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Indem vernahm er wieder im benachbarten Zimmer ein lautes Gezänk. Erschrocken sprang er hinein, und diejenigen von seinen Gästen, welche noch geblieben waren, folgten ihm nach. Köstein war es, der trunken und vom Zorne heiß, gegen Friedrich den Degen gezogen hatte. Einige ältere Männer hielten den wütenden Jüngling fest, und suchten ihm die Waffe aus der Hand zu ringen. Köstein hatte noch einige Kelchgläser Wein auf das Wohlsein des Herzogs Philipp, seines großen Beschützers getrunken: der Ritter Beaufort hatte ihm Bescheid getan, und dann die Gesundheit des Prinzen Carl, des Grafen von Charolais ausgebracht, welche der schon trunkne Köstein in seinem Übermute verweigerte. Beaufort und sein Sohn Friedrich hatten dies übel empfunden, sie wollten ihn zwingen, ihnen Bescheid zu tun, und Köstein, anstatt sich zu besinnen, hatte sich in heftige Schmähungen gegen den Prinzen ergossen. Bösewichter! rief eben der erhitzte Jüngling, als Schakepeh mit seinen Gästen in den größern Saal trat, ich will Euch lehren, den alten Herrn, meinen Fürsten respektieren! Auf den Knien sollt ihr, Rebellen, seine Gesundheit trinken, und den Boden dazu küssen. Was soll uns dieser Prinz? Dieser Händelmacher? Dieser Unfähige? Er der alle Welt haßt, und von allen gehaßt wird!
Schakepeh trat näher und sagte: Kind! schreit nicht so alberne Reden heraus! Her mit dem Degen, den Ihr sowenig, wie die Zunge, zu regieren wißt.
Er gesellte sich zu den Ratsherren, die den wütenden Köstein festhielten, und nahm diesem das Schwert aus der Hand, welches der Trunkne jetzt nicht zu bemerken schien, denn er nahm plötzlich, ganz freundlich den alten Schakepeh beim Kopf, warf sich in seine Arme, küßte ihn herzlich und sagte: Ihr seid doch noch ein verständiger Mann, der weiß, was sich geziemt, und wie man sich gegen ausgezeichnete Gäste, die am Hofe vielen Einfluß haben, zu betragen hat. Kauderwelsche Menschen aber, wie der alte Ritter dort, haben in dem kleinen Nest hier keine Lebensart, keine Rittersitte gelernt, sie wissen keine Unterschiede zu machen. Aber wartet nur, ihr tückischen Kleinbürger! Der Prinz, mein Graf Etampes, ja der Herzog selbst soll es erfahren, wie schlecht ihr von ihm gesprochen habt, und wir wollen alsdann doch sehn, ob wir nicht euern rebellischen Nacken beugen können.
Herr Schakepeh, sagte der alte Beaufort, der auch vom Wein und Zorn erhitzt war, ich brauche Euch wohl nicht erst zu sagen, daß der trunkne junge Mann etwas Inhaltloses daherfaselt, Ihr kennt mich lange genug, sowie ich auch meine Denkungsart niemals verschwiegen habe. Ich verehre den Fürsten, den guten Philipp, aber wir müssen auch dessen einzigen Erben hochachten und lieben, wenn wir Patrioten sein wollen.
Friedrich sagte, selbst zornig: Zürnt nicht mein Vater, es ist der Mühe nicht wert. Der junge Mann hat nicht Erfahrung und Überlegung genug, er kann Euch nicht beleidigen.
Köstein ward hierüber von neuem wütend. Ich kann Euch und jedermann beleidigen! rief er aus; das Vorrecht wird und soll mir bleiben! Ich habe schon manchen beleidigt, in Brügge, Gent und Brüssel, und die kleinen Bürgersleute haben's hinnehmen müssen, ohne nur das Maul aufzutun! Ich war gegen hundert Menschen völlig im Unrecht, und doch haben sie sich nicht verantworten dürfen. Das fehlte noch, daß man mir, oder einem Prinzen von Geblüt, oder den Herrn von Croys noch viel widerspräche, wenn wir im Unrecht sind! Das wäre ja eine ganz neue Haushaltung!
Gevattersmann, sagte jetzt Schakepeh, setze dich vors erste da nieder, und trink einen Becher kühlen Brunnenwassers, das wird deinem vornehmen Eifer guttun. Wir müssen alle als gute Freunde und Nachbarn leben. Du hast die Gabe, den Leuten unrecht zu tun, und sie ohne Not zu beleidigen, das sehn wir ja alle: aber Herr Beaufort und wir haben auch die Gabe, dir zu vergeben und einzusehen, daß du ein junger leichtsinniger Tor bist, dem die Hofgunst in den Kopf gestiegen ist, und der nun in seinem Wirrwarr alle zusammenwettern möchte, wenn wir es litten. Nicht wahr, so verhält sich die Sache, wenn wir es beim Lichte besehn?
