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Tuma, das heißt der Mars, war vor zwanzig Jahrtausenden von Aolen, einer orangegelben Rasse bevölkert. Die wilden Stämme der Aolen, die von Jagd lebten und die Riesenspinnen verzehrten, lebten in den Wäldern und Sümpfen am Äquator. Von diesen Stämmen sind nur wenige Worte in unserer Sprache erhalten. Ein anderer Teil der Aolen wohnte an den südlichen Buchten des großen Kontinents. Dort gibt es vulkanische Höhlen mit Salz- und Süßwasserseen. Die Bevölkerung fing Fische, trug sie unter die Erde und warf sie in die Salzseen. In der Tiefe der Höhlen fanden sie Zuflucht vor der Kälte des Winters. Man sieht dort heute noch ganze Hügel von Fischgräten und Rußspuren an den Wänden.
Der dritte Teil der Aolen wohnte in der Nähe des Äquators, am Fuße der Berge, überall, wo aus der Erde Geiser mit Trinkwasser sprudelten. Diese Stämme verstanden Hütten zu bauen, züchteten die langhaarigen Chaschi, führten Kriege mit den Spinnenfressern und beteten den blutigen Stern Talzetl an.
In einem der Stämme, die das glückselige Land Asora bewohnten, erschien einmal ein ungewöhnlicher Schocho. Er war der Sohn eines Hirten, im Gebirge Lisiasira aufgewachsen. Mit dreißig Jahren stieg er in die Siedlungen von Asora hinab, zog von Stadt zu Stadt und sprach also:
»Ich sah einen Traum: der Himmel öffnete sich, und ein Stern fiel nieder. Ich trieb meine Chaschi zu der Stelle, wo der Stern niedergefallen war. Hier sah ich einen Sohn des Himmels im Grase liegen. Er war groß von Wuchs und sein Gesicht war wie der Schnee auf den Gipfeln. Er hob den Kopf, und ich sah, daß aus seinen Augen Licht und Wahnsinn kamen; ich erschrak und fiel auf mein Angesicht und lag lange wie tot da. Ich hörte, wie der Sohn des Himmels meinen Stab ergriff und meine Chaschi wegtrieb, und die Erde zitterte unter seinen Schritten. Und da hörte ich auch seine laute Stimme, welche sprach: ›Du wirst sterben, denn ich will es.‹ Aber ich folgte ihm, denn ich wollte ihm meine Chaschi nicht lassen. Ich fürchtete, ihm nahe zu kommen: aus seinen Augen leuchtete ein böses Feuer, und ich fiel jedesmal nieder, um am Leben zu bleiben. So gingen wir einige Tage und entfernten uns vom Gebirge in die Wüste. Der Sohn des Himmels schlug mit dem Stabe auf die Erde, und es kam Wasser hervor. Die Chaschi und ich tranken von diesem Wasser. Und der Sohn des Himmels sagte mir: ›Sei mein Sklave.‹ Nun fing ich an, seine Chaschi zu weiden, und er warf mir die Reste seiner Speise zu, sie schmeckten bitter.«
So sprach der Hirte zu den Bewohnern auf den Märkten der Städte. Und er sagte noch:
»Sanfte Vögel und friedliche Tiere leben und wissen nicht, wann das Ende kommt. Aber der Raubvogel hat schon seine Flügel über dem Kranich ausgebreitet, die Spinne hat ihr Netz aufgestellt, und die Augen des schrecklichen Tscha brennen aus dem blauen Dickicht. Nehmt euch in acht. Ihr habt keine genügend scharfen Schwerter, um das Böse zu treffen; ihr habt keine genügend starken Mauern, um euch davor zu schützen; ihr habt keine genügend langen Beine, um das allmächtige Böse zu fliehen. Ich sehe: der Himmel öffnet sich, und der böse Sohn des Himmels fällt auf unsere Siedlungen nieder. Sein Auge ist wie das rote Feuer des Talzetl.«
Die Bewohner des friedlichen Asora hoben entsetzt die Arme, als sie diese Worte hörten. Und der Hirte sagte noch:
»Wenn der blutrünstige Tscha dich mit seinen Augen aus dem Dickicht sucht, werde zu einem Schatten, und die Nase des Tscha wird den Geruch deines Blutes nicht wittern. Wenn der Ichi aus der rosa Wolke fällt, werde zu einem Schatten, und die Augen des Ichi werden dich vergeblich im Grase suchen. Wenn beim Scheine der beiden Monde, Ollo und Litcha, die böse Spinne Zitli nachts deine Hütte mit ihrem Netze umspinnt, werde zu einem Schatten, und Zitli wird dich nicht fangen. Werde zu einem Schatten für das Böse, du armer Sohn der Tuma. Nur Böses zieht Böses an. Halte von dir alles, was dem Bösen verwandt ist, fern, vergrabe deinen Haß vor der Schwelle deiner Hütte. Geh zum großen Geiser Soam und wasche dich. Und du wirst für den bösen Sohn des Himmels unsichtbar werden, sein blutiges Auge wird vergebens deinen Schatten durchbohren.«
Die Bewohner von Asora hörten den Hirten an. Viele von ihnen folgten ihm zum runden See, zum großen Geiser Soam.
