Edgar Wallace
Feuer im Schloß
Edgar Wallace

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19

Collett ging wieder nach draußen in den Garten. Obwohl es schon spät am Vormittag; war, machte das Haus doch einen verlassenen Eindruck. Lady Arranways hatte die Vorhänge zugezogen. Als Collett quer über den Rasen ging und zum Balkon hinaufschaute, öffnete sich eine Tür, und Anna Jeans kam heraus. Sie trug ein Kostüm, und er schloß daraus, daß sie bald abreisen wollte. Blagdon würde das natürlich nicht zulassen.

Sie kam herunter.

»Ach, es war ein schreckliches Erlebnis«, sagte sie, als sie bei ihm war. »Ist er noch . . .?«

Collett schüttelte den Kopf.

»Nein, man hat ihn weggebracht. – Wollen Sie in die Stadt fahren?«

»Hat Ihnen das jemand gesagt?« fragte sie schnell.

»Nein, das sehe ich an Ihrem Kostüm.« Er lächelte. »Ich würde mir diese Fahrt aber nicht gerade heute vornehmen. Inspektor Blagdon, der den Fall bearbeitet, würde Sie wahrscheinlich als Zeugin schwer vermissen.«

Sie schaute ihn verständnislos an.

»Aber ich bin doch keine Zeugin! Ich kannte Mr. Keller zwar, aber ich konnte ihn nicht ausstehen.«

»Das haben Sie mir schon gestern gesagt. Unter keinen Umständen würde ich das Blagdon erzählen. – Wollen Sie mir nicht anvertrauen, was Sie von Keller wissen?« fragte er. Als er sah, daß sie zögerte, fuhr er fort: »Ich habe ja nichts mit der Untersuchung dieses Falles zu tun. Ich gebe zu, daß ich Sie nur aus Neugierde frage, aber vielleicht kann ich Ihnen auch helfen.«

Nun erzählte sie ihm alles, was sie mit Keller erlebt hatte. Es war unangenehm für sie, aber auch erleichternd.

»Nun, dann sind Sie ja völlig außer Verdacht«, sagte er, als sie ihren Bericht beendet hatte.

Sie sah ihn bestürzt an.

»Hat mich denn jemand in Verdacht gehabt?«

»Blagdon war der Ansicht, daß da ein Zusammenhang bestehen müßte, und es könnte doch sein, daß er durch irgendein dummes Gerede noch fester davon überzeugt würde. Außerdem habe ich mit einem der Hausmädchen gesprochen. Die hat mir erzählt, daß sie gestern gehört hätte, wie Sie zu Mr. Mayford beim Abendessen sagten, Sie könnten gut verstehen, wie man dazu käme, einen Menschen umzubringen. Das Mädchen hat nebenan in der Anrichte Geschirr gespült und es durch das Schiebefenster mitangehört.«

Sie sah ihn entsetzt an.

»Blagdon weiß es noch nicht, weil er sich nie um das kümmert, was man so nebenbei erfahren kann. Er sucht immer den Kronzeugen, der zusah, wie der Mord begangen wurde und womöglich die Tat noch fotografierte. Aber es wäre doch möglich, daß dieses Mädchen plötzlich vom Ehrgeiz gepackt wird und glaubt, etwas Wichtiges aussagen zu können. – Ist in Ihren Gesprächen mit Keller übrigens jemals das Wort ›Augenbrauen‹ gefallen?«

Sie waren bei einer Bank angekommen und setzten sich.

»Wie können Sie das wissen?« fragte sie überrascht. »Sie waren doch nicht dabei? Es ist ja fast unheimlich, worüber Sie alles Bescheid wissen!«

»Also hat er das Wort erwähnt?«

»Ja. Er sagte, er interessiere sich für meine Augenbrauen. Ich glaubte, er wollte damit nur versuchen, näher an mich heranzukommen. Aber es schien ihn wirklich zu interessieren. Er sah sie genau an und lachte dann.«

 

Kurze Zeit darauf trat Collett in Mr. Blagdons Büro, um sich zu erkundigen, wie weit der Inspektor mit seinen Nachforschungen gekommen wäre. Als ob er es geahnt hätte, stand dort das Mädchen, von dem er soeben gesprochen hatte, vor dem Schreibtisch des Inspektors. Blagdon warf ihm einen triumphierenden Blick zu.

