Lewis Wallace
Ben Hur
Lewis Wallace

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Elftes Kapitel.

In der Bucht von Antemona, östlich von der Insel Kythera, sammelten sich die hundert Galeeren. Hier widmete der Tribun einen Tag der Besichtigung der Schiffe. Dann segelte er nach Naxos, der größten der Zykladeninseln, welche auf halbem Wege zwischen Griechenland und Asien aus dem Meere ragt wie ein Felsblock, der mitten auf der Straße liegt. Von hier konnte er alles beherrschen, was vorüberkam, gleichzeitig war er auch in der Lage, den Seeräubern augenblicklich nachzusetzen, mochten sie im Ägäischen oder weiter unten im Mittelländischen Meere auftauchen.

Als die Flotte in schönster Ordnung nach dem gebirgigen Ufer der Insel ruderte, sah man eine Galeere von Norden her kommen. Arrius fuhr ihr entgegen. Es war ein Transportschiff, das direkt von Byzanz kam. Von ihrem Befehlshaber erfuhr er die Einzelheiten, die er notwendig wissen mußte.

Die Seeräuber hatten ein Geschwader von sechzig wohlbemannten und gut ausgerüsteten Galeeren. Einige derselben waren Zweiruderer, die übrigen schwere Dreiruderer. Ein Grieche führte den Oberbefehl, und die Lotsen, die im Rufe standen, alle Meere des Ostens genau zu kennen, waren ebenfalls Griechen. Sie hatten unermeßliche Beute gemacht, waren dann gegen die thessalische Inselgruppe gesteuert und nach den neuesten Nachrichten schließlich in den Buchten zwischen Euböa und Hellas verschwunden.

So lautete der Bericht.

Arrius waren diese Nachrichten sehr willkommen. Er hielt es nach reiflicher Überlegung für ziemlich sicher, daß die Seeräuber sich irgendwo unterhalb der Thermopylen aufhalten müßten, und beschloß sofort, sie von Norden und Süden einzuschließen. Er segelte daher ohne Unterbrechung oder Änderung der Richtung, bis kurz vor Einbruch der Nacht die Umrisse des Berges Ocha am Horizont auftauchten und der Lotse die euböische Küste in Sicht erklärte.

Auf ein gegebenes Zeichen stand die Flotte still. Als die Fahrt wieder aufgenommen wurde, ruderte eine Abteilung von fünfzig Galeeren unter Anführung des Arrius den Kanal hinauf, während eine andre, gleich starke Abteilung Befehl erhielt, sich nach der äußeren oder Seeseite der Insel zu wenden, um in möglichst beschleunigter Fahrt den oberen Eingang zu erreichen und dann den Kanal herab zu segeln.

Ben Hur saß unterdessen auf seiner Ruderbank und wurde alle sechs Stunden abgelöst. Die Ruhe in der Bucht von Antemona hatte ihn gekräftigt, so daß ihm das Rudern nicht schwer fiel und der Aufseher auf der Plattform keinen Anlaß zum Tadel fand. Während seiner langen Dienstbarkeit hatte der Jüngling gelernt, aus der Beobachtung der spärlichen Sonnenstrahlen, die während der Fahrt in wechselnder Richtung auf den Boden der Kajüte fielen, im allgemeinen die Richtung zu bestimmen, in welcher das Schiff segelte. So wußte er, daß das Schiff eine nördliche Richtung eingeschlagen hatte, ahnte aber sonst nichts von dem Ziel der Fahrt, noch davon, daß ein ganzes Geschwader folgte.

Als die letzten Strahlen der untergehenden Sonne aus der Kajüte entschwanden, segelte die Galeere noch immer nordwärts. Die Nacht brach herein, aber Ben Hur konnte keine Änderung bemerken. Jetzt drang der Duft von brennendem Weihrauch durch die Luken vom Verdeck herab.

Der Tribun ist am Altar, dachte er. – Gehn wir vielleicht einer Schlacht entgegen?

Er hatte manche Schlacht mitgemacht, ohne je eine gesehen zu haben. Von seinem Sitz aus hatte er den Kampf über und um sich toben hören, bis der mannigfaltige Schlachtenlärm seinem Ohre bekannt war wie einem Sänger die Melodie eines Liedes.

