Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
»Ich komme um nach dir zu sehen. Deine Toilette hat sich heute sehr in die Länge gezogen,« sagte Petrizkiy. »Ist sie denn nun fertig?«
»Fertig,« antwortete Wronskiy, nur mit den Augen lächelnd und die Schnurrbartspitzen drehend, aber so vorsichtig, als könne nach der Klarstellung der er seine Angelegenheiten unterzogen hatte, eine allzu kühne oder schnelle Bewegung dieselbe wieder über den Haufen werfen?
»Du kommst somit also wie aus dem Bade,« fuhr Petrizkiy fort. »Ich komme von Grizkiy« – so hieß der Regimentskommandeur – »man erwartet dich.«
Wronskiy blickte ohne zu antworten, seinen Kameraden an; er dachte an etwas ganz anderes.
»Giebt es denn Konzert bei ihm?« sagte er dann, auf die zu ihm herüberdringenden bekannten Klänge von Baßtrompeten in Polka und Walzer horchend. »Was giebt es denn für eine Festlichkeit?«
»Serpuchowskiy ist angekommen!«
»Ah,« machte Wronskiy, »das habe ich gar nicht gewußt.« Das Lächeln seiner Augen wurde noch heller.
Nachdem er einmal bei sich selbst konstatiert hatte, daß er glücklich sei in seiner Liebe, opferte er dieser seinen Ehrgeiz, oder nahm doch wenigstens eine solche Rolle auf sich. Wronskiy vermochte auch nicht mehr, Serpuchowskiy zu beneiden oder sich darüber gekränkt zu fühlen, daß derselbe, nach seiner Ankunft beim Regiment, nicht zuerst zu ihm selbst gekommen war. Serpuchowskiy war sein guter Freund und er freute sich über diesen.
»Ich freue mich sehr.«
Der Regimentskommandeur Demin hatte ein großes Gutsgebäude gemietet, die ganze Gesellschaft war auf dem niedrigen geräumigen Balkon versammelt und auf dem Hofe standen – das Erste was Wronskiy in die Augen fiel – Sänger neben einem großen Faß Branntwein und die gesunde und freundliche Erscheinung des Regimentskommandeurs, umgeben von den Offizieren. Auf die erste Stufe des Balkons heraustretend, überschrie er mit starker Stimme die Musik, welche eine Offenbachsche Quadrille spielte und befahl etwas, wobei er einigen seitwärts stehenden Soldaten einen Wink gab.
Ein Trupp derselben, ein Wachmeister mit einigen Unteroffizieren traten zugleich mit Wronskiy auf den Balkon. Zur Tafel zurückkehrend, trat der Regimentskommandeur dann wiederum mit einem Pokal auf die Freitreppe heraus und brachte mit lauter Stimme einen Toast: »Auf das Wohl unseres früheren Kameraden, des tapferen Generals, Fürsten Serpuchowskiy! Hurrah!«
Hinter dem Regimentskommandeur, den Pokal in der Hand, erschien lächelnd Serpuchowskiy.
»Du wirst immer jünger, Bondarjonko,« wandte er sich an einen gerade vor ihm stehenden, jugendlich und rotwangig aussehenden Wachmeister.
Wronskiy hatte Serpuchowskiy drei Jahre hindurch nicht gesehen. Derselbe war zum Manne geworden, hatte sich einen Backenbart stehen lassen, zeigte sich aber noch ebenso herrlich in der Erscheinung; sowohl durch seine Schönheit, als durch seine Milde und den Adel seiner Züge und seiner Haltung bestechend, wie früher.
Nur eine Veränderung bemerkte Wronskiy an ihm; es lag eine Art stillen, beständigen Schimmers über ihm, wie er auf dem Gesicht von Leuten erscheint, welche Erfolg gehabt haben und der allseitigen Anerkennung dieser Erfolge sicher sind.
Wronskiy kannte diesen Glanz und er bemerkte ihn sofort an Serpuchowskiy. Zur Treppe herabkommend, bemerkte Serpuchowskiy Wronskiy, und ein freudiges Lächeln erleuchtete sein Gesicht. Er winkte ihm mit dem Kopfe zu, hob den Pokal, begrüßte Wronskiy und zeigte mit dieser Geste, daß er nicht früher zu ihm kommen könne, als bis er den Wachmeister abgefertigt hätte, welcher sich in Positur setzend, schon die Lippen zum Willkommenkuß spitzte.
»Da ist er ja auch!« rief der Regimentskommandeur, »nur hat Jaschwin gesagt, daß du bei schlechter Laune seiest.«
Serpuchowskiy küßte den jungen Wachmeister auf die feuchten und frischen Lippen und trat dann, sich den Mund mit dem Tuche wischend, auf Wronskiy zu.
