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Das glänzende, reichbewegte Leben, welches Italien während des 18. Jahrhunderts in musikalischer Beziehung, namentlich auch in betreff des Violinspiels entfaltet hatte, begann bereits gegen Schluß desselben Säkulums mehr und mehr hinzuwelken und zu erbleichen. Das Land der Künste hatte auch hierin seine Mission erfüllt. Die epochemachenden Tonmeister waren teils dahingeschieden, teils altersschwach geworden, und kein junger Nachwuchs erstand, um das von ihnen begonnene und rühmlich geförderte Werk weiter fortzuführen. Dieses schönen Vorrechtes wurden die Söhne Deutschlands teilhaftig, welche vorher schon die Herrschaft im Reiche der Tonkunst teilweise an sich gebracht hatten. Mächtig ergriffen von den gewaltigen, auf Wissenschaft und Kunst zurückwirkenden Bewegungen der Zeit, entzündete sich ihr Geist in dem Bewußtsein erhöhter individueller Geltung zu erneuerter Tatkraft. Auf tonkünstlerischem Gebiete ist hier vor allem an Beethoven zu erinnern, der für die Instrumentalmusik ungekannte, niegeahnte Gebiete erschloß. Ihm reihten sich Franz Schubert, der Hauptrepräsentant des deutschen Gesangsliedes, und C. M. v. Weber, der Freiheitssänger und Schöpfer einer deutsch-nationalen Oper an. Italien blieb diesem jugendlich frischen Aufschwunge fremd. Nicht allein war es durch eine jahrhundertlange, beispiellose Kunstproduktion erschöpft, auf ihm lastete auch, an der Lebenskraft des Volkes zehrend, nicht minder der lähmende Druck der Priestergewalt wie die Herrscherwillkür übel beratener und tyrannisch gesinnter Regierungen. Was Wunder, wenn die in ihren höchsten Interessen tief geschädigte, systematisch geknechtete Nation von der ehemaligen Höhe herabstieg, wenn an Stelle der bisherigen mannigfaltigen Fülle bedeutender Kunsterscheinungen nur noch vereinzelte Talente auftauchten, gleichsam mahnend an die einstige Herrlichkeit. Und wie anders geartet erschienen auch diese wenigen gegen ihre Vorgänger! Erstorben war der tiefe sittliche Ernst, welcher der italienischen Kunst innewohnte, dahin die adelige Würde, welche ihr das Siegel der Klassizität aufgedrückt hatte. Und doch vermochte Italiens Volk trotz aller Heimsuchungen noch Männer wie Cherubini, Spontini und Rossini zu erzeugen. Der letztere aber war es eben, welcher durch seine einschmeichelnden, üppig wollüstigen Weisen einem gedankenlosen, entnervenden Sinnengenuß seiner Mitlebenden Vorschub leistete. Wie hoch man auch die Begabung dieses vielbewunderten Komponisten der Restaurationszeit veranschlagen mag, welchen unbestreitbar hohen Rang auch sein »Barbier« und »Wilhelm Tell« in der Bühnenwelt einnimmt, es kann ihm nicht der Vorwurf erspart bleiben, die erschlafften Gemüter seiner Generation umstrickt und vollends in das » dolce far niente« des Geisteslebens eingelullt zu haben. Nur zu bald verloren die Italiener, indem sie dem »Schwan von Pesaro« zujauchzten, Gefühl und Verständnis für das kostbare Kunsterbe einer noch naheliegenden Vergangenheit. Und wie mit ihm unbestreitbar der Verfall der italienischen Opernbühne begann, welcher durch Bellini, Donizetti und insbesondere Verdi trotz »Aïda«, »Othello« und »Falstaff« zu einer vollständigen Tatsache wurde, so datiert aus der Zeit seines ersten Auftretens auch der Verfall des italienischen Violinspiels.
In Viotti hatte Italien der musikalischen Welt seinen letzten klassischen Vertreter dieser Kunst gegeben. Das Wirken desselben brachte kaum noch seinem Vaterlande einen fühlbaren Gewinn, da er, wie wir sahen, sein lebelang fern von der Heimat für die Kunst wirkte. Dazu kam die eben angedeutete, überraschend schnelle geistige Wandlung der italienischen Nation. So konnte es denn nicht fehlen, daß die Traditionen der Römischen, Paduaner und Piemontesischen Schule unversehens in Vergessenheit gerieten. Dies wirkte nicht nur speziell auf die Pflege des Violinspiels, sondern überhaupt auf diejenige des gesamten Orchesterspiels, dessen natürliche Spitze die Geige bildet, nachteilig zurück. Während Rossini durch seine produktive Tätigkeit den Kunstgesang immer noch auf einer verhältnismäßig hohen Stufe zu erhalten wußte Doch klagte Crescentini darüber, daß die gute Gesangschule immer seltener werde, daß er besonders bei seiner Rückkehr nach Italien (1816) einen verdorbenen, frivolen Geschmack vorgefunden habe, und daß keine Spur die ehemalige, einfach große Methode seiner Zeit mehr verrate. (Spohrs Selbstbiographie., konnte, da es auch an eigentlichen Instrumentalkomponisten in Italien fehlte, nichts für die Weiterbildung der dortigen Orchestertechnik geschehen, die ohnehin, einzelne Ausnahmen abgerechnet, zu keiner Zeit von ungewöhnlicher Beschaffenheit gewesen war. Ludwig Spohr, der 1816 Italien besuchte, hebt in seiner Selbstbiographie den reduzierten Zustand, in welchem sich damals die Instrumentalmusik und namentlich das Geigenspiel der dortigen Hauptstädte befanden, mit besonderem Nachdruck hervor. Das Orchester in Rom z. B., obwohl aus den besten Musikern der Stadt zusammengesetzt, bezeichnet er als das schlechteste, welches ihm in Italien vorgekommen. Unwillig ruft er aus: »Die Unwissenheit, Geschmacklosigkeit und dummdreiste Arroganz dieser Menschen (der Orchesterspieler) geht über alle Beschreibung. Nuancen von piano und forte kennen sie gar nicht; das möchte noch hingehen, aber jeder Einzelne macht Verzierungen, wie's ihm einfällt, Doppelschläge fast auf jedem Ton, so daß ihr Ensemble mehr dem Lärm gleicht, wenn ein Orchester präludirt und einstimmt, als einer harmonischen Musik Es ist bei diesem harten Urteil freilich zu berücksichtigen, daß Spohr das selbe mit Beziehung auf die Ausführung seiner Kompositionen ausspricht. Doch sieht man, daß es an jeder Orchesterdisziplin fehlte..«
In Mailand war es nicht besser. Mendelssohn schrieb von dort gelegentlich seiner italienischen Reise an E. Devrient: »Das Orchester (im Theater) ist aus lauter verstimmten Blasinstrumenten und kreischenden Geigen zusammengesetzt und in sich selbst uneinig S. E. Devrients Erinnerungen an Mendelssohn, S. 118..«
Unter solchen Umständen mußte das plötzliche Auftauchen eines Mannes wie Nicolò Paganini, geb. am 27. Oktober 1782 Laut Taufzeugnis. (Riemanns Lexikon.) zu Genua, um so mehr überraschen, je weniger man angesichts der bisherigen Richtung des italienischen Violinspiels darauf vorbereitet war. Paganini betrat keineswegs den Weg, welchen Corelli, Tartini und Viotti gebahnt hatten, und seine Erscheinung würde daher in vielen Beziehungen unerklärlich bleiben, wenn man sie nicht zur Hauptsache als eine phänomenale aufzufassen hätte, deren Abnormität eine völlig isolierte Stellung in der Kette der musikhistorischen Entwicklung beansprucht. Paganini war eine seltene Spezialität, ein in seiner Sphäre einziges Original, gleich ausgezeichnet durch beispiellose Beherrschung der kompliziertesten Technik wie durch Dämonie der Leidenschaft und, sozusagen, geheimnisvoll magische Darstellungsweise. Alles dieses im Zusammenhange mit seinem phantastischen, unheimlich gespenstischen Äußeren gedacht, erklärt vollkommen die sagenhafte Lebensgeschichte, welche man ihm bei seinem Auftreten allgemein zuschrieb. Zu allen Zeiten hat der Volksmund exorbitante, außerhalb der alltäglichen Lebenssphäre stehende Naturen in illustrierender Weise umdichtet, um dadurch gleichsam symbolisch Wesenheit und Eigenart der betreffenden Persönlichkeit auszudrücken. So auch hier. Dazu mag in diesem Falle noch die Verdächtigungssucht neidischer und hämischer Zungen gekommen sein: kurz, Paganini wurde zu einer im bösen Sinne märchenhaften Persönlichkeit gestempelt. Er sollte seine Geliebte aus Eifersucht ermordet, als Verbrecher schwere Kerkerhaft erlitten und während der letzteren, da man ihm aus Mitleid die Geige gelassen, in traurigster Abgeschiedenheit von der Welt sein Talent ausgebildet haben. Zuletzt sei ihm nur eine Saite übrig geblieben, und diesem Umstande müsse sein wunderwürdiges Spiel auf dem G zugeschrieben werden. Nicht minder wurde er einer höchst verdächtigen Kameradschaft mit dem Teufel beschuldigt, dem er seine Seele verschrieben, und dergleichen mehr. Die letztere Angabe fand man nicht selten sogar glaubwürdig. Ein Beispiel dafür ist folgender, durch Augenzeugen verbürgter Vorfall Mitgeteilt vom ehemaligen Kölner Konzertmeister Hartmann., der sich in Köln ereignete. Als Paganini in dieser Stadt die Generalprobe zu seinem Konzert hielt, wurde er von vielen der Anwesenden zur Darbringung der bei solchen Gelegenheiten üblichen Huldigungen umringt. Unter diesen befand sich auch ein alter Herr aus dem Orchester, welcher während der Unterhaltung mit dem fremden Künstler eine Prise nahm. Paganini wollte sich liebenswürdig zeigen, zog die eigene Dose aus der Tasche und füllte diejenige seines vis-à-vis, nachdem er deren Inhalt ausgeschüttet, mit seinem Tabak, die Bemerkung hinzufügend, daß es echter Pariser sei. Mit einer verlegenen Danksagung schlich der Beschenkte von hinnen, leerte aber, sobald er sich unbeobachtet glaubte, sofort den Inhalt seiner Tabatière aus. Von einem seiner Kollegen, welcher mit eifersüchtigen Blicken die auszeichnende Artigkeit Paganinis bemerkt hatte, darüber befragt, was er mache, antwortete er in dem Ton eines bedächtig Vorsichtigen, man könne doch nicht wissen, was es mit dem Tabak für eine Bewandtnis habe.
