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Anhang zur 6. Auflage.

Vergleiche das Vorwort zur 6. Auflage.

 

Zum Kapitel: Ludwig Spohr und die Kasseler Schule.

(S. 433 ff.)

(S. 456) Über die Gebrüder Bargheer kann ergänzend mitgeteilt werden, daß der ältere, Carl Louis, am 19. Mai 1902 in Hamburg starb. Der jüngere, Gustav Adolf, war ihm schon am 10. März 1901 in Basel vorausgegangen. Nach Mitteilungen eines weiteren Bruders wäre er Spohrs letzter Schüler gewesen. Der Geburtsort Gust. Ad. Bargheers ist Bückeburg. Nicht in München, sondern in Münster (Westfalen) war Bargheer als Konzertmeister tätig, ob vor oder nach der Detmolder Zeit, ist jedoch unsicher.

(S. 465) Chr. W. Hilf starb am 31. Dez. 1911.

Als Enkelschüler Spohrs ist an dieser Stelle zu nennen

Otto Riller, der am 30. Juli 1864 zu Breslau geboren wurde. Den ersten Violinunterricht erteilte ihm sein Vater, der selbst Violinlehrer war, sodann der in Breslau lebende Spohrschüler Moritz Schön. Schon mit 9 Jahren trat er in Breslau an die Öffentlichkeit, konnte auch bald kleinere Konzertreisen unternehmen. Eine Stellung am Breslauer Stadttheater gab der junge Künstler bald wieder auf und privatisierte eine Zeitlang in Frankfurt a. M., wo er sich allein weiterbildete, angeregt durch die dort konzertierenden Künstler, von denen Sarasate, den er auch persönlich kennen lernte, einen besonders nachhaltigen Eindruck auf ihn ausübte.

Nach einer kürzeren Wirksamkeit an der Darmstädter Hofkapelle kam Riller als 1. Konzertmeister der Kgl. Kapelle noch Hannover, in welcher Stellung er noch heute wirkt. Der Künstler ist gleichzeitig Solist der dortigen Sinfoniekonzerte und Leiter eines Streichquartetts. Riller ist preußischer Professor. Er konzertierte in den meisten größeren Städten Deutschlands sowie in London und Petersburg, von der Kritik als trefflicher Vertreter seines Instruments anerkannt.

 

Zum Kapitel: Die Wiener Schule.
(S. 470 ff)

(S. 475) Joseph Böhm nahm an dem Wiener Konzertleben als Solist wie als Kammermusiker regen Anteil; er soll als erster verschiedene neue Werke Beethovens und Schuberts der Wiener Öffentlichkeit vermittelt haben.

(S. 477) Die Etüdenwerke Jakob Dont's wurden neuerdings von Issay Barmas (vgl. diesen S. 642) neu herausgegeben; sie dürften sich infolge ihres Wertes die dauernde Anteilnahme der Geigenwelt verschafft haben. Dont war außer Joseph Böhms auch G. Hellmesbergers Schüler. Als Solo- wie Quartettspieler, insbesondere auch als Lehrer seines Instruments wurde er hochgeschätzt.

(S. 478) Über den jugendlichen Schüler L. V. Auers

Sascha Heifetz, einen Russen, können derzeit nähere Nachrichten nicht gegeben werden. Er wird von verschiedenen Seiten übereinstimmend als ein ganz ausnahmhaft begabtes Violintalent bezeichnet, der schon als Kind die schwersten Konzerte mit unglaublicher Fertigkeit spielte. Kurz vor dem Kriege erregte er auch in Berlin das Erstaunen ergrauter Fachmänner, die ihn hörten. Seit Ausbruch des Krieges ist über Entwicklung und Schicksale des jungen Künstlers nichts weiter bekannt geworden.

(S. 478) Edm. Singer starb am 23. Januar 1912 in Stuttgart. Die richtige Jahreszahl seiner Geburt ist 1830.

(S. 479) Über Eduard Rappoldi kann noch mitgeteilt werden, daß er ursprünglich für das Klavier bestimmt war und den Unterricht Mittags (Lehrer Thalbergs) genoß. Hierdurch war er befähigt, seine Schüler in künstlerisch vollendeter Weise am Klavier zu begleiten. Außer bei Böhm studierte er noch für einige Zeit Violine bei Léonard in Brüssel. Rappoldi hat ausgedehnte Konzertreisen unternommen und war in mannigfacher Weise ausgezeichnet worden. Im Leipziger Gewandhause spielte er Joachims »Konzert in ungarischer Weise« auf des Meisters Geige und unter dessen Leitung so vollendet, daß Joachim später sagte, außer Ferd. Laub habe ihn nur Rappoldi das Konzert zu Dank gespielt. Von Interesse waren historische Violinabende, die Rappoldi 1877-1879 in Dresden veranstaltete, die den größten Teil der gesamten Violinliteratur, u. a. sämtliche Solosonaten Bachs und die Paganinischen Etüden umfaßten. Eduard Rappoldi war preuß. Professor, k. k. Kammervirtuose und sächsischer Hofrat.

Ein Schüler Eduards Rappoldis ist sein Sohn

Adrian Rappoldi, der als erfolgreicher und gesuchter Lehrer seines Instruments in Dresden lebt. Der Künstler wurde geboren am 13. September 1878 in Berlin. Violinunterricht erteilte ihm sein Vater. Zuerst privatim, dann auf dem Kgl. Konservatorium in Dresden. In Komposition und Theorie war Felix Dräsecke sein Lehrer. Schon als Knabe erregte Adrian Rappoldi auf Konzertreisen Aufmerksamkeit und erlebte mancherlei Ehrungen. Nachdem er 1893 die Dresdner Musikschule verlassen, fand er als Sologeiger und Konzertmeister in dem Bilseschen Orchester eine Anstellung. In Berlin verkehrte er viel bei Joachim, der beim Abschied Herbst 1894 dem jungen Künstler ein in den anerkennendsten Ausdrücken abgefaßtes Zeugnis ausstellte.

Nachdem Rappoldi eine schwere Handerkrankung überwunden, war er demnächst vielfach auf Konzertreisen tätig, auch bekleidete er kürzere Zeit den Konzertmeisterposten in Chemnitz. Weiter lebte er einige Jahre in Hirschberg i. Schl., dann als 1. Konzertmeister in Riga; dazwischen in Deutschland, Rußland, Norwegen erfolgreich konzertierend. Verschiedene ehrende Angebote, darunter das eines Sologeigers im philharm. Orchester in Helsingfors als Nachfolger W. Burmesters schlug der Künstler aus, um schließlich seinen dauernden Wohnsitz nach Dresden zu verlegen, wo er heute noch trotz Anerbietungen von Berlin, Amsterdam, Amerika aus erfolgreich wirkt. Rappoldi ist Lehrer seines Instruments am ehem. kgl. Konservatorium und als erfolgreicher Pädagoge allgemein geschätzt. Außerdem veranstaltet er Kammermusikabende, die sich lebhafter Teilnahme erfreuen. Rappoldi veröffentlichte unter andern eine Abhandlung über den Violinspielerkrampf und seine Beseitigung, worin er sich über diese bei Geigern nicht seltene Berufskrankheit, ihre Entstehung, Behandlung und Heilung verbreitet.

(S. 479) Nachdem Jakob M. Grün ein Menschenalter hindurch in seinen genannten beiden Stellungen gewirkt hatte, legte er sie nacheinander nieder. Er starb im Ruhestand 1916 in Baden bei Wien. – Grün galt für einen vortrefflichen Lehrer seines Instruments. Er soll oft mit Befriedigung einen Ausspruch von Joachim erzählt haben, nach dem er (Grün) ein besserer Lehrer sei als Joachim, was der Altmeister wohl im Hinblick auf seine vielen unterbrechenden Reisen gemeint hat. Übrigens bezeichnete Grün, der ziemlich eifersüchtig in Schülerangelegenheiten gewesen sein soll, den S. 508 behandelten Joachimsschüler Pinelli vielmehr als seinen Zögling. Grün war auch Prüfungskommissar für Geige der Kommission für das Lehramt an der Lehrerbildungsanstalt in Wien.

Ein Schüler Grüns ist Julius Stwertka, der in Wien wirkt, wo er auch im Jahre 1872 als Sohn eines Musikers geboren wurde. Er studierte am Konservatorium seiner Vaterstadt zuerst bei Bachrich, dann bei Grün, bei dem er bis 1891 verblieb, in welchem Jahre er mit einem ersten Preise das Konservatorium verließ und sich nach Berlin begab, wo er noch während eines Jahres den Unterricht Joachims genoß.

Nachdem der Künstler sodann in London konzertiert hatte, [wo er sich 1896 zum zweitenmal hören ließ], und in der Zwischenzeit in Wien seiner Militärpflicht genügt hatte, wirkte er bis 1902 als 1. Konzertmeister bei Pollini in Hamburg. In letzterem Jahr berief ihn G. Mahler an die Wiener Hofoper, 1903 trat er auch in den Lehrkörper des Wiener Konservatoriums ein, dem er noch angehört. Bei der 1919 erfolgten Neuordnung der Anstalt nach dem Umsturz wurde Stwertka als Gruppenvorstand in die Direktion gewählt. Der Künstler ist als Solist wie Kammermusiker vielfach und mit allgemeinem Beifall vor das Wiener Publikum getreten.

Den Angaben über Arnold Rosé (S. 480-81) ist hinzuzufügen, daß er bald nach seiner Anstellung an der Wiener Hofoper auch am dortigen Konservatorium als Professor der Ausbildungsklasse einen Wirkungskreis fand. – Das treffliche Roséquartett veranstaltet alljährlich ausgedehnte Reisen durch einen Teil Europas, die durch den Krieg natürlich stark beeinträchtigt worden sind. – Rosé folgte Grün als Prüfungskommissar für Geige bei der Lehramtskommission in Wien.

(S. 483) Adolf Brodsky ist letzthin gestorben. – Über seinen Schüler Alexander Fiedemann können jetzt einige Mitteilungen gemacht werden.

Alexander Fiedemann wurde in Kiew am 25. Oktober 1878 geboren. Mit 6 Jahren erhielt er den ersten Unterricht von seinem Vater, der ihn so rasch förderte, daß er schon mit 8 Jahren öffentlich auftrat und in Kiew Aussehen erregte. Damals wurde er von O. Ševèik als Schüler ausgenommen, kam jedoch weiterhin (mit 12 Jahren) nach Leipzig zu Brodsky, mit dem er nach Absolvierung des Konservatoriums eine sehr erfolgreiche Konzertreise nach Amerika unternahm. Eine weitere Konzertreise machte er um dieselbe Zeit mit Frau Nikisch. Weiterhin hielt sich der Künstler 14 Jahre hindurch in Odessa auf, wo er als 1. Violinlehrer am Konservatorium lehrte, ein Quartett gründete und Konzertreisen durch ganz Rußland unternahm. Seit 1909 leitet er die Violinausbildungsklasse am Sternschen Konservatorium in Berlin und gründete ebenda ein nach ihm benanntes Quartett, das einen guten Ruf genießt. – Unter Fiedemanns Schülern werden genannt Mischa Elman, Mischa Violin (Südamerika und Australien), Naum Blinder (Konserv. Odessa), Lena Kontorowitsch (England), Anton Seidel (Amerika), Boris Kroyt (Berlin). Nähere Nachrichten über diese, von denen einige S. 483 auch als Schüler A. Brodskys, Mischa Elman als Schüler L. v. Auers genannt werden, liegen nicht vor.

