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Es gab noch mehrere Auseinandersetzungen an diesem Tag.
Der Kellner Charles kam in größter Aufregung zum Wirt, den er in dem kleinen Salon hinter der Bar traf. Er war ein Mann zwischen Fünfzig und Sechzig mit breiten Schultern und einem kleinen, häßlichen Gesicht, das noch abstoßender wirkte, wenn er wütend war.
Lorney hörte den etwas zusammenhanglosen Bericht ruhig an.
»Was haben Sie denn sonst noch getan?« fragte er.
»Nichts!« rief der Kellner heftig. »Das Glas fiel mir vom Tablett, und der Whisky-Soda spritzte auf seine Hose. Ich gebe zu, ich hätte vorsichtiger sein sollen, aber noch bevor ich wußte, was eigentlich passiert war, hatte er schon seine Faust unter meinem Kinn. Ich wäre beinah zu Boden gegangen.«
»Ich werde mit ihm reden.«
»Mit ihm reden!« wiederholte der Kellner zitternd vor Wut. »Wenn ich nicht an meine Frau zu denken hätte . . . Es wäre nicht mehr viel von dem Kerl übriggeblieben!«
»Sie müssen auch noch an andere Dinge denken. Ich gebe Ihnen hier die Möglichkeit, wieder in geordnete Verhältnisse zurückzufinden, Green. Fünfmal haben Sie schon gesessen, und kein anderer würde Ihnen unter diesen Umständen Arbeit geben. Bei mir haben Sie ein Unterkommen und werden gut für Ihre Arbeit bezahlt. Es kommt nicht in Frage, daß ein Gast einen Angestellten schlägt, und ich werde mit Mr. Keller sprechen – das habe ich Ihnen ja schon gesagt. Sollte es noch einmal vorkommen, dann habe ich nichts dagegen, wenn Sie sich wehren. Aber ich glaube nicht, daß es noch einmal soweit kommt.«
Lorney sprach Keller später an, als er in die Gaststube kann.
»Schlagen Sie immer so schnell zu, wenn Ihnen was nicht paßt?« begann er ärgerlich.
»Wie bitte?« Keller schaute ihn verständnislos an. »Ach so – Sie sprechen von dem Kellner mit den Plattfüßen. Ein besonderer Trottel! Meine neue Hose hat er mir verdorben.«
»Na, so schlimm war es wohl nicht«, erwiderte Lorney unfreundlich. »Ich warne Sie vor dem Mann. Der war früher Berufsboxer. An Ihrer Stelle würde ich mich nicht mehr mit ihm anlegen.«
Lorney sah nicht, wie Mrs. Harris zurückkam, die in seinem Wagen ohne sein Wissen fortgefahren war. Sie hielt an der Hintertür, ging schnell durch die Küche in die Gaststube und ließ sich dort auf einen Stuhl fallen, denn sie hatte sich sehr beeilt und war etwas außer Atem.
Mary Arranways hatte sie vom Balkon aus kommen sehen und trat nun in das Zimmer.
»Haben Sie das Geld?« fragte sie leise.
Mrs. Harris strahlte, zog die lange Hutnadel heraus und holte unter ihrem Hut ein dickes Bündel Banknoten hervor. Mary griff hastig danach und steckte die Scheine in ihre Handtasche.
»Sie haben doch hoffentlich niemandem gesagt, wo Sie waren?«
»Wem hätte ich es sagen sollen? Nein, von mir erfährt niemand etwas. Aber soviel Geld habe ich noch nie auf einem Haufen gesehen. Haben Sie nicht Angst, das alles hier zu haben? Bei den vielen Einbrüchen?«
Mary hatte einen sorgenvollen Vormittag hinter sich. Wenn die Frau nun Lord Arranways erzählte, daß sie für seine Frau vierhundert Pfund auf der Bank abgeholt hatte? Mary hatte nicht den geringsten Anlaß, Geld abzuheben. Und eine Ausrede wollte ihr auch nicht einfallen . . .
»Waren Sie dabei, als es im Schloß brannte?« fragte sie die Frau.
Mrs. Harris lächelte und nahm langsam ein paar Staubtücher aus einem Schubfach.
»Ja, ich war im Park und habe auch ein paar Bilder herausgetragen.«
Lady Arranways sah sie nachdenklich an.
»Ich kann mich nicht auf alles besinnen; ich kam erst wieder zu mir, als ich hier im Bett lag, und hatte keine Ahnung, was eigentlich passiert war.«
Mrs. Harris war froh, daß sie auch einmal gefragt wurde. »Ach, Mr. Lorney hat Sie gerettet! Er hat Sie herausgetragen, und Sie hatten nur ein Nachthemd an! Da hatte er Glück – ich meine, daß er Sie retten konnte.«
»Haben Sie gehört, wo er mich gefunden hat?«
Mrs. Harris räusperte sich. »Er hat Sie aufgehoben.«
»Ja, das schon«, erwiderte Mary ungeduldig, »aber wo?«
Die Frau machte eine Pause, dann räusperte sie sich wieder.