Paganini kannte sehr wohl alle die fabelhaften, über ihn in der Öffentlichkeit zirkulierenden Gerüchte. Vielleicht mochte es ihm in gewisser Hinsicht sogar nicht unlieb sein, daß man sich mit ihm derartig beschäftigte. Doch hielt er es für angemessen, von Zeit zu Zeit dagegen Widerspruch zu erheben. Namentlich geschah dies in sehr prononzierter Weise während seines Pariser Aufenthaltes im Jahre 1831. Dort hatte sich ein gewisser Teil der Tagespresse, auf die Berühmtheit Paganinis spekulierend, jener abenteuerlichen, in der Menge umlaufenden Erdichtungen bemächtigt, um die jederzeit opferwillige Neugierde des großen Publikums durch feilgebotene Zeitungsartikel und karikaturartige, auf die Persönlichkeit des Künstlers bezügliche Zeichnungen auszubeuten. Paganini ermächtigte Fétis in einem für die Veröffentlichung bestimmten Briefe, zu dem er ihm das Material lieferte, und den er selbst mit seinem Namen unterzeichnete, dagegen zu protestieren und die Grundlosigkeit aller über ihn im Schwange gehenden Gerüchte darzutun. Dieser Brief kam zunächst in der » Revue musicale«, dann aber in vielen französischen und italienischen Journalen zum Abdruck. Seines merkwürdigen Inhaltes halber möge er auch hier im Original einen Platz finden:
»Monsieur,
Tant de marques de bonté m'ont été prodiguées par le public français, il m'a décerné tant d'applaudissements, qu'il faut bien que je croie à la célébrité qui, dit-on, m'avait précédé à Paris, et que je ne suis pas resté dans mes concerts trop au-dessous de ma réputation. Mais si quelque doute pouvait me rester à cet égard, il serait dissipé par le soin que je vois prendre à vos artistes de reproduire ma figure, et par le grand nombre de portraits de Paganini, ressemblants ou non, dont je vois tapisser les murs de votre capitale. Mais, Monsieur, ce n'est point à de simples portraits que se bornent les spéculations de ce genre; car me promenant un jour sur le boulevard des Italiens, je vis chez un marchand d'estampes une lithographie représentant Paganini en prison. Bon, me suis-je dit, voici d'honnêtes gens qui, à la manière de Basile, exploitent à leur profit certaine calomnie dont je suis poursuivi depuis quinze ans. Toutefois, j'examinais en riant cette mystification avec tous les détails que l'imagination de l'artiste lui a fournis, quand je m'aperçus qu'un cercle nombreux s'était formé autour de moi, et que chacun, confrontant ma figure avec celle du jeune homme représenté dans la lithographie, constatait combien j'étais changé depuis le temps de ma détention. Je compris alors que la chose avait été prise au sérieux par ce que vous appelez, je crois, les badauds, et je vis que la spéculation n'était pas mauvaise. II me vint dans la tête que puisqu'il faut que tout le monde vive, je pourrais fournir moi-même quelques anecdotes aux dessinateurs qui veulent bien s'occuper de moi: anecdotes où ils pourraient puiser le sujet de facéties semblables à celle dont il est question. C'est pour leur donner de la publicité que je viens vous prier, monsieur, de vouloir bien insérer ma lettre dans votre Revue musicale.
Ces messieurs m'ont représenté en prison; mais ils ne savent pas ce qui m'y a conduit, et en cela ils sont à peu près aussi instruits que moi et ceux qui ont fait courir l'anecdote. II y a là-dessus plusieurs histoires qui pourraient fournir autant de sujets d'estampes. Par exemple, on a dit qu'ayant surpris mon rival chez ma maîtresse, je l'ai tué bravement par derrière, dans le moment où il était hors de combat. D'autres ont prétendu que ma fureur jalouse s'est exercée sur ma maîtresse elle-même; mais ils ne s'accordent pas sur la manière dont j'aurais mis fin à ses jours. Les uns veulent que je me sois servi d'un poignard; les autres que j'aie voulu jouir de ses souffrances avec du poison. Enfin, chacun a arrangé la chose suivant sa fantaisie: les lithographes pourraient user de la même liberté. Voici ce qui m'arriva à ce sujet à Padoue, il y a environ quinze ans. J'y avais donné un concert, et je m'y étais fait entendre avec quelque succès. Le lendemain j'étais assis à table d'hôte, moi soixantième, et je n'avais pas été remarqué lorsque j'étais entré dans la salle. Un des convives s'exprima en termes flatteurs sur l'effet que j'avais produit la veille. Son voisin joignit ses éloges aux siens, et ajouta: L'habilité de Paganini n'a rien qui doive surprendre; il la doit au séjour de huit années qu'il a fait dans un cachot, n'ayant que son violon pour adoucir sa captivité. II avait été condamné à cette longue détention pour avoir assassiné lâchement un de mes amis, qui était son rival. Chacun, comme vous pouvez croire, se récria sur l'énormité du crime. Moi, je pris la parole, et m'adressant à la personne qui savait si bien mon histoire, je la priai de me dire en quel lieu et dans quel temps cette aventure s'était passée. Tous les yeux se tournèrent vers moi: jugez de l'étonnement quand on reconnut l'acteur principal de cette tragique histoire! Fort embarrassé fut le narrateur. Ce n'était plus son ami qui avait péri; il avait entendu dire ... on lui avait affirmé ... il avait cru ... mais il était possible qu'on l'eût trompé ... Voilà, monsieur, comme on se joue de la réputation d'un artiste, parceque les gens enclins à la paresse ne veulent pas comprendre qu'il a pu étudier en liberté dans sa chambre aussi bien que sous les verrous.
A Vienne, un bruit plus ridicule encore mit à l'épreuve la crédulité de quelques enthousiastes. J'y avais joué les variations qui ont pour titre le Streghe, et elles avaient produit quelque effet. Un monsieur, qu'on m'a dépeint au teint pâle, à l'air mélancolique, à l'oeil inspiré, affirma qu'il n'avait rien trouvé qui l'étonnât dans mon jeu; car il avait vu distinctement, pendant que j'exécutais mes variations, le diable près de moi, guidant mon bras et conduisant mon archet. Sa ressemblance frappante avec mes traits démontrait assez mon origine; il était vêtu de rouge, avait des cornes à la tête et la queue entre les jambes. Vous comprenez, monsieur, qu'après une description si minutieuse, il n'y avait pas moyen de douter de la vérité du fait; aussi beaucoup de gens furent-ils persuadés qu'ils avaient surpris le secret de ce qu'on appelle mes tours de force.
