgezeichnetes Talent sich nirgend bestimmter und vollkommener ausspricht, als im Vortrag der Beethovenschen Sachen«. Sonsthin charakterisiert er sein Spiel (ebendas. Bd. 1, S. 206 f.) folgendermaßen: »Herr Schuppanzigh hat eine eigene pikante Manier, die sehr wohl zu den humoristischen Quartetts von Haydn, Mozart und Beethoven paßt; oder wohl vielmehr aus dem angemessenen launigen Vortrag dieser Meisterwerke hervorgegangen ist. Er trägt die größten Schwierigkeiten deutlich vor, wiewohl nicht immer mit vollkommener Reinheit, worüber sich die hiesigen Virtuosen überhaupt oft wegzusetzen scheinen Vgl. hierzu Allgem. musikal. Ztg., Jahrg. III, 24, und IV, 534.; er accentuirt auch sehr richtig und bedeutend. Auch sein Cantabile ist oft recht singend und rührend. Er führt seine wohlgewählten, in den Sinn des Componisten recht gut eingehenden Nebenmänner auch gut an, nur störte er mich oft durch die hier allgemein eingeführte verwünschte Art, mit dem Fuße Takt zu schlagen, selbst wo es gar nicht Noth thut, oft nur aus leidiger Gewohnheit, oft auch nur, um das Forte zu verstärken. Überhaupt hört man hier selten ein Forte oder gar Fortissime, ohne daß der Anführer ungestüm mit dem Fuße drein schlägt. Dies stört mir aber allen freien, reinen Genuß, und jeder solcher Schlag unterbricht mir die übereinstimmende, vollendete Ausführung, die er erzeugen helfen soll, und die ich von jeder öffentlichen Producirung erwarte.«
E. Hanslick berichtet a. a. O. über diesen Künstler: »Schuppanzighs Vortrag wird uns von sachkundigen Zeitgenossen als energisch und geistvoll geschildert, nicht frei jedoch von einer gewissen absichtlichen Zerrissenheit, welche gern durch Trennen zusammengehöriger Phrasen, Hervorheben unwichtiger Noten, selbst durch willkürliche Behandlung des Taktes bedeutend und originell erscheinen wollte und so vielleicht die Quelle einer späteren Vortragsweise wurde, die man kurz die ›affektive‹ nennen kann«, und fügt dann hinzu: »Diesen scharfen Beigeschmack dürfte Sch.s Vortrag erst in späteren Jahren bekommen haben.«
Unter den Schülern Schuppanzighs sind vor allem Joseph Mayseder und Joseph Strauß zu nennen, die man in dem Abschnitte über das deutsche Violinspiel des 19. Jahrhunderts näher kennen lernen wird.
Wenn Leopold Mozart in seiner Violinschule von einem Orchester spricht, das aus lauter Solospielern besteht, so ist dies nicht eine aus der Luft gegriffene Behauptung des vortrefflichen Mannes; denn er hatte nahe genug ein Beispiel davon vor sich. Offenbar bezieht sich die fragliche Äußerung auf die Stuttgarter Kapelle, über die Schubart bemerkt: »Das Orchester am Württembergischen Hofe bestand aus den ersten Virtuosen der Welt – und eben das war sein Fehler. Jeder bildete einen eigenen Kreis, und die Anschmiegung an ein System war ihm unerträglich. Daher gab es oft im lauten Vortrage Verzierungen, die nicht ins Ganze gehörten. Ein Orchester, mit Virtuosen besetzt, ist eine Welt von Königen, die keine Herrschaft haben.« Und ferner: »So stark und geübt das Orchester war, so schien es doch durch seine vielen Virtuosen zu leiden. Ein Virtuos ist sehr schwer in die Ufer des Ripienisten zu zwingen, er will immer austretten, und selbst wogen.«
Inzwischen scheint es doch, daß Jomelli, den wir schon bei früherer Gelegenheit Vgl. S. 153. als einen Mann von ebenso großer Geistesgegenwart wie Energie kennen gelernt, während seiner Amtsführung als württembergischer Hofkapellmeister (1753-1769) mit diesem Virtuosenorchester sehr bedeutendes geleistet hat. Man müßte sonst an Schubarts Mitteilungen vollständig irre werden, wenn er z. B. sagt: »Durch ihn (Jomelli) ist ehemals die Tonkunst am württembergischen Hofe zu einer so bedeutenden Höhe emporgestiegen. Niemand verstand die Kunst besser, ein Orchester von hundert und mehr Personen so zu lenken, als wäre Gedanke, Odem, Strich, Schlag, Empfindung – eins.« Und ferner: »Jomelli stand noch an der Spizze des gebildetsten Orchesters der Welt. Der Geist der Musik war groß und himmelerhebend, und wurde so ausgedrückt, als wäre jeder Tonkünstler eine Nerve von Jomelli.«
Bestätigt werden diese etwas überschwänglichen Urteile im wesentlichen durch eine Mitteilung in Gerbers Lexikon. Es heißt dort von Jomelli: »Geschätzt wegen seiner großen Verdienste, geliebt als ein Menschenfreund, und gefürchtet, weil er überall uneingeschränkte Vollmacht hatte, herrschte er als ein Gott über seine Untergebenen. Wie er sein ganzes Orchester zu einerley Empfindungen zu beleben, jedes Glied desselben an seine Ideen zu fesseln, überall Ordnung und eine beynahe unglaubliche Pünktlichkeit im Licht und Schatten zu erhalten, und mit dem Adlerblick seines feurigen Auges alles nach seinem Willen zu regiren im Stande war, kann man kaum glauben, wenn man nicht Augenzeuge davon war.«
In Stuttgart huldigte man im Gegensatz zu Mannheim und München ausschließlich der italienischen Kunst. Außer einer Menge italienischer Sänger und Sängerinnen war insbesondere auch das Violinspiel durch drei Italiener, nämlich durch Lolli, Ferrari und Nardini, vertreten. Der künstlerische Glanz, mit welchem sich der Württemberger Hof zu Anfang der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts umgab, war aber überhaupt auch unstreitig mehr Modesache als Bedürfnis. Begreiflich ist es daher, wenn aus jenen Verhältnissen kein dauernder Gewinn für die deutsche Kunst hervorging, welche dort, wenigstens im achtzehnten Jahrhundert, keine gedeihliche Pflege fand. Man zehrte endlich von den Traditionen der Vergangenheit, ohne für die Zukunft zu sorgen. Charakteristisch bemerkte Goethe hierüber bezüglich seines Stuttgarter Besuches im Jahre 1797 Vgl. Goethes »Belagerung von Mainz«.: »Es ist sehr interessant zu beobachten, auf welchem Punkt die Künste gegenwärtig in Stuttgart stehen. Herzog Karl, dem man bei seinen Unternehmungen eine gewisse Großheit nicht absprechen kann, wirkte doch nur zu Befriedigung seiner augenblicklichen Leidenschaften und zur Realisierung abwechselnder Phantasien. Indem er aber auf Schein, Repräsentation, Effekt arbeitete, so bedurfte er besonders der Künstler, und indem er nur den niedern Zweck im Auge hatte, mußte er doch die höhern befördern. In früherer Zeit begünstigte er das lyrische Schauspiel und die großen Feste; er suchte sich die Meister zu verschaffen, um diese Erscheinungen in größter Vollkommenheit darzustellen. Die Epoche ging vorbei, allein es blieb eine Anzahl von Liebhabern zurück und zur Vollständigkeit seiner Akademie gehörte auch der Unterricht in Musik, Gesang, Schauspiel und Tanzkunst. Das alles erhält sich noch, aber nicht als ein lebendiges, fortschreitendes, sondern als ein stillstehendes, abnehmendes Institut. Aus den brillanten Zeiten des Herzogs Karl, wo Jomelli die Oper dirigirte, ist der Eindruck und die Liebe zur italienischen Musik bei ältern Personen hier noch lebhaft verblieben. Man sieht, wie sehr sich etwas im Publikum erhält, das einmal solid gepflanzt ist. Leider dienen die Zeitumstände den Obern zu einer Art Rechtfertigung, daß man die Künste, die mit wenigem hier zu erhalten und zu beleben wären, nach und nach ganz sinken und verklingen läßt.« Sehr tadelnd spricht sich Goethe auch über den damaligen Zustand der Stuttgarter Bühne aus.
