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Ich war schon früher einige Male in Paris gewesen und erkannte daher sogleich den Ort, wohin Ellis flog. Es war der Garten der Tuilerien, mit seinen alten Kastanienbäumen, eisernen Gittern, seinem Festungsgraben und den tierähnlichen Zuaven als Wachtposten. Wir flogen am Schloß und an der Kirche St. Roch vorbei, auf deren Stufen der erste Napoleon zum ersten Male französisches Blut vergoß, und hielten hoch über dem Boulevard des Italiens, wo der dritte Napoleon dasselbe und mit demselben Erfolg tat. Zahllose Menschen, junge und alte Gecken, Blusenmänner, Frauen in prächtigen Kleidern drängten sich auf den Trottoirs; reich mit Bronze geschmückte Restaurants und Cafés strahlten in zahllosen Lichtern; Omnibusse, Wagen jeder Art und jeden Aussehens rollten den Boulevard entlang; wohin der Blick fiel, überall war dichtes Gedränge und blendendes Licht . . . Doch seltsamerweise kam mir gar nicht der Wunsch, meine dunkle, reine, luftige Höhe zu verlassen und mich diesem menschlichen Ameisenhaufen zu nähern. Es war mir, als ob eine heiße, schwere, blutrote Dampfwolke von unten heraufstiege, halb übelriechend, halb parfümiert: gar zu viele Leben waren dort unten auf einen Fleck zusammengedrängt. Ich schwankte noch . . . Da drang aber plötzlich, schneidend wie das Klirren von Eisenstangen, die kreischende Stimme einer Straßenlorette an mein Ohr; wie eine schamlose Zunge streckte sich mir diese Stimme entgegen, sie stach mich wie der Stachel eines ekelhaften Reptils. Sogleich stellte ich mir das steinerne, derbknochige, gierige, flache Gesicht der Pariserin vor, Wucheraugen, Schminke und Puder, hochfrisiertes Haar und einen Strauß greller künstlicher Blumen unter dem spitzen Hute, sorgfältig gepflegte Nägel wie Krallen und eine häßliche Krinoline . . . Ich stellte mir auch einen von meinen Landsleuten, irgend einen Gutsbesitzer aus dem Steppengebiet vor, wie er in ungeschickten Bocksprüngen der feilen Puppe nachsteigt . . . Ich stellte mir vor, wie er, seine Konfusion durch Roheit maskierend, sich Mühe gibt, das »R« auf französische Manier auszusprechen und in jeder Weise die Garçons aus dem Restaurant Véfour zu kopieren, wie er zischelt, schwänzelt und schmeichelt – und ein Gefühl des Ekels stieg in mir auf . . . – Nein, – sagte ich mir, – hier wird Ellis wohl keine Gelegenheit finden, eifersüchtig zu sein . . .
Inzwischen merkte ich, daß wir allmählich tiefer flogen . . . Paris kam uns mit all seinem Lärm und Qualm entgegen . . .
»Halt!« wandte ich mich zu Ellis. »Wird es dir nicht zu schwül, zu übel?«
»Du hast mich ja selbst gebeten, dich hierher zu tragen.«
»Ja, ich bin schuld, ich nehme mein Wort zurück. Trage mich bitte fort von hier, Ellis! Richtig: da schlendert ja schon der Fürst Kulmametow durch den Boulevard, und sein Freund Serge Waraksin, winkt ihm mit der Hand und ruft: ›Iwan Stepanowitsch, allons souper, schnell, j'ai engagé Rigolboche in eigener Person!‹ Trage mich fort, Ellis, von diesem Mabile, diesen Maisons dorées, von den Gandins und Biches, vom Jockey-Klub und Figaro, von den glattrasierten Soldatenschädeln und den glattgetünchten Kasernen, von den Sergeants de Ville mit ihren Knebelbärten, vom trüben Absinth, von den Dominospielern in den Caféhäusern und den Spielern an der Börse, von den roten Ordensbändern im Knopfloch der Röcke und im Knopfloch der Paletots, vom Herrn de Foy, dem Erfinder der ›Spécialité de mariage‹ und von den Gratis-Konsultationen des Dr. Charles Albert, von den liberalen Vorträgen und den offiziellen Broschüren, von der Pariser Komödie und der Pariser Oper, von den Pariser Witzen und der Pariser Unbildung . . . Fort, fort, fort! . . .«
»Blicke hinab,« entgegnete Ellis, »du bist nicht mehr über Paris.«
Ich senkte den Blick . . . Es stimmte. Eine dunkle Ebene, hie und da von den weißen Linien der Landstraßen durchschnitten, flog rasch unter mir vorbei, und nur am Horizont hinter uns glänzte noch, wie die Röte einer mächtigen Feuersbrunst, der Widerschein der zahllosen Lichter der Welthauptstadt Paris.