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15.

Obschon Nowodworow sich in seinen Kreisen einer großen Achtung erfreute, obschon er sehr viel gelernt hatte und für sehr klug galt, zählte ihn Nechljudow doch zu denjenigen Revolutionären, die auf Grund ihrer sittlichen Qualitäten unter dem durchschnittlichen Niveau der Gesellschaft standen und dann auch, als Träger der neuen Weltanschauung, gleich ganz tief unter dieses Niveau sanken. Die geistigen Kräfte dieses Menschen – sein Zähler – waren groß; aber seine Meinung von sich selbst – sein Nenner – war im Verhältnis dazu riesengroß und über seine geistigen Kräfte weit emporgewachsen.

Er war ein Mensch, dessen geistiges Leben von ganz entgegengesetzter Struktur war wie dasjenige Simonsons. Simonson war ein Mensch von ausgeprägt männlichem Typus, einer von jenen Leuten, bei denen die Handlungen aus der Denktätigkeit folgen und durch sie bestimmt werden. Nowodworow dagegen gehörte zu den ausgesprochen weibischen Naturen, deren Denktätigkeit teils auf die Erreichung solcher Zwecke gerichtet ist, die sich aus dem Gefühlsleben ergeben, teils auf die Rechtfertigung der Handlungen, deren Beweggründe im Gefühlsleben wurzeln.

Nowodworows gesamte Tätigkeit schien Nechljudow, obschon er es verstand, sie in sehr schönen Worten und mit überzeugenden Gründen darzulegen, im Grunde genommen doch lediglich auf seiner Eitelkeit und dem Wunsche, unter den Menschen eine führende Rolle zu spielen, zu beruhen. Dank seiner Fähigkeit, sich fremde Gedanken anzueignen und sie richtig wiederzugeben, hatte er als Schüler, auf dem Gymnasium und der Universität, bis zur Erreichung der Magisterwürde in den Kreisen der Lehrenden und Lernenden, in denen jene Fähigkeit besonders geschätzt wird, den Vorrang behauptet und seinen Ehrgeiz befriedigt gesehen. Als er dann aber das Diplom in der Tasche hatte, als das Lernen aufhörte und ihm das Feld fehlte, auf dem er den Vorrang behaupten konnte, da warf er plötzlich, wie Nechljudow von Krylzow, der Nowodworow nicht leiden konnte, erfuhr, alle seine Überzeugungen über Bord und wurde, um sich auf einem neuen Gebiete den Vorrang zu sichern, aus einem Anhänger des gemäßigten Fortschritts ein roter Revolutionär. Und da sein Charakter jener moralischen und ästhetischen Eigenschaften ermangelte, die den Zweifel und das Schwanken hervorrufen, so errang er sehr bald in der Partei des »Volkswillens«, der er sich anschloß, die seinem Ehrgeiz zusagende Stellung eines Führers. Nachdem er einmal seine Richtung gewählt hatte, zweifelte und schwankte er niemals mehr und war daher von seiner Unfehlbarkeit vollkommen überzeugt. Alles erschien ihm ungewöhnlich einfach, klar und unzweifelhaft. Und bei der Beschränktheit und Einseitigkeit seiner Auffassung war in der Tat alles sehr einfach und klar, und man brauchte nur, wie er zu sagen pflegte, logisch zu sein. Sein Selbstvertrauen war so groß, daß es die Menschen nur abstoßen oder unterjochen konnte. Und da seine Tätigkeit sich hauptsächlich auf sehr junge Leute erstreckte, die sein unbegrenztes Selbstvertrauen als tiefsinnige Weisheit nahmen, so unterwarfen sich ihm die meisten, und er hatte in den revolutionären Kreisen einen großen Erfolg. Seine Tätigkeit ging darauf aus, eine Volksempörung vorzubereiten, die Macht an sich zu reißen und auf einer allgemeinen Volksversammlung das Programm, das er abgefaßt hatte, zur Annahme zu bringen. Er zweifelte nicht daran, daß dieses Programm, das nach seiner Meinung alle Fragen erschöpfte, auch wirklich zur Annahme gelangen würde.

Die Kameraden achteten ihn wegen seiner Kühnheit und Entschlossenheit, liebten ihn jedoch nicht. Auch er liebte niemanden und sah in allen hervorragenden Menschen Nebenbuhler. Wenn er gekonnt hätte, wäre er am liebsten mit ihnen so umgegangen, wie die alten Affenmännchen mit den jungen umgehen. Er würde allen andern ihren Verstand und ihre Fähigkeiten entrissen haben, damit sie die Betätigung seiner Fähigkeiten nicht störten. Er war nur gut gegen Leute, die sich vor ihm beugten. Er war es jetzt, auf dem Marsche, nur gegen Kondratjew, gegen Wjera Jefremowna und die hübsche Grabez, die beide in ihn verliebt waren. Obschon er im Prinzip für die Frauenemanzipation eintrat, hielt er in der Tiefe seiner Seele doch alle Frauen für dumm und eitel, mit Ausnahme derjenigen, für die er zufällig eine sentimentale Neigung hatte, wie dies jetzt mit der Grabez der Fall war. Diese Auserwählten hielt er dann für ungewöhnliche Frauen, deren wahren Wert er allein erkannt habe.

Die Frage nach den gegenseitigen Beziehungen der Geschlechter erschien ihm, wie alle Fragen, sehr einfach und klar und durch die Anerkennung der freien Liebe endgültig entschieden. Er hatte eine Frau, mit der er nicht getraut war, dann eine zweite, mit der er zwar getraut war, von der er sich jedoch getrennt hatte, weil er sich überzeugt hatte, es sei nicht die echte Liebe, die sie beide verbinde, und jetzt trug er sich mit dem Gedanken, eine neue freie Ehe mit der Grabez einzugehen.

Auf Nechljudow blickte er mit Verachtung, weil er, wie er sich ausdrückte, in der Angelegenheit mit der Maslowa sich selbst zum Narren mache, namentlich aber, weil er es wagte, über die Mängel der bestehenden Ordnung und die Mittel zu ihrer Abhilfe nicht Wort für Wort dieselbe Meinung wie er, Nowodworow, zu haben, und sich sogar herausnahm, darüber auf seine eigene, »fürstliche«, das heißt närrische Art zu denken. Nechljudow kannte diese Gesinnung Nowodworows gegen ihn und fühlte zu seiner Betrübnis, daß er trotz der milden, versöhnlichen Stimmung, in der er sich während der ganzen Reise befand, ihm mit derselben Münze heimzahle und auf keine Weise die heftige Abneigung, die er gegen diesen Menschen empfand, zu bezwingen vermöge.


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