Hier fragten manche von denen, die gekommen waren: »Wie kann man sein Böses vor der Schwelle der Hütte vergraben?« Manche sagten: »Wir können das Böse nicht vergraben, denn unsere Nachbarn haben uns beleidigt.« Andere wurden böse und schrien dem Hirten zu: »Du betrügst uns, die Benachteiligten und Armen haben dich angestiftet, um unsere Wachsamkeit einzuschläfern und sich unserer Wohnstätten zu bemächtigen.« Andere rieten: »Wollen wir den wahnsinnigen Hirten auf den hohen Felsen führen und in den heißen See hinabwerfen – soll er selbst zu einem Schatten werden.«
Als der Hirte es hörte, nahm er die Ulla, eine hölzerne Flöte, an der unten ein Dreieck mit gespannten Saiten angebracht war, setzte sich zwischen den Zornigen, Gereizten und Zweifelnden nieder und fing an zu blasen und zu singen. Er blies und sang so schön, daß die Vögel schwiegen, daß der Wind verstummte, die Herden sich niederlegten und die Sonne am Himmel stillstand. Jedem der Zuhörenden schien es in dieser Stunde, als hätte er schon sein Böses vor der Schwelle seiner Hütte vergraben. Viele gingen zum See und badeten.
Drei Jahre lehrte der Hirt. Im vierten Sommer kamen aus den Sümpfen die Spinnenfresser und überfielen die Bewohner von Asora. Der Hirte ging von Siedlung zu Siedlung und sprach: »Berührt euere Schwellen nicht, fürchtet das Böse in euch, fürchtet mehr als den Tod die Reinheit zu verlieren.« Man hörte ihm zu, und es fanden sich solche, die den Spinnenfressern nicht widerstreben wollten, und die Wilden erschlugen sie vor den Schwellen ihrer Hütten. Nun kamen die Ältesten der Städte überein: sie ergriffen den Hirten, führten ihn auf den Felsen und warfen ihn in den See. Die Lehre des Hirten verbreitete sich weit über die Grenzen von Asora. Selbst die Bewohner der Höhlen an den Meeresbuchten meißelten in die Felsen über den Süßwasserseen sein Bild, wie er die Ulla bläst. Es kam aber auch vor, daß die Häuptlinge mancher Stämme diejenigen, die den Hirten verehrten, mit dem Tode bestraften, weil sie seine Lehre für wahnsinnig und gefährlich hielten. Und nun kam die Stunde, wo die Weissagung in Erfüllung ging. Die Chroniken jener Zeit melden:
»Vierzig Tage und vierzig Nächte fielen auf die Tuma die Söhne des Himmels. Der Stern Talzetl ging gleich nach Sonnenuntergang auf und brannte mit einem ungewöhnlichen Lichte, wie ein böses Auge. Viele von den Söhnen des Himmels fielen tot herab, viele zerschellten an den Felsen, viele ertranken im Südlichen Ozean, aber viele erreichten die Oberfläche der Tuma und blieben am Leben.«
So berichtet die Chronik von der großen Übersiedlung der Magazitlen, d. h. eines der Stämme der vierten irdischen Rasse, die bei der Sintflut vor zwanzig Jahrtausenden untergegangen ist.
