Ludwig Tieck
Hexensabbat
Ludwig Tieck

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

So ist dies denn, sagte Catharina trauernd, die Frucht meines Vertrauens? Ihr wollt mich lieben, und könnt mich so ganz mißverstehen? Ihr sagt, daß Ihr mich achtet, und traut mir doch eine geringe Gesinnung zu?

Ich weiß nicht mehr, was ich bin, was ich denke! rief der heftige Jüngling; Ihr seid es selbst, die mich irre macht in allen meinen Erkenntnissen; kann ich denn noch sagen, was ich wünsche? Ob ich liebe? Inwiefern ich Euch verstehe? Ihr wollt es ja selbst, daß eine unermeßliche Kluft zwischen unsern Herzen sein soll. Warum zürnt Ihr mir nun, wenn ich den Riß noch größer mache? Eure Erzählung, Euer Gefühl kann es mir nicht deutlich machen, wie ich Euch entsagen müsse; ist denn nun nicht besser, wir nehmen an, dies unergründliche Mißverstehen beruhe schon auf innerm Hader, auf einer unsichtbaren Feindschaft, die ausbrechen muß? Ja, könnte man die Liebe auflösen, sei es auch durch lange Geduld, wie einen künstlich verschlungenen Knoten; der aber liebt nicht, der sagen kann: Ich will von der Zeit und Zukunft meine Genesung erwarten, denn im gegenwärtigen Augenblick ist und strebt die ganze Kraft der Liebe und weiß von keinem Morgen und Übermorgen! Gut denn; wir gehen nun auf verschiedenen Bahnen, und ich weiß in Zukunft, daß, wenn Ihr mich freundlich anblickt, Ihr nur darauf sinnt, mir wieder eine andre Ehehälfte annehmlich zu machen. Das sagt wenigstens meinem Vater, daß Ihr redlich seinen Auftrag ausgerichtet, aber keinen Dank dafür geerntet habt.

Er stand auf und ging, ohne der Trauernden noch einen Blick zu gönnen. In der Gartentür stand er still, schaute um, und sah das sehnsüchtige Auge der Gekränkten. Vergebt mir, rief er, indem er zurückkehrte: der tiefe Schmerz hat auch sein Recht, und ich fühle wohl, aus rätselhaftem Gelüst kränkt man nur den recht schmerzlich und vorsätzlich, den man auf das innigste liebt. Diese Schmerzen, die ich so roh und wild Euch gebe, sind ja nur eine andre Art von Liebeserklärung, und ich muß mich bewachen und mir in die Zügel fallen, um mich nicht noch mehr zu erniedrigen. Schändlich könnte ich in diesen Augenblicken werden, und innerlich bin ich es schon, aber ich will Euch den Anblick ersparen. Vergebt mir denn, wie Ihr könnt. Aber Ihr könnt nicht, da das Wort einmal gesprochen ist. Wenn ich mich bis daher für gut hielt, so bin ich jetzt zu der Überzeugung gekommen, daß ich ganz schlecht bin und werden kann.

Er entfernte sich, und Catharina blieb in tiefer Trauer zurück. So müssen sich also, klagte sie, die Menschen, die sich verstehn und lieben, am schlimmsten verletzen? So führt gerade die Einigung der Seelen zur feindlichsten Entfernung? Ja, wenn sich nicht Leidenschaft in Freundschaft und Liebe mischte, so wären sie himmlische Güter. – Und was wäre Freundschaft und Liebe ohne Leidenschaft? Würde ich gekränkt sein, wenn nicht diese süße Leidenschaft, dies selige Einssein und innere Näherverwachsen der Empfindung und des Verständnisses mich an ihn mit ewigen Banden gekettet hätte? Und liebe ich ihn denn vielleicht? – Ja und nein. Nicht wie Robert, nicht als Gatten, – und doch kann ich ihn nicht entbehren, und doch hat er mein Herz zerrissen. – Ja wohl besteht unser Leben nur darin, daß wir immer und immer wieder alle Güter, allen Besitz aufopfern müssen. Unser Dasein ist wie der Sturm auf der See; mehr und mehr werfen wir über Bord, um uns selbst nur zu retten, und gehn doch wohl auch unter; oder, wenn wir endlich landen und uns geborgen nennen, so sind wir Bettler, und es verlohnt sich nicht, das nackte Leben fortzugehen.

