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Als Dolly in das kleine Boudoir Kitys eintrat, ein freundliches mit Rosen geschmücktes Zimmerchen, noch ebenso jugendduftig, rosig und freundlich, wie Kity es zwei Monate vorher noch selbst gewesen war, erinnerte sie sich, wie sie beide zusammen im vergangenen Jahre diesen Raum geschmückt hatten, mit welcher Lust und Liebe.
Ihr Herz erstarrte, als sie Kitys ansichtig wurde, die auf einem niedrigen Stuhle dicht an der Thür saß und den Blick unbeweglich auf die eine Ecke des Teppichs geheftet hielt.
Kity blickte die Schwester an; der kalte ziemlich mürrische Ausdruck ihres Gesichts veränderte sich nicht.
»Ich will jetzt wieder nach Hause fahren und daselbst sitzen bleiben, du aber wirst nun wohl nicht mehr zu mir kommen,« sagte Darja Alexandrowna, sich neben Kity niederlassend. »Ich möchte mit dir einiges sprechen.«
»Worüber?« frug Kity schnell, erschreckt den Kopf hebend.
»Worüber? Nun doch jedenfalls von deinem Herzeleid.«
»Ich habe kein Herzeleid.«
»Halt ein, Kity. Denkst du etwa, ich könnte nichts davon wissen? Ich weiß alles. Glaube mir; es ist eine so nichtswürdige Affaire – nun, wir haben das ja alle durchgemacht.«
Kity blieb stumm; ihr Gesicht hatte einen Ausdruck von Strenge.
»Er ist nicht so viel wert, daß du um ihn trauern dürftest« – fuhr Dolly fort, geradenwegs auf ihren Zweck zusteuernd.
»Ja, weil er mich verschmäht hat,« sprach Kity mit bebender Stimme. »Sprich mir nicht mehr davon, ich bitte dich, sprich nicht mehr davon.«
»Aber wer hat dir das gesagt? Kein Mensch hat davon gesprochen. Ich bin überzeugt, daß er in dich verliebt gewesen ist und noch verliebt ist, aber« –
»Ach; am Entsetzlichsten von allem ist mir dieses Mitleid,« rief Kity, Plötzlich in Zorn geratend. Sie wandte sich seitwärts auf dem Stuhle, errötete und bewegte nervös die Finger, bald mit der einen, bald mit der anderen Hand die Schnalle des Gürtels pressend, den sie trug.
Dolly kannte diese Eigenschaft ihrer Schwester, mit den Händen in den Gürtel zu greifen, wenn der Zorn in ihr aufwallte, sie wußte, daß Kity imstande war, während einer augenblicklichen Wallung sich zu vergessen und vieles Überflüssige und Unangenehme herauszupoltern, und Dolly wollte sie doch beruhigen. Allein es war dazu schon zu spät.
»Was; was willst du mir zu fühlen geben, was?« rief Kity heftig. »Etwa dies, daß ich einen Menschen geliebt habe, der mich nicht kennen wollte, und das, daß ich vor Liebe zu ihm sterbe? Und dies kann mir eine Schwester sagen, welche glaubt daß sie – daß sie – mich bemitleiden soll? Ich will nichts wissen von diesem Beileid, diesen Heucheleien!«
»Kity, du bist ungerecht!«
»Weshalb quälst du mich!«
»Aber, im Gegenteil – ich sehe, du bist gereizt!« –
Kity hörte sie nicht mehr in ihrer Erregung.
»Ich habe mich um nichts zu sorgen oder zu trösten! und habe Stolz genug, mir nie zu gestatten, einen Menschen zu lieben, der mich nicht liebt!«
»Aber das sage ich ja gar nicht! Nur Eins – sage mir die Wahrheit,« fuhr Darja Alexandrowna fort, ihre Hand ergreifend, »sage mir, hat Lewin mit dir gesprochen?«
Die Erinnerung an Lewin schien Kity des letzten Restes von Selbstbeherrschung zu berauben; sie sprang von ihrem Stuhle empor, warf die Gürtelschnalle zu Boden und machte schnelle Bewegungen mit den Armen in der Luft; dann rief sie:
»Was thut hier Lewin noch zur Sache? Ich begreife nicht, weshalb du mich foltern mußt! Ich habe es dir gesagt und wiederhole es, daß ich Stolz besitze, und nie – nie und nimmermehr – das thäte, was du thust, um hier auf denjenigen zu kommen, der dich verraten hat, der ein anderes Weib geliebt hat. Das verstehe ich nicht! Magst du es verstehen, ich kann es nicht!«
Nachdem Kity diese Worte gesprochen hatte, schaute sie die Schwester an, und als sie wahrnahm, daß Dolly schwieg und traurig den Kopf gesenkt hatte, setzte sie sich, anstatt das Boudoir zu verlassen, wie sie anfangs gewollt, wieder an der Thüre nieder und senkte gleichfalls den Kopf, ihr Gesicht in dem Taschentuch bergend.