»Nun, es heißt, oben im Gang.«
Lady Arranways hörte deutlich die Zweifel heraus, die sich hinter dieser Antwort verbargen.
»Natürlich reden die Leute viel dummes Zeug, aber daran kann man sowieso nichts ändern«, fuhr Mrs. Harris fort.
»Worüber reden denn die Leute?« fragte Mary kühl.
Aber sie hatte gefährlichen Boden betreten, und die Frau wich ihr aus.
»Dagegen kann man nichts machen«, sagte sie nur.
Mary zuckte die Schultern und redete sich ein, daß man sich unmöglich um das Gerede der Leute kümmern könnte.
Den ganzen gestrigen Tag hatte sie im Bett gelegen und sich mit Vorwürfen überhäuft. Wie leichtsinnig und unvorsichtig war sie gewesen . . . Wie hatte sie nur länger in Keiths Zimmer bleiben können? Es war wirklich unvorstellbar. Das erste, was ihr einfiel, war, daß ein Mann sie hinausgetragen hatte. Dann erinnerte sie sich an Eddies Stimme. Aber sonst war alles in einen dichten Nebel gehüllt.
Was wußte Eddie wohl? Das machte ihr die größten Sorgen. Im Grunde liebte sie ihn wirklich und hielt trotz all seinen Eigenheiten viel von ihm. Und Keith . . . Plötzlich hatte sie das Gefühl, als würde sie beobachtet. Eddie stand oben an der Treppe und sah sie an. Es war das erstemal, daß sie sich nach dem Brand trafen.
Sie nahm sich zusammen. »Hallo, Eddie!«
Er kam langsam die Treppe herunter und nickte ihr zu.
»Nun, hast du dich wieder ganz erholt?« fragte er. Seine Stimme klang belegt, und seine Hände zitterten, als er eine Zeitung vom Tisch nahm.
»Es war eine furchtbare Aufregung«, erwiderte sie. »Sind wichtige Sachen verbrannt?«
Er sah sie über die Zeitung hinweg an.
»Die nackten Außenwände stehen noch – außerdem Kellers Zimmer, wo das Feuer ausbrach. Merkwürdig, nicht? Sogar der Fußboden ist noch drin.«
Mrs. Harris putzte hinter der Theke die Gläser, was sie nicht daran hinderte, der Unterhaltung aufmerksam zu folgen. Sie witterte kommendes Unheil.
»Eddie, es tut mir sehr leid«, sagte Mary. Das war eine völlig überflüssige Bemerkung, aber Mary wollte Zeit gewinnen und ihn vor allem von weiteren Fragen abhalten.
»Die Miniaturen und die Waffensammlung sind gerettet worden«, erklärte Arranways, der sich inzwischen etwas gefaßt hatte. »Und die meisten Dorfbewohner haben geholfen, Gemälde und Möbel aus dem Haus zu schaffen.«
Mrs. Harris beugte sich eifrig vor.
»Ich habe auch zwei Bilder hinausgetragen, aber bis jetzt hat mir noch niemand dafür gedankt.«
Der Lord kümmerte sich nicht um sie.
»Wir bleiben wohl am besten noch ein paar Tage hier, bis unsere Stadtwohnung fertig eingerichtet ist, so daß wir dorthin ziehen können.«
»Ich fühle mich aber ganz wohl hier«, protestierte Lady Arranways, »und wir müssen ja doch alles länger vorbereiten, wenn wir für immer in der Stadt wohnen wollen.«
Bis jetzt hatte sie ihm noch keine Gelegenheit gegeben, auf den wesentlichen Punkt zu kommen, aber er wollte unter allen Umständen darüber sprechen.
»Keller habe ich heute morgen noch gar nicht gesehen. Ich nehme an, daß er nach London geht?«
Lady Arranways hatte sich inzwischen in einen Sessel gesetzt. Auf ihren Knien lag eine Zeitung.
»Ich weiß es wirklich nicht, aber er kann ja machen, was er will.«
Einen Augenblick sah er sie prüfend an.
»Ja, er amüsiert sich, so gut er kann«, erwiderte er.
Sie lächelte gezwungen.
»Warum sagst du ihm nicht, daß er uns allein lassen soll, wenn er dich so langweilt?«
»Wir sind hier in einem Hotel, und er kann natürlich bleiben, solange er will. Aber wenn er das tun sollte, fahren wir natürlich besser nach London.«
Sie legte die Zeitung beiseite. Jetzt mußte sie etwas sagen. Schweigen war hier gleichbedeutend mit dem Eingeständnis ihrer Schuld.
»Warum denn?« fragte sie.
Ihr Mann runzelte die Stirn, denn er hatte erwartet, daß sie seinen Vorschlag ohne Widerspruch annehmen würde. In dem ruhigen und düsteren Haus in der Berkeley Avenue hätte er dann versucht, das Problem irgendwie zu lösen.
»Hast du etwas dagegen?« fragte er.
