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Clifford Lynne saß im Gange seines Hauses, ein Gewehr quer über den Knien. Er sah, wie Joe zurückkam. Die Strahlen seiner Lampe kündigten ihn schon an, bevor man ihn selbst sehen konnte.
»Wo zum Teufel bist du gewesen?« fragte Clifford erstaunt. »Ich dachte, du schläfst.«
»Ich bin eben nur einmal kurz fort gewesen«, sagte Joe sorglos. »Ich ging zur hinteren Türe hinaus . . . weit und breit ist kein Mensch zu sehen.«
»Gut, du kannst zur Haupttür hereinkommen«, sagte Clifford streng. »Wie ich vermute, wimmelt der ganze Wald von chinesischen Halsabschneidern.«
»Lächerlich!« murmelte Joe, als er vorbeiging.
»Es mag lächerlich sein«, sagte Clifford über die Schulter. »Aber ich kann mir nichts Lächerlicheres vorstellen, als wenn du alter Kerl mit abgeschnittenem Hals im Wald von Sunningdale liegst!«
»Ich bin erst einundfünfzig!« rief Joe heftig vom Gang zurück. »Jeder weiß das!«
Clifford Lynne sah ein, daß es keinen Zweck hatte, die Frage nach dem Alter Mr. Brays zu diskutieren. Im Laufe des Abends war er mehrmals in den Wald gegangen und hatte nichts Verdächtiges gesehen. Man konnte das Haus von Süden her auf einer neuangelegten Straße erreichen, die durch das Besitztum der Terraingesellschaft führte. Um von dieser Seite her keine Überraschungen zu erleben, hatte er einen geschwärzten Faden quer über den Weg gespannt und daran eine Anzahl kleiner Glöckchen aufgehängt, die er diesen Nachmittag in London gekauft hatte. Aber das endlose Krachen und Rollen des Donners ließ es ihm sehr zweifelhaft erscheinen, ob er ihre Warnung auch hören würde. Die Blitze rasten immer noch über den Himmel, als er angespannt und erwartungsvoll auf den Treppenstufen saß. Einmal begann Joe zu singen, aber ärgerlich gebot er ihm zu schweigen.
Es schlug elf Uhr, als er feste Schritte auf dem Kies vernahm, die von der Straße her kamen. Er stand auf. Es lag nichts Heimliches in dem Näherkommen des Fremden. Er ging beherzt in der Mitte der Straße, und Clifford hörte das Tippen eines Stockes. Wer auch immer der Ankömmling sein mochte, er machte kein Licht an, um ihm den Weg zu zeigen. Nach einer Weile konnte er seine Gestalt genau sehen. Er bog von der Straße ab und kam geradenwegs auf das Haus zu. Jetzt rief ihn Lynne an.
»Haben Sie keine Angst. Ich bin allein!«
Es war Fing-Su.
»Bleiben Sie stehen, wo Sie sind!« sagte Clifford scharf. »Seit wann habe ich denn Angst vor chinesischen Hausierern?«
Der Ankömmling stand still, und Clifford hörte ihn lachen. Ein durchdringender, scharfer, aber nicht unangenehmer Duft stieg ihm in die Nase.
»Entschuldigen Sie«, sagte Fing-Su höflich. »Es tut mir leid, daß ich so ungeschickt war. Ich wollte nur ausdrücken, daß ich um eine freundliche Unterredung bitte. Ich weiß, daß einige meiner hitzigen jungen Leute, ganz ohne mein Wissen, Ihnen letzte Nacht ihre Aufmerksamkeit schenkten. Ich habe sie bestraft. Niemand weiß besser als Sie, Mr. Lynne, daß sie die reinen Kinder sind. Sie glaubten, ich sei beleidigt worden –«
»Wer ist das?« Es war Joes Stimme, die aus dem Wohnzimmer kam.
Clifford drehte sich wild um und gebot ihm Schweigen. Hatte Fing-Su ihn gehört? Und wenn er ihn gehört hatte, erkannte er die Stimme? Scheinbar nicht.
»Sie haben einen Freund bei sich? Das ist sehr klug«, sagte er in demselben höflichen Ton. »Wie ich bemerkte –«
»Hören Sie! Ich habe keine Lust, mir die Zeit mit Ihren Possen zu vertreiben. Sie sind am Ende Ihrer Kraft, Fing-Su!«
»Noch lange nicht!« sagte der Chinese. »Sie sind ein Narr, Lynne, daß Sie Ihr Geld nicht mit meinem zusammenwerfen. In fünf Jahren bin ich der mächtigste Mann Chinas.«
»Sie wollen China erobern, nicht wahr?« fragte Clifford sarkastisch. »Und Europa vielleicht auch noch dazu?«
»Vielleicht!« sagte Fing-Su. »Sie haben kein richtiges Urteil über die Zukunft, mein lieber Freund. Sehen Sie denn nicht, daß unsere Rasse durch ihre überwiegende Heeresstärke alle künftigen Kriege entscheiden wird? Eine ständige gelbe Armee wird das Schicksal Europas bestimmen. Eine große Söldnerarmee – denken Sie daran, Lynne – die an den Meistbietenden verkauft wird. Ein Heer, das dauernd an der Schwelle Europas steht!«
»Was wünschen Sie eigentlich?« fragte Clifford schroff.
