Leo N. Tolstoj
Anna Karenina. Erster Band
Leo N. Tolstoj

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5.

»Die Geschichte ist ein klein wenig übermütig, aber so hübsch, daß ich sie sehr gern erzähle,« sagte Wronskiy, mit lachenden Augen auf sie blickend. »Die Familie kann ich freilich nicht nennen.«

»Dann werde ich sie raten; um so besser.«

»Hört denn: Es fahren eines Tages zwei junge Leute« –

»Natürlich Offiziere Eures Regimentes?«

»Ich spreche nicht von Offizieren, nur von zwei jungen Leuten, die miteinander gefrühstückt hatten.«

»Übertragt dies lieber: getrunken hatten.« –

»Meinetwegen. Es fahren also diese beiden zu einem Freunde in der lustigsten Stimmung von der Welt. Da gewahren sie, wie eine hübsche jüngere Dame sie in einem Mietwagen überholt, sich nach ihnen umblickt und wie es scheint sogar mit dem Köpfchen nickt und lacht. Die beiden folgen natürlich und streben ihr aus Leibeskräften nach.

Zu ihrer Verwunderung läßt die Schöne an der Einfahrt gerade des nämlichen Hauses halten, zu dem sie selbst sich begeben. Die Schöne begiebt sich in das erste Stockwerk; sie sehen nur ihre roten Lippen unter dem kurzen Halbschleier hervorschimmern und ihre hübschen kleinen Füßchen.

»Ihr erzählt mit einer Empfindung, als schienet Ihr mir selbst einer der beiden jungen Leute gewesen zu sein.«

»Ah, was sagtet Ihr da! Also die jungen Leute begeben sich zu ihrem Freunde, bei welchem ein Abschiedessen stattfindet. Hier nun trinken sie wohl erst viel zu viel, wie dies ja gewöhnlich bei Abschiedsessen der Fall ist, und nach dem Essen wird gefragt, wer in dem Hause in der oberen Etage wohne. Niemand weiß es, und nur der Diener antwortet auf die Frage, ob oben drüber ›Mamsells‹ wohnten, es gäbe da sehr viele. Nach dem Essen begaben sich die jungen Leute in das Kabinett des Gastgebers und schreiben der Unbekannten ein Billet. Sie schrieben dasselbe in leidenschaftlichem Tone, ein Liebesgeständnis, und tragen es selbst hinauf, um das noch zu erklären, was in dem Briefe nicht völlig verständlich geworden wäre.«

»Weshalb erzählt Ihr mir aber solche Abgeschmacktheiten?«

»Man klingelt oben; eine Magd erscheint; man giebt den Brief ab und versichert dem Mädchen, man sei so verliebt, daß man auf der Stelle vor der Thürschwelle sterben möchte. Das Mädchen läßt sich unschlüssig in eine Unterhaltung ein, plötzlich erscheint ein Herr mit wurstartigem Backenbart, rot wie ein Krebs, und erklärt, es wohne niemand mehr hier im Hause, als seine Frau, und jagt beide von dannen.« –

»Weshalb meint Ihr, daß der Backenbart des Mannes, wie Ihr sagtet, wurstartig ausgesehen habe?«

»Nun hört bitte zu. Heut erst war ich zur Aussöhnung dort.«

»Und was geschah dabei?«

»Etwas höchst Interessantes. Es stellte sich heraus, daß man es mit dem glücklichen Ehepaar eines Titularrats und einer Titularrätin zu thun hatte. Der Titularrat wollte die beiden verklagen und ich machte den Friedensstifter, und was für einen! Ich versichere Euch, Talleyrand ist nichts gewesen im Vergleich mit mir!«

»Worin lag denn die Schwierigkeit?«

»Nun hört an. Wir entschuldigten uns, wie es sich gehörte. Wir wären in Verzweiflung, und bäten um Verzeihung für das unglückselige Mißverständnis. Der Titularrat mit den Wurstbackenbärten begann aufzuthauen; doch wünschte er, seinen Empfindungen Ausdruck zu verleihen; sobald er jedoch angefangen hatte, dies zu thun, geriet er in einen so mächtigen Zorn, und schleuderte die gröbsten Grobheiten so um sich herum, daß ich von neuem meine diplomatischen Talente alle in Bewegung setzen mußte. ›Ich bin völlig damit einverstanden, daß die Handlungsweise dieser Herren nicht gut war, aber ich bitte Euch, ihre Unbesonnenheit und die Jugend berücksichtigen zu wollen; dann hatten die Herren auch soeben erst gefrühstückt. Ihr versteht mich ja wohl. Sie bereuen das Vorgefallene von ganzer Seele und bitten darum, daß man ihnen ihren Fehltritt vergebe,‹ sagte ich.

