Ludwig Tieck
Hexensabbat
Ludwig Tieck

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Ihr kennt mich nicht, sagte sie gelassen, ich bin so sündig, wie irgendein Mensch, und der Herr ist so gütig und freundlich gegen mich, daß er nicht mit mir ins Gericht hat gehen wollen. Die Wunde ist ganz geheilt, und ich kann den Kopf besser brauchen als jemals. O die Gnade, die mir der Herr erwiesen hat! Ich könnte krank sein, und bin gesund; ich könnte weit weg im Heidenlande leben, und bin hier als Christin geboren, von frommen Eltern, in der Nähe schöner Kirchen und ehrwürdiger Priester; ich könnte gottlos und verstockt sein, und der Herr hat durch seine Gnade mein Herz schon vor vielen Jahren angerührt; ich könnte blind und taub sein, aber ich vernehme die heiligen Glocken, ich höre den Gesang der Kirche, sein Wort dringt durch mein Ohr in meine Seele; ich sehe seine Sonne und seine Gestirne, ja schon früh fällt und schleicht ein Strahl durch die matten Scheiben und vergoldet das tote Antlitz meines Heilandes dort, der dann wie mit Stimmen zu mir spricht, und wie mit Liebesblicken in mein Herz hineinleuchtet.

Liebe alte Segenssprecherin, fing Wundrich wieder an, der Dechant Dubos ist ein verständiger Mann und meint es gut mit Euch. Ihr sollt Euch im Spital selbst eine Zelle aussuchen, da wird man Euch verpflegen; Ihr seid der Kirche näher, Ihr braucht nicht mehr Almosen zu heischen, und Euer hilfloses Alter ist ganz ruhig und ohne Sorgen. Der Herr schätzt Euch hoch, er hat von Eurem Wandel gehört; er wünscht, daß Eure Tugend belohnt werde, und daß Ihr doch endlich die guten Tage kennen lernt.

Küster, sagte Gertrud verdrießlich, schwatzt nicht so albern; wo wäre Tugend an mir zu finden? Wenn ich für meine Kinderchen bettele, so gehe ich nur meinem Vergnügen nach, und kein Mensch soll mir diese Freude nehmen. Dann sehe ich die Kleinen selbst, wie sie gedeihen, ob sie die rechte Pflege haben; tröste die Kranken, gebe den armen Pflegeeltern, und bin so froh in meiner Seele, daß ich laut dem Geber aller Güter danken muß. Was geht mir hier ab? Die alte Stube verlasse ich einmal nicht. Was kümmert mich der Herr Dechant, so sehr ich ihn verehre? Er soll mich in Ruhe lassen, so wie ich ihn nicht störe. Gibt er mir Almosen, um so besser für meine Kinderchen; kann und will er nicht, so werde ich auch nicht über ihn klagen.

Der Bischof von Baruth, fuhr der Küster fort, möchte Euch in seiner Nähe haben, er nennt Euch eine heilige Frau und ein Muster für die Christenheit. Geht es nach ihm, so bleibt Ihr nicht arm, sondern stellt Euch in der Stadt an die Spitze einer frommen Schwesterschaft, verwaltet das Almosen und seid selbst der Not enthoben, genießt noch Ehre und Achtung, und gebt so Veranlassung, daß sich die christliche Gemeine an Euch erbaue.

Küster! Küster! rief die Alte, wahrlich, wahrlich, ich sage Euch, Ihr seid ein Schalk! Ihr wollt mir da von einem frommen Bischofe etwas aufbinden, das ihm keine Ehre macht, wenn er es gesagt haben sollte. So selten sollte es um einfältige Christen stehn, daß man sie bei mir, hier in der Hütte, aufsuchen müßte? Ein Bischof, ein Gesalbter des Herrn sollte so gottlose, trostlose Reden führen? Ein armes Bettelweib bin ich, das so, wie andre an Tanz und Mahl, ihre Lust am Betteln hat; ich ließe es gewiß, wenn es mir nicht Spaß machte. Und hört, Küstermann, ich will weder den Herrn Dechanten, noch den Herrn Bischof sehen; ich will nichts verhandeln und tun, was mir noch in meinen alten Tagen meinen oft zerschlagenen Kopf verrücken könnte. Ja, ich habe viel erlebt, und denke und meine über vieles hinweg zu sein. Aber man lernt die Welt und sich niemals zu Ende kennen, denn der Mensch bleibt dumm und voll bösen Trachtens, wenn er auch Methusalems Jahre erreichen sollte. Das fehlt noch, daß sie mir die Schüssel des geistlichen Hochmutes so nahe rückten, daß der betäubende kräftige Geruch mir in die Nase stiege, und ich mich doch hinsetzte, um davon zu naschen und zu speisen. jeder Mensch muß sich das aus dem Wege stellen, was seinen Glauben irrt. Vermögen, Ansehn, Ehre, Aufsehn machen, das alles könnte mich weit, weit weg führen. Für mich ist die Armut, der Hohn der Knaben, der Übermut der Großen, der Ekel, mit dem die Reichen auf mich herabsehen; diese Demütigung ist mir wert, denn mein Herz war böse und eitel, und erst, da mir der Herr so gnädig war, mich so zu führen, wie jetzt, bin ich glücklich geworden.