Die Magazitlen flogen in bronzenen eiförmigen Apparaten, die durch die Keimkraft von Samen getrieben wurden. Sie beherrschten diese Kraft ebenso vollkommen, wie ihr die Kraft des Zerfalles der Materie beherrscht. Im Laufe von vierzig Tagen verließen sie die Erde. Viele dieser Rieseneier gingen im Sternenraume verloren, viele zerschellten an der Oberfläche des Mars. Eine geringe Anzahl landete unbeschädigt auf den Ebenen des äquatorialen Kontinents. Die Chronik berichtet:
»Sie entstiegen den Eiern, groß von Wuchs und schwarz an Haaren. Die Söhne des Himmels hatten gelbe, flache Gesichter. Ihre Oberkörper und Knie waren mit Bronzepanzern bedeckt. Auf den Helmen trugen sie scharfe Kämme, und die Helme ragten über den Gesichtern hervor. In der linken Hand hielt jeder Sohn des Himmels ein kurzes Schwert und in der rechten eine Rolle mit Schriftzeichen, die die armen und unwissenden Völker der Tuma ins Verderben stürzten.«
So waren die Magazitlen, ein böser und mächtiger Stamm aus der großen Rasse der Atlanten. Auf der Erde, auf dem Kontinent, den der Ozean verschlungen hatte, besaßen sie die Stadt der Hundert Goldenen Tore. Sie kannten die höchste Weisheit, gebrauchten sie aber nur zum Bösen, denn sie waren böse.
Sie gingen in die Siedlungen der Aolen, nahmen alles, was sie wollten, und töteten die, die ihnen Widerstand leisteten. Sie trieben die Herden der Chaschi in die Täler und begannen Brunnen zu graben. Sie pflügten die Felder und säten Gerste. Aber in den Brunnen war wenig Wasser, und die Gerstenkörner gingen im trockenen und unfruchtbaren Boden zugrunde. Nun befahlen sie den Aolen, Berieselungskanäle zu graben und große Wasserbehälter zu bauen.
Einige Stämme gehorchten und fingen zu graben an. Andere sagten: »Wir hören nicht auf sie und wollen die Fremdlinge töten.« Die Heere der Aolen versammelten sich in der Ebene und bedeckten sie wie eine Wolke. Der Fremdlinge waren nicht viele, aber sie riefen die Naturgewalten zur Hilfe. Es begann ein Sturm, die Berge und die Täler erzitterten, der Südliche Ozean trat aus den Ufern. Vom Himmel fuhren Blitze nieder. Bäume und Steine flogen durch die Luft, und noch lauter als der Donner tönten die Stimmen der Magazitlen, die ihre Beschwörungen sprachen.
Die Aolen gingen dahin wie Gras unter einem Schneesturm.
Die Fremdlinge schlugen sie mit dem Schwerte und trübten ihren Blick: die Heere der Aolen kämpften gegeneinander, da sie einander für Feinde hielten. Die Siedlungen gingen in Flammen auf. Die Herden liefen auseinander. Aus den Sümpfen kamen die bösen Tscha und zerrissen die Frauen und die Kinder. Die Spinnen umsponnen die verödeten Hütten. Die Ichi, die die Leichen fraßen, wurden so fett, daß sie nicht mehr fliegen konnten. Viele sahen ein Gespenst: beim Sonnenuntergang erhob sich hinter einer Wolke der Schatten eines Menschen, seine Beine waren gespreizt, die Arme nach beiden Seiten ausgestreckt, die Haare auf dem Kopfe wie Flammen. Es nahte das Ende der Welt.
Nun erinnerte man sich der Weissagung: »Werde zu einem Schatten, du armer Sohn der Tuma, und das blutige Auge des Sohnes des Himmels wird deinen Schatten vergebens durchbohren.« Viele Aolen gingen zum großen Geiser Soam und versuchten, sich darin zu reinigen. Viele zogen ins Gebirge und hofften in den nebligen Schluchten das vom Bösen reinigende Lied der Ulla zu hören. Viele teilten ihre Habe mit den anderen. Sie vergaben alle Kränkungen. Sie suchten in sich und in ihren Nächsten das Gute und begrüßten das Gute mit Gesängen und Freudentränen. Im Gebirge Lisiasira erbauten die an den Hirten Glaubenden eine Heilige Schwelle, unter der das Böse lag. Drei Kreise nie verlöschender Feuer bewachten die Schwelle. Wer sich reinigen wollte, mußte durchs Feuer gehen. Es war eine strenge und große Zeit.
