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Vor der Herberge, von welcher aus vor mehr als dreißig Jahren die drei Weisen den Weg nach Bethlehem angetreten hatten, stieg Ben Hur ab. Dort ließ er das Pferd in der Obhut seiner arabischen Begleiter und stand bald vor dem Tore seines Vaterhauses und einen Augenblick später im großen Zimmer desselben. Er fragte zunächst nach Malluch; da dieser abwesend war, sandte er seinen Freunden, dem Handelsherrn und dem Ägypter, seinen Gruß. Sie hatten sich in die Stadt bringen lassen, um die Festfeier zu sehen. Der letztere, wurde ihm gesagt, sei sehr schwach und befinde sich in einem Zustande tiefer Niedergeschlagenheit.
Während der Diener ihm Antwort gab, wurde der Türvorhang zur Seite geschoben und die junge Ägypterin trat ein. Der Diener verließ das Zimmer. In der durch die Ereignisse der letzten Tage verursachten Erregung hatte Ben Hur kaum an die schöne Ägypterin gedacht. Kam sie ihm überhaupt in den Sinn, so war es nur eine augenblickliche angenehme Erinnerung, eine flüchtige Vorahnung des Glückes, das seiner wartete oder warten konnte. Schnell eilte er ihr jetzt entgegen, blieb aber plötzlich erstaunt stehn. Eine solche Veränderung hatte er nie an ihr beobachtet!
Bisher hatte sie sich ihm immer als Liebende offenbart, ihn mit Schmeicheleien überschüttet, jetzt aber strahlte sie eine schneidende Kälte, ja eine gewisse Verachtung aus.
Sie nahm zuerst das Wort.
»Du kommst zur rechten Zeit, Sohn Hurs,« sprach sie mit fühlbarer Schärfe in der Stimme. »Ich möchte dir für die Gastfreundschaft danken. Von übermorgen an dürfte ich nicht mehr Gelegenheit dazu haben.«
Ben Hur verneigte sich leicht, ohne seine Augen von ihr zu wenden, und sagte: »Ein Mann darf dem Weibe nicht hinderlich sein, seinem eigenen Willen zu folgen.«
»Sag' mir,« fuhr sie fort, ihren Kopf neigend und den Hohn deutlich durchblicken lassend, »sag' mir, du Fürst von Jerusalem, wo ist er, jener Zimmermannssohn aus Nazareth und Gottes Sohn zugleich, von dem man in letzter Zeit so große Dinge erwartet hat?«
Er winkte ungeduldig mit der Hand und erwiderte: »Ich bin nicht sein Hüter.«
»Wo hat er seine Residenz aufgeschlagen?« sprach sie weiter. »Kann ich nicht hingehn, seinen Thron zu sehen und die Bronzelöwen davor? Und seinen Palast? Er erweckte die Toten, – was kann es für einen solchen bedeuten, sich ein goldenes Haus zu errichten? Er braucht nur mit dem Fuß zu stampfen und ein Wort zu sagen, so steht es vollendet da, stolz auf Säulen wie der Palast zu Karnak.«
Es ließ sich kaum mehr annehmen, daß sie scherze. Die Fragen waren verletzend, ihr ganzes Wesen höchst unfreundlich. Dies bemerkend, wurde er noch vorsichtiger und sprach launig: »O Ägypten, warten wir noch einen Tag, ja noch eine Woche auf ihn, auf die Löwen und den Palast.«
Ohne die Bemerkung zu beachten, fuhr sie fort:
»Und wie kommt es, daß ich dich in dieser Kleidung sehe? Das ist nicht die Tracht der Statthalter in Indien oder der Vizekönige anderswo. Ich fürchte, du hast dein Königtum noch nicht angetreten, – das Königtum, das ich mit dir teilen sollte.«
»Die Tochter meines weisen Gastes ist gütiger, als sie selbst denkt; sie lehrt mich, daß Isis ein Herz küssen kann, ohne es edler zu machen.« Ben Hur sprach mit kalter Höflichkeit, und Iras versetzte, mit dem herabhängenden Edelstein ihrer Halskette spielend:
»Für einen Juden ist der Sohn Hurs klug. Ich sah den Herrscher deiner Träume seinen Einzug in Jerusalem halten. Du erzähltest uns, er werde sich an jenem Tage von den Stufen des Tempels aus als König der Juden erklären. Ich sah den ihn begleitenden Zug den Berg herabkommen. Ich hörte die Volksscharen singen. Sie gewährten mit ihren Palmzweigen einen schönen Anblick. Ich suchte überall unter ihnen nach einer Gestalt, die etwas Königliches an sich hätte – nach einem Reiter in Purpur, nach einem Prunkwagen mit einem Lenker in glänzender Tracht, nach einem stattlichen Krieger, hoch und schlank wie sein Speer und von einem runden Schilde gedeckt. Statt dessen sah ich einen Mann mit einem Frauengesicht und Frauenhaar, der auf dem Füllen einer Eselin ritt und Tränen in den Augen hatte. Hahaha, – der König! Der Sohn Gottes! Der Erlöser der Welt!«
Unwillkürlich zuckte Ben Hur zusammen.
