Edgar Wallace
Die gelbe Schlange
Edgar Wallace

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31

Joe Bray kam kurz nach zehn in Clarges Street an. Die Regenwolken hatten es zeitig dunkel werden lassen, und so war es ihm möglich, früher von Sunningdale fortzukommen. Er war aufs äußerste gespannt und erregt, denn die Nacht versprach ein Abenteuer. Und Abenteuer liebte Joe über alles.

»Es war eine gute Idee von dir, Cliff, mich von der Rückseite in deine Wohnung kommen zu lassen. Niemand hat mich gesehen«, sagte er.

»Ich hätte dir diese Mühe sparen können«, meinte Clifford. »Fing-Su weiß, daß du lebst.«

Joe Brays Gesicht wurde lang. Diese Nachricht raubte ihm die halbe Freude an dem Abenteuer.

»Ich habe einen Mann in Narths Office für mich gewonnen«, erzählte Clifford. »Er heißt Perkins, es hat mich mehr Zeit als Geld gekostet, um ihn auf meine Seite zu bringen, denn er gehört noch zu den guten, ehrlichen Leuten. Sind die Detektive auf ihren Posten?«

Joe nickte.

»Ich war etwas enttäuscht, Cliff, als ich sie sah«, sagte er fast vorwurfsvoll. »Sie sehen genau so aus wie gewöhnliche Leute, wie du und ich. Keiner würde sie für Detektive halten.«

»Das scheint mir doch ein großer Vorteil zu sein«, lachte Clifford. Nachdem er einen Augenblick nachgedacht hatte, fragte er: »Hattest du noch einmal mit Joan Verbindung?«

»Nein. Du hast es mir doch verboten!« sagte er selbstzufrieden.

»Weißt du wenigstens, ob sie zurückgekommen ist?« Clifford seufzte. »Ihretwegen habe ich keine große Sorge, denn Scotland Yard hat einen Mann speziell damit beauftragt, sie zu bewachen. Er wird wahrscheinlich später seinen Bericht durchgeben.«

»Wie hast du es eigentlich fertiggebracht, Cliff, daß Scotland Yard mittut?« fragte Joe neugierig. »Und wenn sie uns helfen, warum wird denn Fing-Su nicht festgenommen?«

»Weil sie nicht genügend Beweismaterial in Händen haben, überhaupt jemand in dieser Angelegenheit festzusetzen«, entgegnete Cliff kurz.

Die ganze Schwierigkeit der Lage kam ihm zum Bewußtsein, und er fühlte, wie heftig der Kampf mit Fing-Sus unsichtbaren Streitkräften entbrannt war.

»Deine Neugierde wegen Scotland Yard kann bald gestillt werden. Im übrigen ist der Platz ganz und gar nicht romantisch. Inspektor Willing kommt heute abend zu mir und wird mit uns den Strom hinunterfahren. Kannst du auch schwimmen, Joe?«

»Natürlich! Ich kann alles, was von einem tüchtigen Mann verlangt wird«, sagte er pathetisch. »Du mußt dir ein für allemal den Gedanken aus dem Kopf schlagen, Cliff, daß ich zu nichts zu gebrauchen sei. Ein Mann im Alter von fünfzig Jahren steht auf der Höhe seines Lebens, wie ich dir ja schon immer gesagt habe.«

Gleich darauf kam Inspektor Willing – ein dünner, ausgemergelter Mann mit beißendem Humor und einer sehr geringen Meinung von den Menschen. In mancher Beziehung glich er mehr der Vorstellung, die sich Joe von einem Detektiv gemacht hatte, als die drei Leute, die er heute abend in Sunningdale kennengelernt hatte. Es imponierte ihm sehr, daß der Inspektor äußerst wenig sprach. Er machte auf ihn den Eindruck, daß er unfehlbar sei und sich in nichts irren könne.

»Sie wissen, daß wir die ›Umgeni‹ heute morgen durchsucht haben? Sie wird diese Nacht abfahren.«

Clifford nickte.