»Ah, wie freue ich mich,« sagte er, ihm die Hand drückend und ihn mit sich auf die Seite führend.
»Widmet Euch ihm!« rief der Regimentskommandeur Jaschwin zu, auf Wronskiy zeigend und begab sich dann hinunter zu den Soldaten.
»Weshalb kamst du denn gestern nicht zu den Rennen? Ich gedachte dich dort zu sehen,« sagte Wronskiy, Serpuchowskiy anblickend.
»Ich kam hinaus, aber zu spät. Doch entschuldige,« fügte er hinzu, sich nach seinen Adjutanten umwendend, »laßt doch dies gefälligst verteilen, soviel auf den Mann kommt.«
Hastig zog er aus seinem Portefeuille drei Hundertrubelscheine heraus und errötete.
»Wronskiy, ißt oder trinkst du etwas?« frug Jaschwin, »he, gebt doch dem Grafen ein Couvert – und hier, trink!« –
Das Gelage bei dem Regimentskommandeur zog sich in die Länge. Man trank sehr viel und Serpuchowskiy wurde weidlich dabei gefeiert, darauf feierte man den Obersten, welcher nun mit Petrizkiy vor den Sängern tanzte, und sich dann, bereits etwas illuminiert, auf dem Hofe auf einer Bank niederließ und Jaschwin die Vorzüge Rußlands vor Preußen, namentlich in Bezug auf die Kavallerieattacke auseinanderzusetzen begann. Der Festjubel war auf kurzer Zeit ruhiger geworden. Serpuchowskiy hatte sich ins Haus, in das Toilettezimmer begeben, um sich die Hände zu waschen und traf hier Wronskiy, der sich mit Wasser duschte. Er hatte den Waffenrock abgelegt und hielt den roten, von Härchen überwucherten Hals unter den Wasserstrahl des Beckens, sich mit den Händen Hals und Kopf abreibend. Nachdem er mit der Waschung zu Ende war, setzte er sich zu Serpuchowskiy. Die Zwei nahmen auf einem kleinen Diwan Platz und es entspann sich zwischen ihnen ein für beide sehr interessantes Gespräch.
»Ich habe durch mein Weib alles von dir erfahren,« begann Serpuchowskiy, »und ich freue mich, daß du oft mit ihr zusammengetroffen bist.«
»Sie ist befreundet mit Warja und beide sind die einzigen Frauen von Petersburg, mit denen ich gern zusammenkomme,« antwortete Wronskiy lächelnd. Er lächelte darüber, daß er das Thema schon voraussah, auf welches das Gespräch nun sogleich übergehen mußte, und dies machte ihm Vergnügen.
»Die einzigen?« frug Serpuchowskiy lächelnd dazwischen.
»Ich bin auch über dich unterrichtet gewesen, aber nicht nur durch deine Frau,« versetzte Wronskiy, mit ernstem Gesichtsausdruck die Anspielung von sich weisend. »Ich habe mich sehr gefreut über deine Erfolge, und bin durchaus nicht darüber verwundert gewesen. Ich hatte fast noch mehr erwartet.«
Serpuchowskiy lächelte. Offenbar machte ihm diese Meinung über ihn Vergnügen und er fand es nicht für nötig, dies zu verhehlen,
»Ich bekenne im Gegenteil offen, ich hatte weniger von mir erwartet, allein ich bin froh, sehr froh; ich bin ehrgeizig, dies ist meine Schwäche und ich gestehe sie offen ein.«
»Vielleicht würdest du sie nicht eingestehen, wenn du keinen Erfolg gehabt hättest,« sagte Wronskiy.
»Ich glaube nicht,« antwortete Serpuchowskiy wiederum lächelnd. »Ich will nicht sagen, daß es sich nicht auch ohne dies leben ließe, aber es lebte sich doch langweilig. Freilich ist möglich, daß ich mich irre, aber mir scheint doch, als ob ich einige Fähigkeiten zu dem Wirkungskreis besäße, den ich mir erkoren habe, und daß wenn in meine Hände eine Macht, wie sie auch immer sein möge, kommen wird, sie besser aufgehoben ist, als in den Händen vieler mir Bekannter,« sprach Serpuchowskiy in dem strahlenden Bewußtsein seiner Errungenschaften. »Und je näher ich daher dieser Macht komme, um so zufriedener werde ich.«
»Vielleicht ist dies für dich etwas, aber nicht für alle. Ich habe auch schon so gedacht, lebe aber und finde, daß man nicht nur solchen Zwecken zu leben braucht,« antwortete Wronskiy.
