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27.

In einer der Zellen der Verschickten erblickte Nechljudow zu seiner Verwunderung jenen selben Alten, den er am Morgen auf der Fähre gesehen hatte. Dieser Alte saß, ganz zerzaust und voll Runzeln, in dem aschgrauen, auf der Schulter zerrissenen Hemd und ebensolchen Hosen barfüßig neben der Pritsche auf dem Fußboden und sah die Eintretenden mit strengem, fragendem Blicke an. Sein ausgemergelter Körper, der durch die Löcher des schmutzigen Hemdes sichtbar war, bot einen kläglichen Anblick, sein Gesicht jedoch hatte einen noch ernsteren, noch gesammelteren und dabei lebendigeren Ausdruck als auf der Fähre. Alle Gefangenen sprangen auch hier, wie in den übrigen Zellen, auf und stellten sich beim Eintritt des Inspektors kerzengerade auf; nur der Alte blieb sitzen.

»Aufstehen!« schrie ihn der Inspektor an.

Der Alte rührte sich nicht. »Warum soll ich aufstehen? Deine Diener stehen vor dir, ich aber bin nicht dein Diener. Setz' dich lieber dahin, ich will dir etwas erzählen,« sagte der Alte und zeigte nach der Pritsche.

»Wa–a–as?« rief der Inspektor drohend und trat auf ihn zu.

»Ich kenne diesen Menschen,« beeilte Nechljudow sich, dem Inspektor zuzuflüstern. »Warum ist er hier eingesperrt?«

»Die Polizei hat ihn hergeschickt, weil er keinen Paß hat. Wir bitten immer, sie nicht herzuschicken, sie tut es aber doch,« sagte der Inspektor mit einem ärgerlichen Blick nach dem Alten.

»Geh, geh,« versetzte dieser mit einem finstern Blick auf Nechljudow, »sieh dir sie an, wie sie hier eingesperrt sind, als Mastfutter für die Läuse! Es heißt: Du sollst im Schweiße deines Angesichts dein Brot essen – sie aber sind hier eingesperrt und werden gefüttert wie die Schweine, bis sie wirklich zu Tieren werden. Geh nur, geh,« fügte er mit blitzenden Augen hinzu, während Nechljudow sich anschickte, dem Engländer und dem Inspektor in den Korridor zu folgen.

Hier fragte der Engländer den Inspektor gerade nach der Bestimmung eines Raumes, dessen Tür offen stand, und der anscheinend leer war. Der Inspektor erklärte, es sei die Totenkammer.

»Oh!« sagte der Engländer und sprach den Wunsch aus, den Raum zu besichtigen.

Die Totenkammer war eine gewöhnliche, nicht große Zelle. An der Wand brannte ein Lämpchen, bei dessen schwachem Lichte in der einen Ecke allerhand übereinander gepackte Säcke, Holz und dergleichen zu erkennen waren, während auf einer Pritsche vier Leichen lagen. Zunächst lag die Leiche eines Mannes von großer Gestalt, in einem Hanfhemd und Hanfbeinkleidern, mit einem kleinen, zugespitzten Bart und halbrasiertem Kopfe. Der Körper war bereits erstarrt: die blauen Hände waren anscheinend auf der Brust gefaltet worden, hatten sich jedoch wieder getrennt; auch die nackten Füße waren auseinandergespreizt und starrten mit den Zehen nach verschiedener Richtung in die Luft. Neben ihm lag eine alte Frau in weißem Rock und weißer Jacke, barfuß und ohne Kopfbedeckung, mit runzeligem, kleinem, gelbem Gesicht, spitzer Nase und einem kurzen dünnen Zopfe. Hinter der Alten lag noch der Leichnam eines Mannes, in einer lila Umhüllung. Diese Farbe rief in Nechljudow eine Erinnerung wach.

Er trat näher und betrachtete den Toten.

Das kurze, spitze, emporgesträubte Bärtchen, die kräftige, wohlgeformte Nase, die weiße, hohe Stirn, das dünne, lockige Haar – ja, diese Züge kamen ihm bekannt vor, und doch traute er seinen Augen nicht. Hatte er dieses Gesicht nicht erst gestern erregt, voll Zorn und Schmerz, gesehen? Jetzt war es ruhig und unbeweglich, und so beängstigend schön!

Ja, das war Krylzow, oder wenigstens jene irdische Spur, die seine materielle Existenz hinterlassen hatte.

»Warum hat er nun gelitten? Warum hat er gelebt? Hat er es jetzt begriffen?« dachte Nechljudow, und es schien ihm, daß es keine Antwort gebe auf diese Fragen, daß es überhaupt nichts gebe außer dem Tode, und ein jähes, wildes Weh ergriff ihn.

Ohne sich von dem Engländer zu verabschieden, bat er den Inspektor, ihn auf den Hof zu begleiten, und in dem Gefühl, daß er jetzt allein bleiben müsse, um über alles das nachzudenken, was er an diesem Abend erlebt hatte, fuhr er in sein Gasthaus.


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