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Ungefähr fünf Jahre nach der Kreuzigung saß Esther, die Gattin Ben Hurs, in ihrem Zimmer in der schönen Villa bei Misenum. Es war Mittag und die heiße Sonne Italiens schien mit sommerlicher Glut auf die Rosen und Reben im Garten. Alles im Gemach war römisch, nur Esther trug die Kleidung einer vornehmen jüdischen Frau. Tirzah und zwei Kinder, die auf einer Löwenhaut am Boden spielten, waren ihre Gesellschaft, und man brauchte nur zu beobachten, wie zärtlich Esther die Kleinen ansah, um zu wissen, daß es ihre Kinder seien.
Die Zeit hatte sich ihr wohlwollend erwiesen. Sie war schöner als je und dadurch, daß sie Herrin der Villa wurde, hatte sich einer ihrer Lieblingsträume erfüllt. Inmitten dieser einfachen, traulichen Szene erschien ein Diener in der Tür und sprach zu ihr: »Ein Weib im Atrium wünscht mit der Herrin zu sprechen.«
»Laß sie eintreten! Ich will sie hier empfangen.«
Die Fremde erschien. Bei ihrem Eintritt erhob sich die Jüdin und wollte sprechen. Dann zögerte sie, wechselte die Farbe, wich endlich zurück und sprach: »Ich habe dich einst gekannt, gutes Weib. Du bist –«
»Ich war Iras, die Tochter Balthasars.«
Esther unterdrückte ihre Überraschung und befahl dem Diener, für die Ägypterin einen Stuhl zu bringen.
»Nein,« sagte Iras kalt. »Ich will mich sofort wieder entfernen.«
Beide blickten einander an. Man sah, daß an Esthers früherer Nebenbuhlerin die Zeit nicht so günstig vorübergegangen war. Ein zügelloses Leben hatte ihrer ganzen Erscheinung sein Mal aufgedrückt, sie war vorzeitig gealtert und zeigte eine verwahrloste Kleidung.
Iras brach das peinliche Schweigen. »Diese sind deine Kinder?«
Esther blickte sie an und lächelte: »Ja. Willst du nicht mit ihnen sprechen?«
»Ich würde sie erschrecken,« erwiderte Iras. Dann trat sie näher an Esther, und als sie diese zurückweichen sah, sprach sie: »Fürchte dich nicht. Überbringe deinem Gatten von mir eine Botschaft. Sag' ihm, daß sein Feind tot ist und daß für das viele Elend, das er über mich gebracht hat, ich selbst ihn tötete.«
»Sein Feind?« »Messala. Sage deinem Gatten ferner, ich sei für das Böse, das ich ihm zufügen wollte, so gestraft, daß selbst er mich bemitleiden würde.«
Tränen traten in Esthers Augen und sie wollte sprechen.
»Nein,« sagte Iras, »ich will kein Mitleid und keine Tränen. Sag' ihm endlich, ich sei zur Einsicht gekommen, daß ein Römer sein nichts anderes heißt als ein Tier sein. Lebe wohl!«
Sie wandte sich zum Gehen. Esther folgte ihr.
»Bleib und warte auf meinen Gatten! Er hat nichts gegen dich. Er suchte dich überall. Er wird dein Freund sein. Deine Freundin will auch ich sein. Wir sind Christen.«
Die andere blieb bei ihrem Entschlüsse. »Nein! Ich bin, was ich aus freier Wahl bin. Es wird bald vorüber sein.«
»Aber« – Esther zögerte – »können wir dir keinen Wunsch erfüllen? Gibt es nichts, was – was–«
Die Züge der Ägypterin wurden weicher, etwas wie ein Lächeln spielte um ihre Lippen. Sie blickte nach den Kindern auf dem Boden.
»Es gibt etwas,« sagte sie.
Esther folgte ihren Augen und mit schnellem Verständnis antwortete sie: »Es ist dir gewährt.«
Iras trat zu den Kindern und küßte sie beide, auf der Löwenhaut niederkniend. Langsam erhob sie sich, noch immer die Kinder betrachtend. Dann schritt sie zur Tür und verließ ohne ein Wort des Abschieds das Zimmer. Sie ging rasch und war verschwunden, ehe Esther sich fassen und zu einem Entschluß kommen konnte.
Als Ben Hur von dem Besuch erfuhr, wurde es ihm zur Gewißheit, was er schon lange vermutet hatte, daß Iras am Tage der Kreuzigung ihren Vater verlassen habe, um sich zu Messala zu begeben. Nichtsdestoweniger machte er sich sofort auf den Weg und suchte sie, doch vergebens. Sie sahen sie nie wieder, noch hörten sie von ihr. Die blaue Bucht, die unter den Strahlen der Sonne so heiter lächelt, hat trotzdem ihre dunklen Geheimnisse. Hätte sie eine Zunge, sie könnte von der Ägypterin erzählen.
Simonides erreichte ein sehr hohes Alter. Im zehnten Jahre der Regierung Neros gab er sein umfangreiches Geschäft auf, das so lange im Warenhaus zu Antiochien seinen Mittelpunkt gehabt hatte. Bis ans Ende bewahrte er sich einen klaren Kopf und ein gutes Herz und blieb vom Glück begünstigt.