Fing-Su gab sich den Anschein, als hätte ihn der angeschlagene Ton gekränkt, und er erwiderte verletzt:
»Ist es notwendig, daß wir Feinde sind, Mr. Lynne? Ich habe keine Antipathie gegen Sie, ich will nur zu angemessenem Preis eine Gründeraktie der Gesellschaft von Ihnen kaufen –«
Clifford Lynne verstummte einen Augenblick über die Kaltblütigkeit, mit der Fing-Su sein Anliegen vorbrachte. Ein Argwohn erwachte in ihm. Fing-Su würde es nicht wagen, eine so widerrechtliche Bitte zu stellen, wenn er nicht die Gegenmittel in der Hand hätte.
»Und was wollen Sie mir dafür geben?« fragte er langsam.
Er hörte, wie der andere schneller atmete.
»Etwas sehr Wertvolles für Sie, Mr. Lynne –« Er sprach mit Überlegung. »Sie haben einen Freund bei sich, der wahrscheinlich mithören kann. Ich bin nicht darauf vorbereitet, in Gegenwart eines Zeugen zu verhandeln. Wollen Sie nicht ein wenig mit mir auf die Straße kommen?«
»Gehen Sie voraus«, sagte Clifford kurz. Fing-Su wandte sich und ging vor ihm her.
»Es gibt eine Frau –« sagte er –
Lynnes Hand faßte ihn am Hals. Etwas Hartes preßte sich an den Rock des Chinesen.
»Sie haben Joan Bray gefangen!« stieß Cliff durch die Zähne hervor. »Sie haben sie gefangen! Ist es das, was Sie sagen wollten?«
»Es ist nicht notwendig, Umstände zu machen –« begann Fing-Su.
»Sagen Sie mir, wo sie ist.«
»Es tut mir leid, daß ich Ihnen den Anblick nicht gönnen kann«, sagte Fing-Su mit bedauernder Stimme. »Und wenn Sie mich bedrohen sollten, habe ich keine Ursache zu folgen, außer –«
Er nahm seinen Hut ab, als wollte er seine heiße Stirn kühlen und blickte hinein.
Plötzlich spritzte eine dicke Flüssigkeit mit heftigem Zischen in Cliffords Gesicht. Es war reine, scharfe Ammoniaklösung.
Gelähmt vor Schmerz ließ Clifford die Pistole klirrend auf den Boden fallen.
Fing-Su streckte ihn mit einem wohlgezielten Faustschlag zu Boden. Dann kniete er an seiner Seite nieder und griff in seine Rocktasche. Er fühlte ein Rascheln – ein Papier war hier eingenäht.
Aber er wurde unterbrochen. Von der Straße her hörte er Schritte und sah mit seinen scharfen Augen, die das schwärzeste Dunkel der Nacht durchdringen konnten, eine Frau näherkommen. Ein Instinkt rettete Joan Bray. Als sie in die Straße einbog, blieb sie plötzlich stehen und sah auf die merkwürdige Gruppe am Boden.
»Wer ist das?« fragte sie.
Bei dem Klang ihrer Stimme sprang Fing-Su in die Höhe und schrie vor Wut.
»Miß Bray!«
Sie erkannte ihn und war einen Augenblick starr vor Schrecken. Als er aber Miene machte, auf sie zuzuspringen, erhob sie mit der Kraft ihrer Verzweiflung die Hand und schleuderte die schwarze Kugel, die sie mitgenommen hatte. Der Ball fiel vor Fing-Sus Füßen nieder.
Es gab eine fürchterliche Explosion, und im Augenblick waren die Straße, der Wald, ganz Slaters Cottage, von dem Licht der Magnesiumbombe grell beleuchtet. In panischem Schrecken wandte sich der Chinese um, sprang in den Wald und war einen Augenblick später außer Sehweite. Obgleich er vom Magnesiumlicht vollständig geblendet war, gelang es ihm doch, bis zu der niedrigen Hecke zu kommen, die ihn von der Straße trennte. In der Nähe sprang irgendwo der Motor eines Autos an, das mit abgeblendeten Lichtern auf einer Seite der Straße hielt. Ein ohnmächtiges, junges Mädchen wurde aus dem Wagen gehoben und in den Straßengraben gerollt. Dann raste der Wagen mit höchster Geschwindigkeit in der Richtung auf Egham davon.
Eine Viertelstunde später suchte eine Streife die Umgebung nach Mabel Narth ab. Joe Bray hatte das Glück sie zu finden und zu trösten.