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Die vielseitigen rühmlichen Bestrebungen Deutschlands im 18. Jahrhundert, eine nationale Schule des Violinspiels aus den gegebenen Fundamenten der italienischen Kunst zu entwickeln und heranzubilden, gingen je länger destomehr einer schönen Verwirklichung entgegen. Im allgemeinen erwiesen sich Umstände und Bedingungen für das gedeihliche musikalische Fortschreiten Deutschlands ebenso günstig wie in der vorhergehenden Epoche. Wohl wurden die Gaue Germaniens abermals für lange Jahre von verheerenden Kriegen und einer schmachvollen Bedrückung der bonapartischen Fremdherrschaft heimgesucht; doch der deutsche Geist war mächtig genug, um nicht nur diese herbe Prüfung siegreich zu bewältigen, sondern auch mit einem höheren, gehobneren Bewußtsein seiner selbst daraus hervorzugehen. Ein erneutes Leben, ein gesteigerter Tatendrang befeuerte die Gemüter der durch eigene Kraft von dem Napoleonischen Joche befreiten Nation, und ein herrlich unvergleichliches Auferstehungsfest vollzog sich in Wissenschaft und Kunst. Zwar verlor die letztere, insbesondere die Musik, insofern einigermaßen an Terrain, als ein Teil der kleineren Höfe, an denen die Tonkunst bisher Pflege gefunden hatte, durch die politischen Umwälzungen der Unterjochungs- und Befreiungskriege beseitigt wurde; allein dieser Verlust war im ganzen genommen unwesentlicher Natur; denn noch genug Stätten für den Kultus der Tonkunst blieben bestehen, und an diesen entwickelte sich in der Folge ein um so wirksameres Leben und Streben. Überdies machten sich einzelne größere Provinzstädte, vor allem aber Leipzig, um die Förderung musikalischer Interessen hochverdient. Dieser durch seine kommerzielle Bedeutung, sowie durch sein reich entwickeltes geistiges Leben altberühmte Ort besaß in dem von munizipalem Geist und echter Kunstliebe getragenen Gewandhauskonzerte seit 1781 ein Institut, welches sich unter Leitung bewährter Künstler nach und nach zu einer in seiner Art einzigen Pflanzschule für die Instrumentalmusik (Orchester- und Solospiel) erhob Zur Vorgeschichte der Gewandhauskonzerte vergleiche man den gleichnamigen Artikel von Bernh. Friedr. Richter im Leipziger Tageblatt 1893. Ein Auszug desselben findet sich in den »Monatsheften f. Musikgeschichte Bd. 26 (1894), S. 14.. Nach den Befreiungskriegen, in denen es nur während 1813-1814 eine vorübergehende Unterbrechung erlitt, von neuem aufblühend, wurde es durch Felix Mendelssohn-Bartholdy auf seinen Höhepunkt geführt. In dieser Zeit bildete Leipzig gewissermaßen den Areopag der musikalischen Welt. Sowohl für Tonsetzer als ausübende Künstler war es damals Ruhmes- und Ehrensache, dort ihre Produktionen vernehmen zu lassen, und wer in Leipzig entweder als Komponist, Spieler oder Sänger durchgedrungen war, hatte den besten Geleitsbrief für Deutschland und darüber hinaus gewonnen. Hiermit war aber Leipzigs musikalische Bedeutung keineswegs erschöpft. Das daselbst gegebene Beispiel spornte zur Nacheiferung in anderen Städten an. Hier und dort wurden Unternehmungen nach dem Vorbilde der Gewandhauskonzerte begründet, und heute gibt es in Deutschland kaum noch eine nennenswerte Stadt, die nicht aus eigenen Mitteln alljährlich einen feststehenden Zyklus von musikalischen Aufführungen besitzt. So trug denn auch in dieser Beziehung die ehrwürdige Kantorenstadt wesentlich zu dem verallgemeinerten und reichen Musikleben bei, durch welches Deutschland sich gegenwärtig in hohem Grade auszeichnet.
Eine nicht zu unterschätzende Bereicherung wurde endlich der deutschen Kunstpflege auch durch die Begründung der Musikkonservatorien in Prag (1811), Wien (1821) und Leipzig (1843) zuteil, der weiterhin, obwohl nicht durchaus dem Bedürfnis entsprechend, die Eröffnung ähnlicher Anstalten in Köln, Berlin, München, Dresden, Stuttgart, Frankfurt und sehr vielen anderen Orten folgte.
Daß die eben angedeuteten Verhältnisse in ihrer Totalität nicht nur eine befruchtende Rückwirkung auf Deutschlands Musikzustände im allgemeinen, sondern speziell auch auf die Fortentwicklung des Violinspiels haben mußten, ist selbstverständlich.
Der vorige Abschnitt über das deutsche Violinspiel hat gezeigt, welche Bedeutung Dresden, Berlin, Mannheim, München und Wien für die Förderung dieses Kunstzweiges im 18. Jahrhundert hatten.
Die erste der genannten Städte war nur für kurze Zeit der Schauplatz jener Bestrebungen, deren Betrachtungen unsere Aufmerksamkeit in Anspruch nimmt, wogegen die Berliner Schule, allmählich absterbend, doch noch bis ins 19. Jahrhundert hinein bemerkenswerte Lebenszeichen von sich gab. Wieder anknüpfend an Franz Bendas Zögling Carl Haack, haben wir zunächst dessen Schüler Möser, Seidler und Maurer zu berücksichtigen.
Carl Möser, geb. in Berlin am 24. Januar 1774, war der Sohn eines Trompeters im Zietenschen Husarenregiment und erhielt von seinem Vater den ersten Violinunterricht. Die weitere Ausbildung übernahmen der Kammermusikus Böttcher und Konzertmeister Haack. Bald fand Moser eine Anstellung in der königl. Kapelle, doch verlor er dieselbe plötzlich infolge eines zarten Verhältnisses mit der Gräfin de la Marck, einer natürlichen Tochter König Friedrich Wilhelms II. Durch die Umstände genötigt, Berlin zu verlassen, begab er sich nach Hamburg. In dieser Stadt erhielt er durch die Begegnung mit Viotti und Rode Anregung zu erneuertem eifrigem Studium. Mannigfache Reisen, die er in der Folgezeit unternahm, erweiterten seine Fähigkeiten, und mit einem bedeutenden Zuwachs an künstlerischem Vermögen betrat er wieder Berlin, nachdem der König, dessen Ungnade er sich zugezogen, gestorben war. Doch fand er dort noch keinen festen Haltpunkt. Abermals wurde er veranlaßt, seine Vaterstadt zu verlassen, diesmal jedoch der Kriegsereignisse halber. Im Jahre 1811 aber wurde er bei der Reorganisation des königl. Kapellinstituts für dasselbe als erster Violinist gewonnen. Während seiner letzten zehn Dienstjahre – er starb am 27. Januar 1851 – führte er außerdem den Titel eines königl. Kapellmeisters. Vorzüglich gerühmt werden Mösers Leistungen im Quartettspiel. Als Komponist für sein Instrument war er unbedeutend. Unter seinen zahlreichen Schülern sind Müller, Zimmermann und sein eigener Sohn August Möser hervorzuheben, der am 20. Dezember 1825 in Berlin geboren wurde und 1859 auf einer amerikanischen Kunstreise starb.
Carl Friedrich Müller, der Führer der ehedem berühmten, von dessen Söhnen fortgesetzten Streichquartetts, geb. am 11. November 1797 in Braunschweig, war der älteste Sohn des Braunschweiger Hofmusikus und Violinisten Ägidius Christoph Müller. Den ersten Musikunterricht empfing (nach Fétis' Angabe) Carl Fr. Müller bei seiner Mutter, dann wurde er Mösers Schüler in Berlin. Nach vollendetem Studium heimgekehrt, war er mehrere Dezennien hindurch herzoglicher erster Konzertmeister in seiner Vaterstadt. Er starb am 4. April 1873.
August Zimmermann, geb. am 28. März 1810 zu Zinndorf bei Straußberg, war seit 1828 Mitglied der königl. Kapelle in Berlin und machte sich namentlich durch seine eine lange Reihe von Jahren hindurch gegebenen Quartettsoireen vorteilhaft bekannt. 1874 trat er in Ruhestand. Seitdem lebte er in Steglitz bei Berlin, wo er Ende Dezember 1891 starb. Unter seinen Schülern sind der bereits verstorbene Konzertmeister Tomasini in Neustrelitz und August Möser, dessen erste Studien Zimmermann leitete, sowie die Geiger Oertling und Rehfeld hervorzuheben.
Der zweite Schüler Haacks, Ferdinand August Seidler, wurde am 13. September 1778 in Berlin geboren. Im Alter von zehn Jahren wirkte er bereits in der königl. Kapelle mit, welcher er definitiv 1793 nach erfolgter Konfirmation einverleibt wurde. Als Konzertspieler erwarb er sich einen geachteten Namen, nicht nur in Berlin, sondern auch auf seinen Reisen in Deutschland, Holland, Frankreich und Rußland. Nachdem er während der Jahre 1811 bis 1816 in Wien gelebt, betrat er seine Vaterstadt wieder und fand 1816 in der königl. Kapelle als Konzertmeister Anstellung. Er starb am 27. Februar 1840. Spohr rühmt ihm schönen Ton und sauberes Spiel nach.
Louis Wilhelm Maurer endlich, geb. am 8. Februar 1789 zu Potsdam, trat bereits mit 13 Jahren in Berlin als Solospieler auf. Hier blieb er längere Zeit. Im Verkehr mit ausgezeichneten Künstlern seine Leistungen unausgesetzt fördernd, fand er zugleich einen Wirkungskreis als Mitglied der königl. Kammermusik. Die über Deutschland bald darauf hereinbrechenden kriegerischen Ereignisse veranlaßten ihn indessen, 1806 seine Stellung aufzugeben. Er wandte sich nach Rußland. Auf der Reise dahin machte er in Riga die Bekanntschaft Rodes und Baillots, der er wertvolle Anregungen für sein Studium verdankte. Demnächst ging Maurer über Petersburg nach Moskau, um dort als Musikdirektor der Privatkapelle des Kammerherrn Wsowologski vorzustehen. Diese Tätigkeit, welche zeitweilig durch die französische Okkupation und den Brand Moskaus unterbrochen wurde, fesselte ihn bis 1817. Im folgenden Jahre kehrte er nach Berlin zurück und besuchte von hier aus Paris, um sich daselbst öffentlich hören zu lassen. Eine inzwischen an ihn ergangene Berufung führte ihn dann nach Hannover zur Übernahme des Konzertmeisteramtes, welches er von 1819-1832 bekleidete. Seit dieser Zeit lebte und wirkte Maurer in Petersburg, wo er als Inspektor der kaiserl. Theaterorchester tätig war. Am 25. Oktober 1878 starb er dort, fast neunzig Jahre alt.
Maurers Spielweise war durch Gediegenheit und treffliche Durchbildung ausgezeichnet. Dementsprechend sind seine Violinkompositionen, die den Einfluß der Viotti-Rode-Kreutzerschen Richtung nicht verkennen lassen, von tüchtiger, solider Beschaffenheit, doch fehlt es ihnen an sinnlich schönem Reiz. Maurer hat nicht nur Violinkonzerte und -duetten geschrieben, sondern sich auch in den höheren Kunstgattungen, wie in der Symphonie, im Streichquartett und in der Opernkomposition versucht, freilich nur mit vorübergehendem Erfolg. Nur eines seiner Werke hat als ein Unikum der modernen Violinliteratur längere Zeit Beachtung gefunden: die Konzertante für vier Violinen und Orchesterbegleitung.
In München machte sich durch Cannabichs und Ferdinand Franzls Tätigkeit eine Nachwirkung der Mannheimer Schule bis ins 19. Jahrhundert geltend. Die bemerkenswertesten dort gebildeten Violinisten sind die Gebrüder Moralt, Bohrer und Täglichsbeck.
Die Gebrüder Moralt gehören einer Künstlerfamilie an, von welcher sich noch gegenwärtig ein Mitglied in der Münchener Hofkapelle befindet: es ist der königl. Kammermusiker und Soloviolinist Paul Moralt. Der älteste Sproß dieser Familie, Joseph Moralt, geb. am 5. August 1775 in Schwetzingen bei Mannheim, erlernte die Anfangsgründe der Musik beim Stadtmusikus Carl Geller und wurde dann Schüler des Violinisten Lops, welcher Kammermusikus beim Herzog Clemens von Bayern war. In der Komposition unterrichtete ihn Peter Winter. 1797 wurde er bei der Hofmusik angestellt, nachdem er mehrere Jahre vorher Akzessist gewesen. Als Konzertspieler reiste er mehrfach im Auslande, namentlich in Frankreich, England und der Schweiz. Im Jahre 1800 erhielt er die Ernennung zum Konzertmeister der Münchener Hofkapelle. Mit seinen Geschwistern bildete er nach Art der braunschweigischen Gebrüder Müller ein Streichquartett, dem er auch außerhalb Münchens Geltung verschaffte. Er starb 1828.
Johann Baptiste Moralt, geb. 1777 in Mannheim, gest. 7. Oktober 1825 in München, war Schüler Carl Cannabichs. Er vertrat die zweite Violine in dem Quartett seines Bruders Joseph. Seit 1792 gehörte er der Münchener Kapelle an.
Der dritte hier zu erwähnende Bruder endlich, mit Vornamen Jacob, geb. 1780 in München, trat in dieselbe Kapelle 1797 ein und starb bereits 1803.
Anton Bohrer war der Sohn eines geschickten Trompeters und Kontrabassisten und wurde in München 1783 (nach Ledebur 1791) geboren. Sein Vater lehrte ihn die Anfangsgründe des Violinspiels, welches er unter Cannabichs Anleitung fortsetzte. In Begleitung des letzteren ging er nach Paris und wurde dort der Schüler Rudolph Kreutzers. Bei seiner Heimkehr fand er Aufnahme in die königl. Kapelle, begab sich dann in Gesellschaft seines Bruders auf Reisen und wurde 1823 als königl. Konzertmeister in Berlin angestellt. Infolge eines Zerwürfnisses mit Spontini gab er diese Stelle 1826 wieder auf. Bohrer wandte sich nun nach Paris, kehrte indessen von neuem nach Deutschland zurück und wurde 1834 Konzertmeister in Hannover. Hier starb er 1852. Von seinen zahlreichen Kompositionen ist nichts auf die Gegenwart gekommen.
Thomas Täglichsbeck, geb. am 31. Dezember 1799 zu Ansbach, ging 1816 nach München, um dort unter Rovelli das Studium der Violine zu betreiben. Vom Jahre 1827 ab widmete er sich, durch seine Berufung als Kapellmeister des Fürsten von Hohenzollern-Hechingen dazu veranlaßt, dem Direktionsfache. Bei der Mediatisierung seines Brotherrn 1848 folgte er demselben nach Löwenberg in Schlesien. 1854 trat er in Ruhestand, lebte darauf einige Zeit in Dresden und dann in München. In Baden-Baden starb er am 5. Oktober 1867. Täglichsbeck hat eine nicht geringe Zahl bereits völlig in Vergessenheit geratener Violinkompositionen veröffentlicht.
Sein Schüler und seit 1854 Amtsnachfolger bei der fürstl. hohenzollern-hechingischen Hofkapelle, Max Seifriz, geboren am 9. Oktober 1827 in Rottweil, machte sich durch Veröffentlichung einiger Kompositionen bekannt. Im Verein mit Edmund Singer gab er eine Violinschule heraus. Seit dem 3. September 1869 erfolgten Tode des Fürsten Friedrich Wilhelm von Hohenzollern-Hechingen lebte Seifriz in Stuttgart, wo er 1871 zweiter Hofkapellmeister wurde und am 20. Dezember 1885 starb.
Während Berlins und Münchens Bedeutung für das Violinspiel allmählich verloren ging, erwuchs der Kunst in Ludwig Spohr jener Meister, welcher, durch die Traditionen der Mannheimer Schule genährt, als der eigentliche Schöpfer des deutschen Violinspiels und einer von allen fremdartigen Beimischungen befreiten nationalen Schule zu feiern ist. Sicher ist es kein Zufall, daß dieses epochemachende Ereignis genau in jenen Zeitpunkt fällt, in welchem die Instrumentalmusik durch Beethoven auf ihren Kulminationspunkt erhoben wurde. Doch waltet hierbei keineswegs eine tiefere musikalische Wechselwirkung vor; vielmehr war dies Zusammentreffen in den allgemeinen kunst- und kulturhistorischen Wandlungen begründet, die das 19. Jahrhundert mit sich brachte, und denen Deutschland insbesondere den unwiderstehlichen Antrieb zum Erringen einer höheren Selbständigkeit und Unabhängigkeit von den bisher vielfach bestimmenden Einwirkungen des Auslandes verdankte. Tatsächlich wurzelte Spohrs Tätigkeit nicht nur als Begründer der deutschen Violinschule, sondern überhaupt als schaffender Tonmeister zur Hauptsache in der Mozartschen Kunstanschauung. Seine künstlerischen Bestrebungen mußten sich daher notwendig in einem völlig diametralen Gegensatz zu jener Tonwelt bewegen, die ein Beethoven mit titanischer Gewalt heraufbeschwor. Nur für dessen früheste, im engen Anschluß an Haydn und Mozart geschaffene Werke besaß er noch Verständnis; je höher Beethovens Stern emporstieg, desto mehr entzog er sich seinem Gesichtskreis, und ein Werk wie die c-moll-Symphonie vermochte er nicht mehr zu würdigen.
Noch auffallender ist dieses Verhältnis bei der Wiener Violinschule, die sich in eigentümlicher Weise von der allseitig akzeptierten Richtung Spohrs abzweigte. Denn obwohl unmittelbar von der klassischen, durch die Heroen deutscher Tonkunst erzeugten Atmosphäre umgeben und unausgesetzt berührt, entzog sie sich den Einflüssen derselben und verfolgte vielmehr schon vor Schuppanzighs Ableben überwiegend virtuose Tendenzen Die abnorme Richtung, welche das Streichinstrumenten- und also auch das Violinspiel zu Anfang des 19. Jahrhunderts in Wien teilweise genommen hatte, ist durch ein 1814 an die »Gesellschaft für Musikfreunde« von dem damaligen Kapellmeister Salieri gerichtetes Sendschreiben gekennzeichnet, in welchem dieser sich mit aller Entschiedenheit im Interesse der wahren, echten Kunst gegen die »äußerst geschmacklose und grimmassirte Manier« eines übertriebenen und falsch angebrachten Portamentospieles ausspricht, welches so wirke, wie ein weinendes Kind oder eine miauende Katze. Vgl. E. Hanslicks »Geschichte des Konzertwesens in Wien«, S. 233, wo das Sendschreiben Salieris wörtlich abgedruckt ist.. Dennoch ist die Bedeutung, zu der sich das Violinspiel in Deutschland mit Beginn des 19. Jahrhunderts erhob, ohne den damals blühenden Zustand der musikalischen Produktion überhaupt nicht denkbar. Es handelt sich eben hier um die gleichartigen Symptome des Aufschwunges in verschiedenen Zweigen einer und derselben Kunst.
Ludwig Spohr, geb. am 5. April 1784 zu Braunschweig, vereinigte alle Eigenschaften in sich, um das deutsche Violinspiel in voller Reinheit darzustellen und zu normieren. Er besaß vor allem einen echt deutschen Sinn, sodann aber bis zu schroffer Einseitigkeit ausgebildete Charakterfestigkeit, hervorragende künstlerische Begabung, gediegene Bildung, feinfühlige Empfindung und einen seltenen, harmonisch durchgebildeten Sinn für Maß, Ordnung und streng methodische Behandlung der Kunsttechnik. Man empfand bei der Begegnung dieser nicht nur durch eine riesige Statur, sondern auch durch eine würdige, ernste und gemessene Haltung ungewöhnlich imponierenden Persönlichkeit sogleich, daß man einen Mann vor sich habe, dessen Anschauungen und Prinzipien unantastbar seien. Frühzeitig begann er im elterlichen Hause der Tonkunst zu leben. Sein Vater, von Beruf Arzt, blies die Flöte, seine Mutter sang und spielte Klavier. Das gemeinschaftliche häufige Musiktreiben der Eltern gewährte dem Knaben den auf keine Weise zu ersetzenden Vorteil einer musikalischen Jugend. Durch den Gesang, welchen ihn seine Mutter bereits im fünften Lebensjahre lehrte, wurde er in die Musik eingeführt. Als ihm dann der Vater eine kleine Violine schenkte, spielte er die gesungenen Stücke auf derselben nach Gehör und übte dieses Instrument ohne irgend eine fremde Beihilfe. Bereits 1786 war ein Umzug der Familie von Braunschweig nach Seesen erfolgt, wohin Spohrs Vater als Physikus versetzt worden war. Hier fand sich bald ein französischer Emigrant, namens Dufour ein, der eine bedeutende Fertigkeit auf der Violine und dem Violoncell besaß und für den talentvollen Knaben als Lehrer gewonnen wurde. Daneben machte Spohr Kompositionsversuche auf eigene Hand. Die ersten derselben bestanden in Violinduetten.
Dufour erkannte bald die außerordentliche musikalische Begabung des Knaben und riet dem Vater, denselben die künstlerische Laufbahn betreten zu lassen. Bei der Abneigung des Großvaters gegen den Künstlerberuf jedoch, der damals noch vielfach mit Vorurteilen angesehen wurde, war dies nicht leicht auszuführen. Indes gelang es endlich doch, seine Zustimmung zu erlangen, und der junge Spohr wurde nach Braunschweig geschickt, um dort, zunächst unter Leitung des Kammermusikus Kunisch, das Studium der Violine ernstlich in Angriff zu nehmen. Gleichzeitig erteilte ihm der Organist Hartung theoretischen Unterricht, doch wurde derselbe durch die Kränklichkeit des Lehrers unterbrochen. Spohr ward nun mit Hilfe gediegener, ihm zugänglicher Tonwerke sein eigener Führer in der Kompositionslehre. Seine Vorliebe für Mozart zog ihn vorzugsweise zu den Schöpfungen dieses Meisters, der ihm auch für das ganze Leben fast ausschließliches Vorbild blieb. Seine Fortschritte auf der Violine waren so bedeutend, daß er nicht allein in öffentlichen Konzerten mit eigenen Kompositionen aufzutreten, sondern auch im Orchester mitzuwirken vermochte. Nichtsdestoweniger drang sein Lehrer Kunisch darauf, ihn dem Konzertmeister Maucourt Vgl. S. 364. zur weiteren Ausbildung zu übergeben. Nachdem er bei diesem einen einjährigen Kursus durchgemacht hatte, glaubte der Vater die Zeit gekommen, daß sein Sohn sich eine eigene Existenz gründen könne. Um den darauf hinzielenden Wünschen zu entsprechen, begab der vierzehnjährige Knabe sich, mutig entschlossen, sein tägliches Brot selbst zu verdienen, auf eine Kunstreise, die ihn zunächst nach Hamburg führte. Freilich hatte er ebensowenig einen klaren Begriff von der Bedeutung und Schwierigkeit seines Beginnens gehabt wie sein Vater. In Hamburg angelangt, wurde er aber bald darüber aufgeklärt. Er erreichte dort nichts und mußte sich entschließen, unverrichteter Sache wieder umzukehren. Sein Gepäck schickte er voraus, er selbst aber wanderte zu Fuß heimwärts. Unterwegs peinigte ihn indes der Gedanke, sich so ganz vergeblich von Braunschweig entfernt zu haben; ein heftiges Schamgefühl überkam ihn, und er dachte ernstlich darüber nach, welche Wendung er etwa seiner unliebsamen Erfahrung geben könne. Es fiel ihm ein, daß der Herzog von Braunschweig, welcher selbst Violine spielte Vgl. S. 305., ein großer Kunstfreund sei, und er beschloß, sich dessen Wohlwollen zu empfehlen. In Braunschweig wieder angelangt, entwarf er sofort eine Bittschrift an seinen Landesfürsten, paßte den Moment ab, wo derselbe seine Promenade im Schloßgarten machte, und überreichte sie ihm. Der Herzog, weit entfernt, dieses Verhalten übel aufzunehmen, versprach dem jugendlichen Petenten vielmehr, nachdem er dessen Gesuch durchgelesen, sich seiner anzunehmen, knüpfte jedoch die Bedingung daran, zuvor ihn spielen zu hören. Er fand Gefallen an den Leistungen des Jünglings und ließ ihm nicht allein einen festen Platz in seiner Kapelle anweisen (1799), sondern eröffnete ihm auch die Hoffnung, für seine höhere künstlerische Ausbildung sorgen zu wollen. Und er hielt sein fürstlich gegebenes Wort. Nach einiger Zeit verwirklichte er die Hoffnungen des strebsamen Kunstjüngers und stellte ihm sogar frei, sich nach eigenem Ermessen der Leitung eines Meisters anzuvertrauen. Spohr entschied sich ohne Bedenken für Viotti. Man schrieb an denselben, doch die Antwort kam zurück, daß er Weinhandler geworden sei Vgl. S. 177., daß er sich nur noch selten mit Musik beschäftige und daher auch keine Schüler annehmen könne.
Nach Viotti, so berichtet Spohr selbst, war Johann Friedrich Eck damals der berühmteste Geiger. Auch an diesen wandte man sich vergeblich. Doch schlug er seinen jüngeren Bruder und Schüler Franz Vgl. S. 278 als Ersatzmann für sich vor. Franz Eck befand sich zu jener Zeit gerade auf einer Kunstreise in Deutschland. Um sich zu überzeugen, ob er der Künstler wirklich sei, den man für den beabsichtigten Zweck suchte, wurde er nach Braunschweig eingeladen. Er erschien bald, fand als Spieler den vollen Beifall des Fürsten, und Spohr wurde ihm für ein Jahr als Schüler übergeben. Da aber Eck eben auf einer Kunstreise nach Petersburg begriffen war, von der er nicht abstehen wollte, so mußte der neue Zögling sich bequemen, ihm dahin zu folgen. Man begab sich anfangs 1802 auf den Weg und langte mit mannigfachen, durch Ecks Konzertpläne veranlaßten Unterbrechungen über Danzig, Königsberg, Memel, Mitau und Riga am 22. Dezember desselben Jahres in der russischen Hauptstadt an, in welcher Spohr bis Anfang Juni 1803 verweilte. Am lebhaftesten wurde der Unterricht während des mehrmonatlichen Sommeraufenthaltes (1802) in Strelitz betrieben.
So nahm denn Spohr durch Eck die Prinzipien der Mannheimer Schule in sich auf, die in ihm weiter fortlebte und durch ihn gleichsam ihre Apotheose feierte. Doch hat man hierbei nicht zu übersehen, daß die reiche Begabung, welche unser Meister neben echter Kunstweihe, Idealität des Strebens und wahrhaftem Sinnesadel herzubrachte, mindestens den Gewinn der ihm zuteil gewordenen Überlieferungen aufwog, und daß nur durch das Zusammenwirken beider Faktoren ein so glückliches Resultat möglich wurde, wie es sich in ihm darstellte. Manch wichtiger Teil der Violintechnik war bei ihm freilich nachzuholen und zu ergänzen. In richtiger Würdigung dieses Umstandes sagt er selbst, er habe in vielen wesentlichen Dingen, namentlich die Bogenführung betreffend, sein Spiel umformen müssen, – ein Geständnis, das sehr vernehmlich zu Spohrs Gunsten spricht, wenn man bedenkt, daß er die technischen Mängel seiner Violinbehandlung willig erkannte und sein Verhältnis als Schüler zu Eck niemals außer Augen setzte, obwohl er nach Seite des künstlerischen Verständnisses und der geistigen Reife bereits weit über seinem Lehrmeister stand Vgl. S. 279..
Spohr war zwar nach diesem Lehrjahre noch nicht der vollendete Violinspieler, der später die Bewunderung der musikalischen Welt erregte, aber er befand sich nun doch auf dem richtigen Wege und konnte keinen Fehltritt mehr tun. Bei seinem anfangs Juli 1803 erfolgten Eintreffen in der Heimat fand Spohr in Braunschweig Rode, der dem noch immer lernbegierigen Jüngling erneuerte Anregung zum Studium gab. Der französische, damals auf seinem Höhepunkte stehende Meister regte ihn so mächtig an, daß er es ihm beim Einüben seiner Kompositionen nachzutun suchte. »Es gelang mir«, so bemerkt er selbst, »dies auch nicht übel, und ich war bis zu dem Zeitpunkte, wo ich mir nach und nach eine eigene Spielweise gebildet hatte, wohl unter allen damaligen Geigern die getreueste Kopie von Rode.«
Nachdem Spohr in seiner Vaterstadt durch das öffentliche Auftreten in einem eigenen Konzerte Proben seiner Fortschritte abgelegt hatte, wurde er sofort in der herzogl. Kapelle bei der ersten Violine angestellt. Wie aufmunternd diese Auszeichnung für ihn sein mochte, so hegte er doch im stillen weitergehende Pläne, die ihn auch sehr bald dem Braunschweiger Musikleben für immer entzogen. Zunächst hatte er den leicht erklärlichen Wunsch, sich in weiteren Kreisen bekannt zu machen. Eine Reise, die Spohr zu diesem Zwecke im Jahre 1804 nach Paris angetreten hatte, verunglückte, da ihm unmittelbar vor Göttingen seine kostbare Guarnerigeige vom Wagen gestohlen wurde, die ihm in Petersburg von einem Verehrer seines Spiels geschenkt worden war. Er kehrte sogleich nach Braunschweig zurück und rüstete sich durch Ankauf eines anderen Instrumentes zu einem neuen Ausflug, der ihn nach Leipzig, Dresden und Berlin führte. Welch eine hohe Stufe vollendeter Meisterschaft Spohr damals bereits erklommen hatte, geht aus einem Urteil Rochlitzens hervor, der über ihn schrieb: »Seine Individualität reizt ihn am meisten zum Großen und in sanfter Wehmut Schwärmenden. Vollkommene Reinheit, Sicherheit, Präcision, die ausgezeichnetste Fertigkeit, alle Arten des Bogenstrichs, alle Verschiedenheiten des Geigentones, die ungezwungenste Leichtigkeit in der Handhabung von diesem Allen, das macht ihn zu einem der geschicktesten Virtuosen. Aber die Seele, die er seinem Spiel einhaucht, der Flug der Phantasie, das Feuer, die Zartheit, die Innigkeit des Gefühls, der feine Geschmack und nun seine Einsicht in den Geist der verschiedensten Kompositionen und seine Kunst jede in diesem ihren Geiste darzustellen, das macht ihn zum wahren Künstler.«
Spohrs Name als Violinspieler gelangte sehr schnell im Vaterlande zur Geltung, und bereits 1805 erhielt er eine Berufung als Konzertmeister an den Gothaischen Hof. Er trat seine Stellung dort am 1. Oktober desselben Jahres an. Bald (am 2. Februar 1806) wählte er in der ausgezeichneten Harfenspielerin Dorette Scheidler auch eine Lebensgefährtin, mit der er gemeinschaftlich eine Kunstreise antrat; auf dieser besuchte er abermals Leipzig und Dresden, dann aber Prag, München und (1807) Stuttgart Vgl. S. 298.. Nach zweijähriger Ruhe konzertierte das Künstlerpaar in den Hauptstädten Norddeutschlands. Bei seiner Anwesenheit in Wien während des Jahres 1812 fand Spohr nicht nur eine glänzende Aufnahme, sondern es wurde ihm auch das Anerbieten gemacht, beim Theater an der Wien die Funktion des Orchesterdirektors (Konzertmeisters) zu übernehmen. Er vermochte der Lockung nicht zu widerstehen, einem so ehrenvollen Wirkungskreis an der Statte der deutschen Musikkoryphäen vorzustehen, löste sein amtliches Verhältnis in Gotha und siedelte 1813 nach der Kaiserstadt über. Besonderes Interesse gewann für ihn dort eine erneuerte Begegnung mit Rode. Dieser Künstler, bei seiner ersten Anwesenheit in Wien einstimmig bewundert, vermochte sich nicht mehr neben Spohr zu behaupten Vgl. S. 380., der sich in jugendlichem Feuer dazu hinreißen ließ, diesen Umstand in einer, wie er selbst mit ehrenhafter Offenheit zugesteht, keineswegs schönen Weise auszubeuten. Er berichtet hierüber: »Bei der häufigen Gelegenheit, Rode zu hören, überzeugte ich mich immer mehr, daß dieser der vollkommene Geiger der früheren Zeit nicht mehr war. Durch die ewige Wiederholung derselben und immer derselben Kompositionen hatte sich in den Vortrag nach und nach eine Manier eingeschlichen, die nun nahe an Karikatur grenzte. Ich hatte die Unverschämtheit ihm dies anzudeuten, indem ich ihn fragte, ob er sich denn gar nicht mehr erinnere, wie er seine Kompositionen vor 10 Jahren gespielt habe. Ja, ich steigerte meine Impertinenz so weit, daß ich die Variationen in g-dur auflegte und ihm sagte, ich wolle sie ihm genau in der Weise vortragen, wie ich sie vor zehn Jahren so oft von ihm gehört hätte. Nach beendigtem Spiel brach die Gesellschaft in großen Jubel aus, und so mußte mir denn Rode schicklichkeitshalber ein Bravo zurufen; doch sah man deutlich, daß er sich durch meine Indelikatesse verletzt fühlte. Und dies mit allem Recht. Ich schämte mich bald derselben und erwähne des Vorfalls jetzt nur, um zu zeigen, wie sehr ich mich damals als Geiger fühlte.«
Welch eine hohe Bedeutung Spohr nichtsdestoweniger Rode zuerkannte, beweist der Umstand, daß er dessen a-moll-Konzert seiner Violinschule als Musterwerk der Gattung einverleibte. Freilich ist die von ihm hinzugefügte Bezeichnung der Prinzipalstimme nicht in der Rodeschen, sondern durchaus in seiner eigenen Manier, in die er sich je länger je mehr verloren hatte, ohne es selbst zu wissen.
Spohrs Aufenthalt in Wien währte nur zwei Jahre; er wurde durch ein Zerwürfnis mit dem Theaterdirektor Palfy beendet, welches ihm seine Stellung verleidet hatte. Als interimistischen Wohnort wählte er das ihm vorher liebgewordene Gotha. Das Bedürfnis nach der gewohnten Tätigkeit ließ ihm indes dort keine Ruhe, und in Ermangelung eines amtlichen Wirkungskreises entschloß er sich, nachdem er ein paar kleinere Ausflüge gemacht, zu einer italienischen Reise, welche Ende 1815 angetreten wurde. Er schlug den Weg über Nürnberg und München ein und betrat das Land der Künste von Venedig her, jedoch ohne jene innerste Seelenbefriedigung, die sonst so leicht Künstlernaturen bei einem Aufenthalte in Italien zu erfüllen und zu beherrschen pflegt. Hieran dürfte einerseits die exklusive deutsche Gefühls- und Denkungsart Spohrs, andererseits aber der damals schon sehr fühlbare Verfall der italienischen Musik teilhaben. Indes auch die minder enthusiastische Aufnahme, welche er bei dem geringeren Interesse der Italiener für Instrumentalmusik als ausübender Künstler dort fand, mochte ihn einigermaßen verstimmt haben S. die Selbstbiographie Spohrs über diese Reise, welche in dieser wie in anderen Beziehungen Spezielleres enthält.. Spohr dehnte seine Reise bis Neapel aus und kehrte dann in die Heimat zurück. Noch aber war seine Wanderlust nicht gestillt. Im Jahre 1820 besuchte er England und Frankreich oder, was ziemlich dasselbe ist, London und Paris. Das erstere Land, dessen Einladungen er weiterhin mehrfach Folge leistete, bereitete ihm zahlreiche Triumphe, und kaum ist ein Künstler dort jemals mehr und dauernder geehrt worden als er. Nicht nur begeisterte man sich für sein Meisterspiel, sondern auch für seine größeren Instrumental- und Vokalwerke. In Paris dagegen fand Spohr eine ziemlich engherzige und reservierte Beurteilung, sowohl seitens der Künstlerschaft als der Kritik. Über das Verhalten der letzteren äußert er sich selbst: »In allen diesen Berichten spricht sich die französische Eitelkeit recht selbstgefällig aus. Alle fangen damit an, ihre eigenen Künstler und ihre Kunstbildung über die aller anderen Nationen zu erheben; sie meinen, das Land, welches die Herren Baillot, Lafont und Habeneck besitzt, brauch« kein anderes um seine Geiger zu beneiden. Ein Kritiker sagt: M. Spohr comme exécutant, est un homme de mérite; il a deux qualités rares et précieuses, la pûreté et la justesse, schließt dann aber seine Phrase: s'il reste quelque temps à Paris, il pourra perfectionner son goût, et retourner ensuite, former celui des bons allemands. Wenn doch der gute Mann wüßte, was die bons allemands von dem Kunstgeschmacke der Franzosen denken!!!« Über die Aufnahme seiner Kompositionen im Privatverkehr bemerkt er: »Jeder reitet nur sein Paradepferd vor; da giebt es nichts als Airs variés, Rondos favoris, Nocturnos und dergl. Bagatellen mehr, und wenn dies alles auch noch so inkorrekt und fade ist, es verfehlt seine Wirkung nie, wenn es nur recht glatt und süß vorgetragen wird. Arm an solchen niedlichen Kleinigkeiten, bin ich mit meiner ernsten deutschen Musik übel daran, und habe in solchen Musikgesellschaften nicht selten das Gefühl eines Menschen, der zu Leuten spricht, die seine Sprache nicht verstehen; denn wenn ich auch manchmal von diesem oder jenem Zuhörer das Lob, was er meinem Spiele zollt, mit auf die Kompositionen ausgedehnt höre, so darf ich darauf nicht stolz sein, da er gleich nachher die trivialsten Sachen mit denselben Lobsprüchen begleitet. Man errötet, von solchen Kennern gelobt zu werden.«
Nachdem Spohr dem allgemein befolgten Brauch der Zeit, die großen Sammelplätze des modernen Virtuosentums zu besuchen, seinen Tribut dargebracht hatte, fand er einen Wirkungskreis, der ihn mehr als bisher an die Scholle fesselte und ihm die Möglichkeit gewahrte, eine fruchtbare Tätigkeit für die Tonkunst zu entfalten. Die Intendanz des Hoftheaters zu Kassel war bemüht, eine bedeutende Persönlichkeit für das neu zu besetzende Kapellmeisteramt zu gewinnen und hatte C. M. v. Weber einen dahin zielenden Antrag gemacht. Dieser Meister lehnte indessen das Anerbieten ab und wies auf Spohr hin, der auch wirklich gewählt wurde. Er verließ Dresden, wo er sich erst im Jahre vorher niedergelassen, und trat seine Funktion als Dirigent der kurfürstlichen Kapelle und des Hoftheaters zu Neujahr 1822 an, nebenbei fleißig schaffend und ein segensreiches Lehramt ausübend. Von hier ab gestaltete sich Spohrs äußeres Leben ruhiger, gleichmäßiger. Er fand zwar in der Folge immer noch häufig Veranlassung, Kassel zeitweilig zu verlassen, um auswärts, besonders in England, entweder als Solospieler aufzutreten, eines und das andere seiner Werke zu dirigieren oder auch ganze Musikfeste zu leiten Auch hierüber gibt die Autobiographie Spohrs nähere Aufschlüsse., doch waren hiermit immer nur kürzere Unterbrechungen seines Kasseler Wirkens verbunden. Ein herber Verlust betraf ihn 1834, da er in diesem Jahre seine Gattin verlor. Die fühlbare Lücke des Daseins zu ersetzen, reichte er Marianne Pfeifer Sie starb am 4. Januar 1892, 87 Jahre alt, zu Kassel., der Tochter eines höheren Justizbeamten in Kassel, 1836 seine Hand. Unter vielbewegtem Wirken und Schaffen kam allmählich das Jahr 1850 heran, in welchem Spohr sich zum letztenmal öffentlich und zwar als Quartettspieler hören ließ, und endlich auch das Jahr 1857, welches ihm die – nicht freiwillige – Versetzung in den Ruhestand brachte. Fast gleichzeitig hatte er das Unglück, einen Arm zu brechen. Zwei Jahre später, am 22. Oktober 1859, schied er aus diesem Leben, aufrichtig betrauert von allen denen, welche seine Bedeutung für die deutsche Tonkunst zu würdigen vermochten und erkannt hatten, daß mit ihm einer der letzten bedeutsamen Vertreter unserer klassischen Musikepoche dahingegangen war. Am 5. April 1833 wurde dem um die vaterländische Kunst hochverdienten Meister an der Stätte seines langjährigen Wirkens ein seiner würdiges Denkmal errichtet.