Ganz entsprechend diesen Verhältnissen wurden vom Württemberger Hofe zu jener Zeit Kunst und Künstler behandelt. Ludwig Spohr, welcher 1807 mit seiner Frau dort spielte, gibt uns ein erbauliches Beispiel davon. Er hatte erfahren, daß die »hohen Herrschaften« daran gewöhnt seien, während der musikalischen Vorträge Karten zu spielen. Auf seine Erklärung, unter solchen Umständen sich bei Hofe nicht hören lassen zu können, erhielt er die Zusicherung, daß das Kartenspiel während seiner Produktionen eingestellt werden solle. »Nachdem«, so berichtet Spohr, »der Hof an den Spieltischen Platz genommen hatte, begann das Konzert mit einer Ouverture, auf welche eine Arie folgte. Während dem liefen die Bedienten geräuschvoll hin und her, um Erfrischungen anzubieten, und die Kartenspieler riefen ihr ›ich spiele, ich passe‹, so laut, daß man von der Musik und dem Gesang nichts Zusammenhängendes hören konnte. Doch nun kam der Hofmarschall zu mir, um anzukündigen, daß ich mich bereit halten solle. Zugleich benachrichtigte er den König, daß die Vorträge der Fremden beginnen würden. Alsbald erhob sich dieser, und mit ihm alle Übrigen. Die Bedienten setzten vor dem Orchester zwei Stuhlreihen, auf welche sich der Hof niederließ. Unserem Spiele wurde in großer Stille und mit Theilnahme zugehört; doch wagte Niemand ein Zeichen des Beifalls laut werden zu lassen, da der König damit nicht voran ging. Seine Theilnahme an den Vorträgen zeigte sich nur am Schlusse derselben durch ein gnädiges Kopfnicken, und kaum waren sie vorüber, so eilte Alles wieder zu den Spieltischen, und der frühere Lärm begann von Neuem ... Sowie der König sein Spiel beendigt hatte und den Stuhl rückte, wurde das Konzert mitten in einer Arie der Mad. Graff abgebrochen, so daß ihr die letzten Töne einer Cadenz förmlich im Halse stecken blieben. Die Musiker, an solchen Vandalismus schon gewöhnt, packten ruhig ihre Instrumente in den Kasten; ich aber war im Innersten empört über eine solche Entwürdigung der Kunst.«
Bei einer so untergeordneten Stellung konnte allerdings die Kunst am Württemberger Hofe nicht gedeihen, geschweige denn irgend einen maßgebenden Einfluß auf die Entwicklung der nationalen Musik ausüben. In der Tat war Stuttgart unter den namhafteren Residenzen Deutschlands auch die einzige, welche in letzterer Beziehung sich unvorteilhaft auszeichnete. Selbst während der Jomellischen Glanzperiode blieb Stuttgart im deutschen Vaterlande isoliert, da man, wie Gerber ausdrücklich erklärt, sich »weder zu Wien, noch zu Berlin, Dresden und Mannheim um das bekümmerte, was Jomelli in Stuttgart trieb«. Vielmehr nahm der welsche Meister deutsche Einflüsse in sich auf, wie sein eigenes Geständnis beweist, daß »er sehr viel von Hasse und Graun gelernt« Schubarts ges. Schriften Bd. 5, S. 126.. Ebensowenig vermochten die namhaften italienischen, doch nur verhältnismäßig kurze Zeit am Stuttgarter Hofe beschäftigten Violinisten eine durchgreifende Wirkung auf die Entwicklung des deutschen Violinspiels auszuüben, da dasselbe zu jener Zeit bereits bestimmte Richtungen eingeschlagen hatte.
Die rege Förderung, welche dem Violinspiel während des 18. Jahrhunderts an den meisten der betrachteten Höfe zuteil wurde, fand ihre Ergänzung durch dasjenige, was in dieser Beziehung gleichzeitig an den kleineren Höfen, sowie sonst in kunstsinnigen Städten geschah. Eine nicht geringe Anzahl trefflicher Violinisten erhielt dadurch Gelegenheit, hier und da für die Kunst zu wirken, und dieselbe auch außerhalb der großen Zentralpunkte des nationalen Geisteslebens heimisch zu machen. Nachstehend folgen Mitteilungen über die bemerkenswertesten dieser Künstler, soweit das vorhandene Material dafür ergiebig ist.
Ein deutscher Violinist Rupert Ignaz Mayr, der im Jahre 1646 geboren wurde, war um 1678 als Hofmusikus am fürstbischöflichen Hofe zu Eichstaett und um 1692 als erster Violinist an der Münchener Hofkapelle tätig, an welch letzterem Orte er bis 1706 nachzuweisen ist. Sodann lebte er als Musikpräfekt im Dienste des Bischofs von Freising. In Freising starb er am 7. Februar 1712. Werke seiner Hand sind bekannt. (Vgl. Eitners Quellenlexikon.)
In seiner Arbeit »Zur Geschichte der Musik am Hofe von Darmstadt« (Monatshefte f. Mus.-Gesch. 1900) hat Nagel neben einer Reihe belangloser Fiedler und Geiger geringer Qualität (Neupert, Arnold, Baumann, Möller, Schmied, Cotta Cotta wurde in Paris auf Kosten des Landgrafen ausgebildet (um 1680), wie es heißt, von einem Mitglied der » petits violons«., Braun, der vom Backmeister und Futterschreiber zum Kapellmitglied aufstieg, Deuter, der 1758 erster Violinist und stellvertretender Kapellmeister war, Metsch u. a.m.) auch einen tüchtigen Geiger wieder ans Licht gezogen: Wilh. Gottfried Enderle. Über ihn berichtet Gerber (den Fétis wiederholt): »Er wurde geboren zu Bayreuth am 21. Mai 1722, bei verschiedenen Meistern in Nürnberg, dann in Berlin gebildet, erhielt 1748 eine Stelle in der bischöfl. Kapelle zu Würzburg, von wo er 1753 als Konzertmeister nach Darmstadt berufen wurde.« Nach Nagel starb er dort am 18. Februar 1790. Noch ist bekannt, daß er im Mai 1749 in Frankfurt a. M. zwei Konzerte gab.
