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Ja, ja, sagte der Maler, die Menschen sind seltsam. Immer nur geradeaus denken! Nicht singen mögen! Meine Gedichte nicht kennen! Wir haben Schlund, Hals, Gaumen, Lippen, Zähne. Es zeigt sich deutlich der Gebrauch von allem, ob der erste, notwendigste der beste, wer kann es sagen? Wir sollen schlingen, kauen, essen, und außerdem vernünftig mit allem diesen Handwerkzeuge sprechen. Gut, wir tun es auch alle. Aber, wenn nun Gaum und Zunge den liebevoll geistigen Wein auf die feine wundersüchtige Problerwaage legt? Und züngelt, schleckert, lippelt, und der Schlund auch zur Zunge wird? Wenn das schon mit bei der Schöpfung ausbedungen ist, wie ich doch glaube, warum soll Kauen des Brotes und Schlucken des Wassers oder Bieres rechtgläubiger sein? Die Lippen schon prüfen den Wein, die Nase riecht seine Geister ahndend, und Gefühl, stummes, ist mehr als Auge und Ohr. Statt zu sprechen, singt nun gar das Maul. Es soll nichts Vernünftiges, Nutzbares oder Erbauliches, sondern eben nur Gesang werden, der ebensohoch über das nüchterne Reden steht, wie der heitere Rausch über die Sättigung des Durstes. Und wer unter den Sterblichen hat denn den unnützen, widersinnigen, ganz vernunftwidrigen Kuß erfunden? Da treten die Lippen nun vollends aus Reih und Glied, und das Auge glänzt vor Freude, daß ein Druck mehr ist als Vernunft, Licht, Gesang, Poesie und Philosophie; daß nur durch das Maul das Maulen auf die süßeste Art in sprachlose Freude übergehen kann. Ja, Menschenkinder, es ist euch viel gegönnt, daß das Lippenwesen so fein über den Zähnen aufgeliebelt ist. Und dann noch das Lächeln als Zugabe. – Seht! seht nur Frau Catharinen an, und die jungen Mädchenkinder dort! Möchte man nicht die ganze Seele zwischen die Mündchen und die Lippenröte legen, daß sie dort in Liebe gewiegt würde, und als der holdseligste Gedanke aufblähen könnte?
Er stand auf und küßte nach der Reihe Catharinen, die Mädchen und die alten Frauen. Friedrich sah seinem Beginnen so eifrig zu, als wenn er den Wunsch und die Absicht habe, seine Freiheit nachzuahmen; doch ein strenger Blick Catharinens nahm ihm den Mut.
Die Gesellschaft wendete sich wieder zum Gesange und zur Musik. – Nicht wahr, sagte Labitte nach einiger Zeit: ihr seht doch auch alle die kleinen Geister von allen Farben, rot, weiß, gelb, blau und scheckig, die in der Luft auf den Tönen, wie auf ausgespannten Seilen, tanzen und springen? Und da oben sitzen andre mit ehrbaren Gesichtern und in weiten Gewändern, und nicken gar ernsthaft und schlagen den Takt, um das tolle Unwesen in Ordnung zu halten. So ist es immer. Der Unsinn hat nichts zu bedeuten, und ist weder toll noch erfreulich, wenn nicht Sinn und Vernunft die Aufsicht über ihn führen, und seine Rasereien bedeutsam machen. So herrscht auch in diesem Wirrwarr der Takt, die Töne schwingen in Melodie um: und kein Schmied, kein Schiffbaumeister kann seine Arbeit fördern, wenn nicht ebenso Takt und Puls das Werk bewachen. Nur der sogenannte Teufel kennt weder Maß, Takt, noch Melodie; er hat das Maul bloß zum Sprechen, darum ist er so unglücklich, und kann, wie er sich auch anstellt, so wenig ausrichten.
Ihr sprecht so vertraut von ihm, sagte Friedrich, als wenn Ihr ihn persönlich kenntet.
