Ludwig Tieck
Hexensabbat
Ludwig Tieck

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Es ist wohl oft, sagte der Dechant, das Vorgefühl unsers künftigen Schicksals, welches der inwendige Geist schon voraussieht, ohne Bild und Gestalt. Das mag wohl jene unnennbare Angst sein, die zuweilen alle unsre Kräfte zusammendrückt. Die Erfüllung des Vortraums kommt oft erst nach Jahren. Auch mich quält oft solche Angst, von der wir nicht wissen, ob wir sie eine geistige oder körperliche nennen sollen. – Freundestrost ist in dieser Verstimmung das höchste Glück, aber Ihr habt Euch mir entzogen und wollt Euch immer mehr entfremden, ja es gefällt Euch, mich zu Euern Feinden zu zählen. Seht aber ein, schöne Freundin, daß zwei Menschen, die Verstand haben, sich einigen sollten, sich nützen, sich gegenseitig beruhigen, einer dem andern helfen. Jeder kann schaden und nützen. Und wenn es wahr ist, wie ich es denn nur zu gern glaube, daß Ihr mit Friedrich nicht in jener Verbindung steht, die ich argwöhnte, so solltet ihr, Holdselige, nicht länger mein Gesuch und mein Bündnis abweisen.

Catharina ermutigte sich und sah ihn mit ihren großen Augen durchdringend an: Es kann nicht sein, sagte sie dann ruhig, ich erkläre es Euch fest und bestimmt.

Ihr werdet es einmal bereuen, fuhr der Dechant dringend fort, auch ist es unmöglich, daß eine so wahre Leidenschaft, wie es die meinige ist, keine Erwiderung finden sollte. Erinnert Ihr Euch wohl einer alten Armgart, die aus Euerm Hause sich mit einem Bauern verheiratete?

O ja, antwortete sie, sehr gut, sie war schon lange Witwe gewesen und beging die Torheit, nachdem sie einige Jahr die Aufsicht meines Hauses geführt hatte, sich mit einem jüngern Manne zu verbinden, der sie des kleinen Vermögens wegen nahm. Sie ist unglücklich, ich habe sie schon mehrmals unterstützen müssen; der Mann ist ein Trinker, und sie ist krank und gebrechlich geworden.

Ihr Elend, sagte der Dechant, hat sie bis zur Verzweiflung getrieben, nachdem ihr Verstand schon gelitten hatte. Jetzt sitzt sie draußen im Gefängnis und wird morgen zur Stadt gebracht werden.

Und was hat sie begangen? fragte Catharina in großer Spannung.

Ein Verbrechen, an welches Ihr nicht zu glauben vorgebt, das aber unser Bischof und manche von der Klerisei als das größte und ungeheuerste ansehen.

Wie? rief Catharina, mit krankhaftem Lachen, welches sie unterdrückte: eine Hexe ist sie wohl gar?

Sie hat sich selbst als solche angegeben, erwiderte der Dechant, indem er scharf in das Auge der Frau Denisel blickte, die ihn mit durchdringlicher Frage anschaute. Er hielt ihren starren Blick aus, ohne sich zu verwirren, und sagte nach einer langen Pause: worüber dieses Wundern?

Über Euern unerschütterlichen Ernst, sagte sie, selber sehr ernst.

Die Sache wird untersucht werden, antwortete er leichthin, in den Formen, nach Herkommen und Gesetz. Das geistliche Gericht wird sondern, was Wahnsinn, Krankheit, Einbildung und Wahrheit ist.

Wahrheit! rief sie, fast kreischend aus, war halb aufgestanden und sank in den Sessel zurück; sagtet Ihr, nanntet Ihr Wahrheit? sprach sie dann, wie mit erschöpfter Stimme.

Wohl, Wahrheit, fuhr der Dechant milde fort; wie anders? Unser Bischof ist, wenn auch beschränkt, doch fromm, wenn nicht der Gelehrteste, doch von christlicher Liebe durchdrungen. Seine Beisitzer, die Kanonici, wir und die andern Priester werden ihm helfen und seine Meinung erläutern. Die Sache wird sich, so hoffe ich zuversichtlich, bald zum Guten wenden. – Aber Ihr wechselt, bald mit Glut, bald mit Leichenblässe. Ihr seid nicht wohl, schöne Frau.

Doch, sagte sie, nur für den Augenblick ein weniges verrückt. So, so könnt Ihr sprechen? Ihr, von dessen Lippen ich noch vor wenigen Tagen ganz andere Gedanken und Worte vernahm?