Sie schüttelte den Kopf.
In diesem Augenblick kam Lorney herein.
Lord Arranways sprach ihn an.
»Ich muß dringend in die Stadt, mein Zimmer wird frei, Mr. Lorney.«
Der Wirt sah fragend zu Mary hinüber.
»Meines nicht«, sagte sie lächelnd. »Ich bleibe mindestens noch ein paar Tage hier. – Ich habe Ihnen übrigens noch gar nicht gedankt für alles, was Sie bei dem Brand für mich getan haben.«
Und dann ging sie zum Angriff über, um die günstige Gelegenheit nicht zu versäumen.
»Wo haben Sie mich eigentlich gefunden, Mr. Lorney?« fragte sie und sah dabei ihren Mann an.
Der Lord warf einen Blick auf den Wirt.
»Im Korridor, in der Nähe eines Fensters.«
Sie unterdrückte einen Seufzer der Erleichterung, denn Eddie schien keine Einwände machen zu wollen.
»Ich kann mich nur daran erinnern, daß ich aufwachte und leichten Brandgeruch wahrnahm«, entgegnete sie, ohne jemanden anzublicken. »Ich lief aus meinem Zimmer, um die anderen zu wecken, und dabei muß ich ohnmächtig geworden sein . . . Das war allerdings äußerst überflüssig: Normalerweise kommt das auch nicht so leicht vor. Jedenfalls danke ich Ihnen sehr, Mr. Lorney.«
Sie nahm eine Zigarette aus ihrem Etui.
»Kannst du mir bitte Feuer geben, Eddie?«
»Hast du denn dein Feuerzeug verloren?«
Eddie Arranways hielt Geschenke, die er selbst gemacht hatte, für besonders wertvoll, und er hatte ihr erst vor kurzem das kostbare Feuerzeug mitgebracht.
»Wodurch ist eigentlich das Feuer entstanden? Weiß man das schon?« erkundigte sie sich, ohne auf seine Frage einzugehen.
»Jemand hat eine brennende Zigarette fallen lassen. Wenigstens ist das die Ansicht der Polizei«, gab Eddie kühl zur Antwort. »Ich dachte, Keller raucht keine Zigaretten.«
Sie lächelte rätselhaft.
»Nun, vielleicht tut er es manchmal doch. Oder vielleicht war es auch eine Zigarre, die noch brannte und die er in den Papierkorb warf.«
Arranways sagte nichts darauf, aber er beobachtete sie, als sie in den Garten hinausging. Der Regen hatte jetzt aufgehört. Mary verschwand bald auf dem Gartenweg, der zu einem Wäldchen hinüberführte.
Eine Zigarre im Papierkorb! Woher wußte Mary, daß das Feuer in dem Papierkorb von Kellers Zimmer entstanden war? Er hatte ihr doch nichts darüber gesagt! Die Sache kam ihm jetzt noch verdächtiger vor. In der Londoner Wohnung war auch schon einmal ein Feuer entstanden, weil Mary eine brennende Zigarette achtlos neben eine Gardine geworfen hatte.
»Ich wollte Ihnen noch etwas erzählen, Mr. Lorney«, unterbrach der Lord seine Gedanken über Marys Verhalten. »Der ›Alte‹ wurde vorige Nacht in der Nähe des Schlosses gesehen.«
»Wir hätten ihn verfolgen sollen«, meinte Lorney. »Wahrscheinlich ist er jetzt wieder entkommen.«
»Aber wissen Sie, was das Merkwürdigste ist? In der Nacht vor dem Brand wurde im Schloß wieder eingebrochen, und zwar hat der ›Alte‹ – denn der muß es ja gewesen sein – einen goldenen Becher zurückgebracht, den er mir zusammen mit anderem goldenem und silbernem Tafelgeschirr vor einiger Zeit gestohlen hat.«
Lorney sah Lord Arranways groß an.
»Aber das ist doch nicht möglich! Sind Sie sicher?«
»Der goldene Becher stand auf dem Tisch in der Eingangshalle, als ich herunterkam. Übrigens hat der ›Alte‹ in der letzten Zeit Sachen im Wert von etwa viertausend Pfund wieder zurückgebracht.«
»Und da fragen sich die Leute«, entgegnete der Wirt kopfschüttelnd, »ob der ›Alte‹ verrückt ist! Also, ich für meinen Teil kann das Märchen von dem ›Alten‹ nicht glauben. Meiner Meinung nach ist er in der Nacht umgekommen, in der er aus der Irrenanstalt ausgebrochen ist. Irgend jemand spielt hier den ›Alten‹ und versteckt sich hinter seiner Maske.«
»Haben Sie ihn etwa noch nie gesehen?« fragte der Lord. »Hier ist doch jeder überzeugt, ihn schon einmal gesehen zu haben.«
Der Wirt schüttelte den Kopf.
»Dann haben Sie ihn in der Nacht, als das Feuer ausbrach, auch nicht gesehen?« beharrte der Lord.