 

Zum Kapitel: Die Prager Schule.

(S. 485 ff)

(S. 488) Ein weiterer Schüler von Høimaly ist Issay Barmas, der in Odessa geboren wurde. Bei früh hervortretender musikalischer Begabung des Knaben beabsichtigte die Mutter – der Vater starb in frühester Jugend des Künstlers – ihn auf dem Klavier ausbilden zu lassen. Der Kleine jedoch hatte sich für die Violine entschieden, sobald er eine solche gehört, und hegte bald nur noch den Wunsch, aus der Kunst seinen Lebensberuf zu machen. Trotz des Widerstandes der besorgten Mutter ermöglichte ihm ein älterer Bruder den Besuch des kaiserl. Konservatoriums in Moskau, das er nach fünfjährigem Besuch mit einer Auszeichnung wieder verließ. Violinistische Ausbildung erhielt er durch Høimaly. Anschließend genoß er dann noch während dreier Jahre die Unterweisung Joh. Joachims. 1901 an das Sternsche Konservatorium, 1905 als erster Lehrer an das Klindworth-Scharwenka-Konservatorium berufen, wirkt der Künstler heute noch in Berlin. Konzertreisen und beachtenswerte Schüler haben seinen Namen in weiteren Kreisen bekannt gemacht; seine geigerische Richtung wird als eine Mischung deutscher und französischer Schule bezeichnet. 1911 wurde er vom Herzog von Sachsen-Coburg-Gotha zum Professor ernannt.

Der Künstler veröffentlichte ein Werk »die Lösung des geigentechnischen Problems« (Bote und Bock, 1913), das die Grundsätze seiner Lehrmethode zur Darstellung bringt, außerdem Tonleiter- und Doppelgriff-Spezialstudien, die den gewiegten Praktiker erkennen lassen. Ein dankenswertes Unternehmen war ferner seine Neuherausgabe der trefflichen Studienwerke von J. Dont, besonders der Etüden und Konzertstudien. Auch eine Anzahl älterer und neuerer Konzerte usw. für Violine sind in Barmas' Revision erschienen.

Eine Schülerin von Barmas ist Edith von Voigtländer, die unter den jüngeren Vertreterinnen ihres Instruments einen hervorragenden Platz einnimmt. Die Künstlerin wurde in Weimar geboren, verriet ihr ungewöhnliches Talent zur Musik und insbesondere zur Violine sehr frühzeitig, spielte schon im vierten Lebensjahre und wirkte achtjährig zum ersten Mal in einem Wohltätigkeitskonzert mit. Mit 11 Jahren kam sie auf Anraten Joachims nach Berlin, wo sie 2 Jahre lang den Unterricht von J. Barmas genoß. Joachim ebnete ihr durch seine Empfehlung gleich darauf den Weg nach London, wo sie durch ihr Spiel Aufsehen erregte. Seit diesem glücklichen Beginn ist die Künstlerin im In- und Auslande mit dem gleichen Erfolge vor das Publikum getreten. Sie lebt in Berlin.

Die Kritik hebt an dem Spiel Edith von Voigtländers außer einer durchgebildeten sichern Technik ausgesprochenen Schönheitssinn, warmes, beseeltes Spiel und echt weibliche Anmut besonders hervor. Wenn als ihre eigentliche Domäne die Werke der klassischen deutschen Meister bezeichnet werden, so pflegt sie doch auch die Werke neuerer und neuester Künstler mit gleichem Erfolge.

(S. 490) Über die Lehrtätigkeit von A. Bennewitz, dessen Geburtsort übrigens Pøivrat (nicht Pøivret) zu lesen ist, können etwas ausführlichere Nachrichten gegeben werden. Außer seinen S. 490 schon genannten Schülern sind weiter namhaft zu machen: Miroslav Weber, Karl Ondrièek, Leopold Kramer, Rudolf Reissig, Hans Sitt und Otakar Ševèik.

Von diesen ist M. Weber auf Seite 626 besprochen worden. Karl Ondrièek, der jüngere Bruder von Franz, war in den achtziger und neunziger Jahren erster Konzertmeister an dem böhmischen Nationaltheater in Prag und ging dann als Konzertmeister nach Boston, wo er noch wirkt.

Über Leopold Kramer fehlen nähere Nachrichten.

Rudolf Reissig, ein Mitschüler der »Böhmen«, in deren bekanntes Quartett er ursprünglich als Violaspieler eintreten sollte, hat sich vorzugsweise dem Studium der Viola d'amore zugewandt und auf diesem Instrument, auch in Deutschland, erfolgreich konzertiert.

Weniger als ausübender Künstler, wie als trefflicher Lehrmeister seines Instruments, der außerdem eine erhebliche Anzahl zum Teil instruktiver, von Lehrern und Schülern geschätzter Violinkompositionen veröffentlicht hat, nimmt demnächst Hans Sitt unsre Aufmerksamkeit in Anspruch. Dieser Künstler wurde am 21. September 1850 in Prag geboren. Er hatte zu Lehrern auf der Violine Bennewitz und Mildner. Die begonnene violinistische Laufbahn erweiterte sich bald durch Dirigenten-, Lehr- und kompositorische Tätigkeit, sodaß es in dem Rahmen dieses Buches untunlich ist, auf sein Gesamtwirken einzugehen. Nach Kapellmeisterposten in Breslau, Prag, Chemnitz, Nizza wandte sich Sitt schließlich nach Leipzig, wo er u. a. populäre Konzerte ins Leben rief und als Bratschist in dem Brodskyquartett mitwirkte. Seit geraumer Zeit wirkt der Künstler als geschätzter und erfolgreicher Lehrer seines Instruments an der Leipziger Musikhochschule.

Schüler von Sitt sind Robert Reitz und Karl Brückner.

Robert Reitz wurde am 17. Juni 1884 in Burgdorf, Kanton Bern (Schweiz) geboren und erhielt den ersten Violinunterricht von seinem Vater, der ebendort Musikdirektor war. Seine weitere Ausbildung leitete Hans Sitt 1902-1906 am Leipziger Konservatorium. Nachdem Reitz als Konzertmeister in Görlitz, Breslau und Kiel tätig gewesen war, wurde er 1910 an das Weimarer Hoftheater berufen. In dieser Stellung wirkt der Künstler als erster Konzertmeister, mit dem Professortitel ausgezeichnet, noch heute. Reitz ist Leiter des Quartetts des deutschen Nationaltheaters, erteilt fortgeschritteneren Geigern Privatunterricht bis zur Konzertreife, konzertiert selbst (insbesondere Bach- und Klassikerspieler) und hat verschiedene wertvolle alte Violinmusik neu herausgegeben, darunter Bachs d-moll-Konzert, das in seiner ursprünglichen Fassung verloren und nur in einer Klavierbearbeitung auf uns gekommen ist Eine frühere Wiederherstellung desselben Konzerts (von Ferd. David) scheint so gut wie verschollen zu sein. (Veröffentl. der Neuen Bachgesellschaft Jahrgang 18 [1917]), ferner Konzerte von Stamitz-Tartini, Pisendel (Verlag Eulenburg).

Der Schwede Karl Brückner wurde am 5. Mai 1893 in Göteborg geboren, wo sein Vater eine geachtete Stellung als Musiklehrer und Leiter mehrerer Musikinstitute einnahm. Seine Musikbegabung trat schon sehr früh hervor, sodaß er als 4-5jähriger Knabe bereits Liedchen auf einer kleinen Geige spielen und in einer Schüleraufführung mitwirken konnte. Nachdem er gelegentlich einer Reise nach Deutschland verschiedenen Meistern, darunter Joachim, Beweise seines besondern Talents gegeben, kam er zunächst als Privatschüler Hans Sitts nach Leipzig, wo er nach anderthalb Jahren, erst 9jährig und also nach den Bestimmungen noch 5 Jahre zu jung, sich mit Bériots a-moll-Konzert die Aufnahme ins Konservatorium eroberte (1902). Er blieb dort bis 1909 und besuchte gleichzeitig das Königin-Carola-Gymnasium, das er 1914 mit dem Reifezeugnis verließ. Schon während dieser Zeit war er mit Erfolg in Leipzig und andern Orten sowie auf zwei Reisen in Schweden vor die Öffentlichkeit getreten. 1911 spielte er mit sensationellem Erfolg Pagininis d-dur--Konzert in Hamburg, nachdem er die Bekanntschaft des Violinpädagogen G. Eberhardt Goby Eberhardt veröffentlichte eine Anzahl Studienwerke für Violine, darunter: Mein System des Übens für Violine und Klavier auf psycho-physiologischer Grundlage. gemacht und einige Anleitung von ihm erhalten hatte.

Gleich nach Verlassen des Gymnasiums konzertierte Brückner in Deutschland, Skandinavien und England. In London machte er die Bekanntschaft von E. Sauret und erhielt durch ihn eine nachwirkende violinistische Beeinflussung, wodurch seine gründliche deutsche Schule mit einem Elemente des Schliffs und der Bravour französischer Violinbehandlung versetzt wurde. Bei Kriegsausbruch mußte Brückner England verlassen, da er seinen Namen nicht verengländern wollte, und kehrte nach Deutschland zurück. Hier entschloß er sich, neben der Geige auch musikwissenschaftliche Studien zu treiben, welchen Plan er zuerst in Leipzig, vom Sommersemester 1915 ab in München unter A. Sandberger und Kroyer durchführte. Er arbeitet über alte Violinmusik (Dissertation über Giov. Mossi), wobei es ihm glückte, einen wichtigen Katalog aus dem 18. Jahrhundert aufzuspüren ( Catalogue des livres de musique imprimés à Amsterdam chez Etienne Roger usw.), über den Näheres zu erfahren zweifellos von Interesse sein wird.

Auch während dieser Zeit konzertierte Brückner; so veranstaltete er im Winter 1916-1917 Sonntag-Nachmittag-Konzerte, in denen Kammermusik aufgeführt wurde, und war solistisch tätig. 1917-1918 führte ihn die Ableistung seiner Militärpflicht nach Schweden, von wo aus er anschließend eine größere Konzertreise durch Skandinavien unternahm (70 Konzerte), die ihn in entlegene Gegenden führte; in einigen Orten bedeutete sein Auftreten das überhaupt erste Konzert. Wieder in München veranstaltete er Sonatenabende mit seiner jetzigen Gattin, der Pianistin Lore Winter, und setzte seine musikhistorischen Studien fort.

Die Kritik hebt an des Künstlers Spiel vornehmlich Beherrschung der verschiedensten Stilarten, vollendete Technik der linken Hand und des Bogens, Größe und Mannigfaltigkeit der Auswahl hervor. Seine ungewöhnliche technische Begabung war schon auf dem Konservatorium aus den von ihm komponierten Kaprizen ersichtlich. Wenn Brückner einstweilen in seiner Heimat bekannter sein dürfte als bei uns, so ist der Grund teils in den ungünstigen Zeitverhältnissen, teils auch in den musikhistorischen Studien des Künstlers zu suchen, die seine Zeit stark in Anspruch genommen haben. Bei seiner Doppelveranlagung darf man auf die weitere Entwicklung Brückners gespannt sein.