Der Küster ward still und dachte über die wunderbare Gemütsart der Alten. Er merkte, daß alles, was ihm aufgetragen war, bei ihrem festen Sinne nicht durchzusetzen sei. Er wollte ihr deutlich machen, daß sie entweder als Vorsteherin einer Schwesterschaft mehr Gelegenheit finde, wohltätig zu sein, oder, selbst Haus, Geld und Eigentum besitzend, mit weit mehr Sicherheit ihrem schönen Gefühle folgen könne. Im Großen, beschloß er, könnt ihr, gute Frau, dann das tun und ausüben, was Euch jetzt schon glücklich macht. Dieses Glück wird Euch aber doch durch eignen Mangel, durch die Hartherzigkeit der Menschen und durch so manches Hindernis verkümmert, welches Euch nachher nicht mehr quälen würde.

Freund, sagte sie immer noch verdrießlich, laßt ab von mir, denn Ihr werdet mich doch nicht überreden. Daß ich ganz arm, und bettelarm bin, das ist meine Freude und meine Andacht. Mein Heiland hatte auch nicht, wo er sein Haupt hinlegte. Wenn Ihr meinen Sinn nicht versteht, so laßt mir wenigstens Ruhe. Fast alle Menschen glauben, sie fingen erst an zu leben, wenn sie Eigentum erwerben. Ich habe alles verloren und vergeudet, und seitdem ist mir erst wohl. Der heilige Vater Franziskus und mancher andre, auch Sankt Rochus, Alexius, dachten ebenso. Es ist eine Seligkeit schon hier auf Erden, ganz arm zu sein und nichts zu besitzen. Nun weine ich nicht mehr über die Bettler, Hülflosen und Kranken; nun gehöre ich selbst zu dieser Gilde, und kann erst glauben, daß alle meine Brüder sind. Wie andre Menschen sich nach Freuden, Musik und Tanz und großen Festen sehnen, so ging meine Sehnsucht auf diese Armut hin. Jeder muß wissen, wie er in seinem Glauben treu sein und verbleiben kann.

Sagt mir, alte Verwunderliche, fragte der Küster, ist denn das nicht auch vielleicht eine Eitelkeit, daß Ihr so das Erstaunen Eurer Freunde, der Nachbarn und des Volkes erregen wollt?

Ihr seid ein Versucher! rief sie aus; darüber werde ich im stillen meinen Heiland befragen und Euch nächstens Antwort sagen. Ach! Ihr Weltlichen, ihr wißt nicht, wie vieles ihr aufgebt, um nur Menschenkinder zu sein, um euch mit Weisheit, Glück, Reichtum zu blähen und den andern überzuragen. Unten, im Staube liegen, von allen verachtet sein, von den Stolzen mit Füßen getreten zu werden, o, das ist das liebe Wohlbehagen, die süße Einsamkeit des Herzens und der Liebe. Wer noch Sorgen hat um Vermögen, Haus und Kind, der kann den Heiland nicht aus vollem, überwallenden Herzen lieben. Und wer noch etwas vorstellen will und irdische Ehre genießen, der ist nicht ruhig, der fließt und flutet noch in Drangsalen hin und her.

Nun, wie Ihr wollt, sagte Wundrich; sagt ja doch das Sprichwort: des Menschen Wille ist sein Himmelreich.