Longtemps ma tranquillité fut troublée par ces bruits qu'on répandait sur mon compte. Je m'attachai à en démontrer l'absurdité. Je faisais remarquer que depuis l'âge de quatorze ans je n'avais cessé de donner des concerts et d'être sous les yeux du public; que j'avais été employé pendant seize années comme chef d'orchestre et comme directeur de musique à la cour de Lucques; que s'il était vrai que j'eusse été retenu en prison pendant huit ans, pour avoir tué ma maîtresse ou mon rival, il fallait que ce fût conséquemment avant de me faire connaître du publique, c'est-à-dire qu'il fallait que j'eusse eu une maîtresse et un rival à l'âge de sept ans. J'invoquais à Vienne le témoignage de l'ambassadeur de mon pays, qui déclarait m'avoir connu depuis près de vingt ans dans la position qui convient à un honnête homme, et je parvenais ainsi à faire taire la calomnie pour un instant; mais il en reste toujours quelque chose, et je n'ai pas été surpris de la retrouver ici. Que faire à cela, monsieur? Je ne vois autre chose que de me résigner, et de laisser la malignité s'exercer à mes dépens. Je crois cependant devoir, avant de terminer, vous communiquer une anecdote qui a donné lieu aux bruits injurieux répandus sur mon compte. La voici: Un violoniste nommé D...i Möglicherweise ist hier Duranowski (Durand) gemeint. Vgl. S. 375., qui se trouvait à Milan en 1798, se lia avec deux hommes de mauvaise vie, et se laissa persuader de se transporter avec eux, la nuit, dans un village pour y assassiner le curé, qui passait pour avoir beaucoup d'argent. Heureusement le coeur faillit à l'un des coupables au moment de l'exécution, et il alla dénoncer ses complices. La gendarmerie se rendit sur les lieux, et s'empara de D...i et de son compagnon au moment où ils arrivaient chez le curé. Ils furent condamnés à vingt années de fers, et jetés dans un cachot; mais le général Menou, après qu'il fut devenu gouverneur de Milan, rendit au bout de deux ans la liberté à l'artiste. Le croiriez-vous, monsieur? C'est sur ce fond qu'on a brodé toute mon histoire. II s'agissait d'un violoniste dont le nom finissait en i: ce fut Paganini; l'assassinat devint celui de ma maîtresse ou de mon rival, et ce fut encore moi qu'on prétendit avoir été mis en prison. Seulement, comme on voulait m'y faire découvrir ma nouvelle école de violon, on me fît grâce des fers qui auraient pu gêner mon bras. Encore une fois, puisqu'on s'obstine contre toute vraisemblance, il faut bien que je cède. Il me reste pourtant un espoir; c'est qu'après ma mort la calomnie consentira à abandonner sa proie, et que ceux qui se sont vengés si cruellement de mes succès laisseront en paix ma cendre.«
Es mag unentschieden bleiben, welchen Anteil an diesem Dokumente einerseits das Bedürfnis Paganinis hatte, die öffentliche Meinung über seine Vergangenheit aufzuklären, und wie viel andererseits davon etwa auf Rechnung der Reklame zu stellen wäre. Daß der welsche Virtuose von dem Hange zur letzteren durchaus nicht frei war, beweist folgender von Regli mitgeteilter Vorfall: »Bei seinem Aufenthalte in Triest saß Paganini eines Tages in zahlreicher Gesellschaft bei Tisch. Vor Beendigung der Mahlzeit sprang er plötzlich auf und rief mit verzweifelter Stimme: ›Retten Sie mich, meine Herren, retten Sie mich vor dem Gespenst, welches mich unaufhörlich verfolgt. Sehen Sie es dort, wie es mich mit demselben blutgetränkten Dolche bedrohte, mit dem ich ihm das Leben raubte ... Und sie liebte mich ... und war unschuldig ... Oh, zwei Jahre Kerker sind keine Buße: mein Blut muß bis zum letzten Tropfen vergossen werden ... Mit diesen Worten ergriff er das vor ihm liegende Messer. Man wird leicht denken können, daß man sich beeilte, ihm in den Arm zu fallen. In den Mienen der Anwesenden malte sich Schrecken und Bestürzung, doch beruhigte man sich sogleich, denn der fingierte Othello nahm alsbald wieder seinen Platz ein und gab sich aufs Neue den kulinarischen Freuden hin; worauf es sich denn herausstellte, daß er nur diejenigen hatte lächerlich machen wollen, welche bemüht gewesen, Erdichtungen über ihn zu verbreiten. Eine Tatsache aber war es, daß am folgenden Tage das Theater (in welchem Paganini sich in Triest hören ließ) für das Publikum nicht ausreichte, und daß mehr als tausend Personen abgewiesen und auf das nächste Konzert vertröstet werden mußten.«
Man sieht aus dieser Erzählung, daß Paganini selbst, gleichviel ob mit oder ohne Berechnung, Veranlassung zu den Gerüchten gab, mit welchen man sich über ihn herumtrug. Denn wenn er auch angeblich seine Komödie spielte, um das Unbegründete des über ihn Gesprochenen darzutun, so konnte es bei dem Hange der Menschen, Tatsachen und Mitteilungen in willkürlicher Weise auszuschmücken und zu verdrehen, nicht ausbleiben, daß das Gegenteil seiner Absicht erfolgte.
Keine Frage kann es sein, daß die berauschende Wirkung, welche Paganini allerorten durch seine Leistungen hervorrief, einigermaßen durch die ihm zugeschriebenen rätselhaften und phantastisch gefärbten Lebensschicksale mitbestimmt wurde. Untersucht man die Beschaffenheit dieser Leistungen selbst, so ergibt sich, daß das Geheimnis seiner Kunst in der eigentümlichen Ausbeutung der vorhandenen technischen Mittel beruhte, welche er in individuellster Durchbildung und subjektivster Anwendung zu unerhört frappanten, staunenerregenden Effekten zu benutzen verstand. Allerdings erweiterte er das überlieferte Material in gewissen Beziehungen, indem er die doppelgriffigen Flageolettöne, das Pizzikato und das monochordische Spiel bis zu den äußersten Grenzen ausbildete. Hierbei wurde er insbesondere durch eine gestreckte, magere und sehnige, dabei außerordentlich biegsame Hand begünstigt. Keineswegs hat er aber, wie man vielfach annahm, absolute Neuerungen der Technik eingeführt. Für seine Bestrebungen fand er bei den mitlebenden Violinspielern freilich wenig Haltpunkte, es wäre denn, daß Durand, wie er selbst äußerte, ihm dergleichen gegeben hätte. Die eigentliche Fundgrube für ihn waren vielmehr Locatellis längst vergessene Violinkompositionen, welche durch Paganini somit gleichsam ihre Wiedergeburt erlebten. Sie wurden unverkennbar in mehr als einer Beziehung sein Vorbild. Beispielsweise ergibt dies in schlagender Weise die erste seiner 24 Violinkapricen, welche offenbar ihre Entstehung der Arpeggio-Etüde in Locatellis » L'arte del Violino« verdankt. Natürlich hat Paganini die durch das Studium Locatellis empfangenen Anregungen auf eine seinem eigentümlich erfinderischen Geiste entsprechende Art umgestaltet und im modernen Gewande wiedergegeben.
Im Hinblick auf die Ausbildung seiner Richtung ist Paganini, genau genommen, als Autodidakt zu betrachten, obwohl er in jungen Jahren einige Zeit hindurch zwei Violinspieler seiner Vaterstadt, nämlich Giovanni Servetto und Giacomo Costa, Kapellmeister an der Hauptkirche Genuas, zu Lehrern hatte. Des letzteren Schüler war er nur 6 Monate lang, aber er verdankt ihm dennoch viel. Daneben förderte ihn die bis zu seinem elften Jahre fortgesetzte Übung im Solospiel bei der sonntäglichen Kirchenmusik. Ein Jahr später ließ er sich mit selbstverfaßten Variationen über die damals beliebte » Aria della Carmagnola« im Genueser Haupttheater hören, deren Vortrag allgemeines Aufsehen erregte. Man riet seinem Vater, dem Besitzer eines kleinen Kramladens am Hafen, den talentvollen Knaben zu weiterer Ausbildung auf der Violine und in der Komposition anerkannten Meistern zu übergeben. Wirklich brachte er ihn im Jahre 1795 zu Alessandro Rolla, der damals in Parma lebte. Die Begegnung mit diesem Meister schilderte Paganini selbst in folgenden Worten: »Bei unserem Eintritt in Rollas Wohnung fanden wir ihn leidend und im Bette. Seine Gattin führte uns in ein an sein Schlafgemach stoßendes Zimmer, um die nötige Zeit zu gewinnen, mit ihrem Manne zu sprechen, der wenig aufgelegt schien, uns zu empfangen. Kaum hatte ich auf dem Tische des Zimmers, in welchem wir uns befanden, eine Violine und das neueste seiner Konzerte erblickt, als ich das Instrument auch schon ergriff, und das Stück à vista spielte. Erstaunt darüber, ließ sich der Komponist desselben nach dem Namen des Virtuosen erkundigen, den er soeben gehört: als er erfuhr, daß es ein Knabe sei, war er ungläubig, bis er sich selbst davon überzeugt hatte. Er erklärte mir hierauf, daß er mich nichts weiter lehren könne, und gab mir überdies den Rat, bei Paer Kompositionsunterricht zu nehmen Der von Paganini selbst in einem Wiener Journal veröffentlichte Originaltext lautet: »Giungendo in casa di Rolla noi lo trovammo ammalato ed a letto. La di lui moglie ci introdusse in una camera vicina alla sua, per avere il tempo necessario di parlare con suo marito, il quale sembrava poco disposto a riceverci. Avendo veduto sulla tavola della camera, ove noi eravamo, un violino e l'ultimo concerto di Rolla, diedi di piglio all'istrumento e suonai il pezzo a prima vista. Stupito di quanto egli udiva, il compositore s'informò del nome del virtuoso che aveva udito: quando seppe, ch'egli era un giovinetto, non lo volle credere, fintantochè non se ne fosse assicurato e medesimo. Egli mi dichiarò allora che non aveva più nulla da insegnarmi, e mi consigliò di andare a domandare a Paër delle lezioni di composizione.«.«
Paganini war dennoch einige Monate der Schüler Rollas. Ausdrücklich wird von Regli auf Grund eines von Gervasoni herrührenden Zeugnisses hervorgehoben, daß er wöchentlich drei Lektionen während der oben angegebenen Zeit von ihm erhielt. In der Komposition unterwies ihn aber nicht Paer, der sich damals in Deutschland aufhielt, sondern dessen Lehrmeister Ghiretti in Parma. Während dieser Periode erging sich der jugendliche Virtuose schon in Spekulationen hinsichtlich der Effekte, welche er später in seinem Spiel anwendete. Oft fand deshalb ein Meinungsaustausch zwischen ihm und Rolla statt, dessen gediegene Richtung derartigen Extravaganzen völlig widerstrebte.
