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Als Lorney wieder in die Diele kam, fand er Mr. Collett eifrig damit beschäftigt, ein Kreuzworträtsel zu lösen. Er ging an ihm vorbei, aber der Chefinspektor rief ihn zurück.
»Wer ist eigentlich dieser Keller? Ich habe ihn noch nicht gesehen, aber viel von ihm gehört.«
»Er kommt aus Australien.«
»Ist er mit den Arranways zusammen?«
Eine kleine Pause trat ein.
»Er begleitete sie auf einer Reise.«
»Und jetzt nicht mehr? Ich dachte eigentlich, die Gerüchte wären übertrieben, die ich in London über die Auseinandersetzungen in der Familie Arranways gehört habe.«
»Ich kümmere mich nicht um die Angelegenheiten anderer Leute.«
»Dieser Keller ist doch nicht daran schuld?« fragte Collett hartnäckig weiter. »Ich möchte mir den Mann einmal ansehen.«
»Er wohnt auf Zimmer acht.«
Collett lachte. »Er ist ein gutaussehender Mann, der ein gutes Parfüm benutzt, nicht wahr?«
Lorney war schon halb auf der Treppe, drehte sich aber noch einmal um.
»Ich weiß nicht, ob er gut aussieht oder nicht. Jedenfalls kann ich ihn nicht ausstehen.«
Lady Arranways erschien oben auf der Treppe, und Lorney trat zur Seite, damit sie vorbei konnte.
Collett hatte sie noch nicht gesehen. Er kannte sie nur von Gesellschaftsberichten aus Illustrierten, mußte jetzt aber feststellen, daß sie in Wirklichkeit viel schöner war. Eine blasse, kühle Frau mit feingeschnittenem Gesicht. Sie schaute nicht in seine Richtung, als sie durch die Diele in den kleinen Salon ging, aber er war sicher, daß sie ihn trotzdem gesehen hatte. Diese Erfahrung hatte er schon öfter gemacht. Frauen, und besonders gewandte und attraktive Frauen, schienen nirgends hinzusehen und doch alles um sich zu bemerken. Er hatte sich schon oft gewünscht, diese für einen Kriminalbeamten so wertvolle Fähigkeit zu besitzen. Ihm sah man es immer schon von weitem an, wenn er hinter jemandem her war.
»Das war Lady Arranways, nicht wahr?«
Lorney nickte.
Der Chefinspektor sah ihn nachdenklich an.
»Ich glaube, ich mache noch einen kleinen Spaziergang«, meinte er dann.
»Na, da werden Sie sicher Captain Rennett treffen, der ist auch ins Dorf gegangen.«
»Oh, da bin ich im Augenblick gar nicht so scharf drauf.«
Lorney begleitete ihn bis zur Haustür und ging dann in den kleinen Salon zu Lady Arranways.
»Wer war denn der Herr?« erkundigte sie sich prompt.
»Chefinspektor Collett von Scotland Yard, Mylady«, imitierte Lorney die sachliche Art des Kriminalbeamten.
»Was tut er denn hier?« fragte sie schnell. Sie mußte unwillkürlich an das unselige Armband denken.
»Er verbringt seinen Urlaub hier. Ich glaube nicht, daß er beruflich hier ist.«
»Könnte es sein, daß Lord Arranways ihn hat kommen lassen?«
Er sah sie erstaunt an. Zu spät erkannte sie, daß sie mit diesen Fragen ihre geheime Furcht verraten hatte.
»Nein«, antwortete er ruhig. »Er kennt Lord Arranways nicht, wenigstens hat er mir das eben gesagt. Polizeibeamten kann man allerdings kaum etwas glauben.«
Sie blätterte währenddessen in einer Illustrierten.
»Haben Sie Mr. Keller gesehen?« fragte sie dann, ohne aufzublicken.