Dieses Schweigen währte mehrere Minuten. Dolly dachte über sich selbst nach. Das nämliche Gefühl der Erniedrigung, welches sie stets empfunden hatte, erwachte besonders schmerzend in ihr, als die Schwester vor ihr desselben Erwähnung gethan hatte. Eine solche Härte hatte sie von der Schwester nicht erwartet, und sie zürnte dieser nun.
Plötzlich aber vernahm sie das Rauschen eines Gewandes und indem sie die Töne verhaltenen Schluchzens vernahm, legten sich zwei Arme von unten um ihren Hals.
Kity lag vor ihr auf den Knieen.
»Liebste Dolly; ich bin so tief, so tief unglücklich!« stammelte Kity schuldbewußt.
Sie verbarg das liebliche, von Thränen überthaute Antlitz in den Falten des Kleides der Schwester.
Gleich als ob die Thränen der unumgänglich nötige Kitt wären, ohne welchen das Getriebe eines Wechselverkehrs unter den zwei Schwestern nicht mit Erfolg ging, so sprachen sich die beiden Schwestern nun nach Thränenströmen, die sie vergossen, zwar nicht über das aus, was sie eigentlich beschäftigte; aber indem sie von Nebendingen sprachen, verstanden sie einander auch darin ganz gut.
Kity erkannte, daß ihr im Zorn geäußertes Wort über die Treulosigkeit von Dollys Gatten und deren Entwürdigung die arme Schwester bis auf den Grund des Herzens erschüttert hatte und diese ihr nichtsdestoweniger verzieh.
Dolly ihrerseits aber hatte alles erfaßt, was sie hatte wissen wollen und die Überzeugung gewonnen, daß ihre Vermutungen richtig gewesen waren, daß das unheilbare Weh Kitys in erster Linie darin bestand, daß Lewin ihr seine Hand angetragen hatte und zurückgewiesen worden war, daß Wronskiy sie getäuscht und sie selbst jetzt imstande war, Lewin zu lieben und Wronskiy zu hassen.
Kity hatte freilich kein Wort hierüber fallen lassen; sie sprach nur von ihrem Gemütszustand.
»Ich habe kein Herzeleid,« hatte sie, ruhiger werdend, gesagt, aber du wirst dir wohl denken können, daß mir jetzt alles abstoßend, zuwider, rauh erscheint, und vor allem ich mir selbst. Du kannst dir nicht vorstellen, was für böse Gedanken mir über dies alles kommen.«
»Aber wie kannst du böse Gedanken haben?« frug Dolly lächelnd.
»Die häßlichsten, die du dir denken kannst; ich vermag sie dir nicht zu sagen. Sie kommen nicht von Lebensüberdruß oder Langeweile, sie sind weit schlimmerer Art und mir ist, als hätte sich gleichsam alles, was Gutes in mir war, ganz verborgen und es wäre nur das Schlechte in mir zurückgeblieben. »Was soll ich dir sagen?« fuhr sie fort, den zweifelnden Ausdruck im Auge der Schwester gewahrend. »Papa hat soeben davon gesprochen; mir scheint, als glaube er nur, ich müsse eben heiraten. Mama führt mich zu Balle; mir scheint, sie thut es nur deshalb, um mich möglichst bald zu verehelichen und mich loszuwerden. Ich weiß, daß diese Gedanken unrecht sind, aber ich gewinne es nicht über mich, sie von mir zu scheuchen; sogenannte Bräutigams kann ich nicht sehen. Mir scheint, daß sie stets sich ein Maß von mir abnehmen. Früher war es mir ein Vergnügen, im Ballkleid auszufahren, ich freute mich über mich selbst; jetzt empfinde ich Scham darüber und fühle mich unsicher. Und was willst du auch anderes erwarten? Der Arzt – ha« –
Kity brach ab. Sie wollte fortfahren und sagen daß von jener Zeit, da diese Veränderung mit ihr vorgegangen war, Stefan Arkadjewitsch ihr unausstehlich unangenehm geworden war, und daß sie ihn nicht sehen könne ohne Vorstellungen der niedrigsten und ungereimtesten Art dabei zu haben.
»Alles erscheint mir im rohesten, abstoßendsten Lichte,« fuhr sie fort, »und dies ist meine Krankheit; vielleicht, daß sie vorübergeht« –
»Aber denke nicht« –
»Ich kann nicht. Nur in der Gesellschaft von Kindern ist mir wohl; nur bei dir.«
»Schade, daß du nicht bei mir sein kannst.«
»Nein; aber ich werde einmal zu dir kommen. Das Scharlachfieber habe ich ja gehabt, und ich werde maman schon bitten.« –
Kity bestand auf ihrer Absicht und kam zur Schwester; sie pflegte die Kinder Dollys während der ganzen Dauer des Scharlachfiebers welches tatsächlich zum Ausbruch gekommen war.
Alle sechs Kinder brachten die beiden Schwestern glücklich durch die Krankheit, aber die Gesundheit Kitys besserte sich dadurch nicht und zur Zeit der großen Fasten reiste die Familie Schtscherbazkiy ins Ausland.