Nachdem Paganini Parma verlassen und wieder in seine Vaterstadt zurückgekehrt war, begann für ihn die eigentliche Studienzeit. Unwiderstehlich drängte es ihn zur Verwirklichung der Probleme, die seiner lebhaften Einbildungskraft bisher als Phantasiebilder vorgeschwebt hatten. Man sagt, daß er täglich 10-12 Stunden studiert und die von ihm entworfenen Kombinationen tausendfältig durchprobiert habe, bis er endlich ermattet zusammengesunken sei. Die dadurch gewonnenen Resultate erkaufte er freilich mit einer kränklichen, nervenüberreizten Konstitution, an deren Symptomen er sein lebelang litt. Paganini soll übrigens schon in früher Jugend von konvulsivischen Anfällen heimgesucht worden sein, die sich auch in seinen späteren Lebensjahren wiederholten und einen nachteiligen Einfluß auf sein Befinden ausübten. Nur während des Spielens sei ihm davon nichts anzumerken gewesen.
Im Jahre 1801 unternahm Paganini seine erste Kunstreise, die ihn durch Oberitalien nach Toskana führte. Längere Zeit hielt er sich in Livorno auf und gab dort Konzerte. Seine Herrschaft über das Griffbrett war damals bereits so unfehlbar, daß er es wagen konnte, öffentlich jede beliebige Komposition vom Blatt vorzutragen. Dieses Kunststück, zu dessen Gelingen eben eine Virtuosennatur wie die Paganinische gehört, trug ihm eine kostbare Guarnerigeige als Geschenk eines Livorneser Musikenthusiasten ein. Kaum aber hatte er mit günstigstem Erfolg seine Virtuosenlaufbahn begonnen, so warf er das bisher mit aufopfernder Hingebung kultivierte Instrument plötzlich beiseite. War es eine natürliche Reaktion seiner maßlos übertriebenen Exerzitien, die ihn dazu trieb, oder einer jener unvermittelten Sprünge, zu denen exzentrische Charaktere so leicht hinneigen? Wer vermag es heute noch zu ergründen! Genug, Paganini bemächtigte sich der Gitarre, jenes prosaischen Instrumentes, das er mit eben so großer Virtuosität gehandhabt haben soll, wie die Violine, und trieb daneben auf dem Landsitz einer Dame, die seine Neigung fesselte, agronomische Studien. Mit diesem Zeitvertreib brachte er vier Jahre hin. Dann aber griff er 1805 aufs neue zur Violine und begab sich wieder auf die Wanderschaft. Er kam nach Lucca. Hier trat er zuerst in einem bei Gelegenheit eines nächtlichen Kirchenfestes stattfindenden Konzerte vor das Publikum, dessen Enthusiasmus bis zu einem solchen Grade stieg, daß die zur Andacht versammelten Ordensbrüder ihre Plätze verlassen mußten, um die hervorbrechenden Beifallsbezeigungen zu unterdrücken. Der Lucchesische Hof engagierte ihn sofort als Soloviolinisten und Lehrer des Prinzen Bacciochi. In diesem Verhältnis lebte Paganini drei Jahre, unablässig an der Vervollkommnung seiner ihm eigentümlichen Technik arbeitend. Namentlich bildete er hier das Spiel auf einer Saite aus. Über die Veranlassung dazu äußerte er sich selbst gegen einen Freund, wie folgt Regli, Storia del Violino in Piemonte. : »In Lucca leitete ich das Orchester jedesmal, wenn die regierende Familie der Oper beiwohnte. Es ereignete sich oft, daß ich zu den Hofcirkeln zugezogen wurde, und aller vierzehn Tage gab ich Akademien. Die Fürstin Elisa (Bacciochi, Schwester Napoleons I.) zog sich stets vor dem Ende derselben zurück, weil die Flageolettöne meines Instruments ihre Nerven zu sehr angriffen. Eine außerordentlich liebenswürdige Dame, welche ich seit geraumer Zeit im Stillen verehrte, zeigte sich sehr fleißig in diesen Zusammenkünften, und ich glaubte in ihr eine geheime Neigung für mich zu entdecken. Allmählich wuchs unsre gegenseitige Leidenschaft. Eines Tages versprach ich ihr, sie im nächsten Konzert mit einer musikalischen Galanterie zu überraschen, welche sich auf unser Freundschafts- und Liebesverhältnis beziehe; gleichzeitig ließ ich bei Hofe eine Neuigkeit unter dem Titel einer Liebesszene anmelden. Lebhaft wurde dadurch die allgemeine Neugierde erregt; aber wie groß war das Erstaunen der Gesellschaft, als man meine Violine mit nicht mehr als zwei Saiten bezogen sah. Ich hatte nur die g- und e-Saite darauf gelassen; diese sollte die Gefühle einer Jungfrau ausdrücken; jene einem leidenschaftlich Verliebten die Stimme leihen. Ich hatte dafür eine Art von zärtlichem und sentimentalem Dialog gesetzt, in welchem die süßesten Worte mit den Ausbrüchen der Eifersucht abwechselten. Es waren bald einschmeichelnde, bald klagende Weisen; es waren Aufschreie des Zornes und der Freude, des Schmerzes und des Glückes. Ich endete natürlich mit einer Versöhnung, und das Liebespaar, verliebter noch als vorher, führte einen › passo a due‹ aus, welcher mit einer brillanten Coda schloß. Diese Scene machte Glück; ich rede nicht von den Blicken, welche die Dame meiner Gedanken auf mich warf. Die Fürstin Elisa, nachdem sie mir die größten Komplimente gemacht, sagte mit vieler Grazie: ›Sie haben das Unmögliche auf 2 Saiten geleistet; würde eine allein Ihrem Talente nicht genügen?‹ Ich versprach alsbald einen Versuch zu machen. Dieser Gedanke reizte meine Imagination und nach einigen Wochen komponirte ich für die g-Saite eine Sonate, welche ich unter dem Titel › Napoleone‹ am 26. August vor der glänzenden und zahlreich versammelten Hofgesellschaft ausführte. Der Erfolg übertraf bei Weitem meine Erwartung, und mit dem Tage begann meine Vorliebe für die g-Saite. Mein Publikum wurde nicht müde, die für dieselbe von mir geschriebenen Musikstücke zu hören, und da ich meine Sonaten immer unaufhörlich wiederholen mußte, so erreichte ich jene Leichtigkeit der Ausführung, welche jetzt für Sie nichts Überraschendes haben wird.«
Im Sommer 1808 verließ Paganini Lucca, bald in dieser, bald in jener italienischen Stadt seinen Wohnsitz nehmend, bald vom Schauplatz der Öffentlichkeit spurlos verschwindend, bald durch seine Leistungen die Menge von neuem elektrisierend. Eine feste Stellung nahm er nicht wieder an. Zunächst ging er nach Livorno, wohin ihn angenehme Erinnerungen zogen. Diesmal wurde ihm der Aufenthalt daselbst durch kleine Widerwärtigkeiten verleidet. Doch er spreche selbst darüber: »In einem in Livorno gegebenen Konzerte drang mir ein Nagel in die Ferse; ich kam hinkend auf die Szene, und das Publikum begann zu lachen. Im Begriffe, mein Konzert zu beginnen, fielen die Lichter des Notenpultes zur Erde: Neue Ausbrüche des Lachens im Publikum. Endlich platzte nach den ersten Takten die e-Saite, wodurch die Heiterkeit auf den Gipfel stieg. Indessen spielte ich das Stück auf drei Saiten und machte Furore.« Später wiederholte sich der Unfall mit der Quinte einige Male, und man hatte im Hinblick darauf Paganini vielfach im Verdacht, daß dahinter die Absicht einer bloßen Effekthascherei stecke, während er doch nur Stücke spiele, die für drei Saiten berechnet und demgemäß einstudiert seien.
