Graf Alexei N. Tolstoi
Aëlita
Graf Alexei N. Tolstoi

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Liebeszauber

Lossj setzte sich hinter Aëlita. Der Mechaniker, ein rothäutiger Junge, hob das Luftboot mit einem sanften Stoß in den Himmel.

Kalter Wind schlug ihnen entgegen. Der schneeweiße Pelz Aëlitas war ganz von erfrischender Höhenkälte durchtränkt. Aëlita wandte sich zu Lossj um, ihre Wangen glühten.

»Ich sah meinen Vater. Er befahl mir, dich und deinen Genossen zu töten.« Ihre Zähne glänzten. Sie öffnete ihre kleine Faust. An einem Fingerringe hing an einem Kettchen ein kleines steinernes Flakon. »Vater hat gesagt: sie sollen ruhig sterben, sie haben einen glücklichen Tod verdient.«

Die grauen Augen Aëlitas schimmerten feucht. Aber sie lachte gleich auf und zog den Ring vom Finger. Lossj ergriff ihre Hand und sagte: »Wirf ihn nicht fort.« Er nahm ihr das Flakon aus der Hand und steckte es sich in die Tasche. »Das ist dein Geschenk, Aëlita: der dunkle Tropfen ist Ruhe und Schlaf. Jetzt bist du das Leben und der Tod.« Er beugte sich vor, bis er ihren Atem fühlte. »Wenn die schreckliche Stunde der Einsamkeit schlägt, werde ich dich in diesem Tropfen wieder fühlen.«

Aëlita strengte sich an, um seine Worte zu begreifen. Sie schloß die Augen und lehnte sich mit dem Rücken an Lossj. Nein, sie kann es nicht begreifen. Der rauschende Wind, die heiße Brust, Lossj in ihrem Rücken, seine Hand auf ihrer in weißen Pelz gehüllten Schulter – ihr Blut schien im gleichen Kreislaufe zu pulsen –, im gleichen Entzücken, als ein einziger Körper fliegen sie in eine strahlende, uralte Erinnerung. Nein, sie kann es nicht begreifen!

So verging eine Minute, vielleicht etwas mehr. Das Flugboot befand sich direkt über dem Landhause Tuskubs. Der Mechaniker wandte sich um: Aëlita und der Sohn des Himmels hatten seltsame Gesichter. In ihren leeren Pupillen funkelten Sonnenreflexe. Der Wind strich über den schneeweißen Pelz Aëlitas. Ihre verzückten Augen blickten in den Ozean des himmlischen Lichts.

Der kleine Mechaniker steckte seine spitze Nase in den Kragen und fing an, lautlos zu lachen. Er legte das Boot auf den einen Flügel und ließ es im steilen Sturze vor dem Hause landen.

Aëlita kam zur Besinnung und begann ihren Pelz aufzuknöpfen, aber ihre Finger glitten über die Vogelköpfe auf den großen Knöpfen. Lossj hob sie aus dem Boot, stellte sie auf den Rasen und stand gebückt vor ihr. Aëlita befahl dem Jungen: »Mach' ein geschlossenes Boot fertig!«

Sie merkte weder die roten Augen Ichas, noch das angstverzerrte wie ein Kürbis gelbe Gesicht des Hausverwalters; sie lächelte zerstreut und wandte sich zu Lossj um. Dann führte sie ihn in die Tiefe des Hauses, in ihre Gemächer.

Lossj sah zum erstenmal die Zimmer Aëlitas – die niederen goldenen Deckenwölbungen, die mit Schattenrissen bedeckten Wände und atmete den schwindelerregenden warmen, etwas bitteren Duft.

Aëlita sagte leise: »Setz' dich.« Lossj setzte sich. Sie ließ sich zu seinen Füßen nieder, legte ihm ihren Kopf in den Schoß, ihre Hände auf seine Brust und rührte sich nicht mehr.

Er betrachtete zärtlich ihre aschgrauen, im Nacken in die Höhe gekämmten Haare und hielt ihre Hände. Ihm zitterte die Kehle. Lossj beugte sich zu ihr. Sie sagte:

»Vielleicht langweile ich dich? Verzeih. Ich bin so verwirrt. Ich bin ungeschickt. Ich habe zu Icha gesagt: ›Stell recht viel Blumen ins Eßzimmer; wenn er allein bleibt, soll ihm die Ulla tönen.‹«

Aëlita stützte ihre Ellbogen auf die Knie Lossj'. Ihr Gesicht hatte einen verträumten Ausdruck.