»Ich bin kurz nach Mitternacht von Guildford abgefahren und habe niemanden auf der Straße getroffen. Merkwürdigerweise mußte ich an den ›Alten‹ denken, als ich an der Irrenanstalt vorbeikam. Dort ist jetzt ein Pförtner angestellt, der öfter bei mir ein Glas Bier trinkt. Ich unterhielt mich eine Weile mit ihm – natürlich über den ›Alten‹ –, aber selbst habe ich ihn nicht gesehen.«
Lorney drehte sich plötzlich um und fuhr Mrs. Harris an, die mit größter Anteilnahme zuhörte.
»Nun stehen Sie nicht immer herum und interessieren Sie sich nicht für Dinge, die Sie nichts angehen. Machen Sie lieber, daß Sie mit Ihrer Arbeit weiterkommen!«
Lord Arranways stand noch unschlüssig am Fuß der Treppe. Die ganze Zeit schon lag ihm eine Frage auf der Zunge, aber die Anwesenheit von Mrs. Harris machte es ihm unmöglich, sie zu äußern. Schließlich wurde jedoch der Wunsch, endlich alle seine Zweifel beseitigt zu sehen, übermächtig in ihm, und er wandte sich an Mr. Lorney.
»Sagen Sie mir, Mr. Lorney, ist Ihr Bericht von den Ereignissen bei dem Brand – ich meine, wo und wie Sie meine Frau gefunden haben – auch wirklich wahr?«
Mrs. Harris kam ein paar Schritte näher.
Lorney sah den Lord fest an.
»Vollkommen.«
»Vollkommen«, wiederholte Mrs. Harris leise.
Der Wirt wandte sich wütend nach ihr um.
»Sind Sie immer noch hier? Wollen Sie, daß ich Sie 'rauswerfe?«
»Ach, das ist mir jetzt auch egal«, rief sie ärgerlich. »Alle Leute, die geholfen haben, Sachen aus dem Schloß zu retten, haben Geld dafür bekommen, nur ich nicht.«
»Sie haben auch nichts hinausgetragen! Machen Sie mir doch nichts vor.«
Das war zuviel für Mrs. Harris. Mit der flachen Hand schlug sie auf den Tisch, daß es knallte.
»Das wird ja immer schöner! Es waren zwei nackte junge Männer –«
»Was . . .?«
»– in dicken Goldrahmen. Ich habe sie kaum heben können.«
»Ach so – Bilder!« sagte der Wirt. »Das glaube ich nicht, denn es hat Sie niemand gesehen –«
Er brach plötzlich ab, denn Captain Rennett kam aus dem Billardzimmer und ging durch die Diele ins Freie.
»Der Herr hat mich gesehen!« erklärte Mrs. Harris triumphierend. »Er stand keine zehn Schritt von mir entfernt, als ich die Bilder an einen Baum lehnte.«
»Was – Captain Rennett?«
»Ich weiß nicht, wie er heißt, aber jedenfalls hat er mich gesehen.«
»Er war doch an dem Abend noch gar nicht hier«, erwiderte der Wirt ungerührt. »Durch Lügen verschaffen Sie sich auch kein Geld.«
»Er war hier. Ich habe ihn mit eigenen Augen gesehen«, rief sie wütend. »Der andere Herr kann beweisen, daß er hier war.«
»Welcher Herr?«
»Der junge Herr, der doch der Bruder von Lady Arranways ist.«
»Mr. Mayford?«
In diesem Augenblick trat Dick in die Diele, und John ging auf ihn zu.
»Haben Sie Mr. Rennett bei dem Brand in der Nähe des Schlosses gesehen, Mr. Mayford?«
»Wer ist denn Mr. Rennett?« fragte Dick und fügte gleich hinzu: »Sie meinen doch nicht den großen, etwas korpulenten Herrn? – Ja, der war tatsächlich dort.«
»Aber der ist doch erst heute morgen angekommen«, murmelte Lorney verwirrt.
»Der ist schon eine Weile hier«, sagte Dick bestimmt. »Er war auch in Rom, als wir dort waren, ebenso in Berlin und vorher auch in Wien. Der Mann hat uns den ganzen letzten Monat verfolgt. Ich möchte nur gern wissen, warum.«
»Ich verstehe Captain Rennett auch nicht ganz«, sagte Lorney schließlich. »Es ist jetzt etwas über ein Jahr her, daß er hier war. Damals hatte ich das Gefühl, als beobachtete er mich. Ich begegnete ihm an den sonderbarsten Stellen. Selbst wenn ich Einkäufe in Guildford machte, tauchte er plötzlich dort auf. Und meine Gäste interessierten ihn auch so merkwürdig, obwohl ich damals viel weniger hatte als jetzt.«
Eine längere Pause trat ein.
»Trotzdem habe ich ihn ganz gern«, fuhr der Wirt dann fort. »Er hat so was Vernünftiges, Weitgereistes, und das trifft man hier nicht oft.«
»Haben Sie Lady Arranways gesehen?« fragte Dick plötzlich.
