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7.

Der Tag vor dem heiligen Weihnachtsfest war trüb und frostig gewesen, aber sein Abend wurde überloht von einem brandroten Sonnenuntergang, der im Westen über dem Freinberg gespenstig aufglühte und dann in dumpfem Grau verlosch. Alles war still in den Straßen der Stadt, Werkstätten und Läden waren geschlossen – es war Feierabend. In den Häusern trafen die Frauen Vorbereitungen für ein Mahl, das nach der Mitternachtsmesse eingenommen werden sollte. Denn heute war ein strenger Fasttag gewesen und wenn die Kinder mit der Wassersuppe nicht zufrieden waren, so wurde ihnen gesagt, heute müssen sie zu Ehren des Christkindleins schön bescheiden sein – sonst komme das goldene Rößlein überhaupt nicht zu ihnen. Und mancher Vater, manche Mutter fügte laut oder in Gedanken hinzu: »Wenn es nur überhaupt kommt!«

Ja – es war nirgends die echte und rechte Weihnachtsstimmung, die sonst alle Stuben so behaglich, alle Kinderaugen so glänzend gemacht hatte. Die Erwachsenen wußten, daß die kommenden Tage und Wochen schwere Prüfungen für die Stadt bringen würden – und die Kinder merkten den Druck, der auf den Eltern lastete und waren stiller, als sonst jemals.

Auch im Hause des Kaufherrn von Tann war es sehr ruhig. Der alte Ratsherr fühlte sich gar nicht wohl – so wenig, daß er nicht fähig war, in die Christmette zu gehen, wie er es doch sein ganzes Leben lang getan hatte. In seinem großen Lehnstuhl, den man ihm nahe zum Ofen gerückt hatte, saß er, in sich zusammengesunken, hustete und fröstelte. Seine Töchter standen vor ihm, in Mänteln und Kapuzen, bereit zum nächtlichen Kirchgang. Auch Benno von Pranck wollte mitgehen – und der alte Herr dankte es ihm. Ohne diesen männlichen Schutz hätte er die Mädchen überhaupt nicht in die Mette gehen lassen. Aber sie hatten so sehr gebeten, besonders Romana.

»Ist die Barbara fertig?« – fragte Tann. »Ja? – Dann geht in Gottes Namen! Die Ludmilla soll sich ins Vorzimmer setzen, damit sie zur Hand ist, wenn ich etwas brauche. – Ich bin froh, daß Sie, Herr von Pranck, die Begleitung meiner Töchter übernehmen wollen. Also – mit Gott!«

Als die kleine Gesellschaft auf die Straße trat, fuhr ihnen der Wind in die Kleider. Die alte Barbara wäre eigentlich lieber in ihrer warmen Küche gesessen – aber die strenge Sitte erforderte, daß sie ihre jungen Herrinnen nicht allein mit einem Kavalier ausgehen ließ. Und dann war die Mettenandacht doch viel feierlicher und schöner, als wenn man so ganz allein beim Ofen seinen Rosenkranz herabmurmelte.

So stapfte sie tapfer einher, bald neben, bald hinter den Fräulein – wie es gerade die Breite der Straße erlaubte. Romana hatte sich in Petronella eingehängt und neben dieser ging Pranck, den pelzgefütterten Mantelkragen hinaufgeschlagen, denn der Wind pfiff eisig über die Donau herüber. Eine dunkle Wolke stand über der Stadt – Schnee, wenn nicht gar Sturm, stand in Aussicht.

Hin und wieder wechselten die drei ein paar gleichgültige Worte. Der heitere Ton, der früher manchmal, trotz aller Sorgen, zwischen ihnen geherrscht hatte, wollte sich nicht mehr so recht einstellen. Petronella sah aus, wie wenn sie in einemfort mit der Lösung einer unlösbaren Aufgabe beschäftigt wäre – und Romana war stolz und kühl, wie jetzt immer. Wie gut, daß niemand in ihr Herz sah – nicht die Enttäuschung darin erkannte, als sie gewahr wurde, daß sich der Vicomte ihnen nicht anschließen würde. Dann sagte sie sich immer wieder vor, daß es so am besten sei. Je weniger sie ihn sah, desto besser für sie … Noch nie hatte Romana die Bitte des Vaterunsers: »Führe uns nicht in Versuchung!« so in tiefster Seele verstanden, als in diesen letzten Wochen …

Je näher sie dem Hauptplatz kamen, desto mehr Kirchgänger waren zu sehen. Vor dem Tor des Wirtshauses »zum Elefanten« in der Klosterstraße, wo über einem Fenster des ersten Stockes zwei wilde Wappenmänner das zierliche Bild des fremdländischen Rüsseltieres trugen, verhielt Pranck den Schritt. Er schaute sich diese Schilderei immer wieder gern an, wie ihm überhaupt die ganze Stadt gefiel. Und im Weitergehen lobte er den schönen Turm des Schmidtors, der, geziert mit dem Bild des Reichsadlers und den Wappen der österreichischen Erblande, so stolz über die Stadt hinschaute. Jetzt sah man freilich von all dieser Zier nichts, kaum daß sich die vier Ecktürmchen vom graudunklen Nachthimmel abhoben.

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Sie gingen um die Ecke des Platzes, vorbei am Weißenwolffhaus, und die Wache, die da als Ehrenposten für den Statthalter, den Grafen Taufkirchen, stand, präsentierte vor dem Offizier vom Leibregiment. Dann bogen sie in die obere Pfarrgasse ein, die schon dicht von Menschen erfüllt war. Und dann öffnete sich vor ihren Blicken der Pfarrplatz, das Ziel ihres Ganges.

Die alte Barbara zupfte Petronella am Ärmel. »Weißt noch, Kindl, wie s' da die Kapellen angebaut haben? – Ach nein – « verbesserte sie sich gleich selber, »wirst dich kaum erinnern können, warst ja so ein kleins Wuzerl, kaum drei Jahre alt. Aber hergetragen hab ich dich, wie sie s' zu Ehren unserer lieben Frau eingeweiht haben, und die Roma ist schon so lieb neben mir hergetrappelt …« Und die alte Frau wies auf die Seitenkapellen, die nordwärts an die Kirche angeschlossen worden waren.

Hier war es dunkel und still – aber das große Kirchenportal stand weit offen und drinnen war alles festlich hell. So viele Andächtige waren da, daß die jungen Damen und Barbara kaum noch Platz fanden in einem der Kirchenstühle, die im Seitenschiff standen. Romana, die zuerst sich niedergelassen hatte, kniete der Seitenwand zunächst. Neben ihr Nella, dann Barbara und als letzter Herr von Pranck. Nun hatte niemand anderer mehr Platz im Gestühl.

Die Kinder aus der Stadtpfarrschule sangen oben am Chor ein altes Weihnachtslied. Feierlich wurde der Gottesdienst begangen. Drei Messen darf an diesem heiligsten Abend des Jahres der Priester darbringen. »Ehre sei Gott in der Höhe – und Friede den Menschen –« erklang es von hellen Kinderstimmen gejubelt vom Chor hernieder … Wo war der Friede? dachte Romana. Wo war auch der Friede ihrer Seele? –

Der alte, ehrwürdige Stadtpfarrer und Dekan Max Gandolf Steyrer von Rottenthurm bestieg die Kanzel. Wie freundlich stimmten seine frischen roten Wangen zum silberweißen Haar! Wie verstand er es die Herzen zu rühren! Die alte Barbara tupfte in einemfort mit dem großen weißen Leinwandtuch, das sie neben dem Gebetbuch in der Hand hielt, über die Augen. Die Predigt war gar so schön! –

Der alte Dekan verstand es, die Herzen seiner Zuhörer zu bewegen. Vom Frieden der Weihnacht sprach er, auch vom Frieden der Herzen, der aber nur den Reinen zuteil wird. Und als er dann seiner Pfarrgemeinde mit herzlichen Worten »Gesegnete Weihnachten!« entbot, und mit dem Hinweis auf den Stern von Bethlehem schloß, der der Hoffnungsstern für jeden Menschen sei, da verstanden alle, daß ihnen ihr würdiger Seelenhirt Mut machen wollte, für all das Schwere, demnächst Kommende …

Barbara hatte andachtsvoll gelauscht und Petronella mit innerem Widerstreben. Wo war denn für sie der Hoffnungsstern? Wenn nicht ein Wunder geschah, dann würde sie das nächste Weihnachtsfest als Novizin in enger Klosterzelle feiern. Aber es geschehen eben keine Wunder mehr – –

Und auch Romana hatte von dieser Predigt nicht viel mehr, als die Anfangsworte vernommen. Sie hatte mit einem Male etwas neben sich gespürt – eine Nähe, die alle ihre Sinne aufrüttelte. Zaghaft huschte ihr banger Blick seitwärts. Stand da nicht, an einen Pfeiler gelehnt, eine hohe dunkle Gestalt? Und wandte sich ihr jetzt nicht ein Blick zu, heiß und dunkel, wie das Meer der allertiefsten Sehnsucht?

Romana schloß die Augen. Sie versuchte zu beten. Aber es gelang ihr nicht. Ein neuer Chorgesang hatte begonnen, jauchzend hob sich die Melodie zu den gotischen Gewölben empor. Süß-berauschend legte sich der Weihrauchduft um ihre Stirne, jubelnd drangen die Harmoniewogen auf sie ein … Mechanisch, dank jahrelanger Gewohnheit und Übung, bekreuzte und neigte sie sich, wenn der Gottesdienst es erheischte: aber ihr ganzes Wesen wußte, fühlte, verströmte sich nur an das eine: daß dieser Mann, den zu lieben für sie Sünde und Frevel war, neben ihr stand …

Die drei Mitternachtsmessen waren zu Ende. Unter brausenden Orgelklängen leerte sich die Kirche. Auch Barbara und die Mädchen hatten sich erhoben. Pranck geleitete sie durch das Gedränge zum Ausgang. Keinen Blick warf Romana zur Seite – aber sie fühlte: jetzt war die Stelle leer …

Draußen strömte alles auseinander, jeder seiner Behausung zu. Es war spät geworden, die drei Messen hatten geraume Zeit gedauert. Und es hatte inzwischen ein wenig geschneit. Die spärlichen Flocken waren unter dem eisigen Nordhauch, der von den Mühlviertlerbergen über den Strom herüberwehte, zu Glatteis geworden. Man mußte sehr vorsichtig gehen.

Dort, wo der Platz wieder in die Pfarrgasse mündete, grüßte plötzlich eine bekannte Stimme. Es war Kersaint – und natürlich schloß er sich an. Aber nachdem er Pranck die Hand geschüttelt, die Mädchen ehrerbietig begrüßt und auch für die alte Barbara ein freundliches Wort gehabt hatte, verhielt er sich wieder still. Nur wußte er es so geschickt anzustellen, daß an der engsten Stelle der Gasse er Petronella den Vortritt ließ und dadurch an Romanas Seite kam. Barbara war neben Nella geblieben und Pranck führte den kleinen Zug, der gegen den stetig zunehmenden Wind anzukämpfen hatte. Und Kersaint ging an Romanas Seite …

Sie schritt dahin, wie im Traum. Aber auf einmal glitt sie aus – der Rand des Gehsteiges, abgeschliffen von vielen Tritten, war glatt geworden – und sie taumelte für einen Augenblick und wäre gefallen, wenn nicht der Vicomte sie rasch gestützt hätte. Er wies ihr einen besseren Platz zum Gehen, knapp neben den Haustüren, die feindselig-verschlossen die, die drinnen wohnten, vor der Nacht und ihren Gefahren hüteten. Aber noch immer hielt er ihre Hand …

»Mademoiselle –« flüsterte er ihr zu. »Erinnern Sie sich? Hier – hier war es, daß ich zuerst Sie sah … Als der Kurfürst zur Huldigung ritt … Ich werde diese Stunde niemals vergessen – –«

Romana schwieg. Jetzt konnte sie beten: O Gott im Himmel, gib, daß mir die Kraft bleibt, zu schweigen. Denn spräche ich, so vermöchte ich es nimmer, mein flammendes Herz zu bändigen. Und das darf nicht sein! Hilf mir – hilf mir … Daß ich auf dem rechten Weg bleiben kann!

»Haben Sie kein Wort für mich, Romana?« Wieder hörte sie die heiße, flehende Stimme – aber sie verschloß sich ihr. Stumm schüttelte sie den Kopf. Da waren sie schon auf dem Platz – eine Laterne gab fahlen Schein. Kersaint ging nicht mehr an ihrer Seite …

Er ging jetzt neben Pranck. Die beiden Schwestern hatten sich wieder untergefaßt – Petronella fühlte, wie krampfhaftes Beben Romanas Arm durchlief. Ihr rascher Geist kombinierte … Vorher war der Vicomte doch nicht bei ihnen gewesen? War da etwas geschehen? Ach – was gehts mich an? dachte sie in ihrer heimlich und schwer getragenen Verbitterung.

Jetzt waren sie daheim. Noch die Treppe hinauf, höfliches Abschiednehmen der beiden jungen Herren, gehalten und gemessen, wie es sich geziemte. Kersaint sah sie nicht mehr an; sein Gesicht hatte etwas Lebloses, Versteinertes. Er weiß jetzt, daß ich nicht will – dachte Romana, während sie sich auskleidete. So muß es sein! Alles muß sein, als wäre es nie gewesen …

Sie lauschte zu Nella hinüber, die sich ebenfalls sehr rasch in ihrem Himmelbett verkrochen hatte. Wenn sie nur jetzt nicht noch etwas zu reden anfängt! dachte Romana. Aber Petronella schlief fest – oder tat wenigstens so.

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In der Weihnachtswoche gab es Schnee über Schnee, und daher mochte es kommen, daß die Truppenbewegungen draußen am Land etwas aufgehalten wurden. Aber als der alte Jahrtag herankam, da wurde es auf einmal um die Hauptstadt herum lebendig: die letzten Bayern und Franzosen, die noch in Enns und Steyr belassen worden waren, verließen um fünf Uhr früh ihren Posten. Hinein nach Linz! war die Losung. Und erst um acht Uhr am Abend waren die letzten feindlichen Soldaten in wilder Flucht durch die Tore von Linz gezogen. Ihrer sechshundert mußten untergebracht werden.

Segur wies ihnen das Karmelitenkloster in der mittleren Vorstadt als Quartier an. Die frommen Mönche hatten schlimme Tage zu durchleben. Knappe fünfzehn Jahre war es erst, daß das schöne, zwei Stock hohe Kloster vollendet worden war. In seinen Zellen und Sälen hausten jetzt die Feinde – und für die Besitzer blieben nur zwei Zellen übrig. In den andern kampierten die Soldaten, sieben oder gar acht; wie sie eben sich zusammenfanden und Platz hatten, in einer jeden.

Daß ein Oberstleutnant und mehrere Offiziere ebenfalls im Kloster wohnten, half den frommen Brüdern blutwenig. Die Herren hatten freilich den Wunsch, das Kloster vor Schaden zu bewahren – aber ihre Leute waren ihnen bereits über den Kopf gewachsen. Mit Mühe und Not verhinderten sie, daß die Plünderung, zu der sich die Soldaten allsogleich anschickten, allzuarg ausartete. Und im übrigen – es war eben Krieg! Man zuckte die Achseln und beruhigte sich wieder – mochten auch die Mönche klagen.

Pferdeställe mußten hergestellt werden! In den Räumen im Erdgeschoß klirrten Äxte, knirschten Sägen: Stände für die Pferde wurden angefertigt, Verschläge für die Troßbuben. Der Prior blickte auf den Greuel der Verwüstung und wußte sich keinen Rat.

Im Hause Tann war durch die Erkrankung des Herrn alles noch stiller und gedrückter geworden, als es zuvor gewesen war. Am Morgen des Neujahrstages saß Eckhard Tann mißmutig in seinem Lehnstuhl und grämte sich. Wie war diese Nacht doch so endlos lang gewesen, mit Seitenstechen und Atemnot. Der Stadtphysikus war gekommen, hatte ein gesegnetes neues Jahr gewünscht und gemeint, Herr von Tann möge doch einmal eine Woche gänzlich in seinem Bett verbleiben. »Sie haben ja an Ihren beiden liebwerten Fräulein Töchtern die allerbesten Krankenwärterinnen zur Hand –« meinte er und lächelte vorsichtig, wie es Ärzte zu tun pflegen, wenn sie sich noch nicht ganz klar sind, wie es mit dem Kranken steht … Die beiden Mädchen hatten den Doktor hinausbegleitet; als sie sich auf dem Flur von ihm verabschiedeten, hörten sie Sporengeklirr: Kersaint und Pranck kamen soeben die Treppe herab – auch sie wollten dem Herrn des Hauses ihre Neujahrswünsche darbringen. Sie grüßten die jungen Damen. Ehe sie ihre Glückwünsche auch bei ihnen anbringen konnten, hatte Romana sich gewandt und war die Treppe ins Erdgeschoß hinabgestiegen … Petronella sah ihr mit großen Augen nach – dann ging sie mit den Herren zum Vater hinein.

Kersaint und Pranck waren ein wenig verlegen. Was sollte man dem alten Mann wünschen, der da krank vor ihnen saß, als Ratsherr in Sorge um seine Stadt war und dazu noch voraussichtlich sehr bald alle Schrecken einer Belagerung zu überstehen haben würde? Sie zogen sich leidlich aus dieser Glückwunschangelegenheit und gingen gleich dazu über, ihrem Gastfreund mit herzlicher Wärme für die wahrhaft freundliche Aufnahme zu danken, die sie, die Fremden – »die Feinde« – sagte Kersaint mit einem melancholischen Lächeln, bei ihm gefunden hatten.

Der alte Kaufherr wiegte wehmütig den Kopf. »Der Einzelne kann einem, der gerecht denkt, niemals Feind sein … Sie tun Ihre Pflicht, meine Herren – auch unsere Offiziere werden die ihre tun …« Das Sprechen strengte ihn sichtlich an – und die Beiden empfahlen sich nochmals mit wohlgesetzten und höflichen Dankesworten und Neujahrswünschen. Petronella war schweigend daneben gestanden; sie geleitete die Herren hinaus.

»Alle zwei Mädels sind anders geworden –« sagte Pranck, als er mit dem Kameraden allein war. »Ich hab das Gefühl, daß in dieser Familie etwas nicht in Ordnung ist … Zuerst war alles so nett und jetzt …«

Kersaint zuckte die Achseln; er wich Prancks Blicken aus. »Kommen Sie, Benno –« sagte er dann, »wir müssen heute noch eine ganze Menge Besuche machen. Ach Gott – da wünscht man sich und andern alles mögliche – und dann kommen doch immer gerade die Sachen aus Fortunas Füllhorn heraus, die man sich um alles in der Welt – nicht gewünscht hätte.« Er lachte dazu, aber es klang unfroh und höhnisch. Pranck sah ihn verwundert an …

*

Gegen Mittag kam der Ratsherr Paul Payrhuber zu Besuch. Er traf seine beiden Patenkinder beim Vater an, und nachdem er den Mädchen auf seine altmodisch-galante Art gratuliert und ebensolche gute Wünsche von seiner Frau an Vater und Töchter ausgerichtet hatte, setze er sich zu seinem alten Freund, um ihm eine ganze Menge Neuigkeiten zu erzählen.

Die Mädchen waren ins Hochamt gegangen; wenn der Vater so angenehmen Besuch hatte, konnten sie wohl auf ein Stündchen das Haus verlassen. Petronella beobachtete die Schwester, die heimlich, aber scharfblickend, umherspähte, ob nicht jemand um den Weg sei, dem sie ausweichen wolle … Sie ist jetzt immer wie auf der Flucht, dachte Petronella. Sie erriet wohl, was es war, das der Schwester Rast und Ruhe raubte. Aber in gleichgültigem Trotz kümmerte sie sich um nichts. Sie hatte genug mit sich selber zu tun. –

Eckhard von Tann lauschte den Berichten Payrhubers. Es hatte sich schon wieder eine ganze Menge zugetragen.

»Habt Ihr's vielleicht auch schon gehört?« erzählte Payrhuber dem alten Freunde, »daß die Schanzen in Urfahr von den Unsrigen angegriffen worden sind? – Von Freistadt her ist das Regiment Schulenburg gekommen, über Gallneukirchen – haben aber leider Gottes wieder zurück müssen …«

Tann seufzte auf. »Sind sie denn zu schwach gewesen?« fragte er.

Payrhuber nickte bejahend. »Aber sie kommen wieder, müssen sich nur noch verstärken. Und der Graf Khevenhiller – der steht schon in Ebelsberg … Ihr werdet sehen, Gevatter – es geht noch alles gut hinaus. Der Khevenhiller ist ein großer Kriegsheld.«

»Wenn er nur genug Truppen zusammenbringt – damit er nicht zu schwach ist gegen den Bayern –« meinte Tann, nachdem er eine Weile geschwiegen hatte. Aber Payrhuber lächelte ihm schlau zu.

»Da wird schon vorgesorgt!« sagte er. »Und wißt ihr was? – Es heißt, der Herr Prälat von Sankt Florian, der hat seine Leute hier herinnen bei uns und die haben es ihm lang schon zugetragen, wie stark unsere Feinde eigentlich sind. Und das tut er dem Khevenhiller zu wissen – dann kann sich der vorsehen.«

»Ein wackerer Herr, der Probst!« sagte befriedigt Eckhard von Tann. »Möge unser Herrgott ihm und uns allen beistehen. Freilich – bis wir wieder frei sind und unserer Königin zurückgegeben, wirds noch manche bittere und harte Nuß zu knacken geben!«

»Es wird schon recht werden!« tröstete Payrhuber. »Noch eins: ich hab auch erzählen hören, daß der Gemahl unserer Königin, der Herr Herzog von Lothringen, selber kommen soll, um uns zu befreien: er bringt auch frische Soldaten mit.«

Sie schwiegen beide und dachten nach; dann fragte Tann: »Und wie steht es bei den Karmelitern? Müssen die frommen Herren recht viel aushalten?«

Payrhuber nickte lebhaft und ballte die Faust. »Sie hausen im Kloster, daß es eine Schande ist, diese Kerln! Es ist ja wahr – wir haben jetzt eine arge Kälte – aber das Herz tut einem doch weh, wenn man hört, daß die bayrischen Soldaten einfach alle Obstbäume im Klostergarten wurz abgehauen haben – zum Einheizen … Hundert und etliche Klafter Holz sollen sie schon verfeuert und verschleppt haben, neun große Feuer haben sie im Klosterhof angezündet – ich weiß nicht, obs wahr ist, aber man redet halt so …«

Sie unterredeten sich noch eine Weile, dann merkte Payrhuber, daß Tann ermüdete und brach seinen Besuch ab.

»Wenn ich denk –« sagte der Kranke, »wie ich ein junger Bursch war und in meiner Lehrzeit beim Vater gottselig anfing, die Bücher zu führen, da schrieben wir noch einen Sechser bei der Jahreszahl, wo die Hunderter stehn und heut haben wir schon das 1742. Jahr nach unseres Herrn Geburt … Wo kommt denn die Zeit hin? Ist mirs doch, als wär mein ganzes Leben erst gestern oder vor ein paar Wochen gewesen – –«

»Ja, ja –« meinte nachdenklich der Besucher. »Die Zeit geht hin – und wie bald ist die Ewigkeit da!« Er wandte sich zum Gehen. »Aber jetzt behüt euch Gott – verliert den Mut nicht und trachtet, daß ihr bald wieder gesund seid! Wir werden euch im Rat noch recht gut brauchen, wenn wir wieder österreichisch geworden sind.«

Tann nickte ihm zu: »Hoffentlich erleb ichs noch …« sagte er, und sein Blick war trübe und verschleiert.

Payrhuber ging und ließ den alten Kaufherrn allein. Er suchte noch seine beiden Patenkinder auf, um sich von ihnen zu verabschieden.

»Ihr müßt recht auf den Herrn Vater schauen –« sagte er. »Mir scheint, er ist kränker, als ich zuerst geglaubt … Nun – Gott befohlen, Mädeln – und haltet euch brav und tapfer!« –


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