Die Heere der Aolen gingen zugrunde. Sie wurden in den Wäldern von den Spinnenfressern vernichtet. Die letzten Reste der am Meeresufer wohnenden Fischer wurden zu Sklaven. Aber die Magazitlen taten den an den Hirten Glaubenden nichts zuleide, sie rührten die Heilige Schwelle nicht an, kamen dem Geiser Soam nicht nahe und traten nie in die Tiefe der Bergesschluchten, wo um die Mittagstunde der Wind geheimnisvolle Töne weckte – das Lied der Ulla.
So vergingen viele blutige und traurige Jahre.
Die Fremdlinge hatten keine Frauen, die Eroberer mußten sterben, ohne eine Nachkommenschaft zu hinterlassen. Da erschien in den Bergen, wo sich die Aolen versteckt hielten, ein Bote – ein Magazitl, schön von Angesicht. Er kam ohne Schwert und Helm. In der Hand hielt er ein Rohr mit daran gebundenem Garn. Er näherte sich den Feuern der Heiligen Schwelle und sprach zu den Aolen, die aus allen Schluchten gekommen waren:
»Mein Kopf ist ungeschützt, meine Brust ist bloß, durchbohrt mich mit einem Schwert, wenn ich lüge. Wir sind mächtig. Der Stern Talzetl gehört uns. Wir haben den Sternenweg, den man die Milchstraße nennt, durchflogen. Wir haben die Tuma erobert und die uns feindlichen Stämme vernichtet. Wir haben Wasserbehälter und große Kanäle erbaut, um die Frühlingsgewässer zu sammeln und die bisher unfruchtbaren Ebenen der Tuma zu berieseln. Wir werden die große Stadt Soazera, das heißt Sonnenstadt, erbauen, wir werden allen Leben geben, die das Leben haben wollen. Aber wir haben keine Frauen und müssen sterben, ohne das vom Schicksal Vorgezeichnete erfüllt zu haben. Gebt uns euere Jungfrauen, und wir werden mit ihnen ein Volk zeugen, das die Kontinente der Tuma besiedeln wird. Kommt zu uns und helft uns bauen.«
Der Bote legte das Rohr mit den Fäden am Feuer nieder und setzte sich mit dem Gesicht zu der Schwelle. Seine Augen waren geschlossen. Und alle sahen auf seiner Stirn das mit einem Häutchen bedeckte, gleichsam entzündete dritte Auge.
Die Aolen berieten sich und sprachen untereinander: »In den Bergen fehlt es an Futter für das Vieh und an Wasser. Im Winter werden wir in den Höhlen erfrieren. Die starken Winde werden unsere Hütten in die abgrundtiefen Schluchten werfen. Wollen wir auf den Boten hören und zu unseren alten Wohnstätten zurückkehren.«
Die Aolen zogen aus den Bergesschluchten auf die Ebene Asora, die Herden vor sich treibend und die Frauen, Kinder und Jungfrauen mit sich führend. Die Aolen hatten keine Angst, denn ihre Seelen waren sanft, ihre Blicke stark, ihre Herzen mutig geworden. In den Bergen hatten sie eine so hohe Seligkeit erfahren, daß kein Böses sie verdunkeln konnte.
Die Magazitlen nahmen die Jungfrauen der Aolen und zeugten mit ihnen das blaue Geschlecht Gor. Um die gleiche Zeit begann man mit der Erbauung der sechzehn gigantischen Zirkusse – Ro, in denen sich während der Schneeschmelze an den Polen das Wasser sammelte. Die unfruchtbaren Ebenen wurden von Berieselungskanälen durchschnitten. Aus der Asche erstanden neue Siedlungen der Aolen. Die Felder gaben eine reiche Ernte.
Nun wurden auch die Mauern von Soazera aufgeführt. Bei der Erbauung der Zirkusse und der Mauern gebrauchten die Magazitlen gigantische Hebemaschinen, die durch die Keimkraft von Samen bewegt wurden. Die Magazitlen verstanden durch Beschwörungen die größten Steine fortzubewegen und das Wachsen der Pflanzen zu beeinflussen. Sie schrieben ihr Wissen in Büchern auf – mit farbigen Flecken und Sternenzeichen.
Als der letzte Ankömmling von der Erde gestorben war, ging auch das Geheime Wissen verloren. Erst nach zwanzig Jahrtausenden lernten wir, die Nachkommen des Volkes Gor, wieder die Bücher der Atlanten lesen.