»Da haben wir's, da haben wir's,« lachte Serpuchowskiy. »Ich hatte aber davon angefangen, daß ich von dir, und auch von deinem Verzicht gehört habe. Natürlich habe ich dich in Schutz genommen. Aber für alles giebt es eine Form, und ich glaube, daß dein Verhalten an sich richtig war, nur bist du nicht so verfahren, wie du mußtest.«
»Was geschehen ist, ist geschehen, und du weißt wohl, daß ich mich noch nie widerrufen habe, was ich einmal that. Ich befinde mich daher ganz wohl.«
»Ganz wohl – auf bestimmte Zeit. Aber du wirst dich hiermit nicht begnügen. Deinem Bruder würde ich das nicht sagen; er ist ein ebenso harmloses Kind, wie unser Wirt!« fügte er hinzu, auf den Hurraruf draußen lauschend. »Auch er ist zufrieden, aber du kannst dich hiermit nicht zufrieden geben.«
»Ich sage auch nicht, daß ich mich mit etwas begnügt hätte.«
»Nein, nicht darum allein handelt es sich. Aber solche Leute, wie du bist, werden gebraucht!«
»Wer braucht sie?«
»Wer? Die Gesellschaft, Rußland! Rußland braucht Männer, braucht eine Partei, oder alles kommt auf den Hund!«
»Was heißt das? Etwa die Partei des Bertenjeff gegen die russischen Kommunisten?«
»Nein,« antwortete Serpuchowskiy, sich verfinsternd, daß man ihn einer solchen Dummheit für fähig gehalten hatte. »Tout ça est une blague; und es war stets so und wird so bleiben. Kommunisten giebt es nicht, freilich, stets haben die Menschen es für notwendig gehalten, eine schädliche und gefahrbringende Partei zu ergrübeln. Das ist eine alte Geschichte. Nein, jetzt brauchen wir eine Parteimacht von unabhängigen Männern, wie du und ich.«
»Aber wozu?« Wronskiy nannte einige Namen von Macht und Einfluß, »sind das nicht unabhängige Männer?«
»Sie sind es deswegen nicht, weil sie von Geburt an eine Unabhängigkeit ihrer Stellung nicht gehabt haben, keinen Namen führen und der Sonne nicht so nahe stehen, unter welcher wir das Licht der Welt erblickt haben. Man kann sie entweder mit Geld erkaufen oder mit Speichelleckerei, und um es mit ihnen halten zu können, muß man für sie eine Richtung erst erfinden. Sie besitzen in der Regel wohl eine Idee, eine Richtung, an welche sie aber selbst nicht glauben und die Böses erzeugt; ihre ganze Richtung ist nur der Zweck, eine Regierungswohnung inne haben und einen Gehalt genießen zu können. Cela n'est pas plus fin que ça, sobald man ihre Karte durchschaut. Es ist ja möglich, daß ich weniger gut und dümmer bin, als sie, obwohl ich nicht einzusehen vermag, weshalb es so sein sollte, indes ich sowohl wie du, wir besitzen einen wirklichen und wichtigen Vorzug – den, daß wir uns schwerer erkaufen lassen. – Solche Männer aber sind jetzt uns mehr vonnöten, als es je der Fall gewesen ist.«
Wronskiy hörte aufmerksam zu, aber weniger der Inhalt der Worte war es, der ihn beschäftigte, als die Beziehung derselben auf Serpuchowskiys Verhältnisse, welcher bereits glaubte, sich im Kampfe mit jener Macht zu befinden und in dieser Welt bereits seine Sympathieen und Antipathieen hatte, während es für ihn selbst, für Wronskiy, nur Interessen gab, die sich auf die Eskadron bezogen.
Wronskiy erkannte auch, wie stark Serpuchowskiy mit seiner unzweifelhaften Fähigkeit, zu urteilen, die Dinge richtig aufzufassen, mit seinem Geist und seiner Redegewandtheit werden konnte, die sich so selten in den Kreisen vorfinden, in denen er lebte. So viel Überwindung es ihn kosten mochte – er mußte ihn beneiden.
»Und dennoch ist mir mit diesem einzigen und höchsten Ziele nicht genug,« antwortete er, »mit diesem Wunsche, mächtig zu sein. Es war wohl einmal so, aber das ist vorbei.«
»Entschuldige, das ist nicht wahr,« lächelte Serpuchowskiy.
»Doch, es ist wahr, es ist wahr – nämlich jetzt, um aufrichtig zu sein,« fügte Wronskiy hinzu.
»Wahr – für jetzt – das ist etwas anderes; aber dieses jetzt wird nicht immerdar sein.«
»Möglich,« versetzte Wronskiy.
