Ludwig Tieck
Hexensabbat
Ludwig Tieck

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Wenn Carl, den die Welt nachher den Kühnen nannte, auch diese Beschuldigung glaubte, so hatte er in seiner Stellung immer nur wenig gewonnen, wenn ihm der unbedeutende Köstein aus seinem Wege geräumt würde. Er war bei mehreren Verhören selbst zugegen, und Denis mußte dem Ritter seine Anklage ins Angesicht wiederholen. Köstein leugnete bald, bald gab er zu, und entschuldigte sich nur damit, die geheimen Schachteln hätten kein Gift, sondern ein künstlich bereitetes Liebespulver enthalten, durch welches Köstein die Liebe und das Vertrauen des Thronerben habe erwerben wollen, weil er deutlich dessen Haß gegen ihn erkannt habe. Die Pulver selbst aber waren nicht mehr vorhanden und in andern Verhören schien es wieder, als sei dieses Vorgegebene nur eine armselige Lüge des Denis, der sich durch diese gegen die schweren Anklagen Kösteins und des Kanonikus Melchior retten wollte.

Richter und Beisitzer, Advokaten wie Schöffen führten die Sache so, daß der Prinz wohl merkte, wie durch höhern Einfluß alles gehemmt sei und der Prozeß wesentlich nicht aus der Stelle rücke. So oft die Untersuchung sich zu den Gewaltigen des Landes zu lenken schien, so oft Kläger und Angeklagter auf diesen oder jenen irgendeine Hinweisung vorbrachten, so wurde bald auf mehr oder minder künstliche Art die Sache wieder in einen andern Weg geleitet. Denis schien weniger als Köstein zu wissen, aber man mußte glauben, daß Köstein den Glauben gefaßt hatte, es könnte sein Leben retten, wenn er schwiege, durch Widersprüche seine eignen Aussagen schwäche und lieber sich Lügen beweisen ließe, als daß man seiner Wahrheit vertraute.

Endlich wurden beide, Kläger und Angeklagter, des Todes schuldig befunden. Köstein, als Giftmischer, welcher den Prinzen hochverräterisch habe hinrichten wollen, und Denis als Mörder und Mitwissender dieses Plans.

Am Tage vor seinem Tode ließ Köstein den Grafen Carl um ein vertrautes Gespräch in einem einsamen Zimmer ersuchen, wo sie von niemand behorcht werden könnten. Die Richter und Edelleute wollten dem Prinzen abraten, den Bösewicht vor sich zu lassen, der vielleicht in Verzweiflung jetzt noch einen Mordversuch an seiner geheiligten Person wagen würde. Doch Carl lächelte und ließ den Verbrecher vor sich erscheinen. Alle übrigen mußten das Zimmer verlassen und Köstein, krank, blaß und schwach kniete vor dem Thronerben nieder.

Der Graf Charolais stand groß und schlank vor dem in den Staub geworfenen Sünder, sah ihn aus seinem trotzigen braunen Gesicht mit den dunkeln Augen scharf an und sagte, indem er ihm mit der Hand winkte: Steht auf, Köstein, was habt Ihr mir zu sagen?

Köstein stand zitternd auf, warf den scheuen Blick umher und fragte: Ist auch gewiß niemand zugegen?

Niemand, der uns hören könnte, sagte der Prinz; Ihr saht selbst, wie sie sich alle in das fernste Vorgemach zurückgezogen haben. Ich denke aber doch, Ihr werdet mir hier die Geschichte von der Vergiftung oder von den Liebestränken nicht wiederholen wollen, oder alle jene Torheiten, was Euch gegen Denis aufgebracht, oder was Ihr gegen den Elenden verschuldet haben sollt. Ich denke, um dergleichen war es dir beim Bitten um dieses Gespräch nicht zu tun.

Nein, mein gnädigster Herr und Fürst, sagte Köstein, sondern da ich sehe, daß mein Leben verfallen ist, daß die Hoffnungen, die man mir machte, trügerisch sind, will ich Euch vor meinem Tode wenigstens einen Dienst leisten, da ich Euch durch mein Leben so sehr entgegengestrebt habe.

So sprich, sagte der Fürst.