»Gut, daß Sie kommen! Ich wollte gerade mit Ihnen sprechen. Dies junge Mädchen hier hat mir etwas sehr Interessantes erzählt. Wissen Sie, was Miss Jeans gestern abend gesagt hat? Sie möchte am liebsten diesen Keller umbringen! Was sagen Sie dazu?«

»Ich glaube, alle, die ihn näher kannten, hätten ihm am liebsten das Genick umgedreht. Er war aber auch so gemein, daß ich das gut verstehen kann.«

Blagdon ließ das Mädchen seine Aussage unterschreiben und entließ es.

Blagdon gab Collett das Blatt.

»Lesen Sie das mal.«

Der Chefinspektor las es durch und gab es zurück.

»Die ganze Geschichte ist völlig wertlos. Das ist der völlig unbewiesene Klatsch eines kleinen Mädchens, das sich wichtig machen will.«

Blagdon biß sich auf die Lippe.

»Zu schade, daß ich nicht hier war, als die Tat begangen wurde! Ich hätte sofort die Hände und Kleider der jungen Dame genau untersucht. Zu schade.«

»Ja, das finde ich auch«, sagte Collett sarkastisch. »Dann hätte der Mörder Sie auch gleich umbringen können und dann hätte Scotland Yard die Untersuchung übernehmen müssen. Da Sie nun aber nicht hier waren, ich hingegen gleich nach der Tat auf den Balkon kam und dabei auch Miss Jeans sah, kann ich Ihnen sagen, daß sie offenbar erst ein paar Sekunden vorher aufgestanden war. Weder ihr Morgenrock noch ihre Hände zeigten Spuren von Blut. Und ich gehe mit Ihnen jede Wette ein, daß sie mit dem Mord nicht mehr zu tun hat als die Wetterfahne auf dem Kirchturm im Dorf. – Haben Sie übrigens schon die Untersuchungsergebnisse von Rennetts Anzug?«

»Ja. Sie sind eben angekommen. Das Resultat ist negativ.«

»Und die Sachen der anderen Leute?«

»Die habe ich nicht zu sehen verlangt. Ich hielt das nicht für notwendig.«

»Nicht einmal den Anzug des Kellners?«

Blagdon sah ihn betroffen an.

»Sie meinen doch nicht etwa Charles? Der hat doch mit der Sache nichts zu tun.«

Collett zog sich einen Stuhl heran.

»Geben Sie mir eine Zigarre«, sagte er in gespielt anmaßendem Ton.

Blagdon faßte widerwillig in die Tasche.

»Ich habe nur noch zwei.«

»Ich kann auch nur eine auf einmal rauchen«, entgegnete Collett und nahm sich eine. »Ich habe Ihnen doch gesagt, daß Charles ein alter Verbrecher ist. Er haßte den Toten. Keller zog ihn immer damit auf, daß er schon öfter gesessen hat.«

Aber Blagdon war es unangenehm, auf einen Fehler hingewiesen zu werden. Er zog eine Schublade auf und nahm ein Stück Stoff aus einem Umschlag.

»Sehen Sie sich das einmal an.«

Es war ein Stück Leinen von heller Farbe. Die dunklen Flecken darauf konnten nur Blut sein.

»Es wurde am hinteren Ende des Gartens gefunden, direkt hinter den Rhododendronbüschen«, bemerkte Blagdon wichtig, denn er platzte fast vor Stolz über dies neue Beweismaterial. »Einer meiner Leute hat es zufällig entdeckt.«

Collett betrachtete es sorgfältig.

»Und wo ist das andere Stück, das dazu gehört? Haben Sie das noch nicht?«

Blagdon sah ihn verwirrt an.

»Ein anderes Stück?«

»Ja, genauso groß wie dieses . . .« Er schwieg einen Augenblick. »Nein, ich habe mich geirrt, es gibt sicher nur dies eine. Der Fund ist wirklich wichtig. Wahrscheinlich kommt jetzt noch mehr zutage.«

Er legte das Stück Stoff in den Umschlag zurück und verließ schnell das Zimmer.