Der letzterwähnte Schüler von Bennewitz endlich, Otakar Ševèik, wird uns im Hinblick auf Umfang und Bedeutung seiner Wirksamkeit sogleich gesondert beschäftigen.

(S. 492) Über Franz Ondøièek kann weiter mitgeteilt werden, daß er nach seinem Pariser Aufenthalt in Wien sich ansiedelte. Dort gründete er ein Konservatorium, das er leitete und dessen Violinausbildungsklasse er selbst übernahm. Unter den daraus hervorgehenden Geigern werden des Künstlers spätere Gattin Ella Stiller-Ondøièek und I. Orei genannt, über die nähere Nachrichten nicht vorliegen. Der Künstler unternahm außerdem mehrere große Konzertreisen durch Europa und nach Nordamerika, gründete auch im Verein mit den Wiener Hofopernmusikern Silbing, Jelinek und Junek ein Streichquartett (Ondøièekquartett). Im Herbst 1919 übernahm er an dem verstaatlichten Konservatorium zu Prag die Leitung der Violin-Meisterklasse. Ondøièek hat eine Anzahl von Kompositionen für sein Instrument, ferner eine Violinschule und 15 Künstleretüden herausgegeben; seine Werke werden als wertvolles Vortrags- und Übungsmaterial für Geiger bezeichnet.

(S. 495) Zu dem nach wie vor rühmlich bekannten Böhmischen Streichquartett wird mitgeteilt, daß für den Violaspieler Nedbal, der im Jahre 1908 ausschied, Georg Herold in die Vereinigung eintrat. Herold ist ebenfalls ein Schüler von Bennewitz und war nach Absolvierung des Prager Konservatoriums eine Zeitlang erster Konzertmeister an der Prager Philharmonie. Er gründete auch selbst ein Streichquartett, das indes wieder einging. – Übrigens ist auch der Violoncellist Hans Wihan ausgeschieden (er lebt in Prag im Ruhestand) und durch seinen Schüler Lad. Zelenka ersetzt worden. Noch wäre zu berichtigen, daß die richtige Schreibung der beiden Geiger Hoffmann und Suk lautet (anstatt Hofmann und Suck). Nedbal lebt derzeit als Dirigent und erfolgreicher Operettenkomponist in Wien.

 

Otakar Ševèik und seine Schule

(hinter S. 495).

Wieweit diese Bezeichnung in historischem Sinne gerechtfertigt sein mag oder nicht, ist eine augenblicklich kaum zu entscheidende Frage. Wenn wir bedenken, daß die bisherigen Schulen des Violinspiels, soweit sie mit dem Namen eines Einzelnen bezeichnet werden können, sämtlich auf einen epochemachenden Meister des Violinspiels zurückgehen, der fast stets auch als schaffender Künstler einen erheblichen Fortschritt der Violinkomposition bedeutete (man vergleiche in diesem Buche die Namen Corelli, Tartini, Viotti, Spohr, Joachim), so werden wir von einer Ševèikschen Schule in diesem Sinne nicht reden können, denn Ševèik kommt im wesentlichen lediglich als Violinpädagoge in Betracht. Andrerseits ist sein Wirken in diesem Umkreise so erfolgreich und schon rein ziffernmäßig genommen so ausgebreitet, daß es, in den Rahmen der Prager Schule eingefügt, das gesamte Bild derselben verschieben und verändern würde, indem es etwa soviel Platz beanspruchen würde als alles übrige zusammengenommen. Auch kann man keineswegs sagen, daß die zahlreichen Schüler Ševèiks ohne weiteres zu den Geigern der Prager Schule gezählt werden können. Vielmehr scheinen sie der Mehrzahl nach eine unter sich zusammenhängende, also auf den Einfluß ihres Meisters zurückzuführende gemeinsame Richtung zu verfolgen. Aus diesen beiden Gründen erscheint, unter dem obenerwähnten Vorbehalt, eine Abgrenzung Ševèiks und seiner Schule von der Prager angemessen, aus der Ševèik selber hervorgegangen ist.

Otakar Ševèik wurde am 22. März 1852 in Horaudiowitz in Böhmen geboren, wo sein Vater Schullehrer war. Von ihm erhielt Ševèik den ersten Unterricht, zunächst in Gesang und Klavier, mit 8 Jahren sodann im Violinspiel. Schon nach zwei Jahren vermochte der Knabe ein Kalliwodasches Variationenwerk öffentlich vorzutragen; doch wünschte der Vater nicht, daß er Musiker würde, und brachte ihn nach Prag aufs Gymnasium, wo er außerdem als Vokalist bei den Minoriten und kurz darauf als Soloaltist bei den Kreuzherrn beschäftigt war, aber das Klavier- und Violinspiel vernachlässigen mußte. Es war das Interesse zunächst an seiner Stimme, dann an seiner Musikveranlagung überhaupt, was einen öfters in Prag weilenden wohlhabenden Leipziger Herrn namens Flammiger auf den Knaben lenkte. Er übernahm die Sorge für seine weitere Ausbildung, und hierdurch gelang es ihm, von Ševèiks Vater die Einwilligung zu erhalten, daß Ševèik das Gymnasium nach Absolvierung der Quarta verließ und dafür das Prager Konservatorium besuchte, wo er der Violinschüler von Bennewitz wurde. Unter dessen trefflicher Leitung machte er so rasche Fortschritte, daß er 1870 nach Verlassen des Konservatoriums als Konzertmeister an das Mozarteum in Salzburg kam, wo er bis 1873 verblieb. Von ihm während dieser Zeit gegebene Konzerte in Prag und Wien hatten Berufungen nach beiden Orten im Gefolge; der Künstler entschied sich für die Konzertmeisterstelle an der neugegründeten Wiener komischen Oper, die er aber nach der im folgenden Jahre geschehenen Umwandlung dieses Instituts in das sog. Ringtheater wieder aufgab. Er wandte sich nach Rußland, wo er zunächst in Charkow als Konzertmeister, und im folgenden Jahre (1875) in Kiew am dortigen Konservatorium als Lehrer seines Instruments Anstellung fand.

In Kiew blieb der Künstler bis 1891 (oder 1892). Er begann in dieser Stellung seine violinpädagogische Tätigkeit, in der sich die Hauptsumme seines Wirkens konzentriert. Vor allem veröffentlichte er 1883 als Op. 1 seine in 4 Teilen erschienene »Schule der Violintechnik« und schrieb die erst später (1903) herausgegebene »Schule der Bogentechnik« in 6 Heften, die ein Studienmaterial von mehreren tausend Bogenstrich Übungen enthalten. Diesen Werken folgten weitere violinpädagogische Veröffentlichungen: 40 Variationen zur Anwendung verschiedener Stricharten ( Op. 3), Triller-Vorstudien ( Op. 7), Vorstudien über Lagenwechsel, Tonleitern, Doppelgriffe, eine Violinschule für Anfänger, auch Vortragsstücke ( Op. 10).

Diese Werke, wie überhaupt die violinpädagogische Wirksamkeit Ševèiks werden auffallend verschieden beurteilt. Während seine begeisterten Anhänger darin ein Nonplusultra sehen und den Violinpädagogen Ševèik am liebsten außerhalb jedes Vergleiches mit andern Lehrmeistern seines Instruments erblicken möchten, urteilen andere Kreise nicht nur wesentlich kühler, sondern haben sogar gewisse Bedenken geltend gemacht, die durch Ausdrücke wie Fingerdressur, Mechanisierung usw. zur Genüge gekennzeichnet werden. Dieses Buch hat von seiner ersten Auflage an den Standpunkt vertreten, daß jedes übermäßige und einseitige Betonen rein technischer Probleme, künstlerisch genommen, abwegig ist, da es die Technik der Bedeutung eines bloßen Mittels entkleidet und ihr einen Selbstzweck beilegt, der ihr nicht gebührt. Man spielt im Sinne dieser Anschauung nicht Geige, um »alles« machen zu können, was je für eine Geige geschrieben wurde oder geschrieben werden kann, sondern alle Technik findet Bewertung, am besten auch Begrenzung an ihrem Zwecke: die wirklich wertvolle Violinmusik vollendet und wesensecht wiedergeben zu können. Was darüber ist, das ist auch hier, meistens wenigstens, vom Übel.

Kann und soll eine solche Überzeugung nicht verschwiegen werden, so hat andrerseits auch der entgegengesetzte Standpunkt eine gewisse, wenn auch nur relative Berechtigung: der Lernende zumal wird eine Zeitlang gut daran tun, die Erwerbung einer gründlich geschulten und sicher zur Verfügung stehenden Technik seines Instruments für seine Hauptaufgabe zu halten. So kann es ihm wohl von Nutzen sein, wenigstens für eine gewisse Zeitspanne an der Fülle des von Ševèik gebotenen Materiales sich unter fachkundiger Anleitung und Auswahl zu erproben. Aber ein allzu langes und ausschließliches Verharren auf diesem Standpunkte schließt entschieden die angedeuteten Gefahren in sich: Verwechslung von Mittel und Zweck, Verführung, durch technisches Raffinement der Bogen- und Griffbrettakrobatik zu glänzen und also auch Bogen- und Griffbrettmusik dem Publikum vorzuführen, wodurch vielleicht der Geldbeutel des Künstlers, aber sicher nicht die Sache der Kunst den Vorteil hat. Die Art, wie von dem berühmtest gewordenen Schüler Ševèik, Jan Kubelik, immer und immer wieder gesprochen wird: daß er nämlich Millionen mit seiner Geige verdient habe, läßt derartige Bedenken gegenüber der ganzen in dieser Schule verfolgten Richtung nicht grundlos erscheinen.

