Edgar Wallace
Feuer im Schloß
Edgar Wallace

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

10

Drei Stunden saß Anna Jeans in ihrem Zimmer, überlegte, plante und ärgerte sich. Sie wollte am nächsten Morgen abreisen. Lorney hatte sich wirklich zu wenig um sie gekümmert, redete sie sich in ihrem Ärger ungerechterweise ein. Es war doch seine Aufgabe, zu verhüten, daß ihr etwas passierte. Aber gleich darauf mußte sie sich sagen, daß er sie ja gewarnt hatte, allein in den Wald zu gehen. Ihm durfte sie keine Vorwürfe machen.

Sollte sie es ihm erzählen? Aber was sollte sie ihm erzählen? So viel war es ja gar nicht. Wenn ein erfahrener Mann und ein ziemlich unerfahrenes junges Mädchen sich auf eine einsame Bank setzen und über Liebe reden, kommt so was eben vor. Keller hatte sie plötzlich und unerwartet umarmt und geküßt. Ach, nein, ganz unerwartet war es auch nicht gewesen. Sie wußte, daß es so kommen würde, und sie hätte es auch vermeiden können, aber sie war ihrer selbst so sicher gewesen und hatte geglaubt, über der Situation zu stehen. Es war unerträglich! Diese Küsse – sie konnte die Erinnerung daran nicht loswerden.

Sollte sie es Mr. Lorney erzählen oder Dick? Nein, ihm konnte sie es am allerwenigsten sagen. Er würde Keller umbringen. Und Lorney fand wahrscheinlich gar nichts dabei! Anna war äußerst schlechter Laune.

 

Inzwischen war der neue Gast in Sketchley angekommen, und Lorney brachte sein Gepäck ins Haus.

Mr. Collett sah sich in der behaglich eingerichteten Diele um. Die neuen Möbel gefielen ihm außerordentlich, aber während Charles seine Koffer auf sein Zimmer trug, beklagte er sich, daß kein Feuer im Kamin brannte.

»Richtiges englisches Sommerwetter. Nachmittags ging es ja noch, aber jetzt gegen Abend weht wieder ein Nordostwind wie im März. Ein gräßliches Land!«

»Wollen Sie hier Ihren Urlaub verbringen, Mr. Collett?«

»Oh, ich erhole mich eigentlich dauernd, Mr. Lorney. – Nein, ich bin beruflich hier. Was macht denn der ›Alte‹? Ich habe gehört, seine neueste Masche sei es, gestohlene Sachen wieder zurückbringen – und das Feuer im Schloß wird ihm ja auch in die Schuhe geschoben.«

Der Wirt mußte lachen.

»Ich muß Ihnen mal jemanden schicken, der sich für Märchen interessiert.«

Collett ließ sich den Tee in die Diele bringen und ging später trotz des schlechten Wetters noch aus, um sich die Ruinen von Schloß Arranways anzusehen. Außerdem wollte er sich aber auch noch mit ein paar Leuten unterhalten, die zwar nicht an Märchen, aber an die Existenz des ›Alten‹ glaubten. Er hatte drei Adressen von Personen, die ihn in der letzten Zeit gesehen hatten.

Collett stattete dem Farmhaus an der Ecke des Waldes einen Besuch ab, dann sprach er noch mit einem Arbeiter, der an der Ausfahrt des Dorfes wohnte, und danach suchte er den Pfarrer auf, der an der Straße nach Guildford bei einer Witwe lebte. Es stand also fest: Der ›Alte‹ war gesehen worden. Alle Aussagen stimmten mit der offiziellen Personenbeschreibung überein.

Er war gesehen worden, als das Tafelgeschirr zurückgebracht wurde. Und das Seltsamste an der Geschichte war, daß alle Gegenstände gut geputzt und sorgfältig verpackt waren, wie er von anderer Seite erfuhr.

Collett überschlug in Gedanken die bisher erreichten Ergebnisse. Daraus ergab sich, daß der ›Alte‹ aus dem Wald von Sketchley gekommen sein mußte und auch wieder dahin zurückgekehrt war. Collett hatte den einzigen vorhandenen Plan von den Höhlen mitgebracht und engagierte auch noch einen älteren Mann, der im Sommer als Fremdenführer tätig war.

Als er zurückkam, war die Bar bereits geschlossen und die Diele nur noch durch eine Lampe erleuchtet. Lorney war ein sparsamer Mann, und in der Mitte der Woche war das Geschäft sowieso nicht besonders. Collett traf Charles, der zum Speisesaal ging, wo sich zwei Gäste in ihrer Einsamkeit nicht besonders wohl fühlten.

»Ist Lord Arranways hier?« fragte der Chefinspektor.

Der Kellner sah ihn finster an, denn er erkannte in Collett einen Mann, dem er früher nach Möglichkeit aus dem Weg gegangen war, mit dem er aber verschiedentlich unangenehme Begegnungen gehabt hatte. Allem Anschein nach war das Erkennen jedoch nicht gegenseitig, denn der Beamte ließ in keiner Weise merken, daß er einen Bekannten vor sich hatte.

»Der Lord ist heute nachmittag nach London gefahren und hat seinen Schlüssel mitgenommen«, erklärte Charles unfreundlich und ging dann in den Speisesaal. Das Tablett zitterte in seinen Händen.

Collett lächelte leicht. Es wunderte ihn, daß Lorney einem alten Verbrecher eine derartige Chance gab.

Gleich darauf erschien Mrs. Harris in schwarzem Kleid, weißer Servierschürze und weißem Häubchen auf dem Haar. Collett konnte sie eigentlich nicht ausstehen, weil sie so entsetzlich gesprächig war.