Daß eine derartige Beurteilung Paganinis sehr bald in weitere Kreise gedrungen war, beweist die ungünstige Meinung des französischen Geigenmeisters Lafont über denselben. Ferd. Hiller »Künstlerleben« II, 53. erzählt darüber nach Rossinis mündlichem Bericht folgendes: »Lafont kam nach Mailand mit der eigentümlichen Voraussetzung, Paganini sei eine Art von Charlatan, und er wollte nun kurzen Prozeß mit ihm machen. So lud er ihn denn ein, in seinem Konzerte in der Scala etwas mit ihm zusammen zu spielen. Paganini kam zu Rossini und fragte ihn, ob er dieser Einladung Folge leisten solle. ›Du mußt es thun‹, war die Antwort, ›damit Jener nicht glaube, es fehle Dir an Muth, Dich mit ihm zu messen.‹ Lafont schickte ihm die Solostimme zu; aber Paganini wollte davon nichts wissen und meinte, die Orchesterprobe sei hinreichend. In dieser spielte er seine Partie sehr platt und glatt vom Blatt herunter. Abends aber wiederholte er die Variationen, die Lafont vor ihm vorzutragen hatte, in Oktaven, Terzen, Sexten, so daß der arme Franzose in die äußerste Verwirrung geriet, und nicht einmal so gut spielte, als er dessen doch fähig war. Rossini machte Paganini wegen dieses Mangels an musikalischer Loyalität Vorwürfe; aber er lachte in seinen Bart. Lafont jedoch reiste wütend nach Paris zurück, und Paganini wurde dort für einen Charlatan gehalten, bis er später die Pariser eines Besseren belehrte.«
Diese für Lafont nicht erfreuliche Begegnung mit Paganini ereignete sich im Jahre 1812. Zwei Jahre später hielt Paganini sich in Bologna auf. Von hier ging er nach Rom. In stiller Zurückgezogenheit verbrachte er dort ein beinahe dreijähriges Inkognito, welches ihm ein langwieriges Leiden auferlegte. Dann trat er wieder vor das Publikum; doch aufs neue warf ihn tötliche Krankheit darnieder, infolge deren seine Tätigkeit durch eine lange Pause unterbrochen wurde. Ein berühmter italienischer Arzt richtete ihn, da er das Leiden nicht erkannte, beinahe zugrunde. Den letzten Unfall, der seinen ohnedies schwächlichen Körper noch mehr reduzierte, erlitt er in Prag. Dort wurde er durch das unvorsichtige Herausziehen eines schadhaften Zahnes an der Kinnlade so verletzt, daß er die ganze untere Zahnreihe verlor.
Im Jahre 1824 erschien Paganini wieder in Mailand, dann aber in Venedig und Neapel. Die letztere Stadt besuchte er zum dritten Male. Der lebhafte Anteil, welchen er dort bei seiner früheren Anwesenheit erregt hatte, steigerte sich diesmal, trotz der neapolitanischen Indifferenz gegen Instrumentalmusik, bis zu glühendem Enthusiasmus. 1827 konzertierte er abermals in Rom.
Paganini hatte bisher sein Vaterland noch nicht verlassen. Schon während seines ersten römischen Aufenthaltes war er durch den dort zeitweilig anwesenden Fürsten Metternich eingeladen worden, Wien zu besuchen. Doch erst jetzt, im Jahre 1828, betrat er diese Residenz und mit ihr das Gebiet der deutschen Zunge. Sein dortiges Erscheinen bezeichnete den Beginn einer ununterbrochenen Kette von Triumphen, welche er während eines dreijährigen Zeitraumes in den Hauptstädten Österreichs, Sachsens, Bayerns und Preußens feierte. Daran schloß sich seine Pariser Glanzperiode, die mit dem am 9. März 1831 erfolgten Debüt in dem Opernhause begann. Mitte Mai desselben Jahres ging er nach England, überall, zumal in London, als Violinwunder angestaunt und gepriesen. In der Folge bereiste er Belgien und Frankreich. Bald sah er sich im Besitz eines bedeutenden Vermögens, welches er bei seiner Rückkehr nach Italien im Sommer 1834 zum Ankauf beträchtlicher Güter verwendete. Ermattet von den Anstrengungen der unternommenen Reisen suchte er Ruhe auf der zu seinen Besitzungen gehörenden Villa Gajona bei Parma. Nur gelegentlich verließ er dieselbe, um Städte wie Genua und Mailand vorübergehend zu besuchen. Noch seltener trat er vor das Publikum. Es wird nur von einem Konzerte berichtet, welches er Ende 1834 in Piacenza zum Vorteil der dortigen Armen gab. Doch wurde er nochmals aus seinem stillen Lebenskreise nach dem lärmenden Paris gezogen, und zwar durch ein Anerbieten, mit welchem für ihn eine bittere Erfahrung verbunden war. Einige französische Spekulanten machten ihm 1836 den Vorschlag, sich persönlich an der Begründung eines angeblich für tonkünstlerische Zwecke in Paris zu eröffnenden Kasinos zu beteiligen, das seinen Namen führen sollte. Paganini ging hierauf ein, sah sich aber bald getäuscht; denn hinter dem musikalischen Aushängeschild des Unternehmens steckte nichts anderes, als ein Etablissement für das Hazardspiel, dem übrigens Paganini selbst leidenschaftlich ergeben war. Die Regierung erstickte diese Spekulation in ihrem Entstehen, und so war man ausschließlich auf musikalische Produktionen beschränkt, deren Ertrag aber um so weniger mit den sehr bedeutenden Herstellungskosten im Gleichgewicht stand, als Paganinis Gesundheitszustand, vielleicht auch eine Verstimmung über die ihm bereitete Täuschung, seine persönliche Mitwirkung vereitelte. Dieser Umstand zog ihm einen Prozeß zu, in welchem er zu Leistung eines Schadenersatzes von 50 000 Franken oder verhältnismäßiger Gefängnisstrafe verurteilt wurde. Doch der widerwillig ausgenutzte Künstler erlebte die Vollstreckung dieses Erkenntnisses nicht, da er, bereits lange an Kehlkopfschwindsucht leidend, zu der Zeit, als dasselbe ausgesprochen wurde, in Nizza am 27. Mai 1840 seinen Geist aufgab. Für das von ihm hinterlassene Vermögen, welches auf zwei Millionen Franken geschätzt wurde, setzte er seinen natürlichen, mit der Sängerin Bianchi gezeugten Sohn Achillo als Universalerben ein. Außerdem bedachte er Verwandte und andere ihm werte Personen durch Schenkungen und Legate im Gesamtbetrage von etwa 110 000 Franken. Die Mutter seines Sohnes wurde mit einer Rente von 1200 Franken abgefunden Die Mitteilung, daß Paganini dem französischen Komponisten H. Berlioz zur Ermunterung seines Talentes eine Summe von 20 000 Franken habe zukommen lassen, ist einer Angabe Rossinis zufolge nicht richtig. Paganini soll zu einem Geldgeschenk dieses Betrages, welches von Armand Bertin, dem Besitzer des » Journal des Débats«, herrührte, eben nur seinen Namen hergegeben haben. S. F. Hillers »Künstlerleben«.. Seine Lieblingsgeige, einen prachtvollen Guarneri, vermachte er dagegen seiner Vaterstadt Genua. Dieselbe wird dort in einem Wandschranke unter wohlversiegeltem Glasgehäuse aufbewahrt und Liebhabern auf besonderes Verlangen als Kuriosität gezeigt. Doch darf sie niemand berühren, und so liegt dieses kostbare Instrument leider unbenutzt da Ich sah sie selbst dort. – Kürzlich wurde sie von Br. Huberman öffentlich gespielt..
Als Mensch erfuhr Paganini die widersprechendsten Urteile. Gewiß war sein Wesen von Bizarrerien ebensowenig frei wie seine Leistungen. Wenn man ihn aber der Geldgier beschuldigte, so hat man keine haltbaren Beweise dafür gegeben. Alles, was man in dieser Beziehung gegen ihn vorbrachte, ist einfach darauf zurückzuführen, daß er sich seine außerordentlichen Leistungen in außerordentlicher Weise, und zwar nach Maßgabe der Umstände und Verhältnisse honorieren ließ. So setzte er ungewöhnlich hohe Eintrittspreise zu seinen Konzerten an, die indes zu besuchen oder zu vermeiden eine Sache des freien Entschlusses war. Von einem Lord forderte er in lakonischer Weise eine namhafte Summe für einige Musikstunden, die er dessen Tochter gegeben, und als König Georg IV. ihm die Hälfte des Honorars anbieten ließ, welches er für eine Produktion bei Hofe im Betrage von 100 Pfd. Sterling begehrt hatte, antwortete der Künstler: »Seine Majestät der König kann mich für bedeutend geringeren Preis hören, wenn er mein Konzert im Theater besucht.« Was derartige Fälle betrifft, so dürfte Paganini keineswegs zu tadeln sein, daß er vornehmen und begüterten Persönlichkeiten gegenüber, denen er in keiner Weise Rücksichten schuldete, hohe Forderungen stellte, zumal die Vertreter der vornehmen Gesellschaft nur zu oft in dem Glauben befangen sind, daß Kunst und Künstler lediglich zu ihrem Amüsement existieren. Von dem Hange zu übertriebener Sparsamkeit und einer gewissen Knauserei scheint Paganini dagegen nicht freizusprechen zu sein. Rossini erzählte darauf bezüglich: »Sein Geiz war so groß wie sein Talent, und das will nicht wenig sagen. Als er in Paris Tausende verdiente, ging er mit seinem Sohn in eine Restauration zu 2 Francs, ließ sich da für beide ein Diner geben und nahm noch eine Birne oder ein Stück Brod für das Frühstück seines Knaben mit nach Hause. Er hatte den sonderbaren Wunsch, Baron zu werden, und fand auch in Deutschland einen Menschen, der ihm dazu verhalf, sich aber schließlich eine nicht geringe Summe dafür zahlen ließ. Vor Ärger und Verdruß bekam er eine Krankheit, die Monate dauerte S. Hillers »Künstlerleben«..« Da Paganini verschied, ohne die Sterbesakramente empfangen zu haben, deren Annahme ihm durch sein schmerzensvolles Ende unmöglich gemacht wurde, so durften seine irdischen Überreste nicht dem geweihten Boden des Kirchhofs übergeben werden. Sie verblieben daher so lange über der Erde in einem Parterrezimmer des nizzardischen Hospitals, bis nach mehrjährigen Verhandlungen die Verordnung der betreffenden Kirchenbehörde durch einen von Rom aus ergehenden Dispens aufgehoben wurde. Seine irdischen Überreste ruhen bei der Kirche jenes Städtchens Gajona, in welchem Paganini eine Villa besaß. Sie wurden im Mai 1845 auf Veranlassung seines Sohnes dahingebracht.
