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Drei Jahre vergingen. Diese Zeit verbrachte ich zum größten Teil in Petersburg und im Auslande; und wenn ich auch einige Male mein Landgut aufgesucht hatte, so war es doch nur für wenige Tage, so daß ich kein einziges Mal Gelegenheit hatte, nach Glinnoje oder Michailowskoje zu kommen. Auch meine Schöne sah ich nicht wieder, ebensowenig ihren Begleiter. Nach drei Jahren kam ich aber ganz zufällig mit Frau Schlykowa und ihrer Schwester, Fräulein Pelageja Badajewa, derselben Pelageja, die ich bis dahin, offen gesagt, für eine erdichtete Person gehalten hatte, in Moskau in einer Abendgesellschaft zusammen. Beide Damen waren nicht mehr jung, doch von recht angenehmem Äußeren; im Gespräch zeigten sie Geist und heiteres Temperament; sie hatten große Reisen gemacht und offenbar mit Nutzen; beide benahmen sich höchst ungezwungen und schienen lustig. Doch keine von ihnen erinnerte auch im entferntesten an jene Unbekannte. Ich wurde ihnen vorgestellt. Ich kam mit Frau Schlykowa ins Gespräch (ihre Schwester unterhielt sich gerade mit einem zugereisten Geologen). Ich erklärte ihr, daß ich das Vergnügen hätte, ihr Gutsnachbar im N-schen Kreise zu sein.
»Wirklich? Ich besitze dort tatsächlich ein kleines Gut,« erwiderte sie, »in der Nähe von Glinnoje.«
»Gewiß, gewiß,« entgegnete ich, »ich kenne Ihr Michailowskoje. Kommen Sie manchmal hin?«
»Ich? Sehr selten.«
»Waren Sie nicht vor drei Jahren dort?«
»Ich muß mich erst besinnen . . . Ich glaube, ja. Richtig, ich war wirklich da.«
»Allein oder mit Ihrer Fräulein Schwester?«
Sie sah mich an.
»Mit meiner Schwester. Wir blieben acht Tage dort. Wir hatten geschäftlich zu tun. Sind übrigens mit keinem Menschen zusammengekommen.«
»Hm . . . Ich glaube, daß es dort nicht viel Gutsnachbaren gibt, mit denen man verkehren kann.«
»Nein, nicht viel. Auch macht mir solcher Verkehr wenig Spaß.«
»Sagen Sie doch,« sagte ich, »ich glaube, daß dort im gleichen Jahr ein Unglück passiert ist. Lukjanytsch . . .«
Frau Schlykowa traten Tränen in die Augen.
»Haben Sie ihn gekannt?« fragte sie mich mit großem Interesse. »Dieses Unglück! Er war ein so schöner, guter Greis . . . Und denken Sie sich: ohne jede Ursache . . .«
»Ja, ja,« murmelte ich, »wirklich schrecklich . . .«
Die Schwester der Frau Schlykowa trat zu uns heran. Sie war wohl der gelehrten Erörterungen des Geologen über die Formation der Wolgaufer überdrüssig geworden.
»Denke dir nur, Pauline,« sagte Frau Schlykowa, »der Herr hat unsern Lukjanytsch gekannt!«
»Wirklich? Der arme Alte!«
»Ich bin öfters in der Gegend von Michailowskoje zur Jagd gewesen, und gerade um die Zeit, als Sie dort waren, also vor drei Jahren,« bemerkte ich wie nebenbei.
»Ich?« entgegnete Pelageja etwas verlegen.
»Nun ja, natürlich!« fiel ihr die Schwester ins Wort. »Weißt du es nicht mehr?«
Sie blickte ihr scharf in die Augen.
»Ach ja, gewiß!« antwortete plötzlich Pelageja.
– He he, – sagte ich mir – ich glaube kaum, daß du damals in Michailowskoje gewesen bist, meine Liebe! –
»Wollen Sie uns nicht etwas vorsingen, Pelageja Fjodorowna?« sagte plötzlich ein schlanker junger Mann mit blondem Lockenkopf und trüben süßlichen Augen.
»Ich weiß wirklich nicht,« erwiderte Fräulein Badajewa.