»Er ist in seinem Zimmer und schreibt Briefe.«
»Wahrscheinlich über den Brand. Das muß ein Schreck für ihn gewesen sein.«
»Aber für Sie noch mehr«, meinte Lorney mit der ihm eigenen Direktheit, die ihm die Rolle, die er bei diesem Ereignis gespielt hatte, erlaubte und die ihm in diesem Fall auch angebracht erschien.
Sie sah ihn lächelnd an.
»Das stimmt, aber Frauen sind widerstandsfähiger. – Sie haben ihn ja aus dem Zimmer geholt, Mr. Lorney. Hat er dabei gesagt, es sei noch jemand anders darin?«
Lorney antwortete nicht, und sie deutete sein Schweigen richtig – nämlich als ein Ja.
»Sie haben ihn zuerst herausgebracht und mich dadurch geschützt, weil vermutlich noch andere Leute im Gang waren der Lord, nicht wahr? Und Mr. Mayford?«
»Ja, Mylady.«
Sie machte eine ungeduldige Handbewegung.
»Ach, sagen Sie doch nicht immer Mylady zu mir. – Als mein Mann mit Mr. Keller hinuntergegangen war, kamen Sie zurück und holten mich heraus, nicht?«
»Ja«, antwortete er gleichmütig.
»Trotzdem fürchte ich, daß wir niemanden dadurch täuschen konnten, Mr. Lorney.«
»Das glaube ich auch«, sagte er teilnahmsvoll. »Alle Erklärungen, die ich sonst gehört habe, waren äußerst lahm.«
Lady Arranways lehnte sich in ihrem Sessel zurück und betrachtete den Wirt forschend.
»Warum haben Sie sich all die Mühe mit mir gemacht?«
Er zuckte die Achseln.
»Ich weiß es nicht. Nennen Sie es Sentimentalität.«
»Sie haben Mitleid mit mir«, sagte sie mit traurigem Lächeln.
»Ich bin nun mal sentimental.«
»Sie haben sich wirklich ritterlich benommen, und ich weiß nicht, wie ich Ihnen dafür danken soll. Wir haben Sie immer für besonders ehrlich und zuverlässig gehalten. Wissen Sie, wie wir Sie manchmal nannten? Pfarrer Lorney. – Hoffentlich sind Sie nicht böse darüber.«
»Ach, Sie meinen, weil ich im Kirchenchor singe? Fromm bin ich nicht sehr, aber ich liebe Kirchenmusik, und als mich der Pfarrer voriges Jahr fragte, ob ich mitsingen wollte –«
Sie machte eine abwehrende Bewegung.
»Sagen Sie mir, was halten Sie von mir?«
Lorney antwortete ganz leise, obwohl niemand im Salon war außer ihnen beiden: »Ich habe viel über Sie nachgedacht. Sie haben eine der größten Dummheiten gemacht, die ich mir vorstellen kann.«
Mit einem Seufzer erhob sie sich.
»Es gibt noch mehr Leute hier im Haus, die so denken. Es war ein unverzeihlicher Leichtsinn, und es kommt mir immer stärker zum Bewußtsein, was ich eigentlich alles aufs Spiel gesetzt habe.«
»Sie brauchen keine Angst zu haben. Nur dürfen Sie jetzt den Kopf nicht verlieren.«
»Hat eigentlich Lord Arranways die schrecklichen Dolche mitgenommen?« fragte sie unvermittelt.
»Nein, die liegen noch auf seinem Zimmer«, antwortete er etwas erstaunt.
Während der Unterhaltung war ihm aufgefallen, daß ihre Stimme härter und schärfer klang als früher. Sie mußte ziemlich gelitten haben. Er wollte gehen, aber sie bat ihn zu bleiben, als wenn sie nicht gerne allein sein wollte.
»Ist er tatsächlich so hinter dem Mädchen her?« fragte sie mit leiser Stimme.
»Wen meinen Sie – doch nicht den Lord?«
»Nein, nein«, erwiderte sie ungeduldig, »Mr. Keller. Ich glaube, er und die junge Dame, die hier wohnt, Miss Jeans, sind schon ziemlich eng befreundet.«
»Nein, nicht daß ich wüßte.«
»Aber er war doch heute abend in ihrem Zimmer!«
Lorney erschrak über die plötzliche Heftigkeit, mit der sie das sagte.
