Ludwig Tieck
Hexensabbat
Ludwig Tieck

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Er war früher gekommen, und wandelte Arm in Arm mit dem alten Schakepeh durch die aufgeputzten Räume, und erinnerte sich, halb gerührt, halb mit Lachen, wie er in früher Jugend in diesen Zimmern und Sälen oft mit Angst sich umgetrieben habe, wenn sein alter Wohltäter etwa nicht bei guter Laune gewesen sei. Der alte Holzhändler erfreute sich an dem heitern, einfachen Wesen seines ehemaligen Schützlings, dem es wohl tat, einmal den Zwang des Hofes zu vergessen, und sich in Erinnerungen seiner Kindheit zu ergehn. Als beide alles betrachtet hatten, stellte sich Köstein in den vorspringenden Altan oder Turm des mittlern Zimmers, um an der Seite seines Wirtes in die Straße hineinzusehn. Alle Fenster waren hinaufgezogen, und der junge schöne Mann stand halb an die Säulen und halb an den alten Bürger gelehnt, wie ein Fürst in seinem ritterlichen Schmucke da, so daß alle Vorübergehenden mit Ehrfurcht zu dem Söller hinaufschauten, und die gemeinen Bürger, die von Kösteins Ankunft noch nichts erfahren hatten, sich über den Holzhändler verwunderten, der einen so glänzenden Prinzen am Arme halte.

Jetzt kam Friedrich mit seinem Vater, dem Ritter Beaufort, und beide grüßten hinauf. Lebt der mürrische Beaufort noch? sagte Köstein; den Sohn habe ich schon draußen bei der Frau Denisel gesehn. Die beiden wurden von Dienern empfangen, und an der Treppe, im großen Vorsaal, wurden sie von der schönen Sophie, der Tochter des Hauses, begrüßt. – Jetzt schritt die schlanke, große und schön gekleidete Frau Catharina über die Straße, von ihrem alten Freunde, dem Maler Labitte, geführt. – Was die große, mächtige Frau so schön bleibt und jugendlich! rief Köstein; schreitet sie nicht an der Hand des alten Narren wie eine Fürstin einher! – Mit höflichem Gruß traten die beiden in den kühlen Flur des Hauses. – Jetzt kam der Dechant über die Straße gegangen, vor dem sich alle Bürger in Ehrfurcht neigten, indessen er sie mit einem vertraulichen Lächeln grüßte. Köstein sagte: Der Marck, dieser Dechant ist ein würdiger und verständiger Mann; mich wundert nur, daß er nicht zugleich mit dem Kanonikus, meinem Vetter, kommt. – Indem eilte der Kanonikus Melchior aus der Nebengasse und holte den Dechanten noch ein, bevor dieser die Schwelle des Hauses betreten hatte.

Männer vom Magistrat kamen mit ihren Frauen und Töchtern, noch einige der vornehmsten Bürger, die zugleich Schöffen der Stadt waren, einige Edelleute mit ihren Gemahlinnen oder Töchtern, und nach einiger Zeit hörte man auch von schmetternden Trompeten das Zeichen, daß es Zeit sei, sich an die Tafel zu setzen. In der Mitte saß Köstein; ihm zunächst eine Edeldame, und auf der andern Seite die Tochter des Hauses, neben welcher Friedrich hatte Platz nehmen müssen. Ihnen gegenüber hatte der Dechant seinen Platz, neben Rittern und Magistratspersonen; in ihrer Nähe saß zwischen Frauen und Mädchen der alte Ritter Beaufort; in eine Ecke, um behaglich zu sein, hatte sich der fröhliche Wirt zurückgezogen, und neben sich die Frau Catharina, die er gern sah und hörte, Platz nehmen lassen, sowie den alten Maler, den er herzlich liebte. Bei der Tafel ertönte eine anmutige Musik, die auf einer kleinen Galerie im hohen Saale gestellt war. Diener warteten auf, mit reinlich gekleideten Mägden wechselnd, und man sah im ganzen Saal nur heitre Gesichter und Lachen und hörte nur fröhliches Schwatzen. Guter Wein und treffliche Speisen erfreuten alle Herzen, und abwechselnd wurden des Wirtes, der Gäste, der Damen, mehrmals Kösteins, dann wieder des Herzogs Gesundheit nach der Sitte des Landes ausgebracht, und jedesmal beantwortete die Musik das Lebehoch.

