Lewis Wallace
Ben Hur
Lewis Wallace

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Achtzehntes Kapitel.

Am Morgen nach den Bacchanalien im Saale des Palastes war der Diwan mit jungen Patriziern bedeckt. Mochte Maxentius kommen und die Stadt hinausströmen, ihn zu empfangen, mochte die Legion im strahlenden Waffenschmucke vom Berg Sulpius herabsteigen, mochte sich vom Nymphäum bis zum Omphalos eine Festespracht entfalten, die alles übertraf, was man bisher im prachtliebenden Osten gesehen oder gehört hatte: sie würden fortfahren, schmachvoll auf dem Diwan zu schlafen, wie sie hingefallen oder von den gleichgültigen Dienern nachlässig hingelegt worden waren.

Nicht alle indes, die an der Orgie teilgenommen hatten, befanden sich in diesem schmählichen Zustand. Als durch die Deckenfenster der neue Tag in den Saal hereinzudämmern begann, erhob sich Messala und nahm den Kranz vom Kopfe zum Zeichen, daß das Gelage zu Ende sei. Dann hüllte er sich in sein Oberkleid, warf einen letzten Blick auf die Szene und begab sich, ohne ein Wort zu sprechen, nach seiner Wohnung. Cicero hätte nicht mit mehr Ernst und Würde eine nächtliche Senatorendebatte verlassen können. Drei Stunden später erschienen zwei Eilboten in seiner Wohnung und empfingen aus seiner Hand je ein versiegeltes Päckchen mit der gleichlautenden Abschrift eines Briefes an den Prokurator Valerius Gratus, der sich noch immer in Cäsarea befand. Daß an der schnellen und zuverlässigen Beförderung der Schriftstücke viel gelegen war, läßt sich denken. Der eine Bote sollte über Land, der andere zur See reisen; beide sollten sich der größten Eile befleißigen.

Es ist nun von Wichtigkeit, daß der Leser über den Inhalt des also beförderten Schreibens voll und ganz unterrichtet werde; wir lassen es deshalb hier folgen:

»Antiochien, XII. Kal. des Julius.

Messala an Gratus.

Ich habe Dir etwas Überraschendes mitzuteilen, eine Begebenheit, die, wenn sie auch bisher noch mehr auf Vermutungen beruht, dennoch ohne Zweifel Deine sofortige Beachtung rechtfertigen wird.

Erlaube, daß ich vorher Dein Gedächtnis auffrische. Erinnere Dich an die Familie eines jüdischen Fürsten, namens Ben Hur, die, von hohem Alter und unermeßlich reich, vor vielen Jahren in Jerusalem weilte. Sollte Dein Gedächtnis etwas erlahmt sein, so hast Du, wenn ich nicht irre, eine Narbe an Deinem Kopf, die Dir behilflich sein mag, jenen Vorfall Dir wieder zum Bewußtsein zu bringen.

Um nun Dein Interesse zu erwecken, mache ich Dich auf folgendes aufmerksam. Zur Strafe für den Angriff auf Dein Leben – um der süßen Ruhe des Gewissens willen mögen alle Götter verhüten, daß er sich jemals als ein Zufall erweise! – wurde die Familie ergriffen, kurzerhand beiseite geschafft und ihr Vermögen eingezogen. Und da das Verfahren die Gutheißung des Kaisers erhielt, der ebenso gerecht als weise ist, sollte im Hinweis auf die Summe, die uns beiden aus jener Quelle zufloß, keine Schmach liegen und ich werde unmöglich jemals aufhören können, Dir dafür dankbar zu sein. Als Beleg Deiner Weisheit erinnere ich Dich daran, wie Du über die Familie Hur verfügtest und wie wir beide damals den gefaßten Plan für den wirksamsten zur Erreichung unserer Absichten hielten, nämlich die Familie zum Stillschweigen und zum unvermeidlichen, aber natürlichen Tod zu verurteilen. Du wirst Dich nun entsinnen, was Du über Mutter und Schwester des Übeltäters bestimmtest, und wenn ich jetzt dem Verlangen nachgebe zu erfahren, ob sie noch leben oder schon tot sind, so kenne ich Deine angeborne Liebenswürdigkeit, mein Gratus, und weiß, daß Du dem Wunsche Deines kaum minder liebenswürdigen Freundes willfahren wirst.

