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Wie schön war dieser Herbst! Die Waldberge, die im Norden aus dem Mühlviertel in die Stadt hereinschauten, lagen in blauem Duft und Schimmer hingebreitet – ein Versprechen für die Fortdauer des guten Wetters. Ruhig und sanft zogen die silbergrünen Wellen der Donau dahin. An solchen Tagen waren die Bürger von Linz sonst wohl hinausgewandert in ihre Landhäuser in der Vorstadt oder zu einem Bauernwirt, der guten Most schenkte. Aber jetzt waren schlimme Zeiten gekommen: über der Stadt lag die Stille unruhiger Erwartung.
Wer mochte jetzt an Spaziergänge und Ausflüge denken, wo man doch wußte und es gesehen hatte: wie der Feind einmarschiert war. Das war gerade am Feste der Erhebung des heiligen Kreuzes gewesen – kaum waren von den Kirchtürmen der Stadt die Glockenklänge, die den Schluß des mittäglichen Gottesdienstes anzeigten, verklungen, hoch über den Rauchfängen hin, aus denen blaues Rauchgeringel von emsiger Tätigkeit der Köchinnen sprach – da waren sie auch schon da, die verbündeten Bayern und Franzosen. Von diesen letzteren hatte man vorerst noch nicht viel zu sehen bekommen; sie lagerten mit ihren Troßwagen auf den Wiesen um die Harrach und auf den weiten Feldern, die sich neben und hinter dem Freisitz »Zur eisernen Hand« hinbreiteten. Aber die Bayern hatten das Landhaus besetzt, das Schloß und die Stadttore. Ein Teil war zu Schiff auf der Donau herabgekommen und beim Pulverturm an der Kalvarienwand ans Land gestiegen. Große, stämmige Kerle, vom kurfürstlichen Leibregiment. »Sind ganz schmuck anzuschauen in ihrer blauweißen Montur« hatte der Altgeselle Franzl in Meister Rolins Werkstatt seinen Kameraden erzählt, als er mit ihnen am Feierabend, als sie zusammengeräumt hatten, einen kleinen Schwatz hielten. Und er wußte noch etwas; er war mit einem Auftrag des Meisters in der Vorstadt gewesen, am späten Nachmittag, und da hatte er sie gesehen, die zweite Abteilung der Kurfürstlichen. »Von Wels sollen sie gekommen sein –« sagte er. »Ich denk, es werden so etliche Tausend sein … Sind auch auf die Harrachfelder gezogen zu den Franzosen.«
Und am nächsten Tag kamen Schiffe die Donau herunter – auf denen waren die schweren Geschütze. »Auf der Fabriksau stellen sie die Bummerer auf –« sagte der Meister Mittags bei Tisch zu seinen Leuten. Er machte ein sehr bedenkliches Gesicht. »Von der Donau bis zum Siechenhaus ist jetzt unsere Stadt umlagert. Wie wirds uns jetzt ergehen?«
»Ich hab gehört –« sagte der Altgesell, »daß gleich nach Mittag der Kurfürst selber kommen soll …« Und mit einem fragenden Blick auf den Meister: »Ob man sich das wird anschauen dürfen?«
»Neugierdsbüx …« brummte Rolin in seinen buschigen Bart. Aber laut sagte er: »Wer durchaus Lust hat – von mir aus. Ich geb euch heute den Nachmittag frei. Ist ohnedem nicht viel los mit Arbeit. Wir Schlosser – wir werden erst wieder viel zu tun kriegen, wenn sie genug verwüstet und zusammengehaut haben. Schloß und Riegel aufbrechen – das kann ein jeder: aber sie wieder ganz machen, das ist eine andere Kunst!«
Und mit diesen Worten erhob er sich. Und die Gesellen und Lehrbuben mit ihm. Ein kurzes Tischgebet – und dann stoben sie eilends davon.
Rolin sah ihnen kopfschüttelnd nach. »Die denken nicht weiter, als ihre Nase lang ist …« sagte er zu sich selber. »Das junge Volk will gaffen und Abwechslung haben. Was dabei noch herauskommen wird, bei dieser Abwechslung – das müssen wir Alten ausfressen … Was brauch ich die Bayern zu sehn? Sind auch nur Mannsleut in Hosen …«
Und knurrend nahm er irgendeine Arbeit zur Hand.
