Leo N. Tolstoj
Anna Karenina. Erster Band
Leo N. Tolstoj

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9.

Umgeben von allen ihren Kindern, die gebadet waren, und nasse Köpfe hatten, fuhr Darja Aleksandrowna, ein Tuch um den Kopf, am Hause vor, als der Kutscher meldete, es komme soeben ein Herr daher, wie es scheine, von Pokrowskoje.

Darja Aleksandrowna blickte auf und geriet in freudige Erregung, als sie unter dem grauen Hut und dem grauen Paletot die wohlbekannte Gestalt Lewins erblickte, der ihnen entgegenkam.

Sie war stets erfreut, wenn sie ihn sah, jetzt aber empfand sie dies besonders, weil er sie nun in all ihrem mütterlichen Glanze sehen konnte. Niemand als Lewin verstand besser, den Stolz Darjas Aleksandrownas zu würdigen.

Als derselbe sie erblickte, befand er sich vor einem jener Bilder, wie er sie sich selbst schon von einem künftigen Familienleben entworfen hatte.

»Gleich einer Bruthenne, Darja Aleksandrowna!«

»O, wie ich mich freue,« sagte sie, ihm die Hand reichend.

»Ihr freut Euch und doch ließt Ihr mir keine Nachricht zugehen. Mein Bruder ist jetzt bei mir und ich habe erst von Stefan eine Mitteilung empfangen, daß Ihr hier wäret.«

»Von Stefan?« frug Darja Aleksandrowna voll Verwunderung.

»Ja; er schreibt, daß Ihr nach hier übergesiedelt wäret und denkt, Ihr würdet mir erlauben, Euch irgendwie behilflich zu sein,« sagte Lewin, Plötzlich in Verwirrung geratend bei diesen Worten und stecken bleibend. Schweigend schritt er neben dem Wagen dahin, junge Lindenzweige abbrechend und anbeißend.

Er war in Verwirrung geraten, weil er vermutete, daß Darja Aleksandrowna die Hilfsbereitschaft, die ihr seitens eines Fremden angeboten worden war, unangenehm sein könnte, in einer Angelegenheit, die doch von ihrem Gatten zu erledigen gewesen wäre.

In der That hatte auch das Verfahren Stefan Arkadjewitschs, die eigenen Familienangelegenheiten zum Gegenstand des Interesses anderer zu machen, Darja Aleksandrowna nicht gefallen. Sie empfand indessen sogleich, daß Lewin dies alles verstehe und eben dieser Zartheit im Verständnis halber, dieser Feinfühligkeit wegen schätzte sie Lewin hoch.

»Ich habe verstanden,« sagte Lewin, »daß dies nur soviel bedeutet, als ob Ihr mich zu sehen wünschtet, und ich freue mich hierüber sehr. Natürlich kann ich mir denken, daß es Euch, der Dame aus der Stadt, hier seltsam vorkommen wird; aber wenn Euch irgend etwas nötig sein sollte, so werde ich ganz zu Euren Diensten sein.«

»O nein!« sagte Dolly. »In, der ersten Zeit wohl war es mir unbequem, jetzt aber ist alles ganz hübsch eingerichtet. Dank meiner alten Amme,« fuhr sie fort, auf Marja Philimonowna weisend, welche verstand, daß man von ihr spreche und daher heiter und freundlich auf Lewin blickte. Sie kannte diesen, und wußte, daß er ein guter Bräutigam für die junge Herrin gewesen wäre und hatte gewünscht, die Sache möchte in Erfüllung gegangen sein.

»Nehmt doch gefälligst Platz, wir wollen ein wenig zusammenrücken,« sagte sie zu ihm.

»Nein; ich werde weiter gehen. Kinder, wer will von euch mit mir und den Pferden um die Wette laufen?«

Die Kinder kannten Lewin sehr wenig. Sie wußten nicht mehr, wann sie ihn gesehen hatten, zeigten aber ihm gegenüber nicht jenes seltsame Gefühl der Befangenheit und des Widerwillens, wie es Kinder so häufig vor Erwachsenen, die sich verstellen, empfinden, und das ihnen häufig so übel bekommt.