Kenne ich den miserablen Knirps denn nicht etwa persönlich? rief der Alte im halben Rausche; so viel, wie man ein solches klägliches Unwesen, das keine Person hat, kann persönlich kennen lernen. Da draußen im Walde hält der Armselige manchmal seinen Sabbat, und da bin ich neulich hinausgelaufen, um ihm meine Aufwartung zu machen und ihm meine ganze Verachtung und Geringschätzung zu zeigen. Er saß auf drei uralten Kröten, das sollte seinen Thron vorstellen, auf dem Kopf hockte als Krone eine Fledermaus, sein Mantel bestand aus Spinnenweben, und eine Schere eines großen Hummers sollte das Szepter bedeuten. Blähte sich das dumme Vieh nicht, als wenn er Monarch des Erdbodens wäre! Frösche, Unken, Molche, Spinnen, manches Geziefer kniete und kroch vor seinem Throne. Auf Besenstielen, in Backtrögen ritten und fuhren ein Dutzend alte, runzlichte Weiber, um ihn zu verehren, herbei, die Luft verfinsterte sich, indem sie kamen. Die Abgeschmackten konnten die Herrlichkeit der Natur und Schöpfung nicht mehr sehen und fühlen; sie hatten die heilige Anbetung, das süße Grauen vor dem Vater und Schöpfer der Welt auf immer verloren, sie empfanden nichts beim Kirchengesang, beim Ton der Nachtigall, bei Gedicht und Musik, und waren nur für das Abgeschmackte, Aberwitzige begeistert, weil der Mensch irgend etwas verehren muß; ihre Tollheit trug sie durch die Lüfte, um hier anzubeten, und dem Kläglichen einen Harem durch ihre Buhlschaft zu bilden. Der Kerl wurde dann auf seinen Kröten auch immer aufgeblasener, und lächelte die Unholdinnen, in seiner Manier, recht freundlich an. Kleine buckliche Pygmäen von bösen Geistern schwirrten und tanzten in der Luft, ein Igel spielte auf der Trommel, eine Heuschrecke auf dem Hackebrett, aber alles ohne Takt. Der Mond sah kläglich und mit schiefem, verhöhnendem Gesicht auf das Gesindel, und ich stand in der Ferne unter einem Baum, um die ganze Hofhaltung aufzuzeichnen.
Ganz recht, sagte Friedrich, das ist das berüchtigte Gemälde, welches Ihr schon vor Jahren zustande gebracht habt, und das Euch von manchem Kunstfreunde viel bittern Tadel zuzog. Man meinte, der Gegenstand sei häßlich und aberwitzig zugleich, und man begriff nicht, wie derselbe Mann, der die Mutter des Herrn, die gebenedeite Jungfrau, in einem Liede so schön besungen hat, diese Widerwärtigkeit mit so vielem Fleiße und dem Aufwand so vieler Zeit hatte ausführen können.
Der Alte lachte selbstgefällig und sagte: Macht man einmal etwas zu seiner eignen Freude, so will es den Leuten, für die man sich oft geplagt hat, in der Regel nicht gefallen. Ich wollte dem dummen Teufel, oder dem Teufel der Dummheit, der mich oft stört, auch einmal eins versetzen.
Ihr wißt aber, fuhr Friedrich fort, daß der herrliche Maler, Johannes, selbst Euer Bild sehr scharf damals getadelt hat, und gesagt, so etwas dürfe gar nicht dargestellt werden.
Ich weiß es! rief Labitte aus; ist denn das nun etwas andres, als das ganz einfache Nein? Wahrlich, ich sage euch, es werden nicht viele Tage ins Land gehen, so werden wir einen Überfluß von diesen Bildern, von Hexen, Teufeln, Beschwörung und dergleichen haben, und meine Sache ist nur anstößig gewesen, weil sie die erste in dieser Art war. – Jeder Erfinder ist der Märtyrer seiner Originalität. Viel schlechtere Sachen werden nach meinem Tode Aufsehen und Verwunderung erregen, und, wenn es geschieht, so wird kein Mensch dann mehr von dem armen Peter Labitte nur reden.