»Sie singen?« rief ich lebhaft aus und erhob mich von meinem Platze. »Um des Himmels Willen . . . singen Sie uns etwas vor.«
»Was soll ich denn singen?«
»Kennen Sie vielleicht,« sagte ich, indem ich mir Mühe gab, möglichst gleichgültig und unbefangen zu erscheinen, »kennen Sie vielleicht ein italienisches Lied, das mit den Worten beginnt: Passa quei' colli?«
»Ich kenne es,« antwortete Pelageja ganz unschuldig. »Wollen Sie, daß ich es Ihnen vorsinge? Mit Vergnügen.«
Sie ging ans Klavier. Ich bohrte meinen Blick durchdringend wie Hamlet in Frau Schlykowa. Es schien mir, daß sie beim ersten Ton des Liedes etwas zusammenfuhr; sie hörte übrigens das Lied bis zum Ende ruhig an. Fräulein Badajewa sang recht nett. Als das Lied zu Ende war, erscholl das übliche Händeklatschen. Man bat sie, sie möchte noch etwas singen; doch beide Schwestern verständigten sich mit einem stummen Blick und brachen auf. Als sie das Zimmer verließen, glaubte ich das Wort »importun« zu hören.
»Ganz recht!« sagte ich mir. Ich bin mit ihnen nie wieder zusammengekommen.
Es verging noch ein Jahr. Ich war inzwischen nach Petersburg gezogen. Im Winter begannen die Maskenballe. Als ich eines Abends gegen elf Uhr das Haus eines Freundes verließ, überkam mich plötzlich eine ungemein düstere Stimmung, und ich beschloß, um mich zu zerstreuen, den Maskenball im Adelsklub aufzusuchen. Lange irrte ich zwischen den Säulen und den Spiegeln herum, mit jenem bescheidenen und zugleich vielsagenden Gesichtsausdruck, den, wie ich bemerkt habe, ich weiß nicht warum, bei ähnlichen Gelegenheiten selbst die anständigsten Menschen annehmen. Lange irrte ich so herum, fertigte ab und zu mit einem Scherz manchen zudringlichen Domino in zweifelhaften Spitzen und nicht ganz sauberen Handschuhen ab, der mich mit kreischender Stimme anrief und sprach noch seltener selbst einen solchen an; lange ließ ich das Heulen der Blasinstrumente und das Winseln der Geigen über mich ergehen. Schließlich hatte ich diese Langeweile satt, ich bekam Kopfschmerzen und beschloß, nach Hause zu fahren; und doch . . . und doch blieb ich noch da. Mir war eine Frau in schwarzem Domino aufgefallen, die an eine Säule gelehnt stand. Ich ging sofort auf sie zu, blieb vor ihr stehen und . . . werden es mir meine Leser glauben wollen? . . . ich erkannte in ihr meine Unbekannte. Woran ich sie erkannte: ob am Blick, den sie mir zerstreut durch die länglichen Schlitze in der Maske zuwarf, oder an der herrlichen Form ihrer Schultern und Arme, an ihrer ganzen ungewöhnlich majestätischen Erscheinung, oder sagte es mir plötzlich eine innere Stimme, – ich weiß es nicht; jedenfalls hatte ich sie erkannt. Ich ging einige Male mit bebendem Herzen an ihr vorüber. Sie rührte sich nicht. Ihre ganze Haltung drückte ungewöhnliche, hoffnungslose Trauer aus, und ich mußte unwillkürlich an die Worte einer spanischen Romanze denken:
Soy un cadro de tristeza,
Arrimado a la pared . . .
Bin ein trauriges Gemälde
Angelehnt an eine Wand . . .
Ich trat hinter die Säule, an der sie lehnte, beugte mich zu ihrem Ohr und raunte ihr zu:
»Passa quei' colli . . .«
Sie erbebte am ganzen Körper und wandte sich rasch nach mir um. Unsere Augen kamen einander so nahe, daß ich deutlich erkennen konnte, wie sich ihre Pupillen vor Angst erweiterten. Sie blickte mich ganz bestürzt an, die eine Hand etwas vorgestreckt.
»Am 6. Mai 184* in Sorrent, um zehn Uhr abends, in der Straße della Croce,« sagte ich langsam, ohne die Augen von ihr zu wenden, »dann in Rußland, im N'schen Gouvernement, im Dorfe Michailowskoje, am 22. Juli 184* . . .«
Ich sagte das alles französisch. Sie rückte von mir weg, und maß mich von Kopf bis zu den Füßen mit einem erstaunten Blick. Dann flüsterte sie mir zu: »venez! . . .« und ging mit raschen Schritten aus dem Saal; ich folgte ihr.
