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Geboren um 1445 zu Florenz, gestorben am 17. Mai 1510 daselbst
In der Zeit des älteren Lorenzo Magnifico de' Medici, die für Menschen von Geist wirklich ein goldenes Zeitalter gewesen ist, lebte Alessandro, nach allgemeinem Brauch Sandro di Botticelli genannt.Sein voller Name ist Sandro di Mariano di Vanni Filipepi. Sein Vater Mariano Filipepi, ein florentinischer Bürger, erzog ihn mit Sorgfalt und ließ ihn in allen Dingen unterrichten, die man Kinder lernen läßt, ehe sie zu einem Berufe bestimmt werden. Obwohl nun der Knabe alles, was er wollte, leicht begriff, war er doch stets unzufrieden und fand an keinem Unterricht Gefallen, weder am Lesen noch am Schreiben oder am Rechnen, so daß der Vater, ungeduldig über den absonderlichen Sinn, ihn aus Verzweiflung für das Goldarbeiterhandwerk bestimmte und ihn zu seinem Paten Botticello, einem ziemlich guten Meister dieser Zunft, gab.
In jener Zeit herrschten gute Beziehungen, ja ein beständiger Verkehr zwischen Goldarbeitern und Malern. Sandro, der viel Geschick besaß und sich ausschließlich mit Zeichnen beschäftigte, wurde durch jenen Umgang von Liebe zur Malerei erfüllt und faßte den Entschluß, sich ihr ganz zu widmen. Er bekannte seinem Vater freimütig dieses Verlangen und wurde zu dem damals trefflichen Meister, dem Karmelitermönch Fra Filippo, in die Lehre gegeben, wie es Sandro selbst gewünscht hatte. Von dieser Zeit an widmete er sich ganz dem Berufe und ahmte seinen Meister sehr getreu nach. Dieser faßte deshalb eine große Liebe zu ihm, unterrichtete ihn mit aller Sorgfalt und brachte ihn bald dahin, daß er eine Stufe in der Kunst erreichte, die ihm niemand zugetraut hätte.
Im Handelsgericht von Florenz, zwischen den Tafeln, auf denen Antonio und Piero Pollaiuolo einige Tugenden dargestellt hatten, malte Sandro in früher Jugend eine Figur der StärkeIn den Uffizien in Florenz. und in Santo Spirito in Florenz eine Tafel für die Kapelle der Bardi. Er führte sie mit Sorgfalt gut zu Ende und brachte dabei einige Ölbäume und Palmen an, die ausgezeichnet gearbeitet sind.Die thronende Madonna mit zwei Heiligen, bisher im Kaiser-Friedrich-Museum zu Berlin. Eine andere Tafel verfertigte er für die Nonnen der Konvertiten und eine für die Nonnen von Santa Barnaba.Thronende Madonna mit sechs Heiligen in den Uffizien in Florenz. Im Querschiff der Kirche von Ognissanti neben der Tür, die nach dem Chor führt, wurde im Auftrag der Vespucci ein heiliger Augustin in Fresko von ihm gemalt. Dabei strengte er sich nach Kräften an, um alle Meister seiner Zeit, besonders den Domenico Ghirlandaio zu übertreffen, der auf der gegenüberliegenden Seite den heiligen Hieronymus dargestellt hatte. Seine Arbeit erwarb ihm großes Lob; man erkennt in dem Angesicht des heiligen Augustin das tiefe Nachdenken und den feinen Scharfsinn, der Menschen eigen ist, die immer der Erkenntnis hoher und schwieriger Dinge nachforschen. Sandro kam dadurch in Ruf und erhielt Auftrag, für die Werkmeisterschaft von Porta Santa Maria eine Tafel in San Marco zu malen, eine Krönung der Madonna und einen Engelchor.Der Eligiusaltar in den Uffizien. Das alles wurde von ihm sehr gut gezeichnet und ausgeführt. Im Hause der Medici übernahm er viele Arbeiten für den älteren Lorenzo, darunter eine Pallas in Lebensgröße auf einem Schild von Baumästen, die in Flammen