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In der Nacht war Schnee gefallen, der gegen Morgen in Regen überging. Dazu hatte der Wind geheult und gestöhnt, daß es klang, wie das Jammern einer armen verlorenen Seele …
Petronella war einmal gegen Morgen aufgeschreckt aus unruhigem Schlaf. Hatte da nicht die Türe geknarrt? Sie richtete sich halb auf – da stand Romana mitten im Zimmer. Wie sieht sie aus – dachte Petronella – wie eine Nachtwandlerin, so, als ob sie nicht ganz bei sich wäre – – Sollte mit dem Vater etwas geschehen sein?
»Bleib ruhig –« hörte sie jetzt die Schwester flüstern. »Ich – ich war gerade beim Vater … Es ist nicht schlechter – ach, auch nicht besser! Der Johann ist bei ihm … Ich will jetzt probieren, ob ich noch einmal einschlafen kann.« Und schon glitt sie hinter die weißen Vorhänge ihres Lagers. Nella legte sich wieder zurecht und versuchte es wieder mit dem Schlafen. Geraume Zeit verging – da hörte sie vom Bett Romanas herüber leises, halbunterdrücktes Schluchzen. Petronella horchte – aber es war gleich wieder still …
Sie weint um Kersaint – sagte sich Petronella. Mitleid mit der Schwester stritt in ihr mit dem Unwillen gegen das ihr bestimmte Los, einem Unwillen, der von Tag zu Tag heftiger wurde. Ich bin doch von uns zweien schlimmer daran, dachte sie. Romana wird vergessen – und dann ihren Freiherrn heiraten und in der schönen bunten Welt weiterleben. Ich aber …
Ihre unmutigen, auflehnenden Gedanken verwirrten sich allgemach. Sie schlief dann doch wieder ein. –
Als sie endlich erwachte – es war schon ziemlich spät – sah sie gleich, daß die Schwester nicht mehr im Zimmer war. Sie ist zum Vater gegangen – ganz natürlich war das. Petronella eilte auch, zu dem Kranken zu kommen, sich nach seinem Ergehen zu erkundigen. Auf der Treppe begegnete ihr Ludmilla, sie hatte dem Herrn soeben die Morgensuppe gebracht. Übers ganze Gesicht lachend, beeilte sie sich, ihre Neuigkeit anzubringen.
»Jetzt, Fräulein Nella – was sagen Sie dazu? – Daß er nicht tot ist, der Herr Vicomte – – er ist wieder da, und nicht einmal verwundet –«
»Ist das möglich?« Petronella nahm die Sache ziemlich gleichgültig auf – aber ehe sie noch bedenken konnte, wie diese Nachricht die Schwester berühren würde, fuhr Ludmilla schon fort: »Ganz spät in der Nacht ist er noch gekommen – zum Glück war die Barbara und der Pariser noch auf und haben ihn hereingelassen – jetzt in aller Frühe, wie sie heruntergekommen ist, hat mirs Fräulein Romana erzählt … Er ist jetzt gerade oben und fragt nach, wies unserm gnädigen Herrn geht.«
Ludmilla ging ihrer Wege und Petronella stieg weiter die Treppe hinauf.
Ludmillas Worte hatten ihren scharfen Geist in Bewegung versetzt. Was war da vorgegangen? Die Schwester kommt spät ins gemeinsame Schlafgemach – weint in ihre Kissen – und erzählt am Morgen der Zofe, daß der Totgeglaubte wieder da ist … Also muß sie es in der Nacht schon gewußt haben. Von wem? Vielleicht von Kersaint selber? – Und so eigentümlich hat sie ausgesehen – –
Ein ungeheuerlicher Gedanke stieg auf in Petronella. Wie wenn sie mit plötzlichem Hellsehen begabt wäre, ward es ihr in einer Sekunde klar: Romana und der Vicomte sind beisammengewesen, haben sich ausgesprochen, zusammengefunden …
Es wirbelte von den widerstreitendsten Empfindungen in Petronellas Kopf. Wenn es so ist, wie sie es jetzt vermutet – was werden die Folgen sein? Für die Schwester, für den Vater – und für sie selbst? Wie trefflich hat es Romana verstanden sich zu verstellen! Immer mehr ward Nella davon überzeugt, daß etwas dahinterstecken müsse, was die Schwester vor ihr verhehlen wollte. Wenn dem nicht so gewesen wäre – warum hatte sie bei diesem kurzen Gespräch am Morgen nicht die immerhin große Neuigkeit ihr gegenüber erwähnt? – Warum hatte sie das verheimlicht, was am nächsten Tag doch allen bekannt werden mußte?