Gerber versichert, Enderle sei als Künstler wie als Mensch gleich geschätzt worden, und nennt ihn »einen der größten Violinisten seiner Zeit und gründlichen Tonsetzer, nicht allein für die Violin, sondern auch für das Clavier«. Seine Werke, von denen nichts gedruckt ist, befinden sich zumeist in Darmstadt. Es finden sich darunter Violinkonzerte, zwei Symphonien – deren bei Nagel mitgeteilte Themen recht trocken ausschauen – zwei Kantaten und eine zum Geburtstag Ludwigs VIII. im Jahre 1766 geschriebene Gratulationsmusik.
Aus derselben Kapelle verdient allenfalls noch Erwähnung der Violinist (Sekretär und Kammermusikus) Schetky, der 1749 mit Rücksicht auf seine zahlreiche Familie, die sich täglich (!) vermehre, um Gehaltserhöhung einkam, die ihm 1751 wegen seiner »Uns zu gnädigem Gefallen gereichenden Virtû auf der Violin« auch zuteil wurde. Von seiner »zahlreichen Familie« machten sich ein Sohn (Christoph) als seinerzeit bedeutender Cellist und eine Tochter (Ludomilla oder Charlotte Luise Dorothea, wenn es nicht zwei verschiedene sind) als Sängerin einen guten Namen.
Heinrich Christoph Degen, geb. zu Anfang des 18. Jahrhunderts bei Glogau, war 1757 am Schwarzburg-Rudolstädter Hofe als Soloviolinist und Cembalist tätig; von seinen Violinkompositionen ist nichts gedruckt.
Ebenfalls am Schwarzburg-Rudolstädter Hofe wirkte und starb Johann Groß, der um 1688 bei Nürnberg geboren wurde (Fétis). Nach Reisen in Ungarn, wo er Militärkapellmeister unter Losselholz war, und einem Aufenthalt in der Garnison Wiens trat er in die Kapelle des Fürstbischofs von Bamberg. Um 1723 endlich wird er als Konzertmeister des Fürsten von Schwarzburg-Rudolstadt genannt, in dessen Diensten er 1735 starb.
Der erzbischöflich Salzburgische Hofkomponist Ferdinand Seidel wurde zu Anfang des 18. Jahrhunderts, und zwar in dem schlesischen Städtchen Falkenberg geboren. Er bildete sich im Violinspiel in Wien unter Rosettis Anleitung aus. Gerber berichtet von ihm, daß er ein ausgezeichneter Geiger gewesen sei, und daß er in seinen Violinkompositionen, welche Manuskript geblieben sind, »eben so viel Fremdes als Schweres angebracht habe«. In seiner Salzburger Stellung wechselte er als Dirigent mit Eberlin, Cristelli und Leopold Mozart ab.
Joseph Blume, geb. 1708 zu München, wurde wahrscheinlich durch seinen Vater, der als Violinist in der Münchener Hofkapelle angestellt war, zum Geiger erzogen. Zunächst fand er in seiner Vaterstadt als Hofgeiger Anstellung, dann trat er in die Dienste des Fürsten Lubomirski, und um 1733 in die Kapelle des Kronprinzen von Preußen. Er gehörte derselben auch nach der Thronbesteigung Friedrichs d. Gr. an. Sein Tod erfolgte 1782. Seine Violin-Capricen erfreuten sich ehedem großer Beliebtheit.
Georg Simon Löhlein, geboren 1727 in dem Sachsen-Koburg-Gothaischen Orte Neustadt auf der Haide, machte sich durch eine in mehreren Auflagen erschienene Violinschule (1774) bekannt, welche ein mit pädagogischem Verständnis für die Anfangsgründe abgefaßtes Lehrbuch ist, inhaltlich aber nicht mit Mozarts Violinschule rivalisieren kann. Wegen seiner ansehnlichen Statur zur preußischen Garde gepreßt, wurde er bei Collin verwundet. Wiederhergestellt wandte er sich der Musik zu und wurde Musikdirektor in Jena. 1763 ging er nach Leipzig, begab sich aber im Jahre 1779 als Kapellmeister nach Danzig, wo er 1782 starb. Seine Kompositionen sind ohne Belang.
Von größerer Bedeutung war Wenzeslaus Pichl, geb. 25. Sept. 1741 zu Bechin in Böhmen. Auch für ihn war der Ausgangspunkt der musikalischen Bildung, wie bei so vielen Meistern des achtzehnten Jahrhunderts, die Singkunst. Schon als zwölfjähriger Knabe gehörte er dem Gesangschor im Jesuitenseminar zu Brzeznicz an. Später wandte er sich nach Prag, um dort den akademischen Studien obzuliegen. Die Tonkunst wurde indessen für ihn in dieser musikalischen Stadt Hauptbeschäftigung. Er spielte fleißig Violine, auf der er schon in seiner Jugend Übung gehabt hatte. Wichtig wurde hier für ihn die Dazwischenkunft Dittersdorfs S. dessen Selbstbiographie., der ihm 1760 nicht allein Anleitung im Violinspiel gab, sondern ihn auch für die Kapelle des Bischofs von Großwardein gewann. In dieser blieb Pichl einige Jahre und beschäftigte sich mit mannigfaltigen schöpferischen Versuchen, unter denen auch einige über lateinische Texte abgefaßte Opern genannt werden. Endlich verließ er den einsamen, damals in geistiger Hinsicht noch mehr als heute isolierten Ort seines Aufenthaltes und ging, einen 1769 aus Petersburg an ihn ergangenen Ruf ablehnend, zurück nach Prag, um dort als Kapellmeister in die Dienste des Grafen Hartig zu treten. Hier blieb er nicht lange; denn schon 1771 folgte er dem Rufe als erster Violinist an das Nationaltheater zu Wien. Doch auch diese Stellung vermochte ihn nicht dauernd zu fesseln, und er begab sich nach Italien. Fétis berichtet, daß er 1775 durch Vermittelung Maria Theresias Musikdirektor bei dem in Mailand residierenden Erzherzog Ferdinand wurde. Gerber meldet dagegen, daß er bei diesem Prinzen » Compositore di musica« gewesen sei, vermerkt aber für die Zeit seiner Anstellung das Jahr 1791. Wie dem auch sei, gewiß ist, daß Pichl lange Zeit (Fétis behauptet 21 Jahre) in Italien war, dort mit den berühmtesten Künstlern nahen Umgang pflog und sein Violinspiel, namentlich unter Nardinis Leitung, vervollkommnete, dem er auch eines seiner Werke: » Cento (100) Variazioni per il Violino sulla Scala del B fermo, Napoli 1787« widmete. Es ist dies offenbar eine Nachbildung der von Tartini geschriebenen unter dem Titel » L'arte del arco« veröffentlichten 50 Variationen über eine Corellische Gavotte. Die französische Okkupation Mailands (1796) machte dem Aufenthalte Pichls in Italien ein Ende. Er kehrte im Gefolge seines Gönners nach Wien zurück und starb dort als dessen Kapellmeister, nach Fétis im Juni 1804, nach Gerber dagegen im Januar 1805 (am 23.) während eines Konzertvortrages beim Fürsten Lobkowitz.
