Edgar Wallace
Feuer im Schloß
Edgar Wallace

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2

Carl Rennett, ein ehemaliger Beamter der Kriminalpolizei von New York, las in der Zeitung von diesen Vorfällen. Er war gerade von einer fruchtlosen Verfolgung zurückgekehrt, die ihn um die halbe Erdkugel geführt hatte. Eingehend studierte er alle Berichte und Einzelheiten über die Einbrüche, packte dann seine Koffer und fuhr nach England. An demselben Tag, da er in Southampton ankam, gewann Mr. Lorney fünfzigtausend Pfund auf der Rennbahn.

Rennett begab sich sofort zu Scotland Yard und zeigte Chefinspektor Collett seine Beglaubigungsschreiben und den Empfehlungsbrief, den er von seiner vorgesetzten Behörde in New York mitbekommen hatte. Collett hörte interessiert zu, während der Amerikaner erklärte, warum er nach England gekommen war.

»Wir werden Ihnen helfen, soviel wir nur können, aber Sie wissen ja selbst, daß Scotland Yard außerhalb Londons nichts zu sagen hat. Die ganze Angelegenheit befindet sich mehr oder weniger in den Händen der lokalen Polizeibehörde. Man nimmt an – und wir sind eigentlich derselben Meinung –, daß der ›Alte‹ seine Kenntnisse von einem Mitinsassen des Irrenhauses hat. Soweit wir die Akten kennen, hat er früher keine Verbrechen begangen. Zweifellos trägt er alle gestohlenen Sachen irgendwo zusammen, um sie dort einfach zu horten. Das war von jeher eine seiner hervorstechendsten Charaktereigenschaften. Wir haben uns sofort mit allen Juwelieren in Verbindung gesetzt, aber bis jetzt ist nicht ein einziges der gestohlenen Stücke wieder auf dem Markt erschienen. Wahrscheinlich stiehlt er nur, um zu stehlen, und sicher werden wir eines schönen Tages alle gestohlenen Dinge unangetastet an einer Stelle aufgestapelt finden.«

»Wo hält er sich denn normalerweise auf?«

Collett lächelte und zuckte die Achseln.

»Das war allerdings eine etwas alberne Frage«, gab Rennett sofort zu. »Aber vermutlich hat er doch in einer der Höhlen sein Versteck.«

»Die Höhlen sind nie restlos durchsucht worden. An manchen Stellen ziehen sie sich kilometerweit hin. Wenn der ›Alte‹ sterben sollte, was ja nicht mehr lange dauern kann, dann werden wir wahrscheinlich nichts finden. Andererseits ist es möglich, daß er etwas Außergewöhnliches unternimmt und wir ihn auf diese Weise fangen. Die ganze Gegend dort ist in Unruhe.«

Collett sah den Amerikaner prüfend an. »Sie sind doch eine Autorität auf dem Gebiet des Einbruchs, nicht wahr?«

»Ja, das ist meine Spezialität«, entgegnete Rennett ruhig. »Ich habe sogar ein Buch darüber geschrieben.«

Noch am selben Nachmittag fuhr er nach Sketchley, und während der Fahrt dachte er dauernd an Billy Radley, der sich gegenwärtig in der Umgebung von Guildford aufhalten sollte. Aber würde er auch dessen gerissenen Partner dort finden?

Lord Arranways war in seiner ersten Ehe nicht glücklich gewesen. Sie hatte mit einem schrillen Mißklang geendet, als er noch Gouverneur von Nordindien war.

Die Beamten des englischen Geheimdienstes sind sehr tüchtig und oft in der Lage, irgend etwas Unangenehmes wieder zurechtzubiegen, aber in diesem Fall fanden sie es doch schwierig, wenigstens eine passende Erklärung abzugeben. Eines Morgens wurde nämlich ein hübscher junger Offizier mit einem Schulterschuß im Garten des Gouverneurs gefunden, während Lady Arranways im Negligé ins Haus des Militärattachés geflohen war, wo sie in Weinkrämpfe ausbrach und sich weigerte, wieder in das Haus ihres Mannes zurückzukehren. Der Lord mußte daraufhin von seinem Posten zurücktreten, und es kam zur Scheidung. Aber schon kurze Zeit nach diesem Zwischenfall traf Eddie Arranways ein schönes junges Mädchen aus Kanada und heiratete es bald darauf.