Es war spät geworden, und die Gesellschaft erhob sich. Ist es Euch nicht bange gewesen, sagte die kleine Sophie, als Ihr, mein teurer Herr Labitte, mit dem Satan so ganz allein im Walde waret?
Nein, sagte der Maler, denn ich muß Euch sagen, wen man recht von Herzen verachtet, den fürchtet man nicht. Und doch tut man vielleicht nicht wohl, denn oft, sehr oft ist das, was uns verächtlich scheint, nur eine Maske des Fürchterlichen.
Alle begaben sich zur nahen Stadt, und nur Friedrich blieb zurück, obgleich es den Scheidenden auffiel, um mit der Dame Catharina ein sonderbares Gespräch zu führen. Sie sah es ungern, daß der Jüngling verweilte; indessen meinte sie, da er sich nicht raten ließ, ihm jetzt im Vertrauen alles sagen zu können, was sie für nötig hielt.
Wie also Friedrich vom Gartentore wieder umkehrte, war sie fast erzürnt, denn sie sah, daß die übrigen dieses Betragen des Jünglings auffallend fanden. Indessen, da es nicht zu ändern war, nahm sie sich vor, ganz aufrichtig mit ihm zu sprechen, denn sie kannte seinen Sinn und auch den Gegenstand des Gespräches, zu welchem er sich wieder wenden würde.
Sie setzten sich im Gartensaal, indem sich der Himmel schon rötete. Alles verkündet die Nähe des Abends, sagte Catharina, und Ihr wollt nicht zu Eurem Vater kehren, der Euch sehnlich erwartet, und der auf mich zürnen wird, weil er meint, ich halte Euch zurück.
O nein! rief Friedrich aus, durch meine Klagen, durch meinen Verdruß ist er genug davon unterrichtet, wie Ihr es nicht seid, die mich aufmuntert, länger zu verweilen.
Aber, mein lieber junger Freund, sagte die verständige Frau mit heiterer, einschmeichelnder Rede, warum strebt Ihr denn nun schon seit Monaten, diese Eure Freundschaft, die ich so hoch achte, die zu meinem Lebensglück gehört, mir zu entreißen? Warum wollt Ihr mich überreden, es könne ein anderes Verhältnis zwischen uns stattfinden, welches Ihr ein innigeres nennt?
Ja, rief Friedrich, ich muß noch einmal Euer Ohr mit allen jenen Wünschen, Forderungen und Fragen bestürmen, die Ihr so weit von Euch werft! Jetzt ist es ein Jahr, schöne Frau, daß ich Euch kenne. Ohne Vorurteil, ohne Leichtsinn bin ich in Euer Haus getreten; ich hörte nicht auf so manches Geschwätz, was der und jener, armselige Menschen, mir hatten mitteilen wollen. Ihr wißt, mein Sinn ist ernst, so töricht ich wohl manchmal im Haufen meiner Jugendgefährten erscheinen mag; meine Wünsche sind lauter, mein Leben war einfach und rein, so vielfach Basen und Splitterrichter meine jugendliche Heiterkeit und den erlaubten Leichtsinn haben verlästern wollen. So erwachte mein Herz in Eurer Nähe zum erstenmal, und was ich mir sagte, wie ich gegen dieses Gefühl kämpfte, das zur brennenden Leidenschaft wurde, so war alles vergeblich; ja, jeder Einwurf, jedes Hindernis entzündete und verstrickte mich nur mehr. Es ist keine Täuschung, keine Aufwallung unreifer Jugend, nein, feste Überzeugung, daß ihr, nur Ihr das Glück meines Lebens machen könnt. Wenn Ihr, Geliebte, nicht alle Liebe leugnet, so müssen Euch meine Worte, meine Bitten endlich gewinnen.