Im Park bat er den Gärtner um eine Auskunft und fand dann mit Hilfe des Mannes die Stelle, wo das Feuer in der Mordnacht gebrannt haben mußte.

In der Nähe floß ein Bach vorbei. Der Chefinspektor ging darauf zu und betrachtete ihn nachdenklich. Als er gerade wieder umkehren wollte, entdeckte er ein Stück Seife im Gras, bückte sich und hob es auf. Es war eben erst benutzt worden und konnte erst seit kurzem dort liegen. Langsam ging er zur Feuerstelle zurück. Dort stellte er fest, daß er nicht mehr allein war.

Lady Arranways beobachtete ihn aus einiger Entfernung. Er mochte sie eigentlich recht gern, und seinem Gefühl nach hatte sie keine Schuld an dem Verbrechen.

»Suchen Sie noch immer?« fragte sie, als er näher kam. »Eine dumme Frage, nicht wahr? Vermutlich haben Sie noch nichts von meinem Mann gehört?«

»Nein, leider bis jetzt noch nichts.«

»Was haben Sie denn da?« erkundigte sie sich mit einem Blick auf das in ein Taschentuch gewickelte Stück Seife.

»Ich nehme immer Seife mit, wenn ich aufs Land fahre«, antwortete er lächelnd. »Man kann nie wissen, ob man welche vorfindet.«

»Ist sonst noch nichts Neues bei den Nachforschungen herausgekommen?«

Ihr übernächtigtes Gesicht verriet ihm, daß sie nicht geschlafen hatte. Etwas weiter entfernt stand eine Bank. Er schlug vor, daß sie sich dort hinsetzten. Eine Weile unterhielten sie sich über die Ereignisse des vergangenen Abends, ohne aber ihren Mann zu erwähnen.

»Glauben Sie eigentlich an die Existenz des ›Alten‹?« fragte Collett.

Zu seiner Überraschung antwortete sie nicht gleich.

»Ich weiß nicht recht . . . So viele Leute haben ihn gesehen. Sie wissen doch, daß er auch bei uns im Schloß eingebrochen ist? Er wäre tot, wenn ich meinem Mann nicht in den Arm gefallen wäre, als er auf ihn schießen wollte.«

Collett schnitt ein anderes Thema an: »Ich muß jetzt eine unangenehme Frage an Sie stellen, Lady Arranways. Bitte glauben Sie nicht, daß ich Sie aushorchen will und nachher mit meinen Kenntnissen hausieren gehe. Vielleicht können Sie mir eine Antwort geben: War Keith Keller Ihr Geliebter?«

Zu seinem Erstaunen nickte sie, sah ihn aber nicht an.

»Ihr Mann wurde eifersüchtig, als er einmal den Verdacht hatte, nicht wahr? – Wußten Sie eigentlich, wer Keller in Wirklichkeit war?«

Sie nickte wieder.

»Es muß schrecklich für Sie gewesen sein, als Sie das erfuhren. – Er hat versucht, Sie zu erpressen. Ich habe den Brief gesehen.«

»Ich habe ihm nicht geschrieben, jedenfalls nichts Derartiges.«

»Ich wußte, daß Sie ihm geschrieben haben, aber derjenige, der den Brief abgefaßt hatte, wußte, daß Keller Geld von Ihnen wollte. War es viel?«

Sie nannte die Summe, und Collett nickte.

»Verzeihen Sie mir bitte, aber ich muß Sie noch etwas fragen: Waren Sie in Kellers Zimmer in der Nacht, als das Feuer ausbrach?«

Diesmal sah sie ihn ernst an, ehe sie antwortete.

»Ja.«

»Und Lorney wußte es? Er hat Sie und Keller gerettet?«

Sie nickte.

»Und er hat nichts verraten? So viel Anständigkeit hätte ich ihm doch nicht zugetraut.«

»Ich weiß auch nicht, warum er es getan hat. Er sagte, es wäre aus Dankbarkeit, weil ich ihm einmal das Leben gerettet hätte, aber ich kann mir gar nicht vorstellen, wann das gewesen sein soll.«

Collett sprang plötzlich auf.

»Natürlich! Das ist das fehlende Glied in der Kette!«


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