Nacht und Schlaf unterbrachen endlich diese Klagen.

In einem Winkel der Vorstadt lebte in einer unbemerkten Hütte eine alte, sonderbare Frau, ganz von der Welt zurückgezogen, die bei den Nachbarn, vielen Priestern und denen, die nicht bloß weltlich gesinnt, und sich um die Einsamen bekümmerten, in dem Ruf der Heiligkeit stand. Sie war so arm, daß sie bettelte und nur von Almosen und Wohltaten lebte. Für sich selbst bedurfte sie fast nichts, sie lebte von Brot und Wasser, und versagte sich jede Erquickung, denn das Gebet und der fleißige Besuch der Kirche war ihre höchste Labsal. Aber verarmte, elternlose Kinder unterstützte sie, brachte sie in den Häusern armer, gutwilliger Handwerker unter, und sprach darum die Wohltätigkeit Gutgesinnter an, um die Pflegeeltern der Waisen zu unterstützen. Für diejenigen, die schwer krank lagen, die keine Hülfe hatten, bettelte sie unermüdet bei den Vornehmen, und zürnte nie, oder klagte, wenn sie auch wieder und immer wieder, oft mit harten Worten, abgewiesen wurde, nicht selten von den übermütigen Dienstboten oder von solchen Reichen, die noch niemals von ihr vernommen hatten, gemißhandelt wurde.

Sowie sie aus ihrer finstern Hütte auf die Straße trat, fiel sie allen am Licht des Tages als ein sonderbares Schauspiel auf. Sie war mit Lumpen bedeckt, in Holzschuhen ging ihr nackter Fuß, die greisen Haare strebten reich und lang aus einer schwarzen, kleinen Tuchmütze hervor, die sich eng dem Kopfe anschloß. Ihre weißen, struppigen und langen Augenbrauen verschatteten die dunkeln großen Augen. Ihr Antlitz war kreideweiß, am meisten die lange vorstehende Nase. So erschien sie allen, vorzüglich der Jugend, wie ein Leichnam, oder wie ein Gespenst. Die Buben auf den Straßen nannten sie nur die alte verrückte Gertrude, und liefen ihr schreiend und sie verhöhnend nach; die schlimmsten warfen sie dann mit Steinen, und würden sie verwundet, wohl gar getötet haben, wenn die ältern Leute die Frechen nicht gehemmt und bestraft hätten. Sie selbst aber blieb immer ruhig und freundlich, erwiderte niemals ein böses Wort, beklagte sich auch nicht, sondern wandelte fort, ohne sich nur nach den Scheltenden und Höhnenden umzusehen.

Der Küster Wundrich, ein kleines, stets heiteres Männchen, wandelte jetzt nach der stillen, einsamen Gasse, in welcher die Hütte der Alten lag. Er kannte sie und brachte ihr das, was ihm von weichherzigen Menschen war mitgeteilt worden, damit sie es an die verarmten Kinder und notleidenden Kranken verteilen könne.

Indem Wundrich sich der Hütte näherte, überlegte er noch einmal, wie er am besten seinen Auftrag ausrichten könne; denn so freundlich, ruhig und demütig die Alte war, so hatte er doch schon die Erfahrung gemacht, daß es nicht immer leicht sei, sie zu einer Sache zu bereden, die ihrer Gemütsweise entgegen war.

Leise öffnete er die kleine Tür, und indem er die innere öffnen wollte, sprang ihm eine Ziege so heftig entgegen, daß sie ihn bald umgerannt hätte. Sich da! sieh da! rief der kleine Mann aus, was schafft sich denn unsre alte Wahrsagerin für gehörnte Freunde an, die den Fremden so ungestüm begrüßen! Stille, stille Kind! Du mußt bei unsrer feinsprechenden Gertrud um eine bessere Erziehung bitten.

Er machte die Türe auf, und vor ihm drängte sich die Ziege in die kleine, finstre Stube. Nur wenig Licht fiel durch die runden, verfinsterten Scheiben, am grellsten hob sich ein hölzerner Christus am Kreuz hervor, der lebensgroß die eine ganze Wand bedeckte, mit Farben bemalt. Der vermagerte Leichnam, mit den stark hervorgetriebenen Rippen in der hochgewölbten Brust, dünnen Beinen und Armen war einer jener widerwärtigen, mit denen viele Kirchen und Kapellen verunziert waren.