Um auf Ševèik selbst zurückzukommen, so wurde er in den Jahren seines Aufenthaltes in Kiew von einem schweren Augenleiden heimgesucht, das schließlich zwar durch Operation behoben wurde, doch unter Verlust eines Auges. Etwa um dieselbe Zeit nahm der Künstler eine Berufung an das Prager Konservatorium an, wo er von 1891 oder 1892 bis 1906 tätig war. Den Beginn der weiteren Verbreitung seines Ruhmes als Lehrer gebe ich mit den Worten eines seiner Schüler, Franz Zelinka Herrn Franz Zelinka in Brünn, früher in Wien lebend (fürstl. Fürstenbergscher Violinlehrer) möchte ich auch an dieser Stelle den Dank aussprechen, den ich ihm für die Mühe schulde, der er sich unterzog, um mir den größten Teil der Angaben über Ševèik und seine Schüler sowie über andere Geiger, vornehmlich der Wiener und Prager Schule zu verschaffen. (Vgl. das Vorwort zur 6. Aufl.): »Seine Violinstudien verbreiteten rasch seinen Ruf, und als J. Kubelik nach sechsjährigem Studium im Konservatorium i. J. 1898 die Anstalt verließ und die Welt im Siegeszuge eroberte, als bald darauf Jar. Kocian ihm nachfolgte und Miß Mary Hall i. J. 1902 ihre Triumphe in London feierte, strömten Geiger und Lehrer aus allen Weltteilen nach Prag, um unter Ševèik zu studieren oder seine Unterrichtsmethode kennen zu lernen, so daß sich Ševèik entschließen mußte, auch in den Ferien zu unterrichten und Sommerkurse in dem schönen Städtchen Prachatitz im Böhmerwalde zu errichten Diese Sommerkurse wurden weiterhin nach Pisek in Böhmen verlegt. Sie wurden u. a. auch von Virtuosen besucht, die andern Schulen ihre Ausbildung verdanken, z. B. M. Preß, Prof. Kruse (London), E. Zimbalist u. a. m..« Der Schreiber des Briefs fährt dann fort, daß Ševèik von einer ganzen Anzahl Konservatorien (London, München, Chikago, Moskau, Wien) um dieselbe Zeit glänzende Anerbietungen gemacht worden seien, daß er jedoch vorgezogen habe, in Prag zu bleiben. So wurde denn diese Stadt durch Ševèik ein Sammelplatz für junge Talente, die von nahe und fern kamen, um bei dem berühmten Pädagogen zu lernen. Denn unter Wahrung der oben entwickelten Gesichtspunkte gebietet die Gerechtigkeit anzuerkennen, daß Ševèik einer der gesuchtesten und erfolgreichsten Violinpädagogen unsrer Tage, wenn nicht der bedeutendste überhaupt ist. Soweit der Umfang seines Wirkungskreises in Betracht kommt, dürfte dies kaum zu bestreiten sein, denn die Anzahl seiner Schüler wird auf rund ein halbes Tausend angegeben, darunter solche von beträchtlichem Rufe. Dazu kommen die schon erwähnten Studienwerke. Übrigens kann schon gleich an dieser Stelle gesagt werden, daß außer dem östlichen und südöstlichen Europa besonders die Englisch sprechende Welt (Großbritannien und Amerika) die Hauptzahl derselben stellte, während der Norden, besonders auch Deutschland, wesentlich spärlicher vertreten ist. Man wird hierin keinen Zufall zu erblicken haben, sondern diese Erscheinung wenigstens teilweise auf die abweichende deutsche Musik- und Geigenveranlagung zurückführen, die in Meistern wie Spohr und Joachim Muster und Vorbild gefunden hat.

Auf die hervorragendsten Schüler Ševèiks wird sogleich näher einzugehen sein. Hinsichtlich seines Lebensganges ist noch zu erwähnen, daß ihm 1906 von seiten seiner Schüler eine originelle Ehrung in Form eines Konzertes in Prag widerfuhr, bei dem 75 (nach anderer Angabe gegen 100) Geiger, sämtlich Schüler Ševèiks, beteiligt waren. Dieses eigenartige Konzert, das mehrmals wiederholt werden mußte, hat (nach Mitteilungen Fr. Zelinkas) das Prager Publikum erst über Umfang und Bedeutung der Tätigkeit ihres Mitbürgers aufgeklärt.

Im selben Jahre 1906 gab Ševèik seine Stellung in Prag auf, um sich einer Operation der Atmungsorgane zu unterziehen, nach deren glücklichem Erfolg er zunächst einige Jahre nur privatisierend lebte und unterrichtete. Doch nahm er 1909 an der Wiener Akademie für Musik und darstellende Kunst die Leitung der Violinmeister-Abteilung an, in welcher Stellung er bis 1919 verblieb, um sodann seinen früheren Wirkungskreis an der mittlerweile verstaatlichten Prager Musikschule wieder aufzunehmen.

Für die ungewöhnliche Arbeitskraft Ševèiks spricht der Umstand, daß er trotz der bereits früher von ihm unternommenen umfangreichen violinpädagogischen Veröffentlichungen mit neuen gleichartigen Werken beschäftigt ist; ferner natürlich die außerordentlich große Zahl der von ihm gebildeten Schüler.

Von diesen können hier nur die wichtigsten etwas ausführlicher betrachtet werden. Durch die Freundlichkeit des schon genannten Herrn Franz Jelinka, sowie des Herrn Joseph Braunstein-Basel, über den weiter unten Näheres folgt, sind mir die Namen von 46 Schülern bekannt geworden. Ich teile zuerst diejenigen mit, über die gleichzeitig biographische Nachrichten vorliegen. Es sind dem Alter nach geordnet, soweit dasselbe bekannt war, folgende Künstler: Karl Prochatska, Bohuslav Lhotsky, Karl Moravec, Jan Kubelik, Joseph Braunstein, Jaroslav Kocian, Mary Hall-Baring, Fritz Hirt, Daisy Kennedy, Sascha Culbertson, Siegmund Feuermann und Erika Morini. Ferner Vivien Chartres und Hans Lange, deren Alter nicht angegeben wurde. Eine Anzahl weiterer Schüler, von denen nur die Namen oder ganz kurze Angaben vorliegen, sind in alphabetischer Reihenfolge: Zlatko Balokovic (Agram, soll der beste kroatische Geiger sein); Cesare Barison (Trient oder Triest, hat ein Quartett gebildet); Heinrich Bastar (am Prager Konservatorium wirkend); Eva Bernstein (aus München); Dorothy Bridson (London); Nora Duesberg (Wien); Rosa Ehrlich (aus Griechenland, wirkt in Sofia); Margaret Fairless (konzertierte erfolgreich mit Henry Wood's Orchester in England); G. Feist (an der Wiener Musikakademie, hat ein Quartett gegründet); Sarah Fennyngs (London); Silvio Floresco (Bern, nahm ein Patent auf Veredelung neuer Geigen); L. Ganne (Paris); Marjorie Hayward (London); Marie Herites (Amerika); David Hochstein (begabter Geiger aus Neuyork, 1918 in Frankreich gefallen); Wenzel Huml (wirkt am Konservatorium in Agram); Milan Ivanowitsch (als Wunderkind mit künstlerischem Spiel genannt); Margarete Kolbe (Damenquartett in Wien); Hugo Kortschak (soll von Heermann nach Frankfurt berufen und seinerzeit mit ihm nach Chikago übergesiedelt sein); Geza Kresz (aus Budapest, war als Konzertmeister an der Berliner Philharmonie tätig, Schüler Ševèiks in Prag 1900-1902); Emanuel Ondøièek (Neuyork); Vladimir Resnikoff (Prag); Leon Sametini (Chikago); Walter Schulze-Prisca (Deutsch-Amerikaner, Konzertmeister in Dortmund, dann Würzburg); M. Sicard (Amsterdam); Otto Silhavy (Breslau); Herma Studeny (München); Stefan Suchy (wirkt am Prager Konservatorium); Magda Weil (ungarische Geigerin aus Arad, konzertierte erfolgreich in Berlin); Henriette Wieniawski (London); W. Williams; M. Zacharewitsch (London).

Diese Namen gehen über meine genannten Gewährsmänner im wesentlichen auf Ševèik selber zurück.

Von den Ševèikschülern, über die nähere Nachrichten vorhanden sind, lassen wir den Vortritt den Geigern des Ševèikquartettes, die gleichzeitig die ältesten unter den Angeführten sind. Es sind die Künstler Bohuslav Lhotsky (1. Violine), Karl Prochatska (2. Violine) und Karl Moravec (Bratsche). (Das Violoncello vertritt derzeit der Prager Cellist Fingerland, ein Schüler Hans Wihans, nachdem 1913 der erste Cellist der Vereinigung, namens Friedrich Vaska, nach Neuyork gegangen ist.)

Bohuslav Lhotsky wurde am 14. Januar 1879 in Libochowitz in Böhmen geboren und studierte am Prager Konservatorium unter Ševèik von 1892-1897. Nachdem er einige Jahre hindurch eine Hauslehrerstelle beim Fürsten Hugo von Windischgrätz versehen hatte, wurde er 1900 als 1. Konzertmeister an die Lemberger Oper berufen, von wo er ein Jahr später in gleicher Eigenschaft an die Warschauer Philharmonie übersiedelte, wo er mit drei Landsleuten und Studiengenossen ein Quartett begründete, das erst nach mehrjähriger privater Vorbereitung, auf den Namen ihres Lehrmeisters getauft, im Jahre 1904 an die Öffentlichkeit trat und in Rußland seine erste Konzertreise unternahm, der weiterhin solche durch ganz Europa, neuerdings auch nach Amerika, gefolgt sind.

Karl Prochatska, der am 8. April 1878 in Taus (Böhmen) geboren wurde, verließ 1898 das Prager Konservatorium und wirkte von 1901 bei der 1. Violine des Warschauer Philharmonieorchesters mit (vorher gleich Lhotsky an der Oper in Lemberg). Er ist auch kompositorisch tätig.

Karl Moravec, das jüngste Mitglied des Quartetts, wurde am 1. Januar 1880 in Ostrovec (Böhmen) geboren. Von 1893-1899 besuchte er das Prager Konservatorium, sodann bekleidete er in Lemberg und Warschau die gleichen Stellungen wie sein ebengenannter Quartettgenosse.

Das Ševèikquartett gehört, nach den vorliegenden Kritiken zu schließen, gleich dem älteren böhmischen Streichquartett zu den bemerkenswerten Vereinigungen ihrer Art. Wenn von manchen Seiten die technische Vollendung hinsichtlich Zusammenspiels, Klangschönheit und Reinheit der Intonation, sowie sorgsamstes Ausfeilen des Vortrags besonders hervorgehoben wurde, fehlt es doch auch nicht an Stimmen, die das Temperament und den schwungvollen Vortrag rühmen. Es scheint, daß auch dies Quartett sich bei slawischer Musik besonders in seinem Element fühlt, was ja auch nicht weiter verwunderlich wäre.

Weiterhin nimmt unsre Aufmerksamkeit in Anspruch Jan Kubelik, zweifelsohne der bekannteste aller Schüler Ševèiks. Kubelik ist ein exemplarischer Vertreter des eigentlichen Virtuosentums mit seinen glänzenden Eigenschaften und seinen Schwächen. Soweit man ihn als den vollendeten Vertreter der Ševèikschen Schule betrachten darf, ist die virtuosenhafte Richtung derselben damit gewissermaßen besonders unterstrichen. Die ernste Kritik hat willig Kubeliks Stärken, wie unfehlbare Beherrschung weitestgehender technischer Probleme des rechten wie linken Armes anerkannt – Kubelik trug damals mit besonderer Vorliebe Paganini vor –, andrerseits aber auch vielfach betont, daß seine eigentlich musikalische Kultur und Bedeutung nicht gleichhoch entwickelt sei. Das hinderte nicht, daß der Künstler sich besonders im englisch sprechenden Auslande ein sehr beträchtliches Vermögen ergeigte: es wird erzählt, daß ihm eine einzige amerikanische Reise eine Million eingebracht habe. Solche glänzenden Erfolge möchte man versucht sein, als Belege des Obengesagten anzusehen; denn in dieser Hinsicht ist die Welt im ganzen unverändert geblieben: sie kargt nicht mit Gold, will aber etwas dafür haben, was nicht jeder kann und was außerdem nach ihrem sogenannten Geschmack ist.

Kubelik wurde als Sohn eines Gärtners in Michle (?) bei Prag am 5. Juni 1880 geboren. Sein musikbegabter Vater war sein erster Lehrer, sodann unterrichtete ihn Karl Ondøièek, unter dessen Leitung der Knabe so rasche Fortschritte machte, daß er bald in Prag öffentlich auftreten konnte und die Aufmerksamkeit auf sich zog. 1892 kam er ans Prager Konservatorium und wurde Ševèiks Schüler. 1898 verließ er die Anstalt, gab in Prag selbst, dann in Wien und Budapest Konzerte, die sogleich von großem Erfolge begleitet waren.