Als unseren Gegenstand aber unmittelbarer berührend nehme ich mir die Freiheit, Dir in Erinnerung zu bringen, daß der wirkliche Verbrecher zu den Galeeren geschickt wurde, um auf Lebenszeit an die Ruder gekettet zu werden – so lautete der Befehl. Und zieht man nun die Durchschnittsdauer des Lebens am Ruder in Betracht, so müßte der so gerechterweise beseitigte Verbrecher wenigstens seit fünf Jahren tot, oder besser gesagt, von einer der dreitausend Meernymphen zum Gemahl erkoren sein. In der Überzeugung aber, daß er tot sei, lebte ich ganze fünf Jahre im ruhigen und unschuldigen Genusse des Vermögens, wofür ich in gewissem Grade ihm zum Dank verpflichtet bin.

Jetzt bin ich beim Hauptpunkt angelangt. Letzte Nacht, da ich Vorsitzender eines Festgelages war, das zu Ehren einiger eben aus Rom Angekommener gegeben wurde, hörte ich eine sonderbare Geschichte. Wie Du weißt, kommt heute der Konsul Maxentius hier an, um einen Feldzug gegen die Parther zu leiten. Unter den Ehrgeizigen, welche ihn dabei begleiten wollen, befindet sich ein Sohn des verstorbenen Duumvirs Quintus Arrius. Ich nahm Gelegenheit, mich über ihn genauer zu erkundigen. Als Arrius zur Verfolgung der Seeräuber absegelte, deren Besiegung ihm die letzten höchsten Ehren einbrachte, brachte er einen Erben mit. Bewahre nun Deine Fassung, wie es dem Besitzer so vieler Talente in baren Sesterzien geziemt! Der Sohn und Erbe, von dem ich rede, ist derselbe, den Du zu den Galeeren gesandt hast – derselbe Ben Hur, der schon vor fünf Jahren an seinem Ruder hätte den Tod finden sollen. Er ist nun zurückgekehrt, reich und in hoher Stellung und wahrscheinlich römischer Bürger, um – nun, Du stehst zu fest, um in Aufregung zu geraten, aber ich, ich bin in Gefahr; ich brauche Dir nicht zu sagen, weshalb. Wer sollte es wissen, wenn Du es nicht weißt?

Um Dich übrigens von der Wahrheit meiner Mitteilung besser zu überzeugen, teile ich Dir mit, daß ich ihm gestern schon begegnet bin. Und wenn ich ihn auch in dem Augenblick selbst nicht erkannte, so weiß ich doch jetzt, daß es derselbe Ben Hur war, den ich jahrelang als Spielgenossen kannte, derselbe Ben Hur, der, wenn er ein Mann ist, und wäre er auch aus der niedersten Klasse, jetzt im Augenblick, da ich dieses schreibe, Rache brüten muß – ich an seiner Stelle täte es – Rache, die nur durch Menschenblut zu sättigen ist, Rache für sein Vaterland, für seine Mutter, seine Schwester, sich selbst und – ich nenne es zuletzt, obschon Du es an erster Stelle nennen würdest – für sein verlorenes Vermögen.

Jetzt, mein lieber Wohltäter und Freund, mein Gratus, in Erwägung Deiner gefährdeten Sesterzien, deren Verlust das Schwerste wäre, was einem Mann von Deinem hohen Range zustoßen könnte, jetzt glaube ich wohl, daß Du darüber nachdenken wirst, was hier zu geschehen. Ich werde Deine Antwort hier in Antiochia abwarten.