Die Heuchelei kann in irgend etwas wohl auch den klügsten, scharfsinnigsten Menschen täuschen; aber selbst das allerbeschränkteste Kind wird sie erkennen und sich von ihr abwenden, mag sie auch noch so geschickt verborgen sein. Was für Mängel Lewin auch immer haben mochte, von Heuchelei war in ihm nichts zu entdecken, und daher bewiesen ihm die Kinder ihre freundschaftliche Zuneigung im nämlichen Maße, wie sie sie auf den Zügen der Mutter zu ihm entdeckten.

Auf seine Einladung sprangen die beiden Ältesten sogleich herab und liefen mit ihm, wie sie mit ihrer Amme, mit Miß Goul oder der Mutter gelaufen wären. Selbst Lily bat, zu ihm zu dürfen und die Mutter übergab sie ihm. Er setzte sie auf seine Schulter und lief mit ihr davon.

»Habt keine Angst, keine Angst, Darja Aleksandrowna!« sagte er mit heiterem Lächeln zu der Mutter, »es ist unmöglich, daß ich mich versehe oder sie fallen lasse.«

Die Mutter beruhigte sich auch mit einem Blick auf die leichten, kräftigen, aber vorsorglichen und nur zu umsichtigen Bewegungen Lewins, und lächelte, heiter und zustimmend ihn anschauend.

Hier auf dem Lande, im Verkehr mit den Kindern und der ihm so sympathischen Darja Aleksandrowna, geriet Lewin in jene, ihn so häufig überkommende Stimmung kindlich heiteren Frohsinns, den Darja besonders an ihm liebte. Indem er mit den Kindern lief, und ihnen Turnkünste wies, machte er Miß Goul mit seiner schlechten englischen Aussprache lachen und erzählte Darja Aleksandrowna von seinen Arbeiten auf dem Dorfe.

Nach Tische kam diese, im Salon allein mit ihm zusammensitzend, auch auf Kity zu sprechen.

»Wißt Ihr schon? Kity wird hierher kommen, und den Sommer bei mir zubringen.«

»In der That?« sagte er, in Aufregung geratend, fuhr aber dann, um das Thema zu wechseln sogleich fort: »Soll ich Euch also die beiden Kühe senden? Wenn Ihr rechnen wollt, so zahlt Ihr mir sie mit fünf Rubel monatlich ab, sofern Euch das nicht unangenehm ist.«

»Ach nein, ich danke Euch bestens, es befindet sich jetzt alles bei uns in Ordnung.«

»Dann muß ich schon einmal Eure Kühe besichtigen und wenn Ihr gestattet, anordnen, wie sie gefüttert werden sollen. Die Hauptsache liegt in der Fütterung.«

Um nur das angeregte Thema wechseln zu können, setzte er nun Darja Aleksandrowna die Theorie der Milchwirtschaft auseinander, welche darin bestand, daß die Kuh nur die Maschine sei, welche die Fütterung in Milch umzusetzen habe.

Er setzte dies auseinander und wünschte dabei sehnlichst, noch Näheres über Kity zu vernehmen; gleichwohl aber fürchtete er dies auch wieder. Es war ihm bange darum, daß seine so mühsam von ihm errungene Ruhe wiederum zu nichte gemacht werde.

»Aber wenn nach alledem, was Ihr mir da ausführt, verfahren werden soll? Wer wird denn das thun?« antwortete Darja Aleksandrowna mit Widerstreben.

Sie hatte ihr Wirtschaftswesen jetzt mit Hilfe Marja Philimonownas so verbessert, daß sie gar keine Lust hatte, noch etwas an demselben zu verändern, und dann glaubte sie auch gar nicht an Lewins Kenntnisse im Ökonomiewesen. So erschienen ihr seine Urteile, daß die Kuh eine Maschine für die Milchfabrikation sei, bedenkenerregend, und sie meinte, daß solche Auffassungen der Ökonomie nur im Wege stehen könnten. Ihr dünkte dies alles bei weitem einfacher; es war eben nur erforderlich, wie schon Marja Philimonowna auseinandergesetzt hatte, der Bunten und der Weißen mehr Futter zu geben und zu vermeiden, daß der Koch aus der Küche das Spülichtwasser in den Kuhstall trug. Das lag offen zu Tage, auch die Ausführungen über Kraft- und Grünfütterung waren bedenklich und unklar. Ihr selbst hatte vorzugsweise überhaupt daran gelegen, von Kity zu sprechen.


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