Edgar Wallace
Feuer im Schloß
Edgar Wallace

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20

Mary schaute ihn erschrocken an.

»Verzeihen Sie bitte, es tut mir leid, daß ich Ihnen einen Schrecken eingejagt habe. Ich bin nur so glücklich, daß mir endlich ein guter Gedanke gekommen ist. Den ganzen Tag habe ich schon darauf gewartet.«

Er zeigte auf einen alten Weidenbaum, dessen graugrüner Stamm sich von den dunklen Tannen abhob.

»Was würde ich wohl finden, wenn ich jetzt in dem hohlen Stamm nachsuchte?«

Sie verstand sein seltsames Benehmen nicht.

»Was erwarten Sie denn zu finden?«

»Ein paar alte Knöpfe.«

Sie glaubte, er wäre von der durchwachten Nacht vielleicht ein bißchen durcheinander, aber ehe sie noch erkannte, daß er genau wußte, was er sagte, sprach er weiter.

»Lady Arranways, ich habe eine Bitte. Lassen Sie sich in der nächsten Zeit von mir beraten. Ich hoffe, daß ich Ihnen helfen kann. Tun Sie nichts ohne mein Wissen, und wenn Blagdon Sie vernehmen sollte, erzählen Sie mir genau, was er wissen wollte und was er sagte. Sollte der Mörder inzwischen gefaßt werden, so glauben Sie mir, daß ich nichts damit zu tun habe. Das Wichtigste ist jetzt, daß wir Ihren Mann finden. Sie haben wirklich keine Ahnung, wo er sein könnte? Und Sie können mir auch nicht erklären, warum er fortgegangen ist?«

»Ich habe eine Art Erklärung. Er hat zu Dick gesagt, wenn sich sein Verdacht als wahr erweisen sollte, würde er irgendwohin fahren und sich von allem zurückziehen. Er könnte es nicht ertragen . . . Ich liebe Eddie trotz allem sehr«, fuhr sie nach einer Weile mit leiser Stimme fort. Sie stand auf, und auch Collett erhob sich.

»Aber das kann nicht die richtige Erklärung dafür sein, Mr. Collett, denn er war nicht lange genug im Gasthaus, um etwas Nachteiliges über mich zu erfahren. Oder glauben Sie doch?«

Collett wich dieser Frage aus. Er wußte ja, was Charles dem Lord berichtet hatte.

»Konnten Sie in sein Zimmer?«

»Nein«, sagte sie sofort. »Ich habe es versucht, aber beide Türen waren abgeschlossen.«

Er sah wieder zu der hohlen Weide hinüber, dann fragte er Mary, ob sie möglicherweise einen kleinen Spiegel bei sich hätte.

Sie nahm einen aus ihrer Handtasche, und er ging damit zu dem Baum. Dort leuchtete er mit Hilfe seiner Taschenlampe und des Spiegels ins Innere der Weide. Anscheinend hatte er aber keinen Erfolg, denn er gab ihr den Spiegel zurück.

»Es ist nichts dort – wenigstens nichts, was mich interessiert.«

»Haben Sie die Knöpfe nicht gefunden?« fragte sie lächelnd.

»Nein, nicht einmal die«, entgegnete er traurig. »Die Stelle war auch zu offensichtlich.«

Sie lachte.

»Wenn Sie ebenso klug wie geheimnisvoll sind, Mr. Collett, dann müssen Sie der tüchtigste Beamte von ganz Scotland Yard sein.«

»Das bin ich auch«, erklärte er bescheiden.

»Der Mensch macht mich noch verrückt«, stöhnte Lorney Collett gegenüber. »Blagdon hat mich doch tatsächlich gefragt, wieviel Alkohol ich hier hätte, wieviel gestern morgen und wieviel gestern abend verbraucht wurde und wer besonders viel getrunken hätte.«

Collett stellte mit Vergnügen fest, daß Blagdon auf dem besten Weg war, sich überall restlos unbeliebt zu machen.

»Ja, mein lieber Mr. Lorney«, sagte er salbungsvoll. »Sie verstehen eben nichts von den wissenschaftlichen Methoden der Kriminalpolizei. Inspektor Blagdon stellt seine Fragen sicher nicht ohne Grund. Und vor allem muß doch etwas geschehen, vergessen Sie das nicht.«

Rennett hatte die Erlaubnis erhalten, nach London zu fahren. Es war erstaunlich, daß Blagdon das gestattete. Collett erkundigte sich sogleich bei ihm nach dem Grund dieses seltsamen Widerspruchs zwischen seinen Worten und seinem Verhalten.

Blagdon war sehr höflich, erklärte aber, daß das seine Sache wäre und daß er keine Einmischung Dritter dulde. Er ließ sogar durchblicken, daß es ihm nicht unlieb wäre, wenn Collett auch nach London zurückkehrte.

Aber Collett nahm das nicht so tragisch und ging weiter seinen privaten Erkundigungen nach.