Ben Hurs Weilen und Gehn wird natürlich von seinem Vorgesetzten, dem Konsul, abhängen, der, wenn er sich auch Tag und Nacht anstrengt, nicht vor einem Monat fortkommen kann. Du weißt ja, welche Arbeit es kostet, ein Heer, das in einem öden, städtelosen Lande kämpfen soll, zu sammeln und mit dem Nötigen auszurüsten.

Ich sah den Juden gestern im Daphnehain, und wenn er jetzt nicht dort ist, so ist er doch in der Nähe und macht es mir so leicht, ihn im Auge zu behalten. Ja, würdest Du mich fragen, wo er jetzt ist, so würde ich mit der größten Bestimmtheit antworten, daß er im alten Palmenhain zu finden sei, unter dem Zelt des verräterischen Scheiks Ilderim, der in nicht langer Zeit erfahren wird, daß er unserer starken Hand nicht entrinnen kann. Sei also nicht überrascht, wenn die erste Maßregel, die Maxentius ergreift, die ist, daß er den Araber auf ein Schiff bringen läßt, um ihn nach Rom zu senden.

Ich verbreite mich so ausführlich über den Aufenthalt des Juden, weil es für Dich, Erlauchter, von Wichtigkeit ist, wenn Du die zu unternehmenden Schritte in Erwägung ziehen wirst. Denn so viel weiß ich bereits, und ich schmeichle mir wegen dieser Erkenntnis, an Weisheit zugenommen zu haben, daß bei jedem menschlichen Unternehmen drei Umstände in Betracht kommen: Zeit, Ort und handelnde Personen.

Hältst Du dafür, daß hier der Ort sei, so zögere nicht, die Sache Deinem Dich liebenden Freund, der ebenso Dein gelehriger Schüler sein wird, zu überlassen. Messala.«

Um die Zeit, da die Eilboten Messalas Wohnung mit den Briefen verließen – es war noch früh am Morgen – betrat Ben Hur Ilderims Zelt. Er hatte sich durch ein Bad im See erfrischt und dann gefrühstückt und erschien nun in einer ärmellosen Untertunika, deren Saum kaum unter die Knie reichte.

Der Scheik begrüßte ihn vom Diwan aus.

»Ich wünsche dir Frieden, Sohn des Arrius,« rief er, ihn voll Bewunderung betrachtend. Denn er hatte in Wahrheit noch nie ein vollkommeneres Bild blühender, kraftvoller, selbstbewußter Männlichkeit gesehen. »Ich biete dir Frieden und Willkommen! Die Pferde sind bereit; ich auch. Und du?«

»Den Frieden, den du mir wünschest, guter Scheik, wünsche ich ebenfalls dir. Ich danke dir für so viel Freundlichkeit. Ich bin bereit.«

Ilderim klatschte in die Hände. »Ich will die Pferde vorführen lassen. Setze dich!«

»Sind sie angeschirrt?«

»Nein.«

»Dann erlaube, daß ich es selbst besorge,« sprach Ben Hur.

»Es ist notwendig, daß ich mit deinen Arabern Bekanntschaft mache. Ich muß sie bei Namen rufen können, damit ich zu jedem einzeln sprechen kann; nicht minder muß ich ihren Charakter kennen lernen, denn sie sind wie die Menschen: sind sie mutig, muß man sie zurückhalten, sind sie zaghaft, bedürfen sie Lob und Ermunterung. Laß die Diener das Riemenzeug bringen!«

»Und den Wagen?« fragte der Scheik.

»Den Wagen werde ich heute nicht brauchen. An seiner Stelle laß mir ein fünftes Pferd bringen, wenn du eines hast; es sollte ohne Sattel sein und so schnell wie die anderen.«

Ilderims Neugierde war erregt. Er rief sogleich einen Diener. »Sag' ihnen, sie sollen die Geschirre für das Viergespann bringen,« befahl er – »die Geschirre für das Viergespann und den Zaum für Sirius.«

Ilderim erhob sich.

