Ludwig Tieck
Hexensabbat
Ludwig Tieck

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Catharina saß auf dem Hügel, und Labitte faßte Friedrichs Hand und sagte: Seht hier, Königin, der getreue, liebeschmachtende Tristan, der sich, in Sehnsucht aufgelöst, Eurem Schutze empfehlen will. – Friedrich mußte sein Knie beugen und wurde dann zum Handkusse gelassen. – Der alte Beaufort, der auch erst kürzlich in den Garten getreten war, mußte als König Artus figurieren, Sophie ward als Isalde vorgeführt, ein junger Mann als Parzifal, ein andrer als Gawein, und Wundrich, der mit Günther, einem Befreundeten, zurückgekehrt war, mußten als Marschall Kay und Iwan sich vorstellen lassen. – Hierauf wurden von den jungen Leuten Tänze im Garten angeordnet, denen sich aber Catharina entzog. Labitte und Friedrich folgten ihr in den Saal, und nachdem Beaufort der Musik und dem Springen einige Zeit zugesehen hatte, entfernte er sich wieder. Günther und Wundrich gingen durch den Garten, um sich verschiedene Dinge mitzuteilen.

War es nicht eine schöne Zeit, sagte Labitte, nachdem man sich im Saale niedergelassen hatte, in jenem dreizehnten Jahrhundert, als der Kaiser Friedrich selber sich mit Freuden Dichter nannte, als in jener bewegten Welt die süßen und tiefsinnigen Gedichte von Lancelot, Tristan, Parcifal, Titurell, Iwan und Erick allgemein gekannt, gelesen und gesungen wurden? Liebe, Frühling und Wunder war der Inhalt alter Lieder und die Freude der Welt, so wild sich auch Helden, Städte und Kirche gegeneinander feindlich bewegen mochten. Unser Zeitalter, wie verfinstert ist es gegen jenes! Die Welt war heiter und freundlich, denn die Phantasie jener Menschen war wie in Frühlingswärme ausgelichtet. Der Zauber, welcher Chateau Merveil band, war nicht finster und grausig; selbst das, was die Menschen die bösen Kräfte nannten, war nicht in wilden, verzerrten Figuren vorgestellt. Im Titurell und der schönen Sage vom heiligen Gral ist selbst kein Widerwille gegen die Heidenschaft ausgesprochen, und die Gestalten der Sarazenen treten in Heldengröße auf. Die Religion und ihre Geheimnisse, die Kirche, das Zeremoniell, die Heiligkeit des Priesters, der Glaube an den Heiland, alles ist so süß und freundlich gemalt, so aus dem Schatten alles Hasses herausgerückt, daß ich nur die lieblichsten und blühendsten Gemälde unsers herrlichen Johannes von Eyck damit vergleichen könnte. Neben den Geheimnissen der Sage, der Zauberei, der Religion und Liebe webt sich auch noch das Wunder der Feen hinein, die Göttinnen genannt werden, und auch in Liebe mit diesem oder jenem Helden verbunden sind. Diese Artusgedichte sind die ausgeblumte Frühlingspracht der Welt und Poesie, und nichts, nichts darf sich mit ihnen vergleichen.

Wie schön waren jene Tage, sagte Frau Catharina mit anmutiger Trauer, als Ihr mir damals die schönen Sachen vorlaset und erklärtet. Man konnte so ganz die jetzige rohe Welt vergessen, ihre Kriege und Zerstörungssucht, die Frechheit des Soldatenstandes und den Verrat der Großen.

Ach! rief Labitte aus, in der Wirklichkeit sah es auch nicht immer artig aus, in jener Zeit, wo diese Gedichte galten; denn wo ein Ezzelin regierte, wo ein Carl von Anjou geizte und grausamte, waren vom Baume der Zeit eben keine lieblichen Früchte zu brechen. Aber was die Menschen Gedicht, Sage, Phantasie nannten, das war von Himmelsheiterkeit durchwebt. Wie listig und schalkhaft sind die vielen Zauberpossen, die selbst in den großen, würdigen Gedichten erzählt werden! Da ist so ganz die Bosheit des Teufels, das Satanische der Höllengeister vergessen, daß auch das Schlimme sich nur wie eine seltsame, wunderliche Gestalt in den bunten Reigen der edlen Tanzenden springend mitbewegt. Die Menschenart war eine edlere, das Jahrhundert ein geläutertes, es bedurfte nicht des Grausens, der Gespenster und Qualen, des Widerwärtigen und Abscheulichen, um die Phantasie in Tätigkeit zu setzen. Auch der Untergang des Artus und seiner Helden, der Tod Tristans und seiner Geliebten, der Wahnsinn Iwans, das Leid der Sigune, alles ist groß, gelinde, und die Not des Lebens noch lieblich und reizend.