Indem das Gespräch allgemein und immer lauter wurde, konnte man die Rede des einzelnen nicht mehr vernehmen. Bei eingetretener Stille sagte der Wirt: Es tut mir leid, daß der alte, gute Wundrich, einer meiner liebsten Freunde, nicht hat herkommen können oder wollen; er hatte aber soviel mit seiner kranken Gertrud zu tun, daß er es mir diesmal, das erstemal in meinem Leben, geradezu abgeschlagen hat, an diesem feierlichen Tage mein Gast zu sein. Der gute Alte fehlt mir außerordentlich, und sein leerer Platz da tut meinen Augen weh.

Er erscheint vielleicht etwas später, sagte der Kanonikus, denn er will keinem andern, als sich selbst, die Kranke anvertrauen; er gibt ihr die Medikamente ein und sucht sie zu erheitern. Auch ist sie mehr melancholisch als krank. Er fürchtet, daß sie wahnsinnig bleibt.

Schade! sagte Schakepeh; so wäre uns eine Fromme, oder wohl gar Heilige so aus Reih und Glied gelaufen, um im Narrenturm zu endigen. Warum grenzt nur die Unklugheit immer so nahe an das Allerbeste im Menschen?

Der Dechant erwiderte: Doch wohl, weil das Beste und Edelste immer ganz geistiger Natur ist und ganz mit der Liebe eins. Wir erleben es ja aber auch oft, wie leicht sich und wie schnell die heftigste innigste Liebe in fürchterlichen und grausamen Haß umsetzen kann.

Davon sind freilich alle Geschichten und Gedichte voll, sagte Flamand, ein junger Advokat, der sich in alle hübsche Mädchen verliebte, und deshalb die Fabel der Stadt geworden war. Frau Catharina hatte zum Dechanten bei seinen Worten hingesehn und ein stechender Blick des Geistlichen begegnete ihr, der sie so ängstete, daß sie verlegen es lange nicht wagte, wieder emporzuschauen.

Wir bedürfen der Gedichte nicht, sprach der Dechant, um diese Wahrheit einzusehn. Alle Äußersten berühren sich. Die wildesten Ketzer waren diejenigen, die vorher im Ruf der Frömmigkeit gestanden hatten. Wir lesen, daß oft brünstige Seelen, die wahrhaft den Herrn in der Tugend liebten, im Alter so herbe abfielen und sich dem Schöpfer abwandten, daß sie Gott verfolgten und das Heilige im Grimme zu vernichten strebten.

Kann sein! rief Schakepeh, aber laßt uns nicht bei Tisch so ganz auferbauliche Gespräche führen. Bringt lieber was Törichtes auf das Tapet, und wenn der ehrwürdige Herr Dechant der Aufgabe nicht gewachsen sein sollte, so übernimmt mein alter Labitte, oder mein junger Flamand, oder eins von den schönen lachenden Mädchen die Mühe, die ja alle aus der Torheit herausblühen, wie die Rose aus ihrer Knospe. Lacht, Menschenkinder, und sprecht törichtes Zeug! –

Ja wohl, sagte Flamand, wäre es besser, nur das Heitre, oder Seltsame vorzutragen. Drei Meilen von hier liegt ein Dorf, in welchem der verständige Schulze vier alte Weiber hat einziehen und kriminell verklagen lassen. Und warum? Sie sollen Hexen sein und alle Woche oder monatlich den Hexensabbat einmal besuchen. Das ganze Dorf ist über diese verständige Sache in Alarm, denn jedes Weib und jeder Mann steht in Gefahr, von der Weisheit dieses Schulzen ebenfalls in das Gefängnis geworfen zu werden. Er hört nämlich die Wahnwitzigen an, und sie dürfen diese und jene nennen, welche sie ebenfalls auf dem Hexensabbat wollen gesehen haben, und da dieser Traum, oder die Einbildung bei dem Richter für Wahrheit gilt, so ist es nicht unmöglich, daß er sein ganzes Dorf nach und nach, sowie die Bauern der benachbarten Örter in die Gefängnisse steckt.

Viele lachten, und da der Dechant ganz ernsthaft blieb, sagte der Ritter Beaufort: Wie kommt es, geistlicher Herr, daß der Bischof, oder der Priesterorden und die Herrn Kanonici nicht diesem Unfug steuern?

Der Dechant sah ihn mit einem sonderbaren Lächeln an, und erwiderte: Es ist wunderbar, wie die Geistlichkeit alles Auffallende, Törichte oder auch nur Unbegreifliche richten und schlichten soll, und wie uns dieselben, die dergleichen erwarten, auch immer wieder vorwerfen, daß wir uns in alles mischen, was uns nicht kümmern sollte. Geschieht etwas Ruchloses, Gottloses, so heißt es: das hätten die Priester verhindern können und sollen, und durch ihre Säumnis sind sie gewissermaßen des Verbrechens mitschuldig! Erkennen wir geistliche und weltliche Strafen für notwendig, um dem Übel, das immer mehr um sich greift, zu steuern, so fordert man Langmut, Vergebung, Lammsgeduld von uns, und meint, die Kirche sei nur da, um zu segnen.