»Sirius ist mein Liebling und ich bin der seinige, Sohn des Arrius. Einundzwanzig Jahre hindurch waren wir Genossen, im Zelte, in der Schlacht, auf allen Raststationen der Wüste. Ich werde ihn dir zeigen.«

Er ging zum Vorhang in der Mitte des Zeltes und hielt ihn zurück, während Ben Hur darunter hindurchschritt. Alle Pferde kamen gleichzeitig auf ihn zu. Eines mit einem kleinen Kopf, feurigen Augen, einem Hals wie der Ausschnitt eines gespannten Bogens, mächtiger Brust und überaus reicher Mähne, so zart und wollig wie die Locken eines Mädchens, wieherte tief und freudig, als es ihn erblickte.

»Braves Pferd,« sagte der Scheik, den dunkelbraunen Kopf des Tieres streichelnd. »Braves Pferd, guten Morgen!« Sich zu Ben Hur wendend, fügte er dann hinzu: »Dies ist Sirius, der Vater der vier hier. Mira, die Mutter, wartet auf unsere Rückkehr, denn sie ist zu kostbar, als daß sie in einer Gegend, wo eine stärkere Hand als die meinige waltet, einer Gefahr ausgesetzt werden dürfte. Und ich zweifle sehr,« fuhr er lächelnd fort, »ich zweifle sehr, Sohn des Arrius, ob der Stamm ihre Abwesenheit ertragen könnte. Sie ist sein Ruhm, alle verehren sie. Mit Freuden würden sie sich von ihr niederrennen lassen. Zehntausend Reiter, Söhne der Wüste, fragen heute: Hast du von Mira gehört? Und auf die Antwort: Sie ist wohlauf! sagen sie: Gott ist gut; gepriesen sei Gott!«

Das Riemenzeug wurde gebracht. Mit eigener Hand schirrte Ben Hur die Pferde an; mit eigener Hand führte er sie aus dem Zelt und legte ihnen da die Zügel an.

»Bringt mir Sirius!« sprach er.

Ein Araber hätte sich nicht mit mehr Gewandtheit auf den Rücken des Renners schwingen können.

»Und nun die Zügel!«

Sie wurden ihm gereicht und sorgfältig auseinandergetrennt.

»Guter Scheik,« sprach er, »ich bin bereit. Laß einen Führer zum Zelt vorausgehn und sende einige deiner Männer mit Wasser!«

Der Anfang ging ohne Störung vonstatten. Die Pferde waren nicht scheu. Schon schien ein stummes Einverständnis zwischen ihnen und dem neuen Lenker zu herrschen, der sich seiner Sache mit Ruhe und jenem Selbstbewußtsein hingab, das stets Vertrauen erweckt. Ben Hur ließ die Pferde genau in derselben Ordnung gehn, die sie an den Wagen gespannt einhalten sollten, nur daß er auf Sirius ritt, anstatt im Wagen zu stehn. Ilderims Vertrauen nahm zu. Er strich sich den Bart und lächelte befriedigt, indem er murmelte: »Er ist kein Römer, bei der Herrlichkeit Gottes, nein!« Er folgte zu Fuß, alle Bewohner der Zelte, Männer, Frauen und Kinder, strömten ihm nach und teilten seine Sorge, wenn nicht auch sein Vertrauen.

Das Feld erwies sich hinlänglich geräumig und für die Übungen wie geschaffen. Ben Hur begann sogleich damit, indem er das Gespann zuerst langsam und in gerader Linie, dann in weiten Kreisen ausschreiten ließ. Hierauf mußte es den Schritt beschleunigen, bis es im Trab und endlich im Galopp dahinlief. Zuletzt zog er die Kreise enger und etwas später noch trieb er die Pferde regellos dahin und dorthin, rechts, links, vorwärts, ohne Unterbrechung. So verstrich eine Stunde. Dann mäßigte er ihren Lauf zum Schritt und lenkte auf Ilderim zu.