»War er tatsächlich in ihrem Zimmer?«
»Oh, ich hätte es sicher nicht sagen sollen, aber ich – ich sah . . . Ich war auf dem Balkon . . .« Sie schien ihre kühle Sicherheit ganz verloren zu haben, und Lorney wußte nicht, was er darauf sagen sollte.
»Es tut mir leid. Ich bin so nervös in letzter Zeit. Es war unverzeihlich, daß ich Ihnen das gesagt habe.«
»Was haben Sie gesehen?«
Sie zuckte die Achseln.
»Ich weiß nicht – nur sehr wenig. Er schien sie umarmen zu wollen. Sie versuchte aber, sich loszumachen, und rannte schließlich die Balkontreppe hinunter – genauso gehetzt, wie sie am Nachmittag aus dem Wald gekommen war. Was dort passiert ist, habe ich auch zufällig beobachten können. – Sie fühlen sich doch ein wenig verantwortlich für Miss Jeans, nicht wahr?«
Sie schwieg einen Augenblick, dann gab sie sich einen Ruck und lächelte, um Verzeihung bittend, zu ihm auf.
»Mr. Lorney, mein Benehmen ist wirklich nicht sehr ladylike. Entschuldigen Sie bitte. Der Brand des Schlosses hat mich völlig durcheinandergebracht – und auch die andere Geschichte. Sie wissen mehr als irgendein anderer von mir, und Sie werden mich verstehen. Sie sind wirklich wie ein alter Freund gewesen. Ich weiß nicht, warum Sie meinem Mann gegenüber gelogen haben, bloß um mich zu schützen.«
Lorney trat ans Fenster.
»Ich will es Ihnen kurz erklären. Ich habe das aus Dankbarkeit getan, denn Sie haben mir einmal, ohne es zu wissen, das Leben gerettet. Glauben Sie, daß ich das je vergessen würde? – Aber sagen Sie mir doch bitte, was zwischen Mr. Keller und Miss Jeans im Wald vorgefallen ist.«
»Mr. Lorney«, sagte sie und legte eine Hand auf seinen Arm, »Sie werden doch keinen Unsinn machen? Bitte bleiben Sie vernünftig. Morgen fährt er nach London und ich auch. Versprechen Sie mir, nichts Übereiltes zu tun?«
John Lorney fuhr sich mit der Hand über die Haare.
»Ich dachte mir schon, daß es nicht völlig harmlos gewesen ist.«
»Aber sie ist doch wirklich groß genug, um auf sich selber aufzupassen«, erwiderte sie ungeduldig. »Sie können doch nicht immer Kindermädchen für Ihre Gäste spielen.«
Er kam nicht mehr dazu zu antworten, denn plötzlich erschien Keller in der Tür zum Salon.
Merkwürdigerweise hatte er einen Abendanzug an. Etwas zu kostbare Manschettenknöpfe blitzten an seinen Ärmeln, und sein Smoking war wirklich der letzte Schrei. Er ignorierte Lorney restlos, winkte nur Lady Arranways zu und schloß die Tür hinter sich.
»Ganz allein? Ich hatte keine Ahnung, daß Sie hier wären. – Hallo, einen Augenblick!« rief er dem Wirt zu, der den Salon verlassen wollte. »Ich möchte was zu trinken. – Merkwürdiger Mensch, dieser Lorney«, fuhr er fort, als der Wirt draußen war. »Der ist eigentlich nicht der richtige Mann für ein Wochenendhotel.«
»Ein Wochenendhotel?« fragte sie erstaunt.
»Na, dies ist doch das typische Absteigquartier für die Londoner, die sich ein bißchen amüsieren wollen. Der Kerl hat ja unglaubliche Manieren. Er scheint es nicht gewohnt zu sein, Gäste aus unseren Kreisen zu haben.«
»Aus welchen Kreisen stammst du denn?« fragte sie eisig.