Er war ein großer, stattlicher Mann, der äußerst attraktiv auf Frauen wirkte. Auch Mary Mayford war von seiner Persönlichkeit und seiner äußeren Erscheinung gefesselt, aber sie empfand gleichzeitig Furcht vor ihm, als sie von dem tragischen Ende seiner ersten Ehe hörte. Die Schattenseiten seines Charakters erkannte sie schon, als die Flitterwochen kaum vorüber waren. Argwöhnisch und verbittert, wie ihn der Ausgang seiner ersten Ehe gemacht hatte, überhäufte er Mary manchmal mit den sinnlosesten Vorwürfen. Dauernd fragte er sie, wo und mit wem sie in seiner Abwesenheit zusammen gewesen war. Er begab sich auf eine längere Reise, ließ sie aber zu Hause und kehrte schon am nächsten Morgen völlig unerwartet wieder zurück. Seine selbstgerechte und egoistische Art wirkte abstoßend auf sie, und wenn er, wie öfters, sagte: »Du mußt schon verstehen, daß ich so bin, ich habe eben in meiner ersten Ehe zuviel durchgemacht, als die Frau, der ich so vollkommen vertraute . . .«, dann hatte sie das Gefühl, platzen zu müssen.

»Mir ist deine erste Ehe völlig egal!« schrie sie ihn einmal an. »Wenn ich aber deine erste Frau einmal treffen und die Sache mit ihr besprechen würde, so bin ich sicher, daß sich die Geschichte ganz anders anhört, als du sie hier darzustellen beliebst!«

Natürlich war er beleidigt und machte die nächsten Tage keine Anstrengungen, seine schlechte Laune zu verbergen.

Sogar Dick Mayford wurde nach Arranways eingeladen, um die Gegensätze zu überbrücken.

»Sie ist so unvernünftig!« beklagte sich der Lord. »Du weißt doch, was ich in Indien durchgemacht habe – natürlich lassen solche Erlebnisse ihre Narben zurück. Es wird noch Jahre dauern, bevor ich darüber hinwegkomme.«

Eddie ließ sich von seinem Schwager manches sagen, was er sich von einem anderen verbeten hätte, und so kam es tatsächlich zu einer Versöhnung zwischen ihm und seiner Frau. Er schenkte Mary ein kostbares Feuerzeug, das ihr Monogramm in Brillanten trug, und sie war gerührt von seiner offensichtlichen Reue.

Als aber Lord Arranways zwei Monate später nach Washington reisen mußte, erfuhr sie durch ihr Mädchen, daß er Detektive zu ihrer Überwachung engagiert hatte.

Dick Mayford mußte wieder Frieden stiften.

Er schlug eine Erholungsreise nach Ägypten vor, und Eddie benahm sich während des größten Teils der Fahrt wirklich einwandfrei. Die guten alten Beziehungen zwischen ihm und Mary schienen wiederhergestellt zu sein.

Bei einem Rennen in Kairo traf der Lord einen sympathischen jungen Mann, der sich als Keith Keller vorstellte und der Sohn eines reichen australischen Großgrundbesitzers war. Keith hatte englische Schulen besucht, benahm sich entsprechend korrekt, war immer äußerst elegant gekleidet, schien ein guter Sportler zu sein und behandelte den Lord mit der größten Zuvorkommenheit. Für Mary schien er sich kaum zu interessieren. Ständig war er in Gesellschaft des Lords zu sehen, und eines Tages erzählte er Eddie sogar von einer jungen Australierin, mit der er sich nach seiner Europareise verloben wollte. Daß er sehr genau über Lord Arranways' Verhältnisse Bescheid wußte, ahnte dieser nicht.

Den fast dreihundert Seiten langen Bericht, den Lord Arranways über die verschiedenen Arten des Grundbesitzes in Indien geschrieben hatte, las Mr. Keller von Anfang bis Ende durch und unterhielt sich anschließend äußerst angeregt mit dem Autor darüber. Nach einer Weile ertappte sich der Lord dabei, wie er dem jungen Mann die Geschichte seiner ersten Ehe in allen Einzelheiten erzählte. Natürlich gab Mr. Keller ihm völlig recht und sicherte sich dadurch die Sympathie des Lords.

Diese neue Freundschaft amüsierte Dick Mayford und erregte das lebhafte, wenn auch verheimlichte Interesse von Lady Arranways.

Eines Abends bat Lord Arranways Mr. Keller, seine junge Frau nach einer Opernaufführung zurück ins Hotel zu begleiten. Er selbst hatte einen Kriegskameraden getroffen und wollte mit ihm noch ein wenig im Klub in alten Erinnerungen schwelgen.