*
Wo der Weg von den Harrachgründen einbiegt in die Landstraße, überall in der Vorstadt, am Hauptplatz und in der Klosterstraße – überall standen Gruppen von Neugierigen. Man hatte gewiß seine Sorgen und Aengste – o ja – aber deswegen wollte man doch den Einzug des Kurfürsten sehen. Fast zehn Jahre war es her, daß die Linzer nicht mehr höfischen Prunk zu sehen bekommen hatten. Damals war der hochselige Kaiser, der Vater der jungen Königin, in seiner guten und getreuen Stadt Linz zur Erbhuldigung gewesen.
Sehr viele erinnerten sich noch an den stattlichen Herrn. Daß der auch im Vorjahr so rasch hatte sterben müssen! Bald war es Jahrzeit. Und kein Sohn da! Und die junge Königin Maria Theresia, die Schöne, die Blonde, angefallen von Feinden ringsum … Und nun war auch Oberösterreich in Feindeshand.
Also nun sollte man den neuen Gebieter zu sehen bekommen. Wie er wohl mit der Stadt verfahren würde? –
So gingen die Gedanken und leisen Gespräche hin und her. Man sah gleichgültige Gesichter, die nur schauen und staunen wollten, ehrlich besorgte aber auch. Und die helle Sonne des frühen September-Nachmittages legte ein wenig Festlichkeit über das Ganze …
In der Altstadt, unter dem halboffenen Tor eines schmalen hochgiebeligen Hauses, das altersgrau und düster sich aufreckte, stand eine Gruppe von Frauen. Zwei junge Mädchen und eine alte Magd. Die drei standen knapp unter dem Torbogen – immer bereit, sich ins Innere zurückzuziehen, aber doch auch gewillt, möglichst viel von dem bunten Schauspiel mit den Blicken zu erhaschen – von diesem Schauspiel, das sich jetzt von ferne durch den Schall von trappelnden Pferdehufen und das taktmäßige Schreiten einer großen Menschenmasse ankündigte. Immer näher und näher kam es.
»Gleich werden sie da sein –« sagte die alte Frau, gekleidet wie eine Dienerin mit einer großen blauen Leinwandschürze; dann haschte sie nach der Hand des jüngeren der beiden Mädchen, das ein paar rasche Schritte vom Tor weg gemacht hatte, und zog sie wieder ganz nahe heran. »Nicht weggehn vom Tor, Nellakindl!« bat sie. »Weißt so – der Herr Vater hats vorerst gar nit erlauben wollen, daß ich mit euch herab geh …«
Das andere junge Mädchen, das vielleicht zwei Jahre mehr zählen mochte, nickte bestätigend und legte ihren Arm in den der von der Alten Zurückgezogenen, die ein schmollendes Gesicht machte. »Die Barbara hat recht, Nella«, sagte sie. »Komm – sei gut – da siehst du ja ohnehin alles, was vorbeikommt –«
Nella zuckte die Achseln, strebte aber nicht mehr weg aus der Nähe der Schwester, der sie jetzt, in diesem Augenblick ruhigen Schauens, ganz besonders ähnlich sah. Es war so viel Gleiches in diesen beiden schönen Mädchengesichtern: der Schnitt der Züge, die ebenmäßige Zierlichkeit der Profile, die Form des Kinns, die bei beiden die selbe war und einen Zug von Festigkeit in die sonst so weichen Gesichter brachte. Und auch, wie sie sprachen und lächelten, machte sie einander sehr ähnlich. Man wußte es ungefragt, wenn man sie ansah, daß sie Schwestern waren. Und doch war eine große Verschiedenheit da: die Farben. Bei der Älteren war alles auf einen helleren Ton gestimmt – ihr lockiges Haar schimmerte rötlichbraun, wie reife Kastanien, ihre Augen waren goldigbraun und ihre Haut licht und zart – während Nellas Haar in blauschwarzem Glanz sich um die bräunliche Stirne bauschte und ihre Augen nachtschwarz und tief waren.