Er hörte die Ablehnung, die aus ihrer Stimme klang, aber er brachte es nie fertig, einzusehen, daß er irgendwo unerwünscht war. Mit größter Gewandtheit setzte er sich auch diesmal über alles hinweg.
»Ich ahnte ja nicht, daß du hier bist, sonst wäre ich schon viel früher heruntergekommen. Seit sieben bin ich nicht aus meinem Zimmer gegangen.«
»Wirklich?«
Sie sah ihn nicht an und nahm sich eine Zigarette.
Er trat hinter sie und legte ihr beide Hände auf die Schultern.
Sie richtete sich ungeduldig auf, aber er tat, als spürte er ihre Abwehr nicht.
»Stimmt es, daß du seit sieben Uhr dein Zimmer nicht verlassen hast?« fragte sie.
Er schaute sie scharf an.
»Wenn ich kein Schlafwandler bin, müßte es eigentlich stimmen.«
Er klingelte. Keiner von ihnen sprach, bis Charles erschien.
»Was möchten Sie trinken?« erkundigte sich Charles brummig.
»Nichts«, entgegnete sie lustlos.
Keller, immer großzügig, meinte: »Bringen Sie Sekt. Sie werden ja welchen hierhaben.«
»O ja, auf der Weinkarte stehen verschiedene Marken.«
»Schön, bringen Sie eine Flasche und zwei Gläser.«
Die Tür schloß sich hinter Charles.
»Bist du müde?«
Er stand noch hinter ihr und konnte ihr Gesicht nicht sehen.
»Nein, nicht besonders.«
Keller zog sich einen Stuhl auf die andere Seite des Tisches und setzte sich.
»Ich dachte schon daran, auf einen oder zwei Tage nach Paris zu fahren. Ihr geht doch auch dorthin, nicht wahr? Wann denn?«
»Wann fährst du denn dort wieder ab?«
Diesmal konnte er ihren scharfen Ton nicht überhören. Er mußte ihr widersprechen.
»Aber Liebling, du bist wirklich nicht nett zu mir. Ich wollte auf keinen Fall länger als eine Woche in Paris bleiben und dann hierher zurückkommen.«
»Fährt Miss Jeans auch nach Paris?«
In diesem Augenblick kam Charles mit der Flasche und machte sich am Büffet zu schaffen. Er holte zwei Gläser heraus, schnitt den Draht am Flaschenhals durch, und gleich darauf knallte der Pfropfen. Er goß ein.
»Na, was hast du?« fragte Keller, als Charles wieder gegangen war. Seine Stimme hatte einen harten, fast grausamen Klang, den Mary noch nie an ihm gehört hatte. »Du hast was gesehen oder gehört. Was ist los? Was geht das dich an, ob Miss Jeans nach Paris fährt? Ich finde, wir sollten uns mal über Verschiedenes grundsätzlich klarwerden.«
»Bitte, schrei nicht so.«
»Meine liebe Mary, ich will dir mal was sagen –« Er brach plötzlich ab, als er merkte, daß er im Begriff war, zu weit zu gehen.
»Also trink deinen Sekt und mach keine Szene«, sagte er etwas übergangslos. Er konnte nicht über seinen Schatten springen und auf ihre wenigstens scheinbare Anerkennung verzichten.
»Hör mal, Liebling, es ist niemand auf der Welt so wundervoll wie du«, versuchte er es auf die alte Tour, um den schlechten Eindruck abzuschwächen, den er soeben gemacht hatte. »Es ist noch nichts passiert, und es gibt keinen Grund, sich aufzuregen. Also mach keine Tragödie daraus.«
»Das tue ich auch nicht. Ich habe nur einsehen müssen, daß ich ohne weiteres von einem kleinen Mädchen verdrängt werden kann. Das ist nicht leicht gewesen.«
»Sei doch nicht kindisch. Was ist denn schon passiert – was denn? Ein kleiner Flirt. Du bist doch kein Baby mehr. Es ist einfach verrückt von dir, auf sie eifersüchtig zu sein. Sie hat übrigens den Flirt selbst gewollt . . . Sie hat sich mir an den Hals geworfen –«
Er brach ab, denn Lorney trat ins Zimmer. Der Wirt hatte die Hände in den Taschen vergraben.