»Ich verließ meinen Platz nicht, o Fürst von Jerusalem,« sprach sie, ehe er sich fassen konnte. – »Ich lachte nicht. Ich sprach zu mir selbst: Warte nur. Im Tempel wird er seine Herrlichkeit offenbaren, wie es einem Helden geziemt, der im Begriffe steht, die Welt in Besitz zu nehmen. Ich sah ihn durch das Susantor in den Vorhof der Frauen schreiten. Ich sah ihn vor der Schönen Pforte stillestehn. Viele Menschen standen neben mir auf dem Dach der Halle und viele andere drängten sich in den Vorhöfen und Gängen und auf den Stufen der drei Seiten des Tempels, im ganzen vielleicht eine Million, und alle warteten atemlos auf seine Erklärung. Die Säulen konnten nicht unbeweglicher sein als wir. Hahaha! Schon glaubte ich, die Räder der mächtigen römischen Maschine zusammenbrechen zu hören. Hahaha! Bei der Seele Salomos, o Fürst, dein König der Welt zog sein Oberkleid enger um sich und schritt hinweg durch das entlegenste Tor hinaus und öffnete seinen Mund nicht. Und – die römische Maschine ist noch im Gang!«
Ben Kurs Hoffnung war in dem Augenblick zerstört – eine Hoffnung, welcher er, als sie zu sinken begann, unbewußt wie mit einem letzten Scheideblick folgte, bis sie verschwand – und er schlug die Augen nieder.
Nie zuvor, weder als Balthasar ihm mit Beweisgründen zusetzte, noch als die größten Wunder vor seinen Augen geschahen, war ihm die wahre Natur des Nazareners so deutlich vor die Seele getreten wie jetzt. So hätte niemals ein Mann gehandelt, der sich nur von rein menschlichen Eingebungen leiten ließ. Nur einen Augenblick, nicht länger als ein Atemzug währt, hatte Ben Hur Zeit, sich solchen Gedanken hinzugeben. Doch die Erleuchtung kam mit Macht über ihn, und während ihm die Hoffnung auf Rache langsam aus dem Gesicht entschwand, kam ihm der Mann mit dem Frauengesicht und langem Haar und mit Tränen in den Augen immer näher, – nahe genug, um ihm etwas von seinem Geiste mitzuteilen.
»Tochter Balthasars,« sagte er mit Würde, »wenn dies das Spiel ist, von dem du sprachst, so nimm den Siegeskranz, – ich überlasse ihn dir gerne. Nur laß uns mit den Worten zu einem Ende kommen. Daß du ein Ziel verfolgst, davon bin ich überzeugt. Nenne es, bitte, und ich werde dir antworten. Dann laß uns unsere getrennten Wege gehn und vergessen, daß wir uns je begegnet sind.«
Sie blickte ihn einen Augenblick fest an, als überlege sie, was zu tun sei, dann sagte sie kalt: »Wir sind fertig; – geh!« »Friede sei mit dir!« antwortete er und ging. Als er eben durch die Tür schreiten wollte, rief sie ihm nach. »Ein Wort noch!« Er blieb stehn und blickte zurück.