Jawohl, antwortete die Alte, die jetzt redselig geworden war; nur muß der Mensch auch einen wahren Willen haben, der ihm die rechte Stelle in seiner Welt anweist. Ich bin tot und lebe nur noch der Gnade. Der Kirchengesang, die Messe, – ach! lieber Freund und Herr – wenn ich das Haus Gottes betrete, und der feierliche hohe Dom umfängt mich so liebreich und ehrwürdig: da fällt doch gleich jeder Zweifel, jede irdische Angst zu Boden. Der Duft des Räucherwerkes, die Stimme des Priesters vom Altar weckt, sowie ich mich nun niederwerfe, eine sehnende Inbrunst in meinem Herzen auf. Die brennenden Kerzen erinnern mich mit ihrer stillen Flamme an das Geheimnis der Welt und Schöpfung, und ein süßes Grauen wandelt in meinem Wesen auf und ab, was sie bedeuten könnten. Ich sinne und bete, und der Schöpfer und der Heiland rühren mit inwendigem, unausgesprochenem Wort meine Seele an. Da ist in mir eine Liebe über alle Liebe, eine Seligkeit und Wonne, ein himmlisches Atmen; und nun klingt die Glocke und die Wandlung ist geschehen, da geht der Schauer durch alle Adern und das Mark der Gebeine, und ich weiß, daß ich eine Christin bin und der nahe, verkörperte Heiland mich liebt.

Die Augen der Alten leuchteten, und Wundrich betrachtete sie mit Erstaunen. So komme ich denn, fuhr sie fort, neu gestärkt nach Hause. Warum soll ich mich in meinem Wesen und Beruf stören lassen? Wozu Geld, Weltlichkeit, bessere Speise? Ihr wißt es auch nicht, der Ihr Euch in den Häusern umtreibt, welche Kraft, Herrlichkeit und Wohlgeschmack im klaren, frischen Wasser webt und kühlt. Der Brunnen drüben, aus welchem ich schöpfe, ist mir fast wie meine irdische Kirche. Er gibt mir die Genüge und Fülle.

Bücher sehe ich auch, sagte der Küster.

Nur wenige, antwortete sie. Ach! die süßen Gesänge auf die heilige Jungfrau, die ich alle auswendig weiß, und mir so hersage und in ihnen bete, wenn ich mir eine rechte Freude einmal machen will.

Hast du, Seele, nicht für Wunden
Süßen Balsam aufgefunden,
Wenn in Glanz und Abendröten
Geht die Herrin der Natur,
Wonnesang auf ihrer Spur,
Trost und Heilung allen Nöten?

Wie im Frühlingsabend Haine
Von dem Nacht'gallton durchklingen,
So ertönt, wenn ich ihr weine,
Der Holdsel'gen süßes Singen;
Ach, die Königin, die reine,
Will sich gern herniederschwingen,
Sag' ich, was ich lieb' und meine,
Wird sie Englein mit sich bringen,
Kinder, lachende Gestalten,
Die in klaren Händen halten
Blumen duftend, weiße Blüten,
Himmelsrosen, Trost und Segen,
Die mir alle Not vergüten,
Lind sich um die Seele legen.

Blüten hüllen wie Gewande
Weiß den liebekranken Geist,
Zitternd sprengt er seine Bande,
Und die Erdenhülle reißt.

Flügel werden Blüt und Kranz,
Leicht entsteigt er auf zum Licht,
Und nun sieht er noch im Glanz
Ach! Mariens Angesicht.

Wo sie hinblicke, sprosset Glauben,
Lieb' und Sehnsucht in der Welt,
Fliegen wie die weißen Tauben
Durch das lichte Himmelszelt.
Aus dem Lächeln tropft Versühnen
Wie Rubinen
Hoffnung strahlend in das Herz
Starrer Sünder, und es schmelzen
Aller Gottesleugnung Felsen,
Und in wundersüßem Schmerz
Kommt der Bereuende
Sich selig Befreiende,
Wie ihn die weihende
Mutterhand der Liebe rührt
Und zum Heiland zärtlich führt.

Zürnen kannst du nicht, nur klagen,
Dir der Heiland nicht versagen
Wenn dein Mund die Bitten spricht,
Wollen Sohn und Vater schelten,
Wirst du selber für den Frechen,
Der dich höhnt, noch freundlich sprechen,
Nicht darf er die Sünd' entgelten,
Dein Schutz fehlt uns nimmer nicht.

Dies ist, sagte der Küster Wundrich, aus einem Gedicht meines Freundes Labitte, des alten Malers.

So? antwortete die Alte, des Mannes, den sie den Einfaltspinsel oder den dummen Abt nennen, um ihn zu verspotten? Ich habe es schon vor vielen Jahren singen hören.


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