Ich glaube wohl, sagte Friedrich, daß der edle Ton und die lichte Farbe dieser Gedichte jenes Zeitalter charakterisiert; der Mensch war innerlich aufgehellt, und seine Würde zeigte sich wohl darin, daß er sich keine Scheusale hinstellte, um sich selbst davor zu entsetzen; dies Gelüste, was immer eine kranke Welt bezeichnet, war ihm auch nicht so nahegetreten, weil die Ketzergerichte der Dominikaner, die Vertilgung der Albigenser, und so manches, was jeder in der Nähe erlebte, Schrecken und Grausen genug in der Wirklichkeit darstellten.

Ihr habt wohl recht, antwortete der Alte; wer Fische im eignen Teiche hat, braucht sie nicht auf dem Markte zu suchen. – Sollte, könnte aber nicht auf ähnliche Art, wie jene Dichtungen dazumal die Gemüter der Menschen erhellten, die vieldeutige, bildungsreiche Religion des Christentums die Sehnsucht, Hoffnung, die Trauer und Freude der Menschen beleben und in Tätigkeit setzen? Was ängstigen uns diese Priester immerdar mit Buße, den Martern der Hölle, dem Zorn ihres Gottes, wie sie ihn sich denken. Ihre Kirchenzeremonien, ihre Gebete und Kniebeugungen, alles soll nur abzielen, den furchtbaren Unbekannten guter Laune zu machen, damit er das Elend des Lebens, Armut, Krankheit, und was den dürftigen Menschen immer quält, nur nicht noch mehr anhäufe. Von den Martern und dem schmerzlichen Tode des Erlösers und seiner früheren Bekenner sprechen sie am liebsten, und so machen sie aus einer süßen Trunkenheit, aus einem Rausch der Liebe eine Gespenster- und Todesangst. Freilich liegen alle Wunder, und folglich auch die des Grausens, auch die Lust an der Verwesung, in unserm Innern; aber wir sollen uns bestreben, das Lichte, Edle, Himmlische, Liebevolle und Beseligende aus diesen unergründlichen Tiefen hervorzurufen, und von dem Bösen, Trüglichen zu entbinden, was es in seinen dunkeln Fesseln hält, um uns als Menschen, als Berufene zu erkennen, und so im Glanz der echten Religion unsern eigenen Triumph zu feiern.

Die echte Religion! sagte Catharina; das ist eben der Streit! keiner glaubt, an der unechten sich verloren zu haben.

So ist es, sagte Labitte; die Leidenschaft des Menschen kann keine Unterschiede machen. Nur vom Menschen geht das Böse aus, indem er seine Kräfte, die ursprünglich gut sind, willkürlich in das Nichtige wirft, die Lüge erweckt, und den Tod in das Leben ruft. Nun sind jene Gespenster, die erst nur lächerliche Phantome und nichtige Schemen waren, durch seine Bosheit und Wut gepanzert, nun ziehen sie mit fast undurchdringlichem Harnisch dahin und vernichten die Welt, und richten sich dann auch gegen ihren Lügenmeister, der ihnen erst den Geist hassend eingeblasen hat.

Gut sind die Kräfte des Menschen ursprünglich? fragte Friedrich; da scheint Ihr doch zu sehr vom Sinn und dem Ausspruch der Offenbarung abzuweichen.