Eine Schlacht hatte übrigens für ihn und seine Rudergefährten ein höheres Interesse als für die Matrosen und Schiffssoldaten, zwar nicht wegen der zu bestehenden Gefahr, sondern weil eine Niederlage den sie überlebenden Sklaven eine Änderung ihrer Lage, vielleicht gar die Freiheit, zum mindesten aber einen Wechsel der Gebieter bringen konnte. Dieser allein mochte schon eine Besserung ihres Loses bedeuten. Zur bestimmten Zeit wurden die Laternen angezündet und neben den Treppen aufgehängt. Der Tribun kam vom Deck herab. Auf seinen Befehl zogen die Schiffssoldaten ihre Rüstungen an. Auf einen weiteren Befehl von ihm wurden die Maschinen untersucht und Speere, Wurfspieße und Pfeile in großen Bündeln herbeigebracht und auf den Boden gelegt. Daneben stellte man Krüge mit leicht entzündbarem Öl und Körbe voll Baumwollballen, die lose, nach Art eines Kerzendochtes, gedreht waren.

An jedem Sitze der Ruderbänke war als Zubehör eine Kette mit schweren Fußfesseln angebracht. Diese begann nun der Aufseher, von Nummer zu Nummer schreitend, den Ruderern anzulegen. Es blieb denselben keine andre Wahl als zu gehorchen, und im Falle eines Unglücks keine Möglichkeit, sich zu retten.

Ben Hur blickte mit einem Gefühl tiefer Schmach der ihm bevorstehenden Fesselung entgegen. Der Aufseher nahte. Jetzt war er bei Nummer 1. Das Klirren der eisernen Ketten klang schauerlich. Endlich Nummer 60! Mit der Ruhe der Verzweiflung hielt Ben Hur das Ruder in der Schwebe und streckte seinen Fuß den Fesseln entgegen. Da regte sich der Tribun, richtete sich auf und winkte dem Aufseher.

Eine heftige Bewegung erfaßte den Israeliten. Der große Mann wandte seine Blicke vom Aufseher zu ihm, und als er das Ruder senkte, erschien ihm die ganze Schiffsseite, auf der er sich befand, wie glühend. Er hörte nichts, was gesprochen wurde, es war ihm genug, daß die Kette an seinem Sitze unbenützt von der Krampe hing und daß der Aufseher sich wieder an seinen Platz begab, um auf dem Resonanztisch den Takt zu schlagen. Die Schläge des Hammers hatten ihm nie so lieblich geklungen. Er stemmte seine Brust gegen das bleibeschwerte Ende des Ruders und schob es mit all seiner Kraft vorwärts, bis es sich zu biegen begann, als wollte es brechen.

Der Aufseher trat zum Tribun und zeigte lächelnd auf Nummer 60.

»Welche Kraft!« sagte er.

»Und welch ein Geist!« erwiderte der Tribun. »Bei den Göttern, er ist besser ohne die Eisen! Lege sie ihm nie mehr an!«

Stunde um Stunde segelte das Schiff, nur von den Rudern bewegt; denn der Wind war so ruhig, daß er kaum die Wasserfläche kräuselte. Die nichtbeschäftigten Leute schliefen, Arrius auf seinem Lager, die Soldaten auf dem Boden.

Auf dem Meere lag eben das der Dämmerung vorhergehende tiefere Dunkel und auf der »Asträa« war alles in Ordnung. Da kam ein Mann vom Deck herab, schritt eilig der Plattform zu, auf welcher der Tribun schlief, und weckte diesen. Arrius erhob sich, setzte den Helm auf, nahm Schwert und Schild und trat zum Befehlshaber der Soldaten.

»Die Seeräuber sind in nächster Nähe. Auf! Macht euch bereit!« sagte er und begab sich ruhig und selbstbewußt zur Truppe.

Alle erwachten, das ganze Schiff wurde lebendig. Die Offiziere begaben sich auf ihre Posten. Die Soldaten griffen zu den Waffen und wurden auf das Verdeck geführt, sie glichen in jeder Hinsicht Legionssoldaten. Und nun herrschte wieder Ruhe auf der Galeere, eine Ruhe voll des unbestimmten Schreckens und der bangen Erwartung, alles war kampfbereit. Auf ein vom Verdeck aus gegebenes Zeichen, welches dem Aufseher durch einen Unteroffizier übermittelt wurde, der an der Treppe postiert war, hielten auf einmal alle Ruderer inne.