»Das Werk ist getan, es fehlt nur noch die Übung,« sprach er. »Ich wünsche dir Glück, Scheik Ilderim, daß du Diener besitzest wie diese. Sieh,« fuhr er fort, indem er abstieg und zu den Pferden trat, »sieh, der Glanz ihrer rötlichen Haut ist ohne Makel; sie atmen so leicht wie beim Beginn. Ich wünsche dir viel Glück und es müßte schlimm gehn, wenn« – er richtete seine strahlenden Augen auf das Antlitz des Greises – »wenn wir nicht den Sieg und unsere –«

Er hielt inne, errötete und verbeugte sich. Erst jetzt hatte er an des Scheiks Seite Balthasar, auf seinen Stab gestützt, und zwei tiefverschleierte Frauen bemerkt. Die eine der letzteren blickte er ein zweites Mal an und sprach pochenden Herzens zu sich selbst: Das ist sie – die Ägypterin! – Ilderim nahm seinen abgebrochenen Satz auf –

»– den Sieg und unsere Rache erringen!« Dann sprach er laut: »Ich fürchte nichts; ich habe guten Mut. Sohn des Arrius, du bist mein Mann. Ist das Ende wie der Anfang, dann sollst du erfahren, mit welchem Stoff die Handfläche eines Arabers gefüttert ist, der die Mittel besitzt, zu geben.«

»Ich danke dir, guter Scheik,« erwiderte Ben Hur bescheiden. »Laß die Diener Wasser bringen, damit die Pferde trinken.«

Er reichte ihnen mit eigener Hand das Wasser. Dann bestieg er Sirius wieder und erneuerte die Übungen, wie vorher von Schritt zu Trab, von Trab zu Galopp übergehend. Die Zuschauer stießen Worte der Bewunderung aus, sowohl für den Lenker wie auch für das Gespann.

Inmitten der Übungen und der allgemeinen Aufmerksamkeit, die sie bei den Zuschauern erregten, erschien Malluch auf dem Platze und suchte den Scheik.

»Ich habe eine Botschaft für dich, Scheik,« sprach er, als er glaubte, einen günstigen Augenblick zum Reden gefunden zu haben, »eine Botschaft vom Handelsherrn Simonides.«

»Von Simonides!« rief der Araber aus. »Ah, gut! Möge Satan alle seine Feinde verderben!«

»Er trug mir auf, dir zuerst den heiligen Frieden Gottes zu wünschen,« fuhr Malluch fort, »und dir dann dieses Schreiben zu überreichen mit der Bitte, es gleich nach Empfang zu lesen.«

Ilderim erbrach auf der Stelle das Siegel des ihm überreichten Päckchens und entnahm der aus feinem Linnen bestehenden Umhüllung zwei Briefe, die er sogleich zu lesen begann.

»Simonides an den Scheik Ilderim.

Mein Freund! Sei zuerst versichert, daß Du einen Platz im Innersten meines Herzens einnimmst. In Deinen Zelten ist ein Jüngling von angenehmem Äußeren, der sich Sohn des Arrius nennt, er ist es auch durch Adoption. Er ist mir sehr teuer und hat eine wunderbare Geschichte, die ich Dir erzählen will. Komm heute oder morgen zu mir, daß ich sie Dir erzählen und Deinen Rat hören kann. In der Zwischenzeit willfahre allen seinen Wünschen, solange sie nicht gegen die Ehre verstoßen. Daß ich an dem Jüngling Interesse nehme, behalte für Dich. Grüße Deinen anderen Gast von mir. Er, seine Tochter, Du selbst und alle, die Du als Deine Gesellschaft mitbringen willst, sind mir am Tage der Spiele im Zirkus willkommen. Ich habe bereits Sitze bestellt.