Spohr war nicht nur ein ausgezeichneter, tiefgebildeter Künstler von gediegenster, wenn auch stark ausgeprägt einseitiger Richtung, sondern zugleich eine wahre, biedere, gerade und gesinnungsvolle Natur, mit einem Wort: ein echt deutscher Mann. Freimütig trat er allem entgegen, was seinem Wesen widerstrebte oder seinen innersten Überzeugungen zuwiderlief, obwohl nicht immer in der schonendsten Form, doch ohne absichtlich zu verletzen. Dabei besaß er ein schönes Gefühl der persönlichen Würde, die er selbst unter Umständen zu wahren wußte, in denen andere um des zu erringenden Vorteils halber sicher geschwiegen und geduldet hätten. Sehr charakteristisch erscheint es, daß Spohr schon in seiner Jugend hierin einen richtigen Takt besaß. Als vierzehnjähiger Knabe ließ er sich beim Herzog von Braunschweig melden, der ihn zu sich beschieden hatte. Der Kammerdiener redete ihn mit »Er« an, und Spohr erwidert dies nicht nur sofort, sondern erklärt auch dem Herzog, dessen Wohlwollen er doch in Anspruch nahm, auf der Stelle, daß »er sich eine derartige Behandlung ernstlich verbitten müsse«. Aber nicht nur für seine eigene, sondern auch für die Würde der Kunst trat er mit voller Entschiedenheit auf, wenn er sie gemißbraucht oder auch nur verletzt glaubte. Als er, kaum durch Verfügung des Herzogs von Braunschweig in dessen Kapelle aufgenommen, bei Hofe spielen sollte, fand er Gelegenheit, dies zu betätigen. Er teilt selbst über diesen Vorfall folgendes mit: »Die Hofkonzerte bei der Herzogin fanden in jeder Woche einmal statt und waren der Hofkapelle im höchsten Grade zuwider, da nach damaliger Sitte während der Musik Karten gespielt wurde. Um dabei nicht gestört zu werden, hatte die Herzogin befohlen, daß das Orchester immer piano spiele. Der Kapellmeister ließ daher Trompeten und Pauken weg und hielt streng darauf, daß nie eine Forte zur Kraft kam. Da dies in Symphonien, so leise auch die Kapelle spielte, nicht immer ganz zu vermeiden war, so ließ die Herzogin auch noch einen dicken Teppich dem Orchester unterbreiten, um den Schall zu dämpfen. Nun hörte man das ›ich spiele, ich passe‹ usw. allerdings lauter als die Musik.«
Spohr debütierte in einem dieser Hofkonzerte mit einer selbstverfaßten Komposition. »Erfüllt von meinem Werke«, so berichtet er weiter, »welches ich zum ersten Male mit Orchester hörte, vergaß ich ganz des Verbots und spielte mit aller Kraft und allem Feuer der Begeisterung, so daß ich selbst das Orchester mit fortriß. Plötzlich wurde ich mitten im Solo von einem Lakai am Arm gefaßt, der mir zuflüsterte: ›die Frau Herzogin läßt Ihnen sagen, Sie sollen nicht so mörderlich darauf losstreichen!‹ Wütend über diese Störung spielte ich womöglich nur noch stärker, mußte mir aber auch nachher einen Verweis vom Hofmarschall gefallen lassen.«
Eine andere Probe seiner Denkungsart legte Spohr als achtzehnjähriger Jüngling während seines Danziger Aufenthaltes (1802) ab. Eine Dame der dortigen Geldaristokratie, welche ihm einen besondern Anteil schenkte, ließ sich von ihm seine Jugenderlebnisse erzählen und fragte ihn im Laufe der Unterhaltung, ob er nicht doch besser getan haben würde, statt der Kunst sich dem Berufe seines Vaters zu widmen. Der Befragte blieb die Antwort nicht schuldig und erwiderte: »So hoch der Geist über dem Körper steht, so hoch steht auch Der, welcher sich der Veredlung des Geistes widmet, über Dem, der nur den vergänglichen Körper pflegt.« Ergänzt wird diese von einer bei so jungen Jahren seltenen Reife des Geistes zeugende Äußerung durch Spohrs Verhalten bei seiner ersten Anwesenheit in Leipzig (1803). Er spielte dort mit anderen Kunstgenossen in einer Gesellschaft eines der ersten Streichquartette von Beethoven, sah sich aber genötigt, den Vortrag plötzlich zu unterbrechen, weil die Anwesenden eine laute Konversation führten. Als der Wirt des Hauses über Spohrs Verhalten ein Befremden zeigte, bemerkte der Künstler: »Ich war bisher gewohnt, daß man meinem Spiele mit Aufmerksamkeit zuhörte. Da dies hier nicht geschah, so glaubte ich der Gesellschaft gefällig zu sein, indem ich aufhörte.« Auf den Wunsch des Gastgebers setzte Spohr indes den Vortrag des nicht beendeten Musikstückes fort und hatte die Genugtuung, daß nun alles sich lautlos still verhielt.
Wahrhaft verdient machte sich Spohr um die gesellschaftliche Stellung des Musikers durch den energischen Widerstand, welchen er dem hochmütigen Gebaren des englischen Kastengeistes entgegensetzte. Bekanntlich herrschte dort ehedem in den Kreisen der »vornehmen Gesellschaft« die Unsitte, die zur Unterhaltung kleinerer und größerer Privatzirkel herbeigezogenen Künstler in besonderen, von der Gesellschaft entfernten Räumen abzusperren und beim Beginn der musikalischen Vorträge durch eine Seitentür den anwesenden Gästen einzeln und nacheinander vorzuführen. Wer sein Pensum absolviert hatte, verschwand dann ebenso, wie er eingetreten war. Als nun Spohr bei seiner ersten Anwesenheit in London (1820) vom Herzog von Clarence eine Einladung empfing, mit seiner Gattin in einer derartigen musikalischen Soiree mitzuwirken, folgte er derselben mit dem festen Vorsatze, sich der üblichen menagerieartigen Behandlung um jeden Preis zu entziehen. Bei seinem Eintritt ins Haus bedeutete man ihn, daß er sich in das Wartezimmer der musikalischen Opfer des Abends zu verfügen habe. Ohne sich jedoch in eine Erörterung darüber einzulassen, begab er sich ohne weiteres nach den Gesellschaftsräumen. »Die Herzogin«, so erzählt er, »eingedenk der deutschen Sitte Sie war eine deutsche Prinzessin., erhob sich sogleich von ihrem Platze, kam meiner Frau einige Schritte entgegen, und führte sie zum Damenkreise. Auch der Herzog bewillkommnete mich mit einigen freundlichen Worten und stellte mich den umstehenden Herren vor. Als das Konzert beginnen sollte, ließ der Haushofmeister die eingeladenen Künstler, nach der Reihe, wie das Programm sie nannte, heraufholen. Sie erschienen mit dem Notenblatte oder dem Instrument in der Hand, begrüßten die Gesellschaft mit einer tiefen Verbeugung, die, so viel ich bemerkte, von Niemandem als von der Herzogin erwidert wurde, und begannen ihre Vortrage. Es war die Elite der ausgezeichnetsten Sänger und Virtuosen Londons und ihre Leistungen waren fast alle entzückend schön. Das schien das vornehme Auditorium aber nicht zu fühlen; denn die Konversation riß keinen Augenblick ab. Nur als eine sehr beliebte Sängerin auftrat, wurde es etwas ruhiger und man hörte einige leise Bravo, für die sie sich sogleich durch tiefe Verbeugungen bedankte. Ich ärgerte mich sehr über die Entwürdigung der Kunst und noch mehr über die Künstler, die sich solche Behandlung gefallen ließen, und hatte die größte Lust, gar nicht zu spielen. Ich zögerte daher, als die Reihe an mich kam, absichtlich so lange, bis der Herzog, wahrscheinlich auf einen Wink seiner Gemahlin, mich selbst zum Spielen aufforderte. Nun erst ließ ich durch einen Diener mein Violinkästchen heraufholen und begann dann meinen Vortrag, ohne die übliche Verbeugung zu machen. Alle diese Umstände mochten die Aufmerksamkeit der Gesellschaft erregt haben, denn es herrschte während meines Spiels eine große Stille im Saal. Als ich geendet hatte, applaudirte das herzogliche Paar, und die Gäste stimmten mit ein. Nun erst dankte ich durch eine Verbeugung. Bald darauf schloß das Konzert und die Musiker zogen sich zurück. Hatte es nun schon Sensation erregt, daß wir uns der Gesellschaft anschlössen, so steigerte sich diese noch um Vieles, als man sah, daß wir auch zum Souper dablieben, und bei demselben von den herzoglichen Wirthen mit großer Aufmerksamkeit behandelt wurden.«
Das von Spohr gegebene Beispiel hatte zur Folge, daß man in den vornehmen Kreisen Englands nach und nach mit dem herkömmlichen Vorurteil brach und denjenigen, die zur Verschönerung des gesellschaftlichen Lebens so wesentlich beitragen, eine äußerlich wenigstens gleichberechtigte soziale Stellung zuerkannte. Und doch blieb dem trefflichen Meister schließlich nicht die bittere Erfahrung erspart, daß jeder Mensch mehr oder minder ein Sklave der Verhältnisse ist, von denen er sich entweder freiwillig oder auch notgedrungen abhängig macht. Veranlassung dazu gab eine Kontroverse mit seinem 1866 mediatisierten Landesfürsten, welcher dem freidenkenden, gegen die Hassenpflugsche Willkürherrschaft eingenommenen Meister einmal die Konsequenzen des Beamtenstandes in unliebsamer Weise fühlbar machen wollte.
Spohr hatte kontraktlich einen jährlichen Urlaub von 6-8 Wochen zu fordern, der ihm jederzeit während der Sommerferien des Hoftheaters gewährt worden war. Obwohl er kein schriftliches Dokument darüber besaß, zu welcher Zeit speziell ihm dieser Urlaub zustehe, so glaubte er sich hierin an das langjährige Herkommen halten zu dürfen. Als er aber im Sommer 1852 seine gewöhnliche Ferienreise antreten wollte, wurde ihm wider Erwarten der Urlaub verweigert. Im Bewußtsein seines guten Rechtes entfernte er sich, nachdem er deshalb eine amtliche Anzeige gemacht, trotzdem von Kassel. Es wurde ihm dafür eine Geldbuße von 350 Talern zuerkannt, und nach einem mehr als vier Jahre währenden Prozeß mit dem Staatsanwalt, welchen er wegen »widerrechtlicher Gehaltsentziehung« verklagte, mußte er sich dieser Verurteilung unterwerfen.
Dieser Erfahrung folgte bald eine noch kränkendere, da sie nicht einmal, wie die erste, den Schein des Rechtes für sich hatte. Spohr wurde, obwohl ihm bei seinem Amtsantritte der volle Gehalt bis zum Tode zugesichert worden war, durch seine Ende 1857 erfolgte Pensionierung um einen Teil seiner Einkünfte gebracht. Er schrieb darüber an seinen Schüler Bott: »Daß ich vom Kurfürsten, ohne mein Verlangen, in den Ruhestand versetzt worden bin, und daß er mich, trotzdem ich mir meinen Gehalt auf Lebenszeit ausbedungen hatte, mit 1500 Thaler pensionirt hat, scheinst Du noch nicht erfahren zu haben. Anfangs war es mir fatal, weil ich mich zum Dirigiren der wenigen Opern, die zuletzt noch meinen Anteil bildeten, noch vollkommen rüstig fühle. Bald aber lernte ich meine jetzige Freiheit erkennen und würdigen, und fühle mich nun sehr froh, in jedem Augenblick auf die Eisenbahn gehen und hinfliegen zu können, wohin ich will! Auch habe ich mir den Gehaltsabzug gefallen lassen, weil ich erfuhr, daß ich ohne einen neuen Prozeß nicht die Auszahlung des vollen Gehaltes würde erwirken können, und weil es meinem Gefühle widerstrebte, ohne alle Geschäfte von meiner Seite den vollen Gehalt annehmen zu sollen, da ich auch mit Dreiviertel, mit Hülfe meines Ersparten, sehr gut auskommen kann!«
Spohr war als Tonsetzer ungemein tätig. Es gibt keine Kunstgattung, an der er nicht sein Gestaltungsvermögen geübt hätte. Wie bedeutende persönliche Erfolge er auch dadurch erreichte, so läßt sich doch nicht in Abrede stellen, daß die Eigenart seines Talents im allgemeinen zu wenig ergiebig war, um als produktiver Geist, namentlich im Hinblick auf die höheren und umfassenderen Aufgaben, durchweg Werke von dauerndem Kunstwerte hervorzubringen. Zwar finden wir in seinen Schöpfungen ohne Ausnahme eine gediegene, echt künstlerische Richtung und ein tüchtiges Musikertum, und niemals läßt er sich zu Effekthascherei oder zu seichter, oberflächlicher Behandlungsweise seiner Aufgaben herab. Doch sind Empfindung und Ausdrucksweise bei ihm so stereotyp maniriert, daß der Anteil des Genießenden, vereinzelte Fälle ausgenommen, nur zu leicht ermüdet. Hierzu kommt, daß es seinem Naturell an rhetorischem Schwung, kerniger, kraftvoller Erhebung und kontrastierender Schlagfertigkeit gebricht. Sein Geistesfluß bewegt sich daher meist in einer mittleren Sphäre, die zwar durch die betätigte künstlerische Gesinnung tiefste Achtung einflößt und wohltuend berührt, oder doch keine warme Begeisterung anfacht. Das Wesen seiner lyrisch elegischen und weichen, zur sentimental melancholischen Stimmung hinneigenden Melodik, welche sich nicht selten wie ein trüb verschleiertes Gegenstück zu den üppig lebensvollen und süß schwelgenden Tonergüssen Mozarts, seines Vorbildes, ausnimmt, bleibt sich im wesentlichen überall gleich und geht sogar bis zu einem gewissen Grade auf die Figuration über. Aus diesem Grunde hat die Spohrsche Musik, der es meist an Straffheit und Elastizität fehlt, etwas Schwerfälliges, eine Eigenschaft, die noch durch die komplizierte Harmonik verstärkt wird.
Welche Bedeutung Spohrs schöpferisches Gesamtwirken für die musikalische Welt der Gegenwart hat S. hierüber die von dem Verf. d. Bl. versuchte Charakteristik Spohrs in der Deutschen (Wiener) Musikzeitung vom Jahre 1860, Nr. 3., ist an dieser Stelle im besonderen nicht weiter zu erörtern. Uns beschäftigen hier ausschließlich die Violinkompositionen des Meisters, unter denen vor allem die Violinkonzerte unsere Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen. Sie offenbaren ohne Ausnahme jenes edle, vornehme Wesen, welches Spohrs Musik überhaupt charakterisiert. Doch kommen alle Eigenschaften seines Naturells in ihnen reiner und ungetrübter zur Erscheinung, als in seinen anderweiten größeren Werken, weil er sich hier auf einem von ihm völlig beherrschten Gebiet bewegt. Die feinste Kennerschaft des Instrumentes, für welches er schrieb, gewährte ihm bei seiner meisterlichen Durchbildung in der Kompositionstechnik die Möglichkeit, den vollen Gehalt der produktiven Kraft ungeschmälert zum Ausdruck zu bringen. Es ist natürlich, daß seine 17 Violinkonzerte, unter denen sich zwei sogenannte Doppelkonzerte befinden, nicht von gleichem künstlerischem Wert sind. Vorzugsweise heben sich aus der Reihe derselben das siebente ( Op. 38, e-moll), das achte ( Op. 47, a-moll) und das neunte ( Op. 55, d-moll) durch ungewöhnliche Bedeutung des Inhaltes hervor. Sie werden vor allen andern den Namen des Autors verewigen. Die ihnen vorausgehenden gleichartigen Werke zeigen die Individualität desselben noch nicht bis zur vollen Reife entwickelt, und was dem neunten Konzert folgt, erweist sich im wesentlichen als Wiederholung des schon Vorhandenen. Sehr bedeutend sind in ihrer Art die Violinduetten Spohrs, welche sich durch schöne Gestaltung und Volltönigkeit des Satzes auszeichnen, – Eigenschaften, die unter allen vorhandenen gleichartigen Produkten der Violinliteratur nur noch den Hauptmannschen Duos nachgerühmt werden können.
Spohr war ein hervorragender Repräsentant der Violinkomposition, und unter den deutschen Geigern bis auf unsere Tage im Grunde der einzige bedeutende Tonsetzer seines Faches. Seine drei ebenerwähnten Konzerte reihen sich würdig dem an, was Bach, Mozart, Beethoven und Mendelssohn in dieser Gattung geschaffen haben. Einen wesentlichen Fortschritt bewirkte er im Hinblick auf Viottis Konzerte. Er gab der Form des Violinkonzertes mehr Fülle und Einheit des Organismus, und führte die poetische Grundstimmung des Ganzen konsequenter, erschöpfender durch als jener italienische Meister, dem er ohnehin an künstlerischer Einsicht und Begabung in jeder Beziehung überlegen war. Hier ist es nun einleuchtend, daß der Vorrang, welchen Spohrs Musikertum behauptet, in der Vielseitigkeit seines Schaffens begründet war. Indem er sich, auf eine gediegene Richtung gestützt, die höchsten Kunstaufgaben stellte, gewann er eine geläuterte Kräftigung des Sinnes, die ihn befähigte, in dem ihm speziell zugewiesenen Gebiete der Violinkomposition außerordentliches zu leisten. Seinen großen Vorgängern sich anschließend, behandelte er die Geige als Gesangsinstrument. Seine Kantilene, obwohl immer in den engen Grenzen des ihm eigenen Stimmungsgebietes gehalten, ist von edlem, feinfühligem und oft keuschem Ausdruck, und die mit derselben alternierenden, meist durchaus originell erfundenen Passagensätze tragen stets ein dem Gesamtcharakter des Stückes entsprechendes Gepräge. Sie sind nicht, wie selbst bei Viotti noch, konventioneller Natur, haben auch keineswegs den bloßen Zweck einer violinmäßig brillanten Wirkung, sondern erscheinen vielmehr als wohldurchdachte, notwendige Emanationen der von ihm ergriffenen Gefühlstonart. Weit entfernt daher, die letztere zu alterieren, wie es so häufig gerade in Solokompositionen der Fall ist, bringen sie dieselbe zu entschiedenerem Ausdruck und schärfen wesentlich das individuelle Gepräge der Spohrschen Manier. Hieraus erklärt sich die eigentümliche Violintechnik, welche der Meister für sich und seine Schule schuf. Zum Teil war dieselbe allerdings auch durch die ungewöhnlich große, stark ausgebildete Hand des Künstlers bedingt. Seine Manier fordert vom Spieler breite, voluminöse Tonbildung für die Kantilene und Passage, außerordentliche Spannfähigkeit der Finger, große Gewandtheit in einer gewissen wechselreichen Art des Lagenspieles und geschmeidige Glätte der Bogenführung. Das scharf Pointierte der letzteren, was den französischen Strich insbesondere charakterisiert, mit einem Wort, die Pikanterien des Bogens, bleiben hier nahezu ausgeschlossen. Alles geht bei Spohr auf eine ruhig gemessene und gehaltvolle Behandlung des Instrumentes hinaus. Dem entsprach denn auch vollkommen das Spiel des Meisters. Eminent war die Würde, mit welcher er die Violine behandelte. Trotz der ihm zu Gebote stehenden technischen Vollendung erweckten seine Leistungen doch niemals das Gefühl, als ob er das Instrument nur um seiner selbst willen handhabte; es war ihm immer nur Vehikel für eine begeistigte Tonsprache. Bewundernswert erschien insbesondere seine breite, langatmige Bogenführung, die den Saiten einen sonoren, zwar etwas gedeckten, doch klangvoll markigen und ungemein geklärten Ton entlockte. Diese Vorzüge, welche den Spohrschen Bogen unter Deutschlands Geigern sprichwörtlich machten, wußte der Künstler sich selbst bis in seine letzten Lebensjahre zu bewahren. Die Maximen seiner Violinbehandlung legte er in der von ihm bereits im Jahre 1831 verfaßten und bald darauf veröffentlichten Violinschule nieder. Der Text dieses umfangreichen Werkes zeichnet sich durch eindringlich klare Behandlung der einschlagenden Fragen aus und bietet musterhafte Erörterungen über die Kunst des Violinspiels. Die zahlreichen häufig breiter ausgeführten Notenbeispiele dagegen können als Übungsmaterial nur eine sehr relative Bedeutung beanspruchen. Man wird ihrer um so leichter entraten können, als die anderweit in reichlichem Maße vorhandenen Spohrschen Violinkompositionen alle jene Vorteile für das technische Exerzitium bieten, die sich etwa aus diesen Schuletüden ergeben. Höchstens dürften sie teilweise als Vorübungen für den eigentümlichen Stil des Meisters Wert haben.
Als ein Fehler dieses Werkes darf die nur kärgliche Berücksichtigung der Elementarstufen, sowie der Mangel eigentlich methodischer Exempel für dieselben bezeichnet werden. Offenbar steht er mit dem Umstande in Verbindung, daß Spohr vorzugsweise wohl nur bereits weitentwickelte Schüler unterrichtete; so mochten ihm die pädagogischen Forderungen für eine zweckmäßige Leitung des Anfängers vielleicht nie vollständig zu klarem Bewußtsein gelangt sein. Jedenfalls hat er durch seine persönliche Lehre unendlich mehr für das deutsche Violinspiel gewirkt als durch sein Schulbuch.
Eine freilich nur nebensächliche von Spohr eingeführte Neuerung, der tellerförmige, über dem Saitenhalter angebrachte Kinnhalter nämlich, welcher hauptsächlich darauf berechnet war, dem Kinn eine feste Stütze zu geben, ohne einen Druck auf die Oberdecke der Violine auszuüben, fand nicht Eingang. Doch gab sie augenscheinlich Veranlassung zu dem jetzt fast allgemein im Gebrauch stehenden, sehr zweckmäßig konstruierten und geschickt angebrachten Kinnhalter, dessen Anwendung besonders auch Anfängern zu empfehlen ist, weil dadurch die richtige Haltung der Geige erleichtert wird.
Obwohl Spohr das Lehramt bereits vor seiner Berufung nach Kassel geübt hatte, so widmete er demselben doch erst in regelmäßigerer und umfassenderer Weise seine Kräfte, nachdem er sich in der genannten Stadt niedergelassen. Von allen Seiten, von nah und fern strömten jüngere und ältere Geiger herzu, um unter seiner Leitung zu studieren. Es werden im ganzen 187 Schüler namhaft gemacht In einer von Malibran veröffentlichten Lebensskizze Spohrs (Frankfurt, Sauerländers Verlag) findet sich ihr vollständiges Verzeichnis.. Durch dieselben sind Italien, Rußland, Polen, England, Frankreich, Norwegen, Amerika, vor allem aber Deutschland vertreten, welches ihm von der genannten Zahl allein etwa 150 Zöglinge zuführte. Die namhaftesten darunter sind: Wassermann, Leon de St. Lubin, Ries, Pott, Schön, David, Hartmann, Bott, Kömpel und die Gebrüder Bargheer. Moritz Hauptmann, der gleichfalls zu Spohrs Violinschülern gehört, zeichnete sich nicht als Geiger, sondern als musikalischer Theoretiker aus. Unter den Ausländern, die in Kassel studierten, wären der Engländer Blagrove sowie der Däne Wexschall hervorzuheben.
So weit die Wirkungen der Spohrschen Schule sich auch über die Grenzen des Vaterlandes hinauserstreckten, so gewann dieselbe ihre wichtigste Bedeutung natürlicherweise für das letztere selbst. Es ist eine Tatsache, daß seit Spohrs Meisterzeit der bei weitem größte Teil aller in Deutschland vorhanden gewesenen Violinspieler einen wesentlichen Zusammenhang, wenn auch nicht im ersten, so doch im zweiten und dritten Gliede mit dem Kasseler Meister hatte.
Heinrich Joseph Wassermann, geb. am 3. April 1791 zu Schwarzbach bei Fulda, war eines Musikers Sohn und befaßte sich schon seit seiner Kindheit mit dem Violinspiel. Den ersten geregelten Unterricht auf der Geige sowie in der Komposition erhielt er von dem Kantor Hankel in Fulda. Später empfing er Spohrs Lehre, der ihm auch eine Stelle am Hofe des Fürsten von Hechingen verschaffte. 1817 übernahm er das Amt des Musikdirektors in Zürich, indem er hoffte, durch den Klimawechsel seine seit der Jugend vielfach schwankende Gesundheit zu befestigen. Im Jahre 1820 folgte er dem Ruf Konradin Kreutzers als Konzertmeister der Donaueschinger Kapelle. Mehrere Jahre danach begab er sich nach Stuttgart, hierauf nach München und dann für einige Zeit nach Paris. 1828 übernahm er die Funktion des Konzertmeisters in Genf, und weiterhin diejenige in Basel. Durch ein hartnäckiges Nervenleiden wurde er aber genötigt, der künstlerischen Tätigkeit zu entsagen. Er nahm nun seinen Aufenthalt in dem Dorfe Richen nahe bei der letztgenannten Stadt. An jenem Orte starb er im August des Jahres 1838. Von seinen Violinkompositionen veröffentlichte er Variationen mit Quartettbegleitung ( Op. 4) und leichte Duetten für zwei Geigen. Außerdem gab er ein paar Kammermusikwerke, Tänze für Orchester und einige Stücke für die Gitarre heraus.
Der von einem französischen Elternpaare abstammende, am 8. Juli 1805 Die vielfach verbreitete Angabe, daß Lubin 1801 geboren sei, wird durch seine Grabschrift auf dem katholischen Kirchhofe in Berlin widerlegt (Ledeburs Tonkünstlerlexikon). in Turin geborene, doch seit früher Jugend von deutschem Geiste beeinflußte Violinist Leon de St. Lubin war der Sohn eines in Hamburg lebenden Sprachlehrers. Sein Talent zeigte sich frühzeitig. Nachdem er schon öffentlich gespielt, war erst Polledro, dann aber Spohr sein Lehrer. Seit 1827 war er Orchestermitglied des Josephstädter Theaters in Wien. Man sagt, daß er während dieser Zeit noch Joseph Böhms Anleitung genossen habe. 1830 wurde er Konzertmeister am Königsstädter Theater in Berlin. Sein Tod erfolgte hier am 13. Februar 1850. Als Komponist war St. Lubin nicht nur für sein Instrument, sondern auch für die Bühne tätig.
Hubert Ries, der Bruder von Ferdinand Ries, geb. am 1. April 1802 in Bonn, gest. am 14. September 1886 zu Berlin, erhielt den ersten Violinunterricht von seinem Vater und wurde 1820 Spohrs Eleve. Einen Wirkungskreis fand er 1824 zunächst am Königsstädter Theater in Berlin, den er ein Jahr später mit einer Stelle in der königl. Kapelle vertauschte. Er gehörte derselben von 1836 bis 1872 als Konzertmeister an. Ein Teil seiner Kompositionen erschien im Druck.
Von seinen drei dem Künstlerberufe angehörenden Söhnen hat sich der jüngste, mit Vornamen Franz, besonders ausgezeichnet. Dieser wurde am 7. April 1846 in Berlin geboren. Den Violinunterricht erteilte ihm sein Vater und von 1866-1868 noch Massart in Paris; in der Theorie war er Kiels Schüler. Als Solospieler entfaltete er eine erfolgreiche Tätigkeit, die er aber vom Jahre 1873 ab infolge eines Nervenleidens nicht weiter fortsetzen konnte. Als Komponist hat Ries jun. sich durch eine beträchtliche Anzahl von Werken, unter denen sich auch allgemein geschätzte Geigenstücke befinden, vorteilhaft bekannt gemacht. Er ist übrigens Mitbegründer und Teilhaber der in Berlin seit einer Reihe von Jahren unter der Firma Ries und Erler bestehenden Musikalien-Verlagshandlung.
Als bemerkenswerter Zögling von Hubert Ries ist hier noch Leopold Damrosch, geb. am 22. Oktober 1832 in Posen, zu erwähnen. Er studierte unter Ries während seines Besuchs der Berliner Universität, auf der er sich für die medizinische Laufbahn vorbereitete. Seit 1858 war er als Kapellmeister in Breslau tätig. Im Jahre 1871 ging er nach Newyork, wo er 14 Jahre hindurch als geschätzter Dirigent wirksam war. Dort starb er am 15. Februar 1885.
Der ehemalige oldenburgische Hofkapellmeister August Pott, geb. am 7. November 1806 zu Northeim im Hannoverschen, gest. am 27. August 1883 in Graz, wurde Spohrs Zögling, nachdem er durch seinen Vater für den Künstlerberuf vorbereitet worden war. 1832 trat er seine Wirksamkeit in Oldenburg an, und 1861 wurde er pensioniert. Seitdem lebte er in Graz. Er veröffentlichte mehrere Violinkompositionen.
Durch einige pädagogische Arbeiten für die Violine machte sich Spohrs Schüler Moritz Schön bekannt. Er wurde 1808 in Krönau in Mähren geboren und lebte der Kunst seit 1835 in Breslau, wo er Mitbegründer der Philharmonischen Gesellschaft war und ein Institut für Violinspiel errichtete. In Breslau starb er am 8. April 1885.
Franz Hartmann, geb. 29. Juli 1809 in Ehrenbreitstein, erlernte die Anfangsgründe des Violinspiels bei seinem Vater, der selbst Musiker und Mitglied des Orchesters in Koblenz war. Nachdem er sich unter Beihilfe anderer Fachmänner einen gewissen Grad von Tüchtigkeit erworben, vollendete er in den Jahren 1824-25 sein Studium in Kassel bei Spohr, der ein besonderes Wohlwollen für den strebsamen Jüngling an den Tag legte. Dann wandte er sich nach Hamburg und von dort nach Frankfurt a. M. Hier fand er durch C. Guhr Anstellung bei der ersten Violine im Stadtorchester. Im Jahre 1833 entzog ihn die Militärpflicht seinem Berufskreise. 1836 übernahm er die Funktionen des Konzertmeisters am Theater und bei den »Gesellschaftskonzerten« in Köln, neben denen er sich die Pflege des Quartettspiels angelegen sein ließ. Überdies war er bei der Kölner Musikschule als Lehrer des Violinspiels tätig. Ein typhöses Fieber raffte ihn am 6. April 1855 im kräftigsten Mannesalter dahin.
Spohrs Lieblingsschüler Jean Joseph Bott, der vielleicht wie kein anderer, wenigstens in früheren Jahren, die Spielweise seines Meisters in gewissen Beziehungen reproduzierte, und von dem dieser an die Mozartstiftung in Frankfurt berichtete, daß er nie einen so fähigen Schüler gehabt als ihn, wurde am 9. März 1826 zu Kassel geboren. In früher Jugend schon erhielt er nicht nur Violin-, sondern auch Klavierunterricht von seinem Vater, einem Mitgliede der kurfürstl. Kapelle, und entwickelte sich so schnell, daß man ihn als achtjährigen Knaben bereits öffentlich auftreten lassen konnte. Nun übernahm Spohr seine weitere Ausbildung, zu der später noch die theoretische Unterweisung Hauptmanns kam. Als diesem die Leipziger Kantorwürde übertragen wurde, leitete Spohr auch die Kompositionsstudien Botts. 1841 wurde Bott durch das Stipendium der Mozartstiftung ausgezeichnet, und nachdem er sich mannigfach als Konzertspieler von seltener Begabung bewährt hatte, wurde er 1848 zum Hofkonzertmeister und 1852 zum zweiten Hofkapellmeister in Kassel ernannt. Dennoch verließ er später seine Vaterstadt und übernahm 1857 die Direktion der Meiningenschen Hofkapelle, dann aber den Konzertmeister- und bald darauf auch den Kapellmeisterposten in der Hannoverschen Kapelle. Seit 1878 pensioniert, lebte er eine Zeitlang in Magdeburg und ging dann nach Amerika, wo er in Newyork am 30. April 1895 starb. Bott hat mehrere Violinkompositionen veröffentlicht, doch sich auch in anderen Gattungen versucht und namentlich zwei Opern, »Der Unbekannte« und »Aktäa«, geschrieben, die mehrfach zur Aufführung gelangten.
August Kömpel, einer der begabteren Violinisten der jüngeren Generation, welcher durch seine ausgezeichneten Anlagen Spohrs besondere Teilnahme erregte, wurde am 15. August 1831 im bayerischen Orte Brückenau geboren, wo sein Vater als Musiker lebte. Im Dezember 1840, also im zehnten Lebensjahr, trat er in die Würzburger Musikschule ein. Nachdem er diese verlassen, kam Kömpel im Februar 1844 nach Kassel. Hier fand er einen Gönner in dem Amtsrat Lüdner, der ihm die nötigen Subsistenzmittel gewährte, während Spohr ihm die Auszeichnung eines unentgeltlichen dreijährigen Unterrichtes gewährte. Nun war Kömpel so weit im Geigenspiel vorgeschritten, daß er mit Erfolg für sich allein weiter studieren konnte. Seine Tüchtigkeit verschaffte ihm auch bald eine Stellung: er wurde Mitglied der Kasseler Hofkapelle, welcher er von 1849 bis zum Herbst 1852 angehörte. Während dieser Zeit benutzte er die Sommerferien dazu, um bei Ferd. David in Leipzig noch einige Studien zu machen. 1852 verließ Kömpel Kassel, um als Solist in die Hannoversche Hofkapelle einzutreten. Dort war seines Bleibens bis 1861. Inzwischen unternahm er auch eine größere Kunstreise, die ihn über Frankfurt nach Brüssel, Paris und London führte. In allen diesen Städten konzertierte Kömpel mit bestem Erfolg. Auf einer zweiten Reise, die er 1861 antrat, verweilte er längere Zeit in Holland und am Niederrhein als gern gesehener und beifällig aufgenommener Künstler. Auch im Leipziger Gewandhauskonzert ließ er sich hören. Diese und andere Erfolge als Solist bewirkten zu Anfang 1863 seine Berufung als Konzertmeister an den Weimarer Hof. Im Sommer des Jahres 1884 wurde er pensioniert. Während seiner geschätzten Wirksamkeit in der Thüringer Residenz machte er von Zeit zu Zeit kleinere und größere Konzertausflüge, die ihn u. a. im Winter 1866-1867 nochmals nach Paris führten. Er starb am 7. April 1891 zu Weimar.
Als weitere Schüler Spohrs sind die Gebrüder Bargheer zu nennen.
Carl Louis Bargheer, ein gediegener Geiger, wurde am 31. Dezember 1831 in Bückeburg geboren, wo sein Vater in der fürstlichen Kapelle zunächst als Oboebläser, dann aber als Musikmeister tätig war. Von diesem erhielt er mit Beginn des siebenten Jahres den ersten Unterricht nach Campagnolis Violinschule. Von 1848-50 studierte er in Kassel unter Spohrs Leitung. Dieser empfahl ihn an die Detmolder Hofkapelle, in welcher er bei der ersten Violine eine feste Stellung fand. Der Fürst von Lippe-Detmold gewahrte ihm bald darauf die Mittel, um noch für einige Monate nicht nur bei Ferd. David, sondern später auch noch bei Joachim in Hannover weiter zu studieren. Im Jahre 1860 wurde er von seinem fürstlichen Gönner zum Konzertmeister, und zwei Jahre später zum Hofkapellmeister ernannt. Bargheer hat sich auf mannigfachen Reisen als trefflicher Solist bewährt und wirkte seit Auflösung der Detmolder Kapelle (1876) als Konzertmeister und als Lehrer des Violinspiels in Hamburg. Beide Stellungen hatte er bis 1889 inne. Weitere Nachrichten über ihn fehlen. Sein jüngerer Bruder
Gustav Adolph Bargheer, geb. 21. Oktober 1840, erhielt gleichfalls von seinem siebenten Lebensjahre ab den Unterricht des Vaters, und dann für einige Zeit (1857-1858) auch denjenigen Ludwig Spohrs und Jos. Joachims. Nach vollendeter Lehrzeit wurde er bei der ersten Violine in der Detmolder Kapelle angestellt, von wo er dem Ruf als Konzertmeister nach München folgte. Seit 1866 war er als Lehrer des Violinspiels an der Musikschule zu Basel und zugleich als Konzertmeister tätig. Das Jahr seines Todes ist nicht bekannt (vgl. den Anhang!).
Henry Gamble Blagrove, geb. am 20. Oktober 1811 in Nottingham, empfing seine erste Ausbildung, die er weiterhin noch während eines einjährigen Studiums (1833-1834) bei Spohr in Kassel vollendete, unter Anleitung Fr. Cramers in der Londoner » Royal academy of music«. Einen seinem Talent angemessenen Wirkungskreis fand er in der englischen Hauptstadt als sehr geschätzter Violinist. Er starb dort am 15. Dezember 1872.
Frederik Torkildsen Wexschall, welcher am 9. April 1798 zu Kopenhagen geboren wurde, vermittelte den Einfluß der Kasseler Schule für Dänemark, da er einige Zeit unter Spohrs Leitung studierte. Dies geschah, als Wexschall 1819 Deutschland und Frankreich bereiste, um sich im Auslande bekannt zu machen. Seit früher Jugend mit der Violine beschäftigt, konnte er sich im siebenten Lebensjahre bereits in einem Konzerte am Hofe seiner Vaterstadt hören lassen. 13 Jahre alt, wurde er als Kapellist und 1835 als erster Solospieler im königl. Orchester angestellt. Außer Spohr hatte er vorher Lem, Tienroth und Möser zu Lehrern gehabt. Sein Spiel zeichnete sich durch bedeutende Fertigkeit, schöne Tonbildung und energische Bogenführung aus. Unter seinen zahlreichen Schülern hat sich N. W. Gade, freilich nicht als Violinspieler, in weitesten musikalischen Kreisen bekannt gemacht. Auch Ole Bull genoß vorübergehend seinen Unterricht. Er starb am 25. Oktober 1845 in Kopenhagen.
Zu bedeutenderem Ansehen, als die sämtlichen vorhergehend erwähnten Schüler Spohrs, gelangte Ferdinand David. Dieser Künstler hatte während seines von 1823-1825 in Kassel genommenen Aufenthaltes die Lehre des epochemachenden Meisters genossen, doch aber dessen edle und würdevoll gehaltene Spielweise nicht zum ausschließlichen Vorbild genommen. Die musikalische Darstellungsweise beider Männer erwies sich in der Tat als eine grundverschiedene. Wenn Spohrs Leistungen, wenigstens in späteren Jahren, stets den Stempel eines gravitätisch vornehmen Ausdruckes trugen, so reflektierte sich in Davids Spiel hauptsächlich ein lebhaftes, aber doch mehr äußerlich als innerlich erregtes Temperament mit unverkennbarer Neigung zu einem geistreich spekulativen Raffinement des Effektes. David huldigte einem nicht durchaus empfehlenswerten Eklektizismus. Er war der Meinung, daß es besser sei, heterogene Richtungen in sich aufzunehmen und zu verwerten, als nach einer bestimmten künstlerischen Norm sich zu bilden. Dieser Standpunkt, im Zusammenhange mit den eben angedeuteten Charaktereigenschaften, verlieh seinen Leistungen eine eigentümlich schillernde Vermengung verschiedenartiger Manieren des Violinspiels, wodurch sich endlich eine nicht sonderlich anmutende Art des Vortrages bei ihm herausbildete. Über dieselbe sprach sich Otto Jahn bei Gelegenheit eines Musikberichtes vom Jahre 1855 in den Grenzboten folgendermaßen aus: »Überhaupt macht sich leider in dem Spiel des Herrn David immer mehr eine forcirte Manierirtheit geltend, welche einer treuen, innigen Hingebung an die Sache, einer einsichtigen Unterordnung unter das Ganze, wie sie für das Quartettspiel unerläßliche Bedingungen sind, gerade entgegengesetzt ist ... Ebensowenig kann man es billigen, wenn er mancherlei moderne Spielerkunststückchen anwendet, um den Haydnschen und Mozartschen Sachen einen pikanten Reiz zu geben. Eins schickt sich nicht für alle: was in der bunten Reihe Bezieht sich auf die von David unter dem Titel »Bunte Reihe« herausgegebenen Salonstücke. am Platz sein mag, muß dieser Musik fern bleiben. Die Art wie Herr David namentlich in den Haydnschen Quartetts kokettirt, als wolle er zeigen, was er aus einem Haydnschen Quartett zu machen imstande sei, wie er z. B. begleitende Figuren vortragt, als wolle er sagen: So accompagnirt die erste Violine! ist eine arge Überhebung und Geschmacklosigkeit.«
Wer David niemals gehört hat, könnte auf Grund dieses rigorosen und sogar etwas schroff abgefaßten Urteils glauben, daß er eine virtuose Richtung gehabt habe. Dies war jedoch keineswegs der Fall. Vielmehr blieb bei ihm nicht nur durch den Umgang mit Spohr und Moritz Hauptmann, dessen Kompositionsschüler er gleichzeitig in Kassel war, sondern auch insbesondere durch den häufigen Verkehr mit Mendelssohn eine derartige Richtung ausgeschlossen. Dennoch war es nicht zu verkennen, daß sein Spiel trotz einer gediegen geschulten und gewandten Technik, namentlich während der zweiten Hälfte seines Leipziger Wirkens, den Anforderungen an eine gleichmäßig schöne, stilgerechte Darstellungsweise mehrenteils nicht entsprach. Ohne Zweifel hat wohl auch zu seiner schließlich mehr oder weniger verkünstelten Vortragsweise das Verlangen mitgewirkt, durch immer neue Spielfinessen das Interesse des Publikums für sich rege zu erhalten An Mendelssohn schrieb David unterm 1. Februar 1844: »Gestern spielten wir mit Hiller und Rietz das Tripelconcert von Beethoven. Es hat sonderbarer (!) Weise ganz außerordentlich gefallen; wir haben aber auch das letzte Stück mit allen Chikanen herauscoquettirt!« Mit diesem letzten Wort bezeichnet David selbst treffend die Vortragsmanier, deren er sich befleißigte. (S. Jul. Eckardts Schrift: »Ferd. David u. d. Familie Mendelssohn, S. 210. Leipzig, Duncker & Humblots Verlag.). Nachahmenswert waren die Resultate davon freilich nicht. Wer es aber verstand, ein Imitieren der Darstellungsmanier Davids zu vermeiden, konnte viel bei ihm lernen; denn er war unleugbar ein sehr intelligenter und für das Studium anregender Lehrmeister, der sich dem pädagogischen Wirken mit Vorliebe hingab und bei seinen besonders nach Eröffnung der Musikschule (1843) zahlreich von nah und fern herzugekommenen Schülern ein warmes Interesse für die Sache zu erwecken wußte. Hierin lag auch der Hauptgrund, warum seine Persönlichkeit auf junge, strebsame Talente dauernd anziehend wirkte. Tatsächlich wurde Leipzig durch ihn für längere Zeit zu einem gesuchten Mittelpunkte für das Geigenstudium gemacht. Und so ist denn aus seiner Lehre eine ansehnliche Reihe zum Teil sehr geschätzter Violinisten hervorgegangen, welche freilich zur Bildung und Berichtigung von Gefühl und Geschmack zugleich den Vorteil genossen, die hervorragendsten Geiger der Neuzeit in den Gewandhauskonzerten zu hören, wodurch denn etwaige nachteilige Einflüsse paralysiert wurden.