Was hatte das zu bedeuten?

Von den hundertundzwanzig an die Bänke geketteten Ruderern war nicht einer, der nicht diese Frage an sich gestellt hätte. Für sie gab es nichts, was ihnen ein Ansporn sein konnte. Vaterlandsliebe, Ehrgeiz, Pflichtgefühl flößten ihnen keine Begeisterung ein. Sie fühlten nur den Schauder, der jene überkommt, die hilflos und blindlings in eine Gefahr gestürzt werden.

Ein zweiter Befehl kam vom Verdeck herab. Die Ruder senkten sich und die Galeere setzte sich kaum bemerkbar in Bewegung. Kein Laut war weder von außen noch im Innern vernehmbar, und doch bereitete sich ein jeder in der Kajüte fast unwillkürlich auf einen Stoß vor. Das Schiff selbst schien dieses Gefühl zu teilen, hielt langsam den Atem an und duckte sich wie ein Tiger, der sich zum Sprung anschickt.

Endlich erscholl auf dem Verdeck ein lautes, helles, langgezogenes Trompetensignal. Der Aufseher schlug auf den Resonanztisch, bis er widerhallte. Die Ruderer streckten den Oberkörper in seiner ganzen Länge nach vorn, senkten die Ruder tiefer als sonst und zogen sie plötzlich mit allem Kraftaufwand gleichzeitig zurück. Die Galeere krachte in allen Fugen und schoß wie im Sprunge vorwärts. Dann folgte ein wuchtiger Schlag, daß einige Ruderer zu Boden stürzten. Vom Verdeck erscholl ein Triumphgeschrei – das Schiff der Römer hatte gesiegt! Wer aber waren die, welche das Meer verschlungen hatte? Welche Sprache redeten sie? Welchem Lande gehörten sie an?

Keine Pause, kein Aufenthalt! Vorwärts raste die »Asträa«. Einige Männer eilten die Treppe herab, tauchten die Baumwollballen in die Ölbehälter und warfen sie den Gefährten zu, die am oberen Ende der Treppe standen. Das Feuer sollte die Schrecken des Kampfes erhöhen.

Jetzt legte die Galeere sich so tief auf die Seite, daß die obersten Ruderer nur mit Mühe ihre Plätze behaupteten. Wieder erscholl das Triumphgeschrei der Römer und der Verzweiflungsruf der Gegner. Ein feindliches Schiff war von dem Enterhaken des großen Krahnes am Vorderteil gefaßt und in die Luft gehoben, dann fallen gelassen und versenkt worden.

Rechts und links nahm das Geschrei zu; vorwärts und rückwärts schwoll der Lärm zu einem unbeschreiblichen Tumulte an. Von Zeit zu Zeit ertönte ein Krach, dem plötzliche Schreckensrufe folgten. Wieder war das eine oder andere Schiff in den Grund gebohrt und seine Mannschaft im Meeresstrudel begraben worden.

Bisweilen drangen auch Rauchwolken, vermengt mit Dampf und dem Geruche brennenden Menschenfleisches, in die Kajüte und verwandelten das trübe Dämmerlicht in gelbliche Dunkelheit. Dann rang Ben Hur nach Atem und sagte sich, daß sie durch den Qualm eines brennenden Schiffes fuhren, das samt seinen angeketteten Ruderern ein Opfer der Flammen wurde. Die »Asträa« war die ganze Zeit in steter Bewegung. Plötzlich hielt sie inne. Die Ruder wurden den Händen der Mannschaft entrissen und nach vorn geschleudert, diese selbst stürzte von den Bänken. Auf Deck hörte man ein wildes Gepolter und an den Seiten ein Krachen von aneinander stoßenden Schiffen. Manche aus der Mannschaft sanken schreckerfüllt zu Boden oder suchten mit ängstlichen Blicken ein sicheres Versteck. Plötzlich begriff Judah, daß die Feinde auf die »Asträa« gedrungen waren. Schrecken befiel den jungen Israeliten. Arrius war in Gefahr, kämpfte vielleicht schon jetzt um sein eigenes Leben! Wenn er getötet würde! Der Gott Abrahams verhüte es! Die so spät erst erwachten Hoffnungen und Träume – sollten sie bloß Hoffnungen und Träume sein? Mutter und Schwester, Vaterhaus, Heimat, das Heilige Land – sollte er sie schließlich doch nicht wiedersehen? Über ihm tobte der Lärm fort, er blickte um sich. In der Kajüte war alles in Verwirrung – die Ruderer an den Bänken waren wie gelähmt, die übrige Mannschaft rannte blind hierher und dahin.