»Du sagst möglich,« fuhr Serpuchowskiy fort, als wenn er des Anderen Gedanken erraten hätte, »ich aber sage dir ›sicherlich‹. Und aus diesem Grunde wollte ich dich sprechen. Du hast gehandelt, wie du mußtest; das verstehe ich recht wohl, aber du darfst es nicht allzuweit treiben. Ich bitte dich jetzt um carte blanche. Zu protegieren gedenke ich dich nicht, obwohl ich nicht einsehe, weshalb ich es nicht thun sollte; hast du mich doch so oft protegiert. Ich hoffe, daß unsere Freundschaft höher steht, als diese Frage; ja,« fuhr er fort, Wronskiy mild zulächelnd, wie ein Weib, »gieb mir carte blanche, tritt aus deinem Regiment und ich bringe dich unmerklich empor.«
»Aber so begreife doch, daß ich nichts brauche,« antwortete Wronskiy, »ich wünsche nur, es möchte alles so bleiben, wie es gewesen ist.«
Serpuchowskiy erhob sich und trat vor ihn hin.
»Du sagtest, es möchte alles so bleiben, wie es gewesen ist. Ich verstehe, was das heißen soll. So höre denn: Wir sind Schulkameraden, aber du hast vielleicht zahlreichere Weiber kennen gelernt als ich.« Ein Lächeln und eine Geste Serpuchowskiys besagten, daß Wronskiy nicht zu befürchten brauchte, er werde etwa leise und vorsichtig die wunde Stelle berühren. »Aber ich bin verheiratet, und, glaube mir, hat man einmal die Frau erkannt, die man liebt, – so schrieb einmal Einer – so erkennt man alle Weiber besser, als hätte man sie sonst auch nach Tausenden kennen gelernt.«
– »Wir kommen gleich!« – rief Wronskiy einem Offizier zu, welcher soeben ins Zimmer hereinblickte und die beiden zum Regimentskommandeur lud.
Wronskiy wünschte jetzt, das Ende zu hören und zu erfahren, was Serpuchowskiy ihm sagen wollte.
»Höre also meine Meinung,« fuhr dieser fort, »die Weiber sind der größte Stein des Anstoßes in der Existenz des Mannes. Es ist schwer, ein Weib zu lieben und zugleich irgendwie zu wirken. Es giebt hierfür nur ein einziges Mittel, mit Bequemlichkeit und ohne eigne Hemmnis zu lieben – das ist die Heirat! Wie soll ich dir es doch gleich klarmachen,« fuhr Serpuchowskiy fort, der die Vergleiche liebte, »halt, paß auf! Wie man nur ein Bündel tragen und doch dabei etwas mit den Händen verrichten kann, sobald das Bündel auf den Rücken gehängt ist, so ist es auch mit der Heirat. Dies habe ich an mir erfahren, als ich geheiratet hatte. Meine Hände waren da plötzlich wieder frei. Aber ohne die Ehe ein solches Bündel mit sich schleppen, heißt mit Händen laufen, die so vollgepackt sind, daß man nichts sonst zu thun vermag. Sieh Mazankoff, Krupoff an! Sie haben ihre Carriere durch die Weiber zu Grunde gerichtet!«
»Aber was für Weiber!« antwortete Wronskiy, dem die Französin und die Schauspielerin ins Gedächtnis kam, mit denen jene beiden ein Verhältnis gehabt hatten.
»Um so schlimmer! Je fester die Stellung eines Weibes in der Welt ist, um so schlimmer wird die Sache! Es bleibt sich ganz gleich – abgesehen davon, daß man das Bündel in den Händen trägt – ob man es erst einem anderen entreißt.«
»Du hast nie geliebt,« versetzte Wronskiy leise, vor sich hinstarrend und Annas gedenkend.
»Mag sein. Aber vergiß nicht, was ich dir gesagt habe. Und noch eins: die Weiber sind stets materieller als die Männer. Wir vollbringen aus Liebe eine erhabene That, sie handeln aber stets terre-à-terre.« – –
– »Sofort, sofort!« – wandte er sich jetzt an den eintretenden Diener. Dieser war indessen nicht erschienen, um sie nochmals zu rufen wie er dachte. Der Lakai brachte Wronskiy ein Billet:
»Von der Fürstin Twerskaja brachte das ein Diener für Euch.«
Wronskiy erbrach den Brief und geriet in hohe Aufregung.
»Ich habe Kopfschmerz und muß nach Haus,« sagte er zu Serpuchowskiy.
»Nun, so lebe wohl. Giebst du mir also carte blanche?«
»Wir werden später noch sprechen, ich finde dich ja in Petersburg.«