Hierauf begannen seine, wie schon angedeutet, von außerordentlichen Erfolgen überfließenden Konzertreisen durch ganz Europa und Amerika, auch zwei Weltreisen schlossen sich an. Er kaufte sich eine Besitzung in Böhmen, die er weiterhin gegen eine in der Slowakei (bei Sillein) vertauschte, und zog sich nach seiner Verheiratung mit einer ungarischen Gräfin mehr ins Privatleben zurück. Gegenwärtig soll er mit einer Methodik des Violinspiels beschäftigt sein, auch trat er neuerdings mit eigenen Violinkonzerten vor das Publikum. Kubelik ist im Besitz einer besonders kostbaren Stradivarigeige (Emperor). Schüler von ihm sind nicht bekannt.

Joseph Braunstein, dem ein Teil der über Ševèik und seine Schule hier mitgeteilten Nachrichten zu verdanken ist, ist ein Rumäne, der am 28. Oktober 1883 in Bukarest geboren wurde. Am dortigen Konservatorium war zunächst Joan Danesco sein Lehrer. Nachdem Braunstein dann schon 2 Jahre an der Rumänischen Nationaloper und den Symphoniekonzerten als Konzertmeister tätig gewesen war, wurde er 1902-1906 Meisterschüler Ševèiks am Prager Konservatorium, wo er bald zahlreiche Schüler für den Meister vorzubereiten hatte, darunter S. Culbertson, der uns weiterhin begegnen wird. Nach einer ausgedehnten und erfolgreichen Konzertreise wurde Braunstein als Konzertmeister im Saarbrücker Theaterorchester eingestellt, ging aber bald ganz zur Lehrtätigkeit über und gründete in seinem Wohnort eine Schule für Violinspiel, die auch heute noch unter der Leitung seiner Gattin weiterbesteht, nachdem der Künstler selbst während des Krieges an das Konservatorium zu Basel berufen wurde, wo er jetzt wirkt.

Einer der bedeutendsten Schüler Ševèiks ist Jaroslav Kocian, der am 22. Januar 1884 in Wildenschert (Böhmen) als Sohn eines Lehrers geboren wurde. Er stammt aus einer musikalisch begabten Familie und auch sein eignes Talent trat schon im Kindesalter hervor. Den ersten Violinunterricht erhielt er mit 7 Jahren, vermutlich von seinem Vater. Bald konnte er sich vor dem Publikum seiner Vaterstadt hören lassen, und mit 12 Jahren kam er an das Prager Konservatorium, wo er bald als der beste Schüler Ševèiks galt. 1901 verabschiedete er sich mit dem öffentlichen Vortrag von Joachims ungarischem Konzert und trat sodann eine Konzertreise durch Osterreich und Deutschland an, der sich 1902-1903 eine ausführliche Reise durch die Vereinigten Staaten anschloß, auf der der Künstler stark gefeiert wurde. Kocian war es, dem 1905 in Italien die Ehre zuteil wurde, auf Pagininis in Genua aufbewahrter Geige zu erstenmal seit Sivori wieder zu spielen, (also vor B. Huberman 1909), worüber eine Denkschrift aufgesetzt wurde, die mit dem Instrument zusammen aufbewahrt wird (vgl. S. 416 und 531).

Längere Zeit wurde der Künstler in Moskau gefesselt, wo er auch ein Quartett gründete. Neuerdings unternahm er wiederum Konzertreisen in Amerika sowie solche in Frankreich und England. Kocian war Kompositionsschüler von Anton Dwoøak und ist selbst kompositorisch tätig, besonders für sein Instrument.

Eine besonders in der angloamerikanischen Welt bekannte Geigerin ist Mary Hall, die im Jahre 1911 ihren Impresario Baring heiratete. Sie wurde 1884 in Newcastle-on-Tyne geboren. Ihr Vater, Harfenist und Geiger, erteilte ihr den ersten Unterricht. Da die Eltern arm waren, mußte die Kleine, vom Vater auf der Harfe begleitet, auf der Straße um das tägliche Brot ihre Kunstfertigkeit ausüben. Dabei fiel ihr Talent auf, mit 10 Jahren erregte sie das Interesse des Komponisten Elgar, bei dem sie ein Jahr, darauf drei Jahre bei Max Mossel in Birmingham Violinunterricht erhielt. Schon damals trat sie als Wunderkind oft vor das Publikum. Um 1899 finden wir sie wieder bei ihren Eltern in Bristol, weil für eine weitere Ausbildung keine Mittel vorhanden waren. Doch bildete sich nunmehr in Bristol ein Kreis von Gönnern, der es ermöglichte, ihr bedeutendes Talent sachgemäß weiter zu pflegen. Mary Hall kam erst für ein Jahr nach London zu Kruse, dann auf Anraten Kubeliks nach Prag zu Ševèik. Bei seiner Unterweisung und unterstützt von Talent und eisernem Fleiß gelang es dem Mädchen in vergleichsweiser kurzer Zeit, einen hohen Grad in ihrer Kunst zu erreichen. 1902 wurde sie gelegentlich ihres Spiels bereits als der weibliche Kubelik bezeichnet. Sie blieb noch bis zum folgenden Jahr bei Ševèik und begab sich nach einigen Konzerten in Prag, Wien und Dresden nach London, wo sie rasch ihren Ruf für England begründete, das sie dann vielfach bereiste. Es folgten ausgedehnte Konzertreisen nach Amerika (1905), Australien (1907), Südafrika (1910) und Ostindien (1913). Auch Frau Hall-Baring ist im Besitz einer berühmten Stradivarigeige.

Als feinsinniger Künstler wird Fritz Hirt bezeichnet, der 1888 in Luzern geboren wurde. Er studierte zunächst an der Züricher Musikhochschule bei (dem älteren) Alphonse Brun und weiterhin bei Ševèik in Prag, wo er sich bald auszeichnete. Nachdem er als Konzertmeister in Heidelberg tätig gewesen, wirkt er seit 1914 in Basel als Konzertmeister der allgemeinen Musikgesellschaft und Lehrer am Konservatorium, hat auch ein Streichquartett begründet. Genauere Nachrichten über den geschätzten Künstler fehlen.

Wie Mary Hall, so wurde auch Daisy Kennedy von Kubelik der Ševèikschule zugeführt und zwar aus den entlegenen Gefilden Australiens, wo sie 1893 in Adelaide (nach anderer Angabe in Sydney) geboren wurde. Ihr Vater, Lehrer und musikalisch, erteilte ihr den ersten Unterricht, zunächst im Klavierspiel, von ihrem 7. Jahre ab auf der Geige. Von ihrem 12. bis 15. Jahre besuchte sie das Konservatorium in ihrer Heimat. Um diese Zeit konzertierte Kubelik dort und gab dem talentierten Mädchen ein Empfehlungsschreiben an Ševèik, woraufhin dieser sie als Schülerin aufnahm und bei ihren schnellen Fortschritten sie schon nach 9 Monaten (Oktober 1910) in die Meisterklasse der Wiener Musikakademie einreihen konnte. Dort verblieb sie 2 Jahre, auch gehörte sie zu den sechs bevorzugten Schülern, mit denen Ševèik in London Dezember 1911 konzertierte Die übrigen scheinen gewesen zu sein: Nora Duesberg, Rosa Ehrlich, David Hochstein, Vladimir Resnikoff und W. Williams. (Mein Material ist in diesem Punkt etwas unsicher.) Die Namen dieser Künstler sind uns in der Aufzählung weiter oben begegnet, genauere Nachrichten liegen nur über Daisy Kennedy vor..

Nach Verlassen der Meisterschule unternahm Daisy Kennedy Konzertreisen in England und trat wiederholt in Wien auf. Hier wie dort soll sie sich in kurzer Zeit zu einer der beliebtesten Geigenkünstlerinnen entwickelt haben.

Wiederum ein Geiger von ganz besondern technischen Gaben ist Sascha Culbertson, der von der Kritik vielfach mit Paganini verglichen wird und als geigerisches Phänomen schon gefeiert wurde, als er kaum dem Knabenalter entwachsen war. Culbertson ist nach den etwas spärlichen mir vorliegenden Nachrichten amerikanischer Abstammung und wurde am 29. Dezember 1893 geboren. Ob in Amerika, ist nicht mitgeteilt; jedenfalls finden wir den Knaben bald in Europa – die Mutter war Russin – und zwar in den Karpathen und später im Kaukasus. Die Zigeuner- und Kosakenmusik soll auf die erste Erweckung seines Musiktalents von Einfluß gewesen sein; auch war sein erster Lehrer auf der Geige Musiker in einem Kosakenorchester. Mit 9 Jahren kam Culbertson auf das Konservatorium in Rostow a. D., wo er 2 Jahre blieb, um sodann (1905) in Prag für 3 Jahre den Unterricht von Ševèik zu genießen. Schon 1906, als er in einem Rudolfinumkonzert zum erstenmal in Prag hervortrat, wurde er von der Kritik als Sensation bezeichnet. Zwei Jahre später stellte die Wiener Kritik, vor der er damals erstmalig erschien, dem noch nicht Fünfzehnjährigen das Zeugnis eines »phänomenalen Könnens« aus und bezeichnete ihn als einen Auserwählten unter vielen Berufenen. Der Ruf einer blendenden, durchaus ungewöhnlichen Violintechnik, mit der sich Größe und Schönheit des Tones vereinigt, hat Culbertson auch in Deutschland, London, Italien usw. begleitet. Auch er dürfte gemäß der Art seines Talents und seiner Schule durchaus der virtuosen Richtung zuzurechnen sein.

Zu den jüngsten aus Ševèiks Schule hervorgegangenen bekannteren Violinisten gehört der Pole Siegmund Feuermann, der im Jahre 1901 in Kolomea geboren wurde. Sein Talent trat sehr früh hervor, schon mit 5 Jahren konnte er öffentlich einige Lieder vorspielen. Die erste Unterweisung erhielt er von seinem Vater, der Anfang 1909 nach Wien übersiedelte. Gegen Ende desselben Jahres kam Feuermann zu Ševèik. Schon im Januar 1911 trat er in Wien öffentlich auf und erregte durch sein außergewöhnliches Talent und Können großes Aufsehen bei Publikum wie der Kritik. Daß man aber bei dieser Gelegenheit dem 10jährigen Kinde den ersten Satz des Brahmskonzerts (außer Corelli, Paganini und Tschaikowski) anvertraute, kann ebensowenig gutgeheißen werden wie alle ähnlichen Experimente Es gibt besonders in der deutschen Musikliteratur Werke, denen auch der größte instinktive Musiksinn allein nicht gerecht werden kann, da außer der Veranlagung noch vieles andere dazu gehört, allgemeine menschlich-geistige Reife nicht zuletzt. Hoffentlich erleben wir nicht noch eine Quartettvereinigung neun- und zehnjähriger Künstler, die uns letzten Beethoven vorsetzt..