Paganinis Wirken glich einem phantasmagorischen Traumbild, in dem sich Wahrheit und Schein, geistig Bedeutendes und fremdartig Originelles, vielleicht auch unschön Bizarres kaleidoskopisch zu einem seltsamen Ganzen unentwirrbar verschlangen. Wie ein Komet erschien er, vollendete seine eigene Bahn, verschwand wieder und ließ kaum so viele Spuren seiner künstlerischen Existenz zurück, um sich heute noch eine vollkommene Vorstellung von seinen eigentümlichen Leistungen machen zu können. Ein leuchtendes Meteor also nur, trotz allem und allem! Er, der Superlativ des Virtuosentums, vermochte die Tonkunst in Wahrheit weder zu fördern, noch zu bereichern. Wie bedeutend er auch in seiner Eigenartigkeit dastand, – in rein musikalischen Dingen ließ er mehr zu wünschen übrig, als mancher anspruchslose Ripienist. Wohl trug er neben seinen Kompositionen bisweilen auch die Werke anerkannter Meister vor, doch war er zu befangen in seiner einseitigen Manier, um ihnen gerecht zu werden. So ließ er sich zu Paris mit Konzerten von Viotti und Kreutzer hören, allein, wie begreiflich, ohne sonderlichen Erfolg. Sein Bewunderer C. Guhr bemerkt, dies bestätigend, in seinem Werk »Paganini's Kunst die Violine zu spielen«: Es sei ihm nicht gelungen, in das Fremde einzudringen, und er wäre in dem Streben, aus sich herauszugehen, gehemmt gewesen. Beim Vortrag selbst Beethovenscher und Mozartscher Quartette habe er ebensowenig sein Ich ganz verleugnen können, und durch die Ideen dieser Meister schienen immer seine eigenen durchzuringen, da er denn sehr habe an sich halten müssen, um, durch das Vollendete seines Mechanismus angespornt, nicht kühne Gänge und Wendungen einzuflechten.
Indessen, wenn Paganinis Musikertum auch nicht besser beschaffen war, als dasjenige der Virtuosenwelt überhaupt, so würde man doch sehr unrecht tun, ihn ohne weiteres mit dem Maße seiner Genossen messen zu wollen. Eine so außerordentliche Natur wie Paganini darf in diesem wie in jedem anderen Betracht eine Ausnahmestellung für sich in Anspruch nehmen. Er war eben kein gewöhnlicher Virtuose wie andere, denen es nur darauf ankommt, durch staunenerregende Fingerdressur zu glänzen. Von einem so untergeordneten Standpunkte hielt sich Paganini zur Hauptsache weit entfernt. Er wollte künstlerische Wirkungen hervorbringen und erzielte sie auf seine Art wirklich in einer bisher ungekannten Weise. Seine Technik trieb er keineswegs um ihrer selbst willen; sie war ihm Mittel zu einem Zweck, zwar nicht zu jenem höheren Zweck, den wir allgemein als das einzig wahre Ziel des ausübenden Künstlers erkennen, immerhin aber doch zu einem solchen, dem ein Geistiges, phantastisch Geschautes und durchaus Charakteristisches innewohnt. Sehr bezeichnend erscheint es für Paganini, daß man, wie einstimmig von vielen Seiten bestätigt wird, bei seinem Spiel die Geige, als Tonwerkzeug, gedacht, völlig vergaß, ein sprechender Beweis für die geistig zwingende Herrschaft, welche er ausübte. Dies wurde von allen denen nicht gebührend anerkannt, die geneigt waren, mit asketisch intolerantem Sinn nach einem fertigen, in Bereitschaft gehaltenen Schema jede Erscheinung zu beurteilen In diese Kategorie gehört beispielsweise der Bericht Kästners in dessen »Römischen Studien«, welcher deutlich genug den verbissenen Winkelstandpunkt eines forcierten Klassizismus erkennen läßt. Es sei hierbei bemerkt, daß Paganini seinerzeit eine ganze, zum Teil polemische Literatur veranlaßte.. Unter ihnen befanden sich selbst Fachmänner wie Spohr. Ihm, dem höchst normal gearteten Meister, der sich nicht einmal durchaus mit Kunstheroen wie Bach, Händel und Beethoven zu befreunden vermochte, waren derartige von dem schulgerechten Wege abweichende Naturen, namentlich wenn sie seiner Meinung nach die Würde der Kunst zu verletzen schienen, zuwider. In einigermaßen geringschätzigem Tone bemerkte er, wie er schon in seinem zwölften Jahre die Wranitzkyschen Variationen über »Ich bin liederlich« habe spielen können, worin alle jene Kunststücke vorkämen, mit denen Paganini später die Welt entzückte, – als ob die von ihm hervorgebrachten Wirkungen vornehmlich oder einzig in diesen Kunststücken beruhten, die übrigens doch noch andere technische Forderungen an den Spieler stellen, als der Wranitzkysche harmlose Scherz. Anerkennender sprach sich Spohr später aus, obwohl aus seinem Urteil hervorgeht, daß ihm Paganinis Erscheinung im ganzen genommen wenig sympathisch war. Er sagt: »Im Juni 1830 kam Paganini nach Cassel und gab zwei Konzerte im Theater, die ich mit dem höchsten Interesse anhörte. Seine linke Hand, sowie die immer reine Intonation schienen mir bewundernswürdig. In seinen Kompositionen und seinem Vortrage fand ich aber eine sonderbare Mischung von höchst Genialem und kindisch Geschmacklosem, wodurch man sich abwechselnd angezogen und abgestoßen fühlte, weshalb der Totaleindruck nach öfterem Hören für mich nicht befriedigend war.« Übrigens berichtet Spohr an einer anderen Stelle in seiner Selbstbiographie, Paganini habe ihm in Venedig (Ende 1816) unter vier Augen gestanden, »seine Spielart sei für das große Publikum berechnet und verfehle bei diesem nie ihre Wirkung«.
In einem anderen Lichte als Spohrs Kundgebung erscheint der dem Künstler gewidmete, jugendlich schwärmerische Anteil Robert Schumanns. Er war eigens von Heidelberg nach Frankfurt hinübergefahren, um ihn zu hören. Nur die folgenden wenigen Worte: »Abends Paganini – Entzückung (war's nicht so?) – ferne Musik und Seligkeit im Bette –« verzeichnete er in betreff dieses Erlebnisses in sein Tagebuch. Doch lassen sie genügend seine warme Begeisterung erkennen. Bestätigt wird dieselbe durch Schumanns Bearbeitung der Paganinischen Violinkapricen für Pianoforte S. Schumanns Biographie v. Verf. d. Blätter. Aufl. IV, S. 98-101..
Eine charakteristische, den Stempel unmittelbarer Auffassung tragende Schilderung gibt A. B. Marx in seinen »Erinnerungen« Verlag von O. Jancke. Berlin 1865. von Paganinis Wesen und Leistungen. Er schreibt: »Das Opernhaus war überfüllt. Alles harrte in Spannung. Irgend eine Ouverture war gespielt worden. Unhörbaren Schritts, unvorhergesehn, einer Erscheinung gleich, war er an seine Stelle gelangt, und schon tönte, sprach seine Geige zu der Menge, die noch atemlos hinstarrte nach dem totenbleichen Manne mit den tief eingesunkenen, wie schwarze Diamanten aus dem bläulichen Weiß hervorfunkelnden Augen, mit der überkühn gezeichneten römischen Nase, mit der hochgewölbten Stirn, die sich aus dem schwarzen, wild durcheinander geworfenen Lockengewirr des Haupthaares hervorhob.
Bald nach diesem ersten Anblick traf ich mit dem seltsamen Manne bei Mendelssohn's am Familientisch zusammen. Er war still und sehr freundlich; nichts hatte einen Fremden auf phantastische oder gar unheimliche Vorstellungen gebracht. Und dennoch blieb der erste Eindruck haften. Der Mann erschien ein Verzauberter und wirkte verzaubernd, nicht auf mich allein, auf Diesen oder Jenen, sondern auf Alle.
Nun stand er da, und sogleich hastiger Anfang des Ritornells, in dem er mit einzelnen Tonfunken das Orchester leitet und durchblitzt – ohne Vollendung einer Phrase, ja ohne Auflösung einer etwa ergriffenen Dissonanz; und nun der schmelzendste und kühnste Gesang, wie er nie auf einer Geige gedacht worden ist, der unbekümmert, unbewußt über alle Schwierigkeiten hinwegschreitet, in den sich die kühnsten Blitze eines höhnisch zerstörenden Humors werfen; bis sich das Auge zu tieferer, schwärzerer Glut entzündet, die Töne schneidender, stürzender rollen – daß man meint, er schlüge das Instrument; wie in wahnsinniger Liebespein jener unglückliche Jüngling das Bild der Treulosen, Gemordeten zart formt, und grimmig zertrümmert und wieder unter Thränen zart formt. Dann ein Fußstampfen – und das Orchester stürmt darein und verhallt in dem Donner des beispiellosen Enthusiasmus, den der Künstler kaum gewahrt, oder mit einem tief hinabdrückenden Blicke beantwortet, oder auch mit einem rundum schweifenden Lächeln, bei dem sich der Mund seltsam öffnet und die Zahnreihen hell zeigt; es scheint zu sagen: so müßt Ihr mir zujauchzen, welcher ich auch sei, welche Laune mir auch mein Leiden eingiebt, welche Lasten sich auch meinem Fuß angehängt und den jugendlich frohen, kühnen Schritt gelähmt haben. Ehe man dies denken kann, ist er dem Blick entzogen; und wer sein Bild im Auge und Geist gefaßt hat, begreift nur nicht, warum sie noch Musik machen, von Mozart und Mercadante, bis er wiederkommt.