Im genannten Jahre saß er eines Abends in seinem Armstuhl auf der Terrasse des Warenhauses. Ben Hur, Esther und ihre drei Kinder waren bei ihm. Das letzte seiner Schiffe schaukelte in der Strömung des Flusses, wo es festgelegt war, die anderen waren alle verkauft worden. In der langen Zeit zwischen diesem und dem Tage der Kreuzigung war ihnen nur ein Leid widerfahren: es war damals, als Ben Hurs Mutter starb. Und damals wie jetzt milderte ihren Schmerz ihr christlicher Glaube. Das erwähnte Schiff war erst tags zuvor angekommen und hatte Kunde gebracht von der Christenverfolgung, die Nero in Rom begonnen hatte. Die Gesellschaft auf der Terrasse besprach eben die erhaltene Nachricht, als Malluch, der noch immer in ihren Diensten stand, sich nahte und Ben Hur ein Paket überreichte.
»Wer brachte dies?« fragte letzterer, nachdem er gelesen hatte.
»Ein Araber, der sofort wieder ging.«
»Höre«, sprach Ben Hur zu Simonides, und er las dann folgenden Brief vor:
»Ich, Ilderim, der Sohn Ilderims des Edlen und Scheik des Stammes Ilderim, an Judah, den Sohn Hurs.
Erfahre, o Freund meines Vaters, wie mein Vater Dich liebte. Lies beifolgendes Schreiben und Du wirst es wissen. Sein Wille ist mein Wille, was er gab, ist deshalb Dein. Ich habe meinen Vater gerächt und alles, was die Parther ihm in der großen Schlacht, in welcher sie ihn erschlugen, raubten, habe ich zurückerobert – unter anderem diese Schrift und die ganze Nachkommenschaft jener Mira, die in seiner Zeit die Mutter so vieler Sterne war. Der Friede sei mit Dir und allen Deinen! Diese Stimme aus der Wüste ist die Stimme des Scheiks Ilderim.«
Ben Hur entrollte dann einen Papyrusstreifen. Dieser war gelb wie ein verwelktes Maulbeerblatt und erforderte die behutsamste Behandlung. Dann las er weiter:
»Ilderim, genannt der Edle, Scheik des Stammes Ilderim, an den Sohn, der mein Nachfolger ist. Alles, mein Sohn, was ich besitze, soll am Tage Deiner Nachfolge Dein sein, ausgenommen jenes Besitztum bei Antiochien, das als der Palmenhain bekannt ist. Dieses soll dem Sohn Hurs gehören, der uns im Zirkus solchen Ruhm brachte – ihm und den Seinen auf immer. Mache Deinem Vater keine Schande! Ilderim der Edle, Scheik.«
»Was sagst du, Simonides?« fragte Ben Hur. Esther nahm erfreut die Papiere und las sie für sich. Simonides schwieg. Seine Augen ruhten auf dem Schiffe, sein Geist aber sann. Endlich sprach er.
»Sohn Hurs,« sagte er ernst, »der Herr war in diesen letzten Jahren gegen dich überaus gütig. Für vieles bist du ihm Dank schuldig. Ist es nicht an der Zeit, endlich über die Bestimmung des großen, vom Herrn dir gegebenen Vermögens zu entscheiden, das jetzt ganz in deiner Hand ist und noch immer wächst?«
»Ich habe meine Entscheidung schon längst getroffen. Das Vermögen ist zum Dienst des Gebers bestimmt, nicht bloß ein Teil desselben, Simonides, sondern das ganze. Die Frage war und ist für mich nur die: Wie kann ich es am besten in seiner Sache verwenden? Und darüber, bitte ich, gib mir einen guten Rat!«
Simonides antwortete: »Wie große Summen du der Kirche hier in Antiochien gewidmet hast, kann ich bezeugen. Jetzt kommt, fast gleichzeitig mit diesem Geschenk des edlen Scheik, die Nachricht von der Verfolgung unserer Brüder in Rom. Ein neues Wirkungsfeld öffnet sich dir. Das Licht des Glaubens darf in der Hauptstadt nicht erlöschen.«
»Sag' mir, wie ich es brennend erhalten kann.«
»Ich werde es dir sagen. Die Römer, selbst dieser Nero, halten zwei Dinge heilig, nämlich die Asche der Verstorbenen und alle Begräbnisstätten. Kannst du über der Erde keine Tempel zum Dienste des Herrn bauen, so baue sie unter der Erde. Und um sie vor Entweihung zu schützen, laß die Leichname aller, die im Glauben sterben, dort beisetzen.«
Ben Hur erhob sich erregt.
»Es ist ein großer Gedanke«, sagte er. »Ich darf nicht zögern, ihn auszuführen. Die Zeit duldet keinen Aufschub. Das Schiff, das die Nachricht von den Leiden unserer Brüder brachte, soll mich nach Rom bringen. Morgen reise ich ab.«
Er wandte sich an Malluch.
»Mach' das Schiff segelfertig, Malluch, und bereite auch du dich, mich zu begleiten.«
»So ist's recht!« sagte Simonides.
»Und du, Esther, was sagst du?« fragte Ben Hur.
Esther kam an seine Seite, legte ihre Hand auf seinen Arm und antwortete: »So wirst du Christus am besten dienen. O mein Gatte, laß mich kein Hindernis sein, sondern dich begleiten und dir helfen!«
Wenn man heute Rom besucht und die Katakomben des heiligen Calixtus besucht, dann kann man sehen, was aus Ben Hurs Vermögen wurde, und ihm Dank wissen. Aus jener ausgedehnten Gräberstätte trat das Christentum hervor, um das Heidentum und seine Cäsaren zu stürzen.