Noch einmal blickte Ben Hur um sich. Auf dem Dache der Kajüte wütete noch immer der Kampf. Noch immer stießen feindliche Schiffe knirschend und polternd an die Wände der »Asträa«. Auf den Ruderbänken zerrten die Sklaven an den Ketten und heulten, da sie das Vergebliche ihrer Bemühungen erkannten, wie Wahnsinnige. Die wachhabenden Soldaten waren auf Deck geeilt, die Disziplin lag danieder, der Schrecken herrschte. Ben Hur sprang hinaus, nicht um zu fliehen, sondern um den Tribun aufzusuchen. Nur eine kurze Strecke trennte ihn von der Treppe der Achterluke. Mit einem Sprunge war er dort und schon stand er auf halber Höhe derselben– hoch genug, um einen flüchtigen Blick auf den feuergeröteten Himmel, die die »Asträa« bedrängenden feindlichen Schiffe, die einherschwimmenden Trümmer, den auf dem Hinterdeck wütenden Kampf, die vielen Angreifer und wenigen Verteidiger werfen zu können – da verlor er auf einmal den Halt unter den Füßen und stürzte rückwärts auf den Boden. Dieser schien sich zu heben und zu krümmen, als wollte er in Stücke brechen. Einen Augenblick später war das ganze Hinterteil des Rumpfes auseinandergeborsten, und zischend und schäumend schoß das Wasser herein, als hätte es längst auf diesen Augenblick gewartet. Um Ben Hur wurde alles Finsternis und strudelndes Wasser.

Nach einer Weile gelang es ihm, halb besinnungslos sich an ein Brett zu klammern. Er kam an die Oberfläche und schöpfte tief Atem. Dann kletterte er höher auf das Brett, das er umfaßt hielt, und blickte sich um.

Über dem Meere lag der Rauch wie ein halbdurchsichtiger Nebel, durch den da und dort ein blutrotes Licht schimmerte. Ben Hur erkannte bald, daß er von brennenden Schiffen herrühre. Die Schlacht dauerte fort, aber er wußte nicht, wer Sieger war. Von Zeit zu Zeit kamen innerhalb seines Gesichtskreises Schiffe vorbei, die wie Schatten die Flammen verdunkelten. Von weiter Ferne vernahm er das Krachen aneinanderprallender Schiffe. Plötzlich blitzte es goldig in seiner Nähe auf, ein Helm tauchte auf und ein Kopf, und dann sah er zwei Arme, die wild im Wasser herumzuschlagen begannen. Jetzt wandte sich der Kopf nach rückwärts und ließ das Gesicht sehen. Da stieß Ben Hur einen Schrei der Freude aus, und als der Kopf wieder zu sinken begann, faßte er den Ertrinkenden an der Kette, die den Helm unter dem Kinn festhielt, und zog ihn gegen das Brett hin. Es war Arrius, der Tribun.

Eine Zeitlang schäumte und strudelte das Wasser um Ben Hur mit solcher Heftigkeit, daß er seine ganze Kraft aufbieten mußte, um sich auf dem Brette und den Kopf des Römers über Wasser zu halten. Endlich schob er ihm das Brett unter den Leib, so daß er darauf lag, und richtete nur seine ganze Sorge darauf, ihn dort festzuhalten. Langsam dämmerte der Morgen. Halb von Hoffnung, halb von Furcht erfüllt, erwartete er den kommenden Tag. Was mochte er bringen? Den Sieg der Römer oder der Seeräuber? Im letzteren Falle war sein Schützling verloren.

Endlich wurde es Tag; kein Lufthauch regte sich. Zur Linken erblickte er Land, aber in solcher Ferne, daß er unmöglich den Versuch wagen konnte, es zu erreichen. Hier und da schwammen Schiffbrüchige gleich ihm. An manchen Stellen war das Wasser von verkohlten und öfters noch qualmenden Trümmern geschwärzt. So verging eine Stunde. Seine Besorgnis nahm zu. Wenn nicht bald Hilfe kam, mußte Arrius sterben. Manchmal schien er tot, so regungslos lag er da. Er nahm ihm den Helm ab und dann mit vieler Mühe den Brustharnisch. Das Herz schlug unregelmäßig. Er schöpfte hieraus neue Hoffnung und hielt aus. Er konnte nichts anderes tun, als warten und, nach der Weise seines Volkes, beten.