»Soviel ich weiß, ist sie draußen. Sie wollte wohl ein bißchen spazierengehen.«
»Ist Miss Jeans bei ihr?«
Dick wollte dies so gleichgültig wie möglich fragen, aber es klang dringlicher, als ihm lieb war.
»Nein, sie ist in ihrem Zimmer. Soll ich sie holen lassen?«
»Nein, danke. Sie sagte nur, sie wollte heute nachmittag in den Wald gehen, und ich weiß nicht, ob es sicher genug ist, wenn sie allein geht.«
John Lorney lächelte.
»Sie denken wohl an den ›Alten‹?«
Dick sah so besorgt aus, daß Lorney es sich nicht verkneifen konnte, ihn zu fragen: »Sie scheinen ja schon gut mit ihr befreundet zu sein?«
Dick ärgerte sich über den ironischen Ton dieser Frage.
»Sie wissen ganz gut, daß das nicht der Fall ist«, sagte er gereizt.
»Nun, nun. Nehmen Sie es nicht so tragisch, Mr. Mayford. – Was mir viel mehr Sorgen macht, ist nicht der ›Alte‹, sondern ein junger Mann«, beschwichtigte der Wirt seinen Gast. »Schließlich habe ich die Verantwortung für Miss Jeans.«
Dick sah ihn neugierig an.
»Sie sind ein seltsamer Mann, Mr. Lorney. Ich freue mich, daß Sie so besorgt um sie sind. Ich würde auch alles für sie tun.«
Dick ging zu seinem Schwager hinauf und fand ihn bei der Erledigung seiner Korrespondenz. Eddie sah alt und vergrämt aus, und seine Stimme klang scharf und gereizt.
»Mary? Ich weiß nicht, wo sie ist. Ich habe heute nur kurz mit ihr gesprochen. Gestern war sie sowieso die ganze Zeit im Bett.«
»Ich dachte, ihr würdet in die Stadt fahren?«
»Ja, ich tue es nachher. Mary will noch hierbleiben.«
Er lehnte sich in seinem Sessel zurück und sah Dick stirnrunzelnd an.
»Erinnerst du dich noch an das Armband, das Mary damals in Berlin verloren hat?«
Dick nickte. »Es ist gefunden worden, nicht wahr?«
»Ja – und nun haben wir auch feststellen können, wer es an den Juwelier verkauft hat. – Mr. Keller.«
Dick sah ihn entgeistert an.
»Aber das ist doch nicht möglich! Mary kann es ihm doch nicht gegeben haben!«
»Sie hat es ihm auch nicht gegeben – er hat es sich genommen.«
Dick verstand nicht gleich die volle Bedeutung dieser Worte.
»Aber es verschwand doch in der Nacht aus ihrem Schlafzimmer. Und die Tür war verschlossen –«
Er schwieg plötzlich.
»Nun«, fuhr der Lord fort, »sieh dir bitte mal das hier an.«
Er zog eine Schublade auf und nahm ein Feuerzeug heraus.
Dick erkannte es sofort.
»Das habe ich Mary geschenkt«, sagte der Lord, »und sie hat es immer bei sich gehabt. Die Polizei glaubt, daß das Feuer dadurch entstanden ist. Es muß von der Tischkante in den Papierkorb gefallen sein und sich beim Fall geöffnet und entzündet haben. Das Feuerzeug wurde in Kellers Zimmer gefunden.«
Dick schwieg.
»Na, wenigstens behauptest du nicht auch, Keller habe es von Mary geliehen«, fuhr der Lord sarkastisch fort. »Ich habe nämlich mit Marys Mädchen gesprochen, und die sagte ausdrücklich, Mary habe das Feuerzeug in der Tasche ihres Morgenrockes gehabt. Zwar wissen wir nicht, wo der Morgenrock geblieben ist, aber das Feuerzeug wurde in Kellers Zimmer gefunden.«
Dick versuchte verzweifelt, gegen seine eigene Überzeugung anzukämpfen.
»Aber du kannst doch nicht völlig sicher sein, Eddie! Es kann doch auf irgendeine andere Art in sein Zimmer gekommen sein. Vielleicht hat sie es ihm tatsächlich geliehen. Das Mädchen kann sich auch geirrt haben. – Warum fragst du nicht Mary selbst? Das ist doch der einfachste Weg, die Angelegenheit aufzuklären.«
Eddie lächelte verächtlich.
»Was meinst du, wie viele Lügen ich schon von ihr zu hören bekommen habe? Auf eine mehr kommt es ihr jetzt auch nicht an.«
»Eddie, jetzt werde bitte mal vernünftig! Du bist in einer Stimmung, daß du sogar die Wahrheit für Lüge halten würdest.«
Der Lord antwortete nichts darauf. Er brauchte im Augenblick eine Bestätigung seines Verdachtes, und obgleich er verstand, daß er sie nicht von dem Bruder seiner Frau erwarten durfte, hätte er doch gewünscht, daß Dick sich unparteiischer verhielte.