Pichl war ein außerordentlich fleißiger Komponist, sowohl für die Kammermusik als auch speziell für die Violine. Die letztere behandelte er mit großem Geschick und bedeutender Einsicht, wie seine Capricen Man findet sie in der bei Holle in Wolfenbüttel von C. Witting herausgegebenen »Kunst des Violinspiels«. zeigen, die indessen bei dem Reichtum an vorzüglichen Violinkompositionen gerade dieser Gattung heute keinen besonderen Anteil mehr erwecken können.
Der aus der Mannheimer Tonschule hervorgegangene ausgezeichnete Geiger Christian Danner wurde 1745 in Mannheim geboren, war der Schüler seines Vaters, welcher der kurpfälzischen Kapelle angehörte, und wurde 1761 gleichfalls Mitglied dieses Künstlerverbandes. Im Jahre 1778 wurde die Kapelle nach München verlegt, und hier wirkte Danner noch bis 1783 mit. Dann folgte er dem Rufe als Konzertmeister nach Zweibrücken und 1792 nach Karlsruhe. Dort war er in gleicher Eigenschaft bis zu seinem Tode (1816) tätig. Ein Teil seiner Violinkompositionen erschien im Druck Ein Danner trat 1785 im Concert spirituel in Paris auf. Ob es Christian war, bleibe dahingestellt. »Die Danner des 18. Jahrhunderts sind schwierig voneinander zu scheiden, da sie eine gleiche Stellung einnahmen und die Nachrichten über sie sich mannigfach kreuzen« (Eitner, Qu.-L.)..
Danner hat für die Geschichte des Violinspiels insofern besondere Bedeutung, als er der Lehrer Friedrich Ecks war, eines der besten Geiger jener Zeit.
Franz Anton Ernst, geb. am 3. Dezember 1745 zu Georgenthal in Böhmen, war in Prag zeitweilig der Schüler Lollis, nachdem er sein Talent bereits weit ausgebildet und beim Grafen Salm als Sekretär in Diensten gestanden hatte. Weiterhin lebte er in Straßburg, wo er noch den Unterricht des nachstehend besprochenen Geigers Stade (Stad) genoß. 1778 wurde er als Soloviolinist an den Gothaischen Hof berufen. Hier starb er, als Künstler und zugleich als Instrumentenbauer geschätzt, am 13. Januar 1805.
Über den Violinisten Franz Stade, dessen Erscheinen in die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts zu versetzen ist, da er 1760 bereits als erster Violinist in der landgräflichen Casselschen Kapelle tätig war, sind die Nachrichten sehr lückenhaft. In Gerbers neuem Lexikon wird über ihn berichtet, daß er 1761 Kassel verließ, nachdem dort der Violinspieler Esser als Konzertmeister engagiert worden, jedoch 1763 wieder dahin zurückkehrte, um nach Jahresfrist abermals davon zu gehen. Als Motiv für diese Unbeständigkeit wird bemerkt, daß Stade ein unruhiger, ungebildeter und eigensinniger Mensch gewesen sei. Er soll indes als Adagiospieler exzelliert und in dieser Eigenschaft bedeutenden Ruf gehabt haben. Sein Ende wird als trübselig geschildert. Angeblich hätte er, »nachdem er durch Ausschweifungen alles Talent verloren, aus Noth in den Dorfschenken aufgespielt«. Vielleicht ist Franz Stade derselbe Künstler, welcher in Gerbers altem Lexikon als Stad oder Stady angeführt ist. Gerber glaubt, daß beide Namen ein und dieselbe Person bezeichnen, und sagt darüber: »Stady fand man schon 1766 unter den Nahmen berühmter Violinisten, und vom Stad sind um 1780 zu Paris VI Violinsolos und 1782 zu Wien XXXVII Variations pour le Violon et Basse gestochen worden. Auch befanden sich in der Leipziger Niederlage (Breitkopf's?) um diese Zeit VI Klaviertrios mit Viol. und Baß in M. S. von seiner Arbeit. Es kann wohl niemand anders seyn, als der große Violinist Stab, welcher sich ums Jahr 1773 zu Straßburg aufhielt und vermuthlich noch daselbst lebt.« Fétis bemerkt über Stad, daß er gegen 1765 in Paris und 1782 in Wien gewesen sei Eine Sonate von »Stad« (III) in Alards » Maîtres classiques du Violon«..
Der Komponist und Hofkonzertmeister Caspar Staab zu Fulda diente in der dortigen Kapelle seit 1753(?). Sein Fürst (Heinrich) gewahrte ihm die Mittel, um in Mannheim und Stuttgart die höhere Ausbildung als Violinist unter Cannabichs, Fränzels und Lollis Leitung zu vollenden. Er war 1753(?) zu Damm bei Aschaffenburg geboren und starb am 19. August 1798 am Schlagfluß zu Fulda.
In Braunschweig, wo die Musik im 18. Jahrhundert von seiten des Hofes ungewöhnliche Beachtung fand, wie Schubart Dessen Angabe, daß Nardini und Ferrari der dortigen Kapelle angehört hätten, beruht sicher auf einem Irrtum. Wenigstens findet sich nirgend eine Beweisspur dafür auf. berichtet, wirkte gegen 1760 der treffliche Violinist Carl August Pesch als herzoglicher Konzertmeister. Es wird ihm (bei Gerber) außerordentliche Hand- und Bogenfertigkeit nachgerühmt; auch soll er ein sehr tüchtiger Orchesterführer gewesen sein. Reichardt sagt über ihn (Briefe eines aufmerksamen Reisenden II, 50): »Herr Pesch ist ein sehr geschickter Violinist. Er besitzt viel Fertigkeit und Sicherheit in der linken Hand, und viel Leichtigkeit und Geschmeidigkeit in der rechten. Kurze schnelle Bogenstriche im Allegro sind daher seine Hauptstärke. Er ist auch Componist für sein Instrument, und man findet in seinen Arbeiten sehr angenehme Gedanken und viel gute Violinfiguren für Hand und Bogen.« Geboren wurde er gegen 1730; sein Tod fällt in den August des Jahres 1793.
Pesch war zugleich Lehrer des Erbprinzen, nachmaligen Herzogs Karl Wilhelm Ferdinand, der, wie wir weiterhin sehen werben, für Ludwig Spohrs künstlerische Entwicklung wichtig wurde. Gerber bemerkt, daß der Herzog es auf der Violine dem Virtuosen nahe gebracht habe, und Schubart sagt von ihm: »Der jetzt regierende Herzog von Braunschweig spielt die Violine vortrefflich, und unterhält jetzt eines der besten Orchester. Für das Theater ist er nicht so eingenommen, wie für die Kammermusik. Er pflegt gemeiniglich bei den Konzerten mitzuspielen. Sein Solo wird auch von Kennern bewundert: er spielt die schwersten Stücke eines Lolly mit Ausdruck und Fertigkeit.« Diese Urteile werden durch Leopold Mozart bestätigt, welcher über das Spiel des Herzogs von Braunschweig berichtet, derselbe »spiele so gut, daß ein Musicus von Profession dadurch sein Glück machen könne«.