stehen, und einen heiligen Sebastian.Die Pallas ist verloren. Der heilige Sebastian bisher im Kaiser-Friedrich-Museum in Berlin. In Santa Maria Maggiore zu Florenz sieht man von seiner Hand eine sehr schöne Beweinung Christi mit kleinen Figuren. In den Häusern der Stadt malte er verschiedene Rundbilder und eine größere Anzahl nackter weiblicher Gestalten, von denen sich noch heute zu Castello, der Villa des Herzogs Cosimo, zwei Bilder befinden: das eine die Geburt der Venus und die Lüfte und Winde, die sie im Geleit der Liebesgötter der Erde zuführen; das andere Venus, von den Grazien mit Blumen bekränzt, die den Frühling verkünden – alles sehr anmutig dargestellt.Beide Bilder in den Uffizien. Im Hause des Giovanni Vespucci wurden in einem Zimmer, in der Wandverkleidung von Nußholzrahmen eingeschlossen, viele Tafeln mit einer Menge schöner und sehr lebendiger Gestalten von ihm gemalt; im Hause der Pucci stellte er in kleinen Figuren Boccaccios Novelle von Nastagio degli Onesti in vier sehr anmutigen und schönen Bildern darEs lag der Text der 8. Novelle des 5. Tages aus dem Decamerone zugrunde. und in einem Rundbild die Anbetung der Könige.Jetzt in der National Gallery in London. Bei den Mönchen von Cestello malte er für eine der Kapellen eine Tafel mit der VerkündigungIn den Uffizien. und in San Pietro Maggiore neben der Seitentür eine andere mit einer unendlichen Zahl von Figuren. Diese wurde im Auftrag von Matteo Palmieri gearbeitet und stellt die Himmelfahrt der Madonna mit den verschiedenen Himmelszonen dar. Sandro malte dies Werk mit Meisterschaft und höchster Sorgfalt und zeichnete unten kniend den Matteo und seine Frau nach dem Leben. Diese Arbeit, so schön, daß sie jede Mißgunst hätte besiegen sollen, gab aber einigen Neidern und Verleumdern Anlaß zu Kritteleien, und da sie sonst nichts daran finden konnten, behaupteten sie, Matteo und Sandro hätten sich dabei arger Ketzerei schuldig gemacht. Ob dies wahr ist oder nicht, darüber erwarte niemand von mir ein Urteil; es genügt, daß Sandro wirklich Lob verdient wegen der Figuren, die er darin darstellte und wegen des Fleißes, den er dafür aufwandte.Jetzt in der National Gallery in London.
Sandro erhielt in jener Zeit den Auftrag, eine kleine Tafel zu malen, die zwischen den zwei Türen an der Vorderseite von Santa Maria Novella aufgestellt wurde. Sie enthält die Anbetung der Weisen aus dem Morgenland. Man sieht darin sehr viel Gemütsbewegung bei dem ältesten König, der voll Andacht und Zärtlichkeit den Fuß des Heilandes küßt und von Freude erfüllt ist, das Ziel seiner langen Reise gefunden zu haben. In dieser Gestalt ist Cosimo der Ältere dargestellt: von allen Bildnissen, die es von ihm gibt, das treueste und lebendigste. Der zweite König weiht in Demut dem heiligen Kinde Verehrung und reicht ihm seine Gaben dar. Dies ist Giuliano de' Medici, der Vater des Papstes Clemens VII. In dem dritten ist Cosimos Sohn Giovanni abgebildet; auch er kniet vor dem Kinde, scheint ihm anbetend Dank zu zollen und es als den wahren Messias zu begrüßen. Es läßt sich nicht schildern, welche Schönheit Sandro den Köpfen dieses Bildes verlieh. Es ist bewundernswert in Zeichnung, Malerei und Zusammenstellung und so schön, daß es noch heute jeden Künstler in Staunen versetzt und seinem Verfertiger damals in Florenz wie an anderen Orten einen großen Namen erwarb.Jetzt in den Uffizien.