Wir gingen schweigend. Ich kann gar nicht wiedergeben, was ich empfand, als ich so an ihrer Seite ging. Es war mir, als ob ein herrliches Traumbild plötzlich zur Wirklichkeit geworden wäre, als ob die Statue der Galathea zum erstaunten Pygmalion als lebende Frau vom Sockel herabgestiegen wäre. Ich traute meinen Augen nicht und wagte kaum zu atmen.
Wir gingen durch einige Zimmer . . . Schließlich blieb sie in einem der Räume stehen und setzte sich auf einen kleinen Divan vor ein Fenster. Ich setzte mich an ihre Seite.
Sie wandte mir langsam ihr Gesicht zu und betrachtete mich eine Weile mit aufmerksamen Blicken.
»Kommen Sie . . . von ihm?« fragte sie schließlich.
Ihre Stimme klang schwach und unsicher . . .
Diese Frage machte mich etwas verlegen.
»Nein . . . nicht von ihm,« antwortete ich stotternd.
»Kennen Sie ihn?«
»Ja, ich kenne ihn,« antwortete ich mit geheimnisvoller und wichtiger Miene. Ich wollte meine Rolle zu Ende spielen. »Ich kenne ihn.«
Sie sah mich mißtrauisch an, wollte mir wohl etwas sagen, sagte aber nichts und blickte zu Boden.
»Sie haben ihn in Sorrent erwartet,« fuhr ich fort. »Sie waren mit ihm in Michailowskoje zusammengekommen, sind dort mit ihm einmal ausgeritten . . .«
»Wie konnten Sie . . .« fing sie an.
»Ich weiß alles, alles,« unterbrach ich sie.
»Ihr Gesicht kommt mir etwas bekannt vor,« fuhr sie fort, »doch nein . . .«
»Nein, Sie kennen mich nicht.«
»Was wollen Sie also von mir?«
»Ich weiß alles,« wiederholte ich.
Ich wußte sehr wohl, daß ich den guten Anfang hätte besser ausnützen und im gleichen Sinne fortfahren sollen, daß meine Wiederholungen »Ich weiß alles« auf die Dauer lächerlich wirkten; meine Aufregung war aber so groß, die unerwartete Begegnung hatte mich so verwirrt, daß ich gar nicht wußte, was ich ihr noch weiter sagen sollte. Außerdem wußte ich auch in der Tat nichts mehr. Ich fühlte, daß ich vor ihr auf einmal ganz dumm dastand und daß ich aus dem geheimnisvollen allwissenden Wesen, als welches ich ursprünglich erscheinen mußte, mich allmählich in einen blöde lächelnden Idioten verwandelte; konnte aber nichts mehr dagegen tun.
»Ja, ich weiß alles,« sagte ich noch einmal.
Sie sah mich an, stand schnell auf und wollte fort.
Das war aber zu grausam. Ich ergriff sie bei der Hand.
»Um Gotteswillen,« begann ich, »setzen Sie sich und hören Sie mich an . . .«
Sie dachte eine Weile nach und setzte sich schließlich wieder auf den Divan.
»Ich habe Ihnen soeben gesagt,« fuhr ich, mich ereifernd, fort, »daß ich alles weiß; das ist Unsinn. Ich weiß nichts, absolut nichts. Weder wer Sie sind, noch wer er ist; und wenn Sie sich über die Worte wundern, die ich Ihnen vorhin bei der Säule zugeraunt habe, so schreiben Sie doch alles einem Zufall zu, einem merkwürdigen, unbegreiflichen Zufall, der mich zweimal wie zum Scherz Ihnen in den Weg geführt und zu einem unfreiwilligen Zeugen von Dingen gemacht hat, die Sie vielleicht geheim halten wollen . . .«
Und ich erzählte ihr, ohne irgend etwas zu verheimlichen, alles: von meinen Begegnungen mit ihr in Sorrent und in Rußland, von meinen erfolglosen Nachforschungen in Michailowskoje und selbst von meinem Gespräch mit Frau Schlykowa und deren Schwester zu Moskau.