Ebenso Anerkennenswertes wie als Lehrer leistete David in seiner Eigenschaft als Konzertmeister. Er besaß die wichtigsten Erfordernisse dafür: musikalisches Wissen, schnellen Überblick, sichere Führung der Primgeigen und energisch eingreifende Tongebung, wobei er sich allerdings zuweilen in der Hitze des Gefechtes verleiten ließ, etwas vorzuschlagen. Die ungewöhnliche Befähigung zum Amt eines Vorspielers trug jedenfalls hauptsächlich zu seiner Berufung nach Leipzig durch Mendelssohn bei, wenn es auch wahrscheinlich ist, daß freundschaftliche Beziehungen dabei mitwirkten. Jedenfalls konnte David, wenn es ihm darum zu tun war, dem Dirigenten nicht nur im Konzert, sondern auch in der Oper, für die er gleichfalls engagiert war, eine zuverlässige, sichere Stütze sein. Und somit darf man behaupten, daß er sich im ganzen und großen, trotz mancher unerfreulicher Eigenheiten, um das Leipziger Musikleben durch rastlosen Eifer und hingebende Pflichttreue eine lange Reihe von Jahren verdient gemacht hat.
Neben seiner amtlichen Stellung war David auch vielfach als Tonsetzer tätig. Er veröffentlichte nicht nur mannigfache Violinkompositionen, bestehend in Variationen, Konzerten, Etüden und verschiedenartigen kleineren Piecen, sondern schrieb auch Kammermusikstücke, Sinfonien und sogar eine Oper »Hans Wacht«. Bei den letzteren, der höheren Kompositionsgattung angehörenden Werken handelte es sich lediglich um ephemere, für die Kunst bedeutungslose Erscheinungen, wogegen die Violinkompositionen eine Zeitlang viel und gern gespielt wurden. Ihr musikalischer Gehalt war indessen nicht bedeutend genug, um auf die Dauer regen Anteil zu erwecken, so daß sie fast gänzlich von den Konzertprogrammen verschwunden sind. Doch eignen sie sich teilweise noch sehr wohl zu Studienzwecken für vorgerücktere Geiger.
Auch eine Violinschule ist von David vorhanden. Obwohl numerisch durchaus kein Mangel an derartigen Erzeugnissen herrscht, so ist diese Arbeit doch nicht ohne Berechtigung. Den meisten neueren Violinschulen fehlt es mehr oder minder an instruktiven, stetig fortschreitenden und systematisch geordneten Notenbeispielen, namentlich für ungeübtere Kräfte. David hat es sich angelegen sein lassen, diesen Fehler zu vermeiden. Auch will er nicht Dinge lehren, die sich nur im persönlichen Verkehr zwischen Lehrer und Schüler erörtern lassen. Demgemäß beschränkt er sich auf rein technische Zwecke; er bietet eine umfänglichere Folge von kleineren und größeren Etüden, in denen ein sowohl für die linke Hand wie für die Bogenführung ergiebiges und leicht verwertbares Übungsmaterial niedergelegt ist. Den Text hat der Verfasser, in lobenswerter Weise alle Längen und Breiten vermeidend, auf das Notwendige reduziert. Alles in allem genommen darf die Davidsche Violinschule als ein verständig angelegtes und durchgeführtes Lehrbuch bezeichnet werden, welches von ungewöhnlicher Einsicht in die Forderungen der Technik, sowie von reicher Erfahrung und scharfer Beobachtungsgabe zeugt.
Endlich ist noch die Herausgabe teils vergessener, teils bisher ungedruckter älterer Geigenkompositionen zu erwähnen, womit David die Violinspieler beschenkt hat. Als solche Tonsätze sind zu bezeichnen die Violinkonzerte von Bach, Händel, Mozart, Viotti, Rode usw., sowie die in der »Hohen Schule des Violinspiels« zusammengestellten Violinsonaten von anerkannten Meistern des 17. und 18. Jahrhunderts. Wenn auch einzelne dieser letzteren durch die sehr freie Bearbeitung des Originaltextes, sowie durch die freigebig Hinzugefügten, wenig stilgerechten Kadenzen ein gar zu modernes Gewand erhalten haben, so ist doch durch einen gewissen Teil dieser Sonaten das Interesse auf die Produktion einer fernliegenden Epoche hingelenkt und damit zugleich der Sinn für die einfach edle und stilvolle Behandlung der Violine neu belebt worden.
Ferd. David wurde am 19. Juni 1810 in Hamburg geboren. Nachdem er in Kassel seine Studien bei Spohr und Hauptmann beendet hatte, begab er sich mit seiner Schwester Louise, die sich später unter dem Namen der Madame Dulcken Sie war Hofpianistin der Herzogin von Kent, wurde 1811 geboren und starb 1860. als Pianistin bekannt machte, auf eine Konzertreise, welche ihn 1825 auch nach Leipzig führte, wo er sich im Gewandhaus hören ließ. Sodann trat er 1827 in das Orchester des Königsstädter Theaters in Berlin ein, verließ aber diese Stellung schon zwei Jahre darauf, um zu Dorpat im Hause des livländischen Edelmannes von Liphardt, der später Davids Schwiegervater wurde, die Führung eines ständigen Streichquartetts zu übernehmen. In dieser Stellung, welche dem Künstler zugleich Gelegenheit bot, einen Musikverein zu dirigieren und Konzertreisen nach Petersburg, Moskau und anderen Orten zu unternehmen, verblieb er bis zum Jahre 1835.
Am 1. März 1836 wurde David der Nachfolger Heinr. Aug. Matthäis als Konzertmeister im Leipziger Gewandhaus- und Theaterorchester, welchem er bis zu seinem am 18. Juli 1873 in dem schweizerischen Kurorte Klosters erfolgten Tode angehörte.
Von Davids vielen Schülern seien hier nur erwähnt: Friedrich Hermann Er hat sich durch eine bedeutende Anzahl von Arrangements, sowie durch Veröffentlichung einer Violinschule bekannt gemacht. ehedem erster Bratschist im Gewandhaus-und Opernorchester zu Leipzig (1828-19..); Hugo Zahn, zunächst bis zum November 1858 Konzertmeister in Bremen und alsdann in Schwerin; Christoph und Arno Hilf; Engelbert Röntgen, Konzertmeister in Leipzig; Raphael Maszkowski, Jacobsohn, ehedem Konzertmeister in Bremen; Deecke, angeblich in der Karlsruher Hofkapelle, der auch Schüler von Joachim war und um 1905 starb; Schradieck, ehedem Konzertmeister im Gewandhausorchester zu Leipzig; Pickel, Konzertmeister in Petersburg; Abel, Konzertmeister in München (gest. 13. August 1895); Naret-Koning, Konzertmeister in Frankfurt a. M.; Hugo Wehrle, Mitglied der Weimarischen Hofkapelle, sodann Kammervirtuose der königl. Kapelle in Stuttgart, jetzt Lehrer seines Instruments in Freiburg i. Br.; Hegar, Musikdirektor in Zürich; Rose in Newyork; Brassin, zuletzt Dirigent des Tonkünstlervereins in Breslau; Franziska Friese, Japha, Konzertmeister in Köln, geb. 27. August 1835 in Königsberg, gest. in Köln am 25. Februar 1892, Seiß, Konzertmeister in Barmen, geb. 7. August 1830 in Dresden, Robert Heckmann und Wilhelmj.
Ohne Vergleich der bedeutendste unter allen vorgenannten Zöglingen Davids war Aug. Emil Daniel Friedr. Victor Wilhelmj. Er darf zugleich als einer der Hauptvertreter des virtuosen Violinspiels in der jüngsten Vergangenheit bezeichnet werden.
Wilhelmj, durch sein angeborenes eminentes Geigertalent zum Violinvirtuosen prädestiniert, hat während der Jahre 1878-1882 sozusagen die ganze Erde bereist, überall, wo zivilisierte Menschen existieren, seine Meistergeige erklingen lassen und sich dadurch im wahren Sinne des Wortes einen Weltruf erworben. Seine Kunst zeichnete sich vor allem durch eine nahezu unfehlbare Sicherheit in Bewältigung ausgesuchter technischer Schwierigkeiten, namentlich aber im doppelgriffigen, akkordischen und Oktaven-Spiel aus. Seine Intonation ließ kaum etwas zu wünschen übrig, und die Sauberkeit und Deutlichkeit aller Arten von Passagen war höchst bemerkenswert. Die Tongebung war von ungewöhnlich kräftigem Volumen sowie von eigentümlichem Glanz, Eigenschaften, welche allerdings wesentlich durch eine lebhaft beflügelte und häufig wechselnde Bogenführung mitbedingt wurden. Im übrigen war Wilhelmjs Spielweise durch temperamentvolle Lebendigkeit und energische Ausdrucksweise gekennzeichnet, welche letztere sich mitunter vielleicht in zu überwiegendem Maße geltend machte, so daß die Nüancen des Zarten nicht immer zu gleichberechtigter Wirkung gelangten. Doch empfing man stets den Eindruck vorzüglicher, eigenartiger Leistungen. Der Künstler schrieb einiges für sein Instrument, darunter Transkriptionen Bachscher, Chopinscher und Wagnerscher Tongebilde.
Aug. Wilhelmj, geb. am 21. September 1845 in dem nassauischen Orte Usingen, empfing schon im zarten Alter musikalische Eindrücke. Seine Mutter hatte bei André in Offenbach, sowie bei Chopin auf dem Klavier und im Gesange bei dem berühmten Bordogni in Paris eine Ausbildung genossen, die sie zu ungewöhnlichen Leistungen befähigte. Allem Anschein nach hat sie ihrem Sohn das musikalische Talent gegeben, um dessen Pflege sie sich denn auch wohl hauptsächlich verdient machte.
Frühzeitig erhielt Wilhelmj einen tüchtigen Violinlehrer in dem Hofkonzertmeister Konrad Fischer zu Wiesbaden. Dieser brachte seinen ebenso begabten als gelehrigen Schüler so schnell vorwärts, daß er schon vor Ablauf des siebenten Lebensjahres vor Henriette Sonntag eine gelungene Probe seines Talentes ablegen konnte, welche der gefeierten Sängerin eine höchst ermutigende Äußerung entlockte, worin sie dem Kunstjünger das schmeichelhafte Prognostikon stellte, dermaleinst ein deutscher Paganini zu werden, – ein geflügeltes Wort, welches übrigens schon manchem jugendlichen Geigentalent in wohlmeinender Gesinnung zugerufen worden ist.
Das erste öffentliche Auftreten Wilhelmjs erfolgte am 8. Januar 1854, und zwar in Limburg an der Lahn zu einem wohltätigen Zweck. Zwei Jahre später, am 17. März 1856, konnte der Knabe schon mit entschiedenem Erfolg im Wiesbadener Hoftheater sich als Solist hören lassen. Sehr bald stellte sich denn auch bei ihm, vielleicht mit auf Anregung nahestehender Personen, der Wunsch ein, sich der Künstlerlaufbahn widmen zu dürfen. Hierzu zeigte sich indessen der Vater, ehedem Obergerichtsanwalt in preußischen Diensten, lange Zeit nicht geneigt. Erst als Franz Liszt im Jahre 1861 zugunsten des unaufhaltsam aufstrebenden Talentes sein Votum abgegeben hatte, erklärte sich der Vater zur Erteilung seiner Zustimmung bereit.
Liszt betätigte weiter noch dadurch seine lebhafte Teilnahme für den jungen Wilhelmj, daß er ihn zu Ferd. David nach Leipzig brachte, um denselben persönlich für seinen Schützling zu interessieren. Während eines dreijährigen Kursus (1861-1864) wurde dieser nun Zögling der Leipziger Musikschule und genoß dort außer Davids Unterricht auch denjenigen Richters und Hauptmanns im theoretischen Fache. Nachträglich wurde hierin auch noch Joachim Raff zeitweilig sein Lehrer.
Da Wilhelmj bei seinem Eintritt in die Musikschule bereits einen hohen Grad der technischen Ausbildung auf der Violine erreicht hatte, so kam es hauptsächlich darauf an, ihn in die klassische Literatur der Geigenkomposition, sowie der Kammermusik einzuführen, wodurch er vor den maßlosen Ausschreitungen und Exzentrizitäten des Virtuosentums bewahrt blieb.
Nach einem einjährigen Aufenthalt in Leipzig produzierte sich Wilhelmj in der öffentlichen Frühjahrsprüfung der Musikschule mit einer der schwierigsten Violinkompositionen. Es war das fis-moll-Konzert von Ernst, welches er in außerordentlicher Weise zur Geltung brachte. Der Erfolg war so durchschlagend, daß er schon im November desselben Jahres zu einem Debüt im Gewandhauskonzerte veranlaßt werden konnte. Bei dieser Gelegenheit trug er Joachims Ungarisches Konzert vor. Mochten nun die Anstrengungen des künstlerischen Studiums oder sonstige Umstände ungünstig auf sein körperliches Befinden gewirkt haben, – er erkrankte ernstlich nach dem Verlassen der Musikschule, wodurch er längere Zeit der gewohnten Tätigkeit entzogen wurde. Dann aber, nachdem er sich wieder erholt hatte, begab er sich im Herbst 1865 auf seine erste Kunstreise, die ihn zunächst nach der Schweiz führte. Im folgenden Jahre konzertierte er in Holland und England. Überall, wo er sich hören ließ, fanden seine Leistungen lebhafte Anerkennung. Während der nächsten Jahre besuchte Wilhelmi nach und nach alle Haupt- und größeren Städte Europas mit immer steigenden Erfolgen. 1876 war er als Vorgeiger bei den Bühnenfestspielen in Bayreuth und im Frühjahr 1877 bei den Wagnerkonzerten in London beteiligt. Die Mühewaltungen, denen er sich dabei zu unterziehen hatte, erschöpften indessen zum zweiten Male seine Kräfte und warfen ihn wiederum aufs Krankenlager, – diesmal mit der Gefahr für Leib und Leben. Endlich wiederhergestellt, folgte er zu Anfang 1878 einer Einladung nach Italien und im Herbst desselben Jahres auch nach Nordamerika, von wo aus er eine Weltreise antrat. Im Juli 1882 kehrte er von derselben wohlbehalten und bereichert durch die mannigfachsten Erlebnisse und Erfahrungen in die Heimat zurück. Er lebte sodann bis 1886 auf seiner Villa in Biebrich-Mosbach bei Wiesbaden, wo er eine Hochschule für das Violinspiel gründete. Im genannten Jahre verlegte er seinen Wohnsitz nach Blasewitz bei Dresden. Seit 1894 wirkte er in London an der Guildhall Music School. In London starb der Künstler am 22. Januar 1908 nach längerer Krankheit.
Christoph Wolfgang Hilf, geb. am 6. September 1818 zu Elster im sächs. Vogtlande, trieb das Violinspiel seit seiner Jugend, ging im 16. Jahre nach Greiz, wo er beim Stadtmusikus ein paar Monate zubrachte, und kehrte dann nach Hause zurück, um sich dem Handwerk seines Vaters, der Leinenweberei zu widmen. Der Trieb zur Kunst erhielt aber schließlich das Übergewicht, und so begab Hilf sich 1838 zu seiner musikalischen Ausbildung nach Leipzig. Während seines dortigen dreijährigen Aufenthaltes war er der Schüler Ferd. Davids, unter dessen Leitung er schnell zu einem außerordentlich geschickten Violinvirtuosen heranreifte. Als solcher erregte er das besondere Interesse Mendelssohns und Schumanns S. Schumanns Briefe (Neue Folge) S. 173, und Schumanns Ges. Schriften, Aufl. II, Bd. 2, S. 189.. Schon nach Jahresfrist war er so weit vorgeschritten, daß er mit glänzendem Erfolg im Gewandhauskonzert auftreten konnte. Nach vollendetem Studium bereiste H. konzertierend die böhmischen Bäder, überall enthusiastischen Beifall erregend. In Karlsbad hörte ihn Ludw. Spohr, der ihm bald darauf die Stelle in der Kasseler Hofkapelle offerierte, welche durch Hauptmanns Berufung nach Leipzig kurz vorher erledigt worden war. Hilf verblieb in dieser Stellung nahezu neun Jahre. 1850 übernahm er in seinem Heimatsorte Elster die Direktion der Kurkapelle, welche er bis zum Herbst 1892 leitete, da er dann in den wohlverdienten Ruhestand trat. Seinem Neffen
Arno Franz Hilf, welcher am 14. März 1858 zu Bad Elster geboren wurde und zu den hervorragendsten Violinvirtuosen der Gegenwart gehörte, wurde er ein wertvoller Mentor, nachdem der Knabe durch seinen Vater eine angemessene Vorbildung im Geigenspiel genossen hatte. Von 1871-75 war Arno dann Schüler des Leipziger Konservatoriums, und 1878 folgte er dem Rufe als Lehrer an das Konservatorium zu Moskau. Hier blieb er bis 1888, worauf er nach Deutschland zurückkehrte. Alsbald fand Hilf Gelegenheit, sich in seinem Vaterlande als Solospieler hervorzutun, indem er auf dem zu jener Zeit veranstalteten Musikfest in Dessau mit dem Ungarischen Konzert von Joachim debütierte. Der Erfolg war so durchschlagend, daß Hilf sofort als Konzertmeister der fürstl. Kapelle nach Gondershausen berufen wurde. Ein Jahr darauf zog man den vorzüglichen Künstler in gleicher Eigenschaft für das Gewandhaus- und Theaterorchester nach Leipzig. Dieses Amt vertauschte er 1892 mit dem des ersten Violinlehrers am Leipziger Konservatorium. Der Künstler starb plötzlich in Bad Elster am 2. August 1909 infolge eines Schlaganfalls. Hilfs Leistungen zeichneten sich durch musterhaft durchgebildete Technik, schönen, voluminösen Ton, glänzende Bravour und sauberste Intonation aus Über Gustav Havemann, der als Hilfs Nachfolger in Leipzig bezeichnet wird, waren Nachrichten nicht erhältlich (vgl. den Anhang!)..
Engelbert Röntgen, geb. am 30. September 1829 zu Deventer, trat in seinem 19. Lebensjahre, nachdem er sich im elterlichen Hause für die Musik vorbereitet und daneben auch in der Malerei versucht hatte, 1848 in die Leipziger Musikschule ein und wurde Schüler Davids und Hauptmanns. Er bildete sich zu einem ebenso tüchtigen Violinspieler wie Musiker aus. Nach Absolvierung des Konservatoriums wurde er Mitglied und 1869 zweiter Konzertmeister des Leipziger Orchesters, welchem er bis zu seinem am 12. Dezember 1897 erfolgten Tode angehörte. Er ist der Vater des Tonsetzers Julius Röntgen, welcher sich durch Veröffentlichung mehrerer Instrumentalkompositionen vorteilhaft bekannt gemacht hat.
Raphael Maszkowski, geb. 1838 in Lemberg, widmete sich auf Wunsch seiner Eltern anfänglich technischen Studien, welche ihn 1854 auf das Wiener Polytechnikum führten. Nebenbei besuchte er das dortige Musikkonservatorium als Schüler Hellmesbergers. Zu dieser Zeit wurde der Wunsch in ihm rege, sich gänzlich der Kunst zu widmen. Er ging deshalb 1859 nach Leipzig und genoß als Zögling der dortigen Musikschule Davids, Richters und Hauptmanns Unterricht. In den Jahren 1863 und 1864 war er in Hamburg und leitete dort einige größere Aufführungen der Philharmonischen Gesellschaft, sowie der Singakademie. Von dort folgte er 1865 dem an ihn ergangenen Ruf als Direktor des »Imthurneums« in Schaffhausen. Seit 1869 wirkte er als Dirigent am königl. Musikinstitut in Koblenz. Im Jahre 1891 wurde er nach Breslau als Dirigent der dortigen Symphoniekonzerte berufen. Die violinistische Karriere mußte er wegen eines nervösen Leidens der linken Hand aufgeben. Der Künstler starb am 14. März 1901.
Ein anderer trefflicher Schüler Davids ist Simon Jacobsohn, geb. 24. Dezember 1839 in Mitau. Frühzeitig offenbarte er musikalisches Talent, für dessen Ausbildung jedoch bei der beschränkten Lage seiner Familie anfänglich nichts Entscheidendes getan werden konnte. Erst später fand er Gelegenheit, beim Konzertmeister Weller in Riga die Elemente des Violinspiels zu erlernen, während er sich vorher nur mit Aufspielen zum Tanz beschäftigt hatte, um wenigstens etwas zu erwerben. 1858 ging er nach Leipzig, um als Zögling der dortigen Musikschule unter Davids Leitung die höheren Studien des Violinspiels zu machen. Schon nach Jahresfrist konnte er mit Erfolg als Solist im Gewandhauskonzert auftreten. Hierauf unternahm er eine Kunstreise in seine Heimat, die ihn nach Petersburg führte, von wo er 1860 nach Bremen als Konzertmeister berufen wurde. Nach zwölfjährigem Wirken daselbst ging er nach Nordamerika und übernahm das Konzertmeisteramt im Thomasschen Orchester zu Newyork. Jetzt lebt er, nachdem er inzwischen noch am Konservatorium in Cincinnati gewirkt hat, in Chicago.
Henry Schradieck, der Sohn eines Musikers in Hamburg, geboren daselbst am 29. April 1846, erhob sich zu so bedeutender Leistungsfähigkeit, daß er 1874 als Nachfolger seines Lehrmeisters David an dessen Stelle nach Leipzig berufen wurde. Aus dieser Stellung schied er freiwillig schon wieder 1882 aus, um sich vorzugsweise dem Lehrfach zu widmen. Den ersten Unterricht erhielt Schradieck von seinem Vater, dann wurde er 1857 für ein Jahr Schüler Hubert Léonards in Brüssel, worauf er von 1859-1861 noch die Lehre Davids genoß. Seine Tätigkeit als selbständiger Künstler begann er in Bremen, wo er 1863 den Konzertmeisterdienst versah. Weiterhin wirkte er bis 1868 als Lehrer des Violinspiels am Konservatorium zu Moskau, ging dann zur Übernahme des Konzertmeisteramtes nach Hamburg und vertauschte diesen Posten 1874 mit dem Leipziger. Im Jahre 1883 folgte er einem Rufe nach Cincinnati. Doch kehrte er 1889 nach Deutschland zurück, wo er den Konzertmeisterposten der Philharmonischen Gesellschaft in Hamburg bekleidete. 1898 siedelte er wieder nach Amerika über und wirkt derzeit als Lehrer seines Instrumentes in Philadelphia. Von Schradieck sind einige didaktische Violinkompositionen im Druck erschienen.
Der Holländer Johann Joseph David Naret-Koning, geboren in Amsterdam am 25. Februar 1838, wurde Davids Schüler, nachdem er den vorbereitenden Unterricht des Violinisten Bunten in seiner Vaterstadt genossen. Während der Jahre 1859-1870 wirkte er als Konzertmeister in Mannheim, von wo er in gleicher Eigenschaft nach Frankfurt a. M. berufen wurde. 1896 wurde er zum königl. Professor ernannt. Am 29. März 1905 starb er in Frankfurt a. M.
Friedrich Hegar, geb. am 11. Oktober 1841 in Basel, bildete sich während der Jahre 1857-1861 auf der Leipziger Musikschule unter Davids Anleitung zu einem gewandten Violinisten, war nach kurzer Wirksamkeit als Konzertmeister im Bilseschen Orchester Musikdirektor in der elsässischen Fabrikstadt Gebweiler und übernahm hierauf von 1863-1865 den Konzertmeisterdienst in Zürich, welchen er dann mit den Funktionen eines städtischen Kapellmeisters (1865) und Direktors der Züricher Musikschule (1876) vertauschte. Durch rege, energievolle Tätigkeit hat er sich im Laufe der Jahre zu einem der angesehensten und einflußreichsten Künstler in der Schweiz emporgeschwungen. 1889 wurde er Ehrendoktor der Züricher Universität. Auch kompositorisch ist Hegar tätig; besonders genannt werden ein Oratorium und ein Violinkonzert, sowie seine Kompositionen für Männerchor.
Die ungarische Violinvirtuosin Charlotte Dekner, geb. 1846 in Nagj Bittse (Oberungarn) war zuerst Schülerin ihres Vaters, sodann Hellmesbergers in Wien, kann also nur bedingungsweise als Schülerin Davids gelten, bei dem sie ihre letzte Ausbildung erfuhr. Sie trat im Gewandhause auf und unternahm weiterhin ausgedehnte erfolgreiche Konzertreisen durch einen großen Teil von Europa. Seelenvoller Ton und elegante, dabei fast männlich kräftige Bogenführung wurden an ihrem Spiel gerühmt. Später ließ sie sich in Marseille nieder, wo sie als Lehrerin ihres Instrumentes tätig war. Die Künstlerin starb, erst vierzig Jahre alt, in Luyos (Südungarn) 1887 gelegentlich eines Besuches ihrer Heimat und ihrer Eltern.
Georg Julius Robert Heckmann, geb. in Mannheim am 3. November 1848, genoß dort zunächst den Unterricht Jean Beckers und Naret-Konings, worauf er im vierzehnjährigen Alter Mitglied des Mannheimer Orchesters wurde. Der Wunsch, sich weiter zu vervollkommnen, führte ihn auf die Leipziger Musikschule, welche er von 1865-1867 besuchte. Während dieser Zeit war er Davids Schüler. Von 1867-1870 versah er das Konzertmeisteramt bei den Leipziger Euterpekonzerten, begab sich dann auf Reisen und übernahm 1872-1875 am Kölner Stadttheater die Stellung als Konzertmeister. Im Jahre 1891 wurde er als Konzertmeister nach Bremen berufen, doch erfreute er sich dieser Stellung nur kurze Zeit; denn am 29. November desselben Jahres starb er, auf einer Konzertreise in England begriffen, nach kurzem Krankenlager zu Glasgow. Heckmann hat sich ebensowohl als Solo- wie auch als Quartettspieler einen angesehenen, wohlverdienten Namen erworben.
Als Schüler von David möge schließlich noch Joseph Wilhelm v. Wasielewski, der Verfasser des vorliegenden Buches, genannt werden.
Wasielewski wurde am 17. Juni 1822 in Großleesen bei Danzig geboren, in welche Stadt seine Eltern wenige Jahre später übersiedelten. Der Vater war Pole, die Mutter eine Deutsche, beide musikbegabt. Er selbst bewies früh Neigung und Talent für die Tonkunst und wurde am Eröffnungstage des Leipziger Konservatoriums (2. April 1843) in dasselbe aufgenommen. Außer David, dessen Violinunterricht er auch noch einige Jahre nach dem Verlassen des Konservatoriums (1845) genoß, waren Mendelssohn und Hauptmann seine Lehrer.
Nach einer mit Carl Reinecke gemeinsam veranstalteten Konzertreise in die Ostseeprovinzen wurde Wasielewski im Herbst 1846 bei der Primgeige im Leipziger Gewandhaus- und Theaterorchester angestellt und war daneben als Führer der ersten Violinen in den von Rob. Franz in Halle geleiteten Konzerten sowie zeitweise (1848 bis 1849) in gleicher Eigenschaft in den Leipziger Euterpekonzerten tätig.
Im Herbst 1850 folgte er auf R. Schumanns Veranlassung diesem als Konzertmeister und Solospieler nach Düsseldorf, in welcher Stellung er bis zum Sommer 1852 verblieb.
Nach einer demnächstigen dreijährigen Wirksamkeit als Leiter eines gemischten Gesangvereins in Bonn wandte er sich 1855 nach Dresden, wo er bis 1869 wohnte. In der Folge trat er nur noch ausnahmsweise als Solist vor das Publikum, da sein Interesse sich mehr und mehr auf eine fruchtbare musikliterarische Tätigkeit konzentrierte. Als ihr erstes bedeutendes Ergebnis erschien seine Biographie Schumanns im Jahre 1859. Dieser folgten weiterhin noch mehrere biographische Arbeiten, als letzte seine eigenen Lebenserinnerungen »Aus siebzig Jahren« (1896) mit wertvollen Beiträgen zur Musik- und Konzertgeschichte um die Mitte des 19. Jahrhunderts. Eine zweite Reihe von Werken hat Forschungen auf dem Gebiet der Geschichte der Instrumentalmusik zum Inhalt. Ihnen gehört das vorliegende Buch an, welches in erster Auflage 1869 erschien.
Im Herbst 1869 als städtischer Musikdirektor nach Bonn zurückberufen, war er in dieser Eigenschaft bis 1884 tätig, zog sich dann ins Privatleben zurück, nahm seinen Wohnsitz zuerst in Blankenburg a. H. und im folgenden Jahr in Sondershausen, wo er in Ruhe musikliterarischen Arbeiten obliegen konnte. In Sondershausen starb er am 13. Dezember 1896.
Von seinen Violinkompositionen veröffentlichte er nur ein Notturno und zwei Hefte kleinerer Stücke, »Herbstblumen« betitelt.
Als Violinspieler zeichnete sich Wasielewski durch breite gesangreiche Tongebung sowie durch eine eigenartig beherrschte, gleichsam zurückgehaltene Wärme des Ausdruckes vorzugsweise aus. Die seinem Naturell eigene große Lebhaftigkeit einerseits, eine äußerst abgeklärte Kunstauffassung andrerseits verbanden sich in seinem Spiel zu Wirkungen von eigenartigem Reiz.
Als nicht direkt von Spohr oder einem seiner hervorragenden Schüler gebildet, jedoch in weiterem Sinne ebenfalls hierher gehörig, sollen an dieser Stelle noch Maciciowski, Ganz und Wipplinger besprochen werden.
Der Pole Stanislas Maciciowski wurde nach Fétis am 8. Mai 1801 in Warschau geboren. Zuerst in seiner Heimat von einem Violinisten Ruzyczka unterrichtet, kam er mit 20 Jahren nach Berlin, um sich bei Möser weiterzubilden. Als er jedoch später in Kassel Gelegenheit fand, Spohr zu hören, wurde dieser sein Vorbild. Weiterhin unternahm Maciciowski Reisen in Deutschland, Frankreich und England, wo er in mehreren Städten erfolgreich konzertierte. Ort und Zeit seines Todes sind nicht bekannt. Maciciowski veröffentlichte mehrere Violinkompositionen.
Leopold Alexander Ganz, geboren 28. November 1810 in Mainz, erlernte das Violinspiel bei seinem Vater, sodann bei seinem Bruder Adolph, ehemaligem hess. Hofkapellmeister, und bei Spohrs Schüler Fritz Bärwolf. 1827 wurde er Mitglied der Berliner Kapelle und 1840 an Seidlers Stelle Konzertmeister, nachdem er 1836 bereits den Titel dieses Amtes erhalten hatte. Sein Tod erfolgte am 15. Juni 1869 in Berlin.
Paul Carl Wipplinger, geboren am 7. Juli 1824 in Halle a. d. Saale, gestorben am 11. Mai 1887 zu Kassel, war Zögling des ehemaligen, aus der Spohrschen Schule hervorgegangenen Bremer Konzertmeisters G. Schmidt und des Violinspielers Ferd. Sturm. 1844 fand er im Aachener Orchester Anstellung als Konzertmeister. Während seines dortigen Wirkens studierte er eine Zeitlang bei Theodor Pixis in Köln. Von 1860 bis zu seinem Tode war er Konzertmeister am Kasseler Hoftheater!
Neben der Kasseler erhob sich zu eigentümlicher Bedeutung die Wiener Schule. Es ist unzweifelhaft, daß Spohr auch auf sie nicht nur durch seinen zweijährigen Aufenthalt in Wien, sondern auch durch seine Kompositionen einen gewissen Einfluß ausübte. Indessen war derselbe doch nicht stark genug, um eine von den Normen des Kasseler Violinmeisters abweichende Richtung zu verhindern, die, wie schon früher bemerkt wurde, in einer vorwiegend virtuosen Tendenz beruhte. So zeigt die Wiener Schule in dieser wie in mancher andern Beziehung den natürlichen Gegensatz zwischen süddeutschem, mehr sinnlich äußerlichem, wenn auch spirituellem, und norddeutschem ernstem, innerlich geartetem Wesen. Zwar bewegte sich Schuppanzigh durchaus noch innerhalb der Grenzen des gediegensten Musikertums, aber schon sein Schüler Joseph Mayseder, einer der vorzüglichsten Vertreter des Wiener Violinspiels zu Anfang des vorigen Jahrhunderts, verfolgte die Bahn, welche die dortige Schule kennzeichnet. Er repräsentierte sowohl als Komponist wie auch als ausübender Künstler das zierlich elegante Genre. Demgemäß war seinen Leistungen ein salonartig brillantes und anmutiges Wesen eigen. Energie der Tongebung und Empfindung sowie kräftige Gegensätze blieben hierbei ausgeschlossen. Ausgezeichnetes soll der Künstler im reizvoll pikanten Vortrag Haydnscher Quartette geleistet haben.
Mayseders Spielweise läßt sich auch heute noch sehr deutlich aus seinen zahlreichen, sorgsam gearbeiteten – es sind 63 Werke im ganzen von ihm gedruckt – Kompositionen erkennen. Sie bestehen nicht nur in Solostücken (Konzerten, Polonaisen, Rondos und Variationen), sondern auch in Streichquintetten und -quartetten, sowie Klaviersonaten mit Violinbegleitung. Für den Kammerstil fehlte es dem Autor an Gedankenkraft, poetischer Inspiration und höherem Gestaltungsvermögen, während manche seiner, wenn auch genrehaften und großenteils veralteten Violinstücke sich ehedem durch ihre angenehme und sehr geigenmäßige Wirkung großer Beliebtheit erfreuten.
Am 26. Oktober 1789 in Wien geboren, lebte Mayseder in gleichförmiger Weise seinem Berufe, ohne jemals als Konzertspieler gereist zu sein. Nur in Wien trat er als solcher auf, und zwar mit ebenso ausdauerndem als großem Erfolge. Tatsächlich war er der bevorzugte Liebling des Wiener Publikums lange Zeit hindurch. In jüngeren Jahren gehörte er eine Zeitlang als zweiter Geiger zum Schuppanzighschen Quartett. Dann wirkte er von 1816 ab als kaiserl. Kammervirtuos in den Orchestern des Stephans-Domes sowie des Hofoperntheaters und versah schließlich den Konzertmeisterdienst der königl. Kapelle. Sein Tod erfolgte am 21. November 1863.
Schuppanzighs zweiter hier zu berücksichtigender Schüler, Joseph Strauß, wurde im Jahre 1793 zu Brünn geboren. Sein Vater, der selbst Violinist war, erteilte ihm den ersten Unterricht, den Schuppanzigh dann in Wien fortsetzte und vollendete. Schon mit zwölf Jahren im Wiener Opernorchester tätig, war Strauß weiterhin in Pest, Temesvar (1813), Hermannstadt, Brünn, Straßburg (1822) und noch anderen Städten angestellt. Nachdem er noch 1823 Musikdirektor in Mannheim gewesen, ging er im folgenden Jahr zu dauerndem Aufenthalt nach Karlsruhe, wo er 1825 zum Hofkapellmeister ernannt wurde. Seit 1863 pensioniert, starb er in Karlsruhe am 2. Dezember 1866. Unter seinen Werken werden mehrere Opern, ein Quartett, Violinvariationen und Lieder genannt.
Von Mayseders Zöglingen seien hier genannt: Panofka, Wolff, Hafner, Adelburg, De Ahna und Hauser.
Heinrich Panofka, geb. am 3. Oktober 1807 zu Breslau, gest. am 18. November 1887 zu Florenz, befaßte sich frühzeitig mit der Violine, spielte schon als zehnjähriger Knabe öffentlich, genoß dann den Unterricht des aus der Rodeschen Schule hervorgegangenen Breslauer Konzertmeisters Karl Luge, trat wiederholt in Konzerten auf und zog im Jahre 1824 nach Wien, um sich dort unter Mayseders Leitung noch zu vervollkommnen. Zugleich genoß er den theoretischen Unterricht Hoffmanns. Nach dreijährigem Studium ließ er sich zu Wien mit glänzendem Erfolge im Redoutensaale hören. 1829 konzertierte er in München und Berlin. Im Jahre 1832 ging er nach Dresden, Prag und Wien und bereiste darauf Polen und die Provinz Schlesien. Nach einem abermaligem Aufenthalt in Wien besuchte er 1834 Paris, wo er wiederholt als Konzertspieler auftrat. Dort wandte er sich dem Studium des Gesanges zu, welchem er sich dauernd mit größter Hingebung widmete. 1842 beabsichtigte er, mit Bordogni vereint, in Paris eine » Académie de chant des amateurs« nach dem Vorbilde der Berliner Singakademie zu gründen, doch kam es nicht dazu. 1842 begab er sich zu mehrjährigem Aufenthalt nach London. Bald wurde er hier ein gesuchter Gesanglehrer. 1847 engagierte ihn der Impresario Lumley als Mitdirigent der italienischen Oper. Indessen hegte er den Wunsch, sich wieder in Paris seßhaft zu machen, was er auch im Jahre 1852 verwirklichte. 1866 ging er nach Florenz, zog sich aber sodann mehr und mehr ins Privatleben zurück. Panofka veröffentlichte mehrere Studienwerke über Gesang und mancherlei Kompositionen, darunter solche für die Geige. Außerdem unternahm er die deutsche Übersetzung der Baillotschen Violinschule. Neben seiner künstlerischen Tätigkeit war Panofka auch vielfach musikschriftstellerisch tätig, so namentlich als Mitarbeiter an R. Schumanns Musikzeitung.
Heinrich Wolff, geb. 1. Januar 1813 zu Frankfurt a. M., wirkte seit 1838 als geschätzter Konzertmeister in seiner Vaterstadt. Den ersten Unterricht empfing er von einem holländischen Geiger namens Binger in London, wohin seine Familie 1815 gezogen war. Nach Binger übernahm Spagnoletti, damals erster Violinist an der italienischen Oper zu London, die weitere Ausbildung Wolffs. Im Jahre 1824 kehrte dieser nach Frankfurt zurück und vertraute sich der Lehre François Fémys, eines Schülers Baillots an, genoß aber darauf noch den Unterricht des Konzertmeisters Hoffmann. In der Komposition wurde Schnyder von Wartensee sein Lehrer. Vier Jahre später ging Wolff nach Wien, um auch bei Mayseder einen Kursus durchzumachen und zugleich unter Seyfrieds Anleitung im Kompositionsfache zu arbeiten. Wolff war weiterhin vielfach auf Kunstreisen. In seiner Frankfurter Stellung war er bis 1878 tätig. Er starb am 24. Juli 1898 in Leipzig. Seine Kompositionen sind zumeist ungedruckt geblieben.
Karl Hafner, geb. 23. November 1815 in Wien, war zugleich Jansas Schüler und übte seine Kunst als Konzertmeister in Hamburg. Er starb dort im Januar 1861.