»Der Titularrat ließ sich wiederum erweichen, ›ich bin einverstanden, Graf, und bereit, zu vergeben, aber Ihr seht wohl selbst ein, daß mein Weib, mein Weib, eine ehrenhafte Frau, den Verfolgungen und Roheiten einiger Buben ausgesetzt war, Niedriger‹ – Ihr versteht, er nannte die beiden, welche anwesend waren, Buben, und ich sollte das alles ins Gütliche umsetzen. Ich mußte also wieder diplomatisch operieren, und der Titularrat kam richtig, gerade wie ich so weit war, daß die Sache ihr Ende finden konnte, abermals in Zorn, er wurde dunkelrot im Gesicht, seine Backenbärte schienen sich zu erheben und abermals erging ich mich in diplomatischen Finessen.«

»Ah, das muß er auch Euch erzählen!« wandte sich Bezzy lachend an eine Dame, welche zu ihr in die Loge getreten war. »Er hat mich vorzüglich belustigt.«

»Nun, bonne chance,« fügte sie hinzu, Wronskiy den Finger reichend, den sie noch frei von dem Fächer hatte, und mit einer Bewegung der Schultern die in die Höhe geschobene Taille des Kleides sinken lassend, damit sie, so wie es sein sollte, möglichst dekolletiert erschien, indem sie vortrat an die Rampe, in das Gaslicht und vor die Blicke der Menge.

Wronskiy fuhr nach dem französischen Theater, wo er thatsächlich seinen Regimentskommandeur sehen wollte, der keine Vorstellung in diesem Theater vorüberließ, um ihm Bericht zu erstatten über seine Friedensmission, die ihn nun schon seit drei Tagen beschäftigte und ergötzte.

In die Angelegenheit war Petrizkiy verwickelt, den er liebte und ein anderer tüchtiger junger Mann, der noch nicht lange erst in Dienst getreten war, aber als ausgezeichneter Kamerad galt, der junge Fürst Kedroff. Vor allem aber handelte es sich darum, daß Interessen des Regiments auf dem Spiele standen.

Beide standen in der Eskadron Wronskiys. Der Titularrat war zum Regimentskommandeur gekommen, er hieß Wenden, und hatte eine Beschwerde über dessen Offiziere eingereicht, weil diese seine Frau beleidigt hätten.

Sein junges Weib – erzählte Wenden, welcher erst seit einem halben Jahre verheiratet war – sei mit der Mutter in der Kirche gewesen, hatte aber infolge eines sie plötzlich anwandelnden, aus bekannten Umständen hervorgehenden Unwohlseins nicht mehr länger stehen können, und sei daher in dem ersten besten, ihr begegnenden Geschirr nach Hause gefahren. Da wären ihr nun einige Offiziere gefolgt, sie sei in Furcht geraten, und, noch mehr unwohl geworden, die Treppen im Hause hinaufgelaufen. Wenden selbst, aus dem Gericht zurückkehrend, hatte die Glocke und die Stimmen vernommen und war herausgetreten, worauf er, der berauschten Offiziere mit dem Briefe gewahr geworden, diese weggejagt habe. Er bat um strenge Bestrafung der Schuldigen.

»Nein, was Ihr auch sagt,« meinte der Regimentskommandeur zu Wronskiy, den er zu sich berufen hatte, »Petrizkiy wird unmöglich. Es vergeht keine Woche, in welcher er nicht eine Affaire hätte; dieser Beamte wird die Sache nicht auf sich beruhen lassen, er wird weiter gehen.«

Wronskiy erkannte die ganze Aussichtslosigkeit der Sachlage; daß hier von einem Duell keine Rede sein könne und alles versucht werden müsse, diesen Titularrat milder zu stimmen und die Sache niederzuschlagen.

Der Regimentskommandeur hatte Wronskiy hauptsächlich deshalb gerufen, weil er diesen als einen verständigen und klugen Mann kannte, namentlich als einen Mann, der die Ehre des Regiments hochhielt. Sie besprachen sich über die Angelegenheit und entschieden sich dafür, Petrizkiy sowie Kedroff müßten mit Wronskiy zu jenem Titularrat fahren und ihm Abbitte leisten.

Der Regimentskommandeur und Wronskiy begriffen beide wohl, daß der Name Wronskiys und der Namenszug des Flügeladjutanten viel mit zu der Erweichung des Rates beitragen könnte.

Und in der That, diese beiden Mittel erwiesen sich zum Teil wirksam; allein das Resultat der Versöhnung verblieb im Ungewissen, wie Wronskiy auch berichtete.

Als dieser in das französische Theater gekommen, zog er sich mit dem Regimentskommandeur in das Foyer zurück und rapportierte ihm über den Erfolg oder vielmehr Nichterfolg, und nachdem der Kommandeur alles nochmals erwogen hatte, entschied er sich dahin, die Sache ohne Folgen bleiben zu lassen, begann aber alsdann, wie um sich daran zu ergötzen, Wronskiy über die Einzelheiten seines Besuchs zu befragen. Er vermochte lange Zeit nicht, vor Lachen sich zu fassen, als er die Erzählung Wronskiys hörte, wie der Titularrat, sich beruhigend, plötzlich immer wieder von neuem in Wut geraten sei indem er sich die Einzelheiten des Vorkommnisses ins Gedächtnis rief, und wie Wronskiy, bei dem letzten halben Worte, welches noch die Aussöhnung mit zustande bringen sollte, sich lavierend zurückzog und Petrizkiy vor sich her geschoben hatte.

»Eine schmutzige Geschichte, aber zum Kranklachen. Kedroff kann sich mit diesem Herrn nicht schlagen! Also furchtbar wütend ist er geworden?« frug er nochmals lachend.

»Wie war heute Claire?«

»Wunderbar,« versetze er im Hinblick auf die neue französische Schauspielerin. »Man kann sie so oft sehen, wie man will, sie ist jeden Tag neu. Das können doch nur die Franzosen!«


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