»Aber das mit dem Armband müßte man Mary doch eigentlich sagen«, meinte Dick. »Vielleicht hat sie es gar nicht auf ihr Zimmer genommen. Es kann ihr doch schon vorher gestohlen worden sein.«
»Dann erzähl du es ihr bitte. Ich bin momentan nicht imstande, mit ihr über diese Angelegenheit zu sprechen.«
Als Dick auf den Gang hinaustrat, fiel sein Blick gerade noch auf den Mann, von dem sie soeben gesprochen hatten. Keller zog sich sofort wieder in sein Zimmer zurück und schloß die Tür hinter sich, denn in diesem Augenblick hatte er keine Lust, Marys Mann oder ihrem Bruder zu begegnen. Zu dumm, sich ausgerechnet jetzt mit ihr verabredet zu haben!
Er trat auf den Balkon hinaus und sah dort Anna Jeans, die in einem Liegestuhl lag und las. Als sie ihn erblickte, klappte sie das Buch zu und erhob sich.
»Warum haben Sie es denn so eilig?« fragte Keller, nahm das Buch auf und las den Titel.
Sie antwortete nicht, sondern ging in ihr Zimmer und schloß die Balkontür hinter sich.
Aber ihre Art, ihn abzuweisen, reizte ihn nur noch mehr, sich mit ihr zu beschäftigen. Er hatte das Gefühl, daß sie sich aus irgendeinem Grund vor ihm fürchtete, und das schmeichelte ihm. Nichts war ihm verhaßter, als wenn eine schöne Frau ihm gegenüber gleichgültig blieb.
Er schlenderte die Treppe hinunter und zu dem Gartenhaus, das am Ende des Grundstücks stand.
Dort wartete Mary auf ihn. Ohne ein Wort zu verlieren, reichte sie ihm das Bündel Banknoten, das sie heute morgen von Mrs. Harris hatte holen lassen. Sie saß in einem Korbsessel und sah ihn scharf an.
»Weißt du, daß ich dich gestern den ganzen Tag nicht zu sehen bekommen habe?« sagte er und verstaute das Bündel in seiner Brieftasche. »Also, das war wirklich eine tolle Sache, findest du nicht auch? Beinah' wären wir erwischt worden.«
»Ich möcht' nur wissen, warum ich mich auf so was eingelassen habe«, sagte sie achselzuckend.
Er lächelte. »Nun, wahrscheinlich aus Liebe.«
Sie lachte bitter.
»Wenn das deine Erklärung dafür ist . . .« Ihr Gesicht wurde immer abweisender. »Es gibt Männer, die ich immer verabscheut und gehaßt habe. Elegant und höflich, aber charakterlich unmöglich!«
»Gilt das mir, Liebling?«
Sie nickte nur.
Er holte noch einmal seine Brieftasche heraus und warf einen Blick auf das Geld. Dann steckte er sie wieder ein. Diese Geste schien sie zu belustigen.
»In Ägypten habe ich dir doch tatsächlich das Märchen geglaubt, das du von der großen Farm in Australien erzählt hast.«
Er sah sie unsicher an.
»Was willst du damit sagen? Das stimmt doch –«
»Ich will damit sagen, daß du gar keine Farm hast«, entgegnete sie ruhig. »Als ich in London war, habe ich auf einer Party einen der höchsten Beamten von Australien getroffen und mir den Spaß gemacht, ihn nach dir und deiner Farm zu fragen. Nicht weil ich dir nicht traute, sondern aus Neugierde. Es gibt allerdings einen Mr. Keller, der eine große Farm hat, aber der ist siebzig Jahre alt.«
»Mein Vater –«, begann er leichthin, aber sie unterbrach ihn.
»Der einzige Sohn von Mr. Keller ist der Herr, mit dem ich über dich sprach«, sagte sie spöttisch. »Pech, was?«
Einen Augenblick verlor er die Fassung.
»Es gibt aber doch mehrere Familien Keller in Australien!« rief er verzweifelt.
»Ach, laß doch endlich mal das Lügen!« schrie sie ihn fast an. »Es ist doch völlig egal, ob du arm oder reich bist.«
»Wenn ich nur herausbekommen könnte, was eigentlich in der Brandnacht passiert ist«, versuchte er das Thema zu wechseln. »Ich war halb bewußtlos von dem Qualm. Das kommt schließlich bei diesem verdammten Rauchen heraus, meine Liebe.«
Mary verzog das Gesicht, als ob sie auf etwas Bitteres gebissen hätte.
»Ich kann mich ja auch an nichts mehr erinnern«, murmelte sie nach einer Weile. »Wenn ich nur sicher sein könnte, daß Eddie . . .« Sie schwieg.
»Glaubst du, daß er was weiß?« fragte Keller.
Sie schüttelte den Kopf. »Ich kann es eben nicht genau sagen . . . Bist du ihm schon begegnet?«
Er dachte einen Augenblick nach.