»Jetzt wissen Sie alles,« fuhr ich fort, als ich mit dem Bericht fertig war. »Ich will Ihnen gar nicht sagen, welch einen tiefen und erschütternden Eindruck Sie auf mich gemacht haben: Sie zu sehen und von Ihnen nicht bezaubert zu werden, ist ganz unmöglich . . . Andererseits brauche ich gar nicht zu sagen, welcher Art dieser Eindruck war. Besinnen Sie sich doch nur, unter welchen Verhältnissen ich Sie beide Male sah . . . Glauben Sie mir, ich gebe mich nicht gerne wahnsinnigen Hoffnungen hin, begreifen Sie aber jene ungewöhnliche Erregung, die sich meiner heute abend bemächtigt hat, und entschuldigen Sie mir die plumpe List, die ich anwandte, um Ihre Aufmerksamkeit, wenn auch nur für einen kurzen Augenblick, auf mich zu lenken . . .«
Sie hörte meinen verworrenen Erklärungen mit gesenktem Kopfe zu.
»Was wollen Sie also von mir?« fragte sie schließlich.
»Ich? . . . Ich will nichts . . . Ich bin ohnehin glücklich . . . Ich respektiere fremde Geheimnisse.«
»Wirklich? Bisher hatte ich eigentlich den Eindruck . . . Ich will Ihnen, übrigens, keine Vorwürfe machen. An Ihrer Stelle würde wohl ein jeder so gehandelt haben. Auch hat uns das Schicksal gar zu beharrlich unter so ungewöhnlichen Umständen einander zugeführt . . . Das gibt Ihnen vielleicht ein gewisses Anrecht auf meine Offenherzigkeit. Hören Sie also: ich gehöre nicht zu jenen unverstandenen und unglücklichen Frauen, die auf Maskenbälle gehen, um mit dem ersten Besten von ihren Leiden zu reden und nach mitfühlenden Seelen zu suchen . . . Ich brauche keines Menschen Mitgefühl; mein Herz ist längst tot, und ich bin hergekommen, um es endgültig zu begraben.«
Sie führte ihr Taschentuch an die Lippen.
»Ich hoffe,« fuhr sie mit einiger Überwindung fort, »daß Sie meine Worte nicht als gewöhnliche Maskenballergüsse auffassen. Sie müssen einsehen, daß es mir ganz anders zumute ist . . .«
Und wirklich glaubte ich in ihrer Stimme, wie angenehm und einschmeichelnd sie auch klang, etwas Unheimliches zu hören.
»Ich bin Russin,« fuhr sie russisch fort; bisher hatte sie französisch gesprochen, »obwohl ich in Rußland wenig gelebt habe . . . Meinen Namen brauchen Sie nicht zu wissen . . . Anna Fjodorowna ist meine alte Freundin; ich war wirklich einmal in Michailowskoje unter dem Namen ihrer Schwester . . . Damals durfte ich mit ihm noch nicht öffentlich zusammenkommen . . . Es waren auch ohnehin Gerüchte über uns im Umlauf . . . es gab noch verschiedene Hindernisse, er war noch nicht frei . . . Diese Hindernisse sind nun beseitigt . . . Da hat aber er, dessen Namen ich hätte tragen sollen, mit dem Sie mich gesehen haben, mich verlassen.«
Sie ließ hoffnungslos die Arme sinken und schwieg eine Weile . . . Dann fragte sie mich:
»Kennen Sie ihn wirklich nicht? Ist er Ihnen nie begegnet?«
»Wirklich nie.«
»Er hat sich fast immer im Ausland aufgehalten. Jetzt ist er übrigens hier . . . Das ist meine ganze Geschichte,« setzte sie hinzu. »Wie Sie sehen, ist an ihr nichts Geheimnisvolles, nichts Außergewöhnliches.«
»Und Sorrent?« wandte ich schüchtern ein.
»Ich hatte ihn in Sorrent kennen gelernt,« antwortete sie langsam und wurde wieder nachdenklich.