Die Vorführung des Brahmsschen Violinkonzerts wiederholte sich noch im selben Jahre auf eine von dem Pianisten Rosenthal vermittelte Einladung der Londoner Philharmonischen Gesellschaft. Es wird mitgeteilt, daß nur Joachim 70 Jahre früher eine entsprechende Einladung erfahren hat. Der Knabe erregte das größte Aufsehen. Es folgten Konzerte in Berlin im Februar und März 1912, wo Feuermann u. a. Paganini und das Beethovenkonzert spielte. Der Unterricht bei Ševèik nahm indessen seinen Fortgang; wann er zum Abschluß kam, ist nicht mitgeteilt. Inzwischen konzertierte der Knabe weiter in Wien (Herbst 1912), am rumänischen Hofe und in Bukarest (Januar 1913), in Deutschland und Österreich unmittelbar darauf, endlich Ende April in Paris sowie im Herbste des gleichen Jahres in London. Im folgenden Winter und dem Frühjahr 1914 folgten neue Konzerte in Österreich-Ungarn. Überall war dem noch so jungen Künstler rauschender Beifall und angeregtestes Interesse treu. Von letzterem gibt Felix Weingartner ein Beispiel, der, nachdem er ihn gehört, u. a. eine gemeinsame Konzertreise nach Amerika plante. Weitere Mitteilungen über Feuermann liegen derzeit nicht vor.

Ein Wunderkind, dem von der Kritik eine große Zukunft angesagt wird, ist Erika Morini, die am 26. Mai 1906 in Wien geboren wurde, wo ihr Vater eine Musikschule leitete. Bei ihm hatte sie den ersten Unterricht, kam aber bereits im 7. Lebensjahre zu Ševèik, unter dessen Leitung sich ihr Talent überraschend schnell entfaltete. Nachdem sie schon mehrmals aufgetreten war, brachte der Winter 1916-1917 den eigentlichen Eintritt der Zehnjährigen in die Konzertwelt, wobei die Kleine nicht nur die leichtverständliche Begeisterung des breiten Publikums entzündete, sondern auch die Kritik der angesehenen Wiener usw. Presse zu lebhaften Erörterungen veranlaßte. Jedenfalls ist das jetzt erst 14jährige Mädchen ein ganz ungewöhnliches Talent, das hoffentlich keiner ungesunden Frühreife zum Opfer fallen wird.

Von Vivien Chartres, über deren Lebensdaten nichts mitgeteilt werden kann, ist nur bekannt, daß sie schon als 12jähriges Mädchen vor die Öffentlichkeit trat und unter der ausgewählten Schülern Ševèiks mitgenannt wird.

Auch über Hans Lange, der in Frankfurt a. M. wirkt oder gewirkt hat, kann nur mitgeteilt werden, daß er aus Konstantinopel gebürtig ist und seine Ausbildung durch Ševèik in Prag erhielt. Gelegentlich des Jubiläumkonzerts des Prager Konservatoriums wurde Lange als Solist gewählt. Der Künstler soll mehr der gediegenen als der virtuosen Richtung huldigen. Weitere Nachrichten fehlen.


Nach den gegebenen Nachrichten wird sich der Leser über Umfang, Bedeutung und Richtung der Ševèikschen Schule ein zuverlässiges Bild machen können. Da die virtuose Richtung wohl fortbestehen wird, solange man Violine spielt, so kann keine objektivgeschichtliche Betrachtung von ihr absehen. Im übrigen könnte man an sich gewiß die Darbietungen einer aufs äußerste getriebenen Technik so gut wie jede andere Glanzleistung mehr sportlicher Art (z. B. vollendet schönen Schlittschuhlauf) unbefangen genießen und sich an der seltenen Beherrschung des Schwierigsten, nur wenigen Erreichbaren ergötzen. Leider wird eine derartige, ich möchte sagen, harmlose Auffassung dadurch vereitelt, daß das reine Virtuosentum erfahrungsgemäß der Sache der Kunst, mit der es eigentlich gar nichts zu tun hat, Abbruch zu tun geeignet ist. Einmal in der Person des Virtuosen selbst, der der Versuchung äußerlicher, kunstfremder Erfolge ausgesetzt ist und ihr oft genug unterliegt. Sodann seitens des Publikums, das unbewußt, wie es ist, stets geneigt sein wird, das Echte zugunsten des verlockend Glänzenden und gedankenlos zu Genießenden preiszugeben. Sogar der Virtuose ist nicht davor sicher, seinerseits im Stich gelassen zu werden, falls noch etwas Ergötzlicheres winkt: kein Geringerer als Paganini mußte zu Wien eines seiner Konzerte ausfallen lassen, weil an demselben Tage – eine Giraffe zu sehen war. Wer über diese kleine Tatsache nachdenkt, wird verstehen, in welchem Sinne es schwer ist, das Virtuosentum in der Kunst harmlos gelten zu lassen, was man an sich wohl möchte.

 

Zum Kapitel: Jos. Joachim und die neue Berliner Schule.

(S. 496 ff)

(S. 510) Steinhausens »Physiologie der Bogenführung« erlebte wenige Jahre nach Erscheinen eine von dem Verfasser neubearbeitete 2. Auflage (1907) und seit seinem Tode eine unveränderte dritte (1916). Es hat sich die grundlegende Bedeutung des Buches immer mehr herausgestellt, auch in dem Für und Wider verschiedener größerer und kleinerer Schriften, die ihm ihren Ursprung verdanken. Insbesondere sei auch schon hier auf die »Praktische Violinschule« Ferdinand Küchleres verwiesen, der uns weiterhin noch begegnen wird (S. 666). Vielleicht ist es bei einer späteren Gelegenheit möglich, der ganzen durch Steinhausen angeregten Bewegung eine gesonderte Betrachtung im Rahmen dieses Buches zu widmen.

(S. 515) Unter Corbachs Schülern werden namhaft gemacht Karl Becker und Assauer.

Karl Becker wurde in dem westfälischen Städtchen Bünde geboren. Seine künstlerische Ausbildung erhielt er in Sondershausen, wo er einen Ehrenpreis des Konservatoriums davontrug. Seit 1902 als erster Konzertmeister am Königsberger Stadttheater angestellt, gab der Künstler diesen Posten 1913 auf, um sich musikpädagogischer Tätigkeit und der Pflege der Kammermusik zu widmen.

Über Assauer, einen weiteren Schüler Corbachs, kann nur mitgeteilt werden, daß er an der Breslauer Philharmonie als Konzertmeister tätig war oder ist. Nähere Nachrichten fehlen derzeit.

(S. 517) H. W. Petri ist kürzlich gestorben.

(S. 520) Adolf Busch betreffend kann einiges weitere mitgeteilt werden. – Nach Konzertreisen mit Fritz Steinbach, auf denen der junge Künstler auch mit Max Reger bekannt und befreundet wurde, wurde Busch, erst 21jährig, als erster Kapellmeister in Wien angestellt, von wo aus er weitere Konzertreisen auch ins Ausland (Holland, Schweden, Schweiz, England, Rußland) unternahm. Als Henri Marteau die Berliner Hochschule für Musik verließ, wurde der 26jährige Künstler sein Nachfolger und zum Professor ernannt. Ein von ihm gegründetes Streichquartett erwarb sich alsbald berechtigten Ruf. Nähere Nachrichten über das Wirken des Künstlers fehlen leider derzeit.

Auch kompositorisch entfaltet Busch eine rege Tätigkeit. Außer einem Chorwerk »Darthulas Grabgesang« und verschiedenen Orchesterwerken (Symphonie d-moll, Variationen für großes und kleines Orchester, Ouvertüre zu König Ödipus) werden eine Streichserenade, eine Phantasie für Violoncell mit Orchester, ein Violinstück mit Orchester, eine Sonate für Violine und Klavier, ein Klaviertrio, Variationen für Klavier 4händig, Präludium und Passacaglia für Klavier und 2 Violinen, je eine Soloviolin- und -violoncellsonate, sowie Lieder mit Bratsche, mit Cello und mit Orchester namhaft gemacht.

(S. 520) Über den Hubayschüler Szigeti Ausführlichere Nachrichten liefen leider zu spät ein. kann nur mitgeteilt werden, daß er seit 1917 als erster Lehrer seines Instruments am Genfer Konservatorium als Nachfolger Hugo Heermanns unterrichtet, welch letzterer zurückgezogen am Genfer See lebt.

(S. 527) Carl Wendling wurde am 10. August 1875 in Straßburg geboren. Den ersten Unterricht erhielt er von seinem Bruder und auf dem Konservatorium seiner Vaterstadt, sodann studierte er bei Florian Zajic (1886-1889) ferner bei dem Joachimschüler Heinrich Schuster (bis 1894), bei Joachim selbst sowie Haliø (bis 1896). Er beschloß seine Ausbildung durch ein nochmaliges Studium bei Joachim in den Jahren 1898-1899, nachdem er inzwischen bereits als stellvertretender Lehrer am Straßburger Konservatorium tätig gewesen, sowie (1897-1898) seiner Dienstpflicht genügt hatte.

Wendling war sodann bis 1903 erster Konzertmeister der Meininger Hofkapelle unter Fritz Steinbach, trat auf den ausgedehnten Konzertreisen des Orchesters erfolgreich als Solist vor das Publikum, ferner begründete er bereits damals ein Quartett, mit dem auch der berühmte Klarinettist Richard Mühlfeld zusammen musizierte. Im Jahre 1903 wurde der Künstler Nachfolger E. Singers als erster Konzertmeister des Stuttgarter Hoforchesters, war sodann in gleicher Stellung am Covent-Garden-Theater in London unter Hans Richter (1903 und 1905) und am Bostoner Orchester unter C. Muck tätig (1907-1908); auch versah er wiederholt (1902, 1904 und 1906) den ersten Konzertmeisterposten bei den Bayreuther Festspielen.

Trotz glänzender Anträge nach Amerika (New York, Boston, Chikago) sowie nach Dresden als Nachfolger Petris blieb Wendling dauernd in Stuttgart, wo er als Lehrer seines Instruments am Konservatorium, als Konzertmeister des Landesorchesters und schließlich als Leiter des vorzüglichen Streichquartetts, das vornehmlich seinen Namen in musikalischen Kreisen bekannt gemacht hat, eine reiche Tätigkeit entfaltet.

Das Wendlingquartett hat ausgedehnte Reisen im In- und Auslande unternommen. Seine Teilnehmer sind außer Wendling selbst Hans Michaelis (2. Geige), Philipp Neeter (Bratsche) und Alfred Saal (Violoncell). Die Quartettvereinigung der vier Künstler ist von der Kritik als eine der besten augenblicklich in Deutschland vorhandenen anerkannt und überall freudig begrüßt worden. Besonders bemerkenswert erscheint ihr Eintreten für die Werke Max Regers, der auch mit Wendling befreundet war und ihm mehrere Werke gewidmet hat, darunter seine letzte Schöpfung, das kurz vor seinem Tode vollendete Klarinettenquintett Op. 146. In pietätvoller Weise bezeichnet Wendling die Freundschaft mit dem genialen Meister als das bemerkenswerteste Ereignis seiner künstlerischen Laufbahn. – Carl Wendling ist württembergischer Professor.

Außer über Wendling liegen noch über einige andere Schüler Joachims nunmehr genauere Nachrichten vor; es sind dies die Geiger Alfred Wittenberg, Gustav Havemann und Wladyslaw Waghalter.