Der Graf Etampes, der jetzt hier zugegen ist und mich mit so vielen Versprechungen hinterging, ist einer Eurer schlimmsten Feinde. Aber wo hättet Ihr die nicht? Die Nivernois, die Croys, die Räte Eures Vaters, fast alle Großen des Landes. Man hat auch mich gemißbraucht, den alten Fürsten gegen Euch aufzubringen, Euch zu verleumden; die Partei der Franzosen im Lande und unter Eurer nächsten Umgebung ist sehr groß. Man vertraute mir manches, und mehr noch habe ich erraten und erhorcht, da man mich für leichtsinnig und unbedeutend hielt, und viele sich in meiner Nähe ohne Rückhalt betrugen.

Fahre fort, sagte der Prinz, und sprich offen, da du nichts mehr zu wagen hast.

Eure nächsten Diener, sagte Köstein, sind Euch ungetreu, wie Ihr Euch noch in dieser Woche davon überzeugen könnt. Wenn Ihr nach Gorkum von hier geht, so sind alle Anstalten getroffen, Euch auf einem Schiffe heimlich zu entführen.

Der Prinz sprang zurück. Wie? rief er aus; du lügst!

Ein flüchtiger Brabanter, Rubempré, ist dort in der Stadt; sein Schiff ist im Hafen. Er verweilt da unter allerhand Vorwänden. Orli, Euer Kammerdiener, Franz, Euer Stallmeister, wissen um die Sache. Am Abend in der Dämmerung, indem Ihr nach Hause geht, sollt Ihr unter einem glaublichen Vorwand in eine Barke gelockt, und von dort mit Gewalt auf das segelfertige Schiff gebracht werden, welches dann sogleich in See sticht.

Der Prinz hatte sich entfärbt und war in tiefem Sinnen. Und wohin mich führen? fragte er dann.

Darüber sind die Verräter wohl noch selbst nicht einig. Genug, Euer Leben ist in Gefahr, wenn Ihr dieser Bosheit nicht zuvorkommt. Wie Euch der König von Frankreich haßt und fürchtet, brauche ich Euch nicht zu sagen. Euer Vater ist so gut, daß er der edelste der Menschen sein würde, wenn seine Schwäche, sein Mißtrauen ihn nicht immer wieder in die Hände Eurer Feinde lieferte. So sehr er Euch liebt, so gibt es Stunden, wo sein Mißtrauen, von den Croys und der französischen Partei genährt, so stark wird, daß er Euch fürchtet, vor Eurer Heftigkeit zittert, und Euch die schwärzesten Komplotte gegen seine Staaten und seine Person zutraut. Wie gereut es mich, daß ich mich selbst dazu habe mißbrauchen lassen, so viele seiner heitern Stunden zu vergiften. So glaubt er jetzt, Ihr habt Euch vom Hofe entfernt, um nach Holland zu gehn, und Euch dort als Souverain und unabhängigen Fürsten zu erklären.

Der Prinz schlug die Hände im Erschrecken zusammen. Nein! rief er dann, bleich im Gesicht, ich habe niemals glauben können, daß es die Bosheit meiner Feinde so weit treiben würde! – Er ging im Zimmer mit großen Schritten auf und ab. – So ist es mit mir denn ohngefähr ebenso, – sprach er für sich selbst – wie es mit diesem Dauphin Ludwig und seinem Vater Carl stand! – Dieses ewig wache Mißtrauen – diese grübelnde Zweifelsucht – diese Unfähigkeit, Glauben zu fassen – sie vergiften jede Liebe, sie machen die Bande der Natur schwach und zerreißen sie oft. – Zwar bin ich kein schleichender, boshaft kluger Ludwig, und mein Vater ist stärker als der schwache Carl es war – und doch! – Oft ist es ja nur Notwehr, wenn das doch endlich geschieht und geschehen muß, was erst nur Lüge und Verleumdung war! – Wie traurig, wenn auch der beste Sohn nach dem letzten Tage des Vaters aussehen muß, durch welchen er erst frei und mündig wird! –

Sein Blick war zornig, seine Wange rot geworden. – Und dieser Rubempré, fragte er hastig, indem er sich wieder nahe vor Köstein hinstellte, – welcher ist es? Der Bastard oder dessen Bruder?