Seiner Lehre wurde Otto v. Königslöw teilhaftig, ein trefflicher, gediegener Spieler, der seit 1858 als Konzertmeister in Köln wirkte. Geboren zu Hamburg am 13. November 1824, erhielt er vom 7. bis 14. Lebensjahre den Unterricht seines Vaters, der sich, obwohl nur Liebhaber, als Schüler Andreas Rombergs sehr wohl auf das Violinspiel verstand. Hierauf wurde ihm die Unterweisung eines Spohrschen Schülers, namens Pacius, zuteil, und endlich noch für einige Zeit diejenige Hafners. Während eines längeren Aufenthaltes in Leipzig machte er theoretische Studien unter Hauptmanns Leitung. Vom Jahre 1846-58 war er auf Kunstreisen als Solospieler tätig. 1881 trat er infolge eines Armleidens, nachdem er den Professortitel erhalten, von seiner Stellung als Konzertmeister der Kölner Gürzenichkonzerte zurück, die er von 1858 an bekleidet hatte. Er starb in Bonn am 6. Oktober 1898.
August Ritter v. Adelburg, ursprünglich für die diplomatische Laufbahn bestimmt, geboren am 1. November 1830 in Konstantinopel, war von 1850-54 Mayseders Schüler und machte sich auf einer Reise durch Deutschland als Violinvirtuos und Komponist bekannt. Er starb am 20. Oktober 1873 geisteskrank in Wien.
Heinrich Karl Hermann De Ahna, der am 22. Juni 1835 in Wien geboren wurde, hatte zuerst Mayseder und hierauf Mildner im Prager Konservatorium zum Lehrer. Trotz erfreulicher Erfolge, die er bei seinem öffentlichen Auftreten vom 12. Lebensjahre ab in Wien und anderen großen Städten errang, und obgleich er bereits 1849 vom Herzog von Koburg-Gotha zum Kammervirtuosen ernannt worden war, gab er die Musik auf und widmete sich der militärischen Laufbahn, indem er im Herbst 1851 in die österreichische Armee eintrat. 1853 zum Leutnant befördert, beteiligte er sich als solcher am Kriege des Jahres 1859 in Italien, kehrte dann aber doch wieder zur Kunst zurück. Nachdem er Deutschland und Holland bereist hatte, fand er 1862 Anstellung bei der ersten Violine in der Berliner Hofkapelle, welcher er seit 1868 als Konzertmeister angehörte. Ein Jahr später wurde er auch zum Lehrer an der Hochschule für Musik ernannt. Als Solist hat er lohnende Anerkennung gefunden. Für seine gute künstlerische Gesinnung spricht selbstredend der Umstand, daß er im Joachimschen Quartett die zweite Violine übernahm. Er zeigte dadurch in nachahmenswerter Weise, daß ihm die Sache, welche er mit vertrat, höher stand, als das persönliche Interesse. De Ahna starb am 1. November 1892 in Berlin.
Miska Hauser, geb. 1822 in Preßburg, gest. am 8. Dezember 1887 in Wien, eignete sich vorzugsweise die elegante und gefällige Manier seines Lehrmeisters Mayseder an. Sein geschmeidiger, doch kleiner Ton war von sauberem Schliff, und die Intonation ließ nichts zu wünschen übrig. Er gehörte der virtuosen Richtung an, beutete dieselbe jedoch vorzugsweise nach Seite des anspruchslos gemütlichen Salongenres aus. Hauser hat große Weltreisen gemacht. Außer Europa bereiste er nicht nur Amerika, sondern auch Australien. Seine transatlantischen Erlebnisse sind von ihm unter dem Titel »Wanderbuch eines Virtuosen« veröffentlicht. Hauser war zeitweilig auch Zögling Böhms, des tonangebenden Meisters der Wiener Schule im vorigen Jahrhundert.
Joseph Böhm, geb. 4. März 1795 zu Pest, wuchs nicht unter den Einflüssen der von ihm vertretenen Wiener Schule auf, sondern genoß zuerst den Unterricht seines Vaters und dann den Rodes. Die Bekanntschaft dieses Meisters machte er in Polen, als derselbe sich dort auf seiner Heimreise von Rußland aufhielt. 1815 besuchte Böhm Wien und spielte mit entschiedenem Beifall im Burgtheater während der Zwischenakte. Weiterhin begab er sich mit dem Pianisten Peter Pixis zu Konzerten nach Italien, kehrte aber dann nach Wien zurück und trat dort häufig auf, veranstaltete auch regelmäßige Quartettsoireen. Von 1823-25 bereiste er als Konzertist Deutschland und Frankreich. Im Jahre 1827 stellte er jedoch seine öffentliche Wirksamkeit ein und widmete sich ganz dem Lehrfach. 1821 erfolgte seine Anstellung in der Hofkapelle, nachdem er 1819 schon als Lehrer des Violinspiels am Konservatorium einen Wirkungskreis gefunden hatte. Diese Tätigkeit gab er 1848, seinen Platz aber in der Hofkapelle 1868 auf. Am 28. März 1876 starb er in Wien. Über sein Spiel findet sich in der Wiener Musikzeitung (Jahrg. 1820, S. 789) folgende Bemerkung: »Ton, Führung des Bogens, Reinheit in den Applikaturen, Geschwindigkeit der Finger sind die besonderen Vorzüge eines Violinspielers, die er mit Umsicht, Geschmack, Tiefblick und Kenntnis der Kunst verbinden muß, wenn er den höchsten Punkt erreichen will. Herr Böhm besitzt alle diese Eigenschaften in vorzüglichstem Grade. Nur etwas mehr Schatten und Licht in sein Spiel zu bringen empfehlen wir ihm.« Wie Treffliches er auch geleistet haben mag, sein größerer Ruhm gründet sich darin, der musikalischen Welt einige ausgezeichnete Violinspieler gegeben zu haben, unter denen Joseph Joachim obenan steht. Über diesen, wie seine Schüler, wird in einem besonderen Kapitel zu berichten sein.
Die nächst Joachim noch zu berücksichtigenden Schüler Joseph Böhms sind: Ernst, Georg Hellmesberger der ältere, Dont, Singer, Rappoldi, Ludwig Straus, Grün und Reményi, welchen Künstlern sich noch mehrere gleichfalls der Wiener Schule entsprossene Geiger anschließen.
Große Berühmtheit erlangte Heinrich Wilhelm Ernst. Bis zu einem gewissen Grade war er Nachahmer Paganinis, dem er, mächtig angezogen durch die Eigentümlichkeit des Italieners, längere Zeit nachreiste, um von seiner Kunst zu profitieren. Als Frucht davon ist der » Carneval de Venise« zu betrachten, jene pikante Burleske, in der gleichsam ein Kunstfeuerwerk des Virtuosentums abgebrannt wird. Dies Effektstück ist hauptsächlich aus Reminiszenzen der Paganinischen Spielweise zusammengesetzt, und so hatte der Italiener recht, wenn er gelegentlich gegen Ernst äußerte: » Il faut se méfier de vous.« Ernst blieb jedoch keineswegs in der Richtung des »Karneval« besangen. Er war auch edleren, obwohl nicht eben tiefen Regungen zugänglich. Sein höchst gewandtes und glänzendes, durch eine farbenreiche und sympathische Tongebung getragenes Spiel ließ ein heißblütiges Temperament erkennen, das sich aber mehr in stoßweisen Emotionen, als in einer gleichmäßig verteilten Wärme und Schwunghaftigkeit kundgab. Ernst war eine von der Gemütsstimmung durchaus abhängige Wallungsnatur; hieraus erklärt sich die Ungleichheit seiner Leistungen, welche ebenso oft anziehender als unbefriedigender waren; denn nicht selten wurde die Wirkung seines Spieles durch das Mißlingen technischer Wagnisse und erhebliche Intonationsunsauberkeiten beeinträchtigt. Daß Ernst überwiegend der virtuosen Richtung huldigte, zeigen seine keineswegs gewöhnlichen, sondern vielmehr durch ein spirituelles Moment belebten Kompositionen, die überdies manche Seiten der Violine in charakteristischer Weise entfalten. Doch haben sie als Musikstücke keinen höheren Wert. Jedenfalls hatte der Künstler in der von ihm mit Vorliebe gepflegten Richtung vorzugsweise seine Erfolge zu suchen; denn sein Bestreben, sich durch den Vortrag klassischer Schöpfungen auch als guter Musiker zu legitimieren, war nicht durchaus erfolgreich. In gewissen Beziehungen vermochte er nicht, die virtuose, auf den äußerlichen Effekt ausgehende Vortragsweise zu unterdrücken, wie er denn auch bei der Wiedergabe von Kammermusikwerken sich sogar erlaubte, willkürliche Verzierungen anzubringen. Seit seinem Jünglingsalter lebte Ernst meist auf Reisen, die ihn durch ganz Europa führten. Er wurde 1814 in Brünn geboren und starb am 8. Oktober 1865 in Nizza an einem Rückenmarksleiden.
Georg Hellmesberger, am 24. April 1800 in Wien geboren, war zuerst Sopranist in der Hofkapelle und erhielt dann den ersten Violinunterricht von seinem Vater; weiter studierte er unter Försters und Böhms Leitung. 1829 trat er an Schuppanzighs Stelle als Konzertmeister bei der Oper. 1830 wurde er Mitglied der kaiserl. Kapelle und Lehrer des Violinspiels an der Musikschule. Bereits 1825 erhielt er den Professortitel, wirklicher Professor wurde er 1833. Er hat einige Kompositionen veröffentlicht. Am 16. August 1873 starb er, seit 1867 pensioniert, in Neuwaldegg bei Wien.
Sein Sohn Georg, geb. am 27. Januar 1830 zu Wien, den er selbst unterrichtete, bildete sich zu einem tüchtigen Violinisten aus und betätigte sich auch als Tonsetzer. Er wurde nach Hannover als Konzertmeister berufen, wo er schon am 12. November 1852 starb.
Der ältere Hellmesberger, mit Vornamen Joseph, geb. 3. November 1828, Bruder des Ebengenannten, war gleichfalls Schüler seines Vaters und gelangte infolge bedeutender Leistungsfähigkeit zu hochangesehener Stellung in seiner Vaterstadt Wien. 1851 wurde er zum Lehrer am Konservatorium sowie zum Direktor der Gesellschaft der Musikfreunde und des Konservatoriums und 1860 zum Konzertmeister in der Hofkapelle ernannt. Das Lehramt am Konservatorium gab er auf, nachdem 1877 seine Ernennung zum Hofkapellmeister erfolgt war. 1893 trat er ins Privatleben zurück und starb am 24. Oktober desselben Jahres in Wien. Als Violinist hat sich Joseph Hellmesberger hauptsächlich im Quartettspiel ausgezeichnet. Es existieren mehrere Kompositionen von ihm im Druck. Sein Sohn, namens Joseph, geb. 9. April 1855, war seit 1878 Soloviolinist bei der Hofkapelle und Lehrer am Konservatorium in Wien. Nach Bekleidung verschiedener Kapellmeisterposten wurde er 1886 Hofopernkapellmeister ebenda. Er starb am 25. April 1907.
Jacob Dont, Schüler seines Vaters sowie der Wiener Musikschule, bildete sich zu einem trefflichen Violinisten. Lange Zeit hindurch wirkte er (seit 1834) als Lehrer des Violinspiels am Konservatorium sowie als Mitglied der kaiserl. Kapelle. Er veröffentlichte mehrere vorzügliche Etüdenwerke, welche auch als Musikstücke höheren Anforderungen entsprechen. Er wurde in Wien am 2. März 1815 geboren und starb dort am 17. November 1888 Vgl. den Anhang!. Ein sehr bemerkenswerter Schüler von ihm ist der Geiger
Leopold von Auer, geb. am 7. Juni 1845 zu Veszprém in Ungarn. Den ersten Unterricht empfing er in der Pester Musikschule von Ridley Kohne. Von 1857-58 besuchte er das Wiener Konservatorium, wo Dont sein Lehrer war. Mit einem ersten Preise und der Gesellschaftsmedaille bedacht, begab sich Auer nach Hannover, wo er noch eine Zeitlang die Anleitung Joachims genoß. Nach einer ersten erfolgreichen Konzertreise wurde der Künstler 1863 Konzertmeister in Düsseldorf, 1866 in Hamburg. Dieses Amt hat er seit 1868 in der Petersburger Hofkapelle übernommen. Zugleich ist er Professor des Violinspiels an der Musikschule der kaiserl. Residenz. Auch war er in den Jahren 1887-92 Dirigent der kaiserl. Musikgesellschaft, in welcher Eigenschaft er u. a. Berlioz' Requiem und Schumanns Manfredmusik zur Erstaufführung in der russischen Hauptstadt brachte. Nicht weniger hat er durch das von ihm gegründete, eines trefflichen Rufs genießende Streichquartett zur Hebung und Förderung des Petersburger Musiklebens nachdrücklich gewirkt. Auch als Komponist war er tätig, bei Kistner, Zimmermann, Bote und Bock erschienen Werke von ihm. Treffliche Geiger gingen aus seinem Unterricht hervor, so Galkin, Mischa Elman, Efrem Zimbalist, Kathleen Parlow, May Harrison, von denen uns mehrere weiterhin begegnen werden. Mancherlei Ehrungen und Auszeichnungen wurden dem bewährten Künstler zuteil, darunter die Erhebung in den erblichen russischen Adelsstand (1894) und die Ernennung zum Kaiserl. russischen Wirklichen Staatsrat.
Auer ist ein Geiger von vorzüglichster Qualität. Sein Spiel vereinigt bei vollendeter Technik die Eigenschaften schöner, edler Tongebung und warmblütiger, gefühlvoller Ausdrucksweise in sich Vgl. den Anhang!.
Edmund Singer, Konzertmeister in Stuttgart, wurde am 14. Oktober 1831 (oder 30) zu Totis in Ungarn geboren. Bevor er Böhms Unterricht genoß, war er Schüler Ellingers, dann Ridley Kohnes in Pest. 1846 wirkte er als Soloviolinist am deutschen Pester Theater, nachdem er sich zwei Jahre in Paris aufgehalten hatte. Anfangs der fünfziger Jahre konzertierte er erfolgreich in Deutschland, Österreich, Holland usw. Von 1853-61 war er Hofkonzertmeister in Weimar; dann wandte er sich nach Stuttgart, wo er in gleicher Eigenschaft fungierte. Außerdem ist er ein befähigter Pädagoge. Als Violinprofessor am Stuttgarter Konservatorium ist er fast seit einem halben Jahrhundert erfolgreich tätig. Auch veranstaltete er regelmäßige Kammermusikkonzerte. Sein Austritt aus der Stuttgarter Kapelle erfolgte im Jahre 1903.
Singers Spiel ist eine glatte und geschmeidige Tonbildung nebst virtuos geschulter Technik eigen. Im Verein mit M. Seifriz gab er eine umfangreiche Violinschule heraus Vgl. den Anhang!.
Eduard Rappoldi Vgl. den Anhang!, geb. 21. Februar 1839 in Wien, hatte zum ersten Lehrer Leopold Jansa und genoß hierauf den Unterricht Böhms. Im theoretischen Fach unterwies ihn Simon Sechter. Nach zurückgelegtem Studium trat Rappoldi ins Wiener Hofopernorchester, dem er von 1854-1861 angehörte. Von da ab bis zum Jahre 1866 war er Konzertmeister in Rotterdam und während des Zeitraumes von 1866-1870 nacheinander Dirigent in Lübeck, Stettin und Prag. Dann übernahm er ein Lehramt für Violine an der Berliner Hochschule bis zu seiner 1877 erfolgten Berufung als Hofkonzertmeister in Dresden. Eine Zeitlang war er auch als Bratschist im Joachimquartett tätig. In Dresden wirkte er bis 1898, wo er in den Ruhestand trat. Im Mai 1903 starb er. Rappoldi war ein gewandter und künstlerisch einsichtiger Violinist.
Ein vorzüglicher Geiger von gediegener musikalischer Richtung ist Ludwig Straus, geboren am 28. März 1835 in Preßburg. Seine musikalische Bildung empfing er im Wiener Konservatorium, dem er von 1842-48 angehörte. Während der beiden ersten Jahre des Lehrkursus war er dort im Violinspiel Schüler Hellmesbergers; von da ab leitete Joseph Böhm seine Studien, der ihm in den Jahren 1850-51 auch Privatunterricht erteilte. Im August 1859 wurde Straus als Konzertmeister nach Frankfurt a. M. berufen. Seine Stellung am Theater gab er 1862, diejenige bei den Museumskonzerten dagegen im Herbst 1864 auf. Alsdann begab er sich nach London. Hier fand Straus bald einen seinem Talent entsprechenden Wirkungskreis, zunächst im März 1865 als Konzertmeister bei der Philharmonie Society, dann in gleicher Eigenschaft bei den New philharmonic Concerts. Außerdem wurde ihm die Leitung einer Klasse des Violinspiels an der London Academy of Music übertragen. Seine Leistungen sind durch sorgsamste, geistreiche Detailausführung gekennzeichnet.
Jacob M. Grün, geboren 13. März 1837 in Pest, war zunächst Ellingers und dann Böhms Schüler. Von 1861-65 fand er einen Wirkungskreis als Solospieler in der königl. Kapelle zu Hannover, nachdem er vorher mehrere Jahre (seit 1858) der Weimarer Hofkapelle angehört hatte. Weiterhin unternahm er Kunstreisen durch Deutschland, England, Holland und Ungarn. 1868 folgte er dem Rufe als Konzertmeister des kaiserl. Hofopernorchesters in Wien, und 1877 übernahm er neben dieser Stellung auch diejenige eines Violinprofessors am Wiener Konservatorium Beide Ämter bekleidet er noch gegenwärtig (vgl. den Anhang!).
Zu den ausgezeichnetsten Zöglingen der Wiener Schule zählt Arnold Josef Rosé, geboren am 24. Oktober 1863 in Jassy. Seine Übungen auf der Geige begann dieser hervorragende Künstler, welcher den ersten Violinvirtuosen der Gegenwart beizugesellen ist, im siebenten Lebensjahre. Mit zehn Jahren wurde er als Schüler ins Wiener Konservatorium aufgenommen. Sein Lehrmeister war dort der Professor Carl Heißler, unter dessen Leitung seine dreijährigen Studien einen so außerordentlich günstigen Fortgang nahmen, daß er wahrend derselben zu dreien Malen den ersten Preis und schließlich die silberne Medaille von der Gesellschaft der Musikfreunde nebst dem Diplom der künstlerischen Reife erhielt. Im Frühjahr 1881 wurde Rosé eingeladen, in einem der Wiener Philharmonischen Konzerte Goldmarks Violinkonzert vorzutragen. Dieses Debüt hatte zur Folge, daß er bald darauf als erster Soloviolinist und Konzertmeister der k. k. Hofoper zu Wien engagiert wurde, eine Auszeichnung, die um so höher zu veranschlagen ist, als er noch nicht das 18. Lebensjahr zurückgelegt hatte. Über jenes Auftreten berichtete Ed. Hanslick in der »Neuen freien Presse«: »Der noch sehr junge Künstler bewältigte die gehäuften technischen Schwierigkeiten dieser Komposition (Goldmark's Violinkonzert) mit vollkommener Sicherheit und Ausdauer, dabei mit einem ruhigen, bescheidenen Anstande, der seine virtuose Leistung noch verschönte. In der Tat können wir von den zahlreichen jungen Geigern, die in den letzten Jahren hier konzertirt haben, keinen auf gleiche Höhe mit Herrn Rosé stellen. Die vollkommenste Reinheit der Intonation – dieses erste und unentbehrlichste Erfordernis – bewahrte Rosé selbst in den waghalsigsten Partien von Goldmark's Konzert. In allen Streicharten, Doppelgriffen und Sprüngen gleich gewandt, ebenso brillant in den höchsten Applikaturen, wie gesangvoll auf der G-Saite, im Vortrage gut musikalisch, natürlich und unaffektirt, gehört der junge Mann heute schon zu den tüchtigsten Virtuosen seines Instrumentes.«
Im Jahre 1888 konzertierte Rosé mit günstigstem Erfolge in seinem Heimatlande Rumänien und 1889 in Deutschland, worauf er sich in Paris produzierte. Bei den Festspielen in Bayreuth war er als erster Konzertmeister seit dem Jahre 1888 tätig. – Neben seiner amtlichen Tätigkeit veranstaltet Rosé alljährlich regelmäßig wiederkehrende, hauptsächlich der Pflege des Quartettspieles gewidmete Kammermusikabende in Wien. Das nach ihm benannte Roséquartett genießt als eine der hervorragendsten Quartettvereinigungen einen ausgebreiteten Ruf (vgl. den Anhang!).
Eduard Reményi (mit seinem eigentlichen Namen Hoffmann) wurde 1830 in dem ungarischen Orte Heves geboren. Seine Ausbildung empfing er während der Jahre 1842-1845 auf dem Wiener Konservatorium. Die ungarische Revolution von 1848 brachte in seine Tätigkeit als Geiger eine Unterbrechung, da er sich an dieser politischen Aktion beteiligte und dabei bis zum Adjutanten Görgeys aufstieg. Nachdem der Aufstand niedergeschlagen worden, sah sich Reményi genötigt, die Flucht zu ergreifen. Er ging nach Amerika und widmete sich wieder dem Studium der Violine. 1853 nach Europa zurückgekehrt, lebte er einige Zeit in Weimar. Im folgenden Jahre besuchte er London und wurde dort zum Soloviolinisten der Königin ernannt. Weiterhin unternahm er ausgedehnte Konzertreisen, seit 1875 von Paris aus, wo er seinen Wohnsitz nahm. Am 16. Mai 1898 starb er in Newyork. Reményi gehörte der exklusiven Virtuosenrichtung an.
Carl Berzon, geb. am 15. Dezember 1842 in Oedenburg, wurde, nachdem er im elterlichen Hause für den Musikberuf vorbereitet worden war, in Wien der Lehre Ludwig Straus' und weiterhin derjenigen Jacob Donts und Joseph Böhms teilhaftig.
Mit 18 Jahren trat Berzon in das kaiserl. Hofopernorchester ein. 1869 gab er diese Stellung auf und versah bis 1873 das Amt als Konzertmeister und Lehrer des Violinspiels am Imthurneum in Schaffhausen. Von hier wandte er sich über Paris nach England, wo er zunächst als Lehrer an der Dubliner Royal Irish Academy of Music und als Konzertmeister bei der dortigen Philharmonic Society tätig war. Dann ging er nach Manchester, um einige Zeit im Hallischen Konzertorchester und in dem Streichquartett seines ehemaligen Lehrers L. Straus tätig zu sein. Hierauf wirkte er als Konzertmeister und Lehrer am Musikverein in Innsbruck. Zu Anfang der achtziger Jahre war Berzon Konzertmeister am Kölner Stadttheater. Weitere Nachrichten über ihn fehlen.
Hermann Csillag wurde 1852 in Bakony-Telek, einem kleinen Orte des Veszprimer Komitates geboren. Seine Studien begann er auf dem Pester Konservatorium, und in Wien vollendete er sie unter Grüns und Hellmesbergers Leitung. Demnächst war er sechs Jahre lang im Hofopernorchester. Während dieser Zeit machte er mehrere Konzertreisen in seinem Vaterlande. Weiterhin war er als Soloviolinist in Baden-Baden tätig. Von dort wurde er als Konzertmeister des Allgemeinen Musikvereins nach Düsseldorf berufen. Nach mehrjährigem Wirken daselbst übernahm Csillag für einige Zeit den Konzertmeisterposten am Hamburger Stadttheater. Seit 1877 war er als Konzertmeister und Lehrer an der Musikschule in Rotterdam tätig. Csillag ist ein sehr gewandter, musikalisch empfindender Spieler, dem eine gediegene Technik zu Gebote steht.
Adolph Brodsky, geb. 21. März 1851 in Taganrog (Süd-Rußland), hatte vom fünften bis zum neunten Lebensjahre vier verschiedene Geigenlehrer. Trotz dieses häufigen Wechsels machte er doch schnelle Fortschritte; denn schon 1860 konnte er ein eigenes Konzert in Odessa geben. Durch einige reiche Bürger Odessas wurden ihm die Mittel gewährt, seine Studien in Wien fortzusetzen. Anfangs genoß er den Privatunterricht Josef Hellmesbergers. Dann besuchte er vom Winter 1862-63 bis zum Winter 1866-67 das dortige Konservatorium. Schon während seiner Studienzeit trat er als Wunderkind in mehreren Konzerten mit großem Erfolge auf. Nach Beendigung seiner Studien trat Brodsky als zweiter Geiger in das Hellmesbergersche Quartett, und von 1868-1870 gehörte er dem Hofopernorchester an. Während dieser Zeit spielte er vielfach öffentlich mit entschiedenem Beifall in Wien. In den Jahren 1870-1874 bereiste er als Konzertspieler ganz Rußland. Sein Weg führte ihn bis Tiflis und Baku. Hierauf ging er nach Moskau, wo er zu Laub in nähere Beziehung trat. Beim Tode dieses Künstlers (März 1875) erhielt Høimaly dessen Stelle als erster Lehrer des Violinspiels am Konservatorium, und Brodsky übernahm die von Høimaly versehenen Funktionen des zweiten Violinlehrers an dieser Anstalt. 1879 ging er nach Kiew, wo er die dortigen Symphoniekonzerte dirigierte. 1880 unternahm er eine größere europäische Tournée, auf der er in vielen Städten Deutschlands und Österreichs konzertierte. In Paris hörte er Sarasate, der ihm einen abermaligen Anstoß zu Studien gab. 1881 debütierte er erfolgreich mit dem Violinkonzert von Tschaikowsky, welches noch niemand öffentlich gespielt hatte, in den Philharmonischen Konzerten zu Wien. Hierauf ging Brodsky nach London, und im folgenden Jahre spielte er in einem der Moskauer Weltausstellungskonzerte unter dem enthusiastischen Beifall seiner Landsleute. Auch im Winter 1882-83 konzertierte er mehrfach in Deutschland. Sein damaliges Auftreten im Leipziger Gewandhauskonzert hatte zur Folge, daß ihm die bis dahin von Schradieck versehene Stelle als erster Lehrer des Violinspieles an der Musikschule Leipzigs übertragen wurde.
In Leipzig gründete Brodsky ein schnell berühmt gewordenes Quartett, welches zuerst in der Zusammensetzung Brodsky – Novaèek – Sitt – Leop. Grützmacher bestand, während später Hans Becker die zweite Violine, Novaèek die Bratsche, Julius Klengel das Violoncell übernahm. Auch bildete Brodsky in Leipzig eine Reihe von Schülern, von denen Felix Berber, Alexander Fiedeman und Hans Becker hier genannt seien, und unternahm weitere Konzertreisen.
Seine Leipziger Stellung gab der Künstler 1891 auf, um während dreier Jahre als Solist und Konzertmeister am Damroshorchester in Nordamerika (Newyork?) tätig zu sein. Während dieser Zeit bereiste er als Solist die Vereinigten Staaten und Kanada. Nach Europa zurückgekehrt, zog ihn Ch. Hallé als ersten Violinprofessor und Konzertmeister nach Manchester. Nach dem kurz darauf erfolgten Tode Hallés wurde Brodsky 1894 Direktor des Konservatoriums in Manchester, welche Stellung er noch bekleidet. Auch in Manchester hat der Künstler ein Quartett gegründet (Brodsky, Rawdon Briggs, Simon Speelman, Karl Fuchs), das in England, Schottland und Irland viel gereist ist, und eine Reihe Schüler gebildet, von denen Arthur Coterall, John Lowsen, Anton Maaskoff, Alfred Barker, N. Blinder und Lena Kontorovitch als in England bekannt namhaft gemacht werden.
Im Jahre 1902 wurde Brodsky von der Victoria University zum Ehrendoktor der Musik ernannt (vgl. den Anhang!).
Unter Brodskys Schülern zählt Felix Berber zu den vorzüglichsten Geigern der Gegenwart. Er wurde am 11. März 1871 in Jena geboren. Sein Talent trat frühzeitig hervor, so daß er bereits mit 7 Jahren in Dresden, wohin seine Eltern verzogen waren, regelmäßigen Unterricht erhielt. Schon kurz darauf konnte er mehrmals öffentlich als Schüler des Dresdener Konservatoriums auftreten. Als Berber 13 Jahre alt war, starb sein Vater, und auf den Rat Bülows wandte er sich nach Leipzig, wo er Brodskys Schüler wurde. Hier blieb er bis 1889 mit einer Unterbrechung, die durch seine Neigung zur Malerei veranlaßt wurde. Doch kehrte er bald wieder zur Musik zurück. Im Jahre 1889 verabschiedete er sich mit dem Ungarischen Konzert Joachims vom Konservatorium, hielt sich zwei Jahre lang in England auf, wo er sehr beifällig aufgenommen wurde, und nahm dann die Konzertmeisterstelle in Magdeburg an, die er bis zum Jahre 1896 bekleidete. In den folgenden Jahren unternahm er Konzertreisen, die ihn durch ganz Deutschland, nach der Schweiz, England und Rußland führten. 1898 wurde er Konzertmeister am Leipziger Gewandhaus- und Theaterorchester, legte aber dieses Amt am 1. April 1903 infolge von Differenzen hinsichtlich der künstlerischen Leitung dieses Institutes nieder und nahm einen Ruf als erster Professor des Violinspiels an die königl. Akademie der Tonkunst in München an. 1908 wurde er Nachfolger H. Marteaus in Genf.
Berber ist ein hervorragender Violinist gediegener Richtung. Eine hoch entwickelte, allseitig ausgebildete Technik und ein schöner, gesunder, großer Ton zeichnen seine Leistungen aufs vorteilhafteste aus. Dazu kommt sein Vermögen, dem geistigen Gehalt der Kunstwerke verschiedener Epochen und Stilarten gerecht zu werden. Ein spezielles Verdienst hat sich Berber (im Verein mit J. Klengel) um das Brahmssche Doppelkonzert für Violine und Violoncell erworben. Einen großen Teil seiner Kraft widmet er der Pflege der Kammermusik. Bereits in Magdeburg veranstaltete er jährlich 21 Kammermusikabende und in Leipzig gelang es ihm, das unter seiner Anführung auch weit gereiste (Wien, Italien, Rußland) Gewandhausquartett wieder auf die volle Höhe früherer Anerkennung zu bringen.
Schließlich nennen wir an dieser Stelle als aus dem Wiener Konservatorium hervorgegangen den als Quartettgeiger bekannten Künstler Rudolf Fitzner.
Rudolf Fitzner wurde 1868 in Ernstbrunn (Niederösterreich) geboren. Zuerst für einen andern Beruf bestimmt, kam er mit 14 Jahren auf das Wiener Konservatorium, das er 5 Jahre später wieder verließ. Sodann war er 6 Jahre lang in verschiedenen Orchestern tätig, auch als Konzertmeister; bis er seinen lange gehegten Wunsch verwirklichen konnte, ein Quartett zu gründen, welches seit 17 Jahren bestehend im In- und Auslande vielfache Erfolge erzielt hat. Besonders seit 10 Jahren macht Fitzner mit seinen Partnern ausgedehnte Reisen, die die Vereinigung u. a. nach Ägypten, Griechenland, der Türkei, Rumänien, England, Holland und Italien führten, in den letzten Jahren auch viel nach Deutschland und Rußland. Die früher von ihm ausgeübte Lehrtätigkeit hat der Künstler infolge dieser weit ausgebreiteten Reisen aufgegeben.
Eine der Wiener Schule verwandte Richtung lassen die Geiger erkennen, welche aus dem Prager Konservatorium hervorgingen. An demselben wirkte als Lehrer des Violinspiels zunächst Friedrich Wilhelm Pixis Vgl. S. 276 d. B., durch den die Traditionen der Mannheimer Schule, wenn auch nicht mehr in völlig reiner Weise, herzugebracht wurden. Die bekanntesten seiner Lehre entsprossenen Violinspieler sind außer seinem eigenen Sohne Theodor: Kalliwoda, Mildner, Dreyschock und Slawjk. Ihnen schließen sich die weiter unten aufgezählten Schüler Mildners sowie die Geiger Ondrièek, Barcewicz, Gläser und Sahla an Auch der in den letzten Jahren oft genannte Geiger Kubelik hat seine Ausbildung dem Prager Konservatorium zu verdanken, wo O. Sevèik sein Lehrer war. Den Nachrichten über ihn zufolge gehört er der virtuosen Richtung an. Mitteilungen über seinen Lebensgang waren nicht erhältlich.(vgl. d. Anhang!).
Johann Wenzeslaus Kalliwoda, geb. am 21. März 1800 in Prag, fand als zehnjähriger Knabe in der dortigen Musikschule Aufnahme und machte den vollen sechsjährigen Kursus derselben durch. Nach Beendigung seiner Studien wurde er als Violinist in das Orchester seiner Vaterstadt aufgenommen, dem er bis zum 22. Lebensjahre angehörte. Dann besuchte er München, und hier wurde ihm 1823 die Direktion der Fürstenberger Kapelle in Donaueschingen angetragen, welche er erst 1853 niederlegte. Dieses Amt und seine umfangreiche, doch für die Kunst wenig ergiebige Tätigkeit als Tonsetzer entzogen ihn mehr und mehr dem Studium seines Instrumentes, das er in jüngeren Jahren mit Geschmack und Gewandtheit zu behandeln wußte. Kalliwodas mannigfache Violinkompositionen gehören der sogenannten Konversationsmusik an und gewähren heute keine Ausbeute mehr. Er starb am 3. Dezember 1866 in Karlsruhe, wohin er sich nach seiner Pensionierung zurückgezogen hatte.
Mehr als Lehrer denn als ausübender Künstler tat sich Moritz Mildner, geboren am 7. November 1812 in dem böhmischen Orte Türnitz, hervor. Auch er verdankte seine musikalische Bildung der Prager Musikschule, an welcher er nach dem Tode seines Meisters Pixis von 1842 ab als Professor des Violinspiels wirkte. Zugleich war er Konzertmeister des Theaterorchesters. Am 4. Dezember 1865 erfolgte sein Tod.
Von seinen zahlreichen Schülern machten sich vor allen Ferdinand Laub, Julius Grunewald, Emanuel Wirth, Joh. Høimaly, Bennewitz, Rebièek, Skalitzky und Zajic bekannt.
Der erstere wurde am 19. Januar 1832 zu Prag geboren. Sein Spiel zeichnete sich durch eine glänzende, mit Bravour gehandhabte Technik aus, doch hing er sehr von momentanen Stimmungen ab, wodurch seine Leistungen von ungleicher Beschaffenheit waren. Gut disponiert wußte er außerordentliche Wirkungen zu erzielen. Laub wurde, nachdem er Prag verlassen, von 1853-1855 Konzertmeister in Weimar als Nachfolger Joachims. Von 1856-1864 gehörte er der königl. Kapelle in Berlin als Kammervirtuos an. Das von ihm während seiner Berliner Wirksamkeit gegründete Quartett (1856 bis 1862), welches gewissermaßen als Vorläufer des Joachimquartettes gelten kann, hat eine besondere Bedeutsamkeit durch wiederholte Aufführungen der letzten Quartette Beethovens gewonnen, die vorher in Berlin noch wenig bekannt waren.
Weiterhin lebte Laub in Wien, und seit dem Herbst 1866 fand er in Moskau einen seinem Talente angemessenen Wirkungskreis als Konzertmeister und Lehrer an dem dortigen Konservatorium. 1874 mußte er eines körperlichen Leidens halber die Karlsbader Quellen aufsuchen. Er genas aber nicht und starb schon am 17. März des folgenden Jahres in Gries bei Bozen. Laub veröffentlichte einige Violinkompositionen, von denen indessen nur eine Polonaise bekannter wurde.
Julius Grunewald trat, nachdem er das Prager Konservatorium besucht, 1851 ins Orchester des Friedrich-Wilhelmstädtischen Theaters in Berlin, zu dessen Konzertmeister er im selben Jahre ernannt wurde. Zwei Jahre später erfolgte seine Berufung als Konzertmeister nach Köln. Hier starb er indessen bald infolge einer abzehrenden Krankheit. Er galt für einen vorzüglichen Solospieler.
Emanuel Wirth wurde am 18. Oktober 1842 in Luditz (Böhmen) geboren. Den ersten Violinunterricht erhielt er in seiner Vaterstadt, seine weitere Ausbildung 1854-1861 auf dem Prager Konservatorium, wo Kittl und Mildner seine Lehrer waren. Nachdem er zuerst 1861-1863 als Konzertmeister im Kurorchester zu Baden-Baden tätig gewesen war, ging er 1864 als Violinlehrer ans Konservatorium in Rotterdam. Auch war er hier Konzertmeister der deutschen Oper und der Gesellschaftskonzerte sowie Führer eines Quartetts. 1877 trat er auf Joachims Veranlassung an Stelle von Rappoldi als Bratschist in das Joachimquartett ein, in dem er bis zuletzt mitwirkte. Nur im Winter 1906-1907 wurde er eines Augenleidens wegen von Klingler vertreten bis auf das letzte aller Joachimquartette am 6. April 1907, bei dem Wirth wieder tätig war. Außerdem war er Violinlehrer an der königl. Hochschule für Musik in Berlin. In Gemeinschaft mit H. Barth und Hausmann war er Veranstalter bekannter und hochgeschätzter Triosoireen in der Hauptstadt. Als Solist trat Wirth in Leipzig (Gewandhaus und Euterpe), Wien, Hamburg und andern deutschen Städten, sowie in Holland und London vor das Publikum.
Johann Høimaly, geboren am 13. April 1844 zu Pilsen, besuchte, nachdem er von seinem Vater und dem Chorregenten seiner Heimatstadt Violinunterricht empfangen hatte, von seinem 11. Jahre ab das Prager Konservatorium. Hier war er von 1855-1861 Mildners Schüler. Schon in seiner Studienzeit zeichnete er sich so aus, daß er während derselben dreimal in den öffentlichen Konzerten des Konservatoriums mit günstigem Erfolg auftreten konnte. Von 1862-1868 fungierte er als Konzertmeister in Amsterdam, nebenbei herumreisend und konzertierend. Obwohl Høimaly sich von seiner Stellung im ganzen befriedigt fühlte, hegte er den Wunsch, nach Moskau zu gehen, um in der unmittelbaren Nähe Ferd. Laubs zu sein, den er zu seinem Ideal erkoren hatte. Im Herbst des Jahres 1869 nahm er denn auch seinen dauernden Aufenthalt in der alten Zarenstadt. Dort fand er sogleich Anstellung am Konservatorium. Als Laub 1875 starb, rückte er in die von demselben bis dahin bekleidete Stelle des ersten Violinprofessors an der genannten Kunstanstalt ein. Durch Laub war die vielbewährte Methode der Prager Geigenschule in Moskau eingeführt worden. Høimaly ließ es sich angelegen sein, dieselbe dort noch weiter zu verbreiten. Mit seiner Lehrtätigkeit war das Konzertmeisteramt bei den Symphoniekonzerten der kaiserl. russ. Musikgesellschaft verbunden. Außerdem leitete Høimaly viele Jahre als erster Geiger die Kammermusiksoireen dieser Vereinigung. Doch hat sich der Künstler seit einer Reihe von Jahren sowohl vom Quartett- als von Solospiel, in dem seine Leistungen gleichfalls als ausgezeichnete galten, zurückgezogen. Nur noch selten tritt er gelegentlich einer Kammermusikaufführung vor das Publikum.
Høimaly hat sich um den Aufschwung, den die russischen Musikverhältnisse seit Begründung der Konservatorien in Petersburg (1862) und Moskau (1866) genommen haben, in 40jähriger unermüdlicher Arbeit hochverdient gemacht, sowohl als Ausübender wie als Lehrer seines Instruments. Für die großen Erfolge, die er in letzterer Eigenschaft erzielte, sprechen die Namen mehrerer seiner Schüler, von denen hier Barcewicz, Petschnikow, Michael Preß, Lea Lüboschütz, D. Krein, M. Zirelstein, Konzertmeister der Siminschen Oper und Mogilewski, der jetzige Primgeiger des Moskauer Streichquartetts, genannt seien. Von diesen Künstlern werden die beiden ersten weiterhin besprochen werden, über die anderen fehlen derzeit genauere Nachrichten.
Zu Ehren der 40jährigen Tätigkeit Høimalys am Moskauer Konservatorium fand im März dieses Jahres (1910) eine Festsitzung der Musikgesellschaft in Moskau statt, bei der dem verdienten Künstler zahlreiche Ehrungen zuteil wurden. Außerdem hatte ein kunstliebender Mitbürger, D. F. Beljajew, zwei Geldprämien gestiftet, um die ein zweitägiges Wettspielen von Schülern Høimalys stattfand. Den ersten Preis trug der obengenannte Michael Preß davon, der sich seit mehreren Jahren in Deutschland aufhält. Nähere Nachrichten über ihn fehlen (vgl. den Anhang!).