Als Schüler Tartinis sind Anton Kammel und Lorenz Schmitt zu nennen. Der erstere, gegen Mitte des 18. Jahrhunderts in Böhmen geboren, wurde von seinem Gönner, dem Grafen Waldstein, zur Ausbildung seines Talentes nach Padua geschickt. Nach beendeter Lehrzeit ließ er sich für einige Zeit in Prag nieder, legte dort (wie Gerber mitteilt) viele Proben seiner Geschicklichkeit, namentlich aber im innigen und rührenden Vortrag des Adagio ab und begab sich dann, ohne von seinem Vorhaben etwas verlauten zu lassen, nach London. Hier wurde er Mitglied der königl. Kammermusik und verheiratete sich mit einer reichen Dame. Man weiß weder Geburts- noch Todesjahr dieses Künstlers, glaubt aber, daß das letztere noch vor 1788 falle. Seine Violinkompositionen, deren Verzeichnis sich bei Gerber findet, sind längst untergegangen.
Lorenz Schmitt, geb. 27. April 1731 zu Obertheres im Würzburger Gebiet, empfing seine erste musikalische Ausbildung im Kloster Theres. Er zeigte so treffliche Anlagen zum Violinspiel, daß der Fürst von Greifenklau zu Mainberg sich seiner väterlich annahm und ihn nach Würzburg zu dem Violinisten Enderle Vgl. S. 300 f. in die Lehre gab. Hier vollendete er im Juliusspitale zugleich seine anderweite Bildung. Im vierundzwanzigsten Lebensjahre nahm ihn der Fürst Adam Friedrich von Würzburg in seine Dienste und gewährte ihm überdies die Mittel zu einem vierjährigen Aufenthalte in Italien. Schmitt trat die Reise dahin 1757 an und wurde Tartinis Schüler. Von der Natur mit kräftigem Körperbau und glücklich gebildeter Hand versehen, überwand er mit Leichtigkeit alle Arten von Schwierigkeiten. Sein durch das stärkste Orchester dringender Ton war so mächtig, daß er, um ihn abzudämpfen, beim Üben die Geige mit einem Tuch zu bedecken pflegte. Nachdem Schmitt in seine Würzburger Stellung zurückgekehrt war, ließ er es keineswegs bei dem bewenden, was er bis dahin errungen hatte. Unablässig strebte er vorwärts, suchte sich durch eifriges Studium alle Richtungen seiner Kunst zu erschließen und anzueignen und gelangte so zu einer Meisterschaft, die ihn keine Rivalität scheuen ließ. Im Jahre 1774 wurde er zum Konzertmeister und in der Folge auch zum Kapellmeister am Würzburger Hofe ernannt. Wohl hätte diesem Künstler ein bedeutsamerer Wirkungskreis gebührt, als der, welchem er vorstand. Doch die Anhänglichkeit an den Fürsten, welchem er alles verdankte, ließ ihn nicht zu dem Entschlusse kommen, auf eine der ihm mehrfach gemachten ehrenvollen Anerbietungen einzugehen, so verlockend sie auch sein mochten. Selbst ein Antrag aus London, der ihm jene Position verhieß, welche an seiner Stelle W. Cramer übernahm, vermochte ihn nicht anderen Sinnes zu machen. Er starb im Juni 1796 zu Würzburg. Als seine Schüler werden genannt: Bäumel (Bambergischer Konzertmeister) und die Würzburgischen Hofviolinisten Reuschel und Demar. Der letztere hat sich durch seine 1808 in Paris erschienene Violinschule: » Nouvelle Méthode abrégée pour le Violon avec tous les principes indispensables à l'usage des Commençants« bekannt gemacht. Er war (nach Gerber) Virtuose auf der Violine, Viola d'Amour und besonders auf der Altviole und gehörte der großherzoglichen Hofkapelle zu Würzburg an. Geboren wurde er 1774 zu Gauaschach in Franken. Fétis ist der Meinung, daß die erwähnte Violinschule eine Arbeit von Demars Bruder sei, der die Vornamen Johann Sebastian führte.
Eine besondere Zelebrität des Violinspiels mit starkem virtuosem Beigeschmack scheint im achtzehnten Jahrhundert Michael, Ritter v. Esser, geb. in Zweibrücken (nach Gerbers a. Lex. in Aachen), gewesen zu sein. Schubart nennt ihn »einen berümten Violinisten von ganz eigenem Ausdruck« und sagt weiter über ihn: »Er spielt das Adagio und Allegro gleich stark, und besitzt verschiedene Kunstgriffe, wodurch er die Töne auf die einnehmendste Art modificirt. Lieblicher kann man nichts hören, als wenn er statt des Bogens mit einem Hölzchen die Saiten schlägt (!) und damit seiner Geige die sanftesten Harmonien (!!) entlockt. Er componirt sehr schön für sein Instrument und sein Satz hat ungemein viel Eigenheit. Mit den Eigenschaften eines Virtuosen verbindet er auch alle Capricen desselben: nie rührt er seine Geige an, wenn er nicht die Schäferstunde des Genius fühlt; denn er behauptet, ein Virtuos, der nicht begeistert ist, sey bloßer Mechaniker.« – Gerber berichtet über ihn: »anfangs stand er in der Hessen-Casselischen Kapelle. Verließ aber diese Dienste bald wieder und durchreisete die vornehmsten Länder in Europa. Die außerordentliche Fertigkeit und Eleganz seines Spieles erregte bey Kennern Bewunderung und bei Liebhabern Erstaunen. Zu Paris räumte man ihm den Vorzug ein, und zu London öffnete sich für ihn, seine Kunst zu belohnen, eine Goldgrube. 1777 befand er sich zu Bern und 1779 zu Basel.« Esser verstand sich auch auf das Viola d'Amour-Spiel. Von seinen Kompositionen ließ er nichts drucken.
Von dem in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in Wien wirkenden Ignaz Schweigl hat man einzig und allein Kunde durch seine 1785 od. 86 in erster, 1794 in zweiter Auflage erschienene Violinschule. Nach den Mitteilungen, welche Gerber über dieselbe macht, geht der Autor, mit Ausnahme einer Anleitung über das Flageolettspiel, nicht über Leopold Mozarts gleichartiges Lehrbuch hinaus.
Eines bedeutenden Rufes genoß seiner Zeit der Violinist Anton Janitsch, 1753 in der Schweiz geboren. Sein Vater schickte ihn als zwölfjährigen Knaben nach Turin zu Pugnani, bei dem er sich während eines zweijährigen Studiums zu einem vorzüglichen Künstler heranbildete. Einen Wirkungskreis fand er zunächst als Konzertmeister beim Kurfürsten von Trier; dann war er in gleicher Eigenschaft am Hofe des Fürsten von Wallerstein-Öttingen tätig. Später übernahm er die Orchesterdirektion am Hannoverschen Theater, die er bis 1794 versah. Seine Absicht, sich um diese Zeit nach England zu begeben, wurde durch die damaligen Kriegsereignisse vereitelt. Da er indessen einmal seine Stellung in Hannover aufgegeben hatte, sah er sich genötigt, um einen neuen Wirkungskreis zu finden, als Kapellmeister in die Dienste des Grafen Burg-Steinfurth zu gehen. In dieser Stellung blieb er bis zu seinem Tode, der am 12. März 1812 erfolgte. Von seinen Violinkompositionen hat er nichts veröffentlicht. Bei Schubart findet sich folgendes Urteil über ihn: »Ein sehr guter, gründlicher und angenehmer Geiger. Sein Solo ist stark, an schwierigen Sätzen reich, und sein Vortrag überhaupt hat volle Deutlichkeit: auch im Sturme der Phantasie wird er nicht aus den Ufern des Taktes getrieben. Sein Strich ist durchschneidend und seine Stellung einnehmend und schön. Es giebt wenig Geiger, welche im Solo und in der Begleitung so gleich stark wären, wie Janitsch.«.