 

Im Gasthaus war ein weiterer Amateurdetektiv an der Arbeit, von dem weder Collett noch Blagdon etwas ahnten: der Kellner Charles, dessen asoziales Wesen Collett richtig erkannt hatte. Charles Green wollte sich nicht bessern, sondern so angenehm wie möglich leben.

Er hatte zehn Pfund in der Tasche und außerdem dreißig Pfund in seinem Zimmer versteckt, die er so nach und nach betrunkenen Gästen abgenommen hatte, die er zu Bett bringen mußte.

Durch die Untersuchung Mr. Blagdons war er ein wichtiger Zeuge geworden, aber das Gespräch mit Collett hatte ihm gezeigt, in welcher Gefahr er schwebte. Nachdem er sich alles überlegt hatte, erinnerte er sich an das Beispiel, das ihm Keller gegeben hatte. Charles hatte erfahren, daß dieser Mann die Kleinigkeit von dreitausend Pfund als Schweigegeld verlangt hatte, und dachte nun darüber nach, wie er ein Opfer finden könnte.

An Lady Arranways konnte er sich nicht wenden. Sie war gewarnt, und er würde keine Aussichten bei ihr haben. Dann verfiel er auf Anna Jeans, aber als er ihr einmal das Essen aufs Zimmer brachte und eine Andeutung darüber machte, schickte sie ihn einfach hinaus und erzählte Lorney von Charles' Absichten.

Lorney rief Charles zu sich.

»Wenn Sie meine Gäste in Schwierigkeiten bringen, können Sie gehen, das möchte ich nur gesagt haben«, fuhr er ihn an. »Überhaupt ist es besser, wenn Sie morgen mein Haus verlassen. Aber vorher sehe ich mir noch einmal Ihr Gepäck an. Es ist schon öfter hier gestohlen worden, ich wollte Sie anfangs nur schonen.«

Charles, der überzeugt war, daß ihm nichts passieren konnte, brummte: »Nun blasen Sie sich nicht so auf! Mir können Sie ja gar –«

Weiter kam er nicht, denn Lorneys Faust traf ihn unter das Kinn, und er stürzte zu Boden. Der Wirt öffnete die Tür und stieß Charles hinaus.

 

Nach einer Weile klopfte es, und Charles kam wieder herein. Er hatte eine Beule am Kinn und war ziemlich kleinlaut.

»Es tut mir furchtbar leid, daß ich Sie geärgert habe, Mr. Lorney, aber dieser Mord hat mich ganz durcheinander gebracht. Sie waren immer so gut zu mir und haben mir die Möglichkeit gegeben, ein neues Leben anzufangen –«

»Reden Sie nicht so viel, sondern arbeiten Sie weiter! Sie bleiben hier, nicht wahr?«

Lorney war im Grunde seines Herzens sentimental. Er glaubte immer noch, daß er mit Geduld aus diesem skrupellosen Verbrecher doch noch einen anständigen Menschen machen konnte.

»Ja«, entgegnete Charles schnell. »Ich fühle mich hier sehr wohl. Das ist doch etwas ganz anderes als mein früheres Leben. Damals habe ich mich nie so zufrieden gefühlt.«

Charles hatte jetzt einen Plan. Bisher hatte er sich nur wenig Geld zusammenstehlen können, und wenn es zum Schlimmsten kam und er gefaßt wurde, wurde er zu derselben Strafe verurteilt, ob er nun viel oder wenig gestohlen hatte.

Nach dem Essen rief Lorney Charles zu sich und sagte ihm, er solle in seinem Privatzimmer aufräumen. Auf diese Gelegenheit hatte Charles gehofft.

Die oberste Schublade im Schreibtisch war verschlossen. Er wußte, daß sie innen mit Stahl ausgeschlagen war und ein Patentschloß hatte. Es mußten also wertvolle Dinge darin sein.

Den Safe hatte er schon oft mit sehnsüchtigen Blicken betrachtet. Damen, die zum Wochenende herkamen, gaben Lorney ihren wertvollen Schmuck in Verwahrung. Auch Geld lag darin und eine interessant aussehende schwarze Kassette.

Da er sah, daß er so nicht weiterkam, räumte er rasch fertig auf und ging dann zu Blagdon.

»Aber wenn Sie wissen, wo Lord Arranways ist«, wandte der Inspektor ein, »warum sagen Sie mir dann seine Adresse nicht? Ich könnt mich doch mit ihm in Verbindung setzen!«

Charles schüttelte den Kopf.

»Das kann ich nicht. Sie können ihn sowieso nicht erreichen.«

»Aber er muß doch von dem Mord gelesen haben. In allen Zeitungen steht etwas darüber.«

»Da, wo er sich aufhält, kriegt er keine Zeitungen zu Gesicht.«

Blagdon sah ihn scharf an.

»Sie wissen doch, daß ich Sie zwingen kann, Aussagen zu machen, nicht wahr?«

»Davor habe ich keine Angst«, meinte Charles. Dann machte er dem Inspektor einen Vorschlag. Blagdon hörte interessiert zu und versprach, ihm in einer Stunde mitzuteilen, ob sich da etwas machen ließe.


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