»Nein«, sagte er dann, und sie merkte ihm seine Unsicherheit an.
»Hast du etwa Angst vor Eddie?« fragte sie spöttisch. »Du weißt ja, daß er in Indien aus Eifersucht beinahe einen Mann erschossen hat.«
»Mich wollten schon viele Leute umbringen«, erwiderte er obenhin. »Deswegen laß' ich es mir doch gut gehen. Einmal ist mir ein Mann um die halbe Welt nachgereist, aber schließlich hat er es aufgegeben, weil es ihm zu langweilig wurde.«
»Ein Ehemann?«
Er schüttelte den Kopf.
»Nein, das war mein Schwiegervater – ein sehr unangenehmer Patron. An sich war die Sache völlig okay. Ich war mit seiner Tochter, einer reichlich exaltierten jungen Dame, verheiratet. Sah ganz toll aus, hatte aber 'nen Spleen, und zwar gehörig.«
Mary sah ihn nachdenklich an.
»Das scheint ja eine unerfreuliche Geschichte gewesen zu sein. Wie ging sie denn aus?«
Er zog die Schultern hoch.
»Wie soll sie schon ausgegangen sein? Meine damalige Frau machte einen niedlichen kleinen Mordversuch – mit einem Küchenmesser. Wirklich eine unerfreuliche Geschichte, wie du schon gesagt hast.«
Sie nahm eine Zigarette aus ihrem Etui und zündete sie an. Trotzdem entging ihr nicht, daß er heimlich zum Gasthaus hinübersah. Für einen Mann von seiner Erfahrung war er wirklich reichlich nervös.
»Mußt du gehen?« fragte sie höflich.
»Ja – ich hab' eigentlich eine Verabredung mit einem Bekannten.«
»Himmel, hör doch mit dem Lügen auf! Außer Eddie und Dick kennst du hier doch niemanden. Und mit denen stehst du sowieso nicht gut genug, als daß du dich mit ihnen verabreden könntest.«
Keller war aus dem Gartenhaus getreten und überblickte den Rasen, der sich bis zum Gartenhaus erstreckte. Auf dem Balkon sah er Anna entlanggehen. Sie beugte sich über das Geländer, als suche sie jemanden. Es war nicht anzunehmen, daß sie ihn meinte – sicher hielt sie nach Dick Mayford Ausschau.
»Du kannst gehen.«
Marys Worte klangen eher wie ein Befehl. Keith zuckte zusammen. In dieser Beziehung war er äußerst empfindlich. Die Verachtung, die er in ihrer Stimme hörte, war das Schlimmste, was ihm passieren konnte. Er wollte nämlich, daß selbst die Leute, die er schlecht behandelte, gut über ihn dachten.
»Du langweilst mich; du kannst wirklich gehen«, wiederholte sie. »Du hattest doch eine ›Verabredung‹! – Wann fährst du eigentlich nach London?«
Er gab eine ausweichende Antwort. Seine Augen suchten den Balkon ab. Würde Anna die äußere Treppe herunterkommen oder durch die Diele hinausgehen?
»Du bist heute schlechter Stimmung, Liebling«, sagte er etwas zerstreut.
Da riß ihr die Geduld. Sie stand auf und stellte sich neben ihn. Schweigend standen sie eine Weile vor dem Gartenhaus, als plötzlich Anna Jeans hinter den Weißdornhecken, die den Garten einfaßten, vorbeiging.
»Ach so!« sagte Mary wütend. »Ich dachte wirklich nicht, daß du soviel Abwechslung brauchst.« Der Unterton in ihrer Stimme hätte ihn warnen sollen. »Ich würde an deiner Stelle vorsichtiger sein. Dick hat etwas für sie übrig, und du hättest wirklich nichts zu lachen, wenn zwei Mitglieder derselben Familie mit dir abrechnen würden.«
Er zwang sich zu einem Lachen.
»Ach, du meinst Anna Jeans? Sei doch nicht verrückt. Sie ist ein Kind, ein nettes kleines Mädchen, aber doch nicht – mit dir zu vergleichen.«
»– nicht dein Typ. Das wolltest du doch sagen, nicht wahr? Ich erinnere mich, daß du mir das schon mal gesagt hast.«
Mary war gefährlich liebenswürdig, und hätte er sie jetzt angesehen, so wäre er überrascht gewesen, wie sie sich verändert hatte.
»Ich gehe jetzt ins Haus zurück«, sagte Keller. »Es ist nicht gut, wenn wir zusammen gesehen werden. Übrigens noch vielen Dank für das Geld.«
»Wieviel hast du eigentlich mittlerweile von mir bekommen?« fragte sie spitz.
»Sei doch nicht so gemein.«
»Ich glaube, fünfzehnhundert Pfund ist nicht zu hoch gegriffen. Jetzt habe ich noch tausend auf der Bank. Das ist alles, was ich besitze.«
Er starrte sie an. Sein Entsetzen war so groß, daß sie lachen mußte.
