Edgar Wallace
Feuer im Schloß
Edgar Wallace

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17

Inspektor Blagdon erschien und nahm Collett die Bearbeitung des Falles aus der Hand, so daß er sich mehr oder weniger mit der Rolle des passiven Beobachters begnügen mußte. Blagdon, ein großer, stattlicher Mann, der sich viel auf seine Fähigkeiten einbildete, benahm sich grundsätzlich so, daß sich alle über ihn ärgerten – herausfordernd und mit einer geradezu aufreizenden Selbstgefälligkeit.

Um fünf Uhr morgens saß er mit Collett bei einer Tasse Kaffee in der Diele.

»Mein lieber Collett, Sie müssen wissen, daß ich eine fünfunddreißigjährige Praxis in solchen Fällen habe«, sagte er gerade.

»Ach, dann haben Sie wohl jede Woche einen Mord hier in der Gegend?«

»Nein, das gerade nicht«, erklärte Blagdon etwas beleidigt, denn Spott konnte er nicht gut vertragen. »Nein, hier passiert nicht jede Woche ein Mord. Wir leben hier ja schließlich in Surrey und nicht in London oder New York.«

»Oder in Detroit«, fügte Collett lächelnd hinzu. »Vergessen Sie Detroit nicht, Mr. Blagdon.«

»Wir sind hier in England!« Blagdon war ein großer Patriot.

»Zu welchem fremden Land gehört denn dann London?« fragte Collett unschuldig.

»Die Hauptstadt zähle ich überhaupt nicht mit. Aber ich sagte ja schon, man braucht tatsächlich eine beträchtliche Erfahrung. Und wenn man wie ich hier fünfunddreißig Jahre lang nach dem Rechten gesehen hat, können die Beamten von Scotland Yard auch noch was lernen.«

»Gewiß. Ich glaube, man kann den Fall ruhig Ihrer sachkundigen Leitung anvertrauen.«

»Wir haben unsere besonderen Methoden«, sagte Blagdon selbstgefällig. »Zum Beispiel haben Sie, wie ich hörte, einen Anzug von Captain Rennett beschädigt. Nun, wir würden so etwas nie machen. Das ist doch ein unerlaubter Eingriff in die persönlichen Rechte. Man kann doch nicht einfach das Eigentum eines anderen in dieser Weise zerstören! Das ist ja Willkür.«

So ging das Gespräch noch eine Weile weiter.

Collett war nicht nur ein fähiger Kriminalbeamter, er konnte auch ausgezeichnete Berichte schreiben. Um Informationen zu erhalten, hatte er zu allen möglichen Hilfsmitteln gegriffen, hatte Hausmädchen, Kellner, Dorfbewohner und auch Leute aus der näheren Umgebung in Gespräche verwickelt und aus ihren Antworten eine Menge wichtiger Schlüsse gezogen. Für ihn war der Fall eigentlich klar. Es war alles so weit vorbereitet, daß man ihn hätte abschließen können, und nun kam dieser seiner Meinung nach nicht besonders intelligente Blagdon, der ihn völlig ausschaltete.

»Ich will ja nicht behaupten«, sagte Blagdon, »daß an der Geschichte mit dem ›Alten‹ nichts dran ist. Wahrscheinlich lebt ein Mann hier in der Gegend, der in der Rolle des ausgebrochenen Irren auftritt. Vielleicht ist er es auch wirklich selbst.«

»Dann müßte er mittlerweile uralt sein«, meinte Collett, »und da kann er ja nicht mehr ›arbeiten‹. Einbrecher sind meistens mit dreiunddreißig auf dem Gipfel ihres Könnens. Bis fünfundvierzig können sie auch noch allerhand leisten, dann fällt es ihnen aber schwer, an einer Dachrinne hinaufzuklettern.«

Collett wurde dieses Gespräch allmählich langweilig.

»Wo ist eigentlich Lorney?« fragte er, um Blagdon auf andere Gedanken zu bringen.

»Er hat die Nebengebäude durchsucht.«

»Und niemanden gefunden?«.

»Nein«, gab Blagdon zu. »Aber ich hoffe, daß er mir ein paar Anhaltspunkte geben kann, die mir weiterhelfen.«

»Die können Sie von jedem hier bekommen. Alle Leute im Dorf werden Ihnen interessante Dinge erzählen, wenn Sie sie fragen, aber das dürfte Sie eher in Verwirrung bringen.«

Collett lehnte sich vor und schlug dem Inspektor vertraulich aufs Knie. Blagdon zuckte zusammen und wischte mit der Hand über die Stelle, als ob sie dadurch staubig geworden wäre.

»Warum rufen Sie nicht Scotland Yard zu Hilfe? Wir sind nicht tüchtiger als Ihre Leute, aber wir haben die besten Informationsquellen. Unsere Verbindungen reichen über die ganze Welt. Ich sagte Ihnen doch schon, daß Keller ein entsprungener Sträfling ist. Rennett kennt ihn. Das, zum Beispiel, haben Sie noch nicht gewußt.«

»Rennett hätte es mir schon gesagt. Nein, wir werden hier die Hand an den Pflug legen.«

»Ach, das verstehen Sie nicht«, unterbrach ihn Collett gereizt. Er gab es auf, diesen Mann zu einer vernünftigen Antwort zu bewegen. »Sie sind ja alle in Ordnung, und ich habe auch nichts dagegen, mir mit Ihren Beamten einmal richtig die Nase zu begießen. Aber Sie sind hier in der Provinz zu abgeschlossen! Sie brauchen eine gewandte Führung. Und dazu reicht es bei Ihnen nicht, Blagdon. Es tut mir leid, daß ich Ihnen das sagen muß, aber ich weiß ja, daß Sie es mir doch nicht glauben.«

Blagdon kümmerte sich um diese Grobheit nicht besonders. Er kannte Collett und ließ sich von ihm nicht beleidigen.

»Nun, Sie werden ja noch sehen, daß wir den Fall glänzend lösen werden. Wir brauchen die Spezialisten von Scotland Yard nicht dazu. Die sollen sich um ihren eigenen Kram kümmern. Voriges Jahr wurden in London drei Morde nicht aufgeklärt. Die sollen also uns arme unfähige Hinterwäldler ruhig im dunkeln tappen lassen.«

»Wenn Sie wenigstens noch tappen würden!« stöhnte Collett. »Aber Sie setzen sich hin und verlassen sich auf die Güte des Himmels, der Ihnen sicher hilft. Amen. Soll ich Petrus sagen, daß er Ihnen einen kleinen Engel schickt, der Ihnen mit einer Laterne ein bißchen leuchtet?«

»Wissen Sie denn, wer der Mörder ist?« fragte Blagdon gereizt.

»Natürlich!« fuhr ihn Collett an. »Und ich weiß auch, wer die Rolle des ›Alten‹ hier spielt. Er ist sogar ein lieber Freund von mir. Sie müssen einmal nachmittags zum Tee zu mir kommen, damit ich Sie mit ihm bekannt machen kann!«


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