Erlaßt mir, junger Freund, sagte der Maler mit Wehmut, nähere Erklärungen. Wo das Wort sich Bahn machen will und einschneidet, da wird immer Geist und Sinn zertreten und untergewühlt, um das Wort nachher für Sinn ausgeben zu können. Ward nach der alten Sage der Mensch frei erschaffen, sollte er als ein Unsterblicher dastehen, und in Gott, als seinem Boden, wurzeln, so ist, menschlich zu reden, das Verbot, nicht das Gute und Böse erkennen zu dürfen, unbegreiflich. Denn erst dadurch wird er Mensch und sich seiner Freiheit bewußt. Inwieferne ihn die Schlange belogen hat, daß er Gott noch ähnlicher werde, ist eine verwickelte und bedenkliche Untersuchung. Die Tiefe des Abgrundes hat sich dadurch in ihm aufgetan, die ihm vorhin verschlossen war; aber er kann nun erst, indem er in diese Tiefe schaut, mit freier Liebe den Gott der Liebe anbeten und sich ihm widmen und opfern, wenn er früher fast nur als beseelte Pflanze wie unwillkürlich sein bewußtloses Herz zu seinem Vater erhob, dem Zuge der Natur so nachgebend, wie die Rose aufblüht und ihre Düfte ausstreut. Mag er durch diesen Abfall auch erst den seltsamen Bedingungen seines irdischen Daseins verfallen sein, so hat er ja dadurch auch die Scham und die Einsicht von edel und unedel gewonnen, und wie ihn diese Scham in seiner Erniedrigung unter das harmlose Tier stellt, so erhöht sie ihn auch, und gibt ihm einen Maßstab für die Unendlichkeit seiner Kräfte, mildert seinen Stolz, sänftigt seinen Hochmut, und macht selbst seine Liebe und den Rausch des Genusses demütig. Er hat, sagen sie, auf diesem Wege auch den Tod gefunden. Mag sein; aber war denn sein erster Zustand etwas anders, als ein verhüllter Tod? Könnten wir in Wahrheit uns in jene linde, unbewußte Ruhe zurückwünschen, so sehr sie immer als Ziel unserer Wünsche, als Lohn unserer Kämpfe und Unruhe in unsrer Phantasie lockend dasteht? Was ist Tod? Was ist Leben? Wenn ich das Wort im Innersten verstehen will, so verschwindet wohl der Unterschied, und ich sehe, daß jedes nur eine andre Offenbarung des Lebens sei. Sage denn gegen Sage, so erklärt mir ein Bild wohl ein andres, und in diesen Gegenden kommen wir niemals weiter. Wir können hier, was wir Offenbarung nennen, nicht beim Wort nehmen, denn hier ist der Buchstabe nichts und der Geist alles. So schwärme ich denn, wie andre es schon getan haben. – Alles dies sei mit Erlaubnis meines hohen Meisters gesagt. – Der Alte nahm bei diesen Worten sein Barett mit einer ehrerbietigen Gebärde vom Kopfe.

Erlaubt, fiel ihm Friedrich ein; diese Redensart, wenn Ihr etwas erklärtet, so sprachet, wie jetzt, oder auch Scherze vortruget, habe ich Euch schon oft brauchen hören; uns allen muß das auffallen: könnt oder wollt Ihr mir eine Erklärung darüber geben?

Der Alte war erst sehr ernsthaft, lachte dann gutmütig, und formte dann wieder sein Gesicht zur Ehrbarkeit, indem er sagte: Nun, Jüngling, glaubt Ihr mir denn, wenn ich Euch sagen oder vorlügen möchte, daß ich ein Eingeweihter in Geheimnissen sei, derentwegen vielleicht die alten Templer gestürzt wurden? Daß ich ein Vertrauter und Lieblingsschüler eines großen Meisters bin, den ich nicht nennen darf? Daß unsersgleichen, so wie die Eingeweihten der Griechen, in den Mysterien, das echte, ungefälschte Christentum besitzen und bekennen? Alles könnte ja Wind sein und ist es auch. Es ist eine Sache, die ich mir so angewöhnt habe, und wobei ich mir etwas nicht eben Unvernünftiges denke.

Catharina sann tief nach, denn so manche Gespräche Roberts sowie Philipps, wachten wieder lebendig in ihrem Geiste auf. Labitte fuhr fort: Ich könnte ja auch meinen lieben, alten, längst verstorbenen Meister in der Malerei, den herrlichen, wahrhaft frommen und gottseligen Hubert von Eyck meinen, von dem ich so vieles Sinnige vernommen habe, als ich fast noch ein Kind war. Der Mann Gottes war ein Auserwählter, ein fertiger Mensch, sowie es auch unser Johannes ist. Diese Erdgebornen haben die Schlacken abgelegt und triumphieren in Liebe und Freude, wenn Johannes auch das jüngste Gericht auf die herkömmliche Weise hat malen müssen. Diese Meister richten aber und verdammen keinen; die Erde verdient es nicht, daß es ihr geschieht, und der Geist verträgt es nicht, denn er kehrt doch irgend einmal zur Wahrheit zurück.

Fahrt fort, sagte Friedrich; ich bin erfreut, Euch so bei Laune zu sehen. Euer Gespräch ist mir immer fruchtbar gewesen, und ich merke wohl, daß, wenn ich Euch nicht ganz verstand, oder mir manches Torheit schien, ich nur den Zusammenhang Eurer Gedanken nicht begriff. In Eurer Seele, Meister, muß es wunderbar aussehen; sie ist die Werkstatt der buntesten, seltsamsten und verschiedenartigsten Bildungen. Eure Laune ist so, daß sie mir schon oft Schwindel erregt hat; dann sprecht Ihr wieder so tiefsinnig, daß ich lange über ein hingeworfenes Wort von Euch sinnen kann. Ich möchte wohl in dem lichten Blumengarten mit meiner Seele wohnen, in welcher die Eure einheimisch zu sein scheint. Ach! lieber Freund, was müßt Ihr in Eurer Jugend für ein liebenswürdiger Mensch gewesen sein!


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