»Bedenke, was ich alles über dich weiß.«
»Schöne Ägypterin,« sagte er zurückkehrend, »was weißt du über mich?«
»Ein gewisser Jude, ein entwichener Galeerensträfling, hat drei wohlgeschulte Legionen aus Galiläa bereit, um heute nacht den römischen Statthalter gefangen zu nehmen. Derselbe Jude hat Bündnisse geschlossen zu einem Kriege gegen Rom, und Scheik Ilderim ist einer seiner Verbündeten.«
Sie trat noch näher an ihn heran und sprach fast flüsternd:
»Du hast in Rom gelebt. Setze den Fall, diese Dinge würden vor gewissen Ohren, die wir kennen, wiederholt. – Ah, du wechselst die Farbe!«
Er wich vor ihr zurück mit einem Blicke, wie ihn ein Mensch zeigen dürfte, der mit einem Zicklein zu spielen vermeinte und auf einen Tiger geraten ist, und sie fuhr fort:
»Du bist im Vorzimmer des königlichen Palastes nicht fremd und kennst den mächtigen Sejanus. Setze den Fall, es würde ihm erzählt – mit Beweisen oder auch ohne Beweise, – daß derselbe Jude der reichste Mann im Osten, ja im ganzen Reichs ist. Die Fische des Tiber würden ein ganz anderes Mastfutter erhalten, als sie in ihrem Schlamme finden, nicht wahr? Und während sie es sich wohlschmecken ließen – ha, Sohn Hurs! –, welch ein Glanz würde bei der Darstellung im Zirkus entfaltet werden! Das römische Volk zu belustigen, ist eine feine Kunst. Das nötige Geld zu seiner Belustigung aufzubringen, ist eine noch feinere Kunst. Und kann sich in dieser Kunst wohl jemand mit Sejanus messen?«
Die offen zur Schau getragene Schlechtigkeit des Weibes entsetzte Ben Hur, ohne indes seine Erinnerung zu beeinträchtigen. Es fiel ihm ein, daß er schon einmal Verdacht gegen sie gehegt und sich gefragt hatte, wer ihr wohl seine Geheimnisse verraten habe. Darum sagte er so ruhig als möglich: »Um dir eine Freude zu bereiten, Tochter Ägyptens, erkläre ich, daß ich deine List anerkenne und gestehe, in deinen Händen zu sein. Es mag dir auch ein Vergnügen sein, aus meinem Munde das Bekenntnis zu hören, daß ich von dir keine Nachsicht erwarte. Ich könnte dich töten, aber du bist ein Weib. Die Wüste steht offen, mich aufzunehmen, und obschon Rom ein guter Menschenjäger ist, dorthin könnte es mir lange und weit folgen, ehe es mich in seine Gewalt bekäme. Denn im Innern der Wüste gibt es schützende Speere ebenso wie sandige Öden, und der unbesiegte Parther weiß sie zu schätzen. In der Not, in welche mich meine Leichtgläubigkeit geführt hat, kann ich jedoch eines mit Recht von dir verlangen: Wer erzählte dir, was du über mich weißt? Auf der Flucht oder in der Gefangenschaft, selbst im Sterben wird es mir ein Trost sein, meinem Verräter den Fluch eines Mannes zu hinterlassen, der in seinem Leben nur Elend kennengelernt hat. Wer erzählte dir, was du über mich weißt?«
Vielleicht war es Verstellung, vielleicht Wahrheit: – das Gesicht der Ägypterin nahm den Ausdruck der Teilnahme an. »In meiner Heimat, Sohn Hurs,« sprach sie dann, »gibt es Künstler, die verschiedenfarbige Muscheln, wie sie nach einem Seesturm hier und da an der Küste zu finden sind, sammeln, sie in kleine Stücke zerschneiden und diese auf Marmorplatten zu Bildern zusammenfügen. Siehst du nicht den Wink, der in dieser Arbeit für solche liegt, die nach Geheimnissen forschen? Genug, daß ich eine Anzahl kleiner Umstände von diesem sammelte, eine andere von jenem. Und nach einer Weile fügte ich sie zusammen und war glücklich, wie nur ein Weib es sein kann, wenn es das Glück und Leben eines Mannes in seiner Hand hat.«
Er atmete erleichtert auf und sprach: »Ich danke. Es wäre nicht gut, den mächtigen Sejanus auf dich warten zu lassen. Die Wüste ist nicht so empfindsam. Nochmals, o Ägypten, Friede!« Bisher war er unbedeckt gewesen. Jetzt nahm er das Tuch, das an seinem Arme hing, richtete es sich auf dem Kopfe zurecht und wandte sich zum Gehen. Sie hielt ihn aber zurück. In ihrem Eifer streckte sie ihm sogar eine Hand entgegen.