Wir schwiegen beide. Eine seltsame Unruhe bemächtigte sich meiner. Ich saß an ihrer Seite, an der Seite jener Frau, deren Bild so oft meine Gedanken beherrscht und mich so schmerzvoll bewegt und erregt hatte, – ich saß an ihrer Seite, doch mein Herz blieb kühl, beklommen. Ich wußte, daß dieses Gespräch zu nichts führen würde, daß zwischen mir und ihr ein unüberbrückbarer Abgrund lag, daß wir uns nach dieser Begegnung nie wieder sehen würden. Den Kopf etwas vorgebeugt, beide Hände nachlässig auf die Knie gesenkt, saß sie gleichgültig da. Ich kenne nur zu gut diese nachlässige Gebärde des unheilbaren Schmerzes, diese Gleichgültigkeit des nicht wieder gutzumachenden Unglücks! Maskierte Paare zogen an uns vorbei; die Töne eines ›eintönigen und wahnsinnigen‹ Walzers klangen bald leise wie aus der Ferne und bald dröhnend in unsere Ohren; die lustige Ballmusik machte auf mich einen traurigen, schweren Eindruck. Ist denn diese Frau – dachte ich – die gleiche, die mir einst am Fenster jenes fernen Landhauses im Glanze ihrer sieghaften Schönheit erschienen war? . . . – Und doch schien sie von der Zeit unberührt. Der untere Teil ihres Gesichts, den die Spitzen der Maske offen ließen, war zart wie bei einem Kinde; ihr entströmte aber ein Hauch von Kälte wie einer Statue . . . Galathea war auf ihr Postament zurückgekehrt und durfte es nie wieder verlassen.
Plötzlich richtete sie sich auf, sah ins andere Zimmer und erhob sich.
»Geben Sie mir den Arm,« sagte sie mir, »kommen Sie schnell . . .«
Wir kehrten in den Saal zurück. Sie ging so schnell, daß ich ihr nur mit Mühe folgen konnte. Vor einer Säule blieb sie stehen.
»Warten wir hier eine Weile,« flüsterte sie mir zu.
»Suchen Sie jemand? . . .«
Sie achtete aber nicht mehr auf mich und richtete ihren starren Blick mitten in die Menge. Ihre großen schwarzen Augen blickten verträumt und zugleich drohend durch die Schlitze im schwarzen Samt.
Auch ich blickte in der gleichen Richtung, und sofort wurde mir alles klar. Im schmalen Gange zwischen den Säulen und der Wand ging er, der Mann, den ich mit ihr im Walde gesehen hatte. Ich erkannte ihn sofort: er hatte sich gar nicht verändert. Sein blonder Schnurrbart war noch ebenso schön, und in seinen braunen Augen leuchtete noch immer die gleiche selbstbewußte und ruhige Heiterkeit. Er ging nicht schnell, wiegte sich in den Hüften und erzählte etwas einer Dame im Domino, die er am Arme führte. Als er an uns vorüberging, hob er plötzlich den Kopf und blickte zuerst auf mich und dann auf sie, mit der ich stand; offenbar erkannte er sofort ihre Augen, denn plötzlich zuckten seine Brauen; er kniff seine Augen zusammen, und über seine Lippen huschte ein kaum wahrnehmbares, doch ungemein freches Lächeln. Er neigte sich zu seiner Dame und flüsterte ihr etwas ins Ohr; sie wandte sich sofort um, und ihre blauen Augen streiften uns mit einem schnellen Blick; dann kicherte sie leise und drohte ihrem Begleiter mit ihrem kleinen Händchen. Er zuckte leicht die Achseln, und sie schmiegte sich kokett an ihn . . .
Ich wandte mich zu meiner Unbekannten. Sie blickte dem sich entfernenden Paare nach; plötzlich riß sie ihren Arm aus dem meinen los und stürzte zur Türe. Ich wollte ihr nacheilen, sie drehte sich aber um und warf mir einen solchen Blick zu, daß ich stehen blieb und mich tief vor ihr verbeugte. Ich begriff, daß es roh und dumm gewesen wäre, sie weiter zu verfolgen.
»Sag' mir doch, mein Lieber,« fragte ich nach einer Viertelstunde einen meiner Bekannten, ein lebendiges Adreßbuch von Petersburg, »wer ist jener schlanke, hübsche Herr mit dem blonden Schnurrbart?«
»Dieser? . . . Irgend ein Ausländer, ein ziemlich rätselhaftes Individuum, das sich sehr selten an unserem Horizont zeigt. Warum interessiert er dich?«
»Ich habe nur so gefragt . . .«
Ich kehrte nach Hause zurück. Seitdem sah ich sie nie wieder. Wenn ich den Namen des Mannes, den sie geliebt hatte, wüßte, so könnte ich wohl auch leicht herausbringen, wer sie war; ich wollte es aber nicht tun. Ich habe vorhin gesagt, daß diese Frau mir wie ein Traumbild erschienen war; so zog sie auch wie ein Traumbild vorüber und verschwand auf Nimmerwiedersehn.