Ihr wißt, sagte Köstein, der Bruder, der sonst auch ein lieber und vertrauter Diener Eures Vaters war, ist jetzt bei Ludwig dem Eilften in großem Ansehn, nachdem er Eure Dienste hier, mit schlechtem Vorwande, verlassen hatte; dieser hat wohl, auf Befehl des Königs, den Bastard ausgesendet, um Euch zu fangen. Ludwig rechnet fest auf Euren Untergang, und wird gewiß, wenn Ihr ihn nicht überflügelt, alles versuchen, um Euch zu stürzen. Vielleicht will er Euch als Geisel entführen, um Eurem Vater Provinzen abzudrängen; vielleicht ist es auf Euren Mord abgesehn. Die nächsten Mitgenossen und Unterhändler dieser Bosheit sind Eure schlimmsten Feinde, die Herren von Croys. Aber, wenn es Euch auch gelingt, diesen Bastard zum Geständnis und zur Strafe zu bringen, diesen Croys werdet ihr, solange Herzog Philipp lebt, niemals etwas anhaben können, und dieser Rubempré ist so klug und vom listigen Könige gewiß so vorbereitet, daß Ihr Euch hüten müßt, daß in der Untersuchung die Anklage des Verbrechens nicht gegen Euch selbst gewendet werde.

Gut! gut! rief Charolais, dem Anschein nach wieder beruhigt. Ich sehe immer deutlicher, ich stehe auf einer dünnen Eisrinde über einem Abgrunde. Das Notwendigste ist vorerst, diesen Rubempré zu fangen, und mich dann mit meinem Vater ganz und herzlich auszusöhnen, um ihm die Augen zu öffnen.

So tut, mein gnädigster Herr, denn einige Eurer nächsten Umgebung, scheinbar Eure Freunde, und die gegen Euch immer so eifrig auf den Herzog Philipp schelten, suchen Euch täglich zu überreden, Euch in Holland, oder hier in Flandern als unabhängig zu erklären und die Fahne des offenbaren Aufruhrs zu schwingen. Ich brauche sie Euch nicht zu nennen, die schon mehr wie einmal Euch dies als das einzige Mittel, Euch zu retten, heftig angepriesen haben. Ihr habt ihnen schon ein geneigtes Ohr geliehen; ja im vorigen Monat seid Ihr schon schwankend gewesen. Alles dies weiß der Herzog, denn von den Croys, die mit diesen rechtlichen Herren Eurer Umgebung in Verbindung stehn, erfährt Euer Vater alles. Und mit Zusätzen und Übertreibungen, wie Ihr Euch selbst vorstellen könnt.

So ist mir denn, rief der Fürst wehmütig und erzürnt aus, der Vater fast ein ebenso gefährlicher Feind als der König von Frankreich! Und nirgend Freunde!

Ihr entfernt sie durch Eure Heftigkeit, sagte Köstein, und durch Eure wechselnde Laune, so daß es kaum möglich ist, Vertrauen zu Euch zu fassen. So höre ich wenigstens alle die sprechen, die sich, weil sie es vielleicht gut meinen, entschuldigen wollen.

Schweig! sagte der Fürst mit einiger Entrüstung; ich habe dich nicht rufen lassen, daß du mir Lehren geben solltest; und wenn auch vielleicht einiges Wahre in deinen Worten wäre, so ziemt es dem tiefgebornen Vasallen nicht, sie auf diese Weise auszusprechen.

Vergebt mir, sagte Köstein demütig; einer, der doch zum Tode verdammt ist, wagt mehr als der Freund und Ratgeber.

Und so danke ich dir, sprach der Fürst; oder hast du mir noch etwas zu entdecken?

Noch eine Anzeige kann ich Euch mitteilen, sprach der junge Mann zagend, die Euch vielleicht die unglaublichste von allen dünken wird. Als jene dort in Gent, Brüssel und Brügge von dem Unsinn hier, dem Hexenprozeß, erfuhren, so verschmähten diese große Herren auch diese törichten Begebenheiten nicht. Ich sprach mit dem Grafen Etampes, der jetzt die Stadt bei dieser Gelegenheit geplündert, und das Vermögen der reichsten Einwohner im Namen Eures Vaters eingestrichen hat, und er fand nicht nur meinen hingeworfenen Rat, daß ihn der Abfall dieser verkehrten Menschen aus allen seinen Verlegenheiten helfen könnte, sehr vernünftig, sondern er meinte auch gleich, es sei von der höchsten Wahrscheinlichkeit, daß Fürsten und Herren, Monarchen und große Charaktere wohl auch schon von dieser Gottlosigkeit durchdrungen sein möchten. Noch mehr ergriff die Familie Croys, die sich immer durch Rechtgläubigkeit und frommen Sinn ausgezeichnet hat, diese aberwitzigen Geschichten. Man freute sich, daß der blödsinnige Bischof hier in seiner Verblendung die Sachen so ernsthaft nahm. Man wartete es nur ab, wie Bürgerschaft und Adel, wie Frankreich und die übrigen Provinzen diesen Prozeß ansehn würden. Alle hofften eifrig, das Feuer sollte alle Stände und die Vernunft aller Menschen sogleich ergreifen. Man hörte nicht auf eine Einwendung, daß jede tüchtige Dummheit Jahre brauche, um sich einzuwurzeln und die segenreichen Früchte zu tragen. Ja, mein Prinz, wäre Frankreich und Deutschland, vorzüglich aber Euer Land, in einen pöbelhaften Jubel und Glaubenseifer über diese ruchlosen Anklagen und Verhaftungen ausgebrochen, hätten sich nicht Adel und Bürgerstand, vorzüglich aber die Universität von Paris und die Doktoren dagegen erklärt, so – –