Als daher Papst Sixtus die Kapelle in seinem Palast zu Rom erbaut hatte und sie mit Malereien geschmückt sehen wollte, ernannte er Sandro zum obersten Aufseher über diese Arbeiten. Er malte dort mehrere Bilder: eins, wie Christus vom Teufel versucht wird, ein anderes, wie Moses den Ägypter tötet und von den Töchtern Jethros in Midian zu trinken bekommt, endlich wie Feuer vom Himmel fällt, als die Söhne Aarons opfern wollen. In den Nischen über diesen Bildern stellte er einige heilige Päpste dar. Hierdurch erlangte Sandro großen Namen und Ruf vor vielen Florentinern und anderen Meistern, die mit ihm um die Wette arbeiteten. Papst Sixtus belohnte ihn durch eine bedeutende Summe Geldes, die aber Sandro während seines Aufenthaltes in Rom ganz und gar verbrauchte, wo er seiner Gewohnheit gemäß nach Laune lebte.
Sobald er seinen Auftrag beendet und die Enthüllung stattgefunden hatte, kehrte er schnell nach Florenz zurück. Dort beschäftigte er sich als ein Mann von grübelndem Verstände damit, Dantes Dichtungen teilweise zu erklären, stellte die Hölle dar und arbeitete davon einen Kupferstich, eine Beschäftigung, bei der ihm viel Zeit verlorenging, denn da er keine anderen Arbeiten vornahm, brachte sie große Unordnung in sein Leben. Er mühte sich auch sonst noch, einige seiner Zeichnungen in Kupfer zu stechen, jedoch nach einer schlechten Art, denn der Stich war nicht gut gemacht, und das Beste, das man von seiner Hand sieht, ist der Triumph des Glaubens des Fra Girolamo Savonarola aus Ferrara, dessen Sekte er dermaßen anhing, daß er das Malen ganz vernachlässigte,Savonarola predigte 1482 bis 1487 in Florenz., und weil er dadurch alles Einkommen verlor, sich in die größte Verlegenheit stürzte. Ja, indem er sich jener Partei völlig anschloß und ein sogenannter Klagebruder wurde, entfremdete er sich aller Arbeit und war im Alter so völlig verarmt, daß er fast Hungers gestorben wäre, hätte nicht Lorenzo de' Medici, für den er außer vielen anderen Dingen auch einiges im kleinen Hospital von Volterra arbeitete, ihm, solange er lebte, Unterstützung zukommen lassen. Dies wurde später von seinen Freunden und wohlhabenden Leuten, die seine Kunst verehrten, fortgesetzt.
Sandro hatte in San Francesco vor dem Tore von San Miniato ein schönes Rundbild gemalt: die Madonna, umgeben von mehreren Engeln in Lebensgröße.Jetzt in den Uffizien. Diesem Werk sehr ähnlich verfertigte Biagio: einer seiner Schüler, ein rundes Bild und wollte es gern verkaufen. Sandro, der dieses wußte, verkaufte es an einen Bürger für den Preis von sechs Goldgulden. Und da er von Natur fröhlich war und mit seinen Schülern und Freunden gern scherzte, sagte er zu Biagio: »Endlich habe ich doch dein Bild verkauft, wir müssen es heute abend hoch aufhängen, weil es dadurch ein besseres Ansehen gewinnt. Morgen früh gehe ich zu dem Hause des Bürgers und hole ihn hierher, damit er dein Bild an günstigem Ort betrachte und du das Geld bekommst.« – »O Meister«, rief Biagio, »wie wohl habt Ihr getan!