»Wir haben nichts gefunden, was nach Konterbande ausgesehen hätte. Vermutlich werden sie es später mit der ›Umveli‹ senden – das ist das Schwesterschiff. Sie liegen Seite an Seite im Pool verankert. Aber die ›Umveli‹ wird erst in einem Monat abfahren und läuft vorher Newcastle an. Haben Sie etwas von Long gehört? Das ist der Mann, den ich auf die Spur von Miß Bray geschickt habe.« Und als Clifford den Kopf schüttele, fuhr er fort: »Ich dachte, daß er direkt an Sie berichtet hätte. Wahrscheinlich ist er mit ihr nach Sunningdale zurückgekehrt. – Nun, Mr. Lynne, was ist Ihrer Meinung nach das Endziel der Pläne dieses Chinesen?«

»Sie meinen Fing-Su? Soviel ich vermute, hat er die Absicht, eine neue Dynastie in China zu gründen. Bevor er das aber zustande bringen kann, müßte er nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge erst die Söldnergeneräle niederkämpfen, die das ganze Land unter sich aufgeteilt haben. Aber ich glaube, er hat einen leichteren Weg gefunden. Jeder General in China hat seinen Preis – man muß sich immer vergegenwärtigen, daß die Chinesen nicht patriotisch sind. Sie kennen das Gefühl nicht, das wir Vaterlandsliebe nennen. Sie betreiben ihre Politik von einem egoistischen Standpunkt aus. Es fehlt ihnen der weite Horizont. Viele von ihnen merken überhaupt nicht, daß die Mongolei inzwischen eine russische Provinz geworden ist. Die Generäle sind Räuber in ganz großem Maßstab. Die Entscheidung der Schlachten hängt davon ab, wieviel Soldaten auf jeder Seite desertieren. Unter Strategie versteht man in China, den höchsten Preis für den eigenen Verrat herauszuschlagen und die eigenen Absichten bis zum letzten Augenblick zu verschleiern.«

»Und Narth – er ist mir ein Rätsel«, sagte Willing. »Ich kann nicht sehen, welchen Wert er für Fing-Su und seine Leute haben könnte. Der Mann ist nie ein Genie gewesen, und er ist auch kein Haudegen.«

»Narth ist für die Leute sehr brauchbar, irren Sie sich darin nicht. Obgleich er geschäftlich vor dem Bankerott steht, hat er doch die besten Beziehungen zur City – damit will ich sagen, daß es keinen besseren Mann in London gibt als Stephen Narth, wenn es sich darum handelt, Menschenleben gegen Dollars einzuhandeln. Er steht in persönlicher Fühlung mit den Chefs der großen Bankgruppen und hat gerade die Kenntnis, die Fing-Su bei der Durchführung größerer finanzieller Transaktionen fehlen. Sollte Fing-Su Erfolg haben, dann werden verschiedene wertvolle Konzessionen zu haben sein, und Narth wird Fing-Sus Agent sein! Augenblicklich ist er eine zweifelhafte Existenz, und Fing-Su weiß das auch sehr genau. Durch das Geld, das er ihm lieh, hat er ihn aber nicht so völlig in die Hand bekommen, wie er es sich einbildet. Trotzdem wird Stephen Narth bald an die Gesellschaft der ›Freudigen Hände‹ mit eisernen Ketten gebunden sein. Möglicherweise könnte das Brimborium der Aufnahmezeremonie ihn abstoßen – aber auch das bezweifle ich.«

Er sah nach seiner Uhr.

»Es wird Zeit, daß wir aufbrechen«, sagte er. »Ich habe ein elektrisches Motorboot bestellt, das uns in Wapping erwartet. Haben Sie eine Schußwaffe bei sich?«

»Die brauche ich nicht!« sagte der Inspektor heiter. »Ich habe einen Spazierstock, der hat es buchstäblich in sich – und er macht auch keinen Lärm. Aber soviel ich sehe, wird es ein verlorener Abend. Wir haben die ›Umgeni‹ doch durchsucht –«

»Ich fahre nicht aus, um die ›Umgeni‹ zu sehen«, sagte Cliff. »Ihr Schwesterschiff liegt Bord an Bord mit ihr –«

»Aber die fährt doch erst in einem Monat ab.«

»Im Gegenteil – sie fährt heute abend«, sagte Cliff.

Der Inspektor lachte.

»Sie scheinen sehr wenig mit Schiffen vertraut zu sein«, sagte er. »Sie wird an der Mündung des Flusses aufgehalten, und man wird ihre Papiere genau prüfen. Wenn sie nicht in Ordnung sind, kommt sie aus der Themse nicht heraus.«

»Und ich sage Ihnen, die Papiere werden in Ordnung sein«, bemerkte Clifford geheimnisvoll.

 


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