»Bleib«, sprach sie, »und sei ohne Mißtrauen gegen mich, Sohn Hurs, wenn ich jetzt erkläre: Ich weiß, warum der edle Arrius dich zu seinem Erben machte. Ich zittere bei dem Gedanken, daß du, so tapfer und hochherzig, dem gefühllosen Staatsminister in die Hände fallen sollst. Oh, ich habe Mitleid mit dir, und tust du nur, was ich sage, so will ich dich schonen. Das schwöre ich dir bei unserer heiligen Isis!«
Diese bittenden, flehenden Worte waren im Tone eindringlichen Ernstes von ihren Lippen geflossen und wurden durch den mächtigen Zauber ihrer Schönheit unterstützt.
»Beinahe – beinahe glaube ich dir,« sagte Ben Hur, doch zögernd und mit leiser, unsicherer Stimme.
»Du hattest einen Freund,« fuhr sie fort. »Es war in deiner Kindheit. Ihr hattet einen Zank und wurdet Feinde. Er tat dir unrecht. Nach vielen Jahren trafst du ihn wieder im Zirkus von Antiochien.«
»Messala!«
»Ja, Messala. Du bist sein Gläubiger. Vergib das Vergangene, nimm ihn wieder zum Freund an. Gib ihm das Vermögen zurück, das er in der großen Wette verloren hat, rette ihn! Die sechs Talente sind für dich wie nichts, nicht mehr als eine vernichtete Knospe auf einem Baume, der bereits in voller Blüte steht. Aber für ihn – Ach, er muß einen gebrochenen Körper herumschleppen; wo immer du ihm begegnest, muß er vom Boden zu dir aufblicken. O Ben Hur, edler Fürst! Für einen Römer seiner Abkunft ist Armut nur der andere, ganz unerträgliche Name für den Tod. Rette ihn aus der Armut!«
Sie hatte schnell gesprochen, als ob sie ihm das Nachdenken unmöglich machen wollte. Aber es war ihm trotzdem dabei, als sehe er jetzt Messala selbst, wie er über ihre Schulter nach ihm blicke. And der Gesichtsausdruck des Römers war nicht der eines Hilfesuchenden oder Freundes, das höhnische Lächeln war patrizierhaft wie vormals und der hochmütige Zug an ihm noch ebenso scharf und herausfordernd.
»Meine Antwort ist entschieden – ein für allemal –, ein Messala erhält nichts. Wenn du mir noch mehr zu sagen hast, Tochter Balthasars, so sprich schnell: denn wenn die steigende Hitze meines Blutes ihren Höhepunkt erreicht hat, möchte ich vergessen, daß du ein Weib und schön bist! Ich möchte in dir nur die Spionin eines Mannes sehen, der mir um so verhaßter ist, weil er ein Römer ist. Sprich schnell!«
Sie schüttelte sich und trat in das volle Licht zurück. Die ganze Bösartigkeit ihrer Natur lag in ihren Augen und in ihrer Stimme.