»Wenn uns jetzt der Lambert so dastehen sähe!« sagte Nella – und ganz leise, an das Ohr der Schwester geneigt: »Romana – denkst jetzt an ihn?«
Romana fuhr wie aus tiefen Gedanken auf – aber sie wurde einer Antwort enthoben, denn nun hatte die Spitze des Zuges den kleinen Platz vor dem Landhaus erreicht, vor dessen herrlichen Portal nun die bayrischen Wachen standen, und der Gleichklang der Schritte, das Geräusch der vielen Pferdefüße und das Klirren der Waffen schnitt jedes weitere Reden kurz ab.
Die alte Köchin Barbara guckte mit großen Augen die bayrischen Reiter an, die da in wohlgeordneten Abteilungen vorüberzogen und hatte unwillkürlich die Hände gefaltet; Romana und Nella standen eng aneinandergelehnt neben ihr – sie waren etwas vom Rand des Gehsteiges zurückgetreten, denn die Vorbeiziehenden waren in Viererreihen geordnet und brauchten die ganze Breite der Straße. Und hin und wieder wurde ein Roß unruhig und tänzelte – nur nicht zu nahe kommen, damit einen ja kein Hufschlag traf! Die alte Barbara zupfte die lebhafte Nella, die sich wieder etwas weiter vorgewagt hatte, mahnend an einem Zipfel ihres bauschigen pfaublauen Taffetkleides zurück. Romana hatte noch immer den Arm in den der Schwester geschlungen.
Da – jetzt kam eine Lücke im Zug – und dann die Hauptsache: der Kurfürst. Er war umgeben von seinem Stab, den Generalen und den Gesandten von Sachsen, Preußen und Frankreich. Ein Diener vom Krämer nebenan, der diese Kunde irgendwo aufgeschnappt haben mochte, und nun neben Frau Barbara getreten war, hatte ihr das heimlich zugeraunt und sie gab es an die Mädchen weiter.
Der Zug war vorn, wo die engen Gassen zum Schloß hinaufführten, sich teilend, ein wenig ins Stocken geraten; die Nachkommenden mußten ein paar Minuten warten. Die Herren um den Kurfürsten parierten ihre Pferde – sahen sich um, tauschten ein paar Worte …
Karl Albrecht saß unbeweglich auf seinem braunen spanischen Hengst, und ließ das edle Tier auf der Stelle sich nur wenig bewegen. Er war noch im Jagdhabit aus graublauem Tuch, mit weichen braunen Lederstiefeln und einem einfachen Dreispitz mit weißen Federn eingefaßt – gerade so, wie er heute in frühester Morgenfrische zu Roß gestiegen war, um in den Auen der Traun zu jagen. Ihm, dem leidenschaftlichen Jäger, schien jeder Tag verloren, an dem er nicht dem Weidwerk gehuldigt hatte … Dort, im Traunerschloß, das den Grafen von Abensberg zu eigen war, hatte er übernachtet – und dann beschlossen, sich die Hauptstadt seiner neuen Provinz einmal anzusehen, ehe er zur feierlichen Erbhuldigung einziehen wollte. Das Einreiten heute – das war sozusagen nur ein Vorspiel …
Mit seiner schmalen, nervösen Hand streifte Karl Albrecht ein wenig den Dreispitz zurück – das Kleinod, das ihn zierte, ein leuchtender Rubin, blitzte auf in den Strahlen der Nachmittagssonne … Dieses Linz war eine ganz hübsche Stadt – und das Land fruchtbar und gepflegt. Ueberhaupt: nun schien ein alter Wittelsbacher Traum erfüllt: die österreichischen Lande unter der Pranke des bayrischen Löwen. Freilich – es würde noch manch harten Strauß absetzen, bis er alle Länder fest in der Hand hatte. Aber Frankreich, Preußen, Sachsen – sie waren mit ihm. Es würde schon gehen – zumal, wenn es ihm glückte, daß er bei der Wahl als Kaiser hervorging … Karl Albrecht lächelte in sich hinein: den schönen Lothringerherzog, in den sich seine nicht minder schöne Kusine Maria Theresia so heftig verliebt hat – den wollen die Kurfürsten nicht als Kaiser haben … Er, der Wittelsbacher, wirds werden – er, der als Bub sieben Jahre lang gefangen gesessen in Graz und Klagenfurt, indes sein Vater Max Emanuel geächtet war und seine Mutter, die reizende Theresienka Sobieska, auch irgendwo gefangen saß mit den andern Kindern … Jetzt hat sich das Blatt gewendet! Er wird all das Glück haben, das das Schicksal seinem Vater zu gewähren schuldig geblieben ist: Oesterreich hat er schon – dann kommt Böhmen an die Reihe – Ungarn.