Die Alte kauerte im Winkel, so klein zusammengezogen, daß sie fast unsichtbar war. Wundrich entdeckte sie an der Ziege, die sich vor sie stellte, um von der Alten gemelkt zu werden. Bei diesem Geschäft kehrte das Tier sein kluges Gesicht mit den starren großen und gespaltnen Augen zu dem Küster wie höhnisch herum, als wenn es ihm deutlich machen wolle, wieviel Recht es habe, in der Kammer zu sein.

Die Alte begrüßte ihren Bekannten mit einer kleinen Bewegung des Hauptes, indem sie ungestört, und ohne ein Wort zu sagen, ihr Geschäft verrichtete. So habt Ihr Euch ja eine Gesellschafterin zugelegt, sagte Wundrich; die Einsamkeit ist Euch doch wohl zu lästig geworden. Der Springinsfeld ist aber für Eure Haushaltung etwas zu munter, wenn Ihr ihn nicht als Türhüter anstellen wollt, der mit Hörnerstoßen die Fremdlinge von Eurem Palaste abweist.

Die Alte ging jetzt, ohne nur aufzusehen, mit der Schale, in welcher sie die Milch gefaßt hatte, stillschweigend in eine finstre Kammer. Nach einiger Zeit kam sie zurück, öffnete stumm die große Tür und ließ die Ziege heraus, die nach dem Hofe sprang, auf welchem sich ein schmaler Grasplatz befand.

So, sagte Wundrich, nun sind wir allein und kein Mensch kann unser geheimes Gespräch behorchen und verraten. Nicht wahr? Nun, so redet doch, alte gute Meisterin, die Ihr hier abseits wie eine Hexe oder Zauberin wohnt. Kocht Ihr brav Liebestränke? Beschwört Ihr Euch wohl selbst ein Liebchen daher? Kommen viele Kunden zu Euren Sprüchen? Warum redet Ihr denn heute so gar nichts?

Wenn Ihr vernünftig anfangt, sagte die Alte, so gibt es vielleicht etwas zu antworten.

Hier, sagte der Küster, nehmt, was mir eingekommen.

Ohne das Paket anzusehen, legte es die Alte in einen Kasten.

Es ist Gold dabei, sagte Wundrich, verzettelt es nicht; ich bringe Euch diesmal viel.

Viel oder wenig, sagte Frau Gertrud; es ist da und wird morgen nicht mehr da sein; die Not wächst immer, wie die Saat auf dem Felde, und das Almosen will immer nicht zur Sichel werden, es zu schneiden. – Setzt Euch.

Wohin? sagte Wundrich; altes Kind, ich werde mich, wie die Ziege vorher, da auf vier Beine hinstellen, und Euch so in das blasse Angesicht schauen.

Da, antwortete sie, ist der kleine Schemel unter dem Kreuz; lehnt Euch an das.

Und so dem Heiland den Rücken kehren? fragte der Geistliche.

Das tut Ihr ja doch immer, erwiderte sie; wenn er Euch einmal anblickte, würdet Ihr Euch die unnützen Reden abgewöhnen. Ihr seid gut, aber Ihr könntet noch viel besser werden.

Der Küster setzte sich auf den niedern Schemel und lehnte sich an das Bild; die Alte aber kauerte wieder in ihren Winkel und nahm einen Rosenkranz in die dürren Hände.

Wie geht's Euch sonst? fragte Wundrich.

Wie immer, antwortete sie, gut; ich kann meinem Schöpfer und Heiland nicht dankbar genug sein, wie ich hier schon im irdischen Leben so überschwenglich glücklich bin.

Es ist erbaulich, sagte er, daß Ihr Euch so begnügt. Aber neulich, als Euch die Buben ein Loch in den Kopf geworfen hatten, das Euch viele Schmerzen machte; wie war es da?

Ach! erwiderte sie fast lachend, ich habe durch meine Sünden viel Schlimmeres verdient.

Ihr sündigt nicht, Alte! rief Wundrich gerührt, schweigt still, Sibylle, und lästert Euch nicht selber, gutes, liebes Weib.


 << zurück weiter >>