Wie ich gegen die vertrautesten Freunde, zu den Geliebten meiner Seele rede, sagte der Priester, ist ganz ein anderes, denn ich spreche dann nur mit mir selber. Zu diesen wollt Ihr aber nicht gehören, Ihr kündigt mir im Gegenteil Euern Haß an. Ihr seid, als leidenschaftliche Frau, zu voreilig, mit dem abzuschließen, was Ihr Wahrheit nennt. Wie neulich ein Mondstein heruntergefallen ist, was ich auch nie geglaubt hätte, wenn ich die große, schwere, fremdartige Masse nicht selbst gesehn hätte, so kann ich auch noch, und ebenso ihr, vieles, vieles lernen und erfahren, von dem sich in unsrer gewöhnlichen Stimmung unser Glaube mit Widerwillen abwendet. Diese Hexen haben sich selbst angegeben, sie schwören, daß sie jenen Sabbat besucht haben, den sie ebenso lächerlich als entsetzlich beschreiben. Sie haben andre Männer und Frauen, Bekannte wie Unbekannte dort angetroffen, sie nennen Namen, sie bezeichnen die Gestalten, sie erzählen wieder, was diese gesprochen haben, sie wissen um Geheimnisse der Familien, die sie auf dem natürlichen Wege nicht haben erfahren können. Da der Prozeß schon eingeleitet ist, so kann es nicht fehlen, daß dieser und jener, der es sich jetzt noch nicht träumen läßt, mit in die Untersuchung gezogen wird. Verdrüßlich ist es, wenn Kranke oder Melancholische ihre Einbildungen oder Träume, oder selbst nur das Gelüst, diesem und jenem einen Schreck zu machen, mit der Wahrheit und ihrer wirklichen Überzeugung verwechseln. Darum ist es jetzt mehr not, als je, Freunde zu suchen, verkehrt ist, sie von sich zu stoßen.

Er faßte die Hand der Frau und sah sie mit zärtlichem Blicke an. Catharina zog ihre Hand gelinde zurück, und sagte mit ruhigem, kalten Ton: Nun? Diese Armgart, die mich mehr kennt, wie irgendwer in der Stadt, die mich mehrmals besucht, die seit zwei Jahren von meinen Wohltaten lebt: nicht wahr, sie hat vielleicht schon ausgesagt, daß sie mich auch auf ihrem Hexensabbat angetroffen hat?

Nicht anders, geliebte Catharina, sagte der Dechant mit sanfter, gleitender Stimme, Ihr seid die allererste, die sie genannt hat.

Jetzt stand die Frau auf, erhob sich in ihrer ganzen Größe und sah stolz auf den Dechanten hinab. Ihr dauert mich unendlich, sagte sie, aber es schneidet mir durch das Herz, daß ich Euch so tief, so tief verachten muß. – Sie fiel wieder in ein krampfhaftes Lachen, welches ihren Körper heftig erschütterte, dann machte sie dem Schluchzen durch einen Strom von Tränen Luft, indem sie sagte: Ich glaubte die Menschen zu kennen, aber sie waren mir fremd, ich glaubte viel, auch großen Schmerz erlebt zu haben, aber die wahre hohe Schule fange ich jetzt erst an, zu besuchen. Dechant, ärmster aller Menschen, jene verrückten alten Weiber, die Dummheiten faseln und den Namen Gottes mißbrauchen, sind doch weit edler, besser und selbst klüger, als Ihr. Also dafür, daß Ihr mich gegen diese Reden, Aussagen vertretet, Dinge, für die ich keinen Namen habe, dafür, daß Ihr Euch nicht auch aberwitzig anstellt, und die niederträchtigste Heuchelei als Diener des ewigen Gottes treibt, dafür soll ich Euch meine Gunst verkaufen, und Ihr redet dann wohl ein mildes, kluges Wort für Eure Buhlerin: mit dieser lacht Ihr dann wohl über die mehr als aberwitzige Verblendung jener elenden Vetteln und Eures Bischofs. Nein, das wird nie, nie geschehn!

Gewiß nicht, sagte der Dechant, Ihr nehmt diese Sachen, die eigentlich wahre Kindereien sind, viel zu wichtig. Wie könnte man Euch, was könnte Euch gefährden? Es tut mir weh, daß ich Euch diesen Schrecken gemacht habe, habe machen müssen. Wie soll ich das wieder vergüten?

