Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Keller war tot, daran konnte es keinen Zweifel geben.
Lorney war dem Kriminalbeamten auf den Balkon gefolgt.
»Haben Sie hier irgendwo eine Lampe?«
Lorney ging wieder nach unten und schaltete die Lampen auf dem Balkon an.
Als er wieder auf den Balkon kam, stand Collett oben an der Treppe und starrte in die Dunkelheit, die nur noch finsterer erschien, nachdem Licht auf dem Balkon brannte.
Plötzlich sah er, wie sich unten etwas bewegte.
»Wer ist da? Kommen Sie sofort herauf!«
Eine Gestalt löste sich aus dem Schatten und stieg langsam nach oben.
»Hallo, Mr. Rennett! Wo waren Sie denn?«
Der Amerikaner schaute ruhig und mit anscheinend rein beruflichem Interesse auf den Toten.
Collett beobachtete ihn scharf.
»Zeigen Sie mir doch bitte einmal Ihre Hände, Mr. Rennett.«
»Gern.«
Nicht die geringste Spur von Blut war daran zu sehen.
»Sie trugen doch Handschuhe, als Sie fortgingen. Kann ich die einmal sehen.«
Rennett lächelte.
»Ihre Beobachtungsgabe, Mr. Collett, ist verblüffend. Leider habe ich sie verloren, als ich sie auszog, weil es mir zu warm wurde. Vor ein paar Minuten habe ich sie erst vermißt – als ich Lord Arranways half, den Wagen aus der Garage zu holen.«
»Was – Lord Arranways ist fortgefahren?« fragte Collett schnell.
Rennett nickte.
»Er war gerade dabei, sein Auto aus der Garage zu fahren, als ich vorbeikam und er mich bat, ihm die Tür offenzuhalten. Er sagte, daß er nach London fahren wolle. Da ich mir nicht die Hände schmutzig machen wollte, suchte ich nach meinen Handschuhen, stellte aber fest, daß ich sie verloren hatte.«
»Rufen Sie bitte Mr. Mayford!« bat Collett den Wirt. »Und melden Sie auch gleich ein Gespräch mit Scotland Yard an, Apparat 47. Wieviel Telefonanschlüsse haben Sie?«
»Nur einen.«
»Dann schicken Sie doch jemanden zum Arzt, und zur Polizei sollte auch einer gehen.«
»Kann ich Ihnen irgendwie helfen?« fragte Rennett.
Collett, der neben dem Toten gekniet hatte, erhob sich, staubte seinen Anzug ab und sah den Amerikaner groß an.
»Aber Mr. Rennett, Sie stehen unter Verdacht – jedenfalls im Augenblick!«
»Und warum?«
»Weil Keller Ihr Schwiegersohn ist. Er hat Ihre Tochter unglücklich gemacht und . . ., aber das brauche ich Ihnen ja nicht zu erzählen. – Wie hieß er doch gleich in Wirklichkeit?«
»Barton – Boy Barton.«
»Sie haben lange nach ihm gesucht?«
»Wir wollen jetzt nicht darüber sprechen. Nur seinen vollen Namen möchte ich Ihnen gleich sagen: Randolph Charles Barton. Wenn Sie sich mit der amerikanischen Polizei in Verbindung setzen, wird man Ihnen einiges Wichtige über ihn mitteilen.«
Collett sah ihn nachdenklich an.
»Würden Sie mir den Anzug, den Sie tragen, zur Untersuchung zur Verfügung stellen?«
»Sie wollen nach Blutflecken suchen, nicht wahr? Gut, ich warte, bis mir jemand einen anderen bringt, dann können Sie selbst sehen, wie ich ihn wechsle.«
Collett nahm ein kleines Messer aus der Tasche und öffnete es.
»Gestatten Sie?« sagte er dann und schnitt ein kleines Stückchen Stoff aus dem Ärmelaufschlag Rennetts. »Das wird mich wahrscheinlich einen neuen Anzug für Sie kosten. Wollen Sie jetzt bitte gehen und sich umziehen?«
Rennett war mehr interessiert als verärgert.