Friede sei mit Dir und den Deinigen! Was könnte ich, mein Freund, anders sein als Dein Freund! Simonides.«

»Simonides an den Scheik Ilderim.

Mein Freund! Aus dem Schatze meiner Erfahrung sende ich Dir ein Wort.

Es gibt ein Zeichen, das alle Nichtrömer, die Geld oder Gut besitzen, das dem Raube ausgesetzt ist, als Warnung auffassen: es ist die Ankunft eines hochgestellten, mit Macht bekleideten Römers an einem Sitze römischer Gewalt. Heute kommt der Konsul Maxentius an. Laß Dich warnen! Und nun noch ein Wort des Rates: Sende heute morgen zu Deinen treuen Wächtern an den Straßen, die von Antiochien südwärts führen, und befiel ihnen, jeden abgehenden und ankommenden Boten zu untersuchen. Finden sie Privatbriefe, die Dich oder Deine Geschäfte betreffen, so solltest Du dieselben sehen. Falls heute morgen Boten aus Antiochien abgegangen sind – die Deinigen kennen ja die Seitenwege und können ihnen daher mit Deinen Befehlen zuvorkommen. Zögere nicht! Verbrenne dieses Schreiben, sobald Du es gelesen hast.

Dein Freund Simonides.«

Ilderim las die Briefe ein zweites Mal, legte sie dann wieder in die Linnenumhüllung und verbarg das Päckchen unter seinem Gürtel.

Die Übungen im Feld dauerten nur noch kurze Zeit, im ganzen etwa zwei Stunden. Gegen Ende derselben brachte Ben Hur das Gespann wieder in Schritt und lenkte es auf Ilderim zu. »Mit deiner Erlaubnis, Scheik,« sprach er, »will ich die Araber wieder ins Zelt zurückbringen und sie heute nachmittag wieder ausführen.«

Ilderim trat auf Ben Hur, der noch auf Sirius saß, zu und sprach: »Ich überlasse sie, Sohn des Arrius, ganz deiner Verfügung bis nach den Spielen. Du hast in zwei Stunden mit ihnen erreicht, was der Römer in ebenso vielen Wochen nicht vermochte. Wir werden siegen, bei der Herrlichkeit Gottes, wir werden siegen!«

Im Zelt blieb Ben Hur bei den Pferden, während sie besorgt wurden. Nach einem Bad im See und einem Trunk Reisbranntwein mit dem Scheik, der von guter Laune überschäumte, zog er dann wieder seine jüdische Kleidung an und schritt mit Malluch dem Haine zu.

Zwischen beiden fand eine lebhafte Unterredung statt, aber zumeist über minder wichtige Dinge. Einen Teil indes dürfen wir nicht übergehn. Ben Hur führte das Wort.

»Ich werde dir«, sprach er, »einen Auftrag betreffs meines Gepäckes mitgeben, das sich in der Herberge diesseits des Flusses bei der seleukischen Brücke befindet. Bringe es mir heute, wenn du kannst. Und, guter Malluch – wenn es dir nicht zu viel Ungelegenheiten macht –«

Malluch versicherte ihn mit herzlichen Worten seiner Bereitwilligkeit, ihm zu dienen.

»Ich danke dir, Malluch, ich danke,« sprach Ben Hur. »Ich will dich beim Worte nehmen. Um alle Fehler und Hindernisse bezüglich des Rennens zu vermeiden, würde es mir zu großer Beruhigung dienen, wenn du dich zur Leitung des Zirkus begeben und nachsehen wolltest, ob der Scheik allen Vorbedingungen richtig nachgekommen ist. Ist es dir möglich, eine Abschrift der Regeln zu erhalten, so wird mir dieser Dienst von großem Nutzen sein. Und noch eins: Ich bemerkte gestern, daß Messala stolz auf seinen Wagen ist, und er hat ein Recht dazu. Kannst du nicht seine Pracht zu einem Vorwand nehmen, der dich in die Lage setzt, herauszufinden, ob er leicht oder schwer ist? Ich möchte gern sein genaues Maß und Gewicht haben – und vor allem die genaue Höhe, in der seine Achse über dem Boden steht, du verstehst mich, Malluch?«