Catharine betrachtete ihn lange mit den großen braunen Augen, und sagte dann mit dem Ausdruck des Schmerzes: Mein geliebter Freund, es tut mir weh, daß Ihr noch immer beharrt. Glaubt mir, ich kenne Euch besser, als Ihr Euch selbst; die Welt, wie das Leben, sind mir vertrauter, da Ihr noch eben im Frühlinge des Jahres steht, und ich mich dem Herbst und Winter schon nähere. Ihr wißt es ja, mein Freund, daß ich mehr als zehen Jahre Euch voraus bin, Ihr seid kaum fünfundzwanzig und ich bin sechsunddreißig. Schon seit zwölf Jahren bin ich Witwe, nachdem ich in einem bittern Ehestande die schrecklichsten Erfahrungen und Schmerzen gewonnen habe. Jetzt, das weiß ich, dünkt es Euch, als wenn in meinem Besitz Euer Leben erst anheben würde. Diese Täuschung des Gefühls und der Phantasie ist in der Natur so fest begründet, daß Euch jeder als ein Lästerer erscheint, der Euch das Gegenteil dartun will. Aber mir werdet Ihr das Wort vergönnen, das ich in Eurer und meiner eignen Sache sprechen darf. Durch den Besitz, durch einen kurzen Rausch des Genusses würde Eure Sehnsucht befriedigt, das Unbedingte und Unbeschränkte Eurer Leidenschaft gemäßigt und beschlossen, und das verirrte Gefühl aus der poetischen Täuschung zur Wahrheit und Natur zurückkehren. Nicht daß Eure Neigung erlösche, daß Ihr Euren Entschluß bereuetet, daß Eure Liebe sich in Haß und Widerwillen verkehren könnte! Ihr seid zu edel, Ihr würdet mir Euer Unglück, Eure Enttäuschung verschweigen, durch Zärtlichkeit, Aufopferung und Wohlwollen mich und Euch hintergehen wollen. Aber unglücklich würdet Ihr sein, und fühlen und sehen, wie Ihr Eure Jugend an eine Einbildung, einen leidenschaftlichen Eigensinn verloren hättet. Die Natur verlangt es, daß in der innigsten Verbindung, auch wenn beide Liebende im Jugendrausche träumen, eine quälende und beseligende Unruhe und Sehnsucht erlischt. Ich aber würde Eurer erwachten Phantasie sehr bald als eine ältere Schwester, vielleicht nach einem Jahre als eine mütterliche Freundin gegenüberstehen. Die Reize, die ich noch etwa aus meinem Schicksale und meiner längst entwichenen Jugend davongetragen habe, müssen binnen kurzem schwinden; soll ich erwarten, daß auch mein Alter reize, Schwächen, Blässe, Runzeln? Eine Krankheit kann in wenigen Wochen diesen Nachsommer der Wangen und Augen zerstören, – und für diesen kurzen Besitz einer Schönheit, die in Eurer Umarmung in Asche und Staub zerfällt, wollt Ihr den Hohn Eurer Landsleute, den Zorn Eures Vaters, die Verachtung der Jungfrauen auf Euch laden? Wie manches schöne Auge zielt nach Euch, wie manches junge Herz wünscht im stillen, Euch zu gewinnen. Ernüchtert wäret Ihr nun an mich, vielleicht auf lange, gekettet. Nicht lösen läßt sich das Band, wie es leicht sich anlegen läßt. Nun hätte ich erst das höchste Elend meines kummervollen Lebens gewonnen. Ich müßte Euch im stillen Gram, in Reue schwinden sehen; ich müßte mir den bittern Vorwurf machen, daß ich Euch nicht rein, nicht wahrhaft genug geliebt habe, indem ich so schwach habe sein können, Eurem Ungestüm nachzugeben. Und wenn ich es nun erlebte, wie es doch ohne Zweifel geschähe, daß Euer Sinn sich einer edlen Jungfrau näherte, die Euer Gemüt zu würdigen wüßte, so stände ich als die Furie, als ein Gespenst zwischen Eurem Glück, und ich müßte mich verachten und meinen Tod so sehnlich herbeiwünschen, daß Nadel, Messer und Schere in meinen Händen zu Strafe und Rache gegen mich werden könnten.