Florian Zajic, geb. am 4. Mai 1853 zu Unhoscht in Böhmen, offenbarte frühzeitig ungewöhnliches Talent und empfing seine Ausbildung als Violinist während eines achtjährigen Besuches des Prager Konservatoriums in den Jahren 1867-1870 zunächst durch Moritz Mildner, und nach dessen Tode durch Anton Bennewitz; Hierauf übernahm er das Konzertmeisteramt im Augsburger Theaterorchester, doch schon 1871 trat er in die Mannheimer Kapelle, zu deren Konzertmeister er nach einigen Monaten ernannt wurde. In dieser Stellung blieb Zajic zehn Jahre, fortgesetzt aufs eifrigste an seiner künstlerischen Vollendung arbeitend. Im Jahre 1881 erhielt er die Berufung als Professor des Violinspiels an das Konservatorium zu Straßburg, nachdem er sich dort hatte hören lassen. Von Straßburg aus unternahm Zajic erfolgreiche Kunstreisen durch Deutschland und die Schweiz. Dann auch trat er, höchst beifällig aufgenommen, in London und Paris auf. Im Sommer 1889 verließ er seinen Straßburger Wirkungskreis und übernahm im Herbst desselben Jahres die Funktion als erster Konzertmeister beim Orchester der Hamburger Philharmonischen Gesellschaft. Doch löste er dieses Verhältnis noch vor Ablauf der Saison aus persönlichen Gründen. Seit dem Frühjahr 1891 wirkte Zajic als Nachfolger Emil Saurets am Sternschen Konservatorium in Berlin, vertauschte jedoch diese Stellung nach vier Jahren mit der gleichen am Klindworth-Scharwenka-Konservatorium, dessen Lehrerkollegium er bis heute angehört.
Zajic hat Konzertreisen durch einen großen Teil von Europa unternommen, ferner in seinen früheren Wohnorten ständige Streichquartettsoireen veranstaltet und ist auch als Dirigent vielfach tätig gewesen. Seit 1891 ist er mit H. Grünfeld zu Abonnementkonzerten vereinigt und leitet seit vier Jahren die Sonntagskonzerte des Schillertheaters in Charlottenburg. Zajic wurde vom Großherzog Friedrich I. zum Kammervirtuosen und 1905 zum Professor ernannt.
Zajics Spiel zeichnet sich durch großen, vollen Ton und durch eine allen Schwierigkeiten gewachsene Technik aus. Vorzügliches leistet er besonders im Vortrag des Gesanglichen, Getragenen. Dabei ist seine künstlerische Richtung eine durchaus gediegene.
Ernst Skalitzky, der Sohn eines Arztes in Prag, wurde dort am 30. Mai 1853 geboren und war neben dem Gymnasialbesuch vom achten Jahre ab Privatschüler Mildners. Seine musikalische Begabung machte sich im Laufe der Zeit so entschieden geltend, daß er, 16 Jahre alt, das Gymnasium verließ, um sich ganz der Kunst zu widmen. Er besuchte nun das Prager Konservatorium und blieb in demselben von 1868-1871. Nach Ablauf dieser Zeit trat er mehrmals in Wien mit Beifall als Solist auf, studierte aber trotz seiner weit vorgeschrittenen Leistungsfähigkeit noch für ein Jahr auf der Berliner Hochschule unter Joachims Leitung. Vom September 1873 bis zum Jahre 1879 war er dann Konzertmeister des Parkorchesters in Amsterdam, von wo er in gleicher Eigenschaft nach Bremen berufen wurde. Diese Stellung gab er im Frühjahr 1891 auf, verblieb aber in Bremen. Im Besitze einer bedeutenden Geigentechnik, wirkt er dort nicht nur als Solo- und Quartettspieler, sondern auch als Lehrer.
Anton Bennewitz, geb. am 26. März 1833 in Pøivret bei Leitomischl, war auf der Prager Musikschule der Zögling Mildners. Komposition studierte er bei J. F. Kittl. Der Lehre entwachsen, wurde er zunächst im Prager Theaterorchester bei der ersten Violine angestellt. Um diese Zeit unternahm er Konzertreisen in Österreich, Deutschland, Belgien und Frankreich. Hierauf folgte er dem Ruf als Konzertmeister an das Mozarteum in Salzburg und weiterhin in gleicher Eigenschaft nach Stuttgart. Seit dem Jahre 1866 wirkte er als Nachfolger Mildners am Prager Konservatorium als Lehrer, und 1882 wurde er Direktor desselben Institutes, dem er 35 Jahre vorstand, bis 1901 seine Pensionierung erfolgte. Der Künstler lebt derzeit im Ruhestande in Teplitz-Schönau. Treffliche und bekannte Künstler danken ihm ihre Ausbildung ganz oder teilweise, so Zajic, Haliø, Ondøièek, die drei Geiger des Böhmischen Quartetts usw. Vgl. den Anhang!.
Ein weiterer Schüler von ihm ist Otokar Kopecky, der am 28. April 1850 in Chotìboø, Böhmen, geboren wurde. Nachdem er vier Jahre das Gymnasium besucht hatte, wurde er von 1867-1870 Schüler des Prager Konservatoriums, wo Bennewitz sein Lehrer auf der Violine war. Nach Absolvierung dieser Anstalt wurde Kopecky Theaterkapellmeister und Lehrer an der Musikschule in Brünn, wo er von 1870 bis 1873 verblieb, um sodann eine Stellung am Salzburger Mozarteum und weiterhin bei der Hofkapelle in Sondershausen anzunehmen.
1878 siedelte der Künstler nach Hamburg über, wo er seitdem lebt. Zunächst war er als Konzertmeister bei der Laubeschen Kapelle tätig, unternahm mit ihr eine Tournée durch Rußland und Deutschland und wurde, nach Hamburg zurückgekehrt, Violinlehrer am v. Bernuthschen Konservatorium sowie von 1890 bis 1896 erster Konzertmeister der Philharmonischen Gesellschaft. Auch bildete er ein Streichquartett mit Vermehrer, Niesch und Kruse, dessen Leistungen sich vielfacher Anerkennung zu erfreuen hatten. 1896 gab Kopecky die Stellung als Konzertmeister auf und widmet sich seither der solistischen Tätigkeit sowie seinem Lehramt am Konservatorium. Unter den ihm zuteil gewordenen Auszeichnungen sei erwähnt, daß Kopecky der Violinlehrer des deutschen Kronprinzen sowie des Prinzen Adalbert war. Auch ist er königl. preuß. Professor und Schwarzburg-Sondershäuser Kammervirtuose.
Anton Witek, gleichfalls aus der Schule von Bennewitz hervorgegangen, war eine längere Reihe von Jahren hindurch erster Konzertmeister des Berliner Philharmonischen Orchesters und wirkt jetzt als Nachfolger von W. Heß in Boston. Nähere Nachrichten über den Künstler fehlen derzeit.
Ein anderer begabter Schüler Mildners war Josef Rebièek, geboren in Prag am 7. Februar 1844. Er machte den ganzen sechsjährigen Kursus auf dem Prager Konservatorium durch, trat 1861 als Kammermusikus in die Weimarer Hofkapelle ein und wurde 1863 als Konzertmeister an das böhmische Nationaltheater in Prag berufen. Nach Verlauf von zwei Jahren übernahm er dieselbe Funktion an dem königl. deutschen Landestheater seiner Vaterstadt, blieb aber auch nur drei Jahre in dieser Position, da er 1868 beim königl. Hoftheater in Wiesbaden als erster Konzertmeister angestellt wurde. Hier wirkte er fünfzehn Jahre hindurch zugleich als Operndirigent neben Jahn, infolgedessen er 1875 die Ernennung zum königl. Musikdirektor erhielt. Gegen Schluß des Jahres 1882 wurde ihm das Amt eines Operndirektors und ersten Kapellmeisters am kaiserl. Hoftheater in Warschau angetragen, was ihn veranlaßte, aus seiner bisherigen Stellung auszuscheiden. In Warschau verblieb Rebièek bis 1891, in welchem Jahre er Kapellmeister am Nationaltheater in Pest wurde. 1893 in der gleichen Eigenschaft an das Wiesbadener Hoftheater zurückberufen, war auch dort seines Bleibens nicht lange. Er übernahm im Jahre 1897 die Direktion des Berliner Philharmonischen Orchesters, welche Stellung er, vom Jahre 1898 ab mit dem Titel eines königl. Hofkapellmeisters, bis zu seinem am 24. März des Jahres 1904 erfolgten Tode bekleidet hat. Rebièek war ein ebenso gewandter Geiger wie tüchtiger Dirigent.
Ein sehr bedeutendes frühreifes Geigertalent besaß Joseph Slawjk, geb. am 26. März 1806 zu Ginetz in Böhmen. Er war der Sohn eines Schullehrers. Der Violinunterricht wurde im vierten Lebensjahre begonnen. Auf das Talent des Knaben aufmerksam gemacht, gewährte ihm der Graf v. Wrbna die Mittel zum Besuch der Prager Musikschule. Pixis entwickelte seine Anlagen auf die glücklichste Weise. Aus der Musikschule entlassen, machte er sich bald einen bedeutenden Namen als Solospieler. 1823 wurde er Violinist im Prager Theaterorchester, von 1825 ab lebte er in Wien. Als Paganini (1828) diese Stadt besuchte, wurde Slawjk sein enthusiastischer Bewunderer; er verdankte dem italienischen Künstler wesentliche Fingerzeige für das Studium. Der Trieb, sein Talent in möglichster Vollendung auszubilden, war indessen noch nicht gestillt. Er begab sich daher zu Baillot nach Paris. Sein dortiger Aufenthalt wurde jedoch durch die Berufung in die Wiener Hofkapelle abgekürzt. Slawjk erregte durch seine Leistungen die lebhafteste Teilnahme aller, die ihn hörten, nicht nur im Publikum, sondern auch in Künstlerkreisen. Chopin, der ihm ein warmes Interesse widmete, nannte ihn den zweiten Paganini. Es scheint also, daß er der virtuosen Richtung angehörte. Die Hoffnungen, welche seine Freunde auf das dereinstige Wirken des reifen Mannes setzten, wurden durch den unerwartet schnellen Tod Slawjks vernichtet. Er starb am 30. Mai 1833 in Pest, wohin ihn eine kurz vorher unternommene Konzertreise geführt hatte.
Der Geiger Franz Ondøièek, dessen Geburtsstätte der Prager Hradschin ist, hatte durch seinen Vater, den Dirigenten einer Prager Salonkapelle, eine musikalische Jugend genossen, welche sein Talent frühzeitig entwickelte. Geboren wurde er am 29. April 1857. Vom vierzehnten Lebensjahre ab erhielt er den Unterricht von Bennewitz in der Musikschule seiner Heimatstadt, worauf er sich, 17 Jahre alt, nach Paris begab, um unter Massarts Leitung im Konservatorium seine Violinstudien zu beendigen. Nach zwei Jahren durch Verleihung des ersten Preises ausgezeichnet, trat er zunächst in den populären Konzerten von Pasdeloup auf, ging nach London, Brüssel und anderen Städten und errang überall große Anerkennung. Sein Auftreten zu Wien und Berlin im Winter 1882-1883 war von enthusiastischen Kundgebungen begleitet. Weitere Nachrichten über ihn fehlen (vgl. den Anhang!).
Raymund Dreyschock, jüngerer Bruder des bekannten Klaviervirtuosen, geboren am 30. August 1824 zu Zack in Böhmen, war seit 1850 zweiter Konzertmeister im Orchester und Lehrer des Violinspiels an der Leipziger Musikschule. Er starb infolge eines Gehirnleidens am 6. Februar 1869 in der Heilanstalt Stötteritz bei Leipzig.
Stanislaus Barcewicz wurde am 16. April 1858 in Warschau geboren. Sein Vater war Postbeamter. Schon in frühester Jugend verriet Stanislaus ein entschieden musikalisches Naturell. Von allem Kinderspielzeug war und blieb ihm immer eine kleine Jahrmarktsgeige das liebste. Ein außerordentlich scharfes Gehör setzte ihn instand, alle auf dem Klavier angeschlagenen Töne voneinander zu unterscheiden und zu benennen, ohne auf die Klaviatur zu sehen; und selbst bei willkürlich gegriffenen Zusammenklängen, mochten sie auch noch so dissonierend sein, irrte er niemals. Der Violinunterricht wurde früh begonnen, und als 11jähriger Knabe konnte er sich bereits mit dem 7. Konzert von de Bériot vor einem größeren Kreise von Kunstfreunden produzieren. Nun wurde Barcewicz nach Moskau ins Konservatorium geschickt, in welchem er den Unterricht Laubs und nach dessen Tode (1875) denjenigen Høimalys genoß. Mit der goldenen Medaille belohnt, verließ er nach absolviertem Studium 1877 die Anstalt. Seitdem hat er vielfache Reisen gemacht, auf denen er in Leipzig, Berlin, Dresden, Prag und anderen bedeutenden Städten sich mit ausgezeichnetem Erfolg hören ließ. Auch die skandinavischen Länder besuchte er. Von der Philharmonischen Gesellschaft zu Christiania wurde er 1881 zum Ehrenmitglied ernannt. Barcewicz, der als Opernkapellmeister in Warschau lebt, gehört zu den begabtesten Konzertgeigern unserer Zeit.
Theodor Pixis, der Sohn des S. 276 genannten, geboren am 15. April 1831, empfing die erste Ausbildung von seinem Vater und begab sich 1846 nach Paris, um daselbst das Violinstudium bei Baillot fortzusetzen. 1850 wurde er nach Köln berufen, um dort an der Seite Hartmanns als Konzertmeister tätig zu sein. Nur einige Jahre bekleidete er dieses Amt; denn schon am 1. August 1856 erlag er einer tötlichen Krankheit. Pixis war ein sorgsam geschulter Geiger von virtuoser Richtung.
Erwähnt möge hier noch werden, daß Franz Gläser, geboren am 19. April 1798 zu Obergeorgenthal in Böhmen, gest. 29. August 1869 zu Kopenhagen, aus der Pixisschen Schule hervorgegangen ist. Jedoch vertauschte er (1817) die Violine mit dem Dirigentenstab.
Mittelbar zur Prager Schule gehört der ausgezeichnete Geiger Richard Sahla, da er seine Ausbildung während eines vierjährigen Besuches der Schule des steiermärkischen Musikvereins durch den Konzertmeister Ferd. Casper in Graz empfing, welcher ein Zögling Moritz Mildners war. Auf dem Klavier waren gleichzeitig seine Lehrer Cuno Heß und Hoppe und in der Komposition Dr. Meyer (Remy). Sahla wurde am 17. September 1855 zu Graz geboren. Kaum hatte er das 7. Lebensjahr zurückgelegt, so erfolgte sein erstes öffentliches Auftreten als Solospieler in seiner Vaterstadt, wo er sich weiterhin noch zum öfteren hören ließ. Wie Vorzügliches er schon damals leistete, beweist der Umstand, daß er von dem Institute, welches er besuchte, viermal durch Verleihung von Prämien ausgezeichnet wurde. Um sich noch weiter zu vervollkommnen, ging er nach Leipzig zum Besuche des dortigen Konservatoriums. Hier genoß er auf der Violine noch Davids und Röntgens Unterweisung, doch betrachtet er sich nicht als eigentlichen Schüler des ersteren, da er sich bereits im Besitze einer vortrefflich geschulten Technik befand und hauptsächlich jenen Geigenvirtuosen nacheiferte, die in den Gewandhauskonzerten auftraten. In diesen Konzerten produzierte er sich dann, nachdem er bei seinem Abgange vom Konservatorium mit einem Preise gekrönt worden, zu Anfang 1873. Von 1876-1877 versah Sahla das Amt des Konzertmeisters in Gothenburg. Während der Jahre 1878-80 gehörte er dem Wiener Hofopernorchester an. Bevor er aus diesem Künstlerverbande schied, errang er mit Paganinis Konzert, welches er in einer Musikaufführung für den Pensionsfonds des kaiserl. Hofopernorchesters vortrug, den glänzendsten Erfolg. Während der Jahre 1880-81 befand sich Sahla auf einer Konzertreise. Im Herbst 1882 wurde er zum königl. Konzertmeister am Hoftheater zu Hannover ernannt. Dort führte er sich mit einem Konzert Paganinis ein. Die »Signale« berichteten darüber: »Herr Richard Sahla errang einen für hiesige Verhältnisse beispiellosen Erfolg. Schon nach dem ersten Solo erhob sich starker Applaus, welcher sich zum Schlusse nach der von Herrn Sahla selbst komponirten, von Schwierigkeiten aller Art strotzenden Kadenz zu wahrem allgemeinem Enthusiasmus steigerte. Herr Sahla spielte außerdem noch das Andante aus dem 4. Konzert von Mozart und ein Capriccio von Fiorillo, und zeigte darin, daß er nicht bloß phänomenale Technik, sondern auch einen großen Ton und edle Wärme des Vortrags besitzt.« In Hannover wirkte Sahla bis 1888, da dann seine Berufung zum Hofkapellmeister nach Bückeburg erfolgte. In dieser Stellung hat er sich als vorzüglicher Dirigent bewährt. Er begründete dort eine Orchesterschule und einen Oratorienverein. Auch neuerdings ist der treffliche Künstler, der seither zum Professor ernannt wurde, neben seiner amtlichen Tätigkeit sowohl als Violinist wie als Dirigent vielfach mit Erfolg vor die Öffentlichkeit getreten, so in Berlin, Hamburg, Leipzig, Frankfurt, Odessa usw.
Sahlas Spiel zeichnet sich durch musterhafte Bogenführung und Reinheit der Intonation, sowie durch leichte Beherrschung der schwierigsten Aufgaben und musikalisch künstlerische Haltung aus. An Violinkompositionen veröffentlichte er eine »Rêverie«, eine Fantasie über Kärntner Volksweisen, eine »Rumänische Rhapsodie« und eine »Ballade« mit Klavierbegleitung. Außerdem gab er mehrere Lieder heraus.
Aus der Prager Schule hervorgegangen ist das um die Jahrhundertwende zu schneller und wohlverdienter Anerkennung gelangte »Böhmische Quartett«, als dessen geistiger Führer der vorzügliche Cellist Hans Wihan (geb. 1855) gelten muß. Der erste Violinist dieser Vereinigung ist Karl Hofmann, der am 12. Dezember 1872 in Prag geboren wurde. Am dortigen Konservatorium war er von 1885-92 der Schüler von Bennewitz. In denselben Jahren und von demselben Meister herangebildet ist der zweite Geiger, Joseph Suck, geboren am 4. Januar 1874 zu Køeèowicz (Böhmen), der außerdem ein talentvoller Komponist ist. Auch der Bratschist Oskar Nedbal, der am 25. März 1874 zu Tabor in Böhmen geboren wurde und zuerst Trompete studierte, ist ein begabter Künstler, der ebenfalls in den Jahren 1885-92 am Prager Konservatorium seine Ausbildung erfuhr (vgl. den Anhang!).
Die den besten existierenden Quartetten einzureihenden »Böhmen« leisten zwar, was vorzügliches Ensemblespiel und wahrhaft blühende, lebenswarme Tonschönheit angeht, in allen Gebieten der Quartettliteratur vortreffliches. Ihre volle Höhe erreichen sie indes bei der Wiedergabe von Kompositionen, die ein ihnen verwandtes nationales Element anklingen lassen.
Über den hier einzureihenden O. Ševèik und seine Schule vgl. den Anhang!
Der quantitativ wie qualitativ gewaltige Aufschwung, den das gesamte öffentliche Musikleben Berlins in den letzten Jahrzehnten genommen hat, ist bedingt durch eine ganze Reihe ineinandergreifender Ursachen, unter denen die veränderten politischen Verhältnisse nicht die letzten sind. Wenn jedoch in unseren Tagen von neuem, gleichwie im 18. Jahrhundert und in weit bedeutsamerem Sinne, von einer Berliner Schule des Violinspieles geredet werden kann, so ist dies das Werk eines einzelnen Mannes, freilich eines der bedeutendsten ausübenden Künstler des 19. Jahrhunderts, der zur günstigsten Zeit, gerade als Berlin den Weg von der Großstadt zur Weltstadt angetreten hatte, daselbst eine schulbildende Tätigkeit von seltener Fruchtbarkeit zu entfalten begann. Mit seinem Leben und seiner Wirksamkeit haben wir uns daher hier zunächst zu beschäftigen.
Joseph Joachim Ein liebevoll und anregend geschriebenes Lebensbild Joseph Joachims veröffentlichte neuerdings A. Moser (2. umgearb. u. erweiterte Auflage 1908-10). Es sei denen, die ausführlicheres von dem Meister der Violine zu erfahren wünschen, als in diesen Blättern gegeben werden kann, angelegentlich empfohlen. wurde am 28. Juni 1831 in Kitsee nahe bei Preßburg geboren. Frühzeitig zeigten sich Talent und Liebe zur Musik bei ihm, und so kam er bereits 1839 auf die Wiener Musikschule, nachdem er schon in Pest bei dem dortigen Konzertmeister Serwaczyñski Unterricht erhalten hatte und unter dessen Assistenz öffentlich aufgetreten war. Als neunjähriger Knabe spielte er gemeinschaftlich mit drei anderen Jugendgenossen, unter denen die Gebrüder Hellmesberger waren, die Quartettkonzertante von L. Maurer in einem Konzerte zu Wien Ed. Hanslick: Gesch. d. Konzertwesens in Wien, S. 343.. Er wurde dann für drei Jahre Privatschüler von Joseph Böhm (S. 475), dessen in jeder Hinsicht vortreffliche Unterweisung bei der hohen Begabung des Knaben weiterhin allen wirklichen Violinunterricht für ihn überflüssig machte. Im Frühling 1843, also in einem Alter von zwölf Jahren, kam er, ausgestattet mit einer musterhaft durchgebildeten Technik, nach Leipzig und trat dort am 19. August in einem Konzert der Sängerin Viardot-Garcia auf. Felix Mendelssohn-Bartholdy, der sogleich ein lebhaftes Interesse für den äußerlich unscheinbaren Knaben gewann, gewährte ihm die Auszeichnung, bei seinen Vorträgen selbst die Klavierbegleitung zu übernehmen. Joachims musikalische Zukunft war hiermit entschieden. Der feinsinnige Schöpfer der Sommernachtstraummusik zog den Kunstjünger in seine Nähe, und im häufigen Verkehr mit ihm und anderen vorzüglichen Künstlern Leipzigs gewann Joachim während der folgenden Jahre eine höhere künstlerisch-ästhetische Bildung, die sein geistiges Wesen aufs glücklichste entwickelte und ihm eine dem Virtuosenstandpunkte durchaus entgegengesetzte gediegene Richtung gab. Mit anhaltendem Eifer wurden von ihm neben den musikalischen auch wissenschaftliche Studien betrieben.
Trotzdem fand der noch so jugendliche Künstler Zeit zu häufigen Konzertausflügen nach den Hauptstädten Norddeutschlands sowie nach England. Sein erstes Auftreten in London mit noch nicht ganz 13 Jahren neben den renommiertesten Künstlern jener Zeit (Mendelssohn, Thalberg, Sivori, Parish-Alvars u. a.) hatte am 19. Mai 1844 statt; wenige Tage darauf (27. Mai) spielte er sodann ebendort unter Mendelssohns Direktion zum ersten Male das Beethovensche Violinkonzert öffentlich – ein denkwürdiger Tag in der Geschichte des modernen Violinspieles. In der Kompositionslehre war Joachim Hauptmanns Schüler, im Violinspiel empfing er hin und wieder Ferdinand Davids Rat. Doch beschränkte sich dies auf einige Zusammenkünfte, bei denen Joachim neueinstudierte Konzertstücke vorspielte, um Davids Urteil zu hören. Von einem eigentlichen Violinunterricht war hierbei um so weniger die Rede, als Joachim eines solchen im Grunde nicht mehr bedurfte. Von wichtig eingreifender Bedeutung waren dagegen die Beziehungen zu Mendelssohn, sowie die Gesamteinflüsse der damaligen reichbewegten musikalischen Atmosphäre Leipzigs. Unter solchen Verhältnissen ist es erklärlich, wenn Joachim bei seinem seltenen Talent bald zu einer außerordentlichen Erscheinung heranreifte.
Im Oktober 1850 verließ Joachim Leipzig, wo er auch eine Zeitlang als Vizekonzertmeister im Orchester tätig gewesen war, um auf Franz Liszts Veranlassung als Konzertmeister in die Weimarsche Kapelle zu treten.
Hier blieb er drei Jahre und wurde durch die phänomenale Persönlichkeit Liszts einigermaßen in die »neudeutsche« Musikrichtung hineingezogen. Doch machte ihn verschiedenes, wie die abfällige Beurteilung, die Liszt und dessen Parteigenossen Männern wie Mendelssohn und Schumann, zu deren Verehrung Joachim sich getrieben fühlte, zuteil werden ließen, nicht minder auch die Richtung von Liszts eigener kompositorischer Tätigkeit, schon bald in dieser Gefolgschaft schwankend.
Obwohl Joachim in Hannover, wohin er von Weimar im Anfang des Jahres 1853 als königl. Konzertmeister und Kammervirtuose ging, die ersten Jahre hindurch mit dem um Liszt gescharten Kreise noch in lebhafter Verbindung blieb, wandte er sich doch innerlich mehr und mehr von den dort angestrebten Zielen ab, besonders seit ihn mit Schumann, und bald nach dem ersten Hervortreten von Johannes Brahms auch mit diesem ein enges Freundschaftsverhältnis verband, welches in diesem Falle in tiefer innerlicher Übereinstimmung der gegenseitig vertretenen Kunstrichtung seinen festen Halt gewann. So kam es denn zu dem bekannten Brief Joachims an Liszt vom 27. August 1857, durch den er sich von der neudeutschen Richtung lossagte.
Joachim galt damals bereits seit Jahren für den ersten lebenden Violinspieler, und die sachkundigen Beurteiler aus jener Zeit sprechen sich übereinstimmend dahin aus, daß es die absolute, bis dahin in dieser Art unerhörte Unterordnung des Virtuosen unter den Musiker war, die ihm so früh eine exzeptionelle Stellung erwarb und dauernd sicherte. Schon im Jahre 1853 konnte in betreff seines Auftretens als Solospieler beim Niederrheinischen Musikfest Signale f. d. mus. Welt (Jahrg. 11, Nr. 25). Vgl. über dies erste Auftreten Joachims am Rhein auch: v. Wasielewski, »Aus siebzig Jahren«, Seite 80-82. (Stuttgart und Leipzig, 1897). von ihm gesagt werden, daß er »durch die ganz und gar meisterhafte, vielleicht bis jetzt unerreicht dastehende Reproduktion des Beethovenschen Violinkoncertes alle Gemüther in die tiefste Bewegung setzte, und daß er zum Höchsten in seiner Kunst berufen sei«. Bei seinem im November 1860 erfolgten Auftreten in Dresden veranlaßte er folgende Kundgebung Der Verf. d. Blätter erlaubt sich hier, wie schon vorhin, seine eigenen Worte anzuführen. (S. Wissenschaftl. Beilage der Leipziger Ztg. vom Jahre 1860, Nr. 92.): »Joachim's unvergleichliches Violinspiel zeigt das wahrhafte Musterbild, das Ideal eines vollkommenen Geigers, mit Beziehung auf unsere Gegenwart natürlich. Weniger kann und darf man nicht von ihm sagen, aber auch nicht mehr, und es ist genug. Was aber diesen ersten aller lebenden Violinisten außerdem so hoch über das jetzige Virtuosentum, nicht bloß seiner Fachgenossen, sondern der ganzen Musikwelt hinaushebt, ist die Tendenz, in der er seinen Beruf ausübt. Joachim will nicht Virtuose im herkömmlichen Sinne, er will Musiker vor allen Dingen sein. Und er ist es, – ein bei seiner absolut dominirenden Stellung um so nachahmenswertheres Beispiel für alle Jene, die vom Dämon kleinlicher Eitelkeit besessen immer nur ihr langweiliges ›Ich‹ zur Schau stellen wollen. Joachim macht Musik, seine eminente Leistungsfähigkeit befindet sich allein im Dienste der echten, wahren Kunst, und so ist es recht. Man muß diesen Künstler dafür besonders lieb und werth halten.«
Unzweifelhaft ist es, daß Joachim durch die bezeichnete Richtung auf den größten Teil der Solospieler Deutschlands einen sehr maßgebenden Einfluß ausgeübt hat. Mehr und mehr hat sich seit seinem rühmlichen Vorgange in den sogenannten Virtuosenkonzerten eine gediegenere Tendenz hinsichtlich der Wahl des Darzustellenden Bahn gebrochen.
Joachim ist als ausübender Künstler nicht nur stets bedeutend geblieben, sein geistiges Wesen klärte und vertiefte sich mit den reiferen Mannesjahren noch wesentlich. In der unvergleichlichen Wiedergabe der klassischen Meisterwerke war er einzig und unerreicht: er hatte in der Tat keinen ebenbürtigen Rivalen. Mochte er nun das von ihm im reproduktiven Sinne neugeschaffene Beethovensche oder das Mendelssohnsche Konzert, mochte er eines der Spohrschen Konzerte Joachim spielte Spohr schon Pfingsten 1846 dessen e-moll-Konzert in einem improvisierten Gewandhauskonzert so vollendet vor, daß ihm die wärmste Anerkennung des Altmeisters der Geige zuteil wurde. oder ein Bachsches Musikstück vortragen, überall gab er, der Eigenartigkeit jedes Meisters gerecht werdend, das Vollkommene. Die harmonische Ineinsbildung aller für die vollendete Darstellung des musikalisch Schönen erforderlichen Eigenschaften besaß er in einem Maße, wie kein anderer seiner Zeitgenossen. Wenn Joachims Spiel in den sechziger Jahren gelegentlich den Eindruck machen konnte, als ob er einer weicheren und überwiegend zart geglätteten Ausdrucksweise den Vorzug vor der ihm eigenen elastisch schwungvollen Geistesfrische gegeben hatte, so war dies eine nur vorübergehende Erscheinung, welche sehr bald wieder überwunden wurde. Das Wesen seines Geistes prägte sich am entschiedensten in der Behandlung des Cantabile aus. Es war bei großer Wärme durch einen romantisch-lyrischen, von leiser Träumerei angehauchten Zug charakterisiert. Daher vermochte er Stücke, wie z. B. das Adagio in Beethovens Violinkonzert, ebenso unnachahmlich als hinreißend wiederzugeben. Keineswegs war indes damit ein Mangel an gesunder, kräftiger Männlichkeit verbunden. Doch diese letztere gab sich mehr in einem sinnigen, von mildem Ernst erfüllten Tone kund als in stürmisch entfesselter Leidenschaft. Alles trug hier, bei maßvoller Haltung, den Stempel edelsten Gefühlsausdruckes.
Aber auch im Allegro war Joachims Spiel von vollendeter Beherrschung und Schlagfertigkeit, wobei ihn eine nervig intensive und dabei doch für die zartesten Nüancen ergiebige Tonbildung wesentlich unterstützte. In poetischer Durchdringung des einzelnen wußte er die Gegensätze des Kunstwerkes harmonisch so zusammenzufassen, daß ein einheitlich geschlossenes, vom Schwunge eigentümlich gehobener Begeisterung getragenes Ganze zur Erscheinung gelangte. Nie hat Joachim trotz mannigfaltigster Farbengebung und reichster Nüancierung zu Extravaganzen sich hinreißen lassen: tiefe Einsicht und Divinationsgabe, die ihn zu getreuer Interpretation der Tonschöpfungen unserer großen Meister in seltenem Maße befähigten, führten ihn sicher an der Klippe willkürlicher oder subjektiv eigenwilliger Auffassungsweise vorüber, ohne daß er dabei nötig gehabt hätte, seine Individualität zu verleugnen. Besonders charakteristisch für sein Spiel war die schön beherrschte Ruhe, das gleichmäßig Gehobene einer stets vornehmen Gefühlsweise, sowie jene Ungezwungenheit und Einfachheit des Ausdrucks, die das untrügliche Merkmal höchster künstlerischer Vollendung bildet. Solche Eigenschaften verbürgen den mühelos ungetrübten Genuß, von dem nichts abzurechnen bleibt.
Überall, wo Joachim noch erschien, schlugen ihm freudig erregt die Herzen seiner Zuhörer entgegen. Reichste Lorbeeren sind ihm gespendet worden. Er hat sie zu keiner Zeit gesucht, weil er ihrer nicht bedurfte. Stets vielbegehrt, konnte er sich doch niemals zu jenem Virtuosenwanderleben entschließen, welches früher oder später immer zerstreuend und ernüchternd wirkt. Er zog es vor, ohne sich der weiteren Öffentlichkeit zu entziehen, seine Konzertreisen, die ihn später auch nach Rußland und Italien führten, auf ein gewisses Maß zu beschränken, um sich einerseits die für Ausübung seines hohen Berufs erforderliche künstlerische Sammlung und Weihe zu bewahren, und andrerseits, um sich dem heimischen Wirken ungeschwächt widmen zu können, in welchem er einen wichtigen Teil seiner Lebensaufgabe erkannte. Eine Ausnahme davon machte seine seit den vierziger Jahren alljährlich regelmäßig wiederkehrende Beteiligung an der Londoner Konzertsaison, ein fest gegründetes Verhältnis, welches für die Beständigkeit der unserem Meister auch in England allgemein entgegengebrachten Verehrung sprach. Ein äußeres Zeichen für die letztere war die von der Cambridger Universität ihm verliehene Doktorwürde.
Man kann Joachims eminente Bedeutung als reproduzierender Künstler nicht voll würdigen, wenn man neben seiner solistischen Wirksamkeit nicht auch seine unvergleichliche Tätigkeit als Quartettspieler berücksichtigt. Das »Joachimquartett« wurde, nachdem der Meister bereits in London, Paris, Wien, Weimar Triumphe als Quartettspieler geerntet hatte, im Herbste 1869 begründet und hat in nahezu vierzigjährigem Wirken eine unendliche Fülle reinster Schönheit und musikalischer Kultur ausgestreut. Es wird kaum einen der zahllosen Hörer dieses Quartetts geben, der nicht mit einem Gefühl dauernder Dankbarkeit an jene Darbietungen zurückdächte. An der Geige und Bratsche waren im Laufe der Jahre beteiligt Schiever, de Ahna, Rappoldi, Wirth, Kruse, Halir und Klingler, das Violoncell vertrat zuerst W. Müller (von dem jüngeren Müllerquartett), von 1879 an bis zum Ende Hausmann. Durch die unermüdliche hingebende Pflege der deutschen Meisterwerke dieser Kompositionsgattung von Haydn bis Brahms hat diese Künstlervereinigung, in der Totalität ihrer Leistungen nach der technischen Seite unübertroffen, in geistiger Hinsicht besonders für den »letzten Beethoven« tonangebend und unerreicht, sich unvergängliche Verdienste erworben, deren Hauptanteil ihrem Begründer und Führer als der zweite seiner, drei schönen Ruhmestitel gebührt.
Von seinen Kompositionen hat Joachim nicht viel der Öffentlichkeit übergeben. Diese bestehen in den Ouvertüren zu »Hamlet« und »Demetrius«, in einer »elegischen Ouvertüre«, ferner in einer »Szene der Marfa« aus »Demetrius« für Altsolo und Orchester, einigen Märschen, Fantasiestücken für Geige und Klavier, Viola und Klavier sowie in drei Violinkonzerten. Von diesen ist das sogenannte ungarische das bedeutendste. Des weiteren ist ein Nokturno für Violine und Orchester zu erwähnen. Außerdem erschienen von ihm in neuerer Zeit im konzertierenden Stil gehaltene Violinvariationen mit Orchesterbegleitung, welche bei sorgsam gewählter und geistreicher Gestaltung ebenso die edle Richtung des Künstlers offenbaren, wie die übrigen vorgenannten Kompositionen. Wirken sie auch trotz eigenartiger und geistig bedeutsamer Züge nicht gerade mit zündender Kraft, so zeugen sie doch, in ihrer Totalität betrachtet, von einem ungewöhnlich hohen Streben, welches zu ehrender Anerkennung auffordert Ein ausführliches Verzeichnis und Besprechung von Joachims Werken (auch den ungedruckten) gibt A. Moser in der 2. Auflage seiner Biographie..
Zu Joachims äußerem Lebenslauf zurückkehrend ist weiter zu erwähnen, daß er in Hannover, wo er bald in die für ihn neugeschaffene Stellung eines Konzertdirektors aufrückte, mit einer kurzen Unterbrechung bis 1866 blieb. Die Veränderung der politischen Lage bewog ihn sodann, ins Privatleben zurückzukehren. Doch war dies nicht auf lange; denn nachdem er im Herbst 1868 seinen Wohnsitz nach Berlin verlegt hatte, wurde bald der schon bei seinem ersten Auftreten dort (1852) mehrfach geäußerte Wunsch realisiert, seine Persönlichkeit zu dauernder Wirksamkeit an diesen Ort gezogen zu sehen. Dies geschah durch die Begründung der königl. Hochschule für Musik im Jahre 1869 und die Ernennung Joachims zum Direktor derselben. In dieser Stellung wirkte der Meister bis an sein Lebensende.
Es ist hier nicht der Ort, Joachims Tätigkeit als Direktor der Hochschule in ihrem ganzen Umfang zu betrachten. Wir haben es vielmehr nur mit seiner Wirksamkeit als Lehrer seines Instrumentes zu tun, die allerdings dank seiner wahrhaft unermüdlichen Hingabe und Arbeitskraft so umfänglich und von solchem Erfolg begleitet sich erwiesen hat, daß man glauben sollte, er habe dabei zu nichts anderem mehr Muße finden können, was jedoch eine sehr irrige Annahme wäre.
Daß eine Künstlerpersönlichkeit wie die Joachims in dem Maße, wie es geschehen, schulbildend gewirkt hat, würde, wenn dies nötig wäre, noch einmal beweisen, welchen dominierenden Rang er in der Jetztzeit einnahm. Die Anzahl der von ihm zum größten Teil in Berlin – weniger bereits in Hannover – gebildeten Schüler mag sich auf rund ein halbes Tausend belaufen. Diese Zahl spricht für sich selbst, sie auch nur größtenteils hier zu besprechen oder zu erwähnen ist unmöglich A. Moser führt in seinem Lebensbilde Joachims (erste Aufl.) 85 Schüler desselben namentlich auf.. Die von dieser gewaltigen Zahl umschlossene, für die ausübende Kunst des Violinspieles unserer Tage höchst segensreich sich darstellende Arbeitsleistung Joachims gesellt sich als würdiger Dritter zu seinen beiden obengenannten Ruhmestiteln hinzu.
Nachdem der Meister in voller körperlicher und geistiger Frische in Frühjahr 1889 sein fünfzigjähriges Künstlerjubiläum hatte begehen können, bei welchem Anlasse u. a. eine Feier in der Hochschule stattfand und ihm eine Ehrengabe von 100 000 Mark überreicht wurde, von der ein Fünftel als Grundstock einer Joseph Joachimstiftung Verwendung fand, war es ihm zehn Jahre später auch beschieden, das seltene Fest einer sechzigjährigen Künstlerschaft zu feiern. Bei dieser Gelegenheit fand auf Anregung von A. Moser, Joachims Schüler und Biographen, eine Ehrung einziger Art in Gestalt eines Festkonzertes statt, das am 22. April 1899 in den Räumen der Berliner Philharmonie veranstaltet wurde. Mit Ausnahme der zwanzig Kontrabassisten nämlich bestand der gesamte Streicherchor des zu dieser Feier zusammentretenden Orchesters – vierundvierzig erste und ebenso viele zweite Geigen, zweiunddreißig Bratschen und vierundzwanzig Violoncelle – ausschließlich aus Schülern Joachims. Die Direktion lag in den Händen von Fritz Steinbach. Zur Aufführung kamen Webers Euryanthenouvertüre, Joachims Variationen für Violine und Orchester in e-moll (von H. Petri anstelle des erkrankten C. Halir noch in letzter Stunde übernommen), weiter Schumanns Ouvertüre zu Genoveva, Mendelssohns zum Sommernachtstraum und das Finale der ersten Symphonie von Brahms. Es folgte Beethovens Violinkonzert, von Joachim selber vorgetragen. Den Beschluß machte Bachs Brandenburgisches Konzert in g (für Streichorchester). Nähere Mitteilungen über die schöne Feier sind in Mosers Biographie Joachims nachzulesen, der ich diese Notizen entnehme.
Andere Festlichkeiten und Jubiläen waren die Einweihung der neuen Hochschule in Berlin und die in London 1904 feierlich begangene sechzigste Wiederkehr des Tages von Joachims erstem Auftreten in England. So hat es dem vom Glücke in seltenem Maße gesegneten Künstlerleben Joachims bis zuletzt nicht an mannigfacher begeisterter Anerkennung gefehlt.