Dann rollte er uns wohl ein Gemälde voller Lust auf: aber welcher! So hat vielleicht vor Ferdinand und Isabella von Spanien ein verkappter Maure den zerstörten Granatenhain, die Herrlichkeiten der noch in ihren Trümmern entzückenden Alhambra bedungen, in der sein Volk, sein Haus, die Mutter und Geliebte, die zarten Geschwister hingeschlachtet wurden, daß er nun ganz vereinsamt durch die Welt zieht, und über den glühenden Sand der Wüste hinjagt, und auf Tod und Leben die Rückkehr wagt und die alte frohe Zither mißhandelt und peinigt zu jenen Tönen der Lust, und dabei in Schmerz vergeht vor dem verlorenen Paradiese.
Es war ein eigentümlich Ding um diesen Mann. Was man äußerlich aus seinem Spiel herausnehmen und bewundern konnte, – diese allen Andern unmöglich scheinenden Spielfiguren, diese Mischung von gestrichenen und gerissenen Tönen ( coll' arco und pizzicato) in Einem schnell dahinrollenden Lauf, diese Oktavengänge auf Einer Saite (die tiefere Oktave in blitzschnellem, kaum merkbarem Vorschlag), das alles waren nur Mittel, bedeutete an sich für den Mann gar nichts; die innere Poesie seiner vor unseren Augen ihre Schöpfungen vollendenden Phantasie: das war es, was die Hörer gefangen nahm und dahin zog in die Ferne zu fremdartigen Gesichten.
Und wiederum, wenn diese Geige für sich erklang und bang erseufzte, wie in süßer Liebesnoth, oder wechselnd damit hastige Laute murmelte, wie eine geschäftige Alte zwischen Lachen und Weinen Botschaft und Trost, Liebesschwüre und höhnischen Verrath durcheinanderwirrt: das war nicht Geigenspiel, nicht Musik, sondern Zauberei – also doch Musik, nur nicht die landläufige.«
Nur nicht die landläufige! das ist es eben, was manche zu einem absprechenden Urteil über Paganini verleitete. Um gerecht zu sein, muß man ihn als Spezialität an seiner Stelle gelten lassen; denn er offenbarte eine wirkliche Potenz, die dem Virtuosentum von métier abgeht. Freilich empfahl sich eine so scharf zugespitzte individuelle Erscheinung nicht als Muster des Violinspiels; noch weniger vermochte Paganini selbst eine Schule zu begründen. Daß dem also ist, beweisen seine Nachahmer, die es höchstens entweder nur bis zu karikierten oder zu schwächlich verwässerten Nachbildern, wenn nicht gar zu einem unerquicklichen Gemisch von beidem brachten.
Noch mehr! Bei reiflichem Nachdenken ist leicht zu erkennen, daß das Studium der Paganinischen Kompositionen keinen wesentlichen Gewinn ergibt. Man steigert seine innere Qualität als Violinspieler nicht im mindesten, macht sich nicht um eine Haaresbreite fähiger für den Dienst der Tonkunst, wenn man einfache und doppelte Flageolettöne in ganzen Tonfiguren, komplizierte Pizzikatos mit der linken Hand usw. virtuosenmäßig auszuführen imstande ist. Die Behauptung Guhrs S. dessen Werk: »Paganini's Kunst die Violine zu spielen«, in welchem sich nähere Aufschlüsse über die technischen Mittel finden, deren Paganini sich bediente (Mainz, Schotts Söhne)., das Studium des Flageolettspiels fördere und steigere die Reinheit der Intonation, erscheint mindestens zweifelhaft, wenn man sich vergegenwärtigt, daß ein Geiger wie Ernst z. B., welcher eine außerordentliche Gewandtheit darin besaß, häufig auffallend unsauber intonierte, während andere bedeutende Violinisten, die dieses Effektmittel durchaus ignorierten, völlig rein spielten. Auch würde das von Guhr zum Vorteil für die Intonation angeratene Flageolettstudium einen absolut reinen Saitenbezug erfordern, der jedoch in den seltensten Fällen herzustellen ist. Und selbst bei einem solchen erscheint es fraglich, ob die Griffpunkte aller Flageolettöne mit den natürlichen Tönen genau zusammenfallen. Die Hauptsache bleibt offenbar immer ein feines, durch sorgfältiges Skalenstudium geschärftes Gehör.
Man könnte hier entgegnen, daß auch Ferd. David in seiner Violinschule der Übung des Flageolettspiels das Wort redet, indem er sagt, dasselbe habe den Nutzen, daß es zur vollkommenen Reinheit der Intonation führe. Sein Spiel lieferte indessen gleichfalls keinen Beweis für die Richtigkeit dieser Behauptung, da er bekanntlich mehrenteils etwas zu hoch intonierte.
Ein prinzipieller Gegner des Flageolettspiels war Ludw. Spohr. Er bemerkt über dasselbe in seiner Violinschule: »Wäre das Flageolett auch selbst ein Gewinn für die Kunst und eine Bereicherung des Violinspiels, die der gute Geschmack billigen könnte, so würde es durch Aufopferung eines großen und vollen Tones doch zu teuer erkauft werden, denn mit diesem ist es unvereinbar, weil die künstlichen Flageolettöne nur bei ganz schwachem Bezug ansprechen, und auf diesem ist kein großer Ton möglich.«
Daß es ausnahmsweise erwünscht sein kann, ein oder das andere Paganinische Stück zu spielen, um gewisse Eigentümlichkeiten des Autors kennen zu lernen, soll nicht in Abrede gestellt werden. Allein eine nachhaltigere Hingabe an seine Kompositionen ist einigermaßen bedenklich, weil sie, wie die Erfahrung gelehrt hat, zu einer abseitführenden Einseitigkeit und damit zu einer Entfernung von der eigentlichen Werktätigkeit des ausübenden Künstlers verleitet. Zudem gebricht es der Violinliteratur in keiner Beziehung an reichlich erschöpfendem Studienmaterial, und es hat genug auserlesene Geiger gegeben, die sich wenig oder gar nicht mit Paganinischen Kompositionen befaßt haben. Überdies bleibt die Wiedergabe seiner Werke, da sie nicht zugleich den Geist ihres Urhebers auf den Spieler übertragen, immer höchst problematisch: sie sind jener fabelhaften Sphinx vergleichbar, deren Rätsel, nachdem es vielen das Leben gekostet, nur von einem Ödipus gelöst werden konnte.
Bei weitem nicht alle unter dem Namen Paganinis erschienenen Kompositionen sind authentisch. Er selbst erkannte ausdrücklich nur die 84 geistreich gestalteten Capricci, o studi per Violino solo, Op. 1; 12 Suonate per Violino e Chitarra, Op. 2 und 3 In D. Alards » Maitres classiques« ist Nr. 1 aus Op. 2 und Nr. XII aui Op. 3 neu herausgegeben., und 6 Quartetti per Violino, Contralto, Chitarra e Violoncello, Op. 4 und 5 an. Von seinen Konzertstücken pflegte er nur die Orchesterpartie aufzuschreiben, um die Solostimme ausschließlich für sich zu reservieren. Doch hat es nicht an Leuten gefehlt, die das von ihm Gehörte, so gut es ging, nach der Erinnerung aufzeichneten. Aus diesem Grunde sind die von ihm bei seinen Lebzeiten und nach seinem Tode erschienenen Violinkompositionen, soweit sie nicht zu den vorgenannten gehören, wohl als apokryphe zu bezeichnen Riemann (Mus.-Lex. 6. Aufl.) gibt außer den obigen noch 2 Violinkonzerte (es-dur und h-moll Op. 6 und 7), verschiedene Variationenwerke ( Op. 8, 9, 10, 12, 13 und eines ohne Opuszahl), sowie ein »Konzertallegro« ( Op. 11) als echt an. – Nach einer Zeitungsnotiz wäre kürzlich in Perugia eine größere Anzahl (14) Originalmanuskripte Paganinis aufgefunden worden. Näheres hierüber ist dem Herausgeber nicht bekannt geworden..
Paganinis Einfluß auf das Violinspiel seiner Zeit äußerte sich am fühlbarsten und nachhaltigsten in der französischen Schule, während Deutschland nur in vereinzelten Fällen vorübergehend von demselben berührt wurde. Das Vaterland des Künstlers selbst begnügte sich mit dem Ruhme, ihn hervorgebracht zu haben und in einem zweiten Genueser Kinde einen Schüler von ihm zu besitzen.