Über Franz Lamottes Heimat schwanken die Angaben zwischen Wien und den Niederlanden. Geboren wurde er 1751. Als zwölfjähriger Knabe spielte er ein Konzert eigener Komposition vor dem Kaiser, der ihn auf seine Kosten zur weiteren Ausbildung reisen ließ. Eine Zeitlang war er Mitglied der Wiener Kapelle. Gegen Ende 1769 kam er nach Paris und traf dort mit Giornovicchi zusammen. Eifersüchtig auf jedes bedeutende Talent, versuchte dieser Lamotte um die Gunst des Publikums zu bringen, indem er ihm einen öffentlichen Wettkampf anbot, in der Hoffnung, ihn verdunkeln zu können. Lamotte erwiderte diese Herausforderung mit dem Vorschlage, ein beliebiges Konzert von Giornovicchi vom Blatte spielen zu wollen, wenn derselbe sich dagegen bereit erkläre, dasselbe in betreff eines seiner ihm vorzulegenden Solostücke zu tun. Es blieb Giornovicchi nichts anderes übrig, als hierauf einzugehen, und Lamotte schlug ihn glänzend aus dem Felde. Eine andere Probe seines à vista-Spieles legte dieser Violinist in Prag ab. Der Sekretär des Fürsten von Fürstenberg, namens Bobliczeck, legte ihm, um ihn aufs Glatteis zu führen, ein sehr schweres Konzert in Fis-dur vor. Lamotte stimmte während des Tuttis unbemerkt seine Geige um einen halben Ton höher und exekutierte das Solo zum Erstaunen der Anwesenden mit Leichtigkeit. Brenet erwähnt Lamotte unter den Solisten des Concert spirituel zwischen 1773 und 1777.
Von Paris begab sich Lamotte nach London. Hier fand er eine so glänzende Aufnahme, daß es ihm nicht schwer geworden wäre, sich eine angesehene und einträgliche Stellung zu machen. Sein Leichtsinn aber, der keine Grenzen kannte, führte ihn ins Gefängnis, aus dem er nach mehrjähriger Haft nur durch die Londoner Emeute des Grafen Georg Gordon befreit wurde. Es gelang ihm bei dieser Gelegenheit den Kontinent zu erreichen. Er wandte sich nach Holland, starb jedoch dort schon 1781. Die Haupteigenschaften seines von den Zeitgenossen bewunderten Spieles sollen in einer seltenen Gewandtheit der linken Hand, die ihm gestattete, die größten Schwierigkeiten auf einer Saite auszuführen, sowie in einem besonders geläufigen Staccato bestanden haben. Jedenfalls vertrat er die virtuose Richtung. In Paris erschienen 1770 drei Konzerte und Airs variés und in London sechs Sonaten für Violine und Baß von feiner Komposition.
Ernst Schick, der Sohn eines Tanzmeisters, geb. im Oktober 1756 zu Haag, war für den Beruf seines Vaters bestimmt, entschied sich aber trotzdem für die Musik und insbesondere für das Violinspiel. Georg Anton Kreusser in Amsterdam, der später am kurmainzischen Hofe als Konzertmeister wirkte, war sein erster Lehrer. Um 1770 hörte er in Amsterdam Esser und Lolli. Nach Cramers »Magazin der Musik« gehörte er unter die Zahl jener Geiger, welche die Manier des ebengenannten Italieners mit Vorliebe und Erfolg nachahmten. Später soll er sich jedoch, wie Gerber dazu bemerkt, diesem Einflusse entzogen haben.
Schick war seit 1774 in der kurmainzischen und seit 1793 in der Berliner Kapelle als Violinist angestellt. 1813 wurde er zum Konzertmeister ernannt. Am 10. Dezember 1815 (nach Mendel, Mus.-Lex., 10. Febr.) starb er in der preußischen Hauptstadt. Es existieren von ihm sechs Violinkonzerte, welche 1783 (1773 nach Mendel) nacheinander in Berlin gedruckt wurden.
Brenet erwähnt für 1778 das Auftreten eines Geigers Schick im Concert spirituel, wobei es sich sicher um Ernst Schick handelt. In Ledeburs »Tonkünstlerlexikon Berlins« findet sich die Angabe, daß Schick auf einer Konzertreise 1785 »überall durch glänzende Fertigkeit, schönen Ton und ausdrucksvollen Vortrag den größten Beifall« erregte, »besonders ward sein staccato bewundert«.
Als aus der italienischen Schule hervorgegangen ist Christian Ludwig Dieter (Dietter) zu bezeichnen. Denn obwohl er den ersten Unterricht von dem deutschen Musikmeister Seubert in Ludwigsburg empfing, wo Dieter am 13. Juni 1757 geboren wurde, so erhielt er doch die höhere Ausbildung als Violinist durch Celestini. Als Tonsetzer soll er sich autodidaktisch nach den Werken Jomellis und anderer Komponisten gebildet haben. Von 1781 bis 1817 war Dieter Mitglied der Kapelle in Ludwigsburg. Nach seiner im letzteren Jahre erfolgten Pensionierung scheint er in Stuttgart gelebt zu haben; denn dort starb er 1822. Dieter war als Komponist von nicht gewöhnlicher Begabung. Außer einer großen Menge Instrumentalsachen schrieb er auch mehrere Opern und Singspiele.