Zu dieser Gunst der Umstände gehörte vor allem auch die außerordentliche körperliche und geistige Rüstigkeit, die dem Meister bis wenige Monate vor seinem Tode in fast ungeschwächtem Maße erhalten blieb. In seine letzten Lebensjahre fallen noch verschiedene bedeutsame Arbeiten pädagogischen Charakters, indem er mit A. Moser zusammen zunächst eine Phrasierungsausgabe der Beethovenschen Quartette veranstaltete, die, soweit es möglich ist, seine mustergültige Auffassung dieser Werke festlegt Erschienen bei Peters in Leipzig. – Daß übrigens Joachim sich nie an völlig feststehende Fingersätze, Stricharten usw. band, sondern bei treulichster und feinster Interpretation stets mit geistiger Freiheit verfuhr und so wirklich schöpferisch reproduzierte, hat er selbst vielfach bekannt.. Sodann beteiligte er sich ausgiebig an der Violinschule Mosers, die deshalb auch ihn als Verfasser nennt, indem nicht nur bis in die Einzelheiten hinein das gesamte Material gemeinsam durchgenommen und erst nach völliger gegenseitiger Übereinstimmung durch den Druck fixiert wurde, sondern auch einige Etüden des zweiten Bandes sowie ein Teil des abschließenden dritten von Joachim selber herrührt.
Im Frühjahr 1907 suchte den Meister ein Influenzaanfall heim, von dem er sich zwar am Genfer See wieder soweit erholte, daß er bei dem Ende Mai stattfindenden dritten Bachfest der neuen Bachgesellschaft spielen konnte. Aber es war das letzte Mal, daß seine Geige in der Öffentlichkeit erklang. Im Juni erkrankte er abermals; wie sich weiterhin herausstellte, handelte es sich um die seltene Krankheit der Aktinomykose, und am 15. August 1907 hatte die musikalische Welt den Verlust des großen Violinmeisters zu beklagen.
Das, was wir heute Interpretationskunst nennen, ist ein Erzeugnis des 19. Jahrhunderts. Eine Geschichte der reproduktiven Kunstausübung würde im einzelnen nachzuweisen haben, welche Entwicklungen und Ereignisse den Boden geschaffen haben, aus dem sie erwuchs. Für das instrumentale Gebiet, das uns hier allein beschäftigt, ist von inneren Faktoren zweifelsohne Beethoven und die nachbeethovensche Komposition an erster Stelle zu nennen. Werke, wie sie Beethoven im Anfange des Jahrhunderts schuf, mit denen er einen neuen Weg betrat, wie er sich selbst darüber ausdrückte: die Eroika, das Violinkonzert, das Klavierkonzert in g, die Waldsteinsonate und die Appassionata, die drei Rasumowskyquartette usw. – bedeuteten eine so erhebliche und mannigfache Ausweitung sowohl der technischen wie geistigen Ansprüche an ihre Wiedergabe, daß Jahrzehnte vergingen, ehe man diese Niveauerhöhung auch nur allgemeiner begriff. Inzwischen war Beethoven seinerseits nochmals weit ins Land des Ungeahnten vorgedrungen und hatte in den Hauptwerken seiner späteren Mannesjahre der Welt ein Vermächtnis hinterlassen, das erst in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts eigentlich nutzbar gemacht werden konnte. Die tiefgreifende Wirkung und gewaltige Expansion, die hier von ein paar Dutzend Musikwerken auf Produktion und Reproduktion eines Jahrhunderts ausgeübt wurde, ist fast ohne Gegenbeispiel in der gesamten Kunst. Es ist charakteristisch genug, daß Schubert oder Mendelssohn Beethoven gegenüber selbständiger erscheinen als Schumann oder Brahms.
Bedenkt man aber, daß die Instrumentalmusik bereits im 18. Jahrhundert durch Bach auf einen mindestens gleichhohen Gipfel geführt worden war, der auch an die Reproduzierenden analoge Anforderungen stellt, und daß trotzdem dieser größte aller Meister erst mit, ja nach Beethoven für die Konzertsäle erobert wurde, so ergibt sich ohne weiteres, daß für die fragliche Entwicklung noch mannigfache andere Faktoren in Betracht kommen, die zum guten Teil äußerlicher Art sind, d. h. mit der allgemeinen Entwicklung des 19. Jahrhunderts zusammenhängen. Jeder gibt sich leicht über die Rolle Rechenschaft, die Eisenbahn und modernes Zeitungswesen auch auf diesem Gebiete gespielt haben.
Während nun nach Beethovens Tode und der etwa gleichzeitigen Wiederentdeckung Bachs die neuere Interpretationskunst durch Künstler wie Mendelssohn, dem hier vielleicht die erste Stelle einzuräumen ist, Liszt, Clara Schumann, Bülow, Reinecke u. a. sich rasch zur vollen Höhe ausbildete, soweit Orchester und Klavier dabei in Frage kamen, erwuchs in Joachim der entsprechende, lange Zeit einzige und unerreichte vorbildliche Meister auf dem Gebiete der Geigen- und Quartettliteratur. Nicht als ob es an Vorläufern und Ansätzen hierzu gefehlt hätte. Joachim hat weder die letzten Beethovenschen Quartette noch das Violinkonzert – um zwei eklatante Beispiele zu nennen – für die Öffentlichkeit »entdeckt«, wie sich wohl heute noch mancher vorstellt. Und selbst für seine mit diesen Werken errungenen Erfolge ist nicht nur sein wundervoller Vortrag derselben, sondern auch die Tatsache von Bedeutung geworden, daß etwa vom Ende der dreißiger Jahre ab eine erst langsame, dann immer raschere und allgemeinere Hebung des musikalischen Geschmacks in Deutschland sich geltend machte, an der Joachim natürlich bewirkenden Anteil hatte, aber doch neben manchen andern.
Wohl aber war Joachim unter den großen Geigenmeistern der erste, der mit einem außerordentlichen violinistischen Können gediegenes Musikertum und einen ausgesprochenen Instinkt für Stil und Eigenart aller großen in Betracht kommenden schaffenden Meister vereinte. Der einzige Vorgänger, der in erster Hinsicht mit ihm vergleichbar, als schaffender Künstler ihm überlegen war, Ludwig Spohr, besaß gerade die letztere Eigenschaft nicht, die Vielseitigkeit des Empfindungs- und Darstellungsvermögens. Nimmt man dazu die absolute, gar nicht mehr als gewollt erscheinende Unterordnung des Virtuosen unter den Musiker, von der bereits mehrfach vorhin die Rede war, und des Meisters erzieherische Wirkung hinsichtlich aller dieser Qualitäten, so dürfte sein Anteil an der Entwicklung des modernen Kunstgeschmacks einerseits, seine epochemachende Bedeutung speziell für die Geschichte des Violinspiels andrerseits zur Genüge gekennzeichnet sein.
Der Herausgeber hörte Joachim zum letztenmal im Frühling 1905 in Rom. Außer gelegentlichem leichtem Detonieren in der Höhe, das schon früher bemerklich und nach Moser durch Gichtknoten an der linken Hand (wahrscheinlich doch auch durch abnehmende Gehörsschärfe für hohe Töne) bedingt war, ließ kaum ein Anzeichen auf sein hohes Alter schließen. Bei dieser Gelegenheit fiel abermals auf, was seit einem halben Jahrhundert viele an Joachims Spiel empfunden und ausgesprochen haben: daß für den Zuhörer der Ausführende völlig hinter dem Werke verschwand. Man hörte die Tondichtung – in diesem Falle handelte es sich um die Beethovenschen Quartette – als klänge sie aus sich heraus, das eingeschaltete fremde Gehirn fiel für die Vorstellung ganz hinweg Die Mitspielenden, als unter Joachims Führung stehend und die Art dieser Führung genau kennend, können in diesem Falle außer Betracht bleiben.. Und trotzdem ist etwas derartiges stets eine Illusion, die Leistung ist und bleibt persönlich. Nur daß diese Illusion zu ihrem Zustandekommen eines divinatorischen Feingefühls und einer widerspruchslosen, ohne Gewaltsamkeit zwingenden Verkörperung bedarf. Dies ist, was die wenigsten erreichen. Meist bleibt das Lob eine Stufe tiefer stehen, und man rühmt die geistreiche oder charakteristische Auffassung. In solchen Fällen ist die Illusion unvollständig, man hat die Persönlichkeit des Interpreten nicht vergessen können. Ganz zu geschweigen die Falle, in denen nach Aufführung der c-moll-Symphonie das Publikum sagt: »Was ist doch der Dirigent Herr N. N. für ein interessanter Mensch!« Diese Ereignisse sind heute häufig, daß sie aber künstlerisch ein Mißlingen bedeuten, indem die anzustrebende Illusion gar nicht eintritt und durch etwas ganz anderes ersetzt wird, ist wohl nur dem kleineren Teil der Hörer klar.
Darin nun, daß Joachim diese Illusion bei Tartini, Viotti und Spohr, bei Bach, Haydn, Brahms, bei Mozart, Beethoven, Schubert, Mendelssohn, Schumann, kurz bei den Meistern verschiedenster Zeit und Artung fast stets restlos gelang, dürfte wohl ein letztes erschöpfendes Urteil über den großen Künstler zusammengefaßt werden. Denn diese Anerkennung schließt notwendig alle einzelnen in sich.
Unter den Schülern Joachims nennen wir der Altersstufe entsprechend zuerst Waldemar Tofte. Am 21. Oktober 1832 in Kopenhagen geboren, begann er im neunten Lebensjahre den Unterricht bei einem geschätzten Lehrer seiner Vaterstadt. 21 Jahre alt begab er sich nach Hannover, um bei Joachim zu studieren. Infolge einer viermonatlichen Reise desselben nach England wurde dieser Unterricht unterbrochen. Tofte benutzte die Zwischenzeit, um unter Spohrs Leitung in Kassel einige Kompositionen dieses Meisters durchzunehmen. Dann kehrte er zu Joachim zurück, dem er seinem eigenen Bekenntnis zufolge das meiste von dem zu verdanken hat, was er kann.
Nach dreijährigem Aufenthalt in Deutschland begab sich Tofte wieder in seine Heimat. Seit 1863 ist er als Sologeiger der königl. Kapelle und seit 1866 als Lehrer am Konservatorium der Musik in seiner Vaterstadt angestellt. Weitere Nachrichten über ihn fehlen.
F. Fleischhauer wurde geboren am 24. Juli 1834 zu Weimar und war seit 1864 Hofkonzertmeister in Meiningen. Anfangs der fünfziger Jahre genoß er Joachims Unterricht während dessen Wirksamkeit in Weimar. Weiterhin war noch für einige Zeit Ferd. Laub sein Lehrer. Nach beendetem Studium trat Fleischhauer in die Weimarer Kapelle, wurde dann 1860 als Solospieler nach Aachen und vier Jahre später nach Meiningen berufen, wo er am 11. Dezember 1896 starb.
Sodann ist zu erwähnen: Richard Himmelstoß, geb. 17. Juni 1843 in Sondershausen, wo sein Vater der Hofkapelle als erster Cellist angehörte, dem der Künstler auch in musikalischer Hinsicht, wie er selbst angibt, das meiste verdankt. Im achten Lebensjahre begann der Violinunterricht bei dem Konzertmeister Uhlrich. Er währte etwa bis zum 14. Jahre. Hierauf trat Himmelstoß als Hofmusikus in die fürstliche Kapelle seiner Vaterstadt. Auf Fürsprache des Kapellmeisters Marpurg, welcher in den sechziger Jahren als Dirigent in Sondershausen fungierte, erhielt Himmelstoß ein Stipendium, welches er dazu benutzte, 1863-64 auf fünf Monate nach Hannover zu gehen, um unter Leitung Joachims sich zu vervollkommnen, der sich für das Talent des Jünglings lebhaft interessierte und ihn in jeder Weise förderte. Hierauf trat Himmelstoß wieder in seine frühere Stellung als Kammermusikus. Durch Max Bruch, welcher 1867 das Kapellmeisteramt in Sondershausen übernahm, wurde er veranlaßt, im Frühjahr 1870 nach Berlin zum Besuch der Hochschule für Musik zu gehen. Er wurde hier zum zweitenmal Joachims Schüler, der ihn nach neun Monaten schon mit dem Zeugnis der Reife entlassen konnte. Im Herbst 1871 wurde er von Bernhard Scholz als Konzertmeister für den Orchesterverein in Breslau gewonnen. In dieser Stellung ist er bis jetzt verblieben. In den zwei Jahre nach seiner Berufung von dem Orchesterverein gegründeten Kammermusiksoireen hat Himmelstoß 36 Jahre lang als erster Geiger gewirkt, im vorigen Jahre (1909) übernahm der Geiger Wittenberg diesen Posten. Als Solist in den Breslauer Orchesterkonzerten war der Künstler 25 Jahre tätig. Im übrigen ist er außer in Berlin und Leipzig nur in Schlesien als Solist aufgetreten. Himmelstoß war ein Solist gediegenster Richtung und auch als Quartettspieler tüchtig.
Der Geiger Ettore Pinelli, geb. am 18. Oktober 1843 in Rom, gehört zu denjenigen italienischen Musikern der Gegenwart, welche sich unter deutschen Einflüssen entwickelt haben. Er war in Rom Schüler von Ramacciotti und genoß während eines Aufenthaltes in Deutschland eine Zeitlang im Violinspiel Joachims Unterweisung. Im Jahre 1866 nach Rom zurückgekehrt, war er vielfach bemüht, deutsche Instrumentalmusik dort einzuführen, wodurch er sich ein Verdienst um die Musikpflege der Hauptstadt Italiens erworben hat. 1877 wurde er als Violinprofessor an dem von ihm mitbegründeten Liceo musicale angestellt.
Joseph Ludwig, ein Bonner Kind, geb. am 6. April 1844, besuchte zunächst die Kölner Musikschule vom April 1859 bis September 1863 und wurde dann während der beiden folgenden Winter Joachims Schüler. 1869 nahm Ludwig seinen Aufenthalt in London, wo ihm im folgenden Jahre die bis dahin von Leopold Jansa bekleidete Professur des Violinspiels an der Londoner » Academy of music« übertragen wurde. Der strebsame Künstler gewann sehr bald große Beliebtheit als Lehrmeister, nicht nur in dem genannten Institut, sondern auch in angesehenen Privatkreisen. Seit einer Reihe von Jahren veranstaltet Ludwig, der ein vorzüglicher Quartettspieler ist, regelmäßige Kammermusiksoireen, in denen vorzugsweise die letzten Streichquartette Beethovens zu Gehör gebracht werden.
Ludwig ist ein feinsinniger Violinist, der ebensosehr mit künstlerischem Verständnis und durchgebildetem Geschmack, wie mit edlem und dabei natürlichem Ausdruck die Werke der klassischen Meister darzustellen weiß.
Der Schweizer Karl Jahn, geb. 29. August 1846 in Bern, erhielt den ersten Violinunterricht vom Musikdirektor Edele und setzte denselben neben dem Studium der Theologie, welche er anfänglich zu seinem Beruf erwählt hatte, unter Anleitung des Konzertmeisters Gerhard Brassin fort. Theoretischen Unterricht empfing er vom Musikdirektor Adolph Reichel.
Da die Neigung zur Musik sich nach und nach bei Jahn überwiegend geltend machte, gab er das theologische Studium, dem er schon einige Semester hindurch obgelegen hatte, auf und widmete sich ganz der Kunst. Dieser Entschluß wurde zugleich Veranlassung, 1870 die Hochschule für Musik in Berlin zu besuchen, um zunächst De Ahnas, dann aber Joachims Lehre teilhaftig zu werden.
Nachdem durch den Fortgang Brassins die Konzertmeisterstelle in Bern vakant geworden war, wurde dieselbe Jahn übertragen, der zugleich auch erster Lehrer des Violinspiels an der dortigen Musikschule ist. In diesen Stellungen, außerdem als Führer eines Streichquartetts, wirkt der Künstler noch heute. Das Solospiel hat er seit einigen Jahren wegen vorgerückten Alters aufgegeben.
Jahns Landsmann Karl Courvoisier, geboren in Basel am 12. November 1846, machte seine Studien seit 1867 in Leipzig und auf der Berliner Hochschule, wo er Joachims Lehre genoß. Zeitweilig lebte er dann als Violinlehrer in Berlin und Frankfurt a. M. 1875 ließ er sich in Düsseldorf nieder, wo er außer der Lehrtätigkeit als Dirigent wirkte. Seit 1885 lebt er in Liverpool. Courvoisier machte sich durch eine schätzbare pädagogische Schrift »Die Violin-Technik« bekannt, welche durch Nachdrucksausgaben in England und Schweden weitere Verbreitung gefunden hat Ich möchte an dieser Stelle alle Interessenten auf eine neuere vorzügliche Schrift von F. A. Steinhausen (gestorben 1910 im kräftigsten Mannesalter) aufmerksam machen: »Die Physiologie der Bogenführung auf den Streichinstrumenten« (Leipzig, Breitkopf & Härtel, 1903). Hier ist zum erstenmal von berufener, fachmännischer Seite der wichtigste Teil der Violintechnik auf wissenschaftlicher Grundlage theoretisch erschöpfend dargestellt worden. Das vorzügliche Werk, welches berufen ist, klare Anschauungen und Grundsätze an die Stelle von Tradition und Tasten zu setzen, verdient von Theoretikern wie von Praktikern des Violinspiels die größte Beachtung. Natürlich kann er sich hierbei nicht um eine direkte Anwendung des streng wissenschaftlich gehaltenen Buches auf die konkreten Fälle des Unterrichts handeln. Vielmehr kann diese wie jede theoretische Untersuchung nur dadurch fruchtbar werden, daß berufene Praktiker sich auf Grund des Werkes eine völlig klare Vorstellung von dem Mechanismus des rechten Armes beim Violinspiel verschaffen und dann selbständig die Methodik des Unterrichts danach aus- und wohl auch umgestalten. Ich bin der Ansicht, daß unter allen Violinspielern nicht einer ist, den eine sorgfältige Lektüre und gleichzeitige praktische Prüfung des Inhalts nichts neues lehren wird. Für den fertigen ausübenden Künstler hat freilich eine solche Kenntnis nur eine relative Bedeutung, gleichwie jemand ein großer Dichter sein kann, ohne je die Grammatik seiner Sprache theoretisch studiert zu haben. Der Sprachlehrer dagegen wird klare grammatische Vorstellungen nicht wohl entbehren können, und so wird auch der Violinpädagoge, der über die Tätigkeit des rechten Armes nicht nur empirisch, sondern auch geistig ganz im Klaren ist, befähigt sein, den Schülern manche Um- und Abwege zu ersparen. – Ein Hauptpunkt dürfte, wie ich auch aus der Mitteilung eines alterfahrenen Violinpädagogen schließe, Steinhausens abweichende Bewertung der Tätigkeit der Gelenke, insbesondere des Handgelenks sein. Wenn man jedoch erwägt, wie groß die hier faktisch bestehende Unklarheit ist, da sich die Meinungen z. T. diametral widersprechen (z. B. für das Staccato), so erhellt, daß eine Klärung unbedingt vonnöten ist, die aber eben nur auf Grund eines völligen Durchdringens aller einschlägigen mechanischen und physiologischen Verhältnisse erfolgen kann (vgl. den Anhang!).. Er besitzt ein ausgesprochenes Lehrtalent für sein Instrument, betätigt sich aber auch selbst als Spieler und ist überdies in der Tonsetzkunst wohlerfahren. Auch hat er eine vortreffliche Violinschule herausgegeben. Weitere Nachrichten über ihn fehlen.
Fritz Struß, geb. 28. November 1847 in Hamburg, hatte zuerst bei einem Violinspieler seiner Vaterstadt, namens Chr. Unruh, von 1854-1857 Unterricht. Da er ein der Ausbildung wertes Talent zeigte, seine Eltern ihrer beschränkten Lage halber indessen nichts für sein weiteres Studium zu tun vermochten, so war er auf das Wohlwollen anderer angewiesen. Durch freundliche Fürsprache August Wilhelmis nahm sich der Sangesmeister Stockhausen seiner an und gab ein Konzert zugunsten des jungen Struß, wodurch dieser die Mittel zu weiterem Fortkommen gewann. Zunächst wurde nun Auer, welcher 1865 als Konzertmeister nach Hamburg kam, für ein Jahr sein Lehrer. Dieser empfahl ihn an Joachim, und so wurde Struß schließlich auch noch während der Sommermonate des Jahres 1866 Schüler dieses Meisters. Nach beendetem Studium fand Struß im Herbst desselben Jahres Anstellung in der Schweriner Hofkapelle, welche er im Herbst verließ, um 1870 der Berufung nach Berlin Folge zu leisten. Daselbst wurde er 1885 zum königl. Kammervirtuosen und im Jahre 1887 zum königl. Konzertmeister ernannt. 1895 wurde ihm der Professortitel verliehen. Struß hat sich auch als Komponist betätigt und zwei von der Kritik mit Beifall aufgenommene Violinkonzerte in a-moll und d-dur sowie eine Reihe kleinerer Violinstücke veröffentlicht. Auch ist er Lehrer am Scharwenka-Klindworthschen Konservatorium.
Georg Hänflein wurde am 17. März 1848 in Breslau geboren, war von 1862-1865 Schüler Davids im Leipziger Konservatorium und wurde hierauf während der Jahre 1866-1871 als russischer Kammermusiker Mitglied des Orchesters der italienischen Oper zu Petersburg. Der Wunsch, sich noch weiter auszubilden, führte ihn nach Ablauf dieser Zeit zu Joachim, unter dessen Leitung er drei Jahre studierte. Seine vortrefflichen Leistungen verschafften ihm 1874 die Anstellung als Konzertmeister am königl. Theater in Hannover. Er starb im oder um das Jahr 1906.
Max Brode, der am 25. Februar 1850 in Berlin geboren wurde, begann frühzeitig mit dem Geigenspiel und konnte bereits als zehnjähriger Knabe im Hotel Arnim auftreten. Er erregte hierdurch die Aufmerksamkeit von Paul Mendelssohn-Bartholdy, der ihn in sein Haus nahm und für seine wissenschaftliche wie künstlerische Weiterbildung Sorge trug. Von 1863-1867 besuchte Brode das Sternsche Konservatorium, sodann zwei Jahre lang das Leipziger, wo David sein Lehrer auf der Violine war. Auf dessen Rat ging er sodann nach Mitau als Primgeiger eines Quartettes. Rubinstein, der ihn dort kennen lernte und warmes Interesse für ihn faßte, empfahl ihn an Joachim, unter dessen Leitung er nunmehr noch vier Jahre (von 1870-1873) studierte. Die nach Ablauf dieser Zeit von ihm mit bestem Erfolge begonnene solistische Laufbahn (Berlin, Aachen, Odessa, Wien usw.) mußte er wegen eines nervösen Fingerleidens aufgeben. Er ging im Jahre 1876 als erster Konzertmeister an das Stadttheater in Königsberg, widmete sich nach drei Jahren jedoch ganz der Direktions- und Lehrtätigkeit. Er gründete in Königsberg die Symphoniekonzerte, übernahm die Leitung der Singakademie und des Philharmonischen Orchestervereins und wurde mit dem Titel eines königl. Professors akademischer Musiklehrer an der Universität. Auch veranstaltet er eigene Quartettsoireen.
Eine ebenso ausgezeichnete wie originelle Erscheinung in der Reihe der heutigen Violinisten ist Richard Barth, geboren am 5. Juni 1850 zu Groß-Wanzleben in der Provinz Sachsen. Dieser Künstler hatte nämlich in jungen Jahren, nachdem ihm bereits von seinem Großvater, einem Musiker, Violinunterricht erteilt worden war, das Unglück, sich beim Fallen mit den Scherben einer Tasse so am Mittelfinger der linken Hand zu verletzen, daß derselbe nach erfolgter Heilung steif und zum Spielen vollständig unbrauchbar blieb. Da er trotzdem mit größter Beharrlichkeit den Wunsch kundgab, das Violinspiel wieder aufzunehmen, so kam sein Großvater auf den Einfall, ihn links spielen, d. h. die rechte Hand für das Griffbrett und die linke zur Bogenführung benutzen zu lassen. Der Versuch gelang, und nach einiger Zeit erhielt Barth den Konzertmeister Beck in dem seinem Geburtsort nahegelegenen Magdeburg zum Lehrer.
Im Jahre 1863 ging Barth nach Hannover, um unter Leitung Joachims sich weiter auszubilden. Nebenbei besuchte er das dortige Realgymnasium. Die Lehrzeit bei Joachim dauerte mit geringen Unterbrechungen bis zum Winter 1867. Nach Ablauf derselben erhielt er die Konzertmeisterstelle in Münster und 1882 diejenige in Krefeld. Weiterhin wurde er Universitätsmusikdirektor in Marburg. Seit 1895 wirkt er als Dirigent der Philharmonischen Konzerte sowie der Singakademie in Hamburg.
Ludwig Maximilian Adolph Stiehle, geb. am 19. August 1850 zu Frankfurt a. M., studierte in seiner Jugend unter Vieuxtemps' Leitung, den er auch auf mehreren Kunstreisen begleitete. Von 1863-1867 war er Schüler Hugo Heermanns in Frankfurt a. M., und während der Jahre 1869-70 und 1871-72 genoß er den Unterricht Joachims auf der Berliner Hochschule für Musik. Nach absolvierter Studienzeit machte Stiehle Kunstreisen. Zunächst besuchte er London und dann Paris. In letzterer Stadt nahm er längeren Aufenthalt, welcher durch Kunstreisen in Frankreich und der Schweiz unterbrochen wurde. 1876 wandte er sich nach Mühlhausen i. E. und übernahm dort die Leitung des Musikvereins Concordia, gab dieselbe aber schon nach einiger Zeit auf, um ausschließlich als Solist, Quartettspieler und Lehrer des Violinspiels tätig zu sein. Stiehle starb in Mühlhausen am 6. Juli 1896.
Heinrich Jacobsen aus Hadersleben, geb. 10. Januar 1851, bezog im 16. Lebensjahre die Leipziger Musikschule und wurde dort Schüler F. Davids. 1869 wurde Jacobsen bei der ersten Violine im Gewandhaus- und Theaterorchester angestellt. Hier war er drei Jahre tätig, worauf er einem Rufe der Herzogin von Anhalt-Bernburg als Solospieler und Leiter der Kammermusik an deren Hofe folgte. Dieser Wirksamkeit widmete er sich zwei Jahre lang, zwischendurch größere Kunstreisen nach Dänemark usw. unternehmend. Indessen hegte Jacobsen den Wunsch, sich noch weiter zu vervollkommnen, und so begab er sich 1873 nach Berlin, um Joachims Schüler zu werden. Daselbst wurde ihm ein zweijähriges Regierungsstipendium zuerkannt. 1876 wurde er als Lehrer des Violinspiels für die Berliner Hochschule gewonnen, an der er bis zu seinem etwa 1901 erfolgten Tode gewirkt hat.
Jean de Graan, dessen Begabung als eine hervorragende genannt wird, wurde am 9. September 1852 in Amsterdam geboren und war gleichfalls Joachims Schüler. Er starb indessen, noch nicht 22 Jahre alt, am 8. Januar 1874 im Haag Der hier dem Alter nach folgende Geiger Skalitzky, der seine letzte Ausbildung ebenfalls durch Joachim erfuhr, ist bereits oben bei der Prager Schule behandelt worden. (Seite 489.).
Der Violinist Waldemar Meyer, geb. zu Berlin am 4. Februar 1853, wurde von Joseph Joachim vier Jahre lang unterrichtet. In seinem zwanzigsten Lebensjahre schon fand er eine Anstellung in der Berliner Hofkapelle bei der ersten Violine. Diesen Platz verließ er mit Beginn des Jahres 1881, um sich durch Kunstreisen bekannt zu machen, nachdem er bereits vorher mit Pauline Lucca eine Konzertreise durch Deutschland unternommen hatte. Sie führten den Künstler nach England, Frankreich, Belgien und Rußland. Seine Leistungen tun sich bei großem Ton durch echt musikalisches Wesen sowie durch lebensvolle Empfindung hervor. Auch fehlt es seiner Vortragsweise nicht an einem feineren charakteristischen Ausdruck. Wohlbekannt ist das von ihm geleitete Quartett.
Gustav Holländer, in der oberschlesischen Stadt Leobschütz am 15. Februar 1855 geboren, erhielt den ersten Violinunterricht vom sechsten bis zum zwölften Lebensjahre bei seinem Vater, einem kunstgebildeten Dilettanten. 1867 trat er als Schüler Ferd. Davids in die Leipziger Musikschule ein und zwei Jahre später als Zögling Joachims in die Berliner Hochschule für Musik (bis 1874). Seine selbständige künstlerische Wirksamkeit begann er im Hofopernorchester zu Berlin als Kammermusiker bei der ersten Violine. Dazu kam 1875 die Lehrtätigkeit in dem Kullakschen Musikinstitut. Zur Aufgabe beider Stellungen wurde er im Oktober 1881 durch die Berufung als Konzertmeister und Lehrer an der Rheinischen Musikschule in Köln veranlaßt.
Holländer hat sich vielfach in der Öffentlichkeit, auch auswärts, als ein ungewöhnlich begabter Soloviolinist von großer Gewandtheit und musikalischer Durchbildung gezeigt, und gleicherweise in der Ausführung von Kammermusik Treffliches geleistet. Schon während seiner ersten Berliner Wirksamkeit veranstaltete er mit dem angesehenen Pianisten Xaver Scharwenka vielbesuchte Kammermusikaufführungen in der Singakademie. Nach dem Tode Japhas trat er sodann an die Spitze des Kölner Streichquartetts und unternahm mit demselben in den nächsten Jahren erfolgreiche Konzertreisen in einem großen Teil von Europa. 1884 übernahm er außerdem die Stellung eines ersten Konzertmeisters am Kölner Stadttheater und bei Gründung des städtischen Orchesters neben Dr. Franz Wüllner die Leitung desselben.
Im Jahre 1894 ging Holländer, nachdem er schon ein Jahr zuvor den Titel eines königl. Professors erhalten hatte, als Direktor des Sternschen Konservatoriums nach Berlin, in welcher Stellung er noch heute tätig ist. Die Anstalt hat unter seiner Leitung einen beträchtlichen Aufschwung genommen und zählt derzeit bei mehr als 100 Lehrkräften weit über 1000 Studierende.
Gustav Holländer hat eine beträchtliche Anzahl von Kompositionen, namentlich für die Geige, veröffentlicht, darunter drei Violinkonzerte, eine Sonate und eine Suite für Violine, sowie eine Reihe von Vortragsstücken. Auch erschienen kürzlich 50 Etüden in der ersten Lage von ihm, die von zahlreichen Violinpädagogen eine sehr günstige Beurteilung erfahren haben.
Ein Schüler Holländers ist Carl Corbach, der am 16. März 1867 in Lütgendortmund geboren wurde. Sein erster Lehrer war sein musikbegabter Vater. Er förderte den Knaben so schnell, daß Corbach bei seinem Talent schon mit 10 Jahren öffentlich auftreten konnte.
Mit 14 Jahren kam er auf das Kölner Konservatorium, wo zuerst Königslöw, sodann und hauptsächlich Holländer sein Lehrer war. Nach 3½ Jahren wurde er bei der ersten Violine am Kölner Stadttheater angestellt. Während dieser Zeit war er auch solistisch tätig, doch hat er niemals Konzertreisen unternommen.
Im Jahre 1890 fand Corbach Anstellung in Pawlowsk bei Petersburg und darauf bei der Laubekapelle in Hamburg. Vorübergehend war er dort auch stellvertretender Konzertmeister bei den philharmonischen Konzerten; doch wurde er bereits Neujahr 1891 als Konzertmeister an die fürstl. Hofkapelle in Sondershausen berufen, wo er mit dem Titel eines Hofkonzertmeisters noch jetzt tätig ist. Außerdem ist er erster Lehrer seines Instruments am dortigen Konservatorium sowie Primgeiger eines Streichquartettes. 1910 wurde er zum Professor ernannt.
Corbach ist ein vortrefflicher und gediegener Künstler. Seine Leistungen erfreuen ebenso durch vorzügliche technische Durchbildung wie durch Größe und Warme seines Tones und geschmackvolle, schlichte Auffassung.
Joseph Kotek, geb. am 25. Oktober 1855 zu Kamenez-Podolsk, gest. 4. Januar 1885 in Davos, hatte zum Vater einen böhmischen, nach Rußland eingewanderten Musiker und zur Mutter eine Russin. Seine Ausbildung erhielt er im Moskauer Konservatorium unter Laub und nach dessen Tode (1875) unter Hrimaly. 1877 verließ er dasselbe mit der goldenen Medaille, worauf er noch für ein Jahr Joseph Joachims Schüler als Zögling der Berliner Hochschule für Musik wurde, an der er von 1882 ab als Lehrer des Violinspiels tätig war. Von seinen Violinkompositionen erschienen im Druck Etüden sowie verschiedene Solostücke und außerdem Duetten für zwei Geigen mit Klavierbegleitung.
Willem Kes, geb. am 16. Februar 1856 zu Dordrecht, wo sein Vater Kaufmann war, begann als siebenjähriger Knabe unter Leitung des Violinisten Thyssens das Studium der Violine. Von 1867 ab war Kapellmeister Ferd. Böhme, ein Schüler von L. Spohr, sein Lehrer. Dieser sorgte dafür, daß Kes aus dem engen Kreise seines Heimatsortes heraustrat, und brachte ihn im fünfzehnten Lebensjahre aufs Leipziger Konservatorium. Hier genoß er den Unterricht Ferd. Davids auf der Violine und in der Komposition denjenigen C. Reineckes, trieb auch zugleich das Klavierspiel unter Leitung Wenzels und Jadassohns. Nach Verlauf zweier Jahre kehrte Kes in die Heimat zurück, um sich an einem Konkurrenzspiel zu beteiligen, welches von drei zu drei Jahren seitens der holländischen Regierung für junge Talente veranstaltet wird, wodurch er ein Stipendium zur Fortsetzung seiner Studien erwarb. Zunächst wurde er Schüler Wieniawskis in Brüssel und dann noch für ein Jahr Joachims Zögling auf der Berliner Hochschule für Musik. Auch genoß er dort den Unterricht von Fr. Kiel und W. Bargiel. Mit dem Zeugnis der Reise aus dieser Anstalt entlassen, bereiste Kes sein Vaterland. Im Herbst 1877 wurde ihm die erste Konzertmeisterstelle in Amsterdam übertragen. Neben diesem Amt übernahm er ein Jahr später die Funktionen als Leiter eines gemischten Chores in Dordrecht. 1880 wurde Kes erster Kapellmeister des Parkorchesters in Amsterdam, gab aber diese Stellung schon im selben Jahre wieder auf und ging ganz als Musikdirektor nach Dordrecht, wo er im Jahre 1888 Direktor eines dort neu gegründeten Orchesters wurde. Diese Stellung hatte er sieben Jahre inne und vertauschte sie sodann mit der des ersten Dirigenten des Schottischen Orchesters in Glasgow, wo er drei Jahre blieb. Als Gastdirigent wurde er nach Moskau gerufen; nachdem er zwei Konzerte dirigiert hatte, erhielt er die Anstellung als Direktor der Philharmonischen Gesellschaft ebendort mit dem Titel eines Generalmusikdirektors. Er blieb in Moskau sechs Jahre, um dann die Direktorstellung des Musikinstitutes in Coblenz anzunehmen, die er noch jetzt bekleidet. Kes hat verschiedenes komponiert, darunter ein vom niederländischen Tonkünstlerverein preisgekröntes Violinkonzert. Veröffentlicht sind bis jetzt aber nur Lieder und »Charakteristische Tanzweisen« für Violine.
Ein ausgezeichneter Geiger ist Henri Wilhelm Petri, der am 5. April 1856 in Zeyst bei Utrecht geboren wurde. Seine Jugendjahre verlebte er in Utrecht selbst, wo sein Vater als Oboist in der städtischen Kapelle angestellt war. Er unterrichtete seinen Sohn in den Anfangsgründen des Violinspiels, starb aber bald, so daß an seine Stelle der Utrechter Konzertmeister Dahmen (gest. 1881) trat, welcher den jungen Petri nicht nur wesentlich förderte, sondern ihn auch 1871 zu Joachim nach Berlin brachte. Die Lehre dieses Meisters genoß der Kunstjünger drei Jahre hindurch, wozu ihm der König von Holland die nötigen Mittel gewährt hatte. Schließlich ging Petri auch noch für 18 Monate nach Brüssel, um sich mit der belgischen Schule vertraut zu machen. Unter der Ägide Joachims trat er dann 1877 in London während der Saison auf, folgte hierauf einem Ruf als Konzertmeister nach Sondershausen, wo er unter Max Erdmannsdörfer drei und ein halbes Jahr wirkte. Nach Ablauf dieser Zeit ging er in gleicher Eigenschaft 1881 nach Hannover. Dort war er bis zu seiner im Oktober 1883 erfolgten Berufung nach Leipzig tätig, wo er an Stelle Schradiecks das Konzertmeisteramt im Gewandhaus- und Theaterorchester übernahm. Seit 1889 bekleidet er den Konzertmeisterposten in der königl. Kapelle zu Dresden als Nachfolger von Lauterbach. In Verbindung hiermit erhielt Petri die Stellung eines ersten Violinlehrers am königl. Konservatorium der sächsischen Hauptstadt. In beiden Eigenschaften ist der allseitig hochgeschätzte Künstler, seither auch zum königl. Professor ernannt, noch heute tätig.
Petri hat von Dresden aus ausgedehnte Konzertreisen unternommen, die ihn durch den größten Teil Europas geführt haben. Auch mit dem von ihm gegründeten Streichquartett ist er mehrfach mit großem Erfolg auswärts aufgetreten, so u. a. im Jahre 1903 in Paris.
Für Unterrichtszwecke hat Petri eine Anzahl wichtiger Werke der Violinliteratur neu bezeichnet herausgegeben, Konzerte von Bach, Mozart, Spohr, Davids Hohe Schule des Violinspiels u. a. m. Auch schrieb er eigene Kompositionen, hauptsächlich Lieder und Violinstücke.
Julius Blankensee wurde am 9. April 1858 zu Warburg in Westfalen geboren und besuchte von 1873-1877 die Berliner Hochschule als spezieller Zögling Joachims. Zwei Jahre später ging er nach Sondershausen, wo er die Ernennung zum Kammervirtuosen erhielt. Doch verblieb er nicht lange in dieser Stellung. Nachdem er eine Zeitlang die Konzertmeisterstelle am Stadttheater zu Nürnberg bekleidet hatte, vertauschte er sie weiterhin mit der eines ersten Lehrers an der dortigen Städtischen Musikschule, an der er noch tätig ist. Blankensee wird als ein sehr guter Violinist gerühmt, der in seinem Wirkungskreise allgemeine Anerkennung genießt.
Jenö Hubay, am 14. September 1858 in Pest geboren, war fünf Jahre hindurch Zögling des Nationalkonservatoriums seiner Vaterstadt und entwickelte sich so schnell, daß er schon als elfjähriger Knabe ein Viottisches Violinkonzert öffentlich vorzutragen vermochte. Zu seiner weiteren Ausbildung wurde er 1871 der Berliner Hochschule für Musik übergeben. In derselben genoß er während eines vierjährigen Kursus den Unterricht Joachims.
Nachdem Hubay seine Studien beendet hatte, ging er, mit Empfehlungen von Franz Liszt versehen, nach Paris. Hier machte er die Bekanntschaft Vieuxtemps', der ein großes Interesse für den jungen Künstler an den Tag legte und ihm in freundschaftlicher Gesinnung zugetan war, gleichsam als ob er geahnt hatte, daß derselbe sein Nachfolger als Lehrer des Violinspieles am Brüsseler Konservatorium werden würde; denn nach dem Tode des belgischen Violinmeisters erhielt Hubay wirklich 1882 die fragliche Stelle auf Antrag Gevaerts, des derzeitigen Direktors dieser Anstalt, ohne das übliche Probejahr ablegen zu müssen, – ein Beweis, wie hoch man das Talent und die Leistungsfähigkeit Hubays in Brüssel schätzte.
Im Jahre 1886 folgte Hubay einem Rufe an die Musikakademie in Budapest, wo er die Ausbildungsklassen der Violinabteilung übernahm und mit David Popper zusammen das bekannte Streichquartett Hubay-Popper gründete, welches auch außerhalb Ungarns große Erfolge erzielte. Zu wiederholten Malen erhielt der Künstler Berufungen an andere Lehranstalten, so nach London, Newyork, Chikago, Leipzig, doch ist er seinem Vaterlande treu geblieben.
Der solistischen Tätigkeit lag Hubay bis zum Jahre 1898 auf regelmäßigen Konzertreisen mit bedeutendem Erfolge ob. Glänzende, sehr hoch entwickelte Technik, beseelter, klangschöner Ton, starkes musikalisches Empfinden werden seinen Leistungen nachgerühmt. Doch zog er sich weiterhin mehr und mehr von der Virtuosenlaufbahn zurück, um sich der pädagogischen und kompositorischen Tätigkeit zuzuwenden. Dagegen veranstaltet er auch jetzt noch regelmäßige Kammermusiksoireen in Budapest.