Daß Ihr mich nie wieder seht, sagte Catharina, indem sie sich wieder erhob, daß Ihr es vergeßt, wie wir uns je gekannt haben, daß Ihr meinen Namen nicht mehr nennt.

Gut, sagte der Dechant, es mag sich wohl so treffen; aber wodurch habe ich denn nur das, was Ihr doch für eine Strafe, und zwar eine recht empfindliche nehmt, verschuldet?

Wodurch? rief sie mit schneidendem Ton; dadurch, daß Ihr Euch nicht gleich den schändlichen Dummheiten widersetztet, daß Ihr nur mit einem ernsthaften Gesicht ihrer erwähnen konntet, daß Ihr von mir so geringe dachtet, geringer als von einem Tiere, daß diese Abgeschmacktheiten mich schrecken würden, daß Ihr Euch also dieser Fratzen bemächtigt, um Eure niederträchtige, sündliche Lüsternheit so zu büßen, und mich auf so wohlfeile Art zu Eurer Sklavin zu machen.

Sie wollte sich mit dem Ausdruck der tiefsten Verachtung entfernen, aber der Dechant, tief erschüttert, hielt sie gewaltsam beim Kleide fest, und setzte sie wider ihren Willen in den Sessel zurück. So ist es nicht, sagte er dann, indem er den Blick erhob, bei Gott, ganz so ist es nicht, nicht so schlimm habe ich es mit Euch gemeint, so sehr Ihr mich gekränkt und beleidigt habt. Man ist schlimm, aber doch nicht ganz so verworfen, wie Ihr glaubt.

Was wollt Ihr mit mir? sagte sie, den Dechanten abwehrend. Ich kenne Euch nicht mehr. Soll ich Hülfe rufen? Soll ich Euch, wie einen Hund, mit Füßen von mir stoßen?

Ihr sprecht ja, sagte der Dechant wieder bitter und mit einem grinsenden Lächeln, wie eine Fürstin der Tugend und Ehre. Wehrt Euch! wehrt Euch, wenn auch nicht gegen die Aussagen der blödsinnigen Armgart, doch gegen den Ernst, der Euch von einer andern Seite bedroht. Ja, es wird Ernst, so wenig Eure Hochfahrenheit auch dem warnenden Freunde glauben, und seine Liebe und Hülfe annehmen will. In Langre ist ein frommer Einsiedler, der seit Jahren dort im nahen Walde lebte, eingezogen worden. Das geistliche Gericht hat ihm den Prozeß gemacht. Aus Briefen, Papieren, die man bei ihm fand, aus seinen Geständnissen, die er teils frei, teils auf der Folter ablegte, ist hervorgegangen, daß er ein verruchter Ketzer, ein Rebell gegen die Kirche, ein Waldenser war, der Lehre zugetan, wodurch diese Frevler schon früh die Kirche stürzen wollten. Vor drei Tagen ist er verbrannt worden. Man hat auch Blätter von Eurer Hand gefunden. Der verbrannte Missetäter ist niemand anders als Euer geliebter Robert.

Catharina stieß einen lauten, durchdringenden Schrei aus und lag totenblaß und regungslos wie eine Leiche im Sessel.

Alles lief herbei. Ein Teil der Gesellschaft, die um das Bankett, oder den Nachtisch, saß und stand, hatte schon mit Verwundern dem lebhaften Gespräche aus der Ferne zugesehn, welches der Dechant mit Frau Catharina führte. Der Wirt war um die Frau, die er immer geehrt hatte, sehr besorgt. Er ließ eine Sänfte holen, und die Kranke, als sie wieder zur Besinnung gelangt war, nach ihrem Hause führen, von seinen Dienern begleitet. Der Dechant, den man befragen wollte, was vorgefallen sei, war, ohne daß man es bemerkt hatte, schon fortgegangen. Was kann geschehen sein? sagte Schakepeh, ich meinte immer, unser Herr Dechant sei mit der Frau Denisel gut Freund. Es war ja, als wenn sie lebhaft stritten, und er ihr zuletzt etwas Entsetzliches sagte.

Die Frauen und Mädchen waren sehr besorgt, und Schakepeh, verdrüßlich geworden, rief aus: An diesen Schmaus werde ich gedenken! Ist es nicht, als wenn heute böse Geister in meinem Hause ihr Spiel trieben? Noch nie sind alle meine Gäste so verstimmt und ärgerlich gewesen, und kein Mensch weiß, wo das Unheil herkommt, oder wer es erregt. Sollte man nicht an Zauberei und Hexen glauben, von denen die Pöbelleute jetzt wieder fabeln wollen?


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