»Ich verstehe, ich verstehe,« erwiderte Malluch. »Das Maß vom Mittelpunkt der Achse bis zum Boden wünschest du.«

»Du hast es erraten, und nun freue dich, Malluch, dies ist der letzte meiner Aufträge. Wir wollen zu den Zelten zurückkehren.«

Bald darauf begab sich Malluch in die Stadt zurück. Inzwischen hatte der Scheik einen berittenen Boten mit Weisungen, wie Simonides sie angedeutet hatte, abgesandt. Es war ein Araber, Schriftliches trug er nicht bei sich.

Ungefähr um die dritte Stunde des folgenden Tages stieg ein Mann vor den Zelten ab, den Ilderim als Mitglied seines Stammes erkannte. Der Bote sprach: »Scheik, ich bin beauftragt, dir dieses Päckchen zu geben und dich zu bitten, den Inhalt sofort zu lesen. Falls eine Antwort erforderlich sei, soll ich darauf warten.«

Ilderim nahm sofort das Päckchen und betrachtete es aufmerksam. Das Siegel war bereits erbrochen. Die Adresse lautete: »An Valerius Gratus in Cäsarea.«

»Der Satan hole ihn!« knurrte der Scheik, als er einen Brief in lateinischer Sprache fand.

Wäre das Schreiben griechisch oder arabisch gewesen, so hätte er es lesen können. So aber war das einzige, was er entziffern konnte, der in kühnen römischen Lettern unterzeichnete Name Messala. Ilderims Augen funkelten.

»Wo ist der junge Israelite?« fragte er.

»Er ist mit den Pferden auf dem Felde,« antwortete ein Diener.

Der Scheik legte das Schriftstück in seine Umhüllung zurück, steckte das Päckchen unter seinen Gürtel und bestieg wieder das Pferd. In diesem Augenblick erschien ein Fremder, der augenscheinlich aus der Stadt kam.

»Ich suche den Scheik Ilderim mit dem Beinamen der Edle,« sprach der Fremde.

Sprache und Kleidung verrieten in ihm den Römer.

Die Sprache, die der greise Araber nicht lesen konnte, konnte er doch sprechen; er antwortete daher mit Würde: »Ich bin der Scheik Ilderim.«

Der Mann ließ die Augen sinken. Dann erhob er sie wieder und sprach mit erzwungener Ruhe: »Ich hörte, daß du einen Lenker für die Wettspiele brauchst.«

Ilderims Lippen zogen sich unter dem weißen Schnurrbart verächtlich kraus.

»Geh deines Weges,« sprach er. »Ich habe einen Lenker.«

Er wandte sich um, um fortzureiten, aber der Mann blieb stehn und sprach abermals: »Scheik, ich bin ein Liebhaber von Pferden, und man sagt, du habest die schönsten in der Welt.«

Der Greis war erweicht. Er hielt die Zügel an, als wolle er der Schmeichelei nachgeben. Aber schließlich erwiderte er: »Heute nicht, heute nicht; zu einer anderen Zeit werde ich sie dir zeigen. Jetzt bin ich zu sehr beschäftigt.«

Er ritt über das Feld, während der Fremde sich mit lächelnder Miene entfernte, um in die Stadt zurückzukehren. Er hatte seinen Auftrag erfüllt.

Und jeden Tag kam von nun an bis zum großen Tag der Spiele ein Mann – manchmal waren es deren zwei oder drei – nach dem Palmenhain zum Scheik unter dem Verwände, eine Beschäftigung als Wagenlenker zu suchen.

In dieser Weise ließ Messala Ben Hur überwachen.


 << zurück weiter >>