»Du Hefentrinker und Schotenfresser! Zu denken, daß ich dich lieben könne, nachdem ich Messala gesehen! Solche wie du sind geboren, ihm zu dienen. Er hätte sich zufrieden gegeben, wenn du auf die sechs Talente verzichtet hättest. Ich jedoch sage, zu den sechs sollst du noch zwanzig hinzufügen, – zwanzig, hörst du? Für jeden Kuß auf meinen kleinen Finger, um den du ihn, wenn auch mit meiner Einwilligung, verkürzt hast, sollst du zahlen, und daß ich dir mit einem Scheine von Zuneigung gefolgt bin und dich so lange ertragen habe, stelle auch in die Rechnung, obwohl ich dadurch ihm diente. Der Handelsherr hier ist der Verwalter deines Geldes. Falls er bis morgen mittag deine Anweisung, lautend auf sechsundzwanzig Talente zu Gunsten meines Messala – merke dir die Summe! – nicht ausgeführt hat, sollst du es mit Sejanus zu tun haben. Sei weise und – lebe wohl!«
Als sie zur Tür gehn wollte, trat er ihr in den Weg.
»Das alte Ägypten lebt in dir,« sprach er. »Ob du Messala morgen oder übermorgen, hier oder in Rom siehst, richte ihm diese Botschaft aus: Sag' ihm, daß ich das Geld – eben die sechs Talente – zurückhabe, dessen er mich beraubte, indem er das Vermögen meines Vaters an sich riß. Sag' ihm, daß ich die Galeeren überlebt habe, zu denen er mich sandte, und daß ich in meiner Vollkraft seine Armut und Schande nicht bedauere. Sag' ihm, daß ich in dem körperlichen Elend, welches ihm meine Hand gebracht hat, den Fluch unseres Herrn, des Gottes Israels, sehe und eine Strafe, für ihn empfindlicher als der Tod, für seine Verbrechen gegen Hilflose. Sag' ihm, daß meine Mutter und Schwester, die er in einer Zelle der Burg Antonia einmauern ließ, damit sie an Aussatz stürben, am Leben und gesund sind, dank der Macht des Nazareners, den du so verachtest. Sag' ihm, daß sie, um mein Glück vollkommen zu machen, mir wiedergegeben sind und daß ich von hier zu ihrer Liebe zurückkehren und in derselben mehr als hinreichenden Ersatz für die unreinen Leidenschaften finden werde, welche du zu ihm mitnimmst. Sag' ihm – dies zu deinem Trost, du eingefleischte Falschheit, wie zu seinem, – sag' ihm, daß, wenn Sejanus kommt, um mich zu berauben, er nichts finden wird, denn das Erbe des Duumvirs, die Villa bei Misenum inbegriffen, ist verkauft, der Erlös daraus außerhalb seines Bereiches und in Wechselbriefen auf den Handelsmärkten der Welt in Umlauf. Und daß dieses Haus und die Güter und Waren, die Schiffe und Karawanen, womit Simonides seinen Handel mit solch fürstlichem Gewinn betreibt, durch kaiserliche Schutzbriefe gedeckt sind. Denn ein weiser Kopf hat den Preis für diese Gunst gefunden und Sejanus zieht einen mäßigen Gewinn in Form eines Geschenkes einem großen Gewinn aus Ungerechtigkeiten und Strömen Blutes vor. Sag' ihm, daß ich ihm zugleich mit meiner Absage nicht einen Fluch in Worten sende, nein, als besseren Ausdruck meines unversöhnlichen Hasses sende ich ihm jemand, der sich ihm als die Summe aller Flüche erweisen wird. Und wenn er dich ansieht, Tochter Balthasars, während du ihm diese meine Botschaft wiederholst, wird seine römische Schlauheit ihm sagen, was ich meine. Geh jetzt – auch ich will gehn.«
Er geleitete sie zur Tür und hielt, während sie hinausschritt, mit der förmlichsten Höflichkeit den Vorhang zurück.
»Der Friede sei mit dir!« sprach er, als sie verschwand.
Als Ben Hur das Gastzimmer verließ, zeigte er in seinen Bewegungen nicht mehr dieselbe Lebhaftigkeit, mit der er gekommen war. Sein Schritt wurde langsamer und sein Kopf senkte sich tief auf die Brust. Er hatte die Entdeckung gemacht, daß ein Mensch mit gebrochenem Rückgrat noch ein gesundes Hirn haben könne, und dachte über die Entdeckung nach.