« – lief nach der Werkstatt, befestigte sein Bild an einer hohen Stelle und ging von dannen. Unterdessen verfertigte Sandro mit Jacopo, einem anderen seiner Schüler, acht Mützen aus Papier in der Form, wie sie die florentinischen Bürger zu tragen pflegen, und befestigte sie mit weißem Wachs auf den Häuptern der acht Engel, die in jenem Rundbild die Madonna umgaben. Der Morgen kam, mit ihm Biagio in Begleitung des Bürgers, der das Bild gekauft hatte und von dem Scherz wußte. Biagio wendete seine Augen nach oben und erblickte seine Madonna nicht mehr im Kreis der Engel thronend, sondern inmitten florentinischer Senatoren mit den seltsamen Kapuzen. Schon wollte er anfangen zu schelten und sich bei dem Käufer entschuldigen, doch er merkte, daß jener nichts erwähnte, sondern das Bild sehr lobte, und blieb deshalb still, ging dann mit dem Bürger zu dessen Wohnung zurück, erhielt die Bezahlung der sechs Gulden, wie mit seinem Meister ausgemacht worden war, und kehrte nach der Werkstatt zurück. Unterdes hatten Sandro und Jacopo die Papiermützen weggenommen, und nun erschienen ihm seine Engel wieder als Engel und nicht als bemützte Bürger. Er staunte, wußte nicht, was er vorbringen sollte und sagte endlich zu Sandro: »Meister, ich weiß nicht, ob ich träume oder wache. Als ich vorhin kam, hatten diese Engel rote Mützen auf, und jetzt ist nichts davon zu sehen. Wie geht das zu?« – »Du bist nicht recht bei Tröste, Biagi«, antwortete Sandro, »das Geld hat dir den Kopf verdreht, glaubst du, wenn dem so wäre, würde der Bürger noch dein Werk gekauft haben?« – »Daß er nichts darüber sagte«, entgegnete Biagio, »ist freilich wahr. Aber bei alledem scheint es mir doch ein seltsam Ding.« Bald standen all die anderen Malerjungen um ihn her und redeten so lange, bis er endlich selbst glaubte, es sei eine Einbildung gewesen.
Sandro wohnte einstmals neben einem Tuchweber, der acht Stühle aufgerichtet hatte. Wenn diese alle in Gang waren, entstand durch das Treten der Arbeiter und das Zurückschlagen der Aufzüge ein Geräusch, das nicht nur den armen Sandro fast taub machte, sondern auch das ganze Haus, das nicht mehr allzu fest war, in solchem Maß erschütterte, daß er aus dem einen wie aus dem anderen Grunde weder arbeiten noch es in seiner Wohnung aushalten konnte. Mehrmals bat er den Nachbar, er solle dieser Beschwerde ein Ende machen. Jener aber entgegnete, er wolle und könne in seinem Hause tun und lassen, was ihm gefalle. Hierüber aufgebracht, ließ Sandro auf seine Mauer, die höher als die des Nachbarn und nicht sehr stark gebaut war, im Gleichgewicht einen großen, mehr als eine Fuhre schweren Stein legen, der bei der schwächsten Bewegung der Mauer zu fallen und Dach, Gebälk, Weberei und Arbeiter des Nachbarn zu zerschmettern drohte. Erschreckt durch die Gefahr kam dieser eiligst zu Sandro, mußte jedoch als Antwort seine eigene Rede hören: er könne und wolle in seinem Hause tun, was ihm gefalle. Ein anderer Entscheid war nicht zu erlangen, und es blieb dem Weber nichts weiter übrig, als sich mit Sandro billig zu vergleichen und gute Nachbarschaft zu halten.
Sandro hatte eine große Liebe zu allen, die sich im Studium der Kunst eifrig zeigten. Auch verdiente er ziemlich viel Geld. Weil er jedoch schlecht wirtschaftete, ging durch seine Unachtsamkeit alles zugrunde. Endlich alt, zur Arbeit untauglich und so unbehilflich geworden, daß er an zwei Stöcken gehen mußte, starb er, nachdem er länger schon krank und elend gewesen war, und wurde 1515 in Ognissanti zu Florenz begraben.
Sandro zeichnete überaus schön und sehr viel, deshalb suchten die Künstler, die nach ihm kamen, lange Zeit sich Zeichnungen von seiner Hand zu verschaffen. In seinen Kompositionen war er reich an Gestalten, das bezeugen die Stickereien am Schmuck des Kreuzes, das die Mönche von Santa Maria Novella bei Prozessionen umhertragen und die ganz nach seiner Zeichnung gearbeitet sind. Kurz, dieser Künstler verdient großes Lob wegen aller seiner Arbeiten, die er mit Fleiß ausführte.