»Hast du es gehört? Hast du es verstanden? Hast du an mich gedacht?«

»Du siehst und weißt es«, sagte Lossj. »Wenn ich dich nicht sehe, bin ich vor Unruhe von Sinnen. Wenn ich dich sehe, ist die Unruhe noch schrecklicher. Jetzt scheint mir, daß es die Sehnsucht nach dir war, was mich durch die Sternenräume getrieben hat.«

Aëlita holte tief Atem. Ihr Gesicht schien glücklich.

»Mein Vater gab mir das Gift, aber ich sah, daß er mir nicht traut. Er sagte mir: ›Ich werde dich und ihn töten.‹ Wir haben nicht mehr lange zu leben. Aber du fühlst: die Augenblicke dehnen sich in die Unendlichkeit, in die Seligkeit.«

Sie hielt inne und sah, wie in den Augen Lossj' kalte Entschlossenheit aufleuchtete; sein Mund nahm einen trotzigen Ausdruck an.

»Gut,« sagte er, »ich werde kämpfen.«

Aëlita rückte näher heran und flüsterte:

»Du bist der Riese meiner Kindheitsträume. Dein Gesicht ist herrlich. Du bist stark, Sohn des Himmels. Du bist männlich und gut. Deine Hände sind aus Eisen, deine Knie aus Stein. Dein Blick ist tödlich. Vor deinem Blick fühlen die Frauen eine Last unter dem Herzen.«

Aëlitas Kopf fiel ihm kraftlos auf die Schulter. Ihr Murmeln wurde undeutlich, kaum hörbar. Lossj strich sich ihre Haarsträhnen aus dem Gesicht.

»Was hast du?«

Sie umschlang wie ein Kind seinen Hals. Große Tränentropfen rollten über ihre schmächtigen Wangen.

»Ich verstehe nicht zu lieben,« sagte sie, »ich habe dies niemals gekannt ... Habe Mitleid mit mir, verschmähe mich nicht. Ich werde dir interessante Geschichten erzählen. Von schrecklichen Kometen, von einer Luftschiffschlacht, vom Untergange des herrlichen Landes jenseits der Berge. Es soll dir nicht langweilig sein, mich zu lieben. Mich hat noch niemand liebkost. Als du zum erstenmal kamst, dachte ich mir: ich habe ihn schon in meiner Kindheit gesehen, er ist mein lieber Riese. Ich wollte, daß du mich auf die Arme nähmest und von hier forttrügest. Hier ist es düster und hoffnungslos, nur Tod, Tod. Die Sonnenwärme nimmt ab. Das Eis an den Polen schmilzt nicht mehr. Die Meere trocknen aus. Grenzenlose Wüsten mit kupferrotem Sand bedecken die Tuma ... Erde, Erde ... Mein lieber Riese, trage mich auf die Erde. Ich will grüne Berge sehen, Wasserströme, Wolken, große Tiere, Riesen ... Ich will nicht sterben ...«

Aëlita weinte. Jetzt erschien sie Lossj als ein ganz kleines Mädchen. Ihr Mund war geschwollen. Sie blickte zum Sohn des Himmels verliebt wie zu einem Märchenriesen hinauf.

Plötzlich erklang im Halbdunkel des Zimmers ein leiser Pfiff, der ovale Spiegel auf dem Toilettetischchen leuchtete im gleichen Augenblick auf. Darin erschien das gespannt blickende Gesicht Tuskubs.

»Bist du hier?« fragte er. Aëlita sprang behend wie eine Katze auf den Teppich und lief zum Projektionsspiegel.

»Ja, ich bin hier, Vater.«

»Leben die Söhne des Himmels noch?«

»Nein, Vater. Ich gab ihnen Gift, sie sind tot.«

Aëlita sprach kalt und scharf. Sie stand mit dem Rücken zu Lossj und verdeckte ihn vor dem Spiegel. Sie hob die Hände und ordnete ihr Haar.

»Was möchtest du noch von mir, Vater?« Tuskub schwieg. Aëlitas Schultern hoben sich, ihr Kopf fiel in den Nacken. Die Stimme Tuskubs brüllte wütend:

»Du lügst! Die Söhne des Himmels sind in der Stadt. Sie sind an der Spitze des Aufstandes.«

Aëlita wankte. Der Kopf ihres Vaters verschwand.


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