Mr. Keller brachte Lady Arranways im Wagen nach Hause. Während der Fahrt lag seine eine Hand am Volant, die andere in der ihren. Sie schien nichts dagegen zu haben. Auch als er sie küßte, bevor sie das Hotel erreichten, wehrte sie sich nicht. Er begleitete sie hinauf in ihr Appartement, blieb aber nicht lange. Als er sich verabschiedete, küßte er sie leidenschaftlich.

Der Lord, seine Frau und ihr Bruder reisten in Etappen in die Heimat zurück. Mr. Keller blieb in ihrer Gesellschaft. Die schönsten Tage des Frühlings erlebten sie in Rom. Weitere Stationen waren Venedig, das romantische Salzburg und Wien.

Als Mary eines Nachmittags das ›Bristol‹ in Wien verließ, sah sie einen Herrn auf dem Bürgersteig gegenüber dem Hotel. Er war groß, neigte etwas zur Korpulenz und trug eine dunkle Hornbrille. Zuerst bemerkte sie ihn nur flüchtig, als sie ihn jedoch kurze Zeit darauf noch einmal erblickte, machte sie ihren Bruder, der sie begleitete, auf ihn aufmerksam.

»Der sieht ganz wie ein Amerikaner aus«, sagte sie.

»Wie soll denn ein Amerikaner eigentlich aussehen?« erwiderte Dick leichthin, fügte aber ernster werdend hinzu: »Wie lange bleibt eigentlich dieser Keller noch bei uns?«

»Wieso?«

»Hat er sich etwa selbst eingeladen?«

Sie zuckte die Schultern.

»Eddie hat ihn gern, und er ist doch wirklich amüsant oder findest du nicht?«

Dann wechselte sie das Thema. »Stell Dir vor, ich habe heute einen Brief von den Pursons bekommen. Sie schreiben nur über den ›Alten‹.«

Dick runzelte die Stirn. Den Geisteskranken hatte er vollständig vergessen.

»Kannst du dich noch auf den Kriminalbeamten besinnen, der damals nach Arranways kam?« fragte sie unvermittelt. »Er hieß doch Collett, nicht wahr?«

Dick nickte.

»Er nahm doch an, daß der ›Alte‹ etwas ganz Verrücktes tun würde?«

Er bejahte.

»Er hat es schon getan. Das ganze Silberzeug, das den Pursons gestohlen wurde, ist wieder zurückgebracht worden. Als der Diener eines Morgens in die Eingangshalle kam, entdeckte er, daß ein Fenster von außen gewaltsam geöffnet worden war. Und auf dem großen Tisch in der Mitte war alles gestohlene Silber ordentlich wieder aufgebaut. Irgend jemand soll auch den ›Alten‹ beobachtet haben, wie er in der Nacht vorher am Waldsaum entlangschlich und einen schweren Koffer schleppte. Das ist wirklich das Sonderbarste, was seit langem bei uns passiert ist! Ich hoffe nur, daß er auch den goldenen Becher nach Schloß Arranways zurückbringt. Eddie kann das einfach nicht vergessen und fängt immer wieder davon an.«

»Kommt Keller mit uns nach England?«

Sie wandte sich halb um und sah ihren Bruder groß an.

»Warum fragst du?« Ihre Stimme hatte einen eisigen Ton und ihre schönen Augen einen harten Ausdruck.

»Ach, es interessiert mich nur.«

»Warum sprichst du denn nicht mit ihm selbst darüber? Ich kann doch nicht wissen, was er vorhat. Um Himmels willen, laß doch diesen Unsinn. Eddie quält mich schon genug.«

»Wo warst du gestern nachmittag?« Dick ließ sich nicht so schnell von etwas abbringen, und schon gar nicht von einem Verdacht. »Du bist doch mit Keller ausgegangen.«

»Ja – und der Chauffeur war auch dabei. Wir sind zu einem Restaurant im Wienerwald gefahren. Den Namen habe ich vergessen. Eddie wußte übrigens, daß wir diesen Ausflug machen wollten, er hat ihn sogar selbst vorgeschlagen, und wir haben ihn auch dort getroffen.«

Dick nickte.

»Ja, um halb fünf wart ihr verabredet. Ich habe gehört, wie er es dir sagte. Aber du bist doch schon kurz nach eins vom Hotel fortgefahren, und in einer knappen halben Stunde kann man hinkommen.«

Sie seufzte ungeduldig.