Alfred Wittenberg wurde am 14. Januar 1880 in Breslau geboren. Schon als 8jähriger Knabe trat er dort mit dem Mendelssohnschen Violinkonzert und 8 Tage darauf mit einem Chopinschen Klavierkonzert vor das Publikum. Nach mehrjährigem Schwanken, welchem der beiden Instrumente er sich dauernd widmen solle, entschied er sich endlich für die Geige, auf der er von seinem 15. bis 19. Lebensjahre Joachims Unterricht genoß, worauf er sich mit einem sehr erfolgreichen, mit dem Philharmonischen Orchester veranstalteten Konzerte in die Berliner Öffentlichkeit einführte. Mit A. Schnabel und A. Hekking spielte er drei Jahre Trio, wandte sich aber mit 23 Jahren einer ausschließlich solistischen und Lehrtätigkeit zu. Als Solist ist Wittenberg in den musikalischen Zentren Deutschlands wie auch in London, Paris, Wien, Prag usw. erfolgreich hervorgetreten. Zahlreiche Schüler des Künstlers nehmen geachtete Stellen im In- und Auslande ein. Unter ihnen wird Bruno Esbjörn genannt, Konzertmeister an der Oper in Stockholm, über den jedoch derzeit nähere Nachrichten fehlen. Wittenberg lebt in Berlin.

Als hochgeschätzter Interpret vornehmlich klassischer Werke hat sich der ausgezeichnete Vertreter der Joachimschen Schule Gustav Havemann einen Namen gemacht. Havemann ist am 15. März 1882 als siebentes Kind des großherzogl. Musikdirektors J. Havemann in Güstrow geboren. Schon im 6. Lebensjahre trat der Kleine öffentlich in Rostock auf. Während der Schulzeit waren sein Vater, dessen Schwager Ernst Parlow und Konzertmeister Bruno Abner seine Lehrer. Sodann genoß er von 1899-1901 den Unterricht von Joachim und dessen Schüler Markees, an der Berliner Hochschule. Nachdem Havemann weiterhin erste Konzertmeisterposten in Lübeck (1901-1903), Darmstadt (1903-1909) und Hamburg (1909-1911) bekleidet hatte, wirkte er 1911-1915 als Lehrer am kgl. Konservatorium in Leipzig. Im Herbst des letzteren Jahres vertauschte er Leipzig mit Dresden, wo er die Stellung des ersten Konzertmeisters an der Oper inne hat. 1917 wurde ihm der Professortitel verliehen. Auch kompositorisch hat sich der Künstler betätigt (Violinsolostücke, Streichquartett u. a. m.). Havemann ist auch für moderne Meister mit Warme eingetreten, z. B. für Max Reger, der ihm seine Chakonne in g-moll ( Op. 117) zueignete.

Wladyslaw Waghalter wurde am 10. April 1885 in Warschau geboren und erhielt mit 6 Jahren den ersten Unterricht von seinem Vater, der selbst Musiker war. Sodann kam er zu Isidor Lotto, bei dem er so schnelle Fortschritte machte, daß er schon mit 10 Jahren eine Konzertreise durch Rußland unternehmen konnte. Mit 14 Jahren wurde er in Berlin Schüler A. Mosers und bald darauf Joachims, bei dem er sein Studium vollendete. Im Besitz einer wertvollen Joachim-Stipendium-Geige und mit dem Mendelssohnpreise für Vortrag des Brahmskonzerts ausgezeichnet, gab der siebzehnjährige Künstler sein erstes, von Joachim selbst geleitetes Konzert in Berlin. Mit 20 Jahren versah er in Vertretung des beurlaubten C. Wendling dessen Stelle als 1. Konzertmeister der Stuttgarter Hofkapelle mit solchem Erfolge, daß ihm nach Wendlings Rückkehr eine Parallelstelle angeboten wurde, die der Künstler indes ausschlug, um eine größere erfolgreiche Konzertreise durch Deutschland und Österreich zu machen. 1912 nahm er die Stelle als Solist und erster Konzertmeister des Berliner Opernorchesters an, die er jetzt noch bekleidet, nachdem 1914 eine schwebende Berufung nach Glasgow sich durch den Ausbruch des Krieges zerschlug. W. Waghalter hat im Verein mit Hekking ein Trio gegründet und ist Leiter eines nach ihm benannten Streichquartetts.

Die Kritik erkennt in Waghalter einen gediegenen Musiker und vortrefflichen Geiger der Joachimschen Schule an. Neben weitgehender technischer Beherrschung werden seinem Spiel vornehme Auffassung und warme Empfindung sowie schöne beseelte Tongebung nachgerühmt.

Das rühmlich bekannte Klinglerquartett, das außer den S. 529 genannten Ländern auch Österreich und die Schweiz bereist hat, gestaltete sich mit Kriegsausbruch dadurch um, daß für die ausscheidenden Rywkind (Russe) und Williams (Engländer) zunächst Alphonse Brun (ein Schüler Klinglers) und Hugo Dechert eintraten. Mittlerweile wurde Klingler selbst zum Heeresdienst einberufen und es trat eine Pause ein, nach deren Ablauf im Sommer 1916 das Quartett durch Richard Heber und Max Baldner ergänzt wurde. In dieser Zusammensetzung hat es auch über ein halbdutzendmal die Front besucht und dort bis dicht hinter die vordersten Gräben, manchmal im schwersten Feuer, den Trost und die Erbauung klassischer deutscher Musik getragen. Klingler zählt diese Konzerte zu seinen schönsten Erinnerungen.

Außer den schon genannten Werken Klinglers sind an Kompositionen nachzutragen: zwei Violinsonaten, eine Cellosonate, ein Streich- und ein Klaviertrio, drei Streichquartette, ein Duo für zwei Violoncelle, eine Symphonie und Lieder.

Über den ebengenannten Schüler Klinglers Alphonse Brun, der außerdem den Unterricht seines (gleichnamigen) Vaters genoß, kann nur mitgeteilt werden, daß er als 1. Konzertmeister in Bern tätig ist.

(S. 531) Henri Marteau angehend ist zunächst zu erwähnen, daß seine Stellung und Tätigkeit an der Berliner Hochschule mit Kriegsausbruch unter unerfreulichen Begleitumständen, auf die gegenwärtig nicht näher eingegangen werden kann, ihr Ende fand. Sein Nachfolger wurde, wie schon erwähnt, Adolf Busch. – Mit dem Ausscheiden Marteaus als Nachfolger Joachims entfällt natürlich der Grund, seiner in diesem Kapitel und in dem seitherigen Umfange zu gedenken, was Beides in dieser Auflage noch nicht geändert werden konnte. Marteau wird als Schüler Leonards weiterhin unter diesen aufzuzählen sein.

(S. 536) Von den S. 534 genannten Schülern Marteaus können über Robert Pollak nähere Nachrichten gegeben werden.

Robert Pollak wurde im Jahre 1880 in Wien geboren. Sein Lehrer auf der Violine war zunächst Hans Sitt in Leipzig. Vom dortigen Konservatorium begab sich der Künstler nach Genf, wo er seine musikalischen Studien 1905 bei Henri Marteau beendete. Auch bei Carl Flesch genoß er einige Zeit Unterricht. Vom Jahre 1906 bis Juli 1914 war Pollak als Lehrer seines Instruments am Genfer Konservatorium tätig, leitete auch am Konservatorium in Lausanne eine Violinklasse und unternahm ausgedehnte Konzertreisen, die ihn u. a. auch nach Amerika führten.

Der Krieg brachte Pollak merkwürdige Erlebnisse. Bei seinem Ausbruch befand er sich zufällig auf einer wenige Wochen vorher angetretenen Reise in Rußland. Als Österreicher alsbald festgehalten, wurde der Künstler zuerst nach Astrachan, sodann nach Saratow verschickt. Nach Ausbruch der Revolution in Rußland konnte Pollak nach Moskau übersiedeln. Er gab dort ein Konzert, dessen unmittelbare Folge seine Berufung an das Moskauer Konservatorium war, wo ihm die Leitung einer Ausbildungsklasse anvertraut wurde – eine Wendung, von der sich der bisherige Zivilgefangene wohl wenig hatte träumen lassen. Bis Juli 1919 verblieb der Künstler in dieser Stellung; dann zwangen ihn die immer unleidlicheren politischen Verhältnisse, dem zertrümmerten Riesenreich den Rücken zu kehren. Er begab sich nach seiner Vaterstadt Wien, wo er im Herbst konzertierte, von der Kritik mit Begeisterung begrüßt. In Wien ist Pollak vorläufig geblieben. An seinem Spiel hebt die Kritik die Geschmeidigkeit, Klangschönheit und Delikatesse der französischen Schule hervor, die den Künstler vorzugsweise zur Wiedergabe der diesem Kreise angehörenden Kompositionen befähigt. Auch soll er ein vortrefflicher Mozartspieler sein.

 

Zum Kapitel: Anderweite deutsche Violinspieler des 19. Jahrhunderts.

(S. 536 ff.)

(S. 546) Hugo Heermann, der 1910 nach Berlin übergesiedelt war, blieb dort nicht, wie beabsichtigt, dauernd, sondern fand einen Wirkungskreis in Genf, den er aber bald wieder aufgab, um an den Ufern des Genfer Sees im Ruhestand zu leben. Sein Nachfolger ist Scigeti. – Hugo Heermanns Sohn Emil lebt als Konzertmeister in Cincinnati; nähere Nachrichten über ihn fehlen.

Ein Schüler von Hugo Heermann (und Naret-Koning) ist Ferdinand Küchler, der in Basel wirkt und in dem Streichquartett der dortigen Allgemeinen Musikgesellschaft die Bratsche vertritt. Doch nimmt der Künstler unsere Aufmerksamkeit vornehmlich als verdienstlicher Violinpädagoge in Anspruch. Küchler ist nämlich der erste Autor einer Violinschule, der die Technik und Ausbildung des rechten Armes bewußt und ausdrücklich auf Steinhausens »Physiologie der Bogenführung« (vgl. S. 510 u. 660) aufbaut. Seine »Praktische Violinschule« erschien erstmalig im Jahre 1910 (bei Hug & Co., Basel) und liegt bereits in sechster Auflage vor. Diese rasche Verbreitung des Werks wie auch seine überaus günstige Beurteilung von kompetenter Seite beweisen seinen Wert, auch hinsichtlich aller übrigen an eine heutige Violinschule zu stellenden Anforderungen. So nennt, um nur eine Stimme anzuführen, Carl Flesch Küchlers Schule: »das beste moderne Werk dieser Gattung«. Was die Schaffung einer Violinschule auf Grundlage der Steinhausenschen Untersuchung angeht, so deckt sich Küchlers Unternehmen mit dem zufällig im selben Jahre in diesem Buche geäußerten Wunsche (vgl. S. 510). Zweifellos ist solche Vermittlung geeignet, die Leistung Steinhausens weiten Kreisen der violinspielenden und unterrichtenden Welt erst ganz zu erschließen und nutzbar zu machen. Denn aus mancherlei Ursachen dürfte ein beträchtlicher Teil der Violinspieler nicht in der Lage sein, sich mit Steinhausens Buch unmittelbar auseinanderzusetzen. Vor allem erscheinen Mißverständnisse keineswegs ausgeschlossen. – Wenn Küchler von einigen Anhängern Steinhausens der Vorwurf gemacht worden ist, er gehe nicht weit genug, so macht er mit Recht hiergegen geltend, daß das Interesse des Schülers, des Anfängers zumal, das ausschlaggebende ist, und daß dieses ein anderes ist als das des ausgebildeten Geigers. Wie weit im einzelnen Fall zu gehen ist – die Grundlagen sind natürlich ein- für allemal die gleichen – hängt von den Umständen ab. Jedenfalls hat Küchler mit seiner Schule der Steinhausenschen Sache, d. h. der Sache eines rationellen, von früheren Unklarheiten und direkten Fehlern freien Violinunterrichts einen wesentlichen Dienst erwiesen.