Ein der virtuosen Richtung stark ergebener Violinspieler war allen Nachrichten zufolge Jakob Scheller, geb. am 16. Mai 1759 in dem böhmischen Orte Schettal bei Racknitz. Er bevorzugte nicht allein in ungewöhnlichem Maße das Flageolettspiel, sondern ließ sich auch bei öffentlichen Produktionen auf Kunststückchen ein, die eines wahren Künstlers unwürdig sind. So legte er, um den schnarrend näselnden Gesang alter Nonnen nachzuahmen, seine Schnupftabaksdose auf die Geige, wodurch er den Teil des Publikums, welcher lediglich amüsiert sein will, auf seine Seite zog. Auch verschmähte er es nicht, den Violinbogen so zu gebrauchen, daß alle vier Saiten der Violine gleichzeitig ertönen. Diesen Effekt bewirkte er durch eine verkehrte Applikatur des Bogens, indem er die losgeschraubten Haare desselben über die Saiten, die Stange dagegen unter die Violine brachte. Sein Wahlspruch war: »Ein Gott, ein Scheller.« In seinen späteren Lebensjahren bot er das unerquickliche Bild eines fahrenden Musikanten, der dem Trunke ergeben, zwar nicht ohne Frau, doch ohne Instrument von einem Ort zum andern wanderte, um durch sein Spiel auf fremdem, nach Zufall erborgtem Instrumente den Unterhalt zu fristen. Trotzdem leistete er noch immer Außergewöhnliches, ein Beweis seiner seltenen Begabung S. Rochlitz' Erzählung in dessen Werk »Für Freunde der Tonkunst«, Bd. 2, S. 366 ff.. Gerber, der ihn 1794 schon in reduziertem Zustande hörte, berichtet über seine Leistungen: »er spielte eines der herrlichsten Concerte von Hoffmeister, welches durch die Kraft seines Bogens und durch seinen lebhaften Vortrag noch mehr gewann. Den ganzen ersten Satz des Rondo spielte er in Flageolettönen auf seinem Instrumente so wahr, leicht und rein, daß es auf keine Weise von Pfeifenwerken zu unterscheiden war. Überhaupt kamen in diesem Concerte alle möglichen Arten von Schwierigkeiten für die Geige vor, und was der Componist nicht selbst gesetzt hatte, brachte er in seine langen, sehr gearbeiteten Cadenzen; piquierte Läufer von mehr als 2 Oktaven in höchster Geschwindigkeit auf einen Strich, Octavengriffe in höchster Geschwindigkeit, theils durch Tonleitern von 2 Octaven und theils in Melodien, Terziengänge von mancherley Art, Läufer durch halbe Töne über das ganze Griffbrett der Geige, anhaltende heftige Passagen in Sprüngen von der höchsten Lage bis zu den tiefen Tönen; und seine gebrochenen und laufenden Passagen führte sein Bogen mit solcher Kraft, daß sie einem heftigen Schloßenwetter im Anprallen an die Fenster glichen. Und dies alles mit einer Gleichheit, Deutlichkeit und Fülle des Tons, daß auch der der Musik unkundigste Zuhörer davon bewegt wurde. Das zweite Mal, als er an einem sehr heißen Tage auftrat, nöthigte ihn der Zufall, eine neue Probe seiner Herrschaft über das Griffbrett zu geben. Indem er sein Concert zu spielen anfing, fing sein Saitenhalter an, immer mehr und mehr nachzulassen, indeß er immer im Tone des übrigen Orchesters fortarbeitete, bis seine Geige am Ende des Concerts um eine Terz tiefer stand. Und auch 1799, als er sich zum zweiten Male hier befand, zeigte er mit einer hier geborgten Geige noch immer dieselbe Kunst.«
Scheller besuchte in jungen Jahren die Jesuitenschule zu Prag, um sich für den geistlichen Stand vorzubereiten. Angeborene Neigung zog ihn indes bald zur Musik. Eine Zeitlang hielt er sich in Wien auf; dann ging er nach München und betrieb dort das Violinstudium unter Cröners Leitung. Weiterhin war er zwei Jahre im Mannheimer Theaterorchester angestellt, währenddessen er Schüler von Abt Vogler war, worauf er Reisen durch die Schweiz und Italien machte. Endlich wandte er sich nach Paris und blieb hier drei Jahre. Bei seiner Rückkehr in die Heimat fand er zu Mümpelgard in der Hauskapelle des Herzogs von Württemberg eine Stellung als Konzertmeister, welche er bis 1792 bekleidete. Er verlor sie infolge der Besitzergreifung Mümpelgards durch die Franzosen. Seit jener Zeit führte er ein unstetes, beinahe vagabundierendes Leben, bei dem er endlich seinen moralischen und physischen Untergang fand. Er starb 1803 in Friesland.
Johann Georg Distler, geb. 1760 zu Wien, war Haydns Lieblingsschüler in der Komposition. Zugleich bildete er sich aber im Violinspiel aus. 1781 trat er als Geiger in die Stuttgarter Hofkapelle, und von 1790 ab stand er derselben als Konzertmeister vor. Allein die Symptome eines Gemütsleidens, welche bald danach hervortraten, nötigten ihn 1796, der amtlichen Tätigkeit zu entsagen. Er kehrte nach Wien zu seiner Familie zurück und starb dort zwei Jahre später. Distler besaß ein ansprechendes Kompositionstalent. Hauptsächlich hat er Kammermusikwerke veröffentlicht, die ehedem beliebt waren.
Als ein Sonderling unter den deutschen Violinspielern ist Johann Bliesener zu bezeichnen. Man darf annehmen, daß sein Hang zu hirngespinstlichen Unternehmungen, wenn auch nicht durch seinen Violinlehrer Giornovicchi geradezu erzeugt, so doch wesentlich genährt wurde; denn dieser war eine abenteuernde Natur. Über Bliesener berichtet Gerber, daß er »im Jahre 1801 durch öffentliche Blätter seine Erfindung eines musikalischen Alphabets von fünf Figuren bekannt gemacht habe, welche ein Jeder, auch Unmusikalische, in einer halben Stunde unterscheiden und begreifen könne, so daß man in Zeit von höchstens 5 Stunden jedes Instrument mechanisch zu spielen im Stande sei. Er habe sich erboten, diese Erfindung 5 Personen, gegen Erlegung von 5 Thalern, bekannt zu machen.« Im übrigen soll Bliesener ein guter Sologeiger gewesen sein. Schon vor 1791 war er Kammermusikus der verwitweten Königin von Preußen. Er starb im Februar 1842 zu Berlin. Von seinen Violinkompositionen veröffentlichte er Duette und Konzerte, sowie Flötensätze und Streichquartette.
Der Violinspieler August Ferdinand Tietz, geb. 1762 in Niederösterreich, fand seine erste Ausbildung in einem Kloster, worauf er in die kaiserl. Kapelle zu Wien eintrat. Später war er in Petersburg tätig, nach Fétis seit 1796, nach Gerber dagegen schon seit 1789. Hier hörte ihn Ludwig Spohr 1802, welcher von ihm bemerkt, daß er »die Passagen nach alter Weise mit springendem Bogen spiele«. Übrigens galt Tietz für einen Menschen, in dessen Kopf es nicht ganz richtig ausgesehen habe S. Spohrs Selbstbiographie.. Doch kann dies nicht von tieferer Bedeutung gewesen sein; denn Tietz war später noch Mitglied der Dresdner Kapelle und ließ sich während dieser Zeit auch als Solospieler mit gutem Erfolg öffentlich hören.
Carl Hunt, geb. zu Dresden am 27. Juli 1766, erlernte das Violinspiel bei seinem Vater, welcher kurfürstl. sächs. Kammermusikus war, studierte beim Kapellmeister Seydelmann die Komposition und wurde 1783 als Violinist in die kursächsische Kapelle aufgenommen. Reichardt bezeichnet ihn (Briefe eines aufmerksamen Reisenden) als einen Schüler Tartinis. Bei Gerber ist das Verzeichnis seiner zahlreichen Kompositionen mitgeteilt, unter denen sich zwölf Violinkonzerte befinden.