Nun, so? rief der Prinz; sprich, Unglücklicher! –

So, sagte Köstein zögernd, – so hätte dieser und jener es wohl einer Armgard, oder Thalburg, oder wie die alten Weiber heißen mögen, auf die verdorrte Zunge gelegt, Euern Namen zu nennen, und Euch als einen Genossen des Sabbats anzuklagen. –

Der Prinz ging plötzlich wieder auf und ab und rief: Sollte es möglich sein? So sehe ich denn, wie man meinen Vater und auch mich verachtet! – Ich will dir hierin nicht glauben, Törichter. – Hast du aber nicht, sprich selbst und ungezwungen, deinen Tod zehnfach verdient, der du so um alle diese Komplotte wußtest, zu ihnen gehörtest und schwiegst?

Des Todes, sagte Köstein ruhig, bin ich schuldig; ich sterbe, aber Ihr könnt nicht alle hinrichten lassen, die ebenso, oder noch mehr schuldig sind als ich.

Du hast recht, Elender, antwortete der Fürst, winkte, und ließ Köstein wieder fortführen, der am folgenden Tage enthauptet wurde, so wie Denis, sein ehemaliger Gesell.

Der Prinz ging nach Gorkum und ließ dort den Bastard Rubempré verhaften, versöhnte sich mit seinem Vater, und geriet in tiefe Verwicklung mit seinem Adel und dem Könige von Frankreich.

Das Leben des Dechanten war gebrochen. Sein geistlicher Stolz war zu einer irren, ungenügenden Demut, seine Sicherheit des Wissens zum leeren Zweifel, und sein fester Sinn zur Haltungslosigkeit herabgesunken. Seine Mitbrüder erkannten ihn kaum wieder, wenn sie ihm begegneten.

Der Bischof, jetzt noch dreister geworden, ließ wiederum Bürger und Kaufleute, auch Bauern verhaften, die sich verdächtig gemacht hatten oder die angezeigt waren; der Dechant aber zog sich von allen Untersuchungen und Verhören zurück, Krankheit vorschützend, welche ihm auch aus Angesicht und Auge zu sprechen schien.

Er vermied die Menschen, irrte gern im Felde umher, und verschloß sich dann wieder in seiner stillen Zelle. Dort blätterte er in einer Nacht in Papieren und Briefen, die ihm noch aus dem Nachlaß der alten Gertrud, von der Untersuchung ihrer Anklage, waren liegen geblieben; andre hatte ihm der Bischof, nach gefälltem Urteil, wieder zurückgesendet. Da sie freiwillig alles selbst bekannt hatte, so waren diese Blätter nicht beachtet worden, und der Dechant nahm sie jetzt, in tiefer Nacht, um sich zu zerstreuen, wieder vor. Unvermerkt war er in Briefschaften mit aller Aufmerksamkeit festgehalten, die von der Jugendgeschichte der alten Zauberin vieles erzählten; sie war die Tochter vornehmer und reicher Eltern in Gent, hatte viele Freier gehabt und einen nach dem andern höhnisch abgewiesen. Ihre Schönheit lockte aber neue an, die ebenso hart behandelt wurden. Dies alles zeigte sich auf alten, vergelbten Blättern, zerrissenen Zetteln und in einer alten Kapsel, welches alles auf dem Grunde eines halb vermoderten Kastens, des einzigen, den die Alte besaß, gelegen hatte. Von ihr waren diese Blätter gewiß vergessen worden, sonst hätte sie sie wohl nicht aufbewahrt.


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