So träumt Karl Albrecht hoch zu Roß, indes der Zug sich wieder langsam in Bewegung setzt. Sein feines, länglich-schmales Gesicht hat einen etwas leidenden Ausdruck. Er spürt wieder einmal ein wenig sein Herz … Vielleicht heute schon zu viel geritten und gehetzt? – Ach was! Morgen wird er rasten. Alles ist gut …
Aber im Weiterreiten kann er es nicht hindern, daß er sich einer leisen Verwunderung bewußt wird, die an Enttäuschung grenzt. Es ist so still um ihn herum. Das Gefolge – das schreit freilich: »Vivat Karl Albrecht! Vivat der Herr Kurfürst und Erzherzog von Oesterreich!« Aber das Volk von Linz – das schweigt … Man hat sich abgefunden damit, daß nun er regiert – das Landvolk so gut, wie die Stände: aber kein Freudengeschrei säumt seinen Weg – –
Karl Albrecht gibt seinem Andalusier die Sporen, daß er hochsteigt und biegt in die Stieglitzgasse ein: dort haben sich dereinst die kaiserlichen Rosse getummelt. Nicht weit mehr ist es zum offenen Tor des Schlosses von Linz.
Auch das Ende des Zuges war noch lang genug und sperrte die Zugangsgassen, so daß die Neugierigen noch aushalten und sich mit dem Weggehen gedulden mußten. Gerade wollte die alte Barbara den Mädchen sagen, ob sie nicht hinaufgehen wollten in ihre Wohnung – den fürstlichen Herrn hätten sie ja nun gesehen; da hielt unmittelbar vor ihnen eine Gruppe von jungen Offizieren, die sich umwendend, ihr Gefolge, das so ziemlich die letzte Abteilung des kurfürstlichen Zuges war, abwarteten. Das Roß des einen, ein schwerer flandrischer Falb, irgendwie erregt, bäumte sich, kam auf eine glatte Stelle des Randsteines und rutschte. Mit Kraft und Geschick brachte es sein Reiter sogleich wieder zur Ruhe – aber die beiden Mädchen hatten leise aufgeschrien, als der mächtige Pferdekopf einen Augenblick knapp vor ihren Gesichtern sich gebäumt hatte.
Nella wich zurück, klammerte sich an die alte Barbara – Romana stand für einen Augenblick ganz allein Aug in Auge mit dem Reiter. Es war ein junger Edelmann von fremdländischem Aussehen; aus einem kühnen Normannengesicht blickten falkenhelle Augen mit unverhohlener Bewunderung auf Romana, in deren Wangen unter diesem Blick eine leise Röte stieg – sie wußte selber nicht, warum … Dann nestelte der Offizier an seinem Sattelknopf: da hing ein Busch Rosen – rote, weiße, gelbe –. Wie sie durch die Vorstadt geritten waren, hatten diese Blüten über die Mauer eines verlassenen Gartens ihm zugenickt. Und mit unbekümmerter Sorglosigkeit hatte er sie gepflückt. So, wie er alles im Leben mitnahm, was reizend war und Freude versprach …
Gerade so hatten daheim, in seinem alten Schloß in der Bretagne, die Rosen geblüht, wie diese hier, die seine Hand jetzt mit geschicktem Schwung vor die Füße des wunderschönen Mädchens warf, deren Blick ihn so seltsam durchglüht hatte … Eine leichte Verneigung vom Sattel herab gegen die Schöne hin, die gerade im dunklen Toreingang verschwand – dann war die Eskadron geschlossen hinter ihm. Das Ende des Zuges schloß sich an die Hauptabteilung an.