Nur ganz allmählich gewann Arrius sein Bewußtsein und dann auch die Sprache zurück. Er ließ sich von Ben Hur das Vorgefallene erzählen.

»Unsere Rettung«, sagte der Tribun schließlich, »hängt, wie ich sehe, vom Ausgange des Kampfes ab. Ich sehe auch, was du für mich getan hast. Um offen zu sprechen, du hast mir das Leben gerettet, und zwar mit Gefahr deines eigenen. Ich erkenne es uneingeschränkt an; dafür hast du, was auch kommen mag, meinen Dank. Mehr noch, wenn das Glück mir hold ist und wir heil dieser Gefahr entrinnen, will ich dir in einer Weise vergelten, wie es einem Römer geziemt, der die Macht und Gelegenheit hat, seine Dankbarkeit zu bezeigen. Indes muß ich dir ein Versprechen abfordern, nämlich, daß du mir in einem gewissen Falle die größte Wohltat, die ein Mann dem andern erweisen kann, tun wirst – und dieses Versprechen gib mir jetzt.«

»Wenn es nicht etwas Unerlaubtes ist, will ich es tun,« erwiderte Ben Hur.

»Bei deinem Gotte also oder in der Form, die deinen Glaubensgenossen am heiligsten ist, gelobe mir zu tun, was ich dir jetzt sagen werde, und in jener Weise, wie ich es verlangen werde. Ich warte, gib mir das Versprechen!«

»Edler Arrius, dein ernstes Drängen läßt mich eine Sache von schwerwiegender Bedeutung erwarten. Sag' mir zuerst, was du verlangst!« »Willst du mir dann das Versprechen geben?«

»Das hieße sich im voraus verpfänden und – gepriesen sei der Gott meiner Väter! Dort kommt ein Schiff!«

»Aus welcher Richtung?« »Von Norden.«

»Kannst du an äußeren Abzeichen seine Nationalität erkennen?«

»Nein. Mein Dienst war bisher auf der Ruderbank.«

»Hat es eine Flagge?«

»Ich sehe keine.«

Arrius schwieg eine Weile, wie in tiefes Nachdenken versunken. Dann sprach er: »Ich bin zu alt, um eine Schmach zu überleben. Laß die Leute in Rom erzählen, daß Quintus Arrius, wie es einem römischen Tribun geziemt, mit seinem Schiffe inmitten der Feinde unterging. Das ist's, was du sollst: Ist die Galeere eine feindliche, so stoße mich vom Brett und laß mich ertrinken. Hörst du? Schwöre, daß du es tun willst!«

»Ich werde nicht schwören,« sagte Ben Hur entschieden, »noch will ich die Tat vollbringen. Das Gesetz, das für mich strenge bindend ist, Tribun, würde mich für dein Leben verantwortlich machen, und das Gewissen verpflichtet mich, lieber mit dir zu sterben, als dein Mörder zu werden. Mein Entschluß steht ebenso fest wie der deine; und wolltest du mir ganz Rom mit seinen Reichtümern anbieten und stände es in deiner Macht, das Angebot zu verwirklichen, ich würde dich nicht töten. Dein Cato und Brutus waren Kinder im Vergleiche zu jenem Hebräer, dessen Gesetz ein Jude beobachten muß.«

»Aber wenn ich dich bitte. Hast du –«

»Ein Befehl von dir würde für mich schwerer wiegen, und doch würde ich nicht gehorchen. Ich habe mein letztes Wort gesprochen.« Beide schwiegen und warteten.

Ben Hur blickte oft nach dem nahenden Schiffe. Arrius lag, die Augen geschlossen, gleichgültig da. »Bist du sicher, daß es ein feindliches Schiff ist?« fragte Ben Hur.

»Ich glaube,« war die Antwort.

»Gibt es kein Zeichen, woran man erkennen kann, ob es ein römisches Schiff ist?«

»Ist es ein römisches, so trägt es einen Helm auf der Mastspitze.«

»Dann fasse Mut, ich sehe den Helm.«

Arrius war noch nicht überzeugt. Ben Hur folgte aufmerksam allen Bewegungen des fremden Schiffes.