»Sind Sie auch noch hier?« fragte er sie trotzdem freundlich.

Sie strahlte ihn an. Mrs. Harris war die Tochter eines Polizeibeamten und wußte die Aufmerksamkeit von einem hohen Kollegen ihres Vaters zu schätzen.

»Wer ißt denn dort drüben?« erkundigte sich Collett weiter.

»Miss Jeans und Mr. Mayford.«

»Ist übrigens Lady Arranways auch in die Stadt gefahren?«

Mrs. Harris sah ihn vorwurfsvoll an.

»Ich weiß doch nicht, was Mylady vorhat. Es hat keinen Zweck, daß Sie mich fragen. Sie sind ja auch nicht besser als der amerikanische Herr«, sagte sie.

»Ach, etwa Mr. Rennett? Den muß ich auch noch sprechen. Wo ist er denn?«

»Ausgegangen.«

Mrs. Harris warf einen kurzen Blick ins Speisezimmer, dann kam sie zu Collett zurück und fragte leise: »Warum sind Sie hergekommen? Ist etwas passiert, worum sich Scotland Yard kümmern muß?«

»Es passiert immer etwas, worum sich die Polizei kümmern muß«, erwiderte er gutgelaunt. »Vor allem will ich meinen alten Freund wiedersehen.«

»Den ›Alten‹?« fragte sie und runzelte die Stirn. »Ich glaube nicht, daß er überhaupt noch lebt. Sie etwa? Aber hier haben ja immer noch alle Leute Angst. Sie fürchten sich vor ihrem eigenen Schatten!«

Sie trat schnell hinter die Theke, und Collett vermutete, daß Lorney in der Nähe war. Als er aufsah, entdeckte er ihn oben auf der Galerie. Für sein Gewicht hatte der Mann wirklich einen außerordentlich leichten Schritt. Er hielt einen Gegenstand in der Hand, der die Aufmerksamkeit des Kriminalbeamten magisch auf sich zog.

»Was haben Sie denn da, Mr. Lorney? – Wollen Sie zu einem Maskenball?«

Der Wirt lächelte, als er ihm den langen Dolch in der Samtscheide zeigte.

»Er gehört Lord Arranways«, erklärte er. »Er sammelt solche Waffen. Haben Sie schon einmal von Aba Khan gehört? Bis heute wußte ich noch nichts von ihm, aber Lord Arranways hat mir die tolle Geschichte erzählt.«

Er zog den Dolch aus der Scheide und prüfte die Klinge.

»So scharf, daß man sich damit rasieren könnte.«

Collett betrachtete die Waffe neugierig.

»Was machen Sie denn damit?«

Lorney erklärte ihm, daß die Waffensammlung vom Schloß herübergebracht worden war. Den Dolch hatte er in der Diele gefunden. Wahrscheinlich hatte ihn der Lord dort liegengelassen, er war manchmal etwas zerstreut.

»Ich will eben den Schlüssel zu seinem Zimmer holen, um die Waffe wegzuschließen.«

»Ist Lord Arranways denn nicht hier?«

»Nein, er ist in die Stadt gefahren. Morgen kommt er vielleicht wieder zurück.«

Collett steckte die Klinge in die Scheide und gab sie Lorney zurück. Er wartete, bis der Wirt wieder unten war und den Schlüssel angehängt hatte, dann bat er ihn, mit in sein Zimmer zu kommen, da Mrs. Harris schon wieder Gläser putzte.

»Hier hat es inzwischen Schwierigkeiten bei den Arranways gegeben?« sagte er in fragendem Ton.

»Woher wissen Sie denn das?«

»Ich habe so meine Quellen. Wer ist denn an der Sache schuld? Etwa der Mann, den sie aus Ägypten mitgebracht haben?«

Lorney zuckte die Achseln.

»Ich weiß nur sehr wenig davon. Die Leute im Dorf tratschen ja, daß einem die Haare zu Berge stehen.«

Collett kniff die Augen zusammen.

»Sie haben der Lady doch das Leben gerettet, als das Haus abbrannte. Wo haben Sie sie nun eigentlich wirklich gefunden?«

Lorney sah den Kriminalbeamten mit seinen kalten grauen Augen ruhig an.

»Haben Sie sich pensionieren lassen, Mr. Collett?«

»Warum?«

»Nun, ich habe häufig beobachtet, daß Beamte von Scotland Yard sich nach ihrer Pensionierung als Privatdetektive betätigen. Ich verstehe nicht viel davon, aber so viel Ahnung habe ich doch, daß ich weiß, sie beschäftigen sich dann gern damit, für Ehegatten zu arbeiten, die sich betrogen fühlen.«

Collett starrte ihn einen Anblick verblüfft an, dann lachte er leise.

»Nein, nein, ich bin noch im Dienst. Aber Sie haben völlig recht, die Sache geht mich nichts an. – Also, wenn ich von London angerufen werden sollte: Ich bin hier oben.«

Lorney wollte hinausgehen.

»Übrigens«, fügte Collett noch hinzu, »wie heißt eigentlich Ihr Kellner?«

»Mr. Collett, Sie kennen seinen Namen genauso gut wie ich, und Sie wissen auch über seine Vergangenheit Bescheid. Ich versuche, ihm wieder auf die Beine zu helfen. Haben Sie etwas dagegen?«

Lorney konnte recht unfreundlich sein, aber Collett nahm es ihm nicht übel, denn er bewunderte ihn im stillen.


 << zurück weiter >>