»Gepriesen sei Gott,« dachte er, »daß das Weib mich nicht enger an sich gefesselt hat! Ich sehe jetzt, daß ich sie nie geliebt habe.« Als habe er bereits einen nicht geringen Teil der ihn drückenden Last abgeschüttelt, ging er jetzt leichteren Schrittes weiter. Und zu jener Stelle der Terrasse gelangend, wo eine Treppe auf das Dach führte, begann er die Stufen hinanzusteigen. Auf der obersten blieb er wieder stehn.
»Ist es möglich, daß Balthasar ihr Genosse in dem langen falschen Spiele war, das sie gespielt? Nein, nein! Heuchelei geht selten neben einem so hohen Alter einher. Balthasar ist ein guter Mann.«
Mit diesem entschiedenen Urteil betrat er das Dach. Der Mond schien voll über ihm, doch den Himmel hatte der Widerschein der Feuer, die in den Straßen und auf den offenen Plätzen der Stadt brannten, in diesem Augenblicke mit trübem Rot überzogen. Ben Hur warf nur einen flüchtigen Blick über die Brustwehr hinab, dann wandte er sich um und schritt wie traumverloren auf das Sommerhäuschen zu.
»Mögen sie ihr Schlimmstes tun,« sprach er, langsam dahinwandelnd. »Ich verzeihe dem Römer nicht. Ich teile mein Vermögen nicht mit ihm, noch werde ich aus der Stadt meiner Väter fliehen. Ich werde mich zuerst an die Galiläer wenden und es hier zum Kampfe kommen lassen. Durch tapfere Taten bringe ich die Stämme auf unsere Seite. Er, der einen Moses erweckte, wird uns einen Führer finden, wenn ich keinen Erfolg habe. Ist es nicht der Nazarener, so irgendein anderer aus den vielen, die bereit sind, für die Freiheit zu sterben.«
Das Innere des Sommerhauses war, als sich Ben Hur demselben in schlenderndem Gange näherte, nur schwach erleuchtet. Hineinblickend sah er den gewöhnlich von Simonides benützten Stuhl an eine Stelle gerückt, von wo aus man den besten Ausblick über die Stadt in der Richtung nach dem Marktplatze hatte.
»Der gute Mann ist zurückgekehrt. Ich will mit ihm sprechen, wenn er nicht etwa schläft.«
Er trat ein und näherte sich leise dem Stuhle, über die hohe Rücklehne blickend, sah er Esther darin schlafen. Sie war, eine kleine Gestalt, in des Vaters Decke gehüllt. Das aufgelöste Haar fiel ihr über das Gesicht. Sie atmete in kurzen, unregelmäßigen Zügen. Einmal ließ sie einen langen Seufzer hören, der mit einem Schluchzen endigte. Etwas, vielleicht der Seufzer oder die Einsamkeit, in der er sie traf, erweckte in ihm den Gedanken, daß der Schlaf nicht so sehr ein Ruhen von Müdigkeit als von einem Kummer sei. Kindern sendet die gütige Natur gerne eine solche Erleichterung, und er war gewohnt, in ihr kaum mehr als ein Kind zu sehen. Er legte seine Arme auf die Rücklehne des Stuhles und überlegte.
»Ich will sie nicht wecken. Ich habe ihr nichts zu sagen – nichts außer – außer, daß ich sie liebe... Sie ist eine Tochter Judas und schön und der Ägypterin so unähnlich. Denn dort ist alles Eitelkeit, hier Wahrheit, dort Ehrgeiz, hier Pflichtgefühl, dort Selbstsucht, hier Selbstaufopferung ... Nein, die Frage ist nicht die, ob ich sie liebe, sondern ob sie mich liebt. Sie war von Anfang an meine Freundin. Sie wissen in der Stadt noch nicht, daß ich die Meinen wiedergefunden habe. Die Kleine hier wird sich über ihr Wiederkommen freuen, sie liebevoll willkommen heißen und mit Herz und Hand ihnen dienen. Sie wird meiner Mutter eine zweite Tochter sein, in Tirzah wird sie ihr anderes Selbst finden. Ich möchte sie wecken und ihr dies alles sagen, doch ich will noch warten, schöne Esther, liebevolles Kind, Tochter Judas!«
Leise, wie er gekommen war, zog er sich zurück.