Warum wollt Ihr mich so mißverstehen, trefflicher Herr? sagte Beaufort: Euer Stand ist so notwendig, wie jeder andre, und ohne Kirche ist kein christlicher Staat möglich. Was die unwissende Unzufriedenheit der Schwätzer tadelt, kümmert mich nicht; aber einem Wahnwitzigen, der sein Amt mißbraucht, dürft Ihr und müßt Ihr keck und mit schlichtem Wort entgegentreten. Auch dürfte, wenn einer tadeln wollte, dieser wohl fragen: Wie kommt der finstre Aberglaube, dieser Unsinn unter jene Landbewohner, die in einfacher Arbeit der Natur und Wahrheit soviel näher stehen? Wie ist es möglich, daß der Schultheiß, ein Mann, der als der Klügere, von der Gemeine gewählt wird, auf diesen Unsinn als Richter hört? Ein Unzufriedener würde dann wohl bemerken dürfen, ohne sich von der Wahrheit zu sehr zu entfernen, daß jene Priester auf dem Lande, sowie die Lehrer in den Dorfschulen zu unwissend sind, weder Vernunft noch Religion kennen, und jene Stellen ihnen nur anvertraut werden, weil sie zu keinem andern Geschäfte brauchbar sind, indes die gebildeten, gelehrten Geistlichen nur nach Einkünften und hohen Plätzen streben, mit gleichgültigem Sinn die kirchlichen Zeremonien üben, und den Bürger und das Volk sich selber überlassen.

Meine Herrn Ritter, sagte der Dechant, dieser Tadel ist schlimmer und unbegründeter als jener, den ihr eben erst als unnützes Geschwätz wolltet abgewiesen wissen. Diese Gesinnung ist es aber, welche den Einfluß der Kirche und der frommen Priester schwächt, ja fast vernichtet. Wen sollen wir erziehen, wann sich jeder klüger als die Kirchendiener, als die Lehrer des göttlichen Wortes wähnt?

Ihr seid zu scharf, geistlicher Herr, rief Köstein von seinem Sitze gleichgültig hinüber: jeder Stand hat seine Plagen und findet seine Verleumder, alle haben aber auch ihre Freude, und wie sehr die geistlichen Herrn nur auf ihren Vorteil sehen, das ist eine Sache, über die schon in alten Zeiten ist geklagt worden.

Als Schakepeh sah, daß man verstimmt war, rief er: Bei Tisch geht alles drauf und drein, man kann und soll nicht jedes Wort abwägen; Freunde sind wir alle, sonst wären wir nicht hier versammelt, und kein Wohlwollender wird ein hastiges Wort übel auslegen wollen.

Die Mahlzeit war geendet, und alle standen auf, mehr verstimmt als erheitert. Man begab sich in einen andern Saal, um eingemachte Früchte, Zucker, Obst und süßen Wein als Nachtisch zu genießen. Catharina war nachdenkend, und hörte nicht auf die Scherze ihres Wirtes, Friedrich blieb mit seinem Vater, Köstein und einigen Ratsherrn im Zimmer, weil sich unter ihnen ein lebhaftes Gespräch angesponnen hatte. Labitte ging träumend hin und her, da er, wie fast jeder, ziemlich viel des starken Weins genossen hatte.

In einem Bogenfenster, welches mit Blumenranken umhängt war, hatte sich Catharina zurückgezogen. Sie hörte nicht auf die Gespräche der andern, die von den Früchten, oder dem Zuckerwerk nahmen, sondern sie sah starr vor sich nieder, weil ihr Gemüt, ohne Gegenstand zwar, tief bewegt war. Sie sann nach, warum sie traure, und ein zagendes Zittern sie durchbeben als sie die Augen erhob und über den Dechanten erschrak, der sich still an ihre Seite gesetzt hatte. Was ist Euch? fragte der Geistliche teilnehmend. Weiß ich es selbst? antwortete sie; ich betrat mit Heiterkeit dieses Haus und werde es nun tief betrübt verlassen, ohne daß mir etwas begegnet sei, das ich traurig, oder nur unangenehm nennen könnte. Es scheint oft in der Luft eine Schwermut zu regieren, die sich den Menschen unmittelbar einsenkt, denn alle waren heut, so schön das Wetter ist, verstimmt und zu Verdruß und Händeln aufgelegt.


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