Ebensosehr durch sein Violinspiel wie durch seine Tätigkeit als Tonsetzer zeichnete sich unter den deutschen Geigern des 18. Jahrhunderts Andreas Romberg, ein Vetter des berühmten Violoncellisten Bernhard Romberg aus. Spohr sagt (in seiner Selbstbiographie) von ihm, daß er zwar kein großer Virtuos gewesen sei, aber doch fertig und mit Geschmack gespielt habe. Indes ergänzt er dies Urteil durch folgende Bemerkung: »Das Zusammenleben mit A. Romberg, dem gebildeten und denkenden Künstler, hat mir wieder viele genußreiche Stunden verschafft. Aber von neuem fand ich, daß er seine Kompositionen unbeschreiblich kalt und trocken vorträgt, als wenn er die Schönheiten, die sie enthalten, selbst nicht fühle! Er spielte mehrere seiner Quartetten, die mir längst werth geworden sind, weil ich sie oft von anderen gehört und selbst gespielt habe; aber der Geist, der sich in ihnen so deutlich ausspricht, daß ihn jeder der Geiger, von welchen ich sie bisher hörte, richtig auffaßte, scheint ihm selbst unbekannt geblieben zu sein, denn in seinem Vortrage war auch keine Spur davon zu entdecken.« Man ist versucht zu glauben, daß Spohr Rombergs Spiel unter- und dessen Kompositionen überschätzte. Unbedingt darf zugegeben werden, daß die letzteren, gleich den Werken so vieler seiner Mitlebenden, eine nicht geringe Bedeutung für ihre Zeit hatten. Wären sie aber so gehaltvoll, wie Spohr anzunehmen scheint, so würden sie heute nicht schon völlig in Vergessenheit geraten sein. Wahrscheinlich legte Spohr einen etwas zu hohen Maßstab an Rombergs Spiel, welches einer früheren, schon überwundenen Periode angehörte. Daß aber seine Leistungen dennoch nach gewissen Seiten hin sehr bedeutend gewesen sein müssen, ersieht man aus einem Bericht der Allgem. mus. Zeitung (Jahrg. 1789, Nr. 8), in welchem er mit Männern wie Benda, Fränzl, Rode, Pixis usw. in Parallele gestellt wird. Auch findet sich bei Gerber die Notiz, daß Neefe ihn 1793 als einen der vollendetsten Geiger bezeichnet habe.
Andreas Romberg, geb. in Vechta bei Münster am 27. April 1767, war der Sohn des Musikdirektors und Klarinettvirtuosen Heinrich Romberg zu Münster. Bereits im siebenten Lebensjahre trat er öffentlich als Violinist auf. 1784 spielte er mit bedeutendem Erfolg im Concert spirituel. Seit 1790 war er gemeinschaftlich mit seinem Vetter Bernhard in der kurkölnischen Hofkapelle zu Bonn angestellt. Die französische Revolution vertrieb sie 1793 aus dieser Stellung. Beide Künstler wandten sich nach Hamburg und traten in das dortige Theaterorchester, welchem sie von 1793-95 angehörten. Sodann unternahmen sie eine zweijährige Reise durch Deutschland und Italien, nach deren Vollendung Andreas Romberg, seiner produktiven Tätigkeit lebend, was ihm in Paris (1800) nicht geglückt war, sich in Hamburg fixierte. Im Jahre 1815 wurde er als Hofkapellmeister nach Gotha berufen. Er wirkte dort bis zu seinem Tode, welcher am 10. November 1821 erfolgte.
Romberg wurde nicht nur als Violinkomponist, sondern überhaupt als Tonsetzer von seinen Zeitgenossen hochgeschätzt. Außer der anerkennenden Sprache, welche die musikalischen Zeitungen jener Tage über seine Werke führen, liefert auch einen Beweis dafür die im Jahre 1809 an den Künstler verliehene Doktorwürde seitens der Kieler Universität. Wenn seine durchaus solide gearbeiteten Symphonien, Quartette, Duette, Operetten, Konzerte und Vokalkompositionen, von denen Schillers »Glocke« ehedem in ungewöhnlicher Schätzung beim musikalischen Publikum stand, längst vergessen sind, so teilt er hierin ein Geschick mit vielen trefflichen gleichzeitigen Komponisten der Wiener Schule, von denen bereits die Rede gewesen ist. Sie alle, die zu ihren Lebzeiten als anerkannte und berühmte Männer auf verdienstliche Weise für die Kunst wirkten, liefern heute den Beleg für die alte Erfahrung, daß nur dem neugestaltenden Genie jene Unsterblichkeit zuteil wird, die nicht bloß den Namen, sondern auch die Werke des Geistes auf die fernen Geschlechter vererbt.
Louis Massoneau, der um 1770 in Kassel geboren wurde, hatte zum Lehrer einen gewissen Henzé. Nach Gerber war er als Violinist zuerst in seiner Vaterstadt, sodann in Göttingen tätig; 1795 finden wir ihn in Frankfurt a. M., in den nächsten Jahren in Altona, Dessau, Hamburg, wo ihn Spohr um das Jahr 1802 als Musikdirektor kennen lernte. Im folgenden Jahre indes nahm sein Leben einen stetigeren Charakter an, er ging als Konzertmeister nach Schwerin, wo er bis zum Jahre 1837 nachzuweisen ist, in welchem Jahre er wahrscheinlich starb. Massoneau war nicht nur als Violinvirtuose, sondern auch als Komponist geschätzt, doch ist von seinen Erzeugnissen, deren Verzeichnis sich bei Eitner findet, nichts auf die Nachwelt gekommen.
Über die Violinspieler Fischer, Gruber und Gebrüder Friedel sind wir lediglich auf die Nachrichten beschränkt, welche Schubart in seinen Schriften gibt. Sie lauten: »Fischer Es erscheint zweifelhaft, ob mit diesem Fischer der in Gerbers a. Lex. angeführte markgräfl. schwed. Kapellmeister Johann Fischer identisch ist, welcher auch Violinspieler war. Letzterer, ein Schwabe, war frühzeitig in Paris, um 1681 an der Barfüßerkirche in Augsburg, dann in Ansbach, weiterhin viel auf Reisen im Ausland, schließlich in Schweden, wo er im Alter von 70 Jahren starb. Eine Reihe Kompositionen von ihm sind bekannt. einer der berühmtesten Geiger seiner Zeit. Seine Starke bestand in ungewöhnlichen Passagen, die er in möglichst kurzer Zeit rund und ohne Fehler vortrug. Sein Geist artete sehr ins Komische aus. Er wußte alle Vögel nachzuahmen, und zwar mit solcher Täuschung, daß man nicht wußte, ob eine Nachtigal gluckte, eine Lerche trillerte, ein Kanarienvogel schmetterte, eine Wachtel schlug, oder ein Heimchen zirpte. – Seine Kompositionen wollen nicht viel sagen, weil es schwer hält, die Launen eines solchen Originalkopfes zu treffen.«
Dieser Schilderung zufolge muß Fischer entweder ein Nachahmer oder Nebenbuhler Lollis gewesen sein, der, wie Schubart mit Begeisterung erzählt, die Tierstimmen nachzuahmen verstand. Fischer lebte nach Schubarts Angabe in Nürnberg. Hier lebte auch Gruber und zwar als Kapellmeister. Schubart bemerkt über ihn: »Sein Bogenstrich ist leicht und gewandt. Das Flagiolet weiß er so sein anzubringen, daß ihm hierin nur ein Friedel den Rang abläuft.« Und von den Gebrüdern Friedel heißt es bei demselben Autor: »Sie haben Geschwindigkeit und Schönheit des Vortrags und spielen besonders das Flagiolet mit ausnehmender Stärke. – Mehrere Violinisten haben sich nach diesen Friedel gebildet, so daß sie fast eine Schule stifteten. Schade daß diese trefflichen Köpfe so tief in Liederlichkeit versanken, daß man sie nicht mit Ehren in gute Gesellschaft einführen konnte. Beide setzen ungemein schöne Stücke für die Violine: ihre Kompositionen sind voll Reiz, und so ganz für dies Instrument gemacht.«