Droben beim Vater traf sie den Arzt und die Schwester – im anstoßenden Zimmer wartete Kersaint. Herr von Tann hatte es eben erfahren, daß der junge Offizier wiedergekehrt sei. Er fragte auch um Pranck. Aber der Arzt verbot ihm vieles Reden: er solle sich vollkommen ruhig halten.
»Ich werde jetzt ein wenig beim Vater bleiben,« sagte Petronella zu Romana. »Du kannst einstweilen Herrn von Kersaint sagen, wie es dem Vater geht – er wartet im Vorzimmer.« Und mit einem raschen Blick auf die Schwester fuhr sie fort: »Ich habe meinen Ohren nicht getraut, als ich hörte, daß er wieder da ist. Was sagst du dazu?«
Nein – Romana sagte gar nichts … Mit auffallender Hast war sie schon zur Türe geeilt, dem Blick und der Frage der Schwester ausweichend. Aber Nella hatte es doch gesehen, wie ihr bei Nennung von des Vicomtes Namen alles Blut in die bleichen Wangen gestiegen war …
Nella setzte sich neben dem Kranken nieder und nahm ein Wäschestück vor, das sie auszubessern begann. Was geht da vor? fragte sie sich immer wieder. Jetzt heißt es gut aufpassen!
*
Ja – Petronella paßte gut auf. Unmerklich, aber unaufhaltsam überwachte sie die Schwester. Und bald war sie dahintergekommen: der Vicomte und Romana suchten Gelegenheiten, um zusammenzukommen. Nachfrage nach dem Befinden des kranken Hausvaters war eine solche Gelegenheit. Dann die gemeinsamen Mahlzeiten, zu denen sich Kersaint in diesen Tagen wieder regelmäßig einfand, so weit es sein Dienst erlaubte. Flüchtig hatte er einmal bei Tisch erzählt, wie er mit dem Leben davongekommen war. Unter seinem treuen flandrischen Falben liegend, so daß er sich nicht erheben konnte, bedeckt von der Satteldecke des Tieres, war er den nachjagenden Verfolgern unsichtbar gewesen – auch betäubt durch den Sturz nicht fähig sich zu regen. Und das war sein Glück gewesen. Er wußte nicht, wie lange er im Straßengraben gelegen hatte; aber endlich konnte er sich erheben und sich dem allerletzten Häuflein der Fliehenden anschließen. Mit knapper Not war er noch in die Stadt gekommen. Dann hatten ihn ein paar Soldaten zum Stockhof geführt, dort war das Feldspital eingerichtet. Man hatte ihm ein paar Schrammen verbunden, er hatte sich ein wenig von den Folgen des Sturzes erholt – und dann sogleich sein Quartier aufgesucht.