Dieser ist Ernesto Camillo Sivori. Er wurde am 25. Oktbr. 1815 in Genua geboren, zeigte sehr frühzeitig ungewöhnliche Anlagen zum Violinspiel und war zunächst der Schüler Costas, durch den seine Fähigkeiten so trefflich entwickelt wurden, daß Paganini sich mit großem Interesse seiner höheren Ausbildung widmete. Diesem Umstande muß die Richtung zugeschrieben werden, welche Sivori als Geiger vertrat; denn er gehörte dem exklusiven Virtuosentum an, und dieses besaß in ihm einen seiner namhaftesten Repräsentanten der Neuzeit.
Sivori gebot über eine Technik, die keine Schwierigkeiten kannte. Seine Tonbildung war ungemein geklärt und wohllautend. Doch wußte er die schönen ihm zu Gebote stehenden Mittel oft nicht für höhere oder auch nur eigentümliche künstlerische Wirkungen zu verwerten. Es fehlte ihm eben gänzlich an jenen geistigen Eigenschaften, durch die das Virtuosentum sich, wie bei seinem Vorbilde, im einzelnen Falle rechtfertigen kann. Während Paganini das Unerhörte mit mächtiger Faust packte und, alle Fesseln sprengend, in eigenwillig dämonischer Weise berückend darstellte, erging sich Sivori vielfach in Experimenten, deren unfruchtbares Wesen entweder gleichgültig läßt, oder höchstens nur ein tiefes Bedauern im Hinblick auf die offenbarte künstlerische Verirrung einzuflößen vermag. Unter anderem produzierte er in einem Mailänder Konzert Ich hörte ihn dort selbst. (1860) eine von ihm komponierte Gewitterszene für Violine Solo, – eine Geschmacklosigkeit, die sich von selbst parodiert. Seine veröffentlichten Kompositionen, bestehend in Konzerten, Variationen usw. sind, ganz seiner virtuosen Richtung entsprechend, ohne Kunstwert. Davon auszunehmen wären nur seine zwölf Konzertetüden, die jedoch sehr von seinem intimen Freunde Léonard beeinflußt sind. Glanzleistungen seines Spiels waren nach Henri Marteau, der eine Zeitlang sein Schüler war, das zweite Paganinische und das Mendelssohnsche Konzert, in denen er verblüffende Technik und zauberhaften Ton entfaltete. Auch spielte er öfters in kleinerem Kreise in Paris, namentlich bei Léonard, der dann die Bratsche zu übernehmen pflegte, Haydnsche und Mozartsche Quartette mit Geist und musikalischem Empfinden, wonach sich obiges Urteil über seine Leistungen, wenigstens für Sivoris spätere Lebensjahre, einigermaßen modifiziert.
Das äußere Leben Sivoris ergibt folgende Notizen. Als zehnjähriger Knabe besuchte er in Paganinis Gesellschaft Frankreich und England. Längere Zeit lebte er dann wieder in der Heimat, um sich unter Beihilfe Giovanni Serras die notwendige theoretische Bildung anzueignen. 1839 begann er seine eigentliche Laufbahn als Konzertist, die ihn zunächst nach Rußland führte. 1841 war er in Belgien und Holland, 1843 in Paris und während der beiden folgenden Jahre in England. Von hier schiffte er sich 1846 nach Amerika ein, das er in seiner ganzen Ausdehnung von Norden bis Süden bereiste. 1850 kehrte er in seine Vaterstadt zurück. Die Erträgnisse seines bisherigen Gewinnes versprachen ihm ein ruhiges, behagliches Leben. Doch durch einen unvorhergesehenen Zufall verlor er sein ganzes Vermögen, und sah sich infolgedessen aufs neue genötigt, dem Erwerbe nachzugehen. Er wandte sich wieder nach England. Dann besuchte er 1853 die Schweiz. Auf dieser Reise brach er bei einem Umsturz des Wagens, in welchem er sich befand, einen Arm. Nach glücklich erfolgter Heilung widmete er sich wieder seinem Berufe und bereiste 1862-63 auch Deutschland. Er starb in Genua am 18. Februar 1894, nahezu 80 Jahre alt.
Ein neuerer Violinspieler Italiens von bedeutendem Rufe war Antonio Bazzini, geb. am 11. März 1818 zu Brescia. Auch er gehörte der virtuosen Richtung an, unterschied sich aber von dem Gros seiner Genossen durch ein gesinnungsvolleres Streben. Dies offenbart sich namentlich in seinen Violinkompositionen, die zu den besseren des Salongenres gehören.
Schon seit seinem 13. Lebensjahre befleißigte sich Bazzini der Kompositionskunst. Sein Lehrer war der Mailänder Kapellmeister Faustino Camisoni. Mit 17 Jahren schrieb er einige Ouvertüren für das Theater seiner Vaterstadt. Zu gleicher Zeit wurde er Kapellmeister an der Brescianer Kirche San Filippo, für welche er Vespern und eine Messe schrieb. 1836 fand er Gelegenheit, sich vor Paganini hören zu lassen. Dieser riet ihm, sich als Konzertspieler bekannt zu machen, und so begab sich Bazzini auf Kunstreifen, die ihn nach Venedig, Triest, Wien, Pest, Dresden, Leipzig, Berlin und Kopenhagen führten. In die Heimat zurückgekehrt, durchzog er sein Vaterland und hierauf von 1848 an Frankreich und Spanien. Seine Leistungen waren in technischer Beziehung hervorragend: Bazzini gebot über eine große Gewandtheit in Bewältigung der bedeutendsten Schwierigkeiten. Aber die Wirkung seines Spiels wurde in etwas durch eine eigentümlich manirierte, häufig überreizte Ausdrucksweise beeinträchtigt. In reiferen Jahren gab Bazzini das virtuose Wanderleben auf und zog sich 1864 nach Brescia zurück, um sich vorzugsweise dem Schaffen zu widmen. Die Erzeugnisse seiner Muse werden in Italien geschätzt. Am Mailänder Konservatorium fand er 1873 eine einflußreiche Stellung als Lehrer der Theorie und Komposition. 1882 wurde er Direktor dieses Instituts. Er starb in Mailand am 10. Februar 1897.
Außer den vorgenannten Persönlichkeiten dürften als italienische Vertreter des Violinspiels im 19. Jahrhundert an dieser Stelle noch zu erwähnen sein: Nicola De-Giovanni, geb. 1802 in Genua, gest. am 14. Mai 1856 als Orchesterdirigent des Theaters in Parma; Francesco Bianchi, geb. am 20. November 1821 zu Asti, Orchesterdirektor am Theater in Turin; Cesare Trombini in Venedig, Schüler Mayseders; Luigi Arditi; Ferd. Pinto, Konzertmeister des Theaters S. Carlo und Lehrer des Violinspiels am Konservatorium zu Neapel, geb. 15. Juni 1815 zu Neapel, gest. daselbst im Januar 1880, und Papini.
Über die drei ersten dieser Männer sowie über Pinto fehlen alle Nachrichten. Luigi Arditi, geb. 22. Juli 1822 in dem piemontesischen Städtchen Crescentino, besuchte die Mailänder Musikschule vom März 1836 bis zum September 1842. Nach vollendetem Studium im Violinspiel und in der Komposition trat er als Solist in einigen Städten seines engeren Heimatlandes auf, wurde dann Orchesterchef in Vercelli, Mailand und Turin, verließ aber die letztere dieser Stellungen, um in Gemeinschaft mit dem bekannten Kontrabaß-Virtuosen Bottesini zu konzertieren. Hierauf nahm er das Amt eines Orchesterchefs und Solospielers beim Theater in Havanna an, begab sich von dort nach Newyork, um in letzterer Stadt ebenfalls als Orchesterführer bei der Musikakademie tätig zu sein, folgte aber nach einiger Zeit einem von Konstantinopel an ihn ergangenen Ruf. Indes auch hier war seines Bleibens nicht: er nahm ein Engagement Lumleys als Orchesterdirigent bei der italienischen Oper in London an. Später leitete er dort auch sogenannte Promenadenkonzerte im Covent-Garden Theater.
Arditi hat sich auch als Tonsetzer, hauptsächlich aber durch eine Anzahl Gesangsstücke im galanten Salongenre bekannt gemacht, unter denen insbesondere der im Walzercharakter gehaltene » bacio« viel gesungen worden ist. 1896 erschienen Lebenserinnerungen von ihm.
Guido Papini, geb. 1846 zu Camajore bei Lucca, machte seine Studien als Geiger unter Giorgettis Leitung in Florenz. Kaum hatte er es soweit gebracht, um sich mit Beifall hören zu lassen, als er auch schon wieder die betretene Künstlerlaufbahn aufgeben wollte. Hiervon wurde er jedoch durch den Rat einsichtiger Leute zurückgehalten. Mit steigendem Erfolg konzertierte er dann in seinem Vaterlande, in Frankreich und in England, und erwarb sich dadurch einen künstlerisch geachteten Namen. Auch als Tonsetzer für sein Instrument betätigte er sich in mannigfacher Weise. Neuerdings hat er eine Violinschule veröffentlicht.
Die hier nicht genannten, bei den Schulen, denen sie angehören, zu findenden italischen Violinspieler des 19. Jahrhunderts mögen an dieser Stelle wenigstens mit Namen angeführt werden. Es sind Pietro Rovelli, die Schwestern Milanollo, Ettore Pinelli, Teresina Tua, Melani und Polo.