»Nicht wahr, jemand – sicher die Dame im ›Excelsior‹ – hat dir erzählt, daß ich reich wäre; aber das stimmt nicht! Eddie hat ein großes Vermögen, aber ich habe nur ein kleines Erbteil.«
Er erkannte auf den ersten Blick, daß sie die Wahrheit sagte, und das war ein schwerer Schlag für ihn.
»Was ich von jetzt an auch tue«, sagte Mary, »das tue ich mit offenen Augen.«
»Geld bedeutet keinen Unterschied für mich –«
Sie lachte.
»Damit kannst du mich heute nicht mehr fangen. Bitte, geh jetzt. Ich will mit Eddie sprechen.«
Nun ging er so schnell, daß es fast beleidigend wirken konnte, wenn sie nicht schon längst über so etwas hinweggesehen hätte. Langsam begab sie sich ins Haus. Das Gespräch mit ihrem Mann, das sie so fürchtete und das sie so lange vermieden hatte, war nun nicht mehr zu umgehen.
Der Lord saß auf einem Stuhl vor dem Bett. Auf der Decke waren mehrere merkwürdig aussehende Dolche und Messer ausgebreitet. Mr. Lorney hatte die Sammlung kurz vorher heraufgebracht.
Lord Arranways sah über die Schulter zur Tür, als sie eintrat.
»Nun, geht es dir besser?« fragte er höflich.
Sie zog sich einen Stuhl heran und nahm Platz.
»Ja, danke. – Was hast du eigentlich, Eddie?« fuhr sie nach einer Weile fort.
»Nichts.«
Er war so mit seinen Messern und Dolchen beschäftigt, daß sie sich nicht getraute, ihn zu stören. Aber schließlich wagte sie noch einen Vorstoß.
»Eddie, ich glaube, du weißt nicht viel über Frauen.«
»Jedenfalls mehr, als ich wissen möchte«, erwiderte er, ohne sich umzudrehen.
»Ich dachte an deine erste Frau. Vielleicht war es doch nur ein Flirt. Sie hat dich wahrscheinlich trotzdem sehr geliebt genau wie ich.«
Er wandte sich nach ihr um.
»Genau wie du?« wiederholte er. »Das höre ich natürlich gerne – aber hältst du es denn für möglich, mit einem anderen Mann zu flirten und mich trotzdem zu lieben?«
»Wie weit kann denn ein solcher Flirt deiner Meinung nach gehen?«
Als sie nicht antwortete, sprach er weiter.
»Bleibt es auch dann noch ein Flirt, wenn die Dame ihr Feuerzeug in dem Zimmer des anderen Mannes zurückläßt, oder wenn sie ihm Gelegenheit gibt, sich ihr Armband anzueignen, das auf ihrem Toilettentisch liegt?«
Sie starrte ihn mit großen Augen an, unfähig, einen Ton herauszubringen.
»Der Mann, der dein Armband an den Juwelier verkauft hat, war Mr. Keller«, fuhr er unbarmherzig fort. »Die Polizei hat die ganze Sache aufgedeckt.«
»Ausgeschlossen!« rief Mary entsetzt.
Arranways lächelte resigniert.
»Ja, es wäre ausgeschlossen, wenn du allein in deinem abgeschlossenen Zimmer gewesen wärst und wenn es keinen anderen Zugang gegeben hätte. Aber es war möglich – unter anderen Umständen.«
Sie nahm sich zusammen und versuchte, der Situation Herr zu werden.
»Aber das ist doch absurd, Eddie! Du bist doch nicht etwa auf Keller eifersüchtig. Wenn ich deine Anschuldigungen ernst nähme, dann würde ich nicht eine Minute länger bei dir bleiben.«
Auch diesmal erhielt der Lord nicht die so sehnlich erhoffte und doch so gefürchtete Bestätigung seines Verdachts. Mary zeigte keine Erregung. Ihre Stimme klang klar, und sie versuchte sogar zu lächeln.
»Jedenfalls wäre es besser, wenn Keller nach London ginge. Wir können natürlich nicht mehr mit ihm verkehren«, meinte Eddie.
»Das wäre ja schließlich kein großer Verlust«, sagte seine Frau beinahe erleichtert. »Er fällt mir sowieso auf die Nerven, oder besser – du fällst mir auf die Nerven mit deinen ewigen Verdächtigungen. – Warum sprichst du eigentlich nicht mit ihm selbst darüber?«
»Es gibt verschiedene Gründe, die mich zwingen, davon abzusehen«, sagte er in seiner trockenen Art.
Mary öffnete die Glastür und trat auf den Balkon hinaus. Weit hinter dem Gartenhaus sah sie gerade noch, wie Keller im Wald verschwand. Er ging sehr schnell, so als ob er es eilig hätte, jemanden einzuholen.
Lady Arranways holte tief Atem.
»Ich bin in meinem Zimmer, wenn du mich sprechen willst!« rief sie durch die Tür ihrem Mann zu.
Er erwiderte etwas, aber sie konnte ihn nicht verstehen.