»Wollen Sie damit den Anzug kennzeichnen, so daß er nicht verwechselt werden kann? Das muß ich mal drüben im Amerika erzählen. Es wird meine Kollegen sehr interessieren.«
Er ging in sein Zimmer.
Dick Mayford erschien gerade auf dem Balkon.
»Ihr Schwager ist eben fortgefahren. Wissen Sie, wohin und warum er so eilig abgefahren ist?« fragte Collett.
Dick starrte entsetzt auf den Boden. Collett hatte schon fast vergessen, daß der Tote dort lag.
»Ist er wirklich tot?« flüsterte Dick.
»Fassen Sie den Dolchgriff nicht an!« rief Collett, als Dick sich zu Keller herunterbeugte. »Kennen Sie die Waffe?«
Dick zögerte.
»Ja, es ist ein Stück aus der Sammlung von Lord Arranways. – Aber alle Leute hätten sich doch die Waffe aneignen können. – Übrigens ist das der Dolch Aba Khans.«
Collett lächelte spöttisch.
»Das ist wieder was für die Presse. Der romantische Anstrich, der sich so gut verkauft. Ich habe schon von der Geschichte gehört. – Was hat denn Ihre Schwester gesagt, Mr. Mayford?«
»Nichts. Sie ist vollkommen durcheinander. Ich nehme an, daß sie auf den Balkon ging und ihn dort liegen sah –«
»Aber davon können doch die Blutflecken auf ihrem Morgenrock nicht herrühren. Und vor allem waren auch ihre Hände ganz blutig. Sie muß ihn also angefaßt haben. Aber das hat alles noch Zeit. – Wer ist denn das?«
Kopf und Schultern einer Frau erschienen in einer Tür am Ende des Balkons. Collett ging nach hinten und verdeckte mit seinem breiten Rücken den Anblick des Toten.
»Ist jemandem schlecht geworden?« fragte Anna.
»Ja, Miss Jeans. Haben Sie etwas gehört?«
»Vor ein paar Minuten dachte ich, es hätte jemand auf meine Türklinke gedrückt, und stand auf.«
»Haben Sie gesehen, wer es war?«
»Meiner Meinung muß es Mr. Keller gewesen sein«, erwiderte sie leise.
»Wann war das, Miss Jeans?«
Die Frage konnte sie genau beantworten. Sie war aufgestanden und hatte durch die Gardinen hinausgeschaut. Dabei hatte sie Keller erkannt, der ihr offensichtlich etwas zuflüstern wollte. Als er sah, daß sie nicht reagierte, war er weggegangen. Kurz danach hatte die Turmuhr halb zwölf geschlagen.
»Haben Sie sonst nichts gehört? Ein Geräusch, wie wenn jemand hinfällt?«
Sie nickte.
»Ja. – Ich dachte, er wäre betrunken und dann weiter vorne hingefallen. Kurz danach schlug die Uhr halb zwölf.«
»Das ist ja interessant«, sagte Collett. »Können Sie das beschwören?«
»Es ist etwas passiert!« rief sie plötzlich. »Es muß etwas passiert sein – sonst würden Sie mir nicht so viele Fragen stellen.«
»Es handelt sich um Mr. Keller. – Hoffentlich waren Sie nicht zu sehr mit ihm befreundet.«
»Ich bin gar nicht mit ihm befreundet. Ich konnte ihn nicht ausstehen.«
»An Ihrer Stelle würde ich die Tatsache, daß Sie den Mann nicht besonders leiden konnten, nicht allzu laut erzählen, Miss Jeans.«
Sie starrte ihn entsetzt an.
»Ist – ist er ermordet worden?«
Collett nickte und ging wieder zu dem Toten zurück.
Lorney erschien und sagte, daß die Polizeistation von Sketchley benachrichtigt worden sei – ebenso die Kriminalpolizei der Grafschaft.
»Ach, das ist ja zum Auswachsen!« rief Collett verzweifelt. »Da bekommt natürlich Blagdon den Fall zur Bearbeitung. Na, der wird die Karre schön in den Dreck fahren.«
Dann wurde von unten das Gespräch von London gemeldet, und Collett lief hinunter, um Bericht zu erstatten.