»Das muß aber sehr spät gewesen sein?« fragte mit scheinbar argloser Anteilnahme Petronella. Sie trug gerade zum Anrichtetisch die gebrauchten Zinnteller zurück – aber dennoch sah ihre geschärfte und rastlose Aufmerksamkeit, wie Kersaint und Romana einen Blick tauschten – kurz nur, aber es war wie das Aufzüngeln einer Flammenlohe in beider Augen … Und ihr entging auch nicht, daß der Vicomte ganz obenhin antwortete und das Gespräch gleich darauf lenkte, daß er nun endlich seinen Freund Pranck aufgefunden habe; ebenfalls im Feldlazarett. Dort müsse er noch einen Tag oder zwei bleiben – er habe eine Wunde am Arm, eine zum Glück ziemlich unbedeutende – und er entbiete einstweilen den Damen und deren Herrn Vater seine besten Empfehlungen. Er werde ja hoffentlich bald wieder hier erscheinen können …
Aber während Kersaint so das Gespräch weiterführte, mit der beherrschten Ruhe des Weltmannes, merkte es Petronella nur zu gut, wie in der Schwester alles fieberte. Sie will mit ihm allein sein – dachte Petronella und ein spöttisches Lächeln kräuselte ihre Lippen. Wie schnell der Wind umgeschlagen hat! Mein zukünftiger Schwager wird seine Freude haben können …
»Ich gehe jetzt wieder hinauf zum Vater,« sagte sie und erhob sich. »Leiste doch dem Herrn Vicomte noch ein wenig Gesellschaft, Roma, nicht?« Und schon war sie gegangen. Vor der Türe blieb sie einen Augenblick lauschend stehen. Aber sie vernahm keinen Laut – –
»Ich möchte wissen, was sie miteinander reden – was sie überhaupt vorhaben,« sagte sich Petronella. Sie war der festen Überzeugung, obschon sie es auf keinerlei vernünftige Weise hätte begründen können, daß dieser Liebeshandel der Schwester nicht nur Verwirrung bringen mußte, sondern auch irgendwie Lösung – für sie, Nella … Es waren unklare Grübeleien – aber sie stärkten ihren Willen, aufzupassen und, wenn nötig – einzugreifen.
*
Kersaint und Romana saßen sich gegenüber, nur durch den schweren Eichentisch getrennt, dessen eingelegte Platte vom weißen Linnen bedeckt war. Noch immer, trotzdem auch im Hause Tann die Kost schon schmäler geworden war, hielt die alte Haushälterin darauf, daß die patrizischen Gebräuche der Wohlhabenheit bei Tisch und sonstwie gewahrt blieben.
Wortlos streckte Kersaint seine schmale, gebräunte Hand über den Tisch – wortlos legte Romana die ihre, die leicht bebte, hinein. Sie sahen sich an – und war Sorge und Gram vorher in ihren Blicken gewesen – nun, da der Zwang der Beherrschung durch das ersehnte Alleinsein von ihnen genommen war, leuchtete es in beider Augen auf: Sehnsucht und Seligkeit, die ihr ganzes Sein durchglühte …
»Roma –« flüsterte Kersaint leise und erregt, »Roma – nun sind es drei Tage, daß wir uns gefunden … Sag mir, daß du nicht bereust …«
»Nein!« Romana erwiderte es leise, aber mit fester Stimme. »Ich glaube, ich bin eine andere geworden in diesen Tagen … Als ich dich gestorben glaubte, da kam das Leid wie Flammen über mich. Und in diesen Flammen ist mein früheres Wesen verbrannt und ein neues erstanden …«
Kersaint sah sie mit Entzücken an. Zart nahm er ihre Hand wieder und bedeckte die Finger, die Innenflächen, das feine Gelenk mit glühenden Küssen. Romana sah ihm tief in die Augen – dann entzog sie ihm sanft ihre Hand.
»Es könnte sein, daß jemand käme –« sagte sie, »Ludmilla oder Barbara. Oder – oder Nella …«
Kersaint ließ die feinen Finger, die vor Erregung eiskalt waren, los. Ein herber Zug grub sich um seinen Mund.
»Immer nur Minuten –« sagte er. »Immer nur so wenige Augenblicke für das, was eine ganze Seele, eine ganze Ewigkeit ausfüllen könnte! Roma – Geliebte – warum können wir nicht beisammenbleiben?« Leidenschaftlich klang seine Stimme, ein tiefer Seufzer hob seine Brust.
Roma sah ihn an. »Beisammenbleiben, Maurice?«, sagte sie träumerisch. »Das wäre das Glück … Bei dir bleiben – bis in den Tod – –«
»Es wartet ja nichts anderes auf mich –« sagte er düster. »Roma – und darum hab ich dich gefragt, ob du bereust … Denn du mußt daran denken, daß all dies süße Glück, das wir uns jetzt schenken, nur eine letzte Gnade ist vor dem Ende – – Und darum brauchen wir nicht zu bereuen, weil es ja ohnehin so bald vorüber sein wird …«
Sie fuhr empor, die Hände auf ihr unruhig schlagendes Herz gepreßt. Er hob die Hand, um sie zu beruhigen. Unendlich zärtlich klang seine Stimme, als er jetzt fortfuhr:
»Du mußt den Dingen ins Auge sehen, wie sie sind, Geliebte! – Was wird jetzt kommen? – Ein paar Tage noch – dann wird gestürmt. Mich wird die Pflicht rufen. Entweder werde ich gefangengenommen werden – oder fallen. Möge es so kommen! Ich will nicht leben mit dem Bewußtsein, daß der, der unter denen sein wird, die als Sieger in diese Stadt einziehen, auch dich besitzen wird …« Es war das erstemal, daß Kersaint auf Romanas Zukunft an der Seite ihres Verlobten hinwies …
Weiß wie das Linnen auf dem Tisch waren Romanas Lippen und kaum konnte sie sprechen: »Das soll das Ende sein? – Daß wir voneinander gerissen werden? Gibt es keinen Ausweg – weißt du keinen, Maurice?« Aber während sie so stammelte, ging es blitzschnell durch ihren Sinn, die Erinnerung an das, was der Vater über seinen Herzenswunsch, sie als Roxheims Gattin zu sehen, damals zu ihr gesagt hatte. Der Vater – der Ehrenfeste, Strenge: und sie, die Tochter, die sich so weit vergessen hatte – – Niemals würde der Vater ihren Treubruch an Lambert vergeben – niemals auch sie dem Fremden, dem Feinde, dem Verführer zu eigen geben … Umsonst war alles Beherrschen und Beten gewesen: in jenem Augenblick, als sie den als tot beweinten Geliebten lebend vor sich sah, waren alle Hemmungen geschwunden – wie eine schwache Holzwand vor anstürmenden Feuersgluten …
Auch Kersaint hatte sich erhoben. Traurig stand er vor ihr: »Es gibt keinen Ausweg für uns –« sagte er. »Roma, meine Roma – unsere Herzen stehen in Flammen. Bald wird auch diese Stadt in Flammen stehen! – – Wenn ich sagen könnte: geh mit mir! Meine Liebe soll dir alles ersetzen, Heimat und Vaterhaus –« Er hielt inne. »Aber es gibt für mich keinen Weg in die Freiheit zurück …« Und jetzt trat er ganz nahe zu ihr hin. »Aber süß ist mir das Bewußtsein, daß du mit mir gegangen wärst – wenn ich dich darum hätte bitten können …«
Sie schwiegen beide. Dann raffte sich Romana gewaltsam aus ihrer Versunkenheit auf.
»Ich muß jetzt wieder zum Vater –« sagte sie leise. Und mit dem Ausdruck innigster Liebe setzte sie hinzu: »Nein – mag das Ende auch noch so bitter sein – ich bereue nichts … Auf Wiedersehen, mein Maurice – –«
»Wie lange werden wir noch sagen können: auf Wiedersehen?« Gramvoll sprach es Kersaint vor sich hin. Aber da war sie schon gegangen. –
*
Am nächsten Tag kehrte Pranck in sein Quartier zurück. Seine Wunde war bereits so weit verheilt, daß er wieder am Kampfe würde teilnehmen können, wie er Kersaint, den wiederzusehen er sich aufrichtig freute, erklärte.
»Denn ich glaube, jetzt werden sie bald zu stürmen anfangen, die da draußen –« sagte er und wies in der Richtung der Vorstadt. »Sollen sie es tun. Ich bin heillos froh, wenn es einmal entschieden ist – so oder so. Mehr wie totschießen oder gefangennehmen können sie einen nicht –« fügte er mit grimmigem Spaß hinzu. Kersaint nickte.
»So wird es wohl kommen –« sagte er. Und dabei hatten seine dunklen Augen einen fieberhaften Glanz. Pranck sah ihn aufmerksam an.
»Und das Brieflein in Ihrem Rock, Kamerad, das Sie mir auf die Seele banden, als wir diesen verteufelt mißlungenen Ausfall zu machen anhoben?« fragte er dann. »Nehmen Sie es mir nicht übel – aber ich möchte mich Ihnen gern zur Verfügung stellen – –«
»Nicht mehr nötig!« sagte Kersaint mit einem geheimnisvollen Lächeln. »Ist nicht mehr nötig …«
Pranck sah den Kameraden erstaunt an. Vielleicht hat er das, was er seiner Schönen sagen wollte, inzwischen mündlich vorgebracht! dachte er bei sich. War jedenfalls ein angenehmeres Verfahren … Laut aber sagte er: »Das freut mich, Kersaint, daß Sie nicht mehr so viel ans Sterben denken! Wissen Sie noch, als wir ausritten, da sagten Sie, Sie hätten das Gefühl, daß Ihnen etwas Besonderes bevorstünde. Nun – und was kann ein Soldat vor einem Treffen da anderes meinen, als das Absterbens Amen – wie sie bei mir daheim zu sagen pflegen?« Er lachte ein wenig. »Sie sind aber noch heil und ganz da – und wer weiß, wie alles noch kommt!«
»Ja – ich bin noch da,« antwortete Kersaint. Sein Blick war trübe und in sich gekehrt, als er das sagte. »Nur mein armer Flamand – der hat dran glauben müssen …«
»War ein gutes Rößl!« sagte Pranck anerkennend. »Ja – und darf man den alten Herrn vielleicht besuchen?«
Nein – das durfte man vorderhand noch nicht, denn strengste Ruhe hatte der Arzt anbefohlen. Aber Herr von Tann ließ dem Bayern sagen, daß er ihm alles Gute wünsche – für seine Person … Vorderhand müsse er auf die sonst so angenehmen Gespräche mit ihm verzichten. Er sei eben noch zu krank – er müsse sich noch schonen.
»Ach, wer weiß, wo wir sind, wenn der alte Herr wieder gesund ist!« sagte Pranck lachend. Und dann faßte er Kersaint unter und sie gingen ihrem Dienst nach.
*
Es beruhte auf Wahrheit, daß Eckhard von Tann das Schlimmste überstanden hatte. Tapfer hatte seine zähe Natur sich gegen die Krankheit gewehrt, die Krisis überstanden – und jetzt durfte man hoffen, daß jede Gefahr vorüber sei. Nach wie vor waren seine beiden Töchter treulich um den Kranken bemüht; aber am liebsten sah er Romana um sich. In ihrem ganzen Wesen war etwas so Leuchtendes, Beschwingtes – als wären Zeiten des Friedens und der Freude … Und dem Vater kam in diesen Tagen sein Lieblingskind noch viel schöner vor, als sie je gewesen war …
»Mein Kind –« sagte er einmal zu ihr, als sie so an seinem Lager saß und versonnen vor sich hinschaute, »sei getrost! Ich weiß, wie krank ich war – ich weiß aber auch, daß der Himmel deine und meine Gebete erhört hat! Ich werde wieder genesen – und werde die Freude erleben, dich mit Lambert vereint zu sehen, untrennbar durch das heilige Band der Ehe! Dann – wenn ich diesen Tag geschaut haben werde – dann will ich gern dahingehen. Denn ich fände keine Ruhe in der Ewigkeit, wenn ich dich und deine Schwester nicht wohlgeborgen wüßte, euch Beide – du bei deinem irdischen, sie beim himmlischen Bräutigam …«
Romana überlief ein eisiger Schauer bei diesen Worten des Vaters. Er wird genesen – die Stadt wird erobert werden – Lambert wird kommen, wird sie holen – – Und was dann?! –
Ihr schauderte vor der Zukunft, die sich vor ihr auftat. Sie war jetzt manchmal schon so weit gekommen, daß sie die Schwester beneidete um das stille Leben in der Klosterzelle, ohne Leid und ohne Schuld, das vor ihr lag. –
*
Petronella hatte jetzt keine Zweifel mehr, daß zwischen ihrer Schwester und Kersaint ein heimliches Einverständnis bestand. Sie hatte Blicke aufgefangen, die sie überzeugten, hatte einmal, unversehens das Zimmer betretend, gesehen, wie Romanas Hand von Kersaint gehalten wurde. Sie stellte sich blind und taub, um besser beobachten und lauern zu können. Und Maurice und Romana, ganz erfüllt von ihrer Liebe, die angstvoll jede Stunde verrinnen sah, die näher zum Ende führte, waren allgemach weniger vorsichtig geworden.
Brennend gern hätte Nella gewußt, was die Beiden planten. Denn sie mußten doch irgend etwas beabsichtigen – oder nicht? Immer kam sie wieder auf diesen sinnlosen Gedanken zurück: daß diese Beziehung ihrer Schwester für sie, Nella, irgendwie bedeutsam sein müsse … Und dann, in ruhigeren Augenblicken, sagte sie sich wieder, daß es doch für sie ganz gleichgültig sei, ob Romana ihrem Verlobten untreu sei oder nicht. Was ging es sie an, wenn der brave Roxheim schon vor der Ehe Hörner tragen mußte!? –
Sie hatte schon verschiedene Entschlüsse gefaßt und immer wieder verworfen. Dem Vater alles sagen, ihn aufmerksam machen? – Unmöglich! Er war zu krank. Dann – was für Beweise hatte sie? – Und was würde geschehen, wenn sie das Geheimnis der Schwester verriet? Roxheim hatte früher einmal, als ein ähnlicher Fall besprochen wurde, sich ziemlich schroff geäußert: Niemals würde er einer ungetreuen Verlobten verzeihen können … Das ging vor allem gegen seine Kavaliersehre … Nur keinen Skandal! – Wenns so weit käme, hatte sich Petronella gesagt, dann steckt uns der Vater vielleicht alle beide ins Kloster …
Früher war sie mit der Schwester innig und treu verbunden gewesen. Das hatte sich gewandelt – seit jenem Tag, da Romana, nach jenem Gespräch mit dem Vater und dessen Willen gehorchend, der Schwester zugeredet hatte, das Opfer auf sich zu nehmen, um der Seele der verstorbenen Mutter willen. Und man müsse den Willen der Eltern ehren, sonst ruhe kein Segen auf dem Leben! –
Jetzt lachte Petronella bitter auf, wenn sie an diese Worte Romanas dachte. Du hast gut reden – sagte sie sich, du nimmst dir dein Teil Lust und Freude und spielst noch die Tugendhafte obendrein! Der Keim des Hasses war in Petronellas Herz gesät und ging üppig auf … Es reizte und kränkte sie, daß Romana ihr nicht das mindeste Vertrauen schenkte. Wer weiß, wie sie empfunden hätte, wäre die Schwester mit ihres Herzens Not zu ihr gekommen! Aber so – – Und allgemach nahmen Haß und Neid in Nellas Seele die Form gekränkten Rechtsgefühls an. Sie war froh, daß sie von nichts wußte, zu keinem Trugspiel ihre Hand zu leihen brauchte. Sie, die vom Vater Zurückgesetzte, sie war die gute Tochter und Romana die Unehrliche! Sie konnte alle diese Gedanken nicht mehr von sich scheuchen. Stunde um Stunde war sie von stetig wachsender, dumpfer Neugierde erfüllt, einzudringen in das Geheimnis des verbotenen Treibens der Schwester – und zuzusehen, ob nicht vielleicht für sie irgend ein Vorteil daraus erwachsen konnte …
Und der Zufall kam Petronella zu Hilfe. –
*
Herr von Tann durfte jetzt täglich eine Stunde aufrechtsitzen. Es war sehr kalt geworden draußen, die Mitte des Jänner hatte echten und rechten Winter gebracht. Da erinnerte Romana die Schwester, daß irgendwo in der kleinen Stube im Obergeschoß, wo Schränke mit wenig benützten Sachen standen, der alte Bärenpelz des Großvaters aufbewahrt sein müsse. Der hatte als Handelsherr weite Reisen zu machen gehabt und dies Kleidungsstück hatte ihm gar gute Dienste getan. Und das würde es auch dem Vater tun, wenn man ihn dreinwickelte, wenn er im Lehnstuhl saß, indes sein Lager wieder zurechtgemacht wurde …
Petronella stieg hinauf ins Obergeschoß. Die Stube, in der sie suchen sollte, befand sich neben jenem Gemach, das Kersaint als Quartier angewiesen worden war – und neben diesem die Stube Prancks. Es war Nachmittag, noch hell genug, um gut zu sehen, Petronella fröstelte ein wenig, wie sie den großen Schlüsselbund in den Händen hielt. In welchem Schrank war doch gleich Großvaters Pelzmantel?
Sie öffnete den alten, wurmstichigen Schrank, der vor der Türe stand, die in des Vicomtes Zimmer führte. Früher einmal, als es viele Kinder im Hause Tann gab, war das Obergeschoß eine zusammenhängende Wohnung gewesen; jetzt waren nur mehr die Gaststuben und Vorratsräume dort. In dem alten Kasten lagerte ein dumpfer Geruch – aber er war ganz leer. Seine Rückwand klaffte in einem schmalen Spalt auseinander. Sonderbar – auch in der Tür war solch eine Ritze … Wenn man wollte, konnte man von hier aus so ziemlich alles beobachten, was im Nebengemach vorging …
Von einem plötzlichen Antriebe erfaßt, preßte Petronella ihr Ohr an den Spalt. Sie hörte deutlich die kleine Standuhr ticken, die auf der Kommode neben Kersaints Tisch stand. Man müßte jedes Wort hören, das da drinnen gesprochen wurde, wenn man in dem geöffneten Kasten stand, dachte sie … Sie blickte auch durch die Ritze. Nein – zu sehen war nicht viel – nur wenn jemand genau gegenüber gestanden wäre – dann vielleicht …
Und plötzlich ward es Petronella klar und deutlich bewußt, daß das Schicksal ihr jetzt einen Wink gegeben hatte. Sie wollte ihn nützen … Vielleicht trafen sich die beiden Heuchler einmal hier – vielleicht war es ein Fingerzeig des Himmels, daß sie diese Möglichkeit, alles zu belauschen, entdeckt hatte!
Sie löste sorgfältig den Schlüssel zu dem Schrank aus dem gewaltigen Bund. Wenn ihn jemand suchen würde? – Pah – mochte er verloren sein! Übrigens – wer würde sich jetzt darum kümmern?! – Es galt jetzt nur noch, immer auszuspähen, wohin die Schwester ging, wenn sie nicht beim Vater weilte. Und ob sie sich mit Kersaint in dessen Zimmer traf … Es war schon möglich – wie verliebt schauten sie sich an, wenn sie sich unbeachtet glaubten, wenn sich Nella über ihrer Handarbeit arglos stellte, oder bei Tisch ganz aufging in Hausfrauenarbeit … O – waren die andern schlau, sie, Nella, war noch schlauer! Und war es denn nicht eigentlich ihre Pflicht, die Schwester zu überwachen, die des Hauses Ehre so weit vergaß, daß sie Buhlschaft trieb mit einem Feinde und Vater und Bräutigam schmählich betrog?! –
Petronella war mit sich im Reinen. Ihr Entschluß war gefaßt … Die nächste Gelegenheit nützen! – Und jetzt wurde sie ruhiger; sie ging wieder an den eigentlichen Zweck, warum sie diese Kammer aufgesucht hatte. Noch einen Kasten öffnete sie, ohne das Gesuchte zu finden – endlich im letzten Schrank hing der Pelz.
Nella hing ihn über den Arm. Dann sperrte sie sorgsam wieder das Gemach ab und stieg die Treppe hinab. Sie brachte den Pelz hinüber zum Vater, sah zu, wie Romana ihn beim Ofen zurechtlegte, um ihn zu wärmen. Dann ging sie in ihr Schlafzimmer und nestelte ihr Kleid auf. Am Halse trug sie ein feines Silberkettchen – eine geweihte Medaille hing daran: mitgebracht vom Paten Payrhuber von einer Wallfahrt nach Mariazell …
Petronella ging zu ihrem Nähkorb, holte ein schmales Seidenbändchen hervor. Sorgfältig knüpfte sie damit den Schlüssel an die Kette und barg sie wieder sorgsam an ihrem Halse.
*
Nach dem siegreich zurückgeschlagenen Ausfall Segurs herrschte unter den Belagerern eine überaus gehobene Stimmung. »Der Tanz wird bald angehn –« riefen die Soldaten einander zu und die Offiziere waren voll von Kampfesbegier. Aber der Feldmarschall mahnte noch zum Abwarten.
»Einen oder zwei Tage noch – dann haben wir unsern Allergnädigsten Herrn Herzog mit dem schweren Geschütz da!« sagte er zu seinen Obersten und Hauptleuten. »Diese großen Belagerungspummerer brauchen wir unbedingt, wenn wir die da drinnen –« und er wies in der Richtung gegen Linz, »endlich mürbe haben wollen!«
Und wirklich – am nächsten Tage kam ein Kurier: der Herzog ziehe heran, er sei bereits nahe der Grenze des Landes ob der Enns. Da machte sich Graf Khevenhiller, von seinem ganzen Stab begleitet, auf den Weg und traf in Enns mit dem Gemahl der Königin zusammen. Jauchzend begrüßten die Truppen den hohen jungen Herren, der nun das Oberkommando übernahm.
»Prachtvoll ist die Artillerie, die der Herzog mitgebracht hat –« erklärte Khevenhiller seinen Offizieren, »aber seine Leute haben tüchtig ausgestanden! Vier Tage und Nächte sind sie jetzt, mit nur geringen Rasten, marschiert – bei dieser Kälte nicht ohne! – Und jetzt – diese zwei letzten Tage, da haben sie nicht einmal Feuer gehabt zum Wärmen – –«
Der Oberst Freiherr von Eberfeld lachte auf. »Es wird ihnen schon warm werden, wenn einmal Linz an allen vier Ecken brennt!« sagte er trotzig. Aber Khevenhiller schüttelte den Kopf.
»Ich glaube, es wird der Königin, unserer allergnädigsten Herrin, lieber sein, wenn wir ihr ihre gute Stadt möglichst unverbrannt wieder zurückgeben können …« sagte er bedeutsam. »Nun – wir werden unser Möglichstes tun! Aber unser muß Linz werden – und es wirds!« –
Bis auf Kanonenschußweite geleitete der Feldmarschall seinen jungen Herrn vor die Stadt. Herzog Franz Stephan besah sich die Anstalten, die zur Belagerung getroffen worden waren, genau und mit Interesse. Er war kein geborener Feldherr – aber hier wartete seiner ein gewisser Sieg und das freute ihn … Vorderhand gönnte er seinen Leuten einen ausgiebigen Rasttag und sich selber auch: er ritt nach Schloß Freiling und nahm dort Quartier.