Unter den Schülern Küchlers befindet sich Hans Bassermann, der zu den beachtenswertesten unter unseren jüngeren Violinisten zählt. Bassermann wurde am 20. September 1888 in Frankfurt a. M. geboren. Sein Vater ist der geschätzte Frankfurter Musikpädagoge Prof. Fritz Bassermann, die Mutter Florence, Pianistin, war Schülerin von Clara Schumann; der Knabe wuchs also in einem hochmusikalischen Elternhause auf. Violinunterricht erhielt er natürlicherweise zunächst bei seinem Vater, sodann bei Ferdinand Küchler und schließlich bei Henri Marteau, dessen Unterweisung er an der Berliner Hochschule auf 2 Jahre genoß, nachdem er in seiner Vaterstadt Frankfurt das humanistische Gymnasium absolviert und in Homburg v. d. H. seiner Militärpflicht genügt hatte. Weiterhin war er zwei Jahre Marteaus Vertreter an der Hochschule. Mit 23 Jahren wirkte er ein Jahr lang als Konzertmeister am Berliner Philharmonischen Orchester. Von Berlin aus, wo er auch Unterricht erteilte, unternahm Bassermann Kunstreisen im In- und Auslande. Während des Krieges war der Künstler Soldat, sodann nahm er seine bisherige solistische und private Unterrichtstätigkeit wieder auf, zu der noch die Leitung einer Ausbildungsklasse am Klindworth-Scharwenka-Konservatorium hinzukam.

Bassermann nimmt unter denjenigen unserer jüngeren Geiger, die die eigentliche musikalische Intelligenz und den idealen Standpunkt verkörpern, der in dem Künstler und seinem Können in erster Linie einen Diener am heiligen Geist der Musik erblickt, einen hervorragenden Platz ein. Sein reiches, von bemerkenswerter musikalischer Kultur zeugendes Programm, in dem die gehaltvoll-ernste Kunst durchaus überwiegt, legt hiervon ebenso Zeugnis ab wie seine Behandlung des Instruments, die bei großer technischer Vollendung durchaus vom Geiste gediegenen Musikertums erfüllt ist. Bassermann ist ein besonders guter Bachspieler. Vertiefung und Vergeistigung, großzügige Auffassung sind neben Tonschönheit, technischer Vollendung und Temperament die wiederkehrenden Ausdrücke in den Besprechungen seiner Konzerte.

Als weiterer Schüler Hugo Heermanns ist noch zu nennen Edgar Wollgandt. Über ihn liegen nicht viele Nachrichten vor, doch spricht die von dem Künstler seit dem Jahre 1903 bekleidete Stellung als erster Konzertmeister des Leipziger Gewandhausorchesters zur Genüge für seine künstlerische Bedeutung unter den Geigern unserer Tage. Dieser treffliche Künstler ist am 18. Juli 1880 in Wiesbaden geboren und studierte bei Hugo Heermann am Hochschen Konservatorium in Frankfurt a. M. Sodann war er noch drei Jahre in der kgl. Kapelle in Hannover tätig, bis er 1903 den erwähnten Leipziger Posten erhielt, den er noch inne hat, nachdem er 1914 einen Ruf nach Dresden als 1. Konzertmeister und Nachfolger Petris ablehnte. Wollgandt ist der erste Geiger des rühmlichst bekannten Gewandhaus-Quartetts, das außer den alljährlich in Leipzig stattfindenden sechs Kammermusikabenden in allen größeren Städten Deutschlands solche veranstaltet. An dieser Stelle mag die Notiz interessieren, daß diese Quartettvereinigung als erste seit Ausbruch des Krieges im Januar 1918 und November 1919 in allen größeren Städten der Schweiz sehr erfolgreich konzertiert hat und speziell auch in den deutschfeindlichen Orten Genf und Lausanne bei ausverkauften Häusern lebhaft gefeiert worden ist.

(S. 546) Den Geigern dieses Kapitels ist ferner einzureihen Hermann Gärtner, der am 24. August 1865 in Salzwedel geboren wurde. Dieser Künstler ist im wesentlichen als Autodidakt anzusehen, da er außer einem nur ein Vierteljahr währenden Unterricht bei Schradieck keine nennenswerte Unterweisung erhalten hat. Dies erschwerte dem jungen Künstler eine feste Anstellung zu gewinnen, und so brachte er einen Teil seiner Jahre in einem Wanderleben in und außerhalb Deutschlands (England, Portugal, Madeira usw.) hin, um schließlich 1890-1895 in Hamburg-Altona und weiterhin von 1895 ab bis 1905 oder 1907 als erster Konzertmeister am Stadttheater in Nürnberg seßhaft zu werden. Der Künstler lebt in Nürnberg seit 1907 lediglich seiner pädagogischen Tätigkeit, die besonders in Nordbayern gekannt und geschätzt wird. In früheren Jahren ist er vielfach solistisch vor das Publikum getreten, nach Mitteilung eines seiner Schüler hat weiterhin wesentlich die persönliche Bescheidenheit des Künstlers dazu geführt, daß er sich vom Solospiel zurückzog. Gediegene Richtung, bedeutendes violinistisches Können wird ihm nachgerühmt. Gärtner hat eine Reihe von Werken der Violinliteratur (u. a. Mozarts Sonaten, Konzerte von Haydn und Molique, Davids Violinschule, Kaysers Etuden) neu herausgegeben (bei Breitkopf & Härtel).

 

Zum Kapitel: Die Pariser Schule.

(S. 550 ff.)

(S. 564) Über Fritz Kreisler wird mitgeteilt, daß er im Kriege an der galizischen Front verwundet worden sei und sich gegenwärtig in Amerika aufhalte.

(S. 579-580) In den letzten Jahren hat sich die Konzerttätigkeit von Carl Flesch immer weiter ausgedehnt; außerdem hat der vorzügliche Künstler zusammen mit dem ausgezeichneten Pianisten Arthur Schnabel und dem Violoncellisten Gerardy ein Trio gebildet, das zu rascher Berühmtheit gelangte und zu den besten Kammermusikvereinigungen überhaupt gehört. Mit Ausbruch des Krieges schied Gerardy daraus aus und Hugo Becker trat an seine Stelle.

Flesch hat eine größere Anzahl älterer und neuerer Violinwerke revidiert und neu herausgegeben, darunter das Beethoven- und Mendelssohnkonzert, sowie Konzerte von Paganini, Beethovens Violinromanzen, Mozarts Violinsonaten, Paganinikaprizen, Etüden von I. Dont u. a. m. Auch bereitet er mit seinen Triogenossen eine revidierte Gesamtausgabe sämtlicher Brahmsschen Werke (mit Ausnahme der Orchestermusik und der Lieder) vor.

Besondere Erwähnung verdienen die violinpädagogischen Veröffentlichungen des Künstlers. In erster Linie sind hier seine »Urstudien für Violine« (Ries & Erler, Berlin) zu nennen, die einen außerordentlichen und wohlverdienten Erfolg gehabt haben, wie u. a. die begeisterten Urteile zahlreicher bedeutender Künstler beweisen (Auer, Berber, Heermann, Rosé usw.). Flesch geht in ihnen von einem beachtenswerten Gedanken aus: daß nämlich die überwiegende Mehrzahl der Geiger (Orchestermusiker, Lehrer, vorgeschrittene Dilettanten) nicht die Zeit besitzen, mehr als etwa eine Stunde täglich auf eignes Üben zu verwenden, wovon noch etwa die Hälfte für augenblickliche Zwecke gerechnet werden muß, so daß für rein technische Übungen nur eine halbe Stunde übrig bleibt. Die Aufgabe, die er sich stellte, war demgemäß, aus der Fülle der violintechnischen Möglichkeiten den eigentlichen Kern dieser Technik herauszuheben und in wenigen, etwa eine halbe Stunde erfordernden Grundübungen darzubieten. So entstand das schmale Heftchen, welches gleichsam einen Extrakt der Violintechnik enthält und dessen weite Verbreitung Zeugnis davon ablegt, in wie hohem Maße Flesch seiner Absicht gerecht geworden ist. Übrigens ist besonders Dilettanten bei einigen der Übungen die auch von dem Autor empfohlene Vorsicht dringend anzuraten.

Gegenwärtig arbeitet Flesch an einem umfassenden Werk über die moderne Violinpädagogik, auf dessen Erscheinen man gespannt sein darf, da Flesch als außerordentlicher Techniker wie als rationeller, klar denkender Kopf und Lehrer seines Instruments für ein solches Werk durchaus die geeignete Persönlichkeit erscheint.

Als Schüler des Künstlers werden namhaft gemacht Prof. Willem de Boer, 1. Konzertmeister in Zürich, Konzertmeister Joseph Wolfsthal in Bremen und die erst ganz kürzlich mit bedeutendem Erfolg an die Öffentlichkeit getretene Alma Moodie. Nähere Nachrichten über die letzteren beiden Künstler fehlen.

Dagegen kann über den holländischen Geiger Willem de Boer etwas mitgeteilt werden, der als Fleschs bedeutendster Schüler betrachtet wird. De Boer wurde 1885 in Amsterdam geboren, besuchte das dortige Konservatorium, das er 1906 mit einem Preise und Stipendium verließ, worauf er bei Flesch in Berlin weiter studierte. In Paris bot sich ihm sodann noch die Anregung, durch die Bekanntschaft mit Künstlern wie Jacques Thibaut seine Kunst zu fördern. Nachdem der junge Künstler im Winter 1907 in seiner Vaterstadt die ersten Triumphe gefeiert hatte, erhielt er im folgenden Jahre einen Ruf als erster Konzertmeister der Tonhalle-Gesellschaft nach Zürich, mit dem die Tätigkeit als Primgeiger des Tonhalle-Streichquartetts und Leiter der Meisterklasse des Violinspiels am Züricher Konservatorium verbunden ist. Sowohl sein solistisches wie sein Quartettspiel (die andern Teilnehmer sind H. Schroer, Paul Essek und Fritz Reitz) werden warm gerühmt.

(S. 580) César Thomson ist kürzlich gestorben.

(S. 585) Ch. Dancla starb 1907 als 89jähriger Greis in Tunis.

 

Zum Kapitel: Die Belgisch-Französische Schule.

(S. 590 ff.)

(S.596) Tor Aulin starb schon im Frühjahr 1914 in Stockholm an einem Schlaganfall.

(S. 601) Der hervorragende Violinist Ysaye soll kürzlich gestorben sein Wird von anderer Seite bestritten.. – Als bedeutender Schüler von ihm wird namhaft gemacht Franz Schörg, der aus München stammt, wo er sich auch vor einigen Jahren aufhielt. Er war Primgeiger des Brüsseler Streichquartetts. Nähere Nachrichten über Schörg fehlen zurzeit.


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