»Wir fuhren durch den Prater. Irgendwo haben wir Kaffee getrunken. Dann haben wir uns noch Schönbrunn angesehen. – Hast du noch mehr Fragen? Der Chauffeur war doch die ganze Zeit dabei.«

»Das stimmt nicht. Den habt ihr im Prater zurückgelassen und zwei Stunden später wieder dort abgeholt«, erklärte Dick ruhig. »Mach nicht so ein beleidigtes Gesicht, meine Liebe. Ich wollte dir nicht nachspionieren, ich war nur zufällig mit einem Herrn von der amerikanischen Gesandtschaft im Prater und sah, wie ihr den Chauffeur absetztet. – Mary, laß doch die Dummheiten!«

Sie antwortete nicht.

Mit Eddie war in Wien schwer auszukommen, und in Berlin benahm er sich ebenso unfreundlich – gegen alle außer Keith Keller.

Seine schlechte Laune riß überhaupt nicht ab, wenn man auch zugeben mußte, daß sie immer wieder neue Nahrung erhielt. In Berlin verlor Mary nämlich ein Brillantarmband, das sie zur Hochzeit bekommen hatte. Sie war im Theater gewesen, hatte nachher im ›Eden‹ zu Abend gegessen und getanzt und war gegen ein Uhr ins ›Adlon‹ zurückgekehrt. Das Armband hatte sie zusammen mit ihrem anderen Schmuck auf ihren Frisiertisch gelegt, und am Morgen war es verschwunden. Das Fenster war oben offen, die Tür verschlossen, und Mary hatte, wie Eddie wußte, einen leichten Schlaf.

Drei Kriminalbeamte durchsuchten das Zimmer eingehend. In dem Raum selbst ließen sich keine Anhaltspunkte dafür finden, daß jemand von außen durch das Fenster eingedrungen war. Die einzige Möglichkeit bestand darin, daß der Dieb durch das Badezimmer gekommen war, dessen Fenster auf einen Lichtschacht ging.

Der Lord machte seinem Ärger Luft: »Ich kann es einfach nicht verstehen. Wie kannst du so leichtsinnig sein! Du kannst das Armband doch unmöglich mehr angehabt haben, als du dein Zimmer betratest. Und warum sollte der Verbrecher nur das Armband nehmen und alle anderen Schmucksachen liegenlassen?«

»Das weiß ich auch nicht. Frag doch die Polizei!« Sie war blaß und auch nicht in der besten Stimmung. »Ich kann nicht beschwören, daß ich das Armband in meinem Zimmer abgenommen habe. Vielleicht hab' ich es auch im ›Eden‹ verloren.«

So ging es die ganze Zeit, während sie sich in Berlin aufhielten.

An dem Morgen, wo sie Berlin verließen, bestellte Mary Blumen für die Frau des englischen Gesandten und schlenderte nachher noch ein bißchen durch die Straßen. Sie hatte nur den Wunsch, allein zu sein.

Plötzlich fiel ihr Blick auf einen Herrn, den sie sofort wiedererkannte. Es war der große, etwas korpulente Amerikaner, den sie schon in Wien beobachtet hatte. Er trug denselben alten braunen Anzug und schien tief in Gedanken versunken zu sein. Mary machte halt, ließ ihn vorübergehen und wandte sich dann zur anderen Seite, um in ihr Hotel zurückzukehren. An einer Straßenecke sah sie über die Schulter zurück und entdeckte, daß er ihr in nicht allzu großem Abstand folgte.

Sie sprach mit ihrem Bruder darüber, aber ihre Worte machten auf Dick keinen besonderen Eindruck.

»Es gibt überall Amerikaner«, erwiderte er gleichmütig. »Übrigens hat Eddie eine neue Theorie bezüglich deines Armbands.«

»Und ich habe einige Theorien bezüglich Eddies, die wahrscheinlich nicht so neu sind, wie sie sein sollten«, entgegnete sie kurz und schnippisch.

Beim Abendessen brachte Eddie das Gespräch wieder auf das verlorene Schmuckstück.

»Erinnerst du dich, wo du nach dem Abschließen der Tür die Schlüssel aufgehoben hast?«

»Eddie, du machst mich noch verrückt mit deiner Hartnäckigkeit! Bitte, laß mich jetzt mit diesem Unglücksarmband in Ruhe, sonst garantiere ich für nichts mehr!«

Eddie sprach erst wieder mit ihr, als sie in England ankamen.


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