Hubay ist ein fruchtbarer Komponist. Er schuf unter anderem sieben Opern und eine größere Reihe von Violinkompositionen, darunter vier Konzerte.
Auch seine pädagogische Tätigkeit war erfolgreich. Unter seinen Schülern hat sich Franz v. Vecsey großen Ruf erworben, weiter sind Oscar Stude, Bram Eldering, Steffi Geyer, Scigeti, Rev u. a. namhaft zu machen.
Oscar Stude erhielt seine Ausbildung zunächst auf dem Hochschen Konservatorium in Frankfurt und studierte dann noch vier Jahre bei Hubay. Nach Konzertreisen in Deutschland und der Schweiz ließ er sich in letzterem Lande nieder, folgte aber vor etwa Jahresfrist einem Rufe seines früheren Lehrers an das Konservatorium in Budapest, wo er als Hubays Assistent und Mitarbeiter tätig ist.
Bram Eldering, der als vorzüglicher Künstler genannt wird, wurde am 8. Juli 1865 in Groningen (Holland) geboren. Bis zu seinem 17. Lebensjahre unterrichtete ihn ein Geiger seiner Vaterstadt, namens Poortman. Im Jahre 1882 ging er nach Brüssel, wo er vier Jahre den Unterricht Hubays genoß. Er begleitete seinen Meister 1886 bei dessen Übersiedelung nach Budapest und wirkte dort zwei Jahre als Lehrer seines Instrumentes sowie an der Bratsche des obengenannten Hubay-Popper-Quartetts. Nach Verlauf dieser Zeit studierte er noch mehrere Jahre bei Joachim in Berlin, so daß er sich auch einen direkten Schüler dieses Meisters nennen kann.
Von 1891 bis 1894 bekleidete Eldering den Posten des Konzertmeisters am Philharmonischen Orchester in Berlin, verbrachte darauf in gleicher Eigenschaft fünf Jahre in der Meininger Hofkapelle und nahm im Jahre 1899 eine Stellung als erster Violinlehrer am Konservatorium in Amsterdam an. Hier blieb er vier Jahre, nach Verlauf welcher Zeit er nach Köln berufen wurde, wo er seit 1903 als Lehrer am Konservatorium, Konzertmeister der Gürzenich-Konzerte und Primgeiger des gleichnamigen Quartetts eine erfolgreiche Tätigkeit entfaltet.
Unter Elderings Schülern hat der jugendliche Geiger Adolf Busch, der erst ganz kürzlich vor die Öffentlichkeit trat, berechtigtes Aufsehen erregt.
Am 8. August 1891 zu Siegen i. W. geboren, zeigte Busch schon sehr früh Begabung für die Musik und speziell für die Violine. Der Vater, ursprünglich Tischler, dann Instrumentenmacher, siedelte nach Köln über, wo Busch, von dem jetzigen Konzertmeister der Kölner Oper, Anders, vorbereitet, auf dem Konservatorium sieben Jahre hindurch erst bei Heß, sodann bei Bram Eldering studierte. Er verabschiedete sich in einem Prüfungskonzert 1909 mit dem Brahmsschen Violinkonzert und erntete gleich bei seinem ersten Ausfluge in die Musikwelt im letzten Winter bedeutenden Erfolg Vgl. den Anhang!.
Über Hubays weitere obengenannte Schüler Scigeti Vgl. den Anhang! und Rev fehlen nähere Nachrichten, ebenso über die anmutige Geigerin Steffi Geyer, die als sehr bedeutendes Talent genannt wird.
Schließlich ist als Schüler Hubays zu nennen der schnell berühmt gewordene junge Violinvirtuose Franz v. Vecsey, der bereits den ganzen europäischen Kontinent und die Vereinigten Staaten Nordamerikas bereist hat.
Vecsey wurde am 23. März 1893 in Budapest geboren. Sein außerordentliches Talent für die Geige zeigte sich bereits in frühester Kindheit. Beide Eltern sind sehr musikalisch und spielen selber. Den ersten Unterricht erhielt er von seinem Vater. Der mit diesem befreundete Professor Hubay, der das große Talent des Kindes erkannte, nahm den achtjährigen Franz zunächst für ein Jahr als Privatschüler an. Sodann besuchte Vecsey noch für ein Jahr die königl. ungar. Musikakademie in Budapest, die unter Hubays Leitung steht. Im Sommer 1903 suchte er Joseph Joachim in Berlin auf. Das anfängliche Mißtrauen des Altmeisters gegen ein neues Wunderkind wich, nachdem er den zehnjährigen Knaben gehört – Vecsey spielte eine Bachsche Komposition – der lebhaftesten Anteilnahme und einem dauernden Interesse. Dieses bewies sich nicht nur dadurch, daß er den Knaben seines musikalischen Umganges und seiner Unterweisung hinsichtlich der Auffassung Bachscher, Beethovenscher und Brahmsscher Kunst würdigte, sondern fand auch äußerlich seinen Ausdruck dadurch, daß Joachim im Herbst 1904 das Beethovenkonzert, welches Vecsey mit dem Philharmonischen Orchester zum Vortrag brachte, dirigierte. Voraussichtlich wird bei der großen Jugend des Künstlers die Einwirkung Joachims noch nachwirkende Kraft besitzen und sich in der Folgezeit in einer steigenden Vertiefung der Auffassung sowie in größerer Schlichtheit des Vortrags – etwa in dem Brahmsschen Konzert – kundtun; wobei zu bemerken ist, daß gewisse Kompositionen gerade der obengenannten Meister für eine erschöpfende Interpretation eine geistige Reife im wirklichen Sinne des Wortes erfordern, die wohl nur das Leben selber zeitigen kann. Im übrigen weisen Vecseys Leistungen sowohl hinsichtlich der technischen Vollendung als auch der Auffassung eine bei seiner Jugend doppelt bewundernswerte Höhe aus, die ihn jetzt schon in die erste Reihe der Ausübenden seines Instrumentes stellt.
Den obigen Angaben über Vecseys Konzertlaufbahn ist noch hinzuzufügen, daß sein erstes öffentliches Auftreten in Berlin, und zwar am 17. Oktober 1903, stattfand und das größte Aufsehen hervorrief. In Berlin lebt der Künstler auch gegenwärtig.
Zu den Violinvirtuosen erster Ordnung der Gegenwart gehörte Karl Halíø, der am 1. Februar 1859 in dem böhmischen Ort Hohenelbe geboren wurde. Er hatte seinen Vater zum ersten Lehrmeister und wurde 1867 zur weiteren Ausbildung auf das Prager Konservatorium geschickt, welches er bis zum Jahre 1873 besuchte. Sein Violinlehrer dort war Ant. Bennewitz. Mit dem ersten Preis der Violinklasse aus dieser Anstalt entlassen, wurde er noch für zwei Jahre Joachims Zögling. Von 1876-1879 war er dann Solospieler in Bilses Orchester und im folgenden Winter Konzertmeister im Königsberger Stadttheater. Während des Jahres 1881 hielt sich Halíø; in Italien und Südfrankreich auf. Von 1882-1884 war er als Konzertmeister in Mannheim tätig. Halíø, im Besitze einer virtuosen Geigentechnik, war ein ausgezeichneter Künstler seines Faches, sowohl als Solo- wie als Quartettspieler. Seinem Spiel wohnte ein energischer, durchaus männlicher, straffer und vornehmer Charakter inne, ohne daß ihm poetische Vertiefung und Zartheit fremd gewesen wären. Seine sachliche, gehaltene und von innen heraus belebte Auffassungsweise hatte eine unverkennbare Ähnlichkeit mit der Joachimschen, die ihm freilich vor Vielen vertraut sein mußte, da er zehn Jahre lang, bis zu des Meisters Tode, am zweiten Geigerpulte des Joachimquartetts saß.
Auch als Lehrer ist Halíø erfolgreich tätig gewesen. Im Herbst 1884 wurde er als Konzertmeister der großherzogl. Kapelle nach Weimar berufen, seit 1893 wirkte er als Professor des Violinspiels in Berlin. Der treffliche Künstler wurde im kräftigsten Mannesalter der Kunstwelt durch seinen am 21. Dezember 1909 erfolgten Tod entrissen.
Johann S. Kruse, der Sohn eines aus Hannover herstammenden und im Jahre 1851 nach Australien ausgewanderten Pharmazeuten, ist am 23. März 1859 zu Melbourne geboren. Das Violinstudium, welches er im neunten Lebensjahre begann, förderte ihn so schnell, daß er schon frühzeitig vielfach öffentlich auftreten konnte. 1876 begab er sich nach Deutschland, um noch weitere Studien unter Joachims Leitung zu machen. Dann übernahm er das Konzertmeisteramt beim Philharmonischen Orchester in Berlin. Im Jahre 1892 wurde er als Konzertmeister nach Bremen berufen. Weiterhin war er Lehrer an der königl. Hochschule und Mitglied des Joachimquartettes in Berlin. Jetzt lebt er in London als hochgeschätzter Faktor des dortigen Musiklebens.
Von ungewöhnlicher Begabung für das Violinspiel ist Richard Gompertz, geb. am 27. April 1859 in Köln. Neben dem Besuch des Gymnasiums bis zum vollendeten 17. Lebensjahre empfing er seit 1870 nacheinander den Unterricht Derckums und O. v. Königslöws. Dann war er drei Jahre lang Eleve der Berliner Hochschule und während dieser Zeit speziell Joachims Schüler. Nachdem er in einigen größeren rheinischen Städten, wie Frankfurt, Köln, Bonn, Aachen und Elberfeld, seine ersten beifällig aufgenommenen Debüts als Solospieler gemacht, wurde er zum Lehrer und Konzertmeister an der Cambridge University musical society ernannt. Doch entzog ihn dieser Stellung seine 1883 erfolgte Berufung zum Professor des Violinspiels an der neuerdings eröffneten und unter dem Protektorat des Prinzen von Wales stehenden Musikschule am Royal College of Music zu London. Gompertz ist ein talentvoller Spieler von vielseitiger musikalischer Bildung, der auch für das Kompositionsfach Anlagen hat.
Tivadar Nachéz, der gleichfalls eine Zeitlang Joachims Schüler war, ist bei der Pariser Schule unter den Zöglingen Léonards nachzulesen.
Isidor Schnitzler, geb. am 2. Juni 1859 in Rotterdam, wurde im zwölften Lebensjahre Schüler der Kölner Musikschule. Von Köln heimgekehrt, setzte er seine Studien bei Emanuel Wirth fort. 1874 erhielt er ein Stipendium vom König von Holland, welches er dazu benutzte, um sich während eines Jahres unter Wieniawskis Leitung weiter zu bilden. Die letzte Vollendung gab ihm Joachim, dessen Unterweisung Schnitzler sich von 1875-1876 erfreuen durfte.
Zu Beginn seiner künstlerischen Selbständigkeit unternahm Schnitzler im Vereine mit der bekannten Sängerin Désirée Artôt und dem Sänger Padilha eine Kunstreise durch Rumänien. Hieran schloß sich sein Auftreten im Leipziger Gewandhauskonzert und eine Reise durch Holland. 1880 wurde er von dem Mendelssohn-Quintettklub in Boston engagiert, mit welchem er in den beiden nächsten Jahren als Konzertspieler Amerika und Australien bereiste. Dieser Klub wurde weiterhin zu einer Tournee in den Vereinigten Staaten mit Hinzuziehung von Christine Nielsen engagiert, an welchem Unternehmen Schnitzler gleichfalls beteiligt war. Weitere Nachrichten über den Künstler fehlen.
Weiter ist als Schüler Joachims Willy Heß zu nennen, der zu den hervorragenden Geigern unserer Zeit gehört.
Dieser treffliche Künstler wurde am 14. Juli 1859 zu Mannheim geboren. Den ersten Unterricht erhielt er bereits in jugendlichem Alter von seinem selbst künstlerisch veranlagten Vater. Sodann wurde Joachim sein Lehrmeister und entwickelte schnell das Talent seines Zöglings zu voller Reife, sodaß Heß, erst 19 Jahre alt, bereits Konzertmeister in Frankfurt a. M. wurde. Diesen Posten bekleidete er acht Jahre und wirkte sodann von 1886-1888 in gleicher Eigenschaft in Rotterdam. In letzterem Jahre folgte er einem Rufe nach England, kehrte jedoch 1895 nach Deutschland zurück, wo sich ihm ein ehrenvoller Wirkungskreis als erster Violinprofessor am Konservatorium in Köln sowie als Konzertmeister der Gürzenichkonzerte und Führer des Gürzenichquartettes eröffnete. Am 1. Mai 1900 erhielt er den Titel eines königl. preuß. Professors. Seit September 1903 weilte Heß wiederum in England, wo er als Nachfolger E. Saurets an der Royal Academy of Music in London angestellt war. Im Sommer 1910 wurde der Künstler als Lehrer seines Instruments sowie Orchesterdirigent für die Berliner Hochschule der Musik gewonnen.
Die violinistischen Leistungen von Heß zeichnen sich sowohl durch ihre technische Vollendung als auch durch eine überaus feinsinnige und vornehme Auffassung aus, die von einem durchgebildeten künstlerischen Geschmack zeugt. Daher haben seine Darbietungen den Charakter des Abgeklärten, durchaus Fertigen und Vollendeten. Als Quartettgeiger bietet er in der Wiedergabe der klassischen Tonschöpfungen Mustergültiges.
Marie Soldat, seit 1889 Frau Roeger, ist derzeit wohl die bekannteste und hervorragendste Vertreterin ihres Instruments. Sie wurde in Graz am 25. März 1864 geboren und lernte zuerst bei ihrem Vater, der dort Organist war, Klavier, sodann mit neun Jahren bei Eduard Pleiner Geige. Ein Konzert, welches Joachim in Graz gab, erweckte in der Kleinen, die bereits mit Vieuxtemps' Fantasie-Caprice vor die Öffentlichkeit getreten war, den Ehrgeiz nach höheren Zielen. Als um dieselbe Zeit ihr Lehrer starb, erhielt sie eine Zeitlang Unterricht von Spohrs Schüler August Pott. Nach Verlauf von zwei Jahren machte sie gelegentlich eines von ihr in Pörtschach gegebenen Konzerts die Bekanntschaft von Brahms, der sich für ihr großes Talent interessierte, in dem Konzert selber mitwirkte – als Begleiter einiger seiner Lieder, die die Sängerin Dustmann auf seine Veranlassung vortrug – und außerdem ihr die Bekanntschaft mit Joachim vermittelte, nachdem er ihren Wunsch erfahren, Schülerin dieses Meisters zu werden. Sie spielte Joachim das Mendelssohnkonzert vor und genoß sodann vom Herbst 1879 bis zum Sommer 1882 seinen Unterricht. Mit dem Mendelssohnpreise verließ sie die Hochschule. Im Jahre 1889 verheiratete sie sich, ohne jedoch der künstlerischen Tätigkeit zu entsagen. Jetzt lebt die Künstlerin schon seit längerer Zeit in Wien.
Frau Roeger-Soldat ist eine ausgezeichnete Künstlerin. Auf ihren Konzertreisen besuchte sie fast ganz Europa. Mehrfach trat sie auch auf Reisen mit dem Meininger Orchester unter der Leitung Steinbachs auf. Seit langen Jahren ist sie die Führerin eines in der Musikwelt rühmlichst bekannten Damenquartetts, das u. a. auch in Bonn gelegentlich eines Beethovenfestes neben dem Joachimquartett konzertierte. Wenn speziell ihre Interpretation der Violinkonzerte von Beethoven und Brahms seitens der Kritik allseitig rühmend hervorgehoben wird, so legt dieser Umstand sowohl für ihr vornehmes Musikertum als für die Höhe ihres violinistischen Könnens ein beredtes Zeugnis ab.
Carl Prill, geb. am 22. Oktober 1864 zu Berlin, zeigte schon frühzeitig Talent und eine solche Vorliebe für die Musik, daß sein Vater, welcher Kapellmeister war, ihm bereits im Alter von sechs Jahren auf der Violine Anleitung gab. Daneben erhielt er vom Musikdirektor Handwerg Klavierunterricht. Später genoß Prill den Unterricht des Kammervirtuosen Helmrich sowie Emanuel Wirths, und sodann noch als Zögling der königl. Hochschule für Musik denjenigen Joachims. Zugleich versah er das Amt eines Sologeigers in dem Brennerschen und Laubeschen Orchester. Auch war er von 1883-85 Konzertmeister in der Bilseschen Kapelle. 1885 wurde ihm das Konzertmeisteramt in Magdeburg übertragen. Seit 1891 wirkte er in gleicher Eigenschaft mit Auszeichnung am Leipziger Gewandhaus- und Theaterorchester, wurde aber im Jahre 1897 Hofkonzertmeister an der Wiener Oper Als weiterer Konzertmeister an der Wiener Oper wird Julius Stwertka genannt, über den Nachrichten fehlen (vgl. den Anhang!). und Lehrer an der k. k. Akademie, wo er derzeit noch tätig ist. Auch begründete Prill in dieser Zeit ein Quartett, mit dem er bedeutende Erfolge erzielte. In den Jahren 1897, 1899 und 1901 war er in den Bayreuther Festspielen als erster Konzertmeister tätig. Als Solist hat er erfolgreiche Reisen durch Deutschland, Rußland, Skandinavien usw. unternommen.
Prill wird als ein Geiger erster Ordnung gerühmt, dem eine vollendete Technik und ein weittragender, schöner, modulationsfähiger Ton zu Gebote steht. Er leistet allen Berichten zufolge gleich Hervorragendes im Solo- wie im Quartettspiel.
Carl Markees, am 10. Februar 1865 in Chur geboren, absolvierte das Gymnasium in Basel. Zwischen medizinisch-naturwissenschaftlichen und musikalischen Interessen sowie dem Wunsche seines Vaters, der ihn zum Kaufmann bestimmt hatte, schwankend, entschied er sich schließlich für die Geige, der er schon eifriges Studium zugewandt hatte. 1881 bezog er die Berliner musikalische Hochschule und war zunächst Schüler E. Wirths, sodann Joachims. Nach drei Jahren trat Markees bei der ersten Violine ins Philharmonische Orchester ein, verließ aber diese Stellung zwei Jahre später. 1889 wurde er als Lehrer seines Instruments an die Berliner Hochschule berufen, wo er im Besitz des Professortitels noch gegenwärtig tätig ist und eine erfolgreiche pädagogische Wirksamkeit entfaltet. B. Huberman, Leonora Jackson, Gustav Havemann u. a. zählen zu seinen Schülern.
Markees ist in Berlin sowohl solistisch als auch als Kammermusiker hervorgetreten. Neuerdings hat er auch erfolgreiche Konzertreisen in Deutschland, der Schweiz, Italien und der Türkei unternommen, doch bleibt seine Tätigkeit hauptsächlich der Pädagogik gewidmet.
Gabriele Wietrowetz, geb. am 13. Januar 1866 zu Laibach, wurde 1878 in die Unterabteilung der Violinschule des steirischen Musikvereins in Graz aufgenommen. Ihr Lehrer war zunächst der Violinist Geyer. In die Oberabteilung des genannten Institutes versetzt, erlangte sie unter Leitung des verdienstvollen Konzertmeisters Casper während eines vierjährigen Kursus eine sorgfältig geschulte Technik, worauf ihr noch für längere Zeit Joachims Unterweisung, namentlich in betreff des Vortrages, zuteil wurde. Im Jahre 1883 erhielt sie den Mendelssohnpreis. Gegenwärtig lebt sie als eine der bedeutendsten Vertreterinnen ihres Instrumentes in Charlottenburg. Gabriele Wietrowetz ist Lehrerin an der königl. Hochschule für Musik. Weitere Nachrichten über sie fehlen.
Andreas Moser wurde am 29. November 1859 zu Semlin in der ehemaligen Militärgrenze geboren. Bis zu seinem 18. Jahre betrieb er in Zürich und Stuttgart Ingenieur- und Architekturstudien, wandte sich jedoch sodann der Tonkunst zu und war durch vier Jahre der Schüler Joachims in Berlin. Die Fortsetzung der hierauf von ihm begonnenen Virtuosenlaufbahn wurde ihm durch ein schweres Armleiden unmöglich gemacht. So begann er sich dem Lehrberuf für sein Instrument zu widmen und zwar mit so gutem Erfolge, daß Joachim ihn 1888 zu seinem Assistenten an der Hochschule machte. Seit 1900 mit dem Professortitel definitiv angestellt, entfaltet er eine sehr ausgiebige pädagogische Wirksamkeit.
Moser ist der Verfasser der Seite 496 erwähnten Biographie Joachims. Gemeinsam mit ihm gab er die Beethovenschen Streichquartette heraus (bei Peters), ein Unternehmen, welches dazu bestimmt ist, Joachims und der Seinen Auffassung dieser Werke, soweit möglich, für die Nachwelt zu fixieren. Eine analoge Veröffentlichung ist die Herausgabe der sechs Bachschen Sonaten für Violine solo. Weitere Werke (Schuberts Quartette, Bachs Violinsonaten mit Klavier, seine Violinkonzerte usw.) hat Moser in Verbindung mit anderen Künstlern herausgegeben, ferner veröffentlichte er den Briefwechsel zwischen Brahms und Joachim. Schließlich ist an dieser Stelle der Violinschule Erwähnung zu tun, die Moser in Gemeinschaft mit Joachim herausgegeben hat. Der Beteiligung des letzteren wurde bereits gedacht (S. 504). Der Titel des Werkes lautet: »Violinschule in drei Bänden von Joseph Joachim und Andreas Moser.« Sein erster und dritter Band erschienen 1905, der zweite im darauffolgenden Jahre. Die allseitig als ein Ereignis begrüßte Violinschule, über deren gediegene Tendenz und vollwichtigen Gehalt es keiner Auseinandersetzung bedarf, wurde alsbald von A. Moffat ins Englische und von H. Marteau ins Französische übersetzt. Da Joachim niemals Anfängerunterricht erteilt hat, fiel Moser speziell die erste und wichtigere Hälfte des Werkes zu. Doch erstreckte sich Joachims Teilnahme auch auf diese.
Der freundlichen Mitteilung Mosers verdanke ich noch kurze Angaben über eine Anzahl weiterer Schüler Joachims, resp. Joachims und Mosers, die in derzeitiger Ermangelung näherer Nachrichten hier folgen mögen. Es sind die Geiger Melani, Arbós, Frau Shinner-Liddell, C. Wendling, Gesterkamp, Theod. Spiering, Jul. Ruthström, W. Waghalter, R. Czerwonky und Palma v. Paszthory.
Pietro Melani, gebürtig aus Neapel, war ein feinfühliger, im Vortrag klassischer Musik sich auszeichnender Violinist. Er wirkte in Buenos-Ayres, wo er auch in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre starb.
Ein hervorragender Geiger und guter Musiker ist der Spanier E. F. Arbós, der um 1863 geboren wurde. Er war zunächst Schüler Vieuxtemps', dann Joachims. Ein Jahrzehnt hindurch war er in London als Nachfolger Holmes am Royal College of Music tätig und wirkte sodann am Boston-Symphony-Orchestra, kehrte aber weiterhin in seine alte Stellung zurück. Arbós ist erfolgreicher Komponist eleganter Salonmusik für Violine und spanischer Operetten. Eine Schülerin von ihm ist
May Harrison, die 1890 in Indien geboren wurde und als eine ausgezeichnete Geigerin gilt. Außer bei Arbós studierte sie noch bei L. v. Auer in Petersburg. Weitere Nachrichten über sie fehlen zurzeit.
Von Frau Liddell, früher Miß Shinner, die als eine sehr anmutige, graziöse Spielerin gerühmt wurde, ist nur bekannt, daß sie vor einigen Jahren in London starb.
Über Carl Wendlings Vgl. den Anhang!, erster Konzertmeister in Stuttgart, fehlen nähere Nachrichten, ebenso über zwei ältere Schüler Joachims, die hier mitgenannt seien, A. Kummer, aus Dresden gebürtig und in London tätig oder tätig gewesen und Schiever, dessen Wirkungsstätte Liverpool ist oder war.
Gesterkamp ist Schüler von Joachim und E. Wirth und derzeit Konzertmeister des Berliner Philh. Orchesters.
Theodor Spiering ist erster Konzertmeister des Philh. Orchesters in Newyork.
Der Schwede Julius Ruthström bekleidet die gleiche Stellung am Philh. Orchester in Gothenburg.
Wladyslaw Waghalter wurde als siebzehnjähriger Jüngling für den Vortrag des Brahmsschen Konzertes mit dem Mendelssohnpreise ausgezeichnet und versah schon mit zwanzig Jahren an Stelle des beurlaubten C. Wendling für ein Jahr den Dienst als erster Konzertmeister der Stuttgarter Kapelle (vgl. den Anhang!).
Richard Czerwonky ist derzeit erster Konzertmeister des Philh. Orchesters in Indianapolis, nachdem er früher als zweiter Konzertmeister des Boston-Symphonieorchesters neben W. Heß tätig gewesen war.
Über Palma v. Paszthory, die letzthin mehrfach mit Max Reger zusammen konzertierte, fehlen nähere Nachrichten.
Von jüngeren Zöglingen Joachims nennen wir weiter Enrico Polo und Karl Klingler.
Enrico Polo wurde in Parma im Jahre 1868 geboren und war zunächst Schüler des dortigen königl. Konservatoriums. 1893 kam er an die königl. Hochschule in Berlin, wo er sich des Unterrichtes und der speziellen Teilnahme Joachims zu erfreuen hatte. Nach dreijährigem Studium in Berlin trug er in dem Wettbewerb um die Stelle eines Violinlehrers am Liceo Musicale und Konzertmeisters am königl. Theater in Turin den Sieg davon und verblieb in beiden Stellungen acht Jahre. Nach Verlauf dieser Zeit erhielt er in abermaligem Wettbewerb die Violinprofessur am königl. Konservatorium Giuseppe Verdi in Mailand, wo er seit 1903 tätig ist.
Polo ist ein enthusiastischer Verehrer und trefflicher Spieler von Kammermusik. Er ist der Begründer und Leiter des, soweit mir bekannt, derzeit einzigen ständigen Streichquartettes in Italien und besitzt ein Verdienst um die Einführung und Verbreitung deutscher Kammermusik in seinem Heimatlande, speziell Beethovenscher und Brahmsscher. Des weiteren ist er in dankenswerter Weise um die Hebung der Reichtümer altitalienischer Instrumentalmusik bemüht, ein Unternehmen, das noch manchen Mitarbeiter brauchen kann, obgleich schon viel in diesem Sinne geschehen ist und geschieht. Werke von Pugnani, Giardini, Tenaglia usw. danken ihm ihre Neuausgabe. Neuerdings glückte ihm nach brieflicher Mitteilung die Auffindung von acht Boccherinischen Quartetten, deren Herausgabe bevorsteht. Auch eigene Werke hat der begabte Künstler veröffentlicht, Violinkompositionen, darunter auch Etüden, und mehreres für Gesang.
Karl Klingler wurde am 7. Dezember 1879 in Straßburg i. E. geboren. Den ersten Violinunterricht erhielt er von seinem Vater, später wurde Konzertmeister Schuster in Straßburg sein Lehrer. Im Jahre 1897 wurde er Schüler Joachims an der Berliner Hochschule, die er nach drei Jahren mit dem Mendelssohnpreise verließ. 1901 bis 1902 war Klingler sodann als zweiter Konzertmeister des Berliner Philharmonischen Orchesters tätig. Von Ostern 1904 ab unterrichtet er an der Hochschule, Ostern 1910 wurde er zum Professor ernannt.
Klingler genießt den Ruf eines vorzüglichen Kammermusikspielers. Vom Frühjahr 1906 bis zum März 1907 gehörte er in Vertretung des erkrankten Prof. Wirth dem Joachimquartett an. In demselben Jahre 1906 gründete er auch ein eigenes Quartett, dessen übrige Teilnehmer Josef Rywkind, Fridolin Klingler und Arthur Williams sind. In Deutschland, den Niederlanden, Paris, England, Norwegen und Spanien ist das Klinglerquartett mit großem Erfolge gereist.
Auch kompositorisch ist der Künstler hervorgetreten, namhaft gemacht werden ein Violinkonzert, eine Sonate für Bratsche und Quartette (vgl. den Anhang!).
Der noch jugendliche, schnell zu allgemeiner Anerkennung gelangte Violinvirtuose Bronislaw Huberman findet wohl am passendsten an dieser Stelle Erwähnung, obwohl er als direkter Schüler Joachims eigentlich nicht bezeichnet werden kann.
Geboren wurde der Künstler am 19. Dezember 1882 in Czenstochan, Russ.-Polen. Den ersten Unterricht erhielt er in Warschau von Mihalowicz, Rosen und danach drei Monate von Isidor Lotto. Trotz materieller Schwierigkeiten – der Vater war ein in bescheidenen Verhältnissen lebender Advokat – ermöglichten seine Eltern, mit dem Kleinen nach Berlin zu reisen, um ihn Joachim vorzustellen. Es hielt begreiflicherweise nicht leicht, bei dem Meister, der mit Grund vor Wunderkindern auf der Hut war, vorgelassen zu werden, und gelang nur durch eine Überraschung, die Joachim halb unwillig über sich ergehen ließ. Doch änderte sich das schnell, als er während des Spiels das außergewöhnliche Talent des noch nicht zehnjährigen Knaben erkannte. Auf Grund einer Empfehlung des Meisters konnte Huberman eine Anzahl von Konzerten in deutschen Badeorten absolvieren, und im September des Jahres 1892 gelang es ihm, in der Wiener internationalen Musikausstellung vor geladenem Publikum mit so großem Erfolge zu konzertieren, daß ein weiteres Konzert beim Kaiser Franz Joseph stattfand, der ihm als Zeichen seiner Anerkennung eine größere Summe für eine Geige spendete. Unmittelbar darauf begann der Unterricht in Berlin. Vor Joachim selbst spielte der Knabe nur wenig, dagegen genoß er die Unterweisung von dessen Schüler Markees bis zum Juni des folgenden Jahres (1893). Insgeheim nahm er aber noch zur gleichen Zeit während sechs Monaten Stunden bei Grigorowitsch, welchem Unterricht er nach seiner eigenen Angabe das meiste dessen verdankt, was er Lehrern schuldig ist. Trotzdem hat er, wie er gern bekennt, von Joachim die größte Anregung und Befruchtung empfangen, dessen Vorbild ihm auch nach Beendigung des Unterrichts im Sommer 1893 als das erstrebenswerteste vorleuchtete. Seit dieser Zeit, seit seinem elften Jahre also, hat der Künstler keinen eigentlichen Unterricht mehr erhalten, doch profitierte er noch in den beiden folgenden Jahren durch musikalischen Umgang mit Marsick in Paris und Heermann, welche Unterweisung sich aber jedesmal nur auf wenige Wochen und Stücke beschränkte.
Inzwischen hatten bereits die Konzertreisen des jungen Virtuosen begonnen, die ihm zwar Ehre, aber zunächst nur geringen materiellen Erfolg brachten. Er besuchte Holland und Belgien, sodann Paris, London und Berlin. Aber erst Wien, wo Huberman in einem Konzert von Adelina Patti zuerst auftrat (Januar 1895), brachte einen durchschlagenden Triumph, nämlich zwölf aufeinanderfolgende ausverkaufte Konzerte des zwölfjährigen Künstlers.
Nunmehr war die Bahn gebrochen. Rasch folgten Konzertreisen durch Österreich und Rumänien, die Vereinigten Staaten, Rußland, sodann nach vier Jahren Unterbrechung, die der allgemeinen und anderweit musikalischen Ausbildung gewidmet waren, weitere Reisen, die den Namen Hubermans rühmlich durch die Musikwelt getragen haben, so daß er schon seit Jahren von der Kritik als einer der ersten Meister seines Instruments anerkannt wird. Hauptsächlich wird neben einer außerordentlichen Beherrschung des Griffbretts an seinem Spiel besondere Schönheit und Modulationsfähigkeit des Tons, sowie äußerst temperamentvolle, aber stets beherrschte und eindringliche Auffassung gerühmt. Hubermans Richtung ist unbeschadet seiner glänzenden Technik eine gediegene, seine Programme umfassen mit besonderer Betonung von Beethoven und Brahms die gesamte neuere Literatur des Instruments, soweit sie von künstlerischem Wert ist.
Zwei denkwürdige Ereignisse im Leben des Künstlers sind sein erstmaliger Vortrag des Brahmsschen Konzerts in Wien, welches im Beisein des Meisters Ende Januar 1896 statthatte, und das auf Paganinis Geige Januar 1909 in Genua gegebene Konzert. Erstere Leistung des damals Dreizehnjährigen begeisterte Brahms so, daß er dem jungen Künstler eine Phantasie zu komponieren versprach – sein Tod hinderte die Ausführung. Das Wohltätigkeitskonzert Hubermans auf Paganinis Geige, das zum Besten der durch das furchtbare Erdbeben Ende 1908 geschädigten süditalienischen Provinzen unter großer Beteiligung und mannigfachen Formalitäten stattfand, ist noch in frischer Erinnerung. Nur einmal, von Sivori nach der Einigung Italiens, war Paganinis Favoritgeige, die seine Vaterstadt aufbewahrt Vgl. S. 416 und Anhang unter Kocian., wieder gespielt worden.
Nach dem im Sommer 1907 erfolgten Tode Joseph Joachims ward Henri Marteau die Auszeichnung zuteil, die Stelle des großen Violinmeisters, soweit das Lehramt an der Hochschule in Frage kam, einzunehmen Vgl. den Anhang!. Mit dieses Künstlers Leben und bisheriger Wirksamkeit haben wir uns daher an dieser Stelle zu beschäftigen.
Henri Marteau wurde am 31. März 1874 in Reims geboren. In seinem Elternhause war die Musik heimisch. Der Vater, Fabrikdirektor und ehemaliger Bürgermeister von Reims, spielt Violine, die Mutter, Deutsche, Tochter der Klaviervirtuosin Schwendy, Klavier. Bedeutende Künstler gingen dort aus und ein, so der Pianist Francis Planté, der Marteaus Pate ist, und der Paganinischüler Sivori, dessen Spiel den damals fünfjährigen Henri so begeisterte, daß er gleichfalls Geiger zu werden sich vornahm.
Die Eltern legten seinem Begehren kein Hindernis in den Weg, und so begann der Unterricht des Kleinen bei einem Schweizer Violinisten, namens Bünzli. Sodann kam er zu Leonard nach Paris, bei dem er neun Jahre studierte, während welcher Zeit er auch etwa dreißig Stunden von Sivori erhielt. Schließlich war er noch zehn Monate hindurch Schüler Garcins am Pariser Konservatorium.
Eine nähere Betrachtung von Marteaus Bildungsgange ergibt ein interessantes Resultat. Wie er seiner Abstammung nach halb Franzose, halb Deutscher ist, sind auch in seinen violinistischen Ahnen, wenn man zugibt, daß dieser Ausdruck mehr bedeutet als ein bloßes Wort, verschiedene Nationalitäten und noch verschiedenere künstlerische Richtungen vertreten. Bünzli war ein Schüler von Molique, der, wie wir sahen, nachhaltig durch Spohr beeinflußt wurde, außerdem aber ein Zögling Rovellis war, dessen Lehrer R. Kreutzer wir als einen der Klassiker der französischen Schule kennen lernten. Auf einen zweiten Klassiker derselben Schule, nämlich Baillot, führen die Namen Léonards und Garcins zurück. Hinter Kreutzer wie Baillot wiederum steht die Erscheinung Viottis. Baillot wurzelt sogar einigermaßen in der Schule Tartinis, da er u. a. von einem Schüler des paduaner Meisters, Pollani, unterrichtet wurde, dessen Lehrmeister Tartinis Lieblingsschüler Nardini war. Sivori endlich war Schüler Paganinis. So hangt Marteau außer mit Paganini mit den Klassikern des Violinspiels der drei tonangebenden Länder Italien, Frankreich und Deutschland zusammen.
Marteau redet von seinen Lehrern, speziell von Léonard, mit warmer Anerkennung. Nur Sivori spricht er kein pädagogisches Talent zu. Er suchte ihn auf Veranlassung Léonards auf und studierte mit ihm die Capricen und Konzerte Paganinis sowie Sivoris eigene Etüden und eine Anzahl seiner Konzertfantasien über Bellinische und Verdische Opern. Hierbei mußte der jugendliche Eleve alles, wie Marteau sich selbst darüber ausdrückt, affenartig oder paganiniartig nachahmen. Da ihm dies als elfjährigem Jungen ziemlich leicht fiel, so ist es ein glänzender Beweis seiner exzeptionellen Begabung auch in rein technischer Hinsicht.
Vor der in so vieler Hinsicht bedenklichen Laufbahn eines musikalischen Wunderkindes blieb Marteau bewahrt. Zwar trat er schon im jugendlichen Alter vor das Publikum, das erstemal als Zehnjähriger mit dem fünften Konzerte Léonards an Stelle seines durch Krankheit verhinderten Lehrers. Ein Jahr später, Ende März 1885, ließ er sich im Dresdener Tonkünstlerverein mit den beiden letzten Sätzen von Mendelssohns Violinkonzert, wieder ein Jahr hiernach in Berlin, und im Dezember 1887 in Wien mit dem ersten Konzert Max Bruchs hören – in Wien auf eine Einladung von Hans Richter hin. Überall erntete er die lebhafteste Anerkennung und Bewunderung, sowohl in Hinblick auf die schon so früh errungene technische Vollendung seines Spiels als auch wegen der gesunden, von keiner künstlichen Treibhausreife angekränkelten Art seines Vortrags. Aber stets folgte solchen Ausflügen in die Öffentlichkeit erneutes ernsthaftes Weiterstreben, wobei vor allem auch seine allgemeine Ausbildung nicht vernachlässigt wurde, worauf Marteaus Vater in sehr richtiger Einsicht besonders hielt.
So kam das Jahr 1890 heran. Im Mai desselben starb Léonard. Der Versuch, bei Joachim seine Ausbildung zu vollenden, ließ sich aus verschiedenen Gründen nicht realisieren, schon weil der Meister keine Privatschüler annahm. Nichtsdestoweniger verweilte Marteau etwa ein Jahr in Berlin, trat auch einmal vor das Publikum, ohne jedoch den Erfolg zu erzielen, der ihm daselbst als Knaben zuteil geworden war.
1891 kam er nach Paris zurück und brachte das Violinkonzert von Brahms mit, das bis dahin noch nicht in Frankreich gehört worden war. Er wurde mit Beifall überschüttet und mit den berühmtesten französischen Meistern seines Instruments verglichen. Auch veranstaltete er sogleich im Verein mit Raoul Pugno Kammermusiksoireen in seiner Heimatstadt Reims. Trotzdem wünschte er einen legitimierten Abschluß seiner musikalischen Ausbildung und besuchte zu diesem Zwecke noch auf fast ein Jahr das Pariser Konservatorium als Schüler von Garcin, wie schon erwähnt wurde. Er verließ es im folgenden Jahre 1892 mit einem ersten Preise.
Die nächsten acht Lebensjahre des Künstlers sind im wesentlichen von Konzertreisen eingenommen, die schon während seines Aufenthalts auf dem Pariser Konservatorium begonnen hatten. Ende 1892 schiffte er sich nach Amerika ein, wo er mehr als 200 Konzerte gab. Im Jahre 1893 folgte eine zweite Fahrt nach Amerika, diesmal zu Kammermusikveranstaltungen in Newyork. 1894-95 bereiste er Skandinavien, wohin er, wie nach Amerika, noch mehrere Male zurückkehrte. Nach einer einjährigen durch den Militärdienst veranlaßten Unterbrechung im Jahre 1895 folgten weitere Reisen in der Schweiz, Frankreich, Rußland, Balkan usw. Erst gegen Ende dieser Wanderjahre, im Herbst 1899, suchte er Berlin wieder auf und erzielte diesmal denselben vollen Erfolg, der ihm in anderen musikalischen Zentren Europas bereits zuteil geworden war.
Das nächste Jahr brachte Marteau eine Stellung als Lehrer seines Instruments am Genfer Konservatorium, in der er bis zum Jahre 1908 verblieb. Auch während dieser Zeit trat er des öfteren als Solist vor das Publikum, besonders in Deutschland und in der Schweiz. Unter anderem führte er in diesen Jahren das für ihn geschriebene Violinkonzert von Jacques Dalcroze in die Öffentlichkeit ein. Bei dieser Gelegenheit sei bemerkt, daß dem Künstler eine ganze Reihe von Violinkonzerten gewidmet sind, darunter vor allem das von Max Reger jüngst geschaffene, ferner solche von Chr. Sinding, Th. Dubois, L. Schlegel, I. Lauber, Tor Aulin, E. Moor usw.