»Es fährt weiter,« sagte er. »Uns zur Rechten liegt dort eine Galeere, die verlassen zu sein scheint. Dieser steuert es zu. Jetzt legt es seitwärts an. Jetzt sendet es Männer an Bord.«

Da schlug Arrius die Augen auf und legte seine gleichmütige Ruhe ab.

»Danke deinem Gott,« sagte er zu Ben Hur, nachdem er einen Blick auf die Galeere geworfen hatte, »danke deinem Gott, wie ich meinen vielen Göttern danke. Ein Seeräuber würde jenes Schiff versenken, nicht retten. An seiner Handlungsweise und am Helm auf dem Mastbaume erkenne ich den Römer. Der Sieg ist mein. Das Glück ist mir nicht untreu geworden. Wir sind gerettet. Winke mit der Hand! Rufe sie! Laß sie kommen! Ich werde Duumvir und du! Ich kannte deinen Vater und liebte ihn. Er war in der Tat ein Fürst. Er überzeugte mich, daß ein Jude kein Barbar ist. Ich will dich mit mir nehmen, dich als meinen Sohn erklären lassen. Sage Dank deinem Gotte und rufe die Seeleute. Schnell! Die Verfolgung muß fortgesetzt werden. Nicht ein Räuber darf entkommen. Eile!«

Judah richtete sich auf dem Brette auf, winkte mit der Hand und rief aus Leibeskräften. Endlich vermochte er die Aufmerksamkeit der Bootsleute auf sich zu lenken. Sie nahten schnell und nahmen sie auf. Arrius wurde auf der Galeere mit allen Ehrenbezeugungen empfangen, die einem vom Glücke so begünstigten Helden gebührten. Auf Deck warf er sich auf ein Ruhebett und ließ sich den Schluß des Kampfes in seinen Einzelheiten erzählen. Als die noch lebenden Schiffbrüchigen alle gerettet und die Beute in Sicherheit gebracht war, entfaltete er seine Kommandantenflagge aufs neue und eilte gegen Norden, um sich seiner Flotte anzuschließen und den Sieg zu vervollständigen. Zur rechten Zeit trafen die fünfzig Schiffe, die den Kanal herabkamen, auf die flüchtenden Seeräuber und rieben sie vollends auf, kein einziger entkam. Zwanzig erbeutete Galeeren der Feinde erhöhten den Ruhm des Tribuns.

Bei der Rückkehr von seiner Fahrt wurde ihm auf dem Damm von Misenum ein herzlicher Empfang zuteil. Der ihn begleitende Jüngling erregte sehr bald die Aufmerksamkeit seiner Freunde. Auf ihre Fragen, wer er sei, erzählte ihnen der Tribun mit Worten warmer Anerkennung die Geschichte seiner Rettung und stellte ihnen den Fremden vor, vermied es aber sorgfältig, dessen frühere Lebensschicksale zu erwähnen. Am Schlusse seiner Erzählung rief er Ben Hur an seine Seite und sagte, seine Hand zärtlich auf dessen Schulter legend:

»Liebe Freunde! Dieser ist mein Sohn und Erbe, der, wie er einst mein Vermögen besitzen soll – wenn es der Wille der Götter ist, daß ich solches hinterlasse –, so auch meinen Namen führen wird. Ich bitte euch, seid seine Freunde, wie ihr die meinen seid.«

Sobald es die Umstände erlaubten, wurde die Adoption nach der Form des Gesetzes vollzogen. So hielt der wackere Römer das Versprechen, das er Ben Hur gegeben, und verschaffte diesem die Möglichkeit, auch zum kaiserlichen Hofe Zutritt zu erhalten. Einen Monat nach des Arrius Rückkehr wurde im Theater des Scaurus eine glänzende Siegesfeier gehalten. Die eine Seite des Gebäudes war ganz mit Kriegstrophäen bedeckt, unter denen die zwanzig Schiffsschnäbel der erbeuteten Galeeren am meisten Aufmerksamkeit und Bewunderung erregten. Über denselben war, lesbar für die achtzigtausend Zuschauer, die die Sitze des Theaters füllten, die Inschrift angebracht: »Den Seeräubern im Golf von Epirus entrissen durch Quintus Arrius, Duumvir.«


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