Lewis Wallace
Ben Hur
Lewis Wallace

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Viertes Kapitel.

Am elften Tage nach der Geburt des Kindes, um die Mitte des Nachmittags, näherten sich die drei Weisen von Sichem her der Stadt Jerusalem. Als sie den Bach Kidron überschritten hatten, wurde die Straße belebter. Alle, denen sie begegneten, blieben stehn und blickten ihnen neugierig nach. Obgleich große Verkehrsstraßen durch Jerusalem führten und viele Fremden hier waren, erregten die drei Weisen doch die Aufmerksamkeit aller durch die Größe und Schönheit ihrer weißen Kamele und durch die Pracht ihrer Ausstattung. Vor einer Menschengruppe, die an der Straße gegenüber den Königsgräbern saß, hielten die vornehmen Fremden.

»Gute Leute,« sagte Balthasar und beugte sich dabei von seinem Sitz herab, »liegt nicht Jerusalem in der Nähe?«

»Ja,« antwortete eine Frau, »wenn die Bäume dort auf dem Hügel etwas niedriger wären, könntet ihr die Türme auf dem Marktplatze sehen.«

Balthasar warf dem Griechen und dem Inder einen Blick zu und fragte dann:

»Wo ist der neugeborene König der Juden?«

Die Gefragten blickten einander verständnislos an, ohne zu antworten.

»Habt ihr nicht von ihm gehört?«

»Nein.«

»Nun, so erzählt allen, daß wir seinen Stern im Morgenlande gesehen haben und gekommen sind, ihn anzubeten.«

Die Freunde ritten nun wieder weiter.

Die gleiche Frage richteten sie auch an andere, aber mit demselben Erfolge. Eine Schar Menschen, die auf dem Wege zur Jeremiasgrotte war, geriet über die Frage und die Erscheinung der Männer in solches Staunen, daß sie umkehrte und ihnen in die Stadt folgte.

Sie waren von dem Gedanken an ihre Sendung so sehr erfüllt, daß sie keinen Sinn hatten für den herrlichen Anblick, der sich ihnen jetzt bot. Sie ritten durch das Damaskustor, an dem ein römischer Soldat Wache hielt.

»Friede sei mit dir!« grüßte der Ägypter mit klarer Stimme.

Die Wache gab keine Antwort.

»Wir kommen aus weiter Ferne, um den neugebornen König der Juden zu suchen. Kannst du uns sagen, wo wir ihn finden?«

Der Soldat hob das Visier seines Helmes und rief mit lauter Stimme. Rechts vom Eingange erschien ein Offizier. »Was wollt Ihr?« fragte er Balthasar in der Sprache des Landes.

Und Balthasar antwortete in derselben Sprache:

»Wo ist der neugeborene König der Juden?«

»Herodes?« fragte erstaunt der Offizier.

»Herodes hat sein Königtum vom Kaiser. Nein, nicht Herodes.«

»Einen andern König der Juden gibt es nicht!«

»Aber wir haben seinen Stern gesehen und sind gekommen, ihn anzubeten.«

Der Römer war erstaunt.

»Geht weiter!« sagte er endlich. »Geht weiter! Ich bin kein Jude. Fragt die Gesetzeslehrer im Tempel, oder Annas, den Priester, oder noch besser Herodes selbst. Wenn es außer ihm noch einen andern König der Juden gibt, wird er ihn zu finden wissen.« Er machte nun den Fremden die Bahn frei und diese zogen durch das Tor.

Bei Beginn der engen Straße hielt Balthasar sein Tier an und sagte zu seinen Freunden:

»Der Zweck unseres Hierseins ist nun genügend bekannt. Bis Mitternacht wird die ganze Stadt von uns und unserer Sendung gehört haben. Suchen wir nun die Herberge auf.«

An jenem Abend waren mehrere Frauen auf der oberen Stufe der Treppe, die zum Teiche Siloah hinabführt, mit Waschen beschäftigt. Eine jede kniete vor einer breiten, irdenen Schüssel. Ein Mädchen, das am unteren Ende der Treppe stand, versorgte sie mit Wasser und sang, während es den Krug füllte. Während sie fleißig die Hände regten, die Wäsche in den Schüsseln rieben und wandten, traten zwei andere Frauen, jede mit einem leeren Kruge auf der Schulter, zu ihnen.

»Friede sei mit euch!« grüßte die eine von ihnen.

Die anderen hielten in ihrer Arbeit inne, richteten sich auf, trockneten ihre Hände und erwiderten den Gruß.

»Wißt ihr, was Neues geschehen ist?« »Was soll denn geschehen sein?«

»Ihr habt also nichts gehört?«

»Nein!«

»Man sagt, der Messias sei geboren,« brach die Neuigkeitskrämerin mit ihrer Erzählung los.

Lebhafte Neugierde spiegelte sich in den Gesichtern der Frauen. Schnell wurden die Krüge niedergestellt und in ebensoviele Sitze verwandelt.

»Der Messias!« riefen alle.

»So erzählt man.«

»Wer?«

»Alle; es ist das allgemeine Gespräch.«

»Glaubt es denn auch jemand?«

»Heute nachmittag kamen drei Männer über den Bach Kidron auf dem Wege von Sichem her,« erwiderte die Erzählerin mit umständlicher Genauigkeit, um jedem Zweifel zu begegnen.

»Jeder ritt ein glänzend weißes Kamel von solcher Größe, wie man sie bisher in Jerusalem nicht gesehen hat.«

Die Zuhörerinnen sperrten Mund und Augen auf.

»Es waren sicherlich vornehme und reiche Männer,« fuhr sie fort; »denn sie saßen unter einem seidenen Gezelte. Die Schnallen ihrer Sättel waren von Gold, desgleichen die Borten ihrer Zäume, die Schellen waren aus Silber und gaben liebliche Musik. Niemand kannte sie; sie sahen aus, wie wenn sie von den Grenzen der Erde gekommen wären. Nur einer führte das Wort, und an alle, denen sie begegneten, selbst an die Frauen und Kinder, richtete er die Frage: Wo ist der neugeborne König der Juden? – Niemand gab ihnen Antwort, niemand begriff, was sie meinten; und so zogen sie weiter mit der Erklärung: Wir haben seinen Stern im Morgenlande gesehen und sind gekommen, ihn anzubeten. Sie legten diese Frage auch dem Römer am Tore vor, und dieser, ebenso unwissend wie das einfache Volk am Wege, sandte sie zu Herodes.«

»Wo sind sie jetzt?« »In der Herberge. Hunderte sind hingegangen, sie zu sehen, Hunderte gehn noch immer hin.«

»Wen meinen sie mit dem König der Juden?«

»Den Messias, der soeben geboren sei.«

Eine von den Frauen lachte und ging wieder an die Arbeit, indem sie sprach:

»Nun, wenn ich ihn sehe, will ich glauben.«

Eine andere folgte ihrem Beispiel:

»Und ich, – nur wenn ich ihn die Toten auferwecken sehe, will ich glauben.«

Eine dritte sagte ruhig:

»Er ist vor langer Zeit verheißen worden. Mir soll es genug sein, wenn ich ihn nur einen einzigen Aussätzigen heilen sehe.«

So saßen sie und plauderten, bis die Nacht einbrach und mit ihrer Kühle sie zwang, nach Hause zu gehen.


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