Köstein lachte wieder und umarmte von neuem seinen Wirt. So ist es, sagte er fröhlich, du hast es getroffen, und dir als meinem zweiten Vater, als dem Verständigsten hier, als dem musterhaften Bürger, der so vortreffliche Weine in seinem Keller hat, übergebe ich nun mein Schwert und nenne mich deinen Gefangenen, bis ich mich von dir ranzioniert habe.
Er faßte nach dem Degen und war sehr verwundert, nur die Scheide anzutreffen. Wer sprach von Zauber? rief er aus; jawohl, ich sehe es, wir sind alle behext! Das starke Schwert ist verschwunden, und wenn Stahl und Eisen nachgeben muß, so soll mein Herz nicht mehr als der Degen verhärtet sein. Ich nehme es gnädig und wohlwollend an, daß der Ritter Beaufort und sein Sohn mich um Verzeihung bitten, und vergebe den lieben guten Leuten, die freilich niemals am Hofe gelebt haben. – Er umarmte mit vornehmer Herablassung den alten Ritter und Friedrich, die ungewiß schienen, ob sie auf diese Worte nicht von neuem etwas erwidern müßten. Schakepeh hinderte aber einen neuen Ausbruch des Zornes, indem er alle nach der Reihe umarmte und sie dann nach dem Bankett führte, indem er sagte: Versüßt hier im Konfekt und Zucker die Bitterkeit eurer Geister. Nichts besser, als so ein Niederschlag von süßen Sachen, so daß der kräftige Geist sich einer gewissen sanften Schwermut und Sehnsucht ergibt, die ihm recht schwärmerisch aus diesen Dingen da erwächst, so daß, wenn der Mensch etwas zuviel genießt, aus diesen lauen und flauen Empfindungen einer geläuterten Moral der fleißige Näscher sich bis zur wahren körperlichen Übelkeit und einem wohltuenden Ekel emporschwingen kann.
Sie setzten sich beruhigt nieder, und Köstein, welcher neben der schönen Sophie Platz gefunden hatte, war gegen diese besonders freundlich. Der Ritter Beaufort schämte sich jetzt seiner Hitze, und sprach mit Friedrich, dessen jugendliche Wangen noch glühten, wie man niemals und unter keinen Umständen seinem Zorne Raum geben müsse.
So war die Ruhe des Hauses wiederhergestellt, und Labitte, welcher, selber halb trunken, für seinen Freund, den jungen Friedrich, lebhaft Partei genommen hatte, setzte sich auch zu Schakepeh nieder, um von den gezuckerten Früchten zu genießen. Ihr seid der echte Friedensstifter, Freund, sagte er zum Alten, denn Euer Wein, der erst den Zwist erregt, besänftigt ihn auch wieder. Wenn es wirklich schadenfrohe Geister gibt, so haben sie heute ihren Fastnachtsaufzug in diesen Sälen gehalten. Mir deucht, meinem verklärten Auge sind sie auch sichtbar gewesen. Das gaukelte von allen Seiten, an den Fenstern, über der Tafel, und die Geisterkerle, die lange rote Nasen hatten, hielten diese immer über den Kelchgläsern, noch ehe die Gäste daraus tranken. Hatten sie nun den Duft eingezogen, so glänzten und gläserten die grünen, widerwärtigen Augen noch grüner. Und bei dieser Gelegenheit habe ich die naturhistorische Bemerkung gemacht, daß die Arten des Weines verschiedene Arten von Geistern anziehen und sichtbar machen. Denn ich, der ich ein Fürst und kommandierender Feldherr über alle diese Arten von Kobolden bin, und jedem gleich an der Nase ansehen kann, wohin er zielt, oder was er meint, hielt alle diese geflügelten, schwebenden, Duft einschlürfenden Vagabunden durch meinen Blick in eine gewisse Ordnung, denn sonst hätten sich wohl heut ganz andre Prügeleien in Euren hübschen Sälen kundgetan. Ich brachte es aber dahin, daß sie den Anstand doch einigermaßen beobachteten. Ach! Ihr glaubt nicht, wackrer Schakepeh, als die hübschen Mägde den süßen, lieben Wein aus Languedoc hereinbrachten, der in den Kristallgläsern so zart schwebte und bebte, was sich da schöne, rosenrot durchsichtige Sylphiden mit den brennenden Lippen an den Rand drängten, um von der zauberischen Flut zu nippen. Darauf schlugen sie die himmelblauen Augen so entzückt auf, daß es von dem klaren Schimmer selbst im Saale leuchtete; die eine, die etwas zu viel getrunken haben mochte, schwebte nach dem Fenster und setzte sich dort in den großen Blumenkranz, steckte ihr krauses Köpfchen in die kühle, eben auf geblätterte Rose und schlief nun so süß und entzückend