Gleich nach seiner Anstellung in Genf gründete Marteau eine Quartettvereinigung (mit Eugène Reymond, W. Pahnke und Ad. Rehberg) und veranstaltete im Verein mit dem ausgezeichneten Pianisten Edouard Risler Sonatenabende. Beiden Unternehmungen war reicher Erfolg beschieden. Von den unter seiner Leitung in Genf ausgebildeten Schülern werden u. a. genannt Florizel Reuter, L. v. Laar, Lindelöf, Sommer, Weinmann, Pollak, Gunna Breuning, H. Blume und Pécsi. Nachrichten über die meisten derselben fehlen zurzeit.
In das Jahr 1908 fällt die in gewissem Sinne schönste Ehrung des Künstlers, die gleichzeitig eine gewisse Ausführlichkeit der Mitteilungen über ihn in diesem Buche rechtfertigt, seine Berufung als Nachfolger Joachims an die Berliner Hochschule. Diese Berufung betreffend teilt A. Moser im zweiten Bande seiner Joachimbiographie (1910) mit, daß Joachim selber für den Fall einer eintretenden Vakanz an der Hochschule Marteau in erster Linie ins Auge gefaßt und auch dem Kultusministerium eine Mitteilung in diesem Sinne gemacht habe. Marteau hatte die persönliche Bekanntschaft Joachims im Herbst 1906 gemacht und sowohl als Künstler wie als Mensch dem Altmeister sehr gefallen. Der erste Anlaß einer Verbindung Marteaus mit der Hochschule war seine Übersetzung der Moser-Joachimschen großen Violinschule ins Französische, worüber ebenfalls in Mosers Joachimbiographie näheres nachzulesen ist.
Marteau verwaltet sein Lehramt in dem Geiste seines großen Vorgängers, der seinerseits wiederum nichts Absonderliches, sondern die Erfüllung der Forderung betonte, aus den anvertrauten Zöglingen gute Musiker zu machen, denen es zur selbstverständlichen Auffassung würde, ihr Können in den Dienst der Kunst zu stellen. Wünschen wir Marteau, daß sein Wirken in diesem Sinne von Erfolg gekrönt sei. Die Vielseitigkeit seiner musikalischen Veranlagung und Ausbildung, in der deutsche und romanische Elemente gemischt sind, die Gründlichkeit und das Interesse, das er der pädagogischen Tätigkeit entgegenbringt, schließlich seine schon in Genf erzielten Erfolge als Lehrer sind ebensoviele Verheißungen für die Zukunft.
Marteaus hervorragende violinistische Qualitäten ergeben sich bereits zur Genüge aus seinem Lebenslaufe und der jetzt von ihm eingenommenen Stellung. Unnötig also noch besonders zu erwähnen, daß er eine äußerst vollendete Technik sowohl der rechten wie der linken Hand und eine blühende, sehr modulationsfähige Tongebung sein eigen nennt; unnötig auch beizufügen, daß ihm solche Vorzüge nicht Selbstzweck sind, sondern in den Dienst der jeweiligen künstlerischen Aufgabe gestellt werden. Insbesondere werden an seinem Spiel plastische Gestaltung und Großzügigkeit der Auffassung, sowie eine hohe Fähigkeit gerühmt, dem Stile eines jeden Meisters, den er gerade interpretiert, gerecht zu werden. Der Kreis seiner solistischen Programme ist ein sehr großer und umfaßt beispielsweise in diesem Winter in sechs von ihm angekündigten Berliner Abenden zwei Bachsche und fünf Mozartsche Violinkonzerte (bisher ist unseres Wissens so gut wie ausschließlich nur das letzte derselben ( a-dur) im modernen Konzertsaal erschienen), ferner das Beethovensche, Mendelssohnsche und Brahmssche sowie Konzerte von Bruch, Dubois, Sinding, Dalcroze, Dvoøak, Lauber, Gernsheim und L. Schlegel.
Es erübrigt noch hinzuzufügen, daß Marteau auch kompositorisch tätig ist, unter anderm werden Streichquartette und eine Symphonie namhaft gemacht.
Über Marteaus Schüler Florizel von Reuter kann die Nachricht gegeben werden, daß er im Jahre 1891 in Davenport (Vereinigte Staaten) geboren wurde und bereits als Wunderknabe durch verblüffende Technik Aufsehen erregte. Er bereiste bisher hauptsächlich die Schweiz, Österreich und den Orient, trat aber auch bereits wiederholt erfolgreich in Deutschland auf. Weitere Mitteilungen über ihn fehlen derzeit (vgl. den Anhang!).
Es ist noch eine Anzahl deutscher Violinspieler des vergangenen Jahrhunderts zu nennen, die mit den eben betrachteten Schulen in keinem nachweisbar direkten Zusammenhange stehen. Dieselben folgen hier in chronologischer Ordnung.
Franz Clement, am 19. November 1784 in Wien geboren, studierte unter Anleitung seines Vaters und Kurweils, Konzertmeisters beim Grafen Grapulwich (auch Giornovicchi wird als sein Lehrer genannt), und galt als ein musikalisches Wunderkind. Frühzeitig begab er sich in Begleitung seines Vaters auf Kunstreisen. Als elfjähriger Knabe kam er nach London. Haydn und Salomon dirigierten hier seine in den Jahren 1791-92 gegebenen Konzerte. Die Allgem. mus. Ztg. (Jahr. 7, S. 242 und 500) enthält folgende Urteile über ihn: »Der Violinspieler Clement spielte ein Rode'sches Violinconcert mit all der Gewandtheit, Eleganz und Feinheit, die man hier durchgängig an ihm bewundert und liebt; doch dürfte sein Vortrag durch mehr Einfachheit noch gewinnen. Er überwindet die erstaunlichsten Schwierigkeiten mit einer ganz außerordentlichen Leichtigkeit, Sicherheit und Kühnheit.« – »Clement ist ein Liebling des hiesigen Publikums und zwar mit vollem Rechte. Er spielt die Violine vortrefflich und ist in seiner Art vollkommen, vielleicht einzig. Aber freilich in seiner Art. Es ist nicht das markige, kühne, kräftige Spiel, das ergreifende Adagio, die Gewalt des Bogens und Tones, welche die Rode'sche Der Berichterstatter wußte offenbar nicht, daß Rode aus der Viottischen Schule hervorgegangen war. und Viotti'sche Schule charakterisirt: aber eine unbeschreibliche Zierlichkeit, Nettigkeit und Eleganz; eine äußerst liebliche Zartheit und Reinheit des Spiels, die C. unstreitig unter die vollendetsten Violinspieler stellt. Dabei hat er eine ganz eigene Leichtigkeit, welche mit den unglaublichsten Schwierigkeiten nur spielt, und eine Sicherheit, die ihn auch bei den gewagtesten und kühnsten Passagen nicht einen Augenblick verläßt.«
Diesen letzteren Eigenschaften des Clementschen Spiels entspricht vollkommen die Solostimme des Violinkonzertes, welches Beethoven für ihn komponierte, wie das in der kaiserl. Bibliothek zu Wien aufbewahrte Manuskript des besagten Kunstwerkes beweist. Dasselbe trägt die vom Meister herrührende eigenhändige Aufschrift: » Concerto par Clemenza pour Clement, primo Violino e Direttore al Teatro à Vienne, dal L. v. Bthvn. 1806.« Clement genoß des Vorzuges, diese bedeutende, zu den Juwelen der Violinliteratur gehörende Tonschöpfung, die man eine Symphonie mit obligater Violine nennen könnte, am 23. Dezember 1806 durch seinen Vortrag in die Öffentlichkeit einzuführen. Es ist unverkennbar, daß Beethoven die reiche, oft in hohen Lagen sich bewegende, höchst schwierige Figuration der Prinzipalstimme mit besonderer Rücksicht auf Clements Spielart setzte.
Clement huldigte keineswegs ausschließlich der gediegenen künstlerischen Richtung, sondern ließ sich nicht selten durch ferne gewandte Technik zu virtuosen Extravaganzen hinreißen, die ihm lauten Tadel zuzogen. In einem Bericht der Wiener Musikzeitung vom Jahre 1820 (S. 206) heißt es hierauf bezüglich: »Handelte es sich in der Musik nur um flüchtige, wie immer gestaltete Unterhaltung, so möchte Herrn Clement's Phantasiren hingehen, denn er gab uns viele erstaunliche Schwierigkeiten, gelungen besiegt, manche neue, gute Passagen zum Besten, über welche man vieles andere, z. B. das Herabstimmen der G-Saite um eine Quart, vergessen könnte. Aber die Kunst hat ihre Würde; wenn ihre Jünger selbst sie herabziehen, dann geht es auch mit raschen Schritten in allem abwärts. Das große Publikum ist eigentlich ein Kind, zu welchem die Künstler sich wie erwachsene Menschen verhalten. Giebt man dem Kinde gute Beispiele, führt man in dessen Gegenwart keine unverständigen Reden, so wird das Knäbchen brav und gut gesittet; tut man das Gegentheil, so glaubt sich das Jungchen alles erlaubt, wird ungezogen und schlägt den Großen, der ihn zurechtweisen will, ins Gesicht ... Wehe thut es daher, wenn ein gebildeter Künstler, wie Herr C., dessen wahrhaft in jeder Hinsicht außerordentliche Gaben das Höchste, wenn er will, erreichen, vor das Publikum tritt, und statt Einen Gedanken zu fassen und auszuführen, nur einige Thematen fast ohne alle Verbindung vorführt, um endlich über den Schlußchor aus Blum's Rosenhütchen einige extemporirte Variationen zu spielen.«
Hinsichtlich des ungemeinen musikalischen Gedächtnisses Clements berichtet Spohr, er habe von seinem Oratorium »Das jüngste Gericht« nach dreimaligem Hören so viel behalten, daß er ihm am Tage nach der Aufführung desselben mehrere große Nummern daraus, »Note für Note, mit allen Harmoniefolgen und Orchesterfiguren vorgespielt, ohne je die Partitur gesehen zu haben«. Spohr ergänzt diese Tatsache durch folgende Mitteilung: »Man erzählte sich damals in Wien, daß Clement die ›Schöpfung‹ von Haydn, nachdem er sie mehrmals gehört hatte, so auswendig wußte, daß er mit Hülfe des Textbuches einen vollständigen Klavierauszug davon machen konnte. Diesen brachte er dem alten Haydn zur Ansicht, der nicht wenig darüber erschrocken war, weil er im ersten Augenblick glaubte, man habe ihm seine Partitur entwendet oder heimlich kopirt. Er fand bei näherer Ansicht den Klavierauszug so getreu, daß er ihn, nachdem Clement noch eine Durchsicht nach der Partitur vorgenommen hatte, zur Herausgabe adoptirte In diesem Zusammenhang dürfte die Art der Mitwirkung Clements an einer denkwürdigen Sitzung, die im Dezember 1805 im Palais des Fürsten Lichnowski in Wien stattfand, Interesse erregen. Beethovens Fidelio war im vorhergehenden Monat und zwar am 20., 21. und 22. November, wenige Tage nach der Besetzung Wiens durch die Franzosen, zuerst aufgeführt worden – ohne jeden Erfolg. Lag dies einerseits an den traurigen Zeitumständen, so schien andrerseits auch Beethovens Freunden eine Kürzung des Werkes in dessen eigenstem Interesse vonnöten. Von 7 bis 1 Uhr nachts dauerten an jenem Abend die Anstrengungen, Beethoven zur Aufopferung dreier Nummern, Kürzungen und Zusammenziehung der Oper von 3 auf 2 Akte zu bewegen. Der Tenorist Nöckel (er sang später den Florestan), dem wir den Bericht darüber verdanken, schreibt: »Obwohl die Freunde Beethovens auf den bevorstehenden Kampf vollständig vorbereitet waren, hatten sie ihn doch nie früher in dieser Aufregung gesehen ...« Ebendaselbst heißt es vorher: »Da die ganze Oper durchgenommen werden sollte, gingen wir gleich ans Werk. Fürstin Lichnowski spielte auf dem Flügel die große Partitur der Oper, und Clement, der in einer Ecke des Zimmers saß, begleitete mit seiner Violine die ganze Oper auswendig, indem er alle Solos der verschiedenen Instrumente spielte. Da das ungewöhnliche Gedächtnis Clements allgemein bekannt war, so war niemand außer mir darüber erstaunt.« (Thayer, Beethoven II, S. 295.).«
Clement war von 1802-1811 sowie von 1818-1821 Orchesterdirigent beim Theater a. d. Wien. In der Zwischenzeit versah er von 1813 ab vier Jahre hindurch das gleiche Amt am Prager Theater. Seine Wiener Stellung gab er 1821 auf, um mit der Catalani zu reisen, deren Konzerte er leitete. Dann kehrte er wieder nach Wien zurück. Von da ab geriet er infolge seiner unverständig haltlosen Lebensführung in mißliche Verhältnisse. Unter traurigen Umständen starb er am 3. November 1842. Von seinen Kompositionen erschienen mehrere im Druck.
Heinrich August Matthäi, geboren am 30. Oktober 1781 in Dresden, empfing hier seine erste musikalische Ausbildung und wurde im Jahre 1803 neben Campagnoli als Solospieler beim Leipziger Gewandhauskonzert angestellt. Zahlreiche Freunde und Gönner, die er sich dort bald durch seine künstlerischen und persönlichen Eigenschaften erwarb, gewährten ihm die Mittel, für längere Zeit nach Paris zu gehen, um unter Kreutzers Leitung seine Studien zu vollenden. 1806 kehrte er in seine Leipziger Stellung zurück. Das dortige rege Musikleben bereicherte er durch Begründung regelmäßiger Quartettabende, die 1809 ihren Anfang nahmen. 1817 trat er endlich als Konzertmeister an Campagnolis Stelle, nachdem dieser dem von Neustrelitz an ihn ergangenen Rufe als Musikdirektor Folge geleistet hatte. Am 4. November 1835 starb er in Leipzig. Einige von ihm veröffentlichte Violinkompositionen sind im Strome der Zeit spurlos untergegangen. Aus seiner Schule gingen die Violinspieler Fesca und Uhlrich hervor.
Friedrich Ernst Fesca, geboren zu Magdeburg am 15. Febr. 1789, offenbarte schon in zartem Kindesalter bedeutende Anlagen zur Musik. Mit neun Jahren begann er das Violinspiel unter Leitung eines gewissen Lohse, welcher damals erster Violinist des Magdeburger Theaterorchesters war, und im elften Jahre konnte er bereits als Konzertspieler vor das Publikum seiner Vaterstadt treten. 1803 ging er nach Leipzig zum Konzertmeister Matthäi. Neben dem Violinstudium bei diesem Künstler genoß er den Kompositionsunterricht des Kantors an der Thomasschule, A. E. Müller. Im Jahre 1806 wurde er für die Oldenburger Hofkapelle und 1808 für die Hofmusik des Königs Jérôme von Westfalen als Sologeiger engagiert. Letztere Stellung verlor er durch die politischen Ereignisse des Jahres 1813. Fesca ging nun auf einige Zeit nach Wien; dann trat er 1814 in die Karlsruher Hofkapelle, zu deren Konzertmeister er im folgenden Jahre ernannt wurde. Während seiner Wirksamkeit in der Hauptstadt Badens erkrankte Fesca an einem Brustleiden, von dem sich vorher schon Anzeichen bemerklich gemacht hatten. Dasselbe steigerte sich im Frühjahr 1821 bis zu einem so hohen Grade, daß er in Schwermut verfiel. Doch vermochte er trotz allem noch tätig zu sein. Im Sommer des Jahres 1825 begab er sich zur Kur nach Ems. Scheinbar besserte sich infolge derselben sein Zustand, doch war es nicht von Bestand. Am 24. Mai 1826 unterlag er seiner verzehrenden Krankheit in Karlsruhe.
Fesca war ein fruchtbarer Tonsetzer von nicht gewöhnlicher Begabung. Die Mehrzahl der von ihm gelieferten Kompositionen besteht in Kammermusikwerken. Überdies schrieb er zwei Opern, vier Ouvertüren, drei Symphonien, mehrere kirchliche Werke und eine Reihe ein- und mehrstimmiger Lieder und Gesänge. Von seinen Violinkompositionen wurden nur drei Potpourris veröffentlicht.
Wilhelm Uhlrich, welcher eine Zeitlang dem Leipziger Gewandhausorchester angehörte, dann als Konzertmeister nach Magdeburg ging und schließlich bis zu seinem Lebensende in gleicher Eigenschaft bei der Hofkapelle in Sondershausen wirkte, wurde am 10. April 1815 in Leipzig geboren, wo sein Vater Holzblas-Instrumentenmacher war, und starb am 26. November 1874 in Stendal unmittelbar vor einem Konzert, in welchem er auftreten sollte. Uhlrich war ein vortrefflicher Solo- und Quartettspieler, hochgeschätzt von allen, die seine Leistungen kannten. Außerhalb seines Wirkungskreises hat er sich aber wenig hören lassen, da er es vorzog, ganz seinen amtlichen Obliegenheiten zu leben.
Einer seiner bemerkenswerten Schüler ist Fritz Seitz, geboren am 12. Juni 1848 in Günthersleben bei Gotha. Nach Absolvierung der Schule beabsichtigte er sich der militärischen Laufbahn zu widmen, gab diese Idee aber auf, nachdem er den Feldzug von 1866 bei der Mainarmee mitgemacht hatte. Von Jugend auf mit der Geige vertraut, beschloß er sich der Musik zu widmen und ging deshalb im Herbst 1868 nach Sondershausen, um beim Konzertmeister Uhlrich, seinem nachmaligen Schwiegervater, sich dem höheren Violinspiel zu widmen. Eine Unterbrechung erlitten seine Studien durch den Krieg von 1870, welcher ihn nötigte, ein volles Jahr bei der deutschen Armee in Frankreich zuzubringen, und die Kämpfe von Beaumont und Sedan, sowie die Belagerung von Paris mitzumachen. In die Heimat zurückgekehrt, nahm Seitz von neuem das Studium der Violine auf und ging 1874 noch für einige Zeit nach Dresden, um der Lehre Lauterbachs teilhaftig zu werden. Dann war er bis zum Oktober 1876 Mitglied der Sondershausener Kapelle und Vizekonzertmeister, worauf er nach Magdeburg als Führer der Geigen im Stadttheaterorchester, sowie bei den dortigen Symphoniekonzerten berufen wurde. Zugleich stand er einem von ihm gegründeten Institut für Violinspiel vor. Im Jahre 1884 wurde Seitz als Hofkonzertmeister nach Dessau berufen Fortsetzung siehe unter »Nachträglich« am Schlusse des Buches..
Christian Urhan, geboren 16. Februar 1790 in Montjoie bei Aachen Nach Weckerlin ( Nouveau Musiciana) wäre Urhan bereits gegen 1788 geboren., erhielt die erste Anleitung im Violinspiel von seinem Vater. Die Kaiserin Josephine, welche ihn 1805 hörte, nahm lebhaften Anteil an seinem Talent und gewährte ihm die Mittel, dasselbe in Paris weiter auszubilden. Er wurde dort namentlich Lesueurs Schüler in der Komposition. Die Gelegenheit, viele gute Künstler zu hören, förderte ihn auch im Violinspiel. Bald hatte er sich unter den Pariser Geigern eine geachtete Stellung errungen. 1816 wurde er im Orchester der großen Oper angestellt und wurde weiterhin der Soloviolinist desselben. Mit besonderer Vorliebe widmete er sich nebenbei dem Studium der Viole d'amour, die er so geschickt zu behandeln wußte, daß Meyerbeer eigens für ihn das betreffende Solo in den Hugenotten (Akt 1, Szene 1) komponierte. Übrigens war er auch lange Zeit als Bratschist im Baillotschen Quartett, sowie im Opernorchester tätig. 1823 trat er indessen in dem letzteren zur ersten Violine hinüber, bei der er später als Solospieler beschäftigt war. Zu gleicher Zeit versah er den Organistendienst bei der Kirche S. Vincent de Paule. Von seinen Kompositionen veröffentlichte er mehrere Kammermusikwerke. Sein Tod erfolgte am 2. November 1845 in Paris.
Leopold Jansa, ursprünglich für die juristische Laufbahn bestimmt, wurde am 23. März 1795 zu Wildenschwert in Böhmen geboren. Seit seiner Jugend trieb er das Violinspiel, in welchem ihm der Organist seines Heimatortes, Zizius, die erste Anleitung erteilte. In Brünn fand er während des Schulbesuches Gelegenheit, seine musikalischen Fähigkeiten weiter zu entwickeln, und als er 1817 die Wiener Universität bezogen, ging er bald ganz zur Kunst über. Es wurde ihm nicht leicht, sich neben Mayseder und Böhm eine Stellung zu erringen, doch sein Fleiß förderte ihn so weit, daß er mit Erfolg öffentlich aufzutreten vermochte. Im Jahre 1823 entfernte er sich von Wien, um in die Braunschweiger Kapelle zu treten, doch schon ein Jahr später kehrte er nach Wien zurück und fand dort Anstellung in der kaiserl. Kapelle. 1834 wurde er Musikdirektor an der Universität. In der Öffentlichkeit war er von 1845 ab hauptsächlich als Quartettspieler tätig. Seit 1849 lebte er in London. Er begab sich dahin, weil er wegen seiner in der Themsestadt erfolgten Mitwirkung bei einem Konzert für die ungarischen Flüchtlinge aus der k. k. Kapelle entlassen worden war. Auf sein Gesuch wurde ihm vom Kaiser von Österreich ein Gnadengehalt bewilligt und zugleich die Erlaubnis, nach Wien zurückkehren zu dürfen, wo er am 24. Januar 1875 hochbetagt starb. Jansas Spiel war von sauberer Glätte, und wenn auch nicht bedeutend, so doch angenehm. An einer freien, kühnen Bogenführung behinderte ihn der etwas steife und zu hoch gehobene Arm. Seine dem leichteren Genre der Unterhaltungs- und Übungsmusik angehörenden Violinkompositionen waren ehedem bei Lehrern und Schülern nicht unbeliebt, sind aber bereits seit längerer Zeit durch modernere Erscheinungen in den Hintergrund gedrängt worden. Aus seiner Lehre ging die bekannte Violinvirtuosin
Wilma Maria Franziska Neruda hervor. Sie wurde am 29. März 1839 in Brünn geboren und erhielt die erste Anleitung auf der Geige von ihrem 1875 verstorbenen Vater Joseph Neruda, einem geschätzten Musiker (Organist) der mährischen Hauptstadt. Hierauf wurde Jansa ihr Lehrer. Frühzeitig war das Talent der Künstlerin entwickelt. Im 7. Lebensjahre schon trat sie mit ihrer Schwester Amalie in einem Konzert zu Wien auf. Dann unternahm sie in Begleitung ihres Vaters, ihrer Schwester und eines Bruders, der das Violoncell zu seinem Instrument erwählt hatte, zahlreiche Kunstreisen, die sie durch Deutschland, Frankreich, Rußland, England und Holland führten und ihren Ruf als ausgezeichnete Künstlerin begründeten. 1862 wurde sie zur Kammervirtuosin ernannt. Nach ihrer Verheiratung mit dem schwedischen Hofkapellmeister Norman war sie in Stockholm als Solistin und Lehrerin des Violinspiels an der königl. Musikakademie tätig. 1869 trennte sie sich von ihrem Manne, welcher 1885 starb, und wandte sich nach London, wo sie zu den ersten künstlerischen Erscheinungen gehörte und sich unausgesetzt größter Beliebtheit erfreute. Im Jahre 1888 verheiratete sie sich mit Charles Hallé. Seit etwa zehn Jahren lebt die Künstlerin in Berlin.
Wilma Neruda ist eine Künstlerin ersten Ranges und war zur Zeit ihrer öffentlichen Wirksamkeit unbedingt die bedeutendste Violinistin der Neuzeit. Sie verband mit einem schönen, gehaltreichen und kernigen Ton unfehlbare Sicherheit in müheloser Beherrschung technischer Schwierigkeiten und hatte überdies eine ungemein sympathische, die Grenzen des Maßvollen nicht überschreitende Vortragsweise. Der Grundzug ihres Spieles war eine glückliche Mischung von weiblicher Anmut und männlicher Energie.
Louis Eller, geboren 1819, nach anderer Angabe 1820 in Graz, spielte als 9jähriger Knabe bereits öffentlich und machte sich durch sein Auftreten in Wien (1836) zuerst bekannt. 1844 ließ er sich mit Auszeichnung in Paris hören. Er war ein sehr begabter Geiger von virtuoser Richtung und vielfach auf Reisen, doch hinderte ihn ein Brustleiden, sich unausgesetzt seinem Beruf als Konzertist zu widmen. Er starb am 12. Juli 1862 zu Pau in Südfrankreich.
Die Gebrüder Ernst und Eduard Eichhorn machten in den dreißiger Jahren als Wunderkinder Aufsehen, verschwanden aber bald vom Schauplatz der Öffentlichkeit. Sie fanden Engagement in der Koburg-Gothaschen Hofkapelle. Der ältere, vorzugsweise begabte Bruder Ernst, geb. 30. April 1822, starb in Koburg am 16. Juni 1844, der jüngere, geb. 17. Oktober 1823, vermochte nicht die Hoffnungen zu erfüllen, die er als Knabe erregte. Er starb am 4. August 1896 als Hofkonzertmeister in Koburg.
Ein vorzüglicher Violinspieler der Neuzeit ist Joh. Christoph Lauterbach, geboren 24. Juli 1832 in Kulmbach, dessen harmonisch abgerundete Leistungen sich durch saubere Technik, maßvoll schöne Tonbehandlung, Delikatesse und anmutigen Vortrag hervortun. Er war ursprünglich nicht für den Künstlerberuf bestimmt und entschied sich für denselben erst, als sein musikalisches Talent zum völligen Durchbruch gekommen war. Dies geschah in Würzburg, wo Lauterbach seit 1839 die Stadtschule, dann aber das Gymnasium besuchte. Den Musikunterricht empfing er im Würzburger Musikinstitut von Fröhlich und I. Brasch. Der Erstgenannte leitete speziell seine Violinübungen. Doch blieb Lauterbach hier hauptsächlich auf seine eigene Kraft angewiesen, da Fröhlich keine ausreichende Kenntnis der Violintechnik besaß. 1850 wandte der Künstler sich nach Brüssel, hatte de Bériot für eine kurze Zeit zum Lehrmeister, erwarb 1851 bei dem Konkurs am Konservatorium den Ehrenpreis und übernahm dann an der ebenerwähnten Anstalt eine Stelle als Lehrer des Violinspiels. Nach Jahresfrist bereiste er Belgien, Holland und einzelne Teile von Deutschland. Dann begab er sich nach München. Hier fand er 1853 als Konzertmeister bei der Hofkapelle und Lehrer des Violinspiels an der Musikschule einen Wirkungskreis. Er verließ denselben 1861 infolge seiner Berufung als Konzertmeister der Dresdner Kapelle. Seit dieser Zeit hat er sich sowohl im Vaterlande, wie über dasselbe hinaus, als Solo- und Quartettspieler einen sehr geschätzten Namen und wohlverdienten Ruf erworben. Im Frühjahr 1889 trat er in den Ruhestand.
Schon früher mit dem Professortitel bedacht, erfuhr Lauterbach im Jahre 1902 die Auszeichnung, vom König von Sachsen zum Hofrat ernannt zu werden – die erste derartige Ernennung für einen Geiger. Auch kompositorisch war Lauterbach tätig. Von seinen Schülern machte sich besonders der später zu erwähnende Marcello Rossi bekannt.
Von Lauterbachs anderweiten Schülern ist mit Auszeichnung Otto Hohlfeld zu nennen. Derselbe, am 10. März 1854 zu Zeulenroda im sächs. Vogtlande geboren, zeigte schon in zarter Jugend ungewöhnliche musikalische Anlagen. Sein Vater, ein geschickter Weber, hegte den Wunsch, daß der Sohn ihm in seinem Berufe folgen solle, doch Talent und Liebe zur Musik wiesen ihn auf den Künstlerberuf hin, dem er sich nach Überwindung mancher Hemmnisse mit dem Eintritt in das Jünglingsalter auch widmen durfte. Seine ersten musikalischen Übungen begann Hohlfeld auf der Flöte. Bald ging er aber unter Anleitung des Kantors Solle (Verf. einer Violinschule) zur Geige über. Seine weitere Ausbildung auf diesem Instrument erhielt er im Greizer Lehrerseminar von dem Musikdirektor Regener. Zugleich betrieb er das theoretische Studium bei dem dortigen Kantor Urban. Nach einigen Jahren bezog Hohlfeld zur Vollendung seiner künstlerischen Studien das Dresdner Konservatorium. Hier wurde im Violinspiel Lauterbach sein Lehrmeister, unter dessen Führung er sich während eines dreijährigen Kursus zu einem so trefflichen Spieler heranbildete, daß er in die königl. sächs. Hofkapelle aufgenommen werden konnte. Nicht lange danach erhielt er den Ruf als Hofkonzertmeister der großherzogl. Kapelle in Darmstadt. Dieses Amt bekleidete er seit dem November 1877. Er unternahm auch seitdem erfolgreiche Kunstreisen in Deutschland, Rußland und Polen. Der künstlerischen Tätigkeit wurde er im besten Mannesalter am 10. Mai 1895 durch den Tod entrissen. Hohlfeld gehörte zu den Violinisten der gediegenen künstlerischen Richtung. Seine Leistungen zeichneten sich ebensosehr im Solospiel wie im Vortrage von Kammermusikwerken aus. An Kompositionen veröffentlichte er ein Quintett für Streichinstrumente und eine Elegie für Violine mit Orchesterbegleitung.
Hugo Heermann, in Heilbronn am 3. März 1844 geboren, erhielt frühzeitig künstlerische Anregungen durch seine musikalisch ungewöhnlich beanlagte Mutter. Er erwählte die Violine zu seinem Instrument und erweckte schon bei seinem ersten Auftreten als 10jähriger Knabe das lebhafte Interesse Rossinis, der ihn in Wildbad hörte. Rossini war es auch, der ihm Brüssel als Ort seiner Weiterbildung empfahl und ihm eine Empfehlung dorthin mitgab. Sein erster Lehrer war ein Violinist namens Maschek gewesen. Während eines mehrjährigen Studiums unter Leitung von Meerts in Brüssel bildete sich Heermann zu einem vorzüglichen Geiger aus. Zugleich erhielt er theoretischen Unterricht von Fétis. Hierauf förderte er sich, nachdem er das Konservatorium mit einem ersten Preise verlassen hatte, noch durch einen längeren Aufenthalt in Paris. Trotzdem Heermann seine Meisterschaft auf der Violine im Auslande gewann, büßte er doch als Künstler nicht seine nationalen Eigenschaften ein: sein Spiel ist, obwohl durch zierliche Eleganz und Delikatesse an die belgisch-französische Schule erinnernd, dem Ausdruck nach von deutscher Art und Beschaffenheit. Im Jahre 1865 wurde er als Konzertmeister nach Frankfurt am Main berufen, wo er seit 1878 zugleich als erster Lehrer des Violinspiels an der Hochschen Musikschule wirkte. In dieser Zeit unternahm Heermann auch ausgedehnte Konzertreisen, die ihn durch fast ganz Europa führten, besonders hervorragende Erfolge waren ihm 1894 in Paris beschieden, wo er in den Lamoureuxkonzerten auftrat. Das von Heermann geleitete Streichquartett ist eines der vorzüglichsten der Gegenwart.
Im Jahre 1906 folgte der Künstler einem Rufe als Nachfolger Saurets an das Musical College in Chikago auf drei Jahre, kehrte aber mit Beginn des Jahres 1910 wieder nach Europa zurück, um sich dauernd in Berlin niederzulassen, wo er als Solist, Quartettspieler und Lehrer eine künstlerisch lang ersehnte Stellung fand Vgl. den Anhang!.
Benno Walter, geboren 17. Juni 1847 in München, empfing vom 4. Lebensjahre ab den Unterricht seines Vaters im Violinspiel und war mit 8 Jahren bereits so weit vorgeschritten, daß er in erfolgreicher Weise Konzertreisen unternehmen konnte, die sich jedoch auf Süddeutschland beschränkten. Als elfjähriger Knabe erhielt Walter in Anerkennung seiner Leistungen von der Königin von Bayern eine Guarnerigeige zum Geschenk. 1863 wurde er zum Mitglied und 1875 an Stelle seines älteren Bruders Joseph Joseph Walter wurde am 30. Dezember 1831 zu Neuburg a. d. Donau geboren, war in Wien, Hannover und von 1859 an als Konzertmeister und Violinlehrer in München tätig. Er starb dort am 16. Juli 1875., welcher mit Ausnahme weniger Stunden bei C. de Bériot gleichfalls Schüler seines Vaters war, zum Konzertmeister der Münchener Hofkapelle ernannt.
Benno Walter gilt als ein vorzüglicher Vertreter seines Faches und wird insbesondere auch im Hinblick auf sein Quartettspiel sehr gerühmt. Neben seiner Funktion als Konzertmeister ist er Violinlehrer an der Musikschule der bayrischen Residenz.
Alfred Krasselt, der am 3. Juni 1872 zu Glauchau geboren wurde, war zunächst ebenfalls Schüler seines Vaters, der Kurkonzertmeister in Baden-Baden war. Sodann genoß er den Unterricht Petris in Leipzig sowie am Konservatorium daselbst den von Brodsky. 1893 wurde er Konzertmeister des Kaim-Orchesters in München und 1896 als Hofkonzertmeister nach Weimar berufen. Weiterhin wirkte er als Konzertmeister in Baden-Baden, starb aber bereits im September 1908.
Adolf Rebner wurde am 21. November 1876 in Wien geboren. Seine Ausbildung erfuhr er zunächst auf dem Wiener Konservatorium, wo Grün sein Lehrer war. Nachdem er diese Anstalt 15jährig mit dem ersten Preis absolviert hatte, begab er sich zur Fortsetzung seiner Studien nach Paris, wo er noch den Unterricht Marsicks genoß. Seit 1896 lebt Rebner in Frankfurt a. M. und bekleidet dort die Stellung des ersten Violinlehrers am Hochschen Konservatorium.
Während seines Frankfurter Aufenthaltes begründete der Künstler seinen Ruf als Solist wie als Kammermusiker im Inlande sowie auf Reisen. Vor fünf Jahren wurde er Primgeiger eines von ihm ins Leben gerufenen Streichquartettes, welches noch W. Davisson, L. Natterer und Joh. Hegar zu Teilnehmern hat und in Deutschland, aber auch in London und Paris mit Erfolg konzertiert. Vorher gehörte er zehn Jahre lang einer Triovereinigung (mit Prof. Friedberg und Joh. Hegar) an, war auch mehrere Jahre erster Konzertmeister an der Frankfurter Oper sowie Mitglied des Museumsquartetts.
Über den Geiger Wittenberg, dessen Name letzthin öfter genannt wird, fehlen derzeit nähere Nachrichten (vgl. den Anhang!).
Schließlich ist an dieser Stelle Willy Burmesters zu gedenken, der unter den jüngeren deutschen Violinmeistern einen hervorragenden Platz einnimmt.
Burmesters Lebensgang ist einfach. Er wurde am 16. März 1869 in Hamburg geboren. Sein Vater, der selbst Geiger ist (er lebt als Musiklehrer in Hamburg), erteilte dem musikbegabten Knaben bereits von seinem vierten Lebensjahre an Violinunterricht, und schon mit sechs Jahren konnte Burmester in seiner Vaterstadt zum ersten Male an die Öffentlichkeit treten. Glücklicherweise widerstanden seine Eltern den mehrfachen, anläßlich dieses Ereignisses sich einfindenden Angeboten, die Fähigkeiten des Wunderkindes alsbald durch Konzertreisen in lukrativer Weise auszunutzen. So blieb Burmester dieses Geschick, das die dauernde Schädigung so vieler Talente zur Folge gehabt hat, erspart. Vielmehr konnte er in Ruhe bis zu seinem vierzehnten Lebensjahre bei seinem Vater weiterstudieren. Hans von Bülow, der sich lebhaft für sein Talent interessierte, musizierte häufig mit ihm, was für die innere musikalische Förderung Burmesters von nicht zu unterschätzender Bedeutung gewesen sein dürfte.
Burmester genoß dann noch für einige Zeit den Unterricht Joachims in Berlin. Jedoch zieht er es vor, sich nicht als Schüler dieses Meisters zu bezeichnen. Von da ab war er ganz sein eigener Lehrer und sicher kein allzu gelinder.
Schon mit 12 Jahren hatte Burmester seine erste Konzertreise nach Portugal unternommen. Von 1886 an reiste er mehrfach, ging 1888 nach Petersburg und von dort als Solist und Konzertmeister am Philharmonischen Orchester nach Helsingfors (Finnland). Helsingfors ist als der Ort zu bezeichnen, wo er seine Individualität in unermüdlichem Selbststudium zur Reife entwickelte.
Nachdem er von 1890 ab kurze Zeit als Konzertmeister in Sondershausen und Bremen gewirkt hatte, auch auf speziellen Wunsch Bülows an der ersten Geige in dessen Hamburger Konzerten tätig gewesen war, veranstaltete er Ende Oktober 1894 in der Singakademie in Berlin einen Paganini-Abend, der vom Publikum sowie der gesamten Kritik mit unerhörtem Enthusiasmus aufgenommen, mit einem Schlage seinen Ruhm zunächst als den eines phänomenalen Technikers sicherstellte. Man war gespannt auf sein eine Woche später folgendes zweites Konzert, in dem der Künstler vorzüglich mit Spohrs siebentem Konzert den Beweis lieferte, daß er nicht nur ein eminenter Virtuose, sondern mehr sei, nämlich ein guter Musiker. In derselben Saison folgten sodann noch zwei Konzerte in Berlin.
Seitdem hat Burmester, der in Charlottenburg wohnt, ganz Europa bereist und überall die gleiche Anerkennung gefunden, die in den oft wiederholten Angaben gipfelt, daß seine Technik schlechthin phänomenal sei, seine musikalische Auffassung derjenigen der übrigen bedeutendsten Meister seines Instrumentes gleichkomme.
Wenn sein schrankenloses Können Burmester vor allem in der ersten Zeit seiner Triumphe oft zu Darbietungen veranlaßte, denen nur die höchste Virtuosität im engeren Sinne dieses Wortes gerecht zu werden vermag, so wäre es doch unberechtigt, hieraus allein bereits einen Tadel konstruieren zu wollen. Er griff gleich zu der in dieser Hinsicht letzten Instanz, zu Paganini, und erlebte die Genugtuung, als Paganini redivivus gefeiert zu werden. Nach vielseitigem Urteil versteht er es, die in mehr als einem Sinne problematischen Kompositionen des Italieners wieder lebendig zu machen und somit uns im Tausch für die gedruckten Berichte darüber eine lebendige Anschauung zu geben. Wer dies verurteilen möchte, verkennt das Wesen der reproduktiven Kunst oder maßt sich gegenüber dem Enthusiasmus, den Paganini auch bei Künstlern wie Schumann oder A. B. Marx entfachte (vgl. S. 419 f.), ein verspätetes und unzureichendes Urteil an.
Etwas ganz anderes wäre es freilich, wenn Burmester absichtlich oder unabsichtlich durch diese Seite seiner Tätigkeit das absolute Virtuosentum neu auf den Schild zu heben drohte. Auf dieses selbst hier einzugehen, ist nach dem, was im ersten Teile dieses Buches ausgeführt ist, unnötig. Obige Befürchtung ist es aber nicht minder. Denn einerseits wäre das moderne musikalische Bewußtsein in seiner Totalität heute genügend entwickelt, um ein derartiges Beginnen zu vereiteln, andererseits denkt Burmester wohl kaum daran, die Paganinischen und ähnliche Kompositionen anders denn als merkwürdige und interessante Spezialitäten, die sie zweifelsohne sind, vorzuführen. Im übrigen sind sie so schwer zu spielen, daß sie immer nur gelegentlich einen ihnen voll gewachsenen Darsteller finden werden.
Zur völligen Beruhigung hinsichtlich dieses Punktes dürfte bereits die Tatsache ausreichen, daß Burmester einen großen Teil seiner Kraft in den Dienst Bachs gestellt hat. Hier, wo der blendendste Techniker, der weiter nichts ist, unmittelbar versagt, bewährt sich Burmesters Kunst in gleichem und für die Musik freilich weit bedeutungsvollerem Maße. Die Haarlemer Bachgesellschaft hat ihn in Anerkennung seiner geigerischen Verdienste um den Großmeister der Musik zu ihrem Ehrenmitgliede ernannt.
Es kann darauf verzichtet werden, an dieser Stelle die einzelnen Vorzüge von Burmesters Spiel, großer, gesangreicher, ungemein modulationsfähiger Ton, eminente, bis an die Grenze des Begreiflichen gehende Technik noch ausführlich auseinanderzusetzen. Genug, daß er als reproduktiver Künstler eine Erscheinung von ebenso ausgeprägter Eigenart als Bedeutung ist.