Lady Arranways ergriff die Gelegenheit.
»Ich fahre morgen früh in die Stadt, Mr. Lorney. Würden Sie so freundlich sein, es Mr. Mayford auszurichten, wenn er zurückkommt? Und lassen Sie mich bitte um sieben wecken.«
Keith Keller schaute sie überrascht an, als sie lächelnd aufstand und ihm die Hand gab.
»Gute Nacht. Ich hoffe, daß Sie eine angenehme Zeit mit uns verbracht haben. Wir werden uns wahrscheinlich nicht wiedersehen!«
Sie nickte Lorney zu.
»Gute Nacht und vielen Dank für alles, was Sie getan haben.«
Die beiden sahen ihr nach, bis sich die Tür hinter ihr geschlossen hatte. Dann schaute Keller den Wirt fragend an.
»Was meint sie denn damit: Alles, was Sie getan haben? Das klingt ja wie im Theater.« Plötzlich fiel es ihm ein. »Ach so – Sie sind ja der brave Mann, der sie aus den Flammen gerettet und dem Lord was vorgelogen hat. – Geben Sie mir doch bitte was zu trinken. Frauen können einem schon zusetzen! Wer ist übrigens der Herr, der heute ankam?«
»Mr. Collett.« Lorney war an das Büffet getreten und nahm die Kognakflasche, die dort stand. »Ein Beamter von Scotland Yard. Ich hörte so etwas sagen, als wäre er hinter dem Dieb eines Brillantarmbands her, das in Berlin gestohlen wurde.«
Keller starrte ihn an und schluckte trocken.
»Was sagen Sie? Ein Brillantarmband? Wem ist es denn gestohlen worden?«
»Weiter kann ich Ihnen nichts sagen.«
Der Wirt schob ihm das Glas zu.
»Wohin ist denn Mr. Mayford gegangen?«
»Das kann ich leider auch nicht sagen.«
Keller goß seinen Kognak hinunter.
»Dann ist doch noch ein neuer Herr da, nicht wahr? Ich sah die beiden zusammen sprechen.«
Lorney warf ihm einen schnellen Blick zu.
»Das ist ein Amerikaner.«
Keller hob den Kopf.
»Amerikaner? Woher kommt er denn?«
»Aus St. Louis.«
»Und wie heißt er?«
»Rennett – Captain Rennett.« Ein Klirren von splitterndem Glas ließ Lorney aufschauen. Keller stand da mit leeren Händen und starrte verstört auf die Scherben seines Kognakschwenkers, die vor ihm auf dem Boden lagen.
»Rennett?« fragte er tonlos. Entsetzt sah er Lorney an. »Rennett«, wiederholte er heiser. »In diesem Haus . . . unter demselben Dach!«
Lorney nickte.
»Kennen Sie ihn?«
Keller lehnte sich schwer an das Büfett.
»Geben Sie mir noch einen Kognak. – Weiß der, daß ich hier bin? Ach, es ist ja gleich, ob er es weiß oder nicht. Auf jeden Fall muß ich ein anderes Zimmer haben. Sie haben doch da hinten noch mehr Räume.« Er zeigte auf den neuen Anbau, den Lorney hatte machen lassen.
Der Wirt sah ihn zweifelnd an.
»Ja, wir haben allerdings einige Gastzimmer da drüben, aber es wird Ihnen sehr einsam und ungemütlich vorkommen.«
»Das ist mir gleich.«
Er trank den Kognak mit einem Zug aus und lachte.
»Rennett! Unter einem Dach mit ihm, ohne es zu ahnen. Unvorstellbar!«
»Anscheinend ein guter Freund von Ihnen?« fragte Lorney ironisch.
»Noch schlimmer. Ein Verwandter.«
Keller sah sich in dem Salon um.
»Sie haben sich hier ganz nett eingerichtet, Mr. Lorney. Es muß ein großartiges Gefühl sein, in einer so herrlichen Gegend wie Sketchley ohne Sorgen leben zu können und keine Schwierigkeiten zu haben, nicht wahr?«
Lorney sah ihn mit unbewegtem Gesicht an und sagte nichts.
»Ich werde morgen nach London fahren und wahrscheinlich von dort aus nach Paris reisen. Können Sie mir einen Scheck einlösen?«
»Wenn die Summe nicht zu groß ist.«
Keller ging zu dem kleinen Tisch hinüber, setzte sich, zog ein Scheckbuch aus der Tasche und begann zu schreiben.
»Ich glaube, Sie können mich nicht ausstehen, habe ich recht?« fragte er beim Ausfüllen des Schecks.
»Wenn ich ehrlich sein soll, ja.«
»Schade«, entgegnete Keller, »ich merkte es schon an dem Bedauern, das Sie über meine Abreise zeigten. Wo ist Ihre Bank?«
»Meine ist in Bristol.«
Keller riß den Scheck aus dem Buch.
Lorney nahm das Blatt und las die Zahl.
»Ist das ein Witz?«
»Nein.«
»Ich sagte doch, daß die Summe nicht so hoch sein dürfte.«
»Ich hab' ein großes Bankkonto – Sie haben keine Ahnung, wie reich ich bin«, erwiderte Keller selbstgefällig.
Lorney faltete den Scheck wortlos zusammen und steckte ihn ein.
In einer Ecke des Salons stand ein Bücherschrank. Keller zog ein Buch heraus.
»Ich möchte gern was zu lesen mitnehmen.«
»Die Bücher sind für die Gäste da.«
»›Lebenslänglich Zuchthaus‹«, las Keller laut. »Das klingt nicht sehr verlockend.«
»Es ist ein Roman über die australischen Strafanstalten. Sehr interessant! Sie kennen doch Australien?«
»Grauenerregend – so ein Zuchthaus. Und die sind auch nicht besser geworden, seitdem das Buch geschrieben wurde.«
»Sie scheinen ja eine Autorität auf dem Gebiet zu sein«, meinte Lorney ironisch.
Keller ließ sich nicht einschüchtern.
»Ja, über australische Verhältnisse weiß ich gut Bescheid. Wir können uns ja mal darüber unterhalten.«
»Aber Sie wollten doch abreisen.«
»Ja, morgen. Aber vielleicht komme ich wieder her.«
»Dann kann ich Sie leider nicht mehr bei mir aufnehmen, Mr. Keller – das sage ich Ihnen ganz ehrlich. Es ist mir nicht angenehm, Sie im Haus zu haben. Die Gründe brauche ich Ihnen ja wohl nicht zu sagen.«
Keller lachte laut auf.
»Sie mit Ihrer Moral!« spottete er. »Daß Ihnen nur kein Stein aus der Krone fällt.«
Der Wirt packte ihn am Arm.
»Ich bin hier der Wirt, Mr. Keller, und bemühe mich, meine Gäste zufriedenzustellen. Aber wenn Sie es sich einfallen lassen, in die Zimmer anderer Gäste zu gehen, kann ich sehr ungemütlich werden. Ich möchte nicht, daß das noch einmal vorkommt.«
Keller machte sich frei. Er lachte immer noch, aber nur um seine Angst zu verbergen.
»Ach so, Sie sprechen von der Dame mit den seltsamen Augenbrauen? Sie wissen ja, was die zu bedeuten haben, nicht wahr?«
»Ich glaube, ja. – Aber das ist im Augenblick nebensächlich. Bleiben Sie jetzt bitte in Ihrem eigenen Zimmer. Ich komme später hinauf und sage Ihnen, wo Sie sich vor Rennett verstecken können.«