ein, daß ich mich in das Feenkind mit meinem ganzen Herzen verliebt habe. Wenn sich der blanke Busen im Schlummer hob und senkte, so wallten die Rosenblätter gelinde, und das Aurikelchen daneben bebte vor Wonne. Dem groben Blick schien es, als spiele nur die Sommerluft manierlich in den bunten Blätterchen. Ei, Alter, es verlohnte sich schon deswegen der Mühe, einmal zu sterben, um diese Kinderchen mehr in der Nähe kennen zu lernen, und ihnen die Liebeserklärung zu machen. Nachher kam eine Fliege durch das Fenster geflogen, stieß in ihrer groben Ungeschicklichkeit an die Rose, und mein Liebchen wachte wieder auf. Nun setzte sie sich aufrecht, legte die Beinchen ruhend übereinander, und sah alles aufmerksam an, was die wilden, törichten Sterblichen im Saale vornahmen. Glaubt Ihr wohl, edler Mann, daß einer von den rotnasigen Kerlen jetzt mit dem Kindgeiste ein dummes Gespräch anfangen wollte? Der Stümper war auf gemeine menschliche Art so simpel hin betrunken, und verstand nicht den edlen Rausch meiner Sylphe. Sie winkte ihm aber mit den weißem Fingern, gegen die die Lilienblume noch schmutzig ist, so majestätisch und doch so freundlich ernst, daß er nicht den Mut hatte, seine Dummheiten oder Liebeserklärungen anzubringen. Nun glaubte ich gewonnen Spiel zu haben, und lächelte sie mit so vieler Holdseligkeit an, als ich nur zustande zu bringen wußte; da schlug sie aber ein so lautes und possierliches Gelächter auf, daß ich beschämt von meinem Traum erwachte. Ich saß gerade dem Spiegel gegenüber, und erschrak vor der grinsenden Fratze, die ich mir selbst entgegenhielt.
Der verstimmte Schakepeh hörte nur halb auf das Geschwätz des alten Malers hin, denn ihm war, als wenn eine trübe Ahndung ihm sagte, daß neue Unruhe oder neuer Zwist diesen Tag wiederum verstören würden. Auch schwebte ihm immer noch das Bild der ohnmächtigen, leichenblassen Frau Catharina vor den Augen. Er mochte den heiter faselnden Labitte nicht durch die Nachricht von der plötzlichen Krankheit der Frau überraschen, weil er wußte, wie sehr der Maler ihr Freund war. Dieser hatte den sonderbaren Vorfall nicht bemerkt, weil seine Aufmerksamkeit indessen im andern Saale war beschäftigt gewesen. Es war dem Wirte daher lieb, daß Labitte noch weiter dichtete, und einige der jüngeren Leute der Laune des Alten gern zuhörten. Noch mehr war er erfreut, als Köstein sich jetzt erhob, um Abschied zu nehmen; dasselbe tat der Ritter Beaufort und Friedrich, dessen Augen vergeblich die Frau Denisel gesucht hatten. Köstein, ganz ernüchtert, wie es schien, ging ohne Nachweisung selbst zu dem Tische, auf welchem sein Degen lag, steckte ihn ruhig an und sagte dann, indem er dem Ritter die Hand reichte: So sind wir denn also wieder Freunde, und bleiben solche.
Beaufort gab ihm nachlässig die Hand und sagte leichthin: Warum nicht? Was man im Trunke spricht, vergißt sich am leichtesten.
Kann sein, erwiderte Köstein, indem er stolz das Haupt aufrichtete und mit wichtiger Miene sein kostbares Barett aufsetzte. Aber wir Hofleute, fuhr er lächelnd fort, sind tückisch, wir haben unsre Freude an der Bosheit, und nichts geht über die Lust, als den Gegner, den man sicher gemacht hat, so recht plötzlich, wie ein Blitz aus heiterm Himmel, zu beschädigen und ihm recht empfindlich wehe zu tun. Von dergleichen Feinheiten des Lebens wißt ihr hier herum nun freilich nichts, ihr Holzhändler, Tapetenweber oder Rittersleute aus dem vorigen Jahrhundert. Wer aber mit Grafen und Herrn umgeht, mit den Croys, den Etampes, den Herzogen, der lernt auch diesen hohen Geschmack unter den Gerichten der Lebensmahlzeit am meisten schätzen und genießen.
Friedrich wollte etwas antworten, hielt aber auf einen ernsten Wink des Vaters seine Rede zurück, und Schakepeh, der den jungen übermütigen Ritter noch begleitete, kam ganz heiter die breite Treppe wieder herauf und trat gesprächig zur Gesellschaft, um in dieser noch eine frohe Stunde zu genießen, da sich der Unruhestifter endlich friedfertig entfernt hatte, als eine neue Erscheinung ihn und alle, die noch zugegen waren, heftig erschreckte und ihre Gemüter mit Grauen erfüllte.