»Hier hat es schöne Mädeln –« sagte ein junger Mann, der die Uniform eines kurfürstlichen Regiments trug und nun seinen Schimmel knapp neben den flandrischen Falben gelenkt hatte. »Und da haben Sie gleich eine Probe französischer Galanterie ablegen können, Maurice!«
»Schöne Blumen sind da, um sie schönen Frauen zu schenken –« sagte der Angeredete lächelnd. »Und so wahr ich Maurice von Kersaint heiße und ein Bretone bin: selten sah ich eine Holdseligere, als dieses Mädchen vor dem alten grauen Haus … Aber ich will Sie nicht weiter langweilen, Benno!«
»Ist nicht langweilig, von hübschen Weibern zu reden –« sagte der junge Bayer, und sein rundes, gutmütiges Gesicht, das von der Wärme des Tages leicht gerötet war, lachte vergnügt. »Nur – momentan wär mir ein großer Krug mit unserm guten Burghausener Bier weit lieber, als das netteste Mädel!« Und er lupfte ein wenig den blauen, silberbordierten Reithut, um sich mit der langen Spitzenmanschette seines Ärmels die Stirne zu trocknen.
Kersaint ritt noch ein paar Schritte schweigend neben ihm. »Wer die Dame wohl gewesen sein mag?« sagte er dann, halb wie zu sich selber.
Benno Pranck lachte wieder. »Wie soll ich denn das wissen?« fragte er zurück, »wo wir doch heute zum erstenmal den Fuß in diese Stadt gesetzt haben? – Es waren zwei allerliebste Dinger – ich hab mir auch die andere angeschaut, die im blauen Seidenkleid war ebenfalls nicht übel. Aber die Rosenrote – alle Achtung!« Und in einem plötzlichen Einfall: »Zu solchen Leuten ins Quartier zu kommen, die so was Sauberes im Haus haben – das sollt einem halt glücken!«
Maurice Kersaint wandte sich zurück. Ein paar kurze Befehlsworte in französischer Sprache – und ein Diener in Livree, der unter den Letzten des Zuges war, lauter Dienerschaft, die ihren Herren mit Gepäck nachfolgte, kam eilends herbeigelaufen. Der Vicomte wies auf das Haus, vor dem er Romana die Rosen zu Füßen gelegt hatte: »Erkundige dich genau, wem dies Haus gehört und wer die beiden jungen Damen sind, die drin wohnen,« sagte er leise. »Ich will es heute noch wissen.«
Der Diener verneigte sich beflissen und trennte sich von den andern Dienstleuten, die nun ihren Herren nachgingen. Schon war es wieder still in den Gassen der Altstadt – die Schaulustigen hatten sich verlaufen. Schweigend ritt Maurice Kersaint an Benno Prancks Seite die schmale Straße hinauf, die zum Schloß führte.
*
Droben rastete der Kurfürst in einem der geräumigen Gemächer, die man in aller Eile notdürftig für ihn instandgesetzt hatte. Karl Albrecht hatte nicht wenig über das kahlgeräumte Schloß gestaunt. Dieser Graf Weißenwolff machts gründlich! dachte er. Vor vier Tagen ist das gewesen? Da bin ich eben zu spät gekommen … Er lachte ein wenig. Nun – Schlösser lassen sich wieder einrichten. Und residieren wird er ja nicht in dem alten Kasten … Er denkt an sein schönes, kostbar eingerichtetes Schloß Nymphenburg …
Er hatte sich bequem in einen der breiten und hohen Lehnsessel gedrückt. Aber gleich richtete er sich wieder stramm auf: Herren wurden gemeldet – der erste Verordnete des Herrenstandes Graf Thürheim und Abt Alexander Fixlmüller von Kremsmünster.
Karl Albrecht beschloß liebenswürdig zu sein. Er konnte es in gewinnender Weise – wenn er es wollte. Er will hier Fuß fassen in seinen neuen Provinzen. Der landsässige Adel und die hohen Prälaten sind sicher zu gewinnen …
Der Graf und der Abt – beide hatten sich lange vor der Ankunft des Kurfürsten miteinander beredet. So sehr beide in ihren Herzen auf endlichen Sieg ihrer Königin hofften, so gern sie dazu beigetragen hätten – vorderhand war nichts zu machen und mit dem Kopf konnte man nicht durch die Wand … Aber man konnte der schlimmen Sache die beste Seite abgewinnen – für das Land und seine Bewohner. Und für die alten, oft verbrieften Rechte und Privilegien der Stände …
Karl Albrecht empfing seine neuen Vasallen mit würdiger Freundlichkeit, mit einem liebenswürdigen Lächeln, das noch liebenswürdiger wurde, als sich Graf Thürheim zum Kusse über seine Hand beugte. Und als dieser immerhin peinliche Moment vorüber war, und der Abt dem Kurfürsten den Segen des heiligen Benedikt entboten hatte, begann der Kurfürst die Unterredung damit, daß er seiner großen Freude Ausdruck gab, durch sein gutes Recht – er betonte diese Worte bedeutsam – in den Besitz eines so prächtigen Landes gekommen zu sein, dessen Hauptstadt gewiß allezeit an ihm einen wohlwollenden Herrn und Beschützer finden werde.
Graf Thürheim setzte zu einer wohlvorbereiteten Rede an. Er empfahl das Land dem Schutze des Kurfürsten, indem er auf die ruhige und bescheidene Bevölkerung hinwies, die nichts mehr wünsche, als mit dem neuen Regiment in gutem Auskommen und freundlichem Frieden zu leben. Zustimmend neigte der Kurfürst das Haupt.
»Ich versehe mich von Ihnen, meine Herren, alles Guten –« sagte er, »und auch ich bin Ihnen wohlgeneigt. Bitte, sagen Sie den Bürgern dieser Stadt, daß ich von ihnen erwarte, daß sie die unvermeidlichen Lasten einer Einquartierung – die übrigens von unserer Seite aus nur mit größter Rücksicht auferlegt werden soll – mit gutem Willen übernehmen mögen. Übrigens werden wir in Linz nicht mehr Truppen belassen, als unumgänglich nötig ist. Es werden zwar in den nächsten Tagen zu Schiffe noch Truppen kommen – die werden aber zum größten Teile weiterbefördert und im Lande verteilt werden …« Er machte eine kleine Pause, dann, verbindlich lächelnd an den Grafen gewandt: »Und damit Sie sehen, daß ich Ihr wohlgeneigter Herr bin: haben Sie irgend einen besonderen Wunsch – nicht auf lange Sicht, o nein – gerade irgend etwas, das Ihnen heute schon am Herzen liegt – so sprechen Sie ungescheut!«
Der Graf und der Abt sahen sich an. Ja – da war wohl etwas, wenn der Kurfürst das bewilligen wollte: das würde ihm gleich eine gewisse Beruhigung unter der Bürgerschaft und den Herren verschaffen: die Besetzung des Landhauses durch bayrische Truppen …
Thürheim trug dem Kurfürsten diese Bitte vor: die Wachposten im Landhaus mögen eingezogen werden – und dieser Dienst an ihrer Stelle von den nach altem Herkommen dazu bestimmten Türstehern besorgt werden dürfen.
»Bewilligt!« sagte gnädig Karl Albrecht. Und dann, zum Abt gewendet: »Ich würde mich sehr freuen, Ihr herrliches Kloster, dessen Ruhm auch zu mir gedrungen ist, einmal persönlich besuchen zu können. Doppelt, weil es ja einer meiner Vorgänger aus Bayerns Thron gewesen ist, der es gegründet …«
Der Abt begann nun allerlei vom Herzog Tassilo zu erzählen, von den reichen Stiftungen, die er dem Münster an der Krems gemacht und von den kostbaren Andenken, die man noch an ihn bewahre: dem Kelch und anderen Dingen … Karl Albrecht war ein Freund der Wissenschaften und Künste – aber für heute war er müde. Er fühlte es plötzlich so sehr, daß er mit einem gnädigen Handwink die Audienz abbrach.
»Wir sprechen über all dies noch öfter, meine Herren!« sagte er. »In den nächsten Tagen werden Ihnen meine weiteren Befehle zugehen. Ich möchte sehr bald Ihre Huldigung entgegennehmen.«
Und damit waren die Herren entlassen. –
Zufrieden mit dem Erreichten stiegen sie wieder hinab in die Stadt. Es dämmerte schon leicht, kühl